Der Duft der indischen Nelke

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Eine rote Ampel folgt der anderen. Mich nervt im Moment alles. Ich schalte das Radio aus.

Hier ist es noch schwieriger, einen Parkplatz zu finden. So leiste ich mir das Vergnügen des Parkhauses im Kudamm-Karree.

Im Gang zur Uhlandstraße stinkt es heftig nach Urin.

In diesem Laden scheint alles noch mehr zu glitzern. Ich orientiere mich um das Rondell der Kabinen, die auch hier nur Vorhänge besitzen. Am Ende hängt die Tafel mit den Frauen. Gudrun, Natalie, Jenny und Kim! Keine Liane!

So ein Mist!

Als ich nach bestandener Pharmareferentenprüfung aus der Mainmetropole wieder in Berlin zurück war, lag ich nächtelang wach und dachte an die Rendezvous mit Liane. War meine Sie außer Haus, bewunderte ich sicher zwanzigmal Lianes Porno. Das war der Sehnsucht nach ihr nicht gerade förderlich. Und jetzt ist sie nicht auffindbar. Meine Erregung allerdings ist sehr anwesend. Bin nahe an lästigen Bauchschmerzen. Aus dem Radio kommt ein Schmachtfetzen von Peter Cornelius. Segel im Wind, wo er vermerkt: Du bist elektrisches Fieber und man wünscht sich, dass das niemals vergeht! Wie wahr, denke ich, als ich wieder in der Kantstraße den gleichen Parkplatz vorfinde.

„Zweimal Solo Miriam“, erkläre ich dem Typ mit dem pockennarbigen Gesicht an der Kasse.

Alles in diesem Raum erinnert mich an Liane. Ob Miriam mich das vergessen machen kann? Sun Of Jamaica tönt nebenan die Goombay Dance Band und schwungvoll geht die Tür ohne Quietschen auf.

„Halo, wir kennen noch nich. Bin ich Miriam. Nimm dein Hemd von Couch. Lege ich lieber Tunika, ist größer.“ Sie breitet ihren fliederfarbenen Pareo mit griechischem Mäandermuster aus, setzt sich zu mir und sieht mich mit einem hemmungslosen Strahlen an.

„Hallo, Miriam! Liane hat mir gesagt, dass es mit dir sehr schön sei!“

„Oh, ist sehr freundlich von Liane.“ Ich spüre ihren Arm hinter meiner Schulter. Sie strömt ein wunderbares Parfum aus. Ihre Haut ist warm und samten.

„Vielleicht wir könn‘ gleiche mach’n wie Liane?“

„Das wäre sehr schön.“

„Du verrät mir, was ihr macht? Aber muss ich noch Uhr stelln.“

Sie geht zum Tischchen und dreht die Eieruhr. Es beginnt zu ticken. Plötzlich, wie von Geisterhand, erstrahlt die Mattscheibe des Fernsehers mit einer Szene in einem Bett mit weißer Bettwäsche, auf der Erdbeeren appliziert sind. Ein dunkelhaariger Typ liegt relaxt in diesem Bett und Traci Lords krabbelt über die Zudecke bis zum Gesicht des Mannes, um ihn mit ihren roten Schmolllippen zu verwöhnen.

Miriam verschönt wieder das Sofa neben mir.

„Also du sagst mir? Auch wie du heißt?“

„Ich heiße Hubert.“

„Huberrt?“ wiederholt sie. „Namen ich nich kenne.“

„Du bist Polin?“

„Ja.“

„Den Namen gibt es bei euch auch. Auf Polnisch hieße ich Huberta.“

„Huberrta? Habe ich nie gehört. Aber Huberrt, was möchtest du?“

„Ich möchte dich küssen und Französisch bitte.“

„Okay! Gibst du mir einhundert.“

Aus der Flimmerkiste kommen Bilder, die zu meinem Wunsch gut passen. Traci beschleckt ihren Bettpartner an der Stelle, die ihm sicher sehr viel Freude bereitet.

Miriam bemerkt, dass ich das Geschehen im Fernseher verfolge.

„Gefällt dir diese Frau und was sie macht?“

„Ja, das ist eine gute Darstellerin. Sie heißt Traci Lords.“

„Okay, werrden wir sehn, ob ich bin auch gut? Dazu musst du auch Unterhose ausziehen.“

Ich lege meinen Arm um sie und ziehe sie an mich.

Sie schließt die Augen. Wieso denke ich an den ersten Kuss mit Monika in Frankfurt?

Miriam ist sehr aktiv in meinem Mund, fast schon besitzergreifend. Das habe ich nicht erwartet. Ihre Brustwarzen werden hart. Traue ich mich, auch weiter unten eine Reaktion zu erforschen?

Dieses Ansinnen übernimmt sie. Sanft ergreift sie meine Hand, um ihr vorzuführen, dass auch ihr Schoß von unseren Küssen profitiert.

„Merkst du, was du machst mit mir?“ Sie sieht an mir entlang.

„Schön, Huberrt. Bist du schon bereit für meine Mund?“

Ein weiteres Wort bleibt ungesagt, da mein Mund ihren

zurückerobert. Nebenan erobert Abba mit When I Kissed the Teacher die Drehscheibe. Mit? Wie hieß sie noch? Die, die sich über Liane beschwert hat? Silvie? Nee, jetzt weiß ich es wieder. Cindy!

Auf jeden Fall küsst Miriam großartig. Fast schon zu großartig.

„Wie heißt denn dieses Wahnsinnsparfum?“, versuche ich mich abzulenken.

„Ist dieses Opium. Meine Lieblingsduft.“ Ihre linke Hand erkundet sehr behutsam meine momentane Standfestigkeit.

In alten öffentlichen Gebäuden fahren Paternoster auf und ab. Ich denke an einen in einem Hotel in Bremerhaven, den ich Anfang der 60er-Jahre kennenlernte und in dem ich immer davor Angst hatte, zu spät auszusteigen und ins Schwarze unten in den Keller einzufahren. Krampfhaft hole ich mir diese Gedanken aus dem Gedächtnis, denn ihr Auf und Ab an mir ist überhaupt nicht schlicht, aber ergreifend.

„Gefällt dir? Ich merke bist du sehr stark!“

Wieder raube ich weiteren Bemerkungen den Atem. Der Geschmack ihres Mundes ist köstlich. Ich schwebe im künstlichen Schnee in der Frankfurter Jahrhunderthalle. Seelig ist vielleicht eine zu starke Beschreibung für jenen Moment. Jedoch ist erlebtes Glücklichsein über einen erhebenden musikalischen Augenblick durch Angelo Branduardis Ninna Nanna nahe daran. Was wünschte ich mir jetzt Ninna Nanna als Untermalung dieses Moments.

Während sich Traci auf der Mattscheibe ihren Partner partiell einverleibt, verschwindet ein kleiner, aber wesentlicher Teil von mir in diesem polnischen Schnäuzchen. Sie hat sich vor mich gekniet und umhüllt mit ihren schlanken Händen alles, was nicht zwischen ihre Lippen gerät.

Ich schließe meine Augen und sehe Lianes Gesicht vor mir. Doch es dauert nicht lange, da verschwimmt das Bild. Wie bei einer Überblendung in einem Film lächelt mich Miriam an. Verwirrt öffne ich die Augen und sehe die reale Miriam, die mich von unten mitten in ihrem Tun mit großen Augen ansieht.

Meine schließe ich wieder. Gedanken nehmen mich mit auf eine unvorhergesehene Reise.

Hier wird sehr viel geraucht. Ich schaue mich um und entdecke viele feuchtfröhliche Leute in einer feuchtfröhlichen Atmosphäre. Vor mir am rustikalen Holztisch stehen ein Glas Sekt und ein Fläschchen Underberg. Normalerweise hasse ich das Zeug.

Auf einer Bergwanderung rund um den Königssee bei Berchtesgaden hatte ich mal den Irrsinn besessen, nach einer harten Etappe eine ganze Dose Ölsardinen inklusive des Öls komplett in mich hineinzumampfen. Wie gesagt, mit Öl! Am nächsten Tag war es weitergegangen, natürlich wieder wandernd über Stock, Berg, Serpentinen, Graten und Stein, zum Kärlingerhaus am Funtensee, mit vergnüglichen Kreuzottern und Murmeltieren im Rudel. Dieser Weg dorthin war

glücklicherweise mit frischem Huflattich gesäumt, denn bei mir wollten Sardinen und Öl wieder an die verregnete Bergluft. Nicht nur auf gleichem Weg zurück, nein, selbstverständlich auch in die andere Richtung, weshalb die Huflattichblätter zwar nicht mehrlagig, aber doch sehr hilfreich waren. Unterwegs traf ich viele fremde Wandersleut‘, die ich, wenn sie außer Hörweite waren, als üble blaubeerfressende Bayern beschimpfte. Völliger Schwachsinn! In dem Zustand hätte ich nicht mal eine einzelne kleine Babyblaubeere hinunterwürgen können. Aber es kamen wieder neue Wanderer. Die erschraken sich an meiner nicht vorhandenen Gesichtsfärbung. Da gäbe es nur ein Mittel, verkündete die fleißige Wandersfrau und reichte mir ein Fläschchen Underberg. Ich schüttete es todesmutig gegen alle vorhandenen Brechreize und naturgegebenen Würgereflexe dem gestern verspeisten Öle hinterher.

Ich bedankte mich und eilte meinen Mitalpinisten hinterher, die ja keinen Bedarf an Underberg am Vormittag hatten. So verweilte die köstliche Brühe eine gewisse Zeit in mir. Doch dann walteten physikalische Urgewalten in mir und ich beugte mich der Physik, die da postuliert, dass ein flüssiger Aggregatzustand zwar nicht so schnell zur Ortsveränderung neigte wie ein gasförmiger, doch dass, wenn er, wie ich verspürte, in Bewegung gerät, das durchaus explosiv geschehen könnte. So schoss alles, was ich gestern, in welchem Aggregatzustand auch immer, aufgenommen hatte, im hohen Bogen aus mir heraus.

Einen anderen hohen Bogen wählt eine rote Nelke, die, aus einer Vase entnommen, sich nun an mein Gesicht schmiegt, dort keinen Halt findet und vor mir neben dem

Underberg-Fläschchen nun aber Ruhe findet.

„Tanzt du mal mit mir?“ Sie ist brünett, hat braune Augen und eine weibliche Façon der Prinz-Eisenherz-Frisur.

Wir haben Rosenmontag und hier in Bad Säckingen, in dieser eigentlich unscheinbaren Gaststätte, steppt der berühmte Bär. Die Gäste steppen zwar nicht, aber tanzen sich die Sohlen blank, und nun steht mir das auch bevor.

Sie heißt Marie, kommt aus Saint-Denis bei Paris und sowie ich sie bei She Drives Me Crazy, ein Titel, ein Programm, von den Fine Young Cannibals im Arm habe, weitet sich der Kontakt, auch nicht im Rhythmus des Liedes, sondern eher in einer Slowmotionversion, auf einen Kontakt mit allem, was wir an Oberfläche haben, aus.

Sie ist Zahntechnikerin und macht hier in Säckingen eine Fortbildung. Ihre Eltern sind Deutsche, deshalb spricht sie meine Sprache wie ich.

Ihren Atem würde ich keiner Alkoholkontrolle im Straßenverkehr unterziehen wollen. Das bestätigt sich dann auch sofort beim gegenseitigen, genaueren Kennenlernen unserer Bouches, wie die Franzosen das Rotbemalte unterhalb der Nase benennen.

Da tippt mir jemand auf die Schulter! Hoffentlich hat Marie keinen eifersüchtigen Copain im Schlepptau. Ich drehe mich und erblicke das verschmitzte Grinsen einer Kurzhaarigen.

 

„Bonsoir! Isch bin Odile. Diese Poufiasse du tanzt, ist mein Freundin. Aber maintenant du tanzt un peu mit mir?“

Fliegender Wechsel mit ähnlicher Folge. Auch Odile klebt sofort an mir. Sehr angenehm und aufregend zugleich.

Sie ist direkt aus der französischen Hauptstadt, genauer gesagt aus La Madelaine. Auch sie macht die

Zahntechnikerfortbildung und auch ihr Deutsch ist super, allerdings mit mehr Akzent als bei Marie.

So lerne ich unvermittelt die Raffinesse von Odiles Talent in einer urfranzösischen Disziplin kennen. Sie küsst im reinen Sinn des Eigenschaftswortes atemberaubend.

Wir machen Pause und kehren an unseren Tisch zurück. Da wartet auf mich eine Runde Underberg und Sekt oder besser gesagt andersherum, erst ein Glas Sekt und dann den Underberg hinterher.

Marie und Odile nehmen mich in die Mitte, und wenn ich ihnen keinen Einhalt gebieten würde, endete der Abend sicher in einem hemmungslosen Besäufnis.

Aus den Lautsprechern kommt Twist In My Sobriety von Tanita Tikaram. Marie meint, dass es langsam Zeit für einen weiteren Dance proche sei.

Sie umgarnt mich mit Küssen hinterm Ohr und endet wieder Mund auf Bouche. Dann gibt sie Odile auch einen Kuss auf ihre weinrot geschminkten Lippen.

Mir fällt auf, dass sie so gut wie Partnerinnenlook haben: schwarzes Carmen-Top, schwarzer Faltenrock bis kurz übers Knie und schwarze Strumpfhosen.

„Hast du Lust, mit uns noch ein Glas Champagner auf unserem Zimmer zu … schlürfen?“ Maries Augen blitzen mich verführerisch an.

Mein Puls beginnt zu stolpern, zu traben, zu galoppieren.

Zwei Mädels, zwei Französinnen auf ein Mal, alors là! Honni soit qui mal y pense!

La Chambre ist im dritten Stock, erst geradeaus und dann rechts.

In ihrem geräumigen Zimmer steht an der Wand gegenüber rechts der Tür ein geräumiges, französisches Bett. Auf der anderen Seite befindet sich eine Nische mit einem Tischchen und zwei kleinen Sesseln. Dahinter ist die Tür zum Badezimmer.

„Bleibt brav, aber niescht ssu sehr! Isch nähm Dusch, bis gleisch!“ Odile verschwindet.

Marie nutzt die Gelegenheit, meinen Schoß zu besetzen. Wenn sie sich so zu mir beugt, erlaubt ihr Carmen-Top-Dekolleté beeindruckende Einblicke.

Ich spüre ein kurzes Überprüfen meines Aggregatzustandes zwischen den Beinen. Ihr Mund lässt kurz von meinem ab, um mir mitzuteilen, dass das ganz ordentlich sei, aber durchaus ausbaufähig.

Odile entsteigt dem Bade in einer luftigen Chemise de Nuit, aus weißem Chiffon mit türkisfarbenen Schmetterlingen. Ein niedlicher Kontrast zu ihrem schwarzen Bubikopf.

Jetzt verschwindet Marie gen Feuchtkabine und Odile nimmt auf mir Platz. Das provoziert eine Reaktion, die ihr nicht verborgen bleibt.

„Dis donc! Schlimmer Garçon! Hast du eilisch?“

Eine Antwort lässt sie jedoch nicht zu, jedenfalls nicht verbal. Die sucht sie eher mittels unserer aufgeregten Zungen zu ergründen.

Marie singt unter der Dusche, wenn ich richtig höre Amoureuse von Véronique Sanson.

Nun bin ich an der Reihe und entledige mich in dieser geräumigen Duschzelle meiner Klamotten. Marie ist in einem seidenen, schwarzen Maxishirt mit ihrer Freundin auf dem Bett gelandet. Ihr fröhliches Gegackere ist bis hierher zu vernehmen.

Nur mit schwarzem Slip bekleidet schließe ich mich den beiden an.

„Komm zwischen uns. Wir wollen doch beide etwas von unserem Germanen haben. Du hast dich aber nicht richtig abgetrocknet.“

Marie nimmt die Decke und bearbeitet meinen Rücken. Odile löscht das Licht, sodass der fast volle Mond nur schemenhafte Ansichten zulässt.

Das einzige Bekleidungsstück, welches mir noch verbleibt, stört Marie und so liege ich nackt zwischen zwei Französinnen auf einem französischen Bett.

„Was hast du denn heute gemacht?“, will Marie wissen.

„Ich war mit unserem Schulungsleiter und meinen Kollegen in Luzern. Wir haben uns dort die Fastnacht angeschaut. Das war die tollste Fastnacht, die ich jemals erlebt habe. Keine grölenden, besoffenen Horden, kein Alaaf, Humtata und Tätärä. Nur wahnsinnig gut verkleidete Leute mit wunderschönen Masken und dahinter die geniale Bergwelt der Schweiz. Wir haben auch die Seilbahn genommen, die von Fräkmüntegg die 647 Meter in sechs Meter pro Sekunde fast senkrecht in fünf Minuten zum Pilatus hochrast. Die ganze Fahrt lang wagte ich keinen Blick auf das immer winziger werdende Luzern zu werfen.“

„Hast du Vertige, wie sagt man? Höhenangst?“, errät Marie.

„Und wie! Ich hielt meinen Blick am Seilbahnfahrer fest und sagte nur mir immer, dass dieser ältere Typ da in seiner blauen Uniform den ganzen Tag nichts weiter macht, als an ein paar Stahlseilen durch die Schweizer Landschaft zu schweben. Ja, ja, die traumhaften Gipfel!“

Traumhaftes spielt sich neben und hinter mir ab. Die beiden haben sich während meiner Landschaftsreflektionen entdeckt und küssen sich intensiv und leidenschaftlich. Doch nicht so von Sinnen, als dass sie nicht die Kontrolle über ihre Finger verlören. Wie zwei größere Käfer, allerdings jeweils nicht auf sechs, sondern nur auf vier Beinchen krabbeln da zwei Hände in Richtung meiner Erlebniswelt. Doch Peterchens Mondfahrt wird heute nicht gegeben. Der Mond ist nicht voll genug und auch kein Herr Sumsemann in Sicht, sondern nur gallische Händchen auf dem Chemin für Abenteuer. Marie erreicht von rechts als Erste ihr Ziel, mit dem Resultat, dass mir nur eine Fahne zum Hissen fehlt. Aber von links ist Odile kaum langsamer. Der Kampf um den großen Zapfen-Streich ist entflammt. Wenn mich meine kärglichen Kenntnisse zu militärischen Gegebenheiten nicht trüben, werden zu solchen Anlässen, bei derartigen Momenten, die Blasinstrumente ausgepackt. Schließlich heißt das Hotel-Restaurant, in dem wir uns befinden Der Bläser von Säckingen. Also auf zum großen Zapfen, Streich der Erste: Marie hat ihn in ihrer gierigen Schnute. Das ist wie Balsam auf meiner Wohltat, als träufelte sie behutsam Öl auf meine Flammen. Baume benennen die Franzosen den Balsam. Und wie ein Baume, ausgesprochen Bohm, im Sturm der Gier fühle ich mich. Doch es naht Linderung meiner Wohltat von links. Irgendwo stand mal, dass man das Feuer mit Feuer bekämpfen sollte. Ob das so stimmt, wage ich zu bezweifeln, wenn ich den mündlichen Ortswechsel an mir recht interpretiere. Doch was einen echten Germanen, der zwischen zwei Feuerfronten gerät, ausmacht, und als solcher fühle ich mich in diesem heißen Atem zweier leidenschaftlicher Sirenen, er bleibt standhaft. Der Zapfen streicht nicht die Segel, obwohl der zweite Streich mittels Odile schon in vollem Gange ist.

Als wären wir einer Tollerei des Wilhelm Busch entsprungen, überspringen wir sechs der folgenden Streiche und landen beim terminalen achten. Marie und Odile haben den siebenten überlebt, sind nicht vom Müller in Stücke gemahlen und anschließend von Dagobert Ducks Kollegen verspeist worden.

Nein, Odile sitzt in eindeutiger Haltung auf mir und knutscht dabei mit Marie. Was der Teufel, warum ich gerade an Max und Moritz denke. Auf jeden Fall reime ich den beiden völlig unvermittelt und auch mit gewissen Atemproblemen, die allerdings eher in Odiles Bewegungsdrang begründet sind:

„Ach, was muss ich nun von geilen

Mädchen spüren, die mich heilen?

Von dem Feuer, welches sie in mir entfacht

Und sie löschen es gekonnt in dieser Nacht.

Das Beispiel hier, denn diese beiden,

Marie, Odile mag ich nicht meiden.

Ja, zu Bettgeschichten hier zu dritt,

wie ich merke, sind sie reichlich fit!“

Das Reimen und Gedichte aufsagen währenddessen ist vermutlich ähnlich schwierig und anstrengend, wie das Singen beim Stepptanz.

Fred Astaire hätte ein Lied davon vortragen können.

Marie hält inne mit der Knutscherei. Odile verliert ihren Rhythmus. Eine, zwei Sekunden völliger Stille, dass man draußen auf der Gasse sogar zwei Kater beim Balgen belauschen kann. Doch dann bricht es aus den beiden heraus und ihr Lachen ist wie jenes Lied von Ina Deter: Frauen kommen langsam – aber gewaltig. Dieser Lachkrampf, oder besser bei diesen beiden Gallierinnen dieser Fou-Rire, weitet sich auch auf mein Zwerchfell aus. Machtlos und wehrlos ergeben wir uns der Triebhaftigkeit der Komik. Bei Nebenwirkungen fragen sie weder Arzt noch Apotheker, sondern konstatieren besser den Verlust und das Schwinden der Manneskraft.

„Alors, ça alors! Muss ich dieses Wiener Würstchen wieder zu eine Knacker machen, hein? So schöne Knacker haben wir nicht in Paris!“ Marie hat sich als Erste wieder eingekriegt. Odile hingegen erhält durch Maries Bemerkung neuen Stoff. Sie wälzt sich vor Vergnügen, während sich ihre Freundin eher meinem Vergnügen widmet. Diese Widmung gerät so gekonnt, dass sie alsbald der Überzeugung ist, dass der vorhin von Odile praktizierte Rhythmus von ihr fortgeführt werden könnte. Vielleicht geht Marie neben ihrem Zahntechnikerinnendasein in Saint-Denis bei Paris noch einer Beschäftigung als Gymnastiklehrerin nach. Wer weiß? Hier gerade turnt sie sich in fast olympischer Schmiegsamkeit auf mich herauf und ergreift sehr zielstrebig von ihrem Werk Besitz. The Who, ziemlich am Ende ihrer kreativen Karriere, haben ein wunderbares Lied geschrieben und aufgenommen: Squeeze Box. Darin singt Roger Daltrey unter anderem: She goes in and out and in and out, and in and out …

So geschieht, was in der Intensität und in keinem diesbezüglichen Streich der Welt einen Zapfen ungerührt lässt.

Marie spürt die Bescherung und grinst.

„J’ai réussi!“, flüstert sie ihrer Freundin zu.

„Hattest du länger kein Sex? Ich habe selten so erlebt!“ Miriam betupft sich ihre Lippen mit einer Ecke ihres Pareos, wie man es gewöhnlich nach dem Genuss eines gelungenen Mahles tut. „Glaube ich, war schön für dich. Hast du auch sehr lange gebraucht.“ Zufrieden setzt sie sich neben mich und gibt mir einen feuchten Kuss auf die rechte Wange.

„Wo kommst du denn her aus Polen?“

„Nicht weit. Nur zweihundert Kilometer. Bin ich aus Stettin. Und du, bist du aus Berlin? Liane sie hat erzählt, sie ist von hier.“

„Ja, ich bin in Berlin geboren worden. Ach ja, Liane. Weißt du, wann sie wieder hier ist?“ Ich merke, wie mich die Frage erregt.

„Kannst du glücklich sein. Nächste Woche sie ist wieder da. Mittwoch hier und Freitag in Martin-Luther. Habe in Plan von Woche gesehn.“

Was soll ich ihr daraufhin antworten? Wahrscheinlich nur mit mäßiger Überzeugungskraft überspiele ich meine Freude. Meine Bemerkung ist ziemlich knapp:

„Das ist ja schön, dass sie wieder gesund zurück ist.“

Miriam geht darauf auch nicht ein, sondern möchte mir eine Neuerung im Big Sexyland in der Martin-Luther-Straße verklickern.

„Wir haben wirklich geile Idee in Martin-Luther! Chef nennt Surprise-Room.“

„Was ist das denn?“

„Ein Raum wie hier mit ganzer Wand aus Spiegel. Kannst du vorstelln?“

„Okay, klar.“ In der Glotze hat Traci Lords ihr Werk vollbracht und verlässt ihren sichtlich erschöpften Bettpartner.

„Ja, ja, aber Spiegel ist nicht Spiegel von Normalität! Nee, nee! Spiegel dort ist durchsichtig. Du kannst von diese Surprise-Room in Nachbarzimmer gucken und sehn, was machen andere Mädchen mit Gästen!“

„Das ist ja lustig. Wann bist du denn mal dort?“

„Muss ich erst für drei Wochen Polen fahren, zu meine Mutti. Aber dann ich bin immer tagsüber dienstags und donnerstags.“

„Okay, dann sehen wir uns bestimmt. Es war sehr schön mit dir!“

„Du bist sehr freundlich. Musst du noch arbeiten?“

„Ja, ich muss jetzt in die Firma. Nicht weit von hier. Wir haben eine Besprechung mit allen Kollegen. Das ist nicht sehr lustig. Vor allem der oberste Chef ist ein absolutes Arschloch!“

In meinem dunkelroten Dienstwagen ist Pink Floyd angesagt. Cymbaline, an wen mich das wohl erinnert? Ich bin in Gedanken versunken, als ich am Firmensitz eintreffe. Ist ja nur ein Klacks von der Kantstraße entfernt. Die Niederlassung der Firma Hoechst in Berlin liegt gegenüber der Hochschule der Künste am Steinplatz Ecke Hardenbergstraße.

In der Hoechster Nomenklatur heißt das allerdings Kontor Berlin. Für heute Nachmittag ist eine Konferenz angesagt, wie das etwas hochtrabend heißt. Nach erfolgreicher Ausbildung und abgelegter Prüfung zum geprüften Pharmareferenten wurde ich nicht wie ursprünglich vorgesehen Mitarbeiter der Behringwerke, sondern bin dem anderen Tochterunternehmen der Hoechst AG, der Firma Albert-Roussel, zugewiesen worden.

 

Für Mitarbeiter ist der Firmenparkplatz hinter dem Gebäude mit Einfahrt von der Goethestraße reserviert.

Ich schnappe mir meinen schwarzen Pilotenkoffer, klopfe meinen dunkelblauen Cordanzug auf Krümel und Fussel ab und binde mir die gelb-grau gestreifte Krawatte um, denn bei Miriam hatte eine Krawatte nichts verloren. Neben der Rampe ist der Eingang. Vier, fünf Stufen hinauf und hinein ins Vergnügen!

Zuerst ist eine Art Lagerraum zu durchqueren. Oft habe ich mich gefragt, was für eine Räumlichkeit da links hinter der Tür mit der groben Holztäfelung sein könnte. Heute ist diese Tür nur angelehnt und ich höre Stimmen. Eine Frau und ein Mann im Gespräch. Seine Stimme kenne ich! Sie war mir vom ersten Ton, den ich wahrzunehmen gezwungen war, unsympathisch, und das ist noch freundlich charakterisiert. Ein Radiojournalist beschrieb diese Art von menschlichem, tonauslösendem Organ einmal als fett. Das war allerdings positiv gemeint und bezog sich auf den Sänger Roger Chapman der britischen Rockformation Family. Hier, bei Dieter Fohlter, gilt dies im Negativsinn. Er spricht stets mit sehr viel, die Worte fast ertränkendem Speichel, wobei sich zu allem Übel auch noch ein leichtes Stottern gepaart mit einem unüberhörbaren Lispelfaktor gesellt.

„Ma-marlene! Zick nich so-so rum! We-wenn dein grotha“, (am ähnlichsten kommt dem gelispelten deutschen S-Laut noch das englische Th, bei der Fohlterschen Aussprache ist das Allophone ð zwingend als stimmhafter Th-Laut [ð], wie the, that, clothes oder father), „we-wenn dein grotha starker Dieterbär dir an die Wä-wäsche will. Loth runter mit dem Höthchen und ich komme rei-rein inth Ver-vergnügen!“

„Dieter, wenn jemand kommt!“

Oje! Ihre Stimme ist auch eindeutig: Marlene Ramm, seine Sekretärin.

Offensichtlich war seine Ansprache von Erfolg gekrönt, denn es schließt sich unmittelbar ein vollmundiges Stöhnen im Kanon an.

Das „Ah!“ von Marlene Ramm als Mezzosopran ist ein lupenreines A, also 220 Hertz.

Dann das „Ah!“ des Dieter Fohlter, als Bariton, ein etwas unreines A, das es auf 110 Hertz bringen dürfte.

Nun „Oh!“ von ihr und „Oh!“ von ihm, folgend von der Variante, schon allegramente vorgetragen, „Ah!“ und „Ah!“.

Fohlter unterbricht die Symphonie, bevor sie sich ins Allegrissimo steigert mit dem Hinweis: „Tho ith schön, du Thlampe! Ich ma-mach dich pla-platt! Fahr thur Hölle, Hu-hure! Die Thlacht ith gethlagen! Gleich krigth du-du, wath du-du verdientht!“

„Dieter, du erstickst mich ja! Hör auf, mich zu würgen!“, antwortete sie nach Luft ringend, bevor sie unbeirrt ihr zweistimmiges Tonstück fortführt. Bevor das in Pressante kulminiert, mache ich mich auf den Weg in den dritten Stock zur anberaumten Konferenz.

Vom Etagenpodest aus geht es links zu den Behrings und rechts zu uns. Hier residieren die Albert-Rousseller.

Dieter Fohlters Royaume befindet sich im ersten Stockwerk. Er ist oberster Boss hier im Hoechster Kontor Berlin. Ihm unterstehen die Linien Cassella Riedel, die Behring-Werke und natürlich der Hoechster Pharmaaußendienst selber.

Beim Einarbeitungsbeginn nach den Ausbildungsmonaten in Frankfurt-Nied und Wiesbaden musste ich auch bei Fohlter vorsprechen.

Marlene Ramm hatte mich erst mit arrogantem Gehabe eine halbe Stunde warten lassen, ohne mich während dieser Minuten auch nur eines Blickes oder Wortes zu würdigen.

Dann entschwand sie für eine geschätzte Viertelstunde bei ihm, um mit einem Blick, der durch mich hindurchsah, aus der Bürotür zu treten und mich zu informieren: „Der Herr Bereichsleiter lässt bitten!“

Es war ein kühler Tag im April und kein schwüler Sommertag! Fohlter jedoch saß hinter seinem Schreibtisch aus schwarzem Marmor und schon von Weitem leuchtete sein, fast bar jeden Haares, klobiger Schädel, als hätte er auf einer Sportveranstaltung in Kuala Lumpur einen Hundertmetersprint absolviert.

Das Büro ist so groß, so groß, dass man auf dem Weg von der Tür bis zu seinem Residenztisch vor Ehrfurcht zu erstarren hat, zumal man als Eintretender seines Blickes vom Spektrum Gestapo mit einer Nuance Stasi allgegenwärtig zu sein hat.

„Herr Thenck!“ Sein Gesichtsausdruck drückte eine Mischung aus Verachtung und Neugierde aus. „Ich habe mich da-dank ihreth Lebenthlaufs mit ihrer Vi-Vita vertraut gemacht. Thie kommen von ei-einem Bathillen Mutterthiff?“ Seine rot unterlaufenen Augen sehen mich nach diesem Rhetorikfrageversuch durchdringend an.

„Was meinen sie damit, Herr Fohlter?“

„Itht doch klar wie Klo-Klothbrühe! Der ko-kommunistische Bathillus hat die ehemalig freie U-Univerthität unterwandert und zu Handlangern Mothkaus gemacht. Herr Thenck, dath dath klar ist! Dath werden wi-wir ihnen hier thon authtreiben. Hier wird U-Umthath gemacht!“

„Herr Fohlter, ich bin kein Kommu…“

„Papperlapapp!“, erstickte er meinen zaghaften Versuch, ihm zu erklären, dass ich weder dem KBW, Kommunistischer Bund Westdeutschland, noch der SEW, Sozialistische Einheitspartei Westberlin, angehörte. Nie wieder würde ich auch nur den geringsten Versuch machen, ihm etwas erklären zu wollen.

„Erklär’n Se mir det mal!“, brüllt es in Dr. Kurt Merettigs Büro. Ich stehe am Eingang des Sekretariats des Chefs von Albert-Roussel Berlin. Seine Sekretärin, Monika Groth, ist nicht an ihrem Platz, das heißt aber trotzdem, ihr gilt das Gebrüll ihres Chefs. Dem gehe ich lieber aus dem Weg und wechsele durch die Verbindungstür in den Raum der Sekretärin Elfriede Kalck, guter Geist für alle normalen Außendienstler. Frau Kalck ist um die sechzig, immer mit einem verschmitztes Lächeln auf den Lippen unterwegs und kämmt sich ihre Großmutter-Friseurladen-Toupierfrisur.

„Na, Herr Schenck, schön fleißig gewesen? Hier ist es heute nicht so prickelnd. Der Chef ist mit zwei linken Beinen aufgestanden. Erst hat ihn Herr Fohlter angepflaumt und nun kriegt es Frau Groth ab.“

„Hab‘ schon gehört. Die Ärzte hatten heute auch schlechte Laune. Ich konnte nur mit dreien sprechen.“

„Is nicht so schlimm! Sie sind auch ´n bisschen früh. Wir haben wie immer belegte Brötchen geholt. Nehmen Sie sich ruhig schon. Sie sind noch jung und brauchen mehr als die alten Hasen. Die kommen sicher auch bald.“

Auf ihrem Schreibtisch steht ein Metalltablett mit Schrippen, auf denen sich Emmentaler Käse, Salamiwurst und Schabefleisch zum Verzehr anbieten. Ich nehme mir einen von den leeren Tellern, die sorgfältig daneben gestapelt sind, und bereichere ihn mit zwei halben Schabefleischbrötchen.

Schon eine halbe Stunde später sind wir vollzählig nebenan im Konferenzzimmer versammelt.

Vorm Fenster sitzt Herr Dr. Merettig, auch im sechsten Lebensjahrzehnt, braun gebrannt wie immer, kernig mit keinem Gramm Fett zu viel und einer leichten Version einer

Heinz-Maegerlein-Frisur. Rechts, vor der Längsseite des Tisches, Jochen Arnold, gerade die Fünfzig erreicht, mit Kinn- und Oberlippenbart und immer einem klein karierten Jackett mit ledernen Ellbogenschonern auf seinen Schultern. In Folge sitzend zu seiner Rechten: Irmgard Singer, ein älteres Mädchen eines weiter zurückliegenden Jahrgangs, braun gebrannt, gewagt geschminkt mit gewöhnungsbedürftigen Klamotten. Heute hat sie sicher noch ein Date als Cowgirl auf einer verspäteten Karnevalsfeier. Ich sitze gegenüber von Dr. Merettig. Links neben mir hat sich der blonde Harald-Peter Ebert niedergelassen. Er kokettiert gerne damit, dass ihn die holde Weiblichkeit, die er eher als die Weiber qualifiziert, mit Hardy Krüger verwechselt. Die Wölbung oberhalb seines Gürtels übersteigt die Ausmaße von Herrn Krüger sicherlich um das Doppelte. Eine brennende Zigarette, die er stets im Handinnenraum zwischen Daumen, Zeige- und Mittelfinger hält, gehört praktisch zu seiner Erscheinung. Direkt links neben Ebert gesellt sich Kristian Donner zu unserer Runde ehrgeiziger Pharmavertreter ‒ pardon, umsatzorientierter, geprüfter Pharmareferenten.

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