Abschied einer Mörderin

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Z serii: Blutbücher #4
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Kapitel 4

Er konnte nicht viel mehr tun als warten; diesen Fang durfte er sich nicht entgehen lassen, auch wenn er in Schottland keinerlei Befugnisse als Polizist hatte. Sollte er die lokalen Kräfte herbestellen? Aber er hatte keinerlei Beweise, die er vorlegen konnte. Oder doch? Die schottischen Kollegen konnten doch zumindest die Identität und Adresse dieser Frau feststellen und sie überprüfen; ob sie ihm die Informationen weitergeben würden, war die nächste Frage. Mit seinem Interpol-Ausweis müsste das gehen.

Er suchte die Nummer raus und rief an, um in einer Warteschleife zu landen, bis ihn eine Frau mit starkem Akzent zu einer weiteren Warteschleife weiterleitete. Dort lief eine billige, scheppernde Version von Yesterday von den Beatles; nach zehn Minuten legte Jansen auf, er konnte es nicht mehr hören.

Er hatte genügend Zeit zu warten, die er mit einem Besuch im Steinhaus verbrachte, wo er sich eine Flasche kaufte, die die Ersparnis aus der billigeren Flugverbindung gleich wieder aufbrauchte.

Er setzte sich in den Landrover, beobachtete den Ausgang von der anderen Straßenseite aus, im Rückspiegel, und wartete.

Es dauerte eine weitere Stunde, bis die gesuchte Frau wieder mit den anderen Besuchern herauskam und sich verabschiedete. Jansen hatte die Zeit genutzt, um sich zu verkleiden; was die Kroll konnte, beherrschte er schon lange. Eine im Geschäft erstandene dicke Wollmütze mit dem Abbild des Schlosses Blair Athol darauf, eine 3D-Brille vom letzten Kinobesuch, die noch in seinem Rucksack gesteckt hatte, und nach vorn in die Stirn gekämmte Haare gaben ihm das Aussehen eines schottischen Landdeppen, der nicht bis fünf zählen konnte.

Die vermeintliche Kroll stieg in einen Tesla Model X, der auf dem gleichen Parkplatz stand wie vorher sein Landrover.

Sie stieg ein und fuhr sofort los. Jansen wartete einen Moment, bevor er ebenfalls startete und ihr folgte, in der Hoffnung, dass sie ihn nicht wahrnahm.

Der Tesla blieb auf der A9 Richtung Westen. Wo wollte sie hin? Er musste das rauskriegen, bevor er zurück nach London und von dort aus auf die Kapverden weiterflog. Diese Mörderin hatte niemand mehr auf dem Schirm, er war der einzige, der jetzt den alten Fall wiederaufnehmen konnte. Es war seine heilige Pflicht, sie zu stellen und der Justiz zuzuführen, wie auch immer.

Jansen hielt sich zurück, um nicht zu nahe aufzuschließen. Er blieb so weit entfernt, dass er ihren Wagen nur ab und zu kurz sehen konnte. Es war nicht ungewöhnlich, auf einer so wichtigen Straße längere Strecken zu fahren, mal sechzig, mal siebzig Meilen, die meisten Autos blieben in lockerer Sichtweite voneinander. Jansen glaubte nicht, dass die Kroll ihn bemerkt hatte.

Bei einem Ort namens Dalwhinnie verließ sie die A9. Wollte sie zu der gleichnamigen Destille? Nein. Sie hielt bei einer Ladestation vor einer Tankstelle.

Glücklicherweise lag diese Ladestation etwas bergab. Jansen hatte seine neue Kamera dabei, die eine elektronische Brennweite von 6000 mm hatte, nebst vierfachen Bildstabilisatoren. Damit konnte man auch aus großer Entfernung noch scharfe Fotos schießen, es war eigentlich eine Kamera, die für Vogelfreunde gedacht war. Da die Sonne schien, für Schottland eher ungewöhnlich, hatte er gute Chancen, mehr über sie zu erfahren.

