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te und erlegte Zorro ein gewaltiges Flipchart – und
meine aufwändig gemalten Diagramme sind natürlich
gründlich geschreddert. Erschöpft von seinen Helden-
taten kuschelte er sich auf meinen Schoß und schlief
ein. Es war mir unmöglich, ihn auszuschimpfen.
Er brauchte einige Tage, bis er merkte, dass er
nicht der alleinige Herrscher über sein neues Revier
ist. Es hat ihn zutiefst schockiert, als ich ihn davon ab-
hielt, mein Sofa zu zerkratzen und an den Vorhängen
hochzuklettern. Allerdings hat er es dafür geschafft,
mich von meinem Computer auszuloggen. Ich glau-
be, mein Kleiner ist ein angehender Computercrack.
Keyboard und Bildschirm findet er ziemlich aufre-
gend.
Jetzt fragt Ihr Euch vielleicht, wer der Boss in
diesem Haushalt ist. Eine erwachsene Frau von 1,68
Meter, eine gebildete, unabhängige Expertin und viel
beschäftigte Weltreisende? Oder ein 400 Gramm
schwerer Fellball? (Seufz. Was soll ich sagen – ich bin
hingerissen.)
Für ein so kleines Kerlchen ist Zorro ein echter
Draufgänger. Trotzdem ist er scheu. Das würde der
Dreikäsehoch selbstverständlich nie zugeben, denn
stolz ist er auch. Tagsüber jagt er kriegerisch unsicht-
bare Feinde. Nachts wickelt er sich als schnurrende
Pelzschärpe um meinen Hals. Das ist behaglich und
entspannend für uns beide.
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Wie wild düst er im ganzen Haus herum, steckt
seine Nase in jeden Winkel und kriecht unter Sofas
und Stühle. Er lässt sich nichts anmerken und tut so,
als sei er nicht völlig überwältigt – aber dann, wenn
er denkt, dass ich ihn nicht beobachte, schleicht er
in eine Ecke und weint. Heimlich. Heulen ist näm-
lich etwas für Mädchen. Und ich habe etwas Neues
dazugelernt: Katzenbabys können nicht richtig mi-
auen! Dazu sind sie noch zu klein. Zorro fiept wie
eine Maus. Stellt Euch das vor – eine Katze, die wie
eine Maus klingt! Außerdem knurrt er wie ein kleiner
Hund, wenn er sehr aufgeregt ist, zum Beispiel wenn
wir Seilziehen miteinander spielen. (Ratet mal, wer
immer gewinnt!) Zorro ist ein richtiges Muskelpaket.
Ich lerne auch allmählich, dass Katzen sehr auf
ihr Revier bedacht sind. Wachsam paradiert Zorro
vor seinem Kistchen im Stechschritt über das Parkett.
Später, wenn er gerade nicht hinsieht, räume ich be-
flissen hinter ihm auf. Ja! Ich! Ich entsorge Katzen-
häufchen. Wer hätte das gedacht?! (Und nochmals:
Psst! Nicht weitersagen!) Ich bin selbst über mein Ver-
halten etwas verstört.
Zorro ist ein echt cooler Kater. Und jedes Mal,
wenn er mich in voller Größe sieht, zuckt er zusam-
men. Aber er erholt sich schnell wieder und liebt es,
mit mir zu kuscheln. Ich habe gelernt, dass Katzen-
babys viel Nähe und Zärtlichkeit brauchen. Für ein
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Katzenbaby ist es tatsächlich körperlich und seelisch
ungesund, allein zu schlafen.
Ich muss noch so viel lernen!
Wenn er sich an mich schmiegt und sich um mei-
nen Hals drapiert, bin ich entzückt, aber bekomme
keine Luft. Morgens hat Zorro einen Schock, wenn er
realisiert, mit wem er die Nacht verbracht hat. Dann
rast er sofort unters Bett. Dort wartet er beleidigt, bis
ich ihn hervorhole. Heute stellte er den Weltrekord im
Sprint von seinem – äh, meinem Nachtlager – zum
Kistchen auf. Eine richtige Mini-Sportskanone.
Bitte wundert Euch nicht, wenn wir das nächs-
te Mal miteinander sprechen, und seid geduldig und
nachsichtig mit mir, denn ich habe mir bereits die
Sprache junger Mütter angeeignet – etwas, das mich
früher leicht befremdet hat. „Oh! Sieh mal! Er hat dick
gemacht!“ „Was für ein braver Junge!“ „Er ist schon
so weit für sein Alter!“ Dabei stoße ich kleine Entzü-
ckensschreie aus.
