Im Schatten der Schwarzen Sonne

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Rockwells Aufstieg zu einer zwar berüchtigten, aber immerhin prominenten Figur im öffentlichen Leben Amerikas erklärt sich wesentlich dadurch, dass der Hitler-Jünger spektakulär gegen ein spektakuläres Phänomen kämpfte, nämlich das politische Erwachen weiter Teile der amerikanischen Schwarzen zu Beginn der 60er-Jahre. Diese mochten Benachteiligung und Demütigung nicht länger hinnehmen und wehrten sich höchst medienwirksam. Die meisten – namentlich die Bürgerrechtsbewegung unter Martin Luther King jr. – wählten gewaltfreie Aktionen, veranstalteten Kundgebungen und Protestmärsche oder leisteten »zivilen Ungehorsam«, indem sie etwa Rassentrennungsbestimmungen ostentativ ignorierten. Andere reagierten mit Gewalt auf die Schikanen seitens der weißen Obrigkeit; so kam es zu den blutigen Rassenkrawallen im New Yorker »Negerviertel« Harlem im Juli 1964 und in Watts (bei Los Angeles) im August 1965. Die Öffentlichkeit war für die Bedrängnisse der Schwarzen sensibilisiert; es gab eine regelrechte »liberale Welle«, auch im Regierungshandeln. Gleichstellungsprogramme wurden entworfen, integrative Maßnahmen erfolgten, die Rassenschranken abbauen sollten; so fuhren jetzt vielerorts weiße und schwarze Kinder gemeinsam in Autobussen, die sie zu Schulen brachten, wo sie gemeinsam unterrichtet wurden. All dies erschien Rockwell fluchwürdig. Für ihn waren die Schwarzen eine primitive, lethargische Rasse, die nur nach schlichten Vergnügungen strebte, bar jeder Fähigkeit zum verantwortlichen und gestalterischen Handeln. Rockwell legte seinen Standpunkt zur Rassenfrage so dar: In ihrem Sklavenstatus waren die Schwarzen eigentlich ganz zufrieden, denn was man ihnen abverlangte, konnten sie leisten. Probleme bekamen – und machten – sie erst, seit sie versuchten, am Gesellschafts- und Wirtschaftsleben der Weißen teilzuhaben. Freilich haben sie sich nicht selbst dorthin gedrängt; es waren vielmehr die Juden, die sie in die sachlich unhaltbare Position einer sozialen Gleichheit mit den Weißen beförderten. In Schule und Arbeitswelt hoffnungslos überfordert, entwickelten sie ein Ressentiment gegen die traditionellen Strukturen, das sich nun vielerorts gewalttätig entlud. Sie bedrohten die öffentliche Ordnung – ganz im Sinne der Juden, die ja auf deren Kollaps hinarbeiteten, um den Boden für den Kommunismus zu bereiten.16 Immer wieder beschwor Rockwell die Gefahr einer Eskalation der Rassenkrawalle und stellte sie in einen ursächlichen Zusammenhang mit Judentum und Kommunismus, die er gleichfalls unermüdlich attackierte – ein Versuch, jene tiefsitzenden Ängste auszubeuten, die zu Beginn der 60er-Jahre viele traditionell denkende Amerikaner angesichts vermeintlicher Auflösungserscheinungen in der Gesellschaft ergriffen hatten.

Die ANP entwickelte nun ein wahres aktivistisches Sperrfeuer. Und es blieb nicht bei Protest- und Störmaßnahmen.17 Jüdische Jugendliche wurden misshandelt; eine Synagoge in Bridgeport/Connecticut wurde von einem Bombenanschlag erschüttert; das Wort »Jude« wurde auf Haustüren gemalt. Im Frühjahr 1962 plante Rockwell eine gewaltige Parade zu Hitlers Geburtstag (20. April). Im August organisierte Rockwells britisches Pendant Colin Jordon eine internationale Konferenz der Neonazis im südwestenglischen Gloucesterhire. Ungeachtet eines Einreiseverbots des Londoner Innenministeriums nahm Rockwell teil. Auf dem Treffen wurde die Gründung eines »Weltbundes der Nationalsozialisten« (World Union of National Socialists) beschlossen.18 England schob den Hitler-Epigonen ab. Draufhin demonstrierten Rockwell und die Seinen vor dem Weißen Haus gegen diesen »Willkürakt« und die Tatenlosigkeit der US-Regierung in der Sache. Im September 1962 verlieh Rockwell einem seiner Hauptleute, Roy James, eine Verdienstmedaille, weil er kurz zuvor Martin Luther King in Birmingham/Alabama einen Faustschlag ins Gesicht versetzt hatte. Im Washingtoner Repräsentantenhaus wagten Rockwells Mannen eine historische Provokation. Den Anlass lieferte ihnen wieder einmal die Bürgerrechtsbewegung. Im Staate Mississippi erlaubte die reguläre Demokratische Partei keine schwarzen Abgeordneten. Daraufhin gründeten einige schwarze Bürgerrechtler die Mississippi Freedom Democrat Party (»Freiheitliche Demokratische Partei des Staates Mississippi«; kurz MFDP) und veranstaltete inoffizielle Wahlen. Die also gekürten Delegierten begaben sich dann am 4. Januar 1965 nach Washington zur ersten Sitzung des Repräsentantenhauses und verlangten demonstrativ und medienwirksam, dass man ihnen ihre Sitze in der Fraktion der Demokraten zuweise. Erwartungsgemäß wurden sie rasch hinauskomplimentiert. Dafür gelang es dem Rockwell-Adjutanten Robert A. Lloyd, in die Kammer vorzudringen. Mit Zylinder und schwarz bemaltem Gesicht stürmte der Neonazi herein und rief, die Sprechweise der südstaatlichen Neger veralbernd: »Ich Delegation von Mississippi! Wo sein Plätze von Demokraten? Ich da auch sitzen wollen!« Um sicherzustellen, dass alle kapierten, was das Ganze sollte, schrie Lloyd, während man ihn hinausschleppte, noch rasch: »Gott segne Amerika! Es lebe Rockwell!«19 Im Juni 1966 wurde dem so Gerühmten in New York wegen Erregung öffentlichen Ärgernisses durch Zeigen nazistischer Symbole der Prozess gemacht. Rockwell ließ sich durch einen jüdischen Anwalt vertreten. Schließlich verzichtete das Gericht auf eine Bestrafung, der Meinungsfreiheit wegen – jener Freiheit, die Rockwell seinen Feinden niemals zubilligen mochte.

So gelang es Rockwell eine ganze Weile, sich und die American Nazi Party durch schlagzeilenträchtige Aktionen im öffentlichen Bewusstsein zu halten. Dies schien ihn jedoch nicht auszufüllen. Längst sah er neue Herausforderungen. Wer die Welt erobern wolle, so sagte er sich wohl, müsse international aufgestellt sein wie der Feind und brauche eine philosophische Fundierung. Mit der erwähnten World Union of National Socialists (WUNS) war der erste Schritt in die Internationalität getan, und das gedankliche Rüstzeug trachtete Rockwell zu liefern oder wenigstens zu besorgen. Die WUNS vereinte rechtsradikale Parteien und Gruppen aus verschiedenen Ländern, darunter England, den USA, Chile, Dänemark, Frankreich, Argentinien und Australien. Bei der Gründung im August 1962 hatte noch Colin Jordan die Leitung inne, doch da dieser kurze Zeit später wegen Störung der öffentlichen Ordnung ins Gefängnis kam, ging die Funktion auf Rockwell über. Mit der WUNS besaß Rockwell nun eine Plattform, von der aus er international vernehmbar war. Es musste eine Programmatik entwickelt und verbreitet werden, welche die national Gesinnten aller Welt ansprach und auch die Jüngeren unter diesen begeisterte. Der neue Nationalsozialismus, erklärte Rockwell kurzerhand, sei ein rassischer Idealismus. Die partikulären Nationalismen der Einzelstaaten gehörten der Vergangenheit an; jetzt sollten sich die Arier aller Länder vereinigen zum globalen Kampf um die Wiedererlangung der Macht. Nur mit einer solchen Ideologie, glaubte Rockwell, könne man gegen die jüdische Weltverschwörung und das Vordringen der farbigen Völker in weiße Bastionen überall auf dem Planeten geistig mobilisieren. Bei solcher Zielsetzung konnte es nicht schaden, ein publizistisches Forum zur Verbreitung der neuen, international perspektivierten Nazi-Ideologie zu schaffen. So erschien ab Frühling 1966, verlegt von Rockwells Hauptquartier in Arlington, die Zeitschrift National Socialist World, eine Art Zentralorgan der WUNS.20

Zum Herausgeber bestimmte Rockwell einen Neuzugang innerhalb der rechten Szene, den 1933 geborenen Ex-Physiker Dr. William Luther Pierce. Dieser hatte eine akademische Laufbahn hinter sich: Studium in Houston/Texas (Rice University) und Pasadena/Kalifornien (California Institute of Technology), Promotion in Boulder an der renommierten University of Colorado, dann drei Jahre Lehrtätigkeit in Corvallis an der Oregon State University. Als führendes internationales Periodikum der Neurechten gab sich die National Socialist World alle Mühe, als Zeitschrift mit Niveau durchzugehen. Das aufwendig produzierte Blatt brachte längere Artikel und Buchrezensionen; es war eindeutig für ein gebildetes und belesenes Publikum konzipiert. Das Magazin sollte vierteljährlich herauskommen, und jede Nummer sollte über hundert Seiten umfassen. Die erste enthielt eine philosophische Lobpreisung des Nationalsozialismus von Colin Jordan und eine Würdigung der derb-volkstümlichen Elemente der nationalsozialistischen Propaganda von George Lincoln Rockwell. Besonders exponiert wurde ein Auszug aus der geschichtsmetaphysischen Schrift The Lightning and the Sun (»Blitz und Sonne«) von Savitri Devi, der Wahl-Hinduistin mit dem großen Faible fürs Indogermanisch-Nordische, deren Konglomerat aus indischer Religion und Hitler-Kult einen tiefen Einfluss auf neonazistische Intellektuelle ausübte (vgl. Kapitel 5). Die National Socialist World erschien bis Winter 1968 sechsmal; sie brachte neben »klassischen« Texten des Nationalsozialismus – etwa Gottfried Feders 25-Punkte-Programm der NSDAP von 1920 – weiterhin Artikel zu Zeitgeschichte und Tagesgeschehen; so schrieben Matt Koehl über nationalsozialistische Programmatik heute und Robert F. Williams über die Rassenkriege in Amerika.21

Während ein Teil jeder Nummer das historische Gedenken an Adolf Hitler und das Dritte Reich pflegte, setzte das Blatt doch sein Hauptaugenmerk auf die bedeutsame Rolle der USA im kommenden globalen Rassenkampf. In einem langen Artikel für die Ausgabe Sommer 1967 antizipierte William Pierce schon einmal die Schlachtordnung: »150 Millionen mehr oder weniger arische Weiße« würden dereinst im unvermeidlichen Krieg um die Oberherrschaft, ja ums Überleben »25 Millionen Negern und 6 Millionen Juden« gegenüberstehen. Dass der Konflikt im Rassischen begründet liege, werde der Öffentlichkeit systematisch verschwiegen; die Juden, welche Medien, Finanz- und Erziehungswesen kontrollierten, hätten auch kein Interesse daran, dass sie es erfahre. In allernächster Zeit, so prophezeite er düster, werde sich nichts zum Besseren wenden. Die Unruhen würden sich fortsetzen. Die Neger würden weiter rebellieren, brandschatzen, morden, und als Ursachen würde man wie üblich Armut und Diskriminierung nennen, nicht zu vergessen die Vorurteile und die Bigotterie der Weißen, die Ungerechtigkeit und Brutalität der Polizei. Auf schwarze Missetaten würde man mit Milde bei Gericht und erweiterten Wohlfahrtsprogrammen reagieren; die Gesellschaft müsse eben noch toleranter sein, werde es heißen, während Amerika in ein Inferno abgleitet. Aktive Nationalsozialisten, befürchtete Pierce, würden bald zu Geächteten und müssten den Weg in die Illegalität, in den Untergrund gehen. Ein Trost aber bleibe: Wenn einmal »das arische Amerika zu rassischem Selbstbewusstsein findet, sich organisiert, die Muskeln spannt und erstes Blut riecht, werden die Juden den Negern binnen Kurzem in den Abfalleimer der Geschichte folgen.«22

 

Rockwell war sich durchaus im Klaren darüber, dass Provokationen und Publicity-Coups allein eine Bewegung nicht weiterbringen. Daher begann er eine Langzeitstrategie zu entwickeln; eine Massenorganisation sollte aufgebaut und eine effektive Wahlkampagne vorbereitet werden. Am 1. Januar 1967 erhielt die Partei einen neuen Namen: Sie hieß nun National Socialist White Peoples’ Party (»Nationalsozialistische Partei der Weißen«), kurz NSWPP. Auf einer Konferenz im Juni wurden wichtige organisatorische Fragen erörtert, etwa wie man Parteivermögen bildet, Propagandatexte verfasst und Mitglieder wirbt.23 Doch ein Schicksalsschlag bereitete der Umsetzung aller hochfliegenden Pläne ein jähes Ende. Am 25. August 1967 wurde George Lincoln Rockwell in Arlington erschossen, als er gerade mit seinem Auto aus einer Parknische vor einem Waschsalon zurücksetzte. Der Attentäter: John Patler, ein ehemaliger Gefolgsmann des Ermordeten, kurze Zeit Chefredakteur der Parteizeitung The Stormtrooper (»Der Sturmtruppler«). Patler hatte mehrere Rechtsgruppierungen durchlaufen; erst kam er zur National Renaissance Party (»Partei der nationalen Wiedergeburt«), dann landete er in Rockwells Nazi-Partei, bis er seinen eigenen Politverein gründete, die American National Party, die von Sommer 1962 bis Frühjahr 1963 existierte. Anschließend wandte er sich wieder Rockwell zu, aber es gab immer wieder Ärger zwischen den beiden – wegen Patlers instabilem Charakter, hieß es, und wegen seiner marxistischen Neigungen. Aber auch seinen Rassenfanatismus trieb er so weit, dass es selbst Rockwell über die Hutschnur ging. Im März 1967 warf er Patler schließlich hinaus: Der 29-jährige Heißsporn hatte in der Partei Zwietracht gesät, indem er gegen alle Mitglieder agitierte, die eine etwas dunklere Haut hatten, als es dem imaginierten Idealbild des Ariers entsprach. Dann August 1967: das Attentat. Patler wurde wegen Mordes angeklagt, für schuldig befunden und zu zwanzig Jahren Gefängnis verurteilt.24

Durch Rockwells Tod hatte die amerikanische Nazi-Bewegung nun zwar ihren Märtyrer. Aber ihr fehlte fortan die integrierende Leitfigur, und so zersplitterte sie in kleine rechtsextreme Gruppen, eine fanatischer und paranoider als die andere und sich gegenseitig misstrauisch beäugend und befehdend. Die circa fünfhundert Mitglieder der NSWPP liefen auseinander und formierten sich zu neuen Trüppchen, nicht selten hinter Personen, die im Verband des »American Fuehrer« höhere Funktionen bekleidet hatten. Die meisten der Versprengten an sich binden konnte der erfahrene Parteiaktivist Matt Koehl, seit 1960 dabei, jahrelang Rockwells Stellvertreter und von diesem als Nachfolger ausersehen. Koehl behielt für seinen Block den Namen National Socialist White Peoples’ Party und das Hauptquartier in Arlington. James Warner, ANP-Urmitglied und dann ein paar Jahre Rockwells Parteisekretär, gefiel der alte Parteiname besser, also nannte er sein Konkurrenzunternehmen in Kalifornien American Nazi Party. Von den übrigen Sektionen, die sich aus der Erbmasse der Rockwell’schen Partei rekrutierten, erscheinen erwähnenswert die National Socialist Liberation Front (»Nationalsozialistische Befreiungsfront«), die National Socialist Party of America, die National Alliance und die Christian Defense League (»Christliche Verteidigungsliga«).

Matt Koehl, Sohn deutsch-ungarischer Einwanderer, wurde am 22. Januar 1935 als Matthias Koehl jr. in Milwaukee/Wisconsin geboren. Zunächst studierte er Journalismus an der University of Wisconsin in Madison, ging dann zum U.S. Marine Corps und leistete dort zwei Jahre aktiven Dienst. Schon auf der Schule wurde er Antisemit. Mitte der 50er-Jahre trat Koehl in New York James Madoles National Renaissance Party bei. 1957 beteiligte er sich am Aufbau der United White Party (»Vereinte Partei der Weißen«) in Knoxville/Tennessee. 1958 war er für überregionale Koordination wiederum einer anderen Partei tätig, nämlich der National States’ Rights Party, die – wir erinnern uns – besonders heftig gegen die Anwendung der von Washington verfügten Rassenintegrationsgesetze in den Südstaaten agitierte.25 1960 fand er seine vorerst letzte politische Heimat in Rockwells Bewegung. 1961 ernannte man ihn zum Leiter der Ortsgruppe Chicago der American Nazi Party. 1963 stieg er ins Arlingtoner Hauptquartier auf und bekleidete dort mehrere Posten, so den des nationalen Koordinators der nun NSWPP heißenden Rockwell-Partei und den des Korrespondenzsekretärs der WUNS. Auch journalistisch wurde er wieder tätig; sowohl das parteieigene NS Bulletin als auch das WUNS Bulletin gab Koehl heraus. Hingetrieben zur Nazi-Partei hatten ihn erstens der Stolz auf seine deutsche Abstammung, zweitens seine Bewunderung für Adolf Hitler, die Züge religiöser Schwärmerei trug. Ein früher Artikel Koehls, erschienen in der National Socialist World, pries Hitler als Idealisten, als Visionär, als Schöpfer einer neuen heroischen Weltanschauung. Hitler, so Koehl, sei eben kein engstirniger deutscher Nationalist gewesen, der nur das Wohl des eigenen Volkes im Auge gehabt hätte; vielmehr habe sein Wirken der Wiedererweckung der Arier aller Länder gegolten, der Edelrasse schlechthin, die endlich die Geschicke der Menschheit in die Hände nehmen sollte – eine Sichtweise, die Koehl von der Pan-Arierin Savitri Devi übernommen hatte. Das Hakenkreuz symbolisiere »die Mission, für den Sieg des arischen Menschen zu kämpfen«, für die Neue Ordnung, das heißt rassische Blutsbrüderschaft weltweit.26

1968 proklamierte Koehl: »Adolf Hitler ist der Nationalsozialismus, und der Nationalsozialismus ist Adolf Hitler« und beschrieb die Nazi-Ideologie als einen neuen Glauben, als eine neue Konfession. Harsch trat er Kritikern entgegen, die sich befremdet zeigten, dass sich Amerikaner für ein obsoletes Phänomen der deutschen Geschichte engagierten. Wer so denke, der verfehle »die erhabene Wahrheit, die Adolf Hitler der Welt vor bald 50 Jahren enthüllt hat. […] Es geht uns nicht um irgendwelche oberflächliche Veränderungen im Politischen oder Sozialen. Was wir anstreben, ist eine universale Transformation aller Dinge und Begriffe, eine Umwälzung nie dagewesenen Ausmaßes«. Nur hohe Ideale geben dem Leben des Menschen einen Sinn, die Vervollkommnung der Welt sei so eines; die aber könne nur gelingen, wenn man jene Elite gewähren lasse, welche die Natur dazu ausersehen habe – Gedanken, die Matt Koehl unmittelbar von Hitler übernahm; er zitierte in diesem Zusammenhang eine Passage aus Mein Kampf, wo Hitler darlegt, »die völkische Weltanschauung« entspreche »dem inneren Wollen der Natur, da sie jenes freie Spiel der Kräfte wiederherstellt, das zu einer dauernden gegenseitigen Höherzüchtung führen muss, bis endlich dem besten Menschentum, durch den erworbenen Besitz dieser Erde, freie Bahn gegeben wird zur Betätigung auf Gebieten, die teils über, teils außer ihr liegen werden«27.

Zu Beginn der 80er-Jahre unterzog Matt Koehl die Nazi-Partei einer gründlichen Umstrukturierung – und einer Umbenennung: Seit 1983 heißt sie New Order. Eine raffiniert doppelsinnige Namensgebung: New Order bedeutet einmal natürlich »Neue Ordnung«, dann aber auch »Neuer Orden«. Letzteres hat der Parteireformer Koehl jedenfalls mit gemeint, denn er begreift New Order als quasi-religiöse Gemeinschaft, die den Ideen des Führers aus Braunau huldigt. Tatsächlich tritt in dieser Formation der rückhaltlose Hitler-Kult noch deutlicher zutage als je zuvor. Glaubt man den Verlautbarungen ihrer Organe, hat New Order etwa zweihundert Vollmitglieder und circa vierhundert aktive Sympathisanten. Amerikaweit gibt es vierzig regionale Untergliederungen, verteilt über achtzehn Staaten von Kalifornien bis zur Westküste. Zu den regulären Aktivitäten gehören das feierliche Begehen von Hitlers Geburtstag und das Veranstalten von Vorträgen und Seminaren, auf dass die Frohe Botschaft des Nationalsozialismus unters Volk getragen werde. Die Richtung weist dabei »Commander« Matt Koehl höchstselbst, mit Programmreden überwiegend vor der einheimischen Anhängerschaft, gelegentlich auch auf europäischen Nazi-Tagungen. Dazu kommen Grundsatzartikel in der Parteipresse; Bücher hat Koehl auch schon veröffentlicht, so 1972 The Future Calls (»Die Zukunft ruft«) und 1995 Faith of the Future (»Der Glaube der Zukunft«). Ein gewaltiger publizistischer Ausstoß in markiger, geradezu evangelikaler Prosa soll der Bewegung Orientierung geben, dem Novizen wie dem bewährten Kämpfer.

Was die Parteizentrale in Milwaukee feilbietet, erinnert nicht von ungefähr an Devotionalien. Da gibt es etwa kleine Votivbilder mit dem Porträt Hitlers und der Zeile: »Er lebt!« Ein anderes Kärtchen enthält – in zwei Sprachen, Vorderseite englisch, Rückseite deutsch – ein feierliches Wortgebilde, »Unser Credo« betitelt. Es imitiert gezielt das Glaubensbekenntnis aus der christlichen Liturgie, wobei es, bewusst blasphemisch, Jesus Christus durch Hitler ersetzt; der pathetische Überschwang lässt das pseudoreligiöse Machwerk freilich wie eine Parodie wirken:

 »Wir glauben an Adolf Hitler,

 den unsterblichen Führer unsere Rasse,

 wunderbares Geschenk der Vorsehung,

 Größter der Großen aller Zeiten,

 lebendig in unseren Herzen heute und immerdar.

 Wir glauben an sein heiliges Ziel,

 welches da ist die Neue Ordnung,

 die Erfüllung der arischen Bestimmung

 gemäß den ewigen Gesetzen des Lebens,

 Hoffnung und Zukunft unserer Art auf Erden.

 Wir glauben an seine Bewegung,

 an seine treue und einige Nachfolgerschaft,

 die den Namen seines hehren Zieles trägt

 und das Werkzeug seines Willens ist,

 geweiht durch das Blut der Helden und Märtyrer –

 der einzige Weg zur Erlösung der Welt.

 HEIL HITLER!«

In seinen Artikeln, seinen Büchern und seinen Reden vor New-Order-Publikum nimmt Matt Koehl regelmäßig Bezug auf religiöse Mythen und Symbole. Koehls Ergüsse sind stark beeinflusst von der Kosmologie und Naturphilosophie der »Hindu-Arierin« Savitri Devi. Im April 1987 schreibt er zu Hitlers Geburtstag ein Editorial, betitelt »Resurrection« (»Auferstehung«), in dem er aus einem der wichtigsten heiligen Bücher der Hindus zitierte, der Bhagavad Gita, laut Savitri Devi das »alte Buch arischer Weisheit und Welterschließung«. Koehl führt die Stelle an, wo Gott Krishna (eine Verkörperung Vishnus) den Menschen verspricht, sich immer wieder zu inkarnieren: »Wenn Tugend und Rechtschaffenheit am Boden liegen und das Böse und das Laster triumphieren, werde ich der Erde wiedergeboren, um sie zu retten. So erschaffe ich mich neu von einem Zeitalter zum anderen.« Großes gehe unter, um neu zu erstehen, wie es dem ewigen Willen der Natur entspreche, und nicht anders laufe auch die Weltgeschichte: ein Gedanke, den Koehl – Hinduistisches, Heidnisches und Christliches vermengend – gern und häufig bemüht, selbstverständlich nicht ohne eine Beziehung zu seinem historischen Idol herzustellen: »Adolf Hitler kam zur Welt auf unserer Erde. Er wurde Fleisch und Blut. Er kämpfte, und er starb«. Dass Hitler scheiterte und sich opferte, war Koehl zufolge eine außenbestimmte Notwendigkeit. Die Katastrophe von 1945 bildet die unerlässliche Vorbedingung für die spätere Wiederkunft des einstweilen Vernichteten als Schöpfer einer neuen Welt. »Hitler lebt in unseren Herzen und in unseren Gedanken«, behauptet Koehl und fügt, die bekannten Worte des Lukasevangeliums abwandelnd, hinzu: »Unser Führer ist auferstanden. Er ist wahrhaftig auferstanden!«28

 

In einer Rede vor niederländischen, flämischen und deutschen New-Order-Mitgliedern, 1991 irgendwo in Europa gehalten, deutet Koehl das Ende des Zweiten Weltkriegs als schmerzhafte, aber unverzichtbare Station auf dem Weg zum Heil, wie sie ähnlich auch die Jünger Christi hatten durchschreiten müssen. Die Situation des Nationalsozialismus nach dem Sturz Hitlers 1945 verglich Koehl mit der Situation der frühen Christen nach der Kreuzigung Jesu im Jahre 33. Damals schien die neue Religion geschlagen, ihre Anhänger waren verstreut in alle Winde und litten Verfolgung. Doch sie resignierten nicht; sie wussten ja, dass Christus in Golgatha über Tod und Hölle triumphiert hatte. Sie glaubten fest an seine Auferstehung und an sein bald kommendes Reich. Und tatsächlich, im 4. Jahrhundert war es so weit: Ihre Religion wurde Staatsreligion. Diese Wende nennt Koehl in einer recht geschmacklosen Metapher den »Endsieg« des Christentums und stellt die rhetorische Frage, ob die neuen Nationalsozialisten wohl den gleichen Siegeswillen aufbrächten wie die Christen der Antike. Grund genug hätten sie, meint Koehl. Wie lange der Kampf sich hinziehe, sei unwichtig, aber es bedürfe eines unerschütterlichen Glaubens, um ihn durchzustehen: »Wir können den Anfang machen. […] Ob es nun 50 Jahre, 100 Jahre, 500 Jahre oder 1000 Jahre dauert – entscheidend ist allein die Gewissheit, dass eines Tages – liege er fern oder nah – die Sache, für die Adolf Hitler stritt, auf Erden triumphieren wird.«29

Trotz seiner Ablehnung des Christentums als eines artfremden (semitischen) Glaubens bediente sich Matt Koehl bei der Darlegung der New-Order-Parteidoktrin immer wieder religiöser Symbole unfehlbar christlichen Ursprungs. Er hebt Hitler zum Retter, ja zum Messias der arischen Rasse empor: »Uns Ariern ist er Gesetz und Wegweiser für alle Zeit. Er ist unsere Hoffnung, unsere Erlösung.« Er spricht von Hitlers »Verklärung«, vom »heiligen Gefolge«, das sich hinter ihm versammele. Besonders mit Erlösungssymbolik überlädt Koehl seine Verkündigungen dergestalt, dass es ihn geradezu davonträgt: »Tief steht schon die Sonne, die sterbende Zivilisation wirft lange Schatten über eine verwirrte und verzweifelte Welt und taucht sie in Finsternis, aber der Glaube leuchtet fort, der Glaube an eine bessere Zukunft. […] Diese Zukunft wird sein eine strahlende Neue Ordnung […], geleitet und gelehrt von der unsterblichen Persönlichkeit des Größten, der je auf Erden wandelte«.30 Man findet wohl schwerlich einen glühenderen Ausdruck inbrünstiger Hitler-Verehrung als dieses messianisch-apokalyptische Geschwalle, und schwerlich einen, der so offenkundig christlichen Vorbildern nachgestaltet ist.

Mit vielen fundamentalistischen Sekten teilt die New Order die aggressive Absage an die moderne liberale Welt, die in ihren Augen bestimmt wird von Zügellosigkeit, moralischem Verfall sowie mentaler und körperlicher Verseuchung. Anders als die religiösen Eiferer beklagen die Neonazis jedoch nicht Gottferne, sondern Artferne. Jene, die Hitler gemäß den Standards seiner demokratischen Gegner be- und verurteilen, fragt Koehl, was die Sieger von 1945 der Welt denn so Segensreiches beschert haben. Wie sieht ihre Bilanz aus, fünfzig Jahre nach der Niederwerfung Hitlers? Welches sind die großen Gaben, die der Triumph der Alliierten ihren Völkern brachte? Koehl antwortet: Eigennutz, Konkurrenzdenken, rasender Konsumismus, Umweltverschmutzung und Rassenvermischung. Womit haben die Bezwinger des braunen Deutschlands beispielsweise Amerika beglückt? »Sie verfälschten die nationale Demographie und nannten es ›Integration’, derzuliebe die Weißen allerlei schlucken mussten: gemischtrassige Busfahrten, Minderheitenförderungsprogramme, positive Diskriminierung, political correctness, die Leidensgeschichte der Schwarzen – und den Holocaust. Sie bescherten uns Permissivität, MTV und Teenager-Selbstmorde. Sie bescherten uns sicheren Sex und unsichere Straßen sowie restriktive Waffengesetze. Sie bescherten uns Rock’n’Roll und Beratungszentren für Vergewaltigungsopfer. Sie bescherten uns ›alternative Lebensstile’, Analverkehr, AIDS, Pornographie, Perversion, Chaos, Verbrechen, Korruption, Verblödung und Schwachsinn aller Art«31. Wahrlich eine erdrückende Fülle von Unerfreulichkeiten, kulturpessimistisch umgedeutet zu Symptomen der Agonie einer Gesellschaft, die dem Untergang geweiht ist. All diese Fehlentwicklungen, so will uns diese Suada einreden, sind eine direkte Folge der Niederlage des Nationalsozialismus. Aber dieser Triumph des liberalen Systems, meint Koehl, kann nicht ewig währen; die Krisensymptome künden ja schon sein nahes Ende, und bald wird die alte Ordnung abgelöst durch die Neue Ordnung, die alles gerade richtet.

Während Koehl gleichsam den Nazis eine Kirche baute, wollten einige NSWPP-Streiter ohne viel Federlesen Gewalt sprechen lassen: Terror sei der richtige Weg, befand etwa Joseph Charles Tommasi, geboren 1951, der junge Führer der NSWPP-Abteilung Südliches Kalifornien. Es sollte nicht bei Worten bleiben: 1974 gründete Tommasi die National Socialist Liberation Front (»Nationalsozialistische Befreiungsfront«), kurz NSLF. Er brach mit dem »ordentlichen«, spießbürgerlich-konservativen Image des amerikanischen Nazismus; er ließ sich die Haare wachsen und rauchte Marihuana wie die Hippies. Auch bei der militanten Linken entlehnte er das eine oder andere ideologische und strategische Element, sie freilich den klassischen nazistischen Zielen unterordnend. So forderte Tommasi den bewaffneten Guerillakampf gegen die »jüdischen Machtstrukturen« der Vereinigten Staaten. Auf einem berüchtigten NSLF-Poster stand der Satz: »Die Zukunft gehört den wenigen unter uns, die noch bereit sind, sich die Hände schmutzig zu machen«. Zu sehen war ein entsichertes Gewehr, entlang dessen Lauf sich die Worte zogen: »Politischer Terror. Die einzige Sprache, die sie verstehen«. Nur wenn das Gegenwärtige untergehe, so Tommasi ganz chiliastisch, blühe der Welt eine bessere Zeit; diesen Untergang müsse man mit Gewalt beschleunigen. Statt »Recht und Ordnung« wollte Tommasi Anarchie und Chaos; seien die erst geschaffen, meinte er, könne man das verhasste System und die verhassten Polizeikräfte, die es verteidigten, leichter attackieren. Internen Richtlinien zufolge sollten sich die NSLF-Guerilleros u.a. ausrüsten mit Magnumflinten, Reihenfeuerpistolen Kaliber 45 und halbautomatischen Armeesturmgewehren. Propagandaplakate zeigten eine Ruine mit grotesk verbogenen Stahlträgern: die Überreste einer Bank-of-America-Filiale, in der die Gruppe eine Bombe gelegt hatte. Das NSLF-Hausblatt Siege (»Belagerung«) brachte das Foto eines anderen zerstörten Terrorzielobjekts auf dem Cover; freilich hatte man das Bild nicht selbst geschossen, sondern schlicht aus einem fremden Magazin übernommen – dem der radikal linken Students for a Democratic Society (»Studenten für eine demokratische Gesellschaft«), kurz SDS.32

1975 wurde Tommasi von Mitgliedern eines rivalisierenden Neonazi-Trupps ermordet. Nach seinem Tod löste sich die NSLF auf. Ein Jahrzehnt schien es, als sei die Idee des bewaffneten Kampfes in der Szene vergessen – bis Mitte der 80er-Jahre eine rechte Vereinigung auf den Plan trat, die sich bald The Order nannten, bald Brüder Schweigen (oft verballhornt zu Bruders Schweigen) – ja, hier gab sich eine amerikanische Terrorbrigade provokativ einen deutschen Namen. Sie erregte um 1985 mit einer Reihe bewaffneter Anschläge beträchtliches Aufsehen. Ihr Inspirator war ein gewisser James N. Mason, geboren 1952, ein militanter Nazi, der sich Mitte der 60er-Jahre Rockwells Partei angeschlossen hatte. Über zehn Jahre blieb er ihr verhaftet, bis er dort keine Perspektive mehr erkannte. Amerikas Weiße, befand Mason, bräuchten eine neue supremazistische Bewegung, militant und opferbereit, die notfalls auch mit Gewalt gegen die Hauptunterdrücker des Landes kämpfe, nämlich gegen das Zionist Occupation Government (»Zionistische Besatzungsregime«), kurz ZOG – so die in rechten Kreisen gängige Denunziationsvokabel für die US-Regierung, welche man als ein jüdisch kontrolliertes Marionettenregime betrachtete.33 Bei der Suche nach Vorbildern stieß Mason auf Tommasis NSLF; also gründete er sie 1980 neu, desgleichen deren Hausblatt Siege. In dem predigte er nun vehement Gewalt gegen Andersrassige und Andersdenkende und Krieg mit allen Mitteln gegen das verhasste »System«. Als weiteren Mentor fand Mason den exzentrischen Kriminellen Charles Manson, geboren 1934, den berüchtigten Anführer einer wirrköpfigen esoterischen Sekte, der »Manson Family«, die sich hippiesk gebärdete, aber nicht vor Bluttaten zurückschreckte. Aufsehen erregte sie, als einige ihrer Mitglieder August 1969 in Los Angeles die berühmte Schauspielerin Sharon Tate und einige ihrer Begleiter töteten. Charles Manson wurde gefasst und erhielt schließlich wegen Anstiftung zum Mord lebenslänglich. In der konfusen Pseudo-Philosophie des Sektenführers mischten sich Anarchistisches, Satanistisches und Nazistisches mit der üblichen Antibürgerlichkeit und Drogenvergötzung der Hippies. Obwohl er in seine Stirn ein Hakenkreuz eingeritzt hatte, legte sich Manson politisch nie fest. James Mason jedoch sah in Manson den edlen Geächteten schlechthin und ernannte den einsitzenden Verbrecher zum geistigen Führer seiner neuen Nazi-Organisation, der Universal Order (»Weltorden« oder »Weltordnung«; die Wortprägung stammte von Manson). Masons Nazi-Religion erklärte sowohl Hitler als auch Manson zu Erlösern; so verknüpfte er Koehls messianische Frömmigkeit mit Tommasis millenaristischem Terrorismus. In seinen Beiträgen für Siege nahmen Huldigungen an Hitler, Tommasi, Manson und Savitri Devi breitesten Raum ein.34