Die angebliche Vanessa Hemsford saß noch im Auto und sah etwas auf ihrem Handy nach. Jansen hielt weit hinter ihr, nahm seine Kamera aus dem Rucksack und stellte auf maximale Vergrößerung.

Er zielte durch die Heckscheibe des Tesla auf den großen Bildschirm des Navi, auf dem die Karte mit dem Fahrtziel zu sehen war; Keith. Was das der Name eines Freundes? Das Ziel lag bei einer Stadt namens Dufftown. Jansen fotografierte, lud das Bild auf sein Handy und vergrößerte die Details.

Was machte die Kroll? Nachdem sie das Ladekabel angeschlossen hatte, ließ sie die Schlüssel im Wagen, verließ die Tankstelle und marschierte weiter zu einem größeren Gebäude. Jansen folgte ihr mit der maximalen Vergrößerung seiner Kamera; sie ging zur Dalwhinnie Distillery, einem weiteren Hersteller von Single-Malt-Whiskys.

Jansen leckte sich die Lippen. Hier war ein Land seiner Träume, überall saßen Hersteller von guten Tropfen, die er zu Haus nicht trinken durfte, weil seine Frau Lisa generell etwas gegen Alkohol hatte und zudem den torfigen Geruch nicht in der Nase haben wollte.

Warum machte die Kroll das? Den Whisky konnte sie überall kaufen, dazu musste niemand von einer Destille zur nächsten fahren. Plante sie einen weiteren Mord? An wem, warum, und wann?

Sein Jagdinstinkt war erwacht. Die Kroll war wieder auf Tour, und er war an ihr dran.

Hinterhergehen brachte jetzt nichts. Sie würde erstens gewarnt sein und ihn zweitens wieder bloßstellen.

Nein. Sie würde sich hier noch eine Weile herumtreiben. Die Zeit konnte er nutzen, um sich ihr Ziel anzusehen und sich dort auf die Lauer zu legen. Jansen suchte auf seinem eigenen Navigationssystem; Keith war der Name einer Straße oder Gemeinde, die zu Dufftown gehörte. Dufftown wie Duff Beer, dem Lieblingsgetränk von Homer Simpson. Beides durfte er jetzt nicht zu sich nehmen; heute Abend im Hotel, nahm er sich vor. Jansen trank eine Dose Ginger Ale, die er auf dem Beifahrersitz liegen hatte, und fuhr zurück auf die A9, Richtung Dufftown.

Eine halbe Stunde später war er am Ziel, umgeben von Brennereien mit klangvollen Namen, Glenfiddich, Balvenie, Glendullan, alles die Namen großer Whiskys. Das Gebäude vor ihm dagegen gehörte zu einer stillgelegten Destille, nicht klein, aber verlassen und eingestaubt, mit zerbrochenen Fenstern hier und herangewehtem Dreck an den Mauern.

Jansen wartete. Irgendwann war die Führung zu Ende und der Tesla aufgeladen, dann würde sie sich auf den Weg hierher machen. Die Kroll imponierte ihm; nicht ihres Aussehens wegen, sondern wegen ihrer Kaltschnäuzigkeit und ihres schnellen Reaktionsvermögens. Zu behaupten, er hätte sie an den Po gefasst; vorstellbar, bei ihrer Figur, und deshalb glaubhaft. Sofort war er der Böse gewesen, nicht sie.

Er musste auf der Hut sein. Die war wachsam, intelligent und wehrhaft. Wenn er sie fangen wollte, hatte er womöglich nur eine einzige Chance, bevor sie wieder untertauchte. Noch einmal half ihm Kommissar Zufall nicht.

Jansen stieg aus und besah sich das Gelände. Die Gebäude waren gut erhalten; die Spinnweben, die Birken, die sich durch das Pflaster ans Licht gekämpft hatten, und dem Unrat überall sprachen dafür, dass die Destille schon mehrere Jahre nicht mehr in Betrieb war.

