Im Schatten der Schwarzen Sonne

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Angesichts der Massenimmigration hätte der rassische Nationalismus durchaus ein Selbstläufer werden können. Doch bald lähmten ideologische Unstimmigkeiten innerhalb der Führung die Schlagkraft der BNP. Im Februar 1962 beschwerte sich Bean in einer Resolution an den Parteirat, Jordan betreibe »eine verfehlte Taktik, weil er uns immer stärker zur Identifikation mit dem nationalsozialistischen Vorkriegsdeutschland drängt. England, Europa und der weltweite Kampf der Weißen geraten so aus dem Blick; über dem Gestern wird das Heute und Morgen vergessen«. Bean und Fountaine erkannten klar, dass den Birminghamer hauptsächlich die Begeisterung für Nazideutschland umtrieb. Im System des Dritten Reiches sah Jordan ein Modell, das man nur auf Großbritannien zu übertragen brauche; dies verrieten schon sein Hitler-Kult sowie das Tragen von NS-Uniformen und NS-Symbolen – Hakenkreuzen zumal –, das er den Seinen vorschrieb. In den Augen Beans und Fountaines war dies, strategisch betrachtet, sträflich töricht. Einer Nation, der das braune Deutschland so viel Verwüstungen zugefügt und so viel Menschenleben geraubt hatte, konnte man mit dergleichen nicht kommen. Bean und Fountaine wollten eine moderne nationalistische Bewegung für England, welche die Probleme der Gegenwart, der 60er-Jahre, ins Visier nahm. Jordan wurde im Leitungsgremium sieben zu fünf überstimmt, mochte aber das Feld nicht widerstandslos räumen. Er gehe, ließ er verlauten, nehme aber einiges mit; über das Arnold Leese House etwa dürfe laut Nutzungsvertrag nur er verfügen. Wie zu erwarten, spaltete sich die BNP. Bei Bean und Fountaine verblieben der Parteiname, das Magazin Combat (»Kampf«) und 80 Prozent der Mitglieder. John Tyndall behielt den überwiegenden Teil der Spearhead-Miliz sowie die BNP-Ortsverbände des Bezirks Birmingham und der westlichen Distrikte der nordöstlich von London gelegenen Grafschaft Essex.7

John Hutchyns Tyndall entstammte einer seit Jahrhunderten protestantischen irischen Familie. 1934 wurde er als Sohn eines Londoner Polizeibeamten geboren, der in jungen Jahren aus der südirischen Grafschaft Waterford eingewandert war. Der Polizistenberuf hatte bei den Tyndalls Tradition; viele seiner Vorfahren dienten, als Englands Könige Irland noch mitregierten, in der Royal Irish Constabulary, der »Königlich Irischen Schutzpolizei«, zu deren Aufgaben die Bekämpfung katholischer Nationalisten gehörte, die ein unabhängiges Irland wollten. In der Ahnentafel finden sich freilich auch Wissenschaftler, so der bedeutsame irische Physiker John Tyndall (1820-1893), der klärte, warum der Himmel blau ist. Dessen Urenkel und Namensvetter, von dem hier die Rede sein soll, zog es mehr zu Soldatentum und in die Politik. Seinen Wehrdienst leistete John Tyndall 1952-54 im besetzten Deutschland ab. Frühzeitig rechts orientiert, las er begeistert Arthur K. Chestertons Magazin Candour, in dem hinter allen Unerfreulichkeiten der Welt jüdische Konspiration vermutetet wurde, und trat schließlich in Chestertons LEL ein.8 Tyndall hielt soldatische Ertüchtigung für ein probates Mittel zur Aufrechterhaltung eines Nationalbewusstseins, das den »zersetzenden« Anfechtungen des Liberalismus standhielt; daher gründete er in den frühen 60er-Jahren die paramilitärische Formation Spearhead und trainierte sie an Wochenenden irgendwo in der südenglischen Provinz. Rasch wurde die Special Branch, eine »Sondereinheit« der britischen Polizei für die Innere Sicherheit, auf die SA-Imitation aufmerksam – spätestens, als man im Juli 1961 im Dorf Culverstone Green/Kent an alten Ställen Parolen wie »Rassenkrieg jetzt« oder »Freiheit für Eichmann« hingemalt fand. (Der ehemalige SS-Obersturmbannführer Adolf Eichmann war wegen seiner zentralen Rolle bei der Organisation der »Endlösung« im Mai 1960 von Agenten des israelischen Geheimdienstes aus Argentinien nach Jerusalem entführt worden und stand nun dort vor Gericht.) Unermüdlich, so wussten die Special-Branch-Leute bald zu berichten, drillten Tyndall und sein Adjutant Roland Kerr-Ritchie draußen auf dem Land einen Trupp von 18 Mann in Spearhead-Uniform: Grauhemd, Armbinden mit Sonnenradsymbol, Schaftstiefel und Koppel.