Zorro ist wirklich ein erstaunliches, kluges, mu-
tiges und einzigartiges kleines Geschöpf. Wenn Ihr
ihn endlich kennenlernt, werdet Ihr mir garantiert
zustimmen!
Habe ich mich bereits dem Stereotypen „Dame
mit Katze“ angenähert? Oh Graus! Im Anbetracht
der unglaublichen Freude, die das kleine Kerlchen
mir bereitet, ist mir das aber wurscht. Eines kann ich
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Euch jedoch sagen: Ich werde kein Hütchen aufset-
zen und meinen Kater vom Tisch mit Kuchen füt-
tern. Niemals!
Viele Grüße
SAM
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HIER KOMMT ZORRO!
Hallo Leute!
Nun bin ich schon seit drei Wochen in meinem neu-
en Zuhause, bei meiner neuen Mama. Obwohl ich
ein tapferer und furchterregender Katzenkrieger bin,
muss ich zugeben, dass ich ein klein wenig Angst ver-
spürte – genauer gesagt: Es hat mir die Gedärme vor
Schreck zusammengezogen. Entsetzen, Trauer, Ver-
lust und ein komplettes Gefühlschaos sind über mich
gekommen. Ich war am Boden zerstört, als ich von
meinen beiden Schwestern und meiner vierbeinigen
Mama getrennt wurde. Schließlich hätte das für alle
traumatisch enden können. Aber wie ein echter Kö-
nig des Dschungels etabliere ich mich langsam als
Herrscher über dieses seltsame, fremde Reich.
Natürlich war ich verwirrt und erstaunt, als ich
feststellte, dass ich plötzlich eine neue, zweibeinige
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Mama habe. Na, das war faszinierend! Meine neue
Mama kümmert sich rührend um mich und es ist klar,
dass sie nur das Beste für mich will – obwohl sie von
einem wilden Raubtier wie mir keine Ahnung hat. Da
muss ich ihr noch ein paar Kardinalpunkte erklären.
Aber sie liebt mich offensichtlich abgöttisch.
Denn wehe mir träte jemand zu nahe oder behandel-
te mich nicht mit allem gebührenden Respekt, dann
bekäme es dieser jemand mit der Aurenberger Mafia
zu tun (die einzig und allein aus meiner Mama be-
steht). Dieses Schutzversprechen hat sie mir ins Ohr
geflüstert. Leute, das blähte mein Herz und gab mir
Trost und Hoffnung. Wenn die richtige Zeit gekom-
men ist, werde ich ihre Liebe erwidern. Im Augen-
blick muss ich erst einmal in aller Ruhe die Situati-
on einschätzen. Aber die Liebe, ja die Liebe ist eine
zentrale Sache für uns Katzen und körperliche Nähe
ist für uns unabdingbar, erst recht für Babys. Die kön-
nen noch nicht allein schlafen. Logischerweise bin ich
mit fast vier Monaten längst aus diesem Alter heraus.
Aber trotzdem ist es herrlich, mich an Mamas weiche
Haut zu kuscheln und in der Nacht auf ihrem duften-
den Haar zu entspannen. Vorher muss ich natürlich
auf ihren Bauch klettern und ein paar Minuten lang
mit meinen Pranken treteln. Das findet sie bestimmt
genauso schön wie ich. Wieso Mama sich genau dann
verkrampft und angestrengt die Luft anhält, ist mir
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ein Rätsel. Ich verstehe auch nicht, warum sie mich
dann hochhebt und vorsichtig meine Krallen aus ih-
rem Seidenpyjama löst. Menschen sind schon seltsa-
me Geschöpfe.
Ich verstehe auch nicht, warum ich so lange
nicht nach draußen durfte. Mama spricht von einer
Gewöhnphase, damit ich mich nicht „verirre“. Ich?
Verirren? Pah!
Aber endlich war auch dieser Stubenarrest (pff !)
vorbei. Hurra! Endlich konnte ich durch den Garten
rennen, überall meine Nase hineinstecken und mein
neues Revier beschnüffeln. Dabei hörte ich per Zufall
einen Nachbarn am Telefon über Mama tuscheln:
„... Karriereweib ... Bankerin, stell dir vor ... bschbsch
... viel auf Reisen ... bschbsch ... was will die mit einer
Katze?“ „Was will die mit einer Katze?“ – Also wirklich.