Am Hauptgebäude standen und hingen Schilder. Auf dem einen stand etwas von Denkmalschutz, wenn er ›historical monument‹ richtig verstand. Das andere sagte ›For Sale‹. Die ehemalige Destillerie trug den Namen Convalmore, den Namen hatte er noch nie gehört.

Das musste es sein; sie wollte sich schlaumachen und dann diese alte Destille kaufen. Jansen wusste, dass sie über viel Geld verfügte; als sie in Italien verschwunden war, hatte sie um die fünfzehn Millionen Euro besessen. Das reichte gewiss für den Kauf und den Betrieb einer kleinen Whisky-Destillerie. Wollte sie sich neben ihrer Kunst, die sie vielleicht nicht mehr verkaufen konnte, und ihren Büchern, für die dasselbe galt, ein neues sozial akzeptiertes Standbein schaffen?

Sie hatte sich bei der Führung alles aufgeschrieben und Fachfragen gestellt; sie wollte etwas mit Whisky machen, so viel war klar.

Jansen korrigierte sich. Sie hatte auch noch Grundbesitz. Diese fantastische Villa in Italien, wo er sie mit ihrem Nacktmodell erwischt hatte, das Atelier und Haus in Berlin am Schlachtensee, das alles kam noch zu ihrem in Steueroasen gebunkerten Vermögen hinzu. Und in den USA war sie bestimmt nicht untätig gewesen; er hatte sie auf dem La-Guardia-Flughafen getroffen, nicht weit vom Sitz der NYSE entfernt. Vielleicht hatte sie ihr Geld an der Börse vermehrt.

Jansen setzte sich ins Auto und parkte es etwas abseits, so dass er den Tesla sofort erkennen konnte. Nach einer Stunde war nichts von der Kroll zu sehen, nach zwei Stunden noch immer nicht. Er sah auf seine Uhr; er musste zurück nach Edinburgh und dort übernachten, wenn er seinen Anschlussflug nach London kriegen wollte. Seine Familie auf den Kapverden durfte er auf keinen Fall versetzen.

Nach einer weiteren Stunde prügelte Jansen auf sein Steuerrad ein; sie kam nicht. Das einzige, was er nun tun konnte, war zurückzufahren und unterwegs auf ihr Auto zu achten. Falls sie die Destille wirklich kaufte, kam das ins Handelsregister; das ließ sich finden.

Jansen schoss ein paar Fotos und legte sich die Kamera griffbereit auf den Beifahrersitz. Kein Tesla kam ihm entgegen; ihr Fahrzeug stand immer noch an der Ladestation, als er dort vorbeikam.

Sie hatte ihn reingelegt. Wie konnte er sie fangen? Ohne Hilfe ging das nicht, er hatte hier keinerlei Befugnisse und würde sie nur unnötig warnen. Er brauchte Interpol. Zwar hatte Werner Heim ihm einen Ausweis besorgt, Befugnisse verlieh ihm der jedoch nicht. Er brauchte Heim selbst.

Die Kroll war auch Heims Nemesis. Der ältere Beamte hatte als Hauptkommissar in Essen Gero von Witzleben gejagt, der erst seine Kollegin bei der Kripo grausam getötet hatte, neben vielen anderen Opfern, und dann durch einen Skandal für Heims Entlassung bei der Essener Kripo gesorgt hatte. Er war beim BKA und bei Interpol untergekommen und hatte Witzleben von dort aus weitergesucht.

Bis sie sehr viel später lernen mussten, dass Witzleben nicht mehr lebte, sondern selbst ein Mordopfer geworden war, weil die Kroll seine Werke brauchte und er ihr gefährlich werden konnte. Die Löwin hatte die Hyäne zur Strecke gebracht, und war sogleich zum Objekt der beruflichen Begierde Heims aufgestiegen.

 

Er hätte sich zurücklehnen können. Mein Intimfeind ist tot, er ist selbst ermordet worden, passt schon, geht in Ordnung. Nicht so Heim. Er sah die Kroll als die Fortsetzung Witzlebens mit anderen Mitteln. Eine noch perfektere Mörderin, wenn es das gab, die der Gerechtigkeit einer Strafe zugeführt werden musste, wenn Recht und Gesetz noch etwas galten.