Colin Jordan mochte sich inzwischen keineswegs damit zufrieden geben, eine kleine Splittergruppe zu leiten. Vielmehr wollte er das National Socialist Movement (»Nationalsozialistische Bewegung«, kurz NSM) – so nannte er den ihm verbliebenen BNP-Rest - zu einer neuen Partei der britischen Rechten ausbauen, die sich diesmal offen zum Nationalsozialismus bekennen und ungeniert seine Attribute verwenden würde. Zur Seite standen ihm John Tyndall und Denis Pirie, ein nicht minder erfahrener Kombattant, der bereits im Parteirat der BNP gesessen und auch die Spearhead-Miliz mit aufgebaut hatte. Zum Eintritt des NSM in die politische Landschaft Englands gab es eine Gründungsfeier am 20. April 1962, Hitlers Geburtstag; die Festtafel zierte eine Torte, auf der ein großes Hakenkreuz prangte. Freudig erregt verfolgten die Gäste eine Überseetelefonschaltung zu George Lincoln Rockwell, dem Führer der American Nazi Party. Grüße und Glückwünsche gingen hin und her, von viel »Heil Hitler« und »Sieg Heil« begleitet. Jordan hielt die Gründungsrede. Darin äußerte er, England habe durch seine Beteiligung am Sieg der Alliierten über Hitler »eine Menge verloren und sich mit Schande bedeckt«. Zum Schluss verkündete er in jubelndem Pathos eine leuchtende Zukunft: »In England – jawohl, in England, mehr als sonst irgendwo – wird das Licht, das Hitler einst entzündet, weiter brennen, immer heller, wird strahlen über die Wasser, über die Berge, über die Grenzen. Der Nationalsozialismus kehrt zurück.« Im Mai begann Jordan mit der Publikation eines neuen Magazins, genannt The National Socialist (es erschien bis 1966), und veröffentlichte das Manifest des NSM, worin es hieß: »Das höchste Gut des britischen Volkes – Grundlage seiner Größe in der Vergangenheit und unerlässliche Voraussetzung einer großen Zukunft – ist sein arisches, hauptsächlich nordisches Blut; und die allererste Pflicht des Staates ist es, das Wohl unserer Insel in diesem Sinne zu bewahren und zu fördern.«9

Rassischer Nationalismus und die Glorifikation des deutschen Nationalsozialismus waren die entscheidenden Erkennungsmerkmale des Jordan’schen NSM, die ihm 1962 wiederholte Präsenz in den Schlagzeilen der Sensationspresse garantierten. In diesem Jahr stieg nicht nur die Immigration selbst auf einen Höchststand, sondern, parallel dazu, auch die öffentliche Besorgnis darüber. Von Januar 1961 bis Juni 1962 kamen ca. 212.000 Farbige ins Land. Schließlich sah sich die konservative Regierung zum Handeln gezwungen und erließ im Juli 1962 ein neues Einwanderungsgesetz, den sog. Commonwealth Immigrants Act (diesem zufolge durfte aus den amerikanischen und asiatischen Commonwealth-Staaten nur noch herein, wer bestimmte Bedingungen erfüllte, etwa eine amtliche Arbeitserlaubnis vorweisen konnte). Am 1. Juli 1962 hielt das NSM auf dem Londoner Trafalgar Square eine Kundgebung vor ungefähr viertausend Leuten ab, denen Colin Jordan zurief: »Mit jedem Tag öffnen mehr Menschen ihre Augen und erkennen, dass Hitler recht hatte. Sie erkennen, dass wir im Weltkrieg das falsche Volk befehdet haben. Nicht Hitler und die deutschen Nationalsozialisten hätten wir bekämpfen müssen, sondern unseren wahren Feind, das Weltjudentum und seine Verbündeten in diesem Land.« John Tyndall hielt eine ähnlich fulminante antisemitische Brandrede: »In unserer demokratischen Gesellschaft lebt der Jude wie eine giftige Made, die sich von einem Körper ernährt, dessen Fäulnis bereits weit vorangeschritten ist.«