So was Blödes, der hat ja keine Ahnung, wie wunder-
bar Katzen sind! Mama, sei unbesorgt! Ich beschütze
dich vor aufdringlichen Mäusen, zudringlichen Vö-
geln und tratschenden Nachbarn. Ich bin's, Zorro,
der Unerschrockene, tapfer wie ein Tiger, stark wie
ein Löwe, schnell wie ein Gepard – und dein persönli-
cher Beschützer.
Allerdings muss ich sagen, dass hier vieles noch
immer gewöhnungsbedürftig ist. Und Leute, was ist
ein „Karriereweib“? Kann man das essen? Das wäre
wirklich gut, denn Mama guckt mich immer ratlos
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an, wenn ich mich nicht auf die Katzensalami stürze,
die sie mir als Leckerbissen hinlegt. Was soll ich mit
einer ganzen Stange? Stelzenlaufen oder was? Mama
hat noch nicht begriffen, dass man die zerstückeln
muss. Das muss ich ihr unbedingt beibringen. Dosen
kann sie schon öffnen – immerhin. Ich bin also guter
Dinge.
Kommt mich doch mal besuchen! Dann zeige
ich Euch mein neues Reich. Ihr dürft mich dann auch
streicheln. Aber erst, wenn Ihr mit mir gespielt habt.
!ZORRO!
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BABYPFLICHTEN
Hallo Leute,
letzten Dienstag, es war ein sonniger Morgen, sagte
Mama fröhlich: „Wir gehen heute zum Veterinär!“
Ich hatte natürlich nicht die leiseste Ahnung, was ein
„Veterinär“ ist – aber ich ließ mir natürlich nichts an-
merken. Mamas Tonfall nach zu urteilen, musste diese
Veterinärgeschichte jedenfalls ein Riesenspaß sein. Also
kooperierte ich. Ich sprang anmutig auf ihren Schoß
– und wie wurde meine Mühe belohnt? Mama pack-
te mich und versuchte, mich in so eine blöde Kiste zu
stopfen! Dann versuchte sie, die Tür zu schließen, aber
mein Kopf und meine linke Vordertatze waren noch
draußen. Dann versuchte sie wieder, die Tür zu schlie-
ßen, aber meine rechte Hinterpfote lugte hervor. Dann
versuchte sie ein drittes Mal, die Tür zu schließen, aber
mein Popo war im Weg. Hihi. Es war wie im Zirkus.
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Weiß sie denn nicht, dass man einen pelzigen Torna-
do nicht einsperren kann? Wenn man uns einschließen
will, erwachen unsere Katzeninstinkte sofort.
Irgendwann knallte sie entnervt die Box zu. Ich
hatte Glück: 100 % von mir befanden sich in der Kis-
te. Mama hatte kein Glück, denn 0,875 % von ihr
befanden sich auch in der Kiste. Ihr Zeigefinger er-
starrte genau vor meiner Nase. Wow! Mama kann
richtig laut werden. Ich hörte ein haarsträubendes
Geräusch, das ich noch nie zuvor vernommen hatte.
Es klang wie ein Chor schreiender Hyänen. Es war,
als hätte Mama eine Urschreitherapie begonnen.
Arme Mama! Manchmal müssen Menschen die Lek-
tion eben auf die harte Tour lernen. Katzen muss
man sanft in die Box setzen – wenn überhaupt!
Die Show ging weiter: Nach dem Urschrei kam
die Vier-Punkte-Reaktion: Erst sog sie tief Luft ein.
Als Zweites stieß sie einige ausgesprochen unan-
ständige Wörter hervor. Ich glaube, man nennt das
Schimpfwörter. (Aus Respekt vor der Justiz, und um
den Anstand zu wahren, gebe ich diese hier nicht
wieder.) Als Drittes würgte sie mit finsterer Miene
den Schmerz hinunter. Und als Viertes setzte sie den
„Nichts-Anmerken-Lassen“-Blick auf.
Und das alles, während ihr Zeigefinger die Farbe
wechselte und lila anlief. Klasse Spektakel, sage ich
Euch. Mama ist eben keine Memme, sondern hart