Heim hatte beinahe seine Familie verloren. Auch das ging auf diese Rechnung. Heim musste und würde ihm helfen.

Kapitel 5

Was Heim anging, konnte ich nur warten. Ich hatte nach seinen sozialen Accounts gesucht, um sofort sehen zu können, wenn sich etwas tat; Heim war ein Polizist vom alten Schlag, er hatte weder Facebook noch Twitter oder andere Portale, auf denen er sich austauschte. Zumindest hatte er nichts davon in den letzten Monaten benutzt.

Einiges hatte ich trotzdem herausgefunden; er fuhr einen uralten Opel und besaß ein fast genauso antikes Nokia-Telefon ohne jegliche smarte Funktion.

Von Witzleben hätte sich jetzt eine Wohnung in der Nähe gesucht und ihn ausgespäht, vielleicht noch ein wie zufällig aussehendes Treffen kurz vor dem Tod herbeigeführt, um den Triumph über diesen Gegner leibhaftig verspüren zu können. Er hatte mir das alles treuherzig kurz vor seinem Tod erzählt, denn seine Morde waren gleichzeitig der Inhalt und die Substanz seiner Bücher gewesen.

Das war nicht mein Stil. Zurück nach Deutschland wollte ich auch nicht, wenn es sich vermeiden ließ.

Ich begegnete dem Problem auf ebenso altmodische Weise und bestellte mir online die Neue Ruhr Zeitung, einschließlich des Essener Lokalteils, um die täglichen Todesanzeigen durchzusehen. Anzeigen erwartete ich ebenfalls auf den Seiten der Essener Polizei, wo er Hauptkommissar gewesen war, und auf den Seiten des BKA.

Außerdem konnte ich mich darauf verlassen, dass Jansen die Nachricht vom Ableben seines Mentors überall herumposaunen würde. Dazu musste ich seine Posts nachlesen können, und das war einfach.

Ich erschuf eine Polizeianwärterin namens Louisa Fischer, die in Eutin ausgebildet wurde, wo auch Jansen gelernt hatte, und verlinkte mich mit ihm, ohne selbst etwas zu posten. Er nahm den Kontakt sofort an und schickte einen Smiley, den ich unbeantwortet ließ. Jetzt hatte ich Zugang zu seinen sozialen Netzwerken und konnte sehen, was ihn interessierte. Auch eine Meldung über Heim, sollte sie kommen.

Als Erstes musste ich mich in seinen Kopf versetzen, sehen, wie er tickte, was er unternehmen würde, um mich zu fangen.

Ich las alle seine Posts und war kein bisschen schlauer, denn über seine Arbeit gab er nichts preis. Ich musste improvisieren.

Was würde ich selbst an seiner Stelle tun? Systematisch vorgehen. Wenn er davon ausging, dass Viola Kroll, also ich, noch lebte, war der Verkehrsunfall fake gewesen. Dem würde er nachgehen und eine neue Untersuchung anfordern. Ich bezweifelte, dass das noch viel bringen würde. Das Wrack des Sportwagens war nach so vielen Jahren längst eingeschmolzen, die verbrannte Leiche längst endgültig verbrannt und beigesetzt worden. Wo war ich eigentlich bestattet worden? Das hatte mich nie bekümmert. Hatte es Nachrufe gegeben, Todesanzeigen? Auch das wusste ich nicht.

Die Spuren, die vielleicht noch gefunden worden waren, Dinge, die aus dem Auto herausgeschleudert worden waren, lagen sicher noch in einer italienischen Asservatenkammer. Wobei die eher schludrigen Italiener die inzwischen sicher auch verbaselt hatten. Ich hatte genug Genmaterial von mir im und am Auto verstreut; die Fahrerin hatte eine Echthaarperücke von mir getragen, meine Fingerabdrücke und mein Blut waren außen an Griffen und Spiegeln. Innen war mit Sicherheit alles verbrannt.