In der öffentlichen Wahrnehmung überschatteten bald das offene Bekenntnis zur nazistischen Ideologie und der bösartige Antisemitismus den Programmpunkt »Bekämpfung der farbigen Invasion«, der reale Ängste der einheimischen Bevölkerung aufgriff und die Jordans Partei durchaus Wahlerfolge hätte bescheren können. Doch statt auf brandaktuelle Themen setzte man lieber auf Parolen von gestern. Das NSM trug schlicht die Gedankenwelt des Arnold Leese und seiner Imperial Fascist Ligue aus den 30er-Jahren in die Gegenwart hinein. So passierte nicht viel mehr, als dass man Juden und Linke attackierte und die Attackierten sich wehrten. Schon am Ende der Trafalgar-Square-Kundgebung kam es zu Handgreiflichkeiten. Jüdische Bürger stürmten in großer Zahl die Bühne, begleitet von Kommunisten und Mitgliedern der radikalpazifistischen Campaign for Nuclear Disarmament (»Kampagne für nukleare Abrüstung«, kurz CND). Das NSM rühmte sich später, dass ihre Demonstration vom 1. Juli 1962 den Startschuss zu den Rassenkrawallen geliefert habe, die in diesem Jahr das Land erschüttern sollten; denn so sei der ethnische Konflikt, den die herrschenden Kreise gern kaschierten, endlich offensichtlich geworden. Nicht selten waren rechte Veranstaltungen Auslöser der Gewalttätigkeiten. So demonstrierten den Juli hindurch auch Oswald Mosley und sein Union Movement. Wo immer sie sich blicken ließen – auf dem Trafalgar Square, im East End der Hauptstadt oder in Manchester – stets provozierten sie Tumult. Anfang August tobten drei Tage lang Rassenunruhen in Dudley bei Birmingham; wieder gab es viele Festnahmen.

Nach der Spaltung der BNP mühten sich Tyndall und Jordan weiter, Sturmtruppengeist in die Reihen des NSM zu bringen. Im April und Mai 1962 konnten die Ermittler des Staatsschutzes regelmäßig beobachten, wie Jordan in den North Downs, einem Hügelgelände in der südenglischen Grafschaft Surrey, seine Spearhead-Einheit trainierte. Zum Manöver gehörte ein simulierter Angriff auf einen alten Aussichtsturm in Leith Hill bei Dorking. Das Selbstverständnis und das strategische Konzept des NSM ließen solch paramilitärischen Drill unverzichtbar erscheinen. Schließlich wollte man es machen wie die Nazis in den 20er-Jahren, die sich einst erfolgreich durch derlei für die Eroberung der Macht ertüchtigten. Jordan und Tyndall waren fasziniert von der romantisch-verwegenen Idee, im Falle einer nationalen Krise mit bewaffneten Kampftrupps zuzuschlagen. Aber die Spearhead-Manöver geschahen auch, weil beim internationalen Sommertreffen der rechten Bewegungen, welches Jordan im August 1962 in England zu veranstalten gedachte, das britische Kontingent den Nazis aller Welt mustergültige Leistungskraft und Einsatzfähigkeit vorführen sollte.

 

Colin Jordan trieben hauptsächlich zwei Motive, ein solches Meeting einzuberufen. Erstens ging es ihm um Öffentlichkeitsarbeit für das NSM und um die Werbung neuer Mitglieder. Dies erschien dringend notwendig, denn zu Beginn hatte Jordan eine recht überschaubare Anhängerschaft. Nach der Abspaltung von der BNP waren ihm nur zwanzig Aktivisten geblieben, darunter John Tyndall, Denis Pirie und Roland Kerr-Ritchie. Die Trafalgar-Square-Demonstration hatte das NSM ins Scheinwerferlicht gebracht und eine Weile dort gehalten; doch der Anfangserfolg, so viel war Jordan klar, würde, wenn weiter nichts geschähe, bald verpuffen. Das NSM brauchte mehr Mannstärke, schon um nicht rettungslos hinter die konkurrierende BNP zurückzufallen, die es inzwischen auf ca. eintausend aktive Gefolgsleute brachte. Darüber hinaus aber – und damit kommen wir zum zweiten Motiv – hatte Jordan auch globale Perspektiven im Blick. Indem er eingeschworene Antisemiten und Farbigenfeinde aus aller Welt unter der Ägide seines NSM versammelte, konnte er, so sein Kalkül, an die Spitze einer internationalen Nazi-Bewegung rücken.

