Im Schatten der Schwarzen Sonne

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Dieses Buch war gedacht als Folgeband zu Die okkulten Wurzeln des Nationalsozialismus, der das Weiterleben nazistischer Okkultismen nach dem Zweiten Weltkrieg dokumentieren sollte. Darin, so meine ursprüngliche Erwartung, würde ich hauptsächlich schildern, wie irgendwelche unbelehrbaren Exzentriker fern aller Gegenwartsrelevanz altbraunes Gedankengut wiederkäuen und hilflos versuchen, ein wenig von der ehemaligen Strahlkraft faschistischer Mystik in die neue Zeit herüberzuretten. Doch je mehr meine Arbeit fortschritt, desto klarer wurde mir, dass ich die Darstellung breiter anlegen und anders perspektivieren musste. Was ich hier zu leisten hatte, könnte den Titel tragen: »Die Neuvölkischen in Amerika und Europa. Geschichte, Ideologie und Gruppierungen einer aktuellen Politreligion«. Ja, einer aktuellen, denn diese Bewegung, die so oft das Gestern bemüht, hat, wie meine Forschungen zumindest für die englischsprachigen Länder eindeutig belegen, durchaus das Heute und seine Probleme im Visier. Das völkische »Revival« ist, so gesehen, gleichsam die rückwärtsgewandte Reaktion auf den Siegeszug von Liberalismus und Globalisierung seit Beginn der 1980er-Jahre.

Alte und neue Völkische haben gemein, dass es sich bei ihrer Weltanschauung um eine Defensiv-Ideologie handelt. Während die originale völkische Bewegung im späten 19. Jahrhundert die deutsche Identität gegen die beginnende Moderne und ihre nivellierenden Tendenzen verteidigte, so verteidigen die Neuvölkischen die weiße Identität gegen Multikulturalismus, Gleichberechtigung und Massenimmigration aus der Dritten Welt. Die Weißen, so postulieren sie, sollen sich ihres Wertes wieder bewusst werden, sollen, um einen ihrer gängigsten Slogans zu zitieren, white pride zeigen, »weißen Stolz«. Die Ideologie, eine Art theoretischer Unterbau für den politischen Kampf, will nun genau bestimmen, was die so verehrte Identität eigentlich ausmacht und was nicht, und warum sie derart wertvoll ist. Und eben bei dieser Bestimmung kommen die Neuvölkischen – wie schon ihre Vorläufer – fast zwangsläufig ins esoterische Spintisieren und fabulieren von der allen überlegenen arischen Edelrasse, ihrem Geheimwissen und ihrem okkulten Erbe. Ein paar harmlose, isolierte Phantasten? Kaum. Die westliche Gesellschaft steht vor einer fundamentalen Herausforderung ihrer kulturellen Identität, und viele befürchten ihren Verlust. Wie die Ariosophen während der Hochzeit ihrer Aktivität (ca. 1890-1930), so artikulieren auch die heutigen White-pride-Gruppen diese Befürchtungen nur eben am radikalsten. Die alte völkische Bewegung war der ideologische Vorgänger des Nationalsozialismus und des Dritten Reiches. Das Aufkommen einer neuen völkischen Bewegung sollte uns also nachdenklich stimmen. Bisher erscheint die Lage stabil, aber wird dies in zwanzig, dreißig Jahren immer noch so sein, wenn »die Weißen« sich mehr und mehr marginalisiert sehen? Werden diese nicht irgendwann eine andere Politik, ja eine andere Gesellschaft fordern? Mir ist wohl bewusst, dass meine Studie über den Rassismus der Gegenwart hier und da provoziert. Sie liefert nicht immer das Resultat, das die politische Korrektheit sich wünschen mag, und sie wirft Fragen auf, die der liberalen Elite unangenehm sind und die sie daher entweder ignoriert oder für unzulässig erklärt.

Die neue rassistische Religiosität birgt beträchtliche Gefahren. Indem man die eine Rasse ins Helle stellt, rückt man alle anderen Rassen zwangsläufig ins Dunkle und macht deren Angehörige zu einem finsteren Popanz, auf den man die eigene Unzufriedenheit, Angst und Besorgnis projiziert. Die »Dunklen«, Träger allen Übels, erscheinen geradezu als Ursache dessen, was die »Hellen« bedrängt. Eine Verunstaltung und Perversion religiöser Transzendenz, nur dazu geschaffen, die Wirkkräfte von Hass und Ausgrenzung freizusetzen. Echte Spiritualität verbindet und führt im Namen des Höchsten zusammen; hier aber wird Parteilichkeit geübt, auseinandergerissen, eingeschränkt. Eine rigide Selbstgerechtigkeit zimmert sich da einen primitiven Dualismus auf geistigem Kellerniveau zurecht, demzufolge das Heil durch Vernichtung des Anderen gewonnen wird. Die politisch motivierte Projektion des religiösen Manichäismus auf Unterschiede zwischen Menschengruppen kann nur Unfrieden und Gewalt gebären. Wer die einen für grundsätzlich gut, die anderen für grundsätzlich böse erklärt, den einen als wesenhaftes Attribut das Licht, den anderen die Finsternis zuweist, vergeht sich an der Menschlichkeit, ja an der Menschheit selbst. Eine dergestalt erniedrigte Religion führt niemals zum Licht, sondern immer nur in die Finsternis. Das vorliegende Buch soll diese verhängnisvollen Glaubenslehren dokumentieren und auch begreiflich machen, warum sie trotz ihrer Abwegigkeit immer mehr Gefolgsleute finden. Vielleicht helfen diese Einblicke, so die Hoffnung des Autors, zu verhindern, dass noch einmal ein pseudoreligiöser Rassenfanatismus die Welt in Brand setzt.

1. Neonazismus in den USA

Der amerikanische Neonazismus darf nicht gleichgesetzt werden mit amerikanischem Nationalismus. Er entstand ja auch nicht auf amerikanischem Boden, sondern ist ein Import, ein exotischer gar. Die amerikanischen Neonazis erheben nicht die eigene Nation zum Idol, sondern paradoxerweise einen internationalen Faktor, nämlich die weiße Rasse. Die Weißen in Amerika, so predigen sie, sollten sich als Brüder aller Weißen auf der Welt verstehen, mit ihnen eine Bewegung bilden und sich global die Vorherrschaft sichern oder zurückerobern. Die Nation, der sie ihren Kampf weihen, ist die weiße Rasse schlechthin und weltweit, weshalb man von »rassischem Nationalismus« sprechen könnte. An ihrem großen Vorbild Adolf Hitler, in dem sie den verlorenen Erlöser der westlichen Welt sehen, fasziniert sie gewiss nicht seine Verklärung des Deutschtums, wohl aber ganz allgemein der Gedanke, dass es eine zum Herrschen bestimmte höherwertige Rasse gebe, der sich sämtliche anderen Völkerschaften unterzuordnen hätten