Darum musste ich mir keine großen Sorgen machen, es waren seitdem einige Jahre vergangen.

Hatte er den Namen auf meinem Schild gelesen? Vanessa Hemsford? Da konnte er lange suchen, den hatte ich vor der Besichtigung frei erfunden. Ich hieß, seit ich in England lebte, Victoria Saunders. Und meine Käufe von Häusern und anderen Wertsachen hatte ich über eine Firma gemanagt, die in Luxemburg ansässig war und bei der es nichts gab, das zu mir führte.

Jansen würde nicht aufgeben und weitersuchen. Das Nächste, das mir einfiel, waren Phantombilder. Er kannte mein früheres Aussehen, hatte mich verändert in New York gesehen und jetzt bei der Führung. Ich traute ihm zu, dass er alle drei Versionen von mir einigermaßen beschreiben und zeichnen lassen konnte. Die Polizei hatte Programme, die daraus andere Aussehen generieren konnte, die zu meinem zugrundeliegenden Typus passten. Also ich mit Brille, anderer Frisur, anders geschminkt. Mit solchen Suchbildern musste ich rechnen, wenn er seine Arbeit ordentlich machte.

Es gab überall Kameras, denen ich unmöglich entgehen konnte. Es war nur eine Frage der Zeit, bis die inzwischen mit potenter künstlicher Intelligenz ausgestatteten Programme mich ausgesiebt hatten, unabhängig von Haarfarbe und anderen Details. Die biometrische Vermessung blieb dieselbe, das Verhältnis von Augen, Mundwinkeln, Backenknochen und Kinn zueinander, neben anderen Details. Und diese Daten hatten leider in meinem letzten echten Personalausweis von Viola Kroll gestanden und waren verfügbar.

Das alles ließ sich selbst chirurgisch nur schwer ändern.

Jansen war in Gang gekommen, nachdem ich eine Frage gestellt hatte. Hatte er mich an der Stimme erkannt? Seine hatte ich zwei Sekunden nach seiner Frage dem Namen Lukas Jansen zugeordnet, so lange hatte meine Erinnerung dafür gebraucht. Leider erst, nachdem ich bereits auf seine Ansprache reagiert hatte. Zu blöd.

Meine Stimme musste ich loswerden.

Wenn ich ihn fangen und unschädlich machen wollte, musste ich zuerst dafür sorgen, dass er mich nicht zuerst finden und verhaften konnte. Verteidigung ist der beste Angriff und Angriff die beste Verteidigung. Also musste ich mich selbst absichern und dann zur Tat schreiten. Oder war ich vor ihm sicher, wenn ich mein Aussehen stark verändern ließ?

Ich traute dem nicht. Ich wollte nicht mein Leben lang in Unsicherheit verbringen, verfolgt und am Ende doch noch erwischt werden. Mord verjährt schließlich nicht.

Ich wollte lesend und kunstschaffend zwischen Weinbergen oder Whiskyfässern sitzen und mir ein neues Leben erschaffen und es genießen, ohne in Angst leben zu müssen.

Also noch einmal in die Tretmühle – gut verstecken und die Bedrohung beseitigen.

Jansen musste sterben.

Ich nutzte die Zeit, um mir den neuesten Stand der Technik anzusehen. Ich hatte vor Jahren mitbekommen, wo sich die Mafiabosse operieren ließen, um nicht mehr erkannt zu werden, bis hin zu kompletten Gesichtstransplantationen.

Das ging mir noch zu weit, ein fremdes Gesicht mit mir herumzutragen. Ich war immer stolz auf mein Aussehen gewesen, hässlich wollte ich auf keinen Fall werden.

Meine Recherchen, für die ich drei Tage benötigt hatte, führten zu einer Reise nach Asien, die ich demnächst antreten wollte. Meine erste Station würde Kyoto in Japan sein, wo der Doyen der Phonochirurgie wohnte, Dr. Nobuhiko Isshiki. Seine Hiroshiba ENT Clinic hatte sehr gute minimal invasive Techniken, er operierte durch ein handlanges Rohr mit mikrochirurgischen Instrumenten, überwacht durch Kameras und externe bildgebende Verfahren, die den Hals praktisch durchsichtig machten.

Ich hatte mir eine Story zurechtgelegt; ich wolle mich einer Geschlechtsumwandlung unterziehen und bräuchte eine tiefere Stimme mit anderem Timbre, damit mein Ex-Mann mich nicht erkannte, er würde mich sonst umbringen.

Sollte ich mich vielleicht tatsächlich umbauen lassen? Dann würde mich kein Suchalgorithmus der Welt so schnell finden können. Ich entschied mich dagegen. Ich würde mir ein männliches Aussehen geben lassen, eine männlich klingende Stimme, dann konnte ich immer noch als Mann auftreten und doch Frau bleiben.

Ich flog gut zehn Tage später nach Japan und ließ mich von Dr. Watanabe beraten, einem Assistenten, der noch besser sein sollte als der Chef selbst.

»Ich kann Ihre Stimmlippen verlängern, was man gemeinhin Stimmbänder nennt, und an zwei Stellen etwas aufspritzen, das wird Ihnen schon einen anderen Klang geben, Frau Saunders. Allerdings bleibt der Klangraum derselbe, und der trägt wesentlich zum Timbre Ihrer Stimme bei. Das können Sie selbst chirurgisch nur schwer ändern, Nase und Rachen müssten ebenfalls verändert werden. Davon würde ich abraten.«

Der Mann dachte zu weit in die Zukunft. Man machte einen Schritt nach dem anderen, um ans Ziel zu kommen, wer an den vierten Schritt dachte, während er den ersten machte, geriet unweigerlich ins Stolpern.

»Hören Sie, Herr Watanabe. Mir reicht die maximale Veränderung der Stimme, wie es im Bereich Ihrer Möglichkeiten liegt. Ich möchte ein tieferes und sonorer klingendes Organ. Ich würde gern eine großzügige Spende an Ihre Klinik machen, wenn ich sofort operiert werden kann.«

Ich musste einige Tests durchlaufen und mich eingehend instruieren lassen, auf was ich zu achten hatte. Komplikationen waren angeblich nicht zu erwarten.

Am nächsten Morgen lag ich bereits im Operationssaal, nur örtlich leicht betäubt. Die Japaner hatten ihre Operationstechniken so weit entwickelt, dass ich während des Vorgangs sprechen und meine jeweils eingestellte Stimme hören konnte; die Verlängerung der Stimmlippen und ihre Form veränderten die Art der Vibration des Organs. Ich hörte mich über Kopfhörer reden, wenn ich darum gebeten wurde; so erfuhr ich auch selbst, wie ich für andere klingen würde, denn man selbst hörte die eigene Stimme durch Knochenschall verfremdet.

Der Doktor blendete meine alte Stimme dazu ein, er hatte einige Mustersätze aufgenommen, die ich jetzt nachsprach.

»Ein Orang-Utan ist mir lieber als andere orangefarbene Affen«, war einer davon, alle enthielten viele Vokale.

Ich sagte stopp, als meine Stimme so klang, wie ich mir sie vorgestellt hatte. Die ganze Operation hatte keine zwei Stunden gedauert, ich fühlte mich am Kehlkopf merkwürdig an, sonst spürte ich nichts. Ich konnte vorsichtig sprechen, gut atmen und nach drei Stunden sogar schon etwas essen, Reis mit gedünstetem Fisch.

Am nächsten Tag wurde ich entlassen. Zeit, meine Stimme auszuprobieren; ich machte eine Runde durch die Tempel Kyotos und sprach von hinten Ausländer an. Die meisten wirkten überrascht, wenn sie sie umdrehten. »Oh. Ich dachte, Sie wären ein Mann. Entschuldigung«, hörte ich gleich dreimal.

Das hatte schon mal geklappt. Watanabe hatte mir versichert, dass ich die OP auch rückgängig machen konnte, eine Verkürzung wäre immer einfacher als eine Verlängerung.