Das große Wochenend-Sommercamp des NSM fand am 3. – 7. August 1962 in Guiting Wood/Gloucestershire (Südengland) statt. Mit dabei: der »American Führer« George Lincoln Rockwell. Er war zu jener Zeit wohl der berühmteste Neonazi weltweit. Seine Auftritte, deren provokative Taktik sich nicht selten am Rande der Clownerie bewegte, hatten ihm international ein reges Medienecho eingebracht. Immer wieder wurde Rockwell interviewt, von Zeitungen und Magazinen, auch vom Fernsehen. Dann konnte er unermüdlich Hitler preisen, aus Mein Kampf zitieren und den Kreuzzug der Nazis gegen die Juden und andere minderwertige Rassen rühmen. Das britische Innenministerium hatte Rockwell die Einreise verboten; trotzdem war er da – ein zusätzlicher Publicity-Erfolg für den rührigen NSM-Chef.10 Während des Camps mühte Jordan sich wacker, seinem amerikanischen Geistesbruder zu imponieren. Er wollte ihm beweisen, dass er und sein NSM das Zeug zur Nazi-Weltführerschaft besaßen, und sich dergestalt dessen Rückendeckung sichern. Am Sonntagmorgen ließ Jordan die Spearhead-Einheit zu einer Leistungsschau antreten und den geladenen Gästen vorführen, was sie so alles konnten. Unter der Leitung John Tyndalls liefen die uniformierten NSM-Leute in Gefechtsformation zu Tal, stürmten gedachte gegnerische Stützpunkte, überrannten imaginäre Feindeshaufen und parierten eine vorgestellte Konterattacke. Jordan, Rockwell, Savitri Devi, der ehemalige SS-Leutnant Fred Borth und andere verfolgten das Geschehen von erhöhtem Standort mit Feldstechern.11

Der Höhepunkt des Camps aber kam erst am Nachmittag, als man sich wieder dem eigentlichen politischen Geschäft widmete. Alle Delegierten wurden zur Beschlussfassung versammelt. Die Anwesenden riefen eine neue nazistische Internationale ins Leben, die World Union of National Socialists, kurz WUNS. Das Gründungsdokument erhielt den Namen Cotswold Agreement (»Übereinkunft von Cotswold«), nach dem Distrikt, zu dem die Örtlichkeit Guiting Wood gehört. Es hielt fest, dass Jordan, Rockwell und die Führer der nationalsozialistischen Parteien aus den anderen Ländern eine Konföderation gebildet hätten, eben die WUNS, deren primäre Nahziele folgende seien:

1 1. Bildung einer monolithischen, schlagkräftigen, international aktionsfähigen politischen Organisation zur Bekämpfung und endgültigen Vernichtung des internationalen jüdisch-kommunistischen und zionistischen Machtapparates, der Verrat und Subversion in alle Lande bringt.

2 2. Bildung einer monolithischen, schlagkräftigen, international aktionsfähigen politischen Organisation zur Bekämpfung und endgültigen Vernichtung des internationalen jüdisch-kommunistischen und zionistischen Machtapparates, der Verrat und Subversion in alle Lande bringt.

3 3. Schutz von Privatbesitz und freiem Unternehmertum vor kommunistischem Klassenkampf.

Als ein Fernziel postulierte man die »Einheit aller Weißen in einer nationalsozialistischen Weltordnung mit vollständiger Apartheid der Rassen«. Dergleichen Forderungen stießen wohl bei keiner der nationalistischen oder sonstwie rechtsradikalen Gruppen auf nennenswerten Widerspruch. Paragraph 7 des Zusatzprotokolls jedoch kodifizierte unmissverständlich die spezifisch »braune« Ausrichtung der WUNS: »Organisationen und Einzelpersonen, welche unsere Treue zu den Ideen Adolf Hitlers oder die Tatsache, dass wir Nationalsozialisten sind, in Frage stellen, können kein Mitglied werden.« Ein anderes Fernziel klang noch makabrer: Man wolle, hieß es, »eine gerechte und endgültige Regelung des Judenproblems finden und in die Tat umsetzen«. Damit stellte sich die WUNS explizit in die Tradition der Hitler’schen »Endlösung«. Die Delegierten des Gründungskongresses, siebenundzwanzig an der Zahl, wählten Jordan zum »Weltführer« und Rockwell zu seinem Stellvertreter und Nachfolger.

Aber das Camp endete im Chaos. Empörte Dorfbewohner drangen herein und erzwangen den Abbruch der Tagung. Kurze Zeit später wurde Rockwell in London verhaftet und zurück in die USA abgeschoben.12 Noch Ärgeres hatten die englischen Nazis zu erdulden. Zirka zwölf Agenten des Special Branch stürmten und durchsuchten das Hauptquartier des NSM.13 Das scharfe Vorgehen des Staates gegen das NSM beeinträchtigte die Arbeit der WUNS empfindlich, denn ausgerechnet jetzt, da die frisch gegründete Nazi-Internationale dringend Lenkung und Leitung gebraucht hätte, wurde ihr der »Weltführer« entzogen: Colin Jordan musste für eine Weile ins Gefängnis. Und nicht nur er. Aufgrund des »Gesetzes über die Öffentliche Ordnung« (Public Order Act) wurden Jordan, Tyndall, Kerr-Ritchie und Pirie wegen Bildung und Ausstattung einer paramilitärischen Truppe angeklagt. Jordan erhielt neun Monate Haft, Tyndall sechs und die beiden Adjutanten je drei. Die Führerschaft der WUNS ging nun auf George Lincoln Rockwell und die American Nazi Party über. Mit ihrem radikalen Nazismus, besonders ihrem Antisemitismus, zog die WUNS bald scharenweise Mitglieder aus einem bereits seit längerem bestehenden internationalen Rechtsaußenbund, der 1951 in Zürich gegründeten Nouvel Ordre Européen (der »Neuen Europäischen Ordnung«), in die eigenen Reihen herüber. Anfang 1964 gab die WUNS bekannt, sie unterhalte jetzt Sektionen in Frankreich, Deutschland, England, Belgien, Dänemark, der Schweiz, den USA, Argentinien, Chile und Australien.

Doch bald stand wieder eine Spaltung an, ähnlich der früheren zwischen BNP und NSM. John Tyndall wollte einen britischen Nationalsozialismus, der auf Patriotismus und weißen Rassenstolz fußte und aktuelle Probleme in den Blick nahm. Die Jordan so teure offene Hitler-Verehrung, meinte Tyndall, wirke zunehmend anachronistisch und sei obendrein ein politisches Handikap. Zusätzlich mag ihn die demütigende Erfahrung, dass er seine Verlobte an Jordan verlor, zum Bruch mit dem langjährigen Kampfgefährten motiviert haben. Im August 1964 gründete Tyndall sein Greater Britain Movement, die »Bewegung für das Größere Britannien«, kurz GBM. (Das Schlagwort »Greater Britain« – gemeint ist Großbritannien plus Kolonialreich – benutzt der imperialistische und nationalistische Diskurs in England seit fast anderthalb Jahrhunderten, um zu artikulieren, dass Großbritannien in seinen Kolonien – den ehemaligen wie den noch bestehenden – weiterhin bestimmenden Einfluss nehmen solle.) Die neue Splittergruppe hatte etwa 130 Mitglieder und ein eigenes Magazin namens Spearhead. Nach ihrer bitteren Trennung blieb zu klären, welche Vereinigung denn künftig als britische Sektion der WUNS zu gelten habe: Jordans NSM oder Tyndalls GBM. George Rockwell wurde von beiden Parteichefs heftig umworben – und entschied sich instinktiv für Jordan; ihm hatte imponiert, dass der Birminghamer sich seit seinen politischen Anfängen stets ungeniert zum Nationalsozialismus bekannt hatte und jetzt Tyndalls Plan, das Hakenkreuz nicht mehr als Symbol der Bewegung zu verwenden, als anrüchig bezeichnete. Über die Frage, wie offen man auf nazistische Ikonographie zurückgreifen dürfe, sollte man sich innerhalb der extremen Rechten Englands auch später noch oft zerstreiten.14

Die relative Sicherheit, die ihm Rockwells Gunst gewährte, gab Jordan Gelegenheit zu dem Versuch, sich als maßgeblicher Theoretiker des modernen Nationalsozialismus im angloamerikanischen Raum zu profilieren. Die erste Nummer des WUNS-Hausblattes National Socialist World präsentierte 1966 einen Grundsatzartikel aus der Feder Jordans, der, wie es hieß, die Hitler’sche Ideologie vom »philosophischen Standpunkt her würdigen« wollte und sie, erwartbar, zur »allumfassenden Weltanschauung« adelte. Den Nationalsozialismus, behauptete Jordan, hätten weder die Niederlage des Dritten Reiches noch die Ächtung, die er anschließend habe erdulden müssen, gänzlich ausgetilgt. Das werde auch niemals gelingen, denn er sei »identisch mit dem Selbsterhaltungswillen des edleren Menschen, seinem Hang zum Gesunden und zum Starken, seinem Verlangen nach Schönheit im Leben«. Vorbilder erblickt Jordan in Platons Griechenland und nicht minder im alten Rom, seinem Bürgerrecht, seinem zivilen und militärischen Staatsdienst. Es wäre ein Wunder, wenn er in dieser Reihe nicht auch die nordischen Stämme nennen würde, bei denen Blutsbande von jeher, so weiß der Theoretiker, eine hohe Bedeutung besäßen. Für Jordan ist der Nationalsozialismus »eine naturgetriebene, organische Revolte gegen die gedanklichen Konstrukte des Liberalismus und Demokratismus und gegen die Gesellschaft, die sie uns beschert haben; eine Gesellschaft, in der Geld das einzige Band zwischen den Menschen bildet; die einem zügellosen Individualismus das Wort redet; die den Menschen als eine volklose, austauschbare Einheit innerhalb der Weltbevölkerung betrachtet, und die ihre metaphysische Rechtfertigung aus einem verrotteten Christentum bezieht, das nur noch einen kränklichen und schwächlichen ›Humanitarismus’ zu predigen vermag«. Der neue Nationalsozialismus, behauptete Jordan, sei viel mehr als nur ein politisches Konzept, nämlich eine weltweite Wiedergeburt der arischen Rasse und ein Wiedererwachen völkischen Zusammengehörigkeitsgefühls über nationale Grenzen hinweg.15

Nach dem Bruch 1964 blieb Jordan eingefleischter Nazi, während Tyndall den Tarnmantel des britischen Nationalismus über sein früheres Hitlerianertum zog. Jordan beteiligte sich indirekt, aber erfolgreich an den Parlamentswahlen 1964: Im Wahlkreis Smethwick bei Birmingham unterstützte er den konservativen Kandidaten Peter Griffiths mit einer derart effektiven xenophoben Kampagne, dass der Tory seinem nicht eben unprominenten Labour-Kontrahenten, Patrick Gordon-Walker, den seine Partei gern als Außenminister im nächsten Kabinett gesehen hätte, eine Niederlage bescherte. Jordan kopierte bei seinen Aktionen die Happening-ähnlichen PR-Methoden seines Vorbildes George Rockwell und ließ einige seiner Leute in Affenkostümen demonstrieren, um die rassistische Botschaft zu vermitteln. Im Januar 1965 startete Jordan bei den Nachwahlen in Leyton (nordöstlich von London) einen Feldzug auf eigene Rechnung gegen Gordon-Walker und trug dazu bei, dass der extrem integrationistische Kandidat wieder keinen Sitz erhielt. Aber die radikale Rechte mochte sich nicht darauf verlassen, was innerhalb der parlamentarischen Spielregeln möglich war, und versuchte sich nun zwei Jahre am Terrorismus. Kommandos, die sich personell aus Jordans NSM, Fountaines BNP und Tyndalls GBM rekrutierten, griffen jüdische Einrichtungen an. Bei einer Brandbombenattacke auf eine Talmudhochschule im Nordlondoner Vorort Stoke Newington kam ein Student ums Leben. Mitglieder des NSM wurden wegen Anschlägen gegen Synagogen in den Londoner Distrikten Clapton, Ilford, Kilburn und Bayswater verhaftet. Jordans Frau Françoise Dior, Französin aus reichem Hause (und Nichte des berühmten Modedesigners Christian Dior), musste 1968 für achtzehn Monate ins Gefängnis, weil sie gemeinsam mit anderen geplant hatte, Feuer an eine Synagoge zu legen.16

 

Der nationalistische Mainstream jedoch setzte weiterhin auf Stimmzettelerfolge. Und die Chancen schienen so schlecht nicht zu stehen. 1966 gewann die entschieden immigrantenfreundliche Labour Party einmal mehr die Parlamentswahlen; und die Tories schlugen gegenüber den Einwanderern plötzlich auch integrative Töne an, so dass rechts eine Menge Platz frei wurde. Den wollten die xenophoben Parteien besetzen, indem sie die Wähler einsammelten, denen der immigrationspolitische Konsens der Großen nicht passte. Diesen Prozess in Gang zu bringen, fiel nun gerade dem bisher eher glücklos agierenden John Tyndall zu. Enttäuscht darüber, dass sein Idol George Lincoln Rockwell nicht ihn, sondern Jordan zum offiziellen britischen Vertreter der WUNS ernannt hatte, sagte Tyndall schweren Herzens seinen früheren Bestrebungen, Führer einer neuen nationalsozialistischen Bewegung zu werden, ade und widmete sich fortan der Aufgabe, innerhalb der radikalen Rechten Englands neue Brücken zu bauen. Seine Mühe blieb nicht ohne Erfolg. Unterstützung fand er bei dem alterfahrenen Kämpen Arthur K. Chesterton, der sich selbst bereits an einem Netzwerk rechter Gruppen versucht hatte. Und so vereinten sich Tyndalls GBM, Chestertons League of Empire Loyalists, Beans British National Party und Beauclairs Racial Preservation Society (»Gesellschaft zur Rassenerhaltung«) im Februar 1967 zur National Front, kurz NF. Seinen einstigen Kombattanten Colin Jordan freilich schloss Chesterton gleich vorab von den Fusionsverhandlungen aus: mit seinem unverhohlenen Nazi-Kopistentum passte er in die entstehende Formation nicht hinein; er hätte sie, fürchtete man, nur öffentlich blamiert. Der NSM-Chef spielte daher keine Rolle bei der viel versprechenden Entwicklung der NF zur nationalistischen Stimme Englands, zur »vierten Partei« im politischen Leben Großbritanniens (neben Labour, den Tories und den Liberalen). Ohne ihn, den einstigen »Weltführer«, erzielte die britische Rechte in den 70er-Jahren bedeutsame Wahlerfolge, indem sie geschickt die Überfremdungsängste der Einheimischen mobilisierte.17 Jordan blieb ein nazistischer Untergrundkämpfer.

Wie stark war sein NSM überhaupt? 1966 hieß es in einem Polizeibericht, die Partei habe während ihrer ganzen Geschichte insgesamt 187 Vollmitglieder besessen; hinzugekommen seien mehrere hundert Anhänger ohne Parteibuch, darunter die Abonnenten des Hausblattes The National Socialist (1962-66). Das antifaschistische Magazin Searchlight (»Scheinwerfer«) beziffert die Zahl der in den 60er-Jahren vom NSM Mobilisierten jedoch auf etwa 1200; den Höchststand habe sie 1962 erreicht, als ihre Gefolgschaft knapp 700 betrug.18 Im Januar 1962 wanderte Colin Jordan zum zweiten Mal ins Gefängnis. Wegen seiner Hetzschrift The Coloured Invasion (»Die farbige Invasion«), die unverhüllt den Rassenkrieg predigte, wurde er aufgrund des erst 1965 erlassenen Race Relations Act (»Gesetz über die Beziehung der Rassen«) zu einer Strafe von achtzehn Monaten verurteilt. Kaum entlassen, versuchte er im Sommer 1968 das inzwischen verblichene NSM unter dem Namen British Movement (»Britische Bewegung«), kurz BM, wiederzubeleben. Im Gegensatz zur NF und ihren parlamentarischen Ambitionen setzte das BM mehr auf Randgruppen: Skinheads, Hooligans und Rowdys aus der städtischen Unterschicht sollten für die nationale Sache gewonnen und angeleitet werden, im Inneren der Metropolen gegen Linke und ethnische Minderheiten mittelamerikanischer oder asiatischer Herkunft vorzugehen. Die gewalttätige Strategie erinnerte – und sollte erinnern – an die »Prügelkommandos« der Imperial Fascist League des Arnold Leese und natürlich an die diversen Sturmtruppen der Nazis in den 20er-Jahren. Ihr Sinn und Zweck war pure Provokation: Man attackierte Nichtweiße, damit diese, rasend vor Zorn, Weiße attackierten, was wiederum, so das Kalkül, zu einem heftigen Gegenschlag der Weißen führen würde – und so weiter, bis die Feindseligkeiten schließlich zu einem Rassenkrieg eskalierten.

Als Führer des BM wurde Colin Jordan 1974 von Michael McLaughlin abgelöst, einem ehemaligen Schifffahrtskaufmann aus Liverpool. Über den ehrgeizigen McLaughlin hieß es jedoch bald, er habe in seiner Zeit als Stellvertretender Vorsitzender schäbige Intrigen gesponnen, um möglichst rasch an die Spitze rücken zu können. Jordan reagierte degoutiert; in einer Partei, die solche Praktiken pflegte, mochte er nicht einmal mehr Mitglied sein. Er zog sich auf seine Farm in Greenhow Hill bei Harrogate/Yorkshire (Nordwestengland) zurück und widmete sich dem Schreiben. In den 70er-Jahren setzte das BM ohne Jordan den militanten Kampf gegen die Integration fort; man kooperierte mit der Untergrundrechten – wenn man nicht schon ein Teil von ihr war –, die Rassenkonflikte bis zur Eskalation anfachte, wo sie nur konnte. 1980 besaß das British Movement laut eigenen Angaben fünfundzwanzig Außenstellen und etwa viertausend Mitglieder; dabei dürften die Parteistatistiker aber großzügig etliche Skinheads, Fußball-Hooligans und andere der rechten Szene nur bedingt verbundene Gewohnheitsrandalierer in die Zählung aufgenommen haben. Während McLaughlins Führungszeit erlitt das BM herbe Rückschläge. So gelang es Anfang der 80er-Jahre den Leuten von Searchlight, McLaughlins Stellvertreter Roy Hill »umzudrehen« und so Informationen aus erster Hand über geplante BM-Aktionen zu erhalten – mit dem Effekt, dass kaum noch welche stattfanden. Polizeiliche Durchsuchungen und parteiinterne Fehden waren weitere Folgen der Hill’schen Maulwurfstätigkeit. Als Hill sich 1982 outete und zusätzliche Interna preisgab, demoralisierte dies die Bewegung noch mehr. Die Unbändigkeit und schwere Lenkbarkeit der rekrutierten »Straßenkämpfer« bildeten ein Problem für sich. Aus diesem undisziplinierten Haufen, musste McLaughlin bald erkennen, ließ sich keine einsatzfähige Organisation formen. Also legte er den Vorsitz nieder und schloss Ende 1983 die BM-Zentralstelle im nordwalisischen Shotten.

Andere mochten die Auflösung nicht hinnehmen und gruppierten die Reste im Rahmen einer Generalversammlung 1985 zu einer neuen Partei, die sie nun British National Socialist Movement, kurz BNSM, nannten. Auch Colin Jordan, inzwischen so etwas wie der »Pate« des nazistischen Untergrunds, wollte sich wieder einmischen und das Seine tun, um den rechtsextremen Terror wiederzubeleben – und sei es vorerst nur mit dem Entwurf einer neuen Strategie. Sein Masterplan für die Zukunft des britischen Nationalsozialismus, deutlich inspiriert durch Pierces Turner Diaries und den militanten Aktionen von The Order in den USA, erschien Juni 1986 in der Hauszeitschrift des ultrarechten Bundes League of Saint George (»Sankt-Georg-Liga«). Dort legt Jordan dar, dass die augenblickliche Machtelite über das Fernsehen das Bewusstsein der Menschen kontrolliere und so manipuliere, dass bei Wahlen immer wieder die etablierten Parteien gewönnen und das System der bürgerlichen Demokratie als das einzig mögliche erscheine. Gegen diese Verhältnisse werde die radikale Rechte allein mit einer Partei konventionellen Zuschnitts nie etwas ausrichten. Für wirkliche Veränderung brauche man zweierlei: einen freikorpsähnlichen Kampfverband und eine Partei. Im Idealfall liefe die Sache so: Der Kampfverband entwickelt Qualitäten einer »Eliteeinheit«, einer »Speerspitze«, einer »Task force«, und ist in der Lage, buchstäblich »Krieg« zu führen. Als Vorbild sieht Jordan die Sondereinheiten des SS-Obersturmbannführers Otto Skorzeny, der während des Dritten Reiches mehrere riskante Kommandounternehmen befehligte (u.a. befreite er 1943 Benito Mussolini aus den Händen antifaschistischer Partisanen). Neben dieser bewaffneten Guerilla existiert eine Partei, die einen populistischen Rassismus vertritt, sich aber, obwohl aus dem gleichen Geist gebildet wie die geheime Task force, nach außen hin seriös geriert und sich durch geduldige Überzeugungsarbeit Respektabilität erwirbt. Wieder andere Aktivisten infiltrieren währenddessen die Mainstream-Parteien und öffentliche Körperschaften. Da die Illegalität jedoch häufig zu Verhaftungen und Gefängnisstrafen führt, müssen die »Maßnahmen mit offenem Visier unbedingt von anderen Personen vollzogen werden als die Operationen im Untergrund – eine lebenswichtige Aufgabentrennung«.19