Philosophische und theologische Schriften

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VORWORT DES ÜBERSETZERS

Seitdem ich das vorher entweder ganz unbekannte oder vielfach entstellte Leben und Wirken des deutschen Kardinals und Bischofs Nicolaus von Cusa nach sorgfältigem Sammeln der mir zugänglichen Quellen31 in einer Monographie (Der Kardinal und Bischof Nicolaus von Cusa, Mainz 1843) zunächst nach der Seite des kirchlichen Wirkens in einem Gesamtbilde zu zeichnen versucht, hat sich die Aufmerksamkeit auch auf dessen literarische Tätigkeit, namentlich auf das philosophisch-theologische System desselben, wovon ich die Grundzüge in der Tübinger theologischen Quartalschrift, Jahrg. 1837, 2. Heft niedergelegt hatte, in erhöhtem Grade hingewendet. Dr. Clemens, damals Privatdozent in Bonn, zeigte im Jahre 1847 in einer besonderen Schrift: Giordano Bruno und Nicolaus von Cusa das Verhältnis beider Philosophen zu einander, zu welchem Behufe er das System Cusas in vortrefflicher Weise in den Grundzügen darlegte. Dr. Düx, Regens des bischöfl. Seminars in Würzburg, nimmt in seiner Monographie über Nicolaus von Cusa (Regensburg 1847) auf diese lehrreiche und gediegene Schrift, obwohl ihr Inhalt schon 1844 in der Zeitschrift für Wissenschaft und Kunst von Dr. Dieringer niedergelegt war, keine Rücksicht und beschränkt sich in dem Abschnitte über das literarische Wirken auf mehr oder weniger ausführliche Auszüge aus den wichtigsten Schriften des Kardinals, ohne über das System selbst, seine innere Entwicklung, über die Stellung Cusas in der Geschichte der Philosophie und der dogmengeschichtlichen Entwicklung, wovon doch die Würdigung des literarischen Wirkens in erster Linie abhängt, in irgendeine Untersuchung einzugehen. Der VIII. Band der Sitzungsberichte der philosophisch-historischen Klasse der kaiserlichen Akademie der Wissenschaften in Wien vom Jahre 1852 enthält eine sehr gute Abhandlung von Prof. Zimmermann über die Philosophie des Kardinals unter dem Titel: »Der Kardinal Nicolaus Cusanus als Vorläufer Leibnitzens«. Ritter hat in seiner Geschichte der Philosophie des Mittelalters dem philosophischen Systeme Cusas eine ausführlichere, jedoch nicht in allen Teilen genügende Darstellung gewidmet, und Staudemaier hat in seiner Dogmatik (III. Bd. 2 Abtlg. Freiburg, bei Herder, 1848) in der Lehre von Gott und der Verwirklichung der Welt an vielen Stellen auf Nicolaus von Cusa hingewiesen.

Diese Beleuchtung einzelner Partien des in den älteren Werken über Geschichte der Philosophie von Brucker, Buhle und Tennemann gleich der ganzen Scholastik gänzlich entstellten Systems zeigen nicht nur den tiefen und reichen Gehalt der Spekulation unseres Denkers, sondern treiben von selbst dahin, diese einzelnen Beleuchtungen in einen Brennpunkt zu sammeln und das Ergebnis der neuesten Untersuchungen über diese oder jene Seite der Cusanischen Spekulation in ein Gesamtbild zusammenzufassen, welches die innere Entwicklung der cusanischen Philosophie darlegt, sodann die Stellung Cusas im Entwicklungsgange der Philosophie vor- und rückwärts beleuchtet, überdies auch den dogmatischen Auffassungen einiger wichtiger Lehrstücke der speziellen Glaubenslehre – eine bisher ganz unbeachtet gebliebene Materie – die gebührende Beachtung widmet und endlich eine Auswahl des Gediegensten aus den Predigten und religiösen Dialogen liefert.

In der Ausführung der Hauptaufgabe, der vollständigen Darlegung des spekulativen Systems, glaubte ich aus mehreren Gründen mich nicht auf den gewöhnlichen Weg eines Referates, bei welchem der Philosoph selbst nur hie und da zum Worte kommt, beschränken, sondern von den namhaftesten Schriften eine möglichst sinngetreue Übersetzung, mit nur wenigen Auslassungen von solchen Sätzen, die bloße Wiederholungen des Gedankens sind, dem Publikum geben zu sollen. Dies dürfte gerechtfertigt erscheinen

1. vor allem durch die bisherige mangelhafte Kenntnis des Ganzen der spekulativen Wirksamkeit Cusas, der doch an Tiefe der Gedanken sich an die besten Scholastiker des Mittelalters anreiht, an Vielseitigkeit und mannigfachen Anklängen an die neuere Philosophie sie alle übertrifft. Eine nähere Bekanntschaft mit dem Systeme Cusas aus seinen Schriften selbst ist wegen der großen Seltenheit der Ausgabe derselben (die gewöhnliche ist die Basler, ex officina Henricpetrina v. J. 1565) für die wenigsten ermöglicht.

2. Je origineller Cusas Ideen gedacht und ausgeführt sind, desto weniger werden sie in ihrer ganzen Eigentümlichkeit durch ein bloßes Referat, wenn auch dieses mit einzelnen Stellen aus den Schriften selbst durchflochten ist, erkannt. Veranlassung, Eingang, Art der Ausführung, Schluß einer Schrift geben uns erst ein ganzes Bild und lassen uns oft nur in einzelnen hingeworfenen Bemerkungen, die man sonst nicht als eigentliche dicta probantia zu betrachten pflegt, tiefere Blicke in die ganze Geistesrichtung werfen. Mag das Referat über einen Philosophen sich noch so getreu an den Gehalt seiner Schriften anschmiegen, es ersetzt doch das Lesen derselben und die eigene Ausführung des Autors keineswegs. Deshalb geben auch die Auszüge bei Dr. Düx ein nur mangelhaftes und fragmentarisches Bild des Gedankengangs der einzelnen spekulativen Schriften. Wenn Cusa wiederholt von seinem Systeme sagt, es unterscheide sich von der zu seiner Zeit üblichen Methode des Philosophierens wie das (selbständige) Sehen vom Hören (des Überlieferten), so wird auch in der Erkenntnis seines Systems das Sehen vor dem Hören den Vorzug verdienen.

3. Cusa hat auch der Form und Architektonik seiner Gedanken eine große Sorgfalt gewidmet. Seine Ausführungen bewegen sich nicht durch voluminöse Schriften hin, sondern sind in verhältnismäßig kleinen Abhandlungen niedergelegt, von denen jede ein eigentümliches Ganzes bildet; in einigen ist die dialogische Form Platos nachgeahmt. Von dieser Form des Systems erhalten wir nur durch Übersetzung ein ebenso anschauliches als anziehendes, nicht durch übermäßige Gedehntheit ermüdendes Bild.

4. Mit einem gewissen nationalen Selbstgefühle bittet Cusa seinen Lehrer, Kardinal Julian Cäsarini, dem er die erste größere philosophische Arbeit – de docta ignorantia – widmete, er möge dieses wie immer geartete System eines Deutschen über göttliche Dinge wohlwollend aufnehmen. Und in der Tat! Wenn wir das lateinische Gewand der Darstellung hinwegnehmen, so wird jeder Kundige hier das Werk eines deutschen Geistes mit Freuden entdecken; ja, er wird oft meinen, nicht einen Scholastiker aus dem 15. Jahrhundert, sondern einen deutschen Philosophen der neueren Zeit zu lesen. Die Grundgedanken der deutschen Mystik – man könnte Cusas System den ins Philosophische übersetzten Thomas von Kempis, aus dessen Kreisen auch jener hervorgegangen, nennen –, eine Kritik des menschlichen Erkenntnisvermögens, die Naturphilosophie von Schelling und Bader – alles dieses tritt uns hier entgegen, aber zu einem solchen Ganzen verarbeitet, daß der Pantheismus überwunden wird und durch die großartig im Geiste eines Clemens von Alexandrien aufgefaßte Logoslehre die Grundideen des Christentums überall ihre Herrschaft siegreich behaupten – Gründe genug, daß wir das lateinische Gewand, aus welchem ohnehin die deutsche Form des Gedankens überall hervorschaut, hinwegnehmen und den deutschen Denker in seiner natürlichen Gestalt schauen lassen. Ich schmeichle mir mit der Hoffnung, daß die bisher nur mangelhaft erschlossene Lektüre eines christlichen Philosophen, durch dessen Schriften sich eine so tiefe und warme Religiosität hindurchzieht, der in allem seinem Denken nichts anderes bezweckte, als daß, wie in ihm, so auch in seinen Lesern auf dem Wege der Spekulation »Christus für Geist und Herz immer größer werden möge« (de docta ignorantia III, c. 12, S. 62) außer den Männern vom Fache, die an der Quelle selbst schöpfen, allen willkommen sein werde, welche auf jenem Grade von Bildung stehen, daß ein jeder Versuch zur Lösung der höchsten Probleme des menschlichen Geistes ihr lebhaftestes Interesse in Anspruch nimmt. Werfen wir vollends einen Blick auf den dermaligen Stand der Philosophie, so ist derselbe von der Art, daß ein Geist wie Cusa aufzutreten sich nicht im mindesten scheuen darf.

5. Es versteht sich endlich von selbst, daß die Übersetzung der namhaftesten philosophischen Schriften die beste Grundlage bildet, auf welcher eine lebendige Erörterung über Geist und Richtung, Entwicklungsgang des Systems so in der zweiten Abteilung aufgebaut werden kann. Ist ja eine richtige Übersetzung auch schon eine Erklärung des Sinnes mancher Stellen, vorausgesetzt, daß man nicht da, wo die Übersetzung Schwierigkeiten bietet, den lateinischen Ausdruck beibehält, sondern wirklich den möglichst adäquaten aus der deutschen philosophischen Sprache aussucht. Inwieweit ich nun die oft nicht geringen Schwierigkeiten überwunden und namentlich auch den vielfach fehlerhaften Text der Basler Ausgabe aus dem Sinn und Zusammenhang verbessert habe, stelle ich dem Urteile der Sachverständigen anheim.

Durch die Auswahl der übersetzten philosophischen Schriften soll nicht gesagt sein, daß nicht noch einige andere der nicht übersetzten zur allseitigen Erkenntnis des Systems erforderlich seien; doch sind die Hauptgedanken in dem hier Übersetzten niedergelegt. Zwei der übersetzten Schriften: de pace fidei und cribratio Alchoran gehören zwar nicht zu den im engeren Sinne spekulativen, allein sie sind doch von den Grundideen der philosophischen Anschauung Cusas getragen und verdienen auch ihrem übrigen Inhalte nach wörtlich und vollständig bekannt zu werden. Unterlassen habe ich die Übersetzung der Schrift: de concordantia catholica sowie der Briefe an die Böhmen, da ihr wesentlicher Inhalt bereits in meine oben erwähnte Monographie (S. 32–91 und 91–105) aufgenommen ist.

 

Die zweite Abteilung wird die wissenschaftliche Untersuchung über Cusas System und dessen Stellung im Entwicklungsgange der Philosophie und spekulativen Theologie enthalten.

Möge sich diese meine Arbeit der gleichen günstigen Aufnahme, wie die frühere über denselben Gegenstand erfreuen! Glücklich würde ich mich schätzen, wenn dieselbe einiges beitragen sollte, daß, wenn in nicht ferner Zeit (am 10. August 1864) vier Jahrhunderte seit dem Hinscheiden des Mannes, auf den die katholische Kirche und besonders das deutsche Vaterland mit Stolz hinblicken darf, verflossen sind, sein geistiges Bild in möglichst lebensvollen und sprechenden Zügen vor uns steht.

I.

VON DER WISSENSCHAFT DES NICHTWISSENS

(De docta ignorantia)

Nicolaus von Cusa an den hochehrwürdigen Kardinal Julian, seinen Lehrer

Deinen großen und gepriesenen Geist wird es mit Recht befremden, daß ich, indem ich aus dem Barbarenlande meine Albernheiten (meas barbaras ineptias) allzu unüberlegt zu veröffentlichen wage, dich um ein Gutachten ersuche (te arbitrum eligo), als hättest du bei deiner Stellung am apostolischen Stuhle als Kardinal und bei der angestrengtesten Tätigkeit im öffentlichen Dienste noch einige Muße übrig, oder als könnte dich, den feinsten Kenner der gesamten lateinischen und nun auch der griechischen Literatur, das Ungewöhnliche des Titels für diese meine vielleicht ganz ungereimte Schrift gewinnen. Meine Geistesrichtung ist dir längst hinlänglich bekannt. Ich gebe mich der Hoffnung hin, daß nicht so sehr der Gedanke, hier bisher Unbekanntes zu finden, als vielmehr das Befremden über die Kühnheit, mit der ich mich an eine Abhandlung über die Wissenschaft des Nichtwissens gewagt, deine große Wißbegierde zum Einsehen meiner Arbeit bewegen werde. Die Naturlehre sagt uns, dem Appetite gehe eine unangenehme Empfindung im Gaumen vorher, auf daß die Natur bei ihrem Selbsterhaltungstriebe hierdurch angereizt neue Kräfte sammle. So geht wohl auch mit Recht das Staunen, das uns zum Philosophieren anregt (admirari, propter quod philosophari), dem Wissenstriebe vorher, damit unsere Vernunft, der das Begreifen ihr Sein ist, im Streben nach Wahrheit zur Vollkommenheit gelange. Das Seltene fesselt uns, wenn es auch abenteuerlich (monstra) ist.

So glaube denn, mein einziger Lehrer! in deiner Humanität, daß hier etwas deiner Würdiges verborgen sei, und nimm dieses wie immer gestaltete Philosophem eines Deutschen über göttliche Dinge wohlwollend auf! Die große Mühe, die ich darauf verwendet, hat es mir zu einer äußerst lieben Beschäftigung gemacht.

Erstes Buch
ERSTES KAPITEL
Unser Wissen ist Nichtwissen

Als Gabe Gottes liegt in allen Dingen, wie wir sehen, ein natürliches Verlangen, auf eine bessere Weise zu existieren, wie es ihr natürlicher Zustand zuläßt. Für dieses Ziel sind besonders diejenigen Wesen tätig und mit den geeigneten Hilfsmitteln versehen, denen der Verstand angeboren ist, entsprechend dem Zwecke des Erkennens, auf daß jenes Verlangen nicht ein vergebliches sei, sondern in dem Gegenstande des Verlangens durch den Zug (pondere) der eigenen Natur seine Ruhe finde. Geht es etwa anders, so kann dies nur akzidentiell sein, z. B. wenn Kränklichkeit den Gaumen oder die Meinung den Verstand in die Irre führt. Daher sagen wir, die gesunde und freie Vernunft erkenne das Wahre, das sie in einem ihr angeborenen unersättlichen Suchen, alles durchforschend, zu erreichen strebt, wenn sie es in liebendem Umfassen ergreift (Quamobrem sanum liberum intellectum verum [quod insatiabiliter indito discursu, cuncta perlustrando attingere cupit], apprehensum amoroso amplexu cognoscere dicimus), und wir zweifeln nicht, vollkommen wahr sei das, dem kein gesunder Verstand widersprechen kann. Alle Forschung ermißt aber das Ungewisse durch proportionale Vergleichung mit etwas vorausgesetztem Gewissen. Jede Forschung ist mithin eine vergleichende (comparativa est omnis inquisitio), mittelst einer Proportion. Läßt sich das Gesuchte in naheliegender Proportion mit dem vorausgesetzten Gewissen in Verbindung bringen, so ergibt sich das (die Wahrheit) erfassende Urteil auf leichte Weise, bedarf es aber einer vielfachen Vermittlung (multis mediis), dann entstehen Schwierigkeiten und Mühe. Bekannt ist dies von der Mathematik, wo die ersten Lehrsätze auf die ersten und ganz bekannten Prinzipien leichter zurückgeführt werden, die späteren Lehrsätze aber schwieriger, weil es nur durch die Vermittlung jener möglich ist. Jedes Forschen bewegt sich also in einer leichten oder schwierigen vergleichenden Proportion nach einem Unendlichen hin, das als Unendliches, indem es sich jeder Proportion entzieht, unbekannt ist. Da die Proportionen ein Zusammenstimmen in einem gewissen einen und zugleich ein Anderssein ist, so läßt sie sich ohne Zahl nicht denken. Die Zahl schließt somit alles Proportionale in sich. Nicht also bloß in der Quantität ist die Zahl, sondern in allem, was wie immer substantiell oder akzidentiell zusammenstimmen und differieren kann. Deshalb hat wohl Pythagoras gelehrt, alles werde durch die Kraft der Zahlen geordnet und erkannt. Indessen eine präzise Kombination im Körperlichen und eine kongruente Anreihung des Unbekannten an das Bekannte geht über den menschlichen Verstand, weshalb Sokrates meinte, er wisse nichts, außer daß er nichts wisse. Der weise Salomo sagte, alle Dinge seien schwierig und nicht durch Worte zu erklären. Und ein anderer Mann voll des göttlichen Geistes sagt, verborgen sei die Weisheit und die Stätte der Erkenntnis vor den Augen aller Lebenden. Wenn dem so ist, wie auch der tiefdringende Aristoteles in seiner »ersten Philosophie« sagt, daß selbst in den von Natur ganz unbekannten Dingen uns dieselben Schwierigkeiten begegnen wie der Eule, wenn sie die Sonne sehen will, so geht offenbar, da der Erkenntnistrieb nicht umsonst in uns ist, unser Verlangen dahin, zu wissen, daß wir nichts wissen. Bringen wir dieses Verlangen zur Vollendung, so erlangen wir die Wissenschaft des Nichtwissens (doctam ignorantiam). Auch der Wißbegierigste kann es in seiner Bildung zu keiner höheren Vollkommenheit bringen, als wenn er über die Unwissenheit, die dem Menschen eigen ist, recht unterrichtet erfunden wird (in ipsa ignorantia doctissimum reperiri). Zu dem Ende habe ich mir die Mühe genommen, über eben diese Wissenschaft des Nichtwissens einiges zu schreiben.

ZWEITES KAPITEL
Einleitender Überblick des Ganzen

Die Erörterung über das größte Nichtwissen erfordert allererst eine Erläuterung der Natur des Größten.

Das Größte ist das, über welches hinaus es nichts Größeres gibt. Die höchste Fülle (abundantia) kommt aber der Einheit zu. Es koinzidiert also mit dem Größten die Einheit, die auch das Sein (entitas) ist. Da diese Einheit von allem Verhältnis und allem Konkreten (contractione) ganz und gar frei ist, so hat sie offenbar keinen Gegensatz. Das absolut Größte ist daher eine Einheit, die alles ist und in der alles ist, weil es das Größte ist. Weil es keinen Gegensatz hat, so koinzidiert mit ihm das Kleinste, es ist daher auch in allem. Weil es absolut ist, so ist es in Wirklichkeit (actu) alles mögliche Sein, ohne durch die Dinge beschränkt zu sein, da alle Dinge von ihm sind.

Dieses Größte, das im einstimmigen Glauben aller Nationen Gott genannt wird, werde ich im ersten Buche in nicht begriffsmäßiger Weise, über den menschlichen Verstand hinausgreifend (supra humanam rationem incomprehensibiliter inquirere laborabo) zu erforschen suchen, unter der Leitung dessen, der allein in einem unzugänglichen Lichte wohnt.

Wie das absolute Größte das absolute Sein ist, durch welches alles ist, was ist, so gibt es auch eine universale Einheit des Seins aus jener, die das absolut Größte ist. Sie existiert konkret (contracte) als Universum, dessen Einheit in konkreter Vielheit besteht, ohne welche sie nicht sein könnte. Obwohl dieses Maximum in seiner universalen Einheit alles umfaßt, und alles, was aus dem Absoluten stammt, in ihm ist und es in allem, so hat es doch seinen Bestand nicht außer dem Bereiche der Vielheit, da es nicht ohne konkrete Beschränkung (contractione) besteht, von der es sich nicht losmachen kann. Von diesem Maximum, dem Universum, werde ich im zweiten Buche einiges sagen.

Konsequent wird sich dann das Maximum der dritten Betrachtung herausstellen. Denn da das Universum nur ein beschränktes Sein in der Vielheit hat, so werden wir aus dem vielen ein Größtes heraussuchen, in dem das Universum auf die größte und vollkommenste Weise aktuell, als in seinem Ziele, Subsistenz findet. Dieses muß sich mit dem Absoluten, das der Höhepunkt des Universums (terminus universalis) ist, vereinen, weil es das vollkommenste Ziel sein soll, über alle menschliche Fassungskraft. Von diesem Größten, das zugleich konkret und absolut ist, das wir Jesus, den ewig gepriesenen nennen, will ich im dritten Buche einiges, soweit mich Jesus selbst hierzu erleuchtet, beifügen.

Wer aber meinen Sinn erforschen will, muß über die Wortdeutung hinaus sich zum geistigen Verständnis erheben und nicht an der eigentlichen Bedeutung der Worte hängen bleiben (oportet potius supra verborum vim intellectum efferre, quam proprietatibus vocabulorum insistere), die zur Bezeichnung solcher Mysterien des Geistes in ihrer gewöhnlichen Bedeutung nicht ausreichen (quae tantis intellectualibus mysteriis proprie adaptari non possunt). Auch Vergleichungen aus der Sinnenwelt muß man zur Anleitung anwenden, indem man sie auf das Geistige überträgt, auf daß der Leser leichter sich zur einfachen Vernunfterkenntnis (ad intellectualitatem simplicem) erhebt. Den Weg hierzu bemühte ich mich auch gewöhnlichen Talenten so deutlich als möglich, mit Vermeidung aller Härte der Darstellung zu zeigen. Zu dem Ende werde ich sogleich zu dem Wurzelbegriff der Wissenschaft des Nichtwissens – die Unmöglichkeit einer präzisen Erfassung der Wahrheit, übergehen.

DRITTES KAPITEL
Die präzise Wahrheit ist unerfaßbar

Da es an und für sich klar ist, daß das Unendliche und Endliche in keiner Proportion zu einander stehen, so ist auch das ganz klar, daß man da, wo sich Ausschreitungen (excedens et excessum) finden, auf ein einfach Größtes nicht kommt, weil die Ausschreitungen endlich sind, das Größte aber als solches notwendig unendlich ist. Nimmt man also irgendeinen Gegenstand, der nicht das schlechthin Größte selbst ist, so läßt sich immer ein größerer auffinden. Und da die Gleichheit eine stufenmäßige ist, so daß etwas dem einen gleicher ist, als dem anderen, nach der generischen, spezifischen, räumlichen, zeitlichen etc. Übereinstimmung und Verschiedenheit, so erhellt, daß nicht zwei oder mehrere so ähnlich und gleich sich finden lassen, daß sie nicht unendlich ähnlicher sein könnten. Zwischen dem Maß und dem Gemessenen wird bei der größten Gleichheit immer noch eine Differenz übrig bleiben. Der endliche Verstand kann mithin die Wahrheit der Dinge durch Aufsuchung der Ähnlichkeit (per similitudinem) nicht präzise erkennen. Denn die Wahrheit ist ein nicht Mehr und nicht Weniger, ein gewisses Unteilbare, was von allem, das nicht die Wahrheit selbst ist, nicht präzise gemessen werden kann, so wenig, was nicht Kreis ist, den Kreis, dessen Sein in einem gewissen Unteilbaren besteht, messen kann. Unser Verstand, der nicht die Wahrheit ist, erfaßt daher die Wahrheit nie so präzise, daß nicht ein unendlich präziseres Erfassen möglich wäre, er verhält sich zur Wahrheit wie das Polygon zum Kreise. Mögen auch der Winkel noch soviele gemacht werden, so wird doch das Polygon nie dem Kreise gleich, bis es sich in die Identität mit demselben auflöst. Wir wissen somit von der Wahrheit nichts anderes, als daß sie in präziser Weise unerfaßbar ist. Sie ist die absoluteste Notwendigkeit, die nicht mehr und nicht weniger ist, als sie ist, unser Verstand ist die Möglichkeit. Das Was (quidditas) der Dinge, das die Wahrheit des Seienden ist, bleibt in seiner Reinheit unerreichbar. Alle Philosophen haben es gesucht, aber keiner, wie es an sich ist, gefunden. Je gründlicher aber unsere Überzeugung von diesem Nichtwissen ist, desto mehr werden wir uns der Wahrheit selbst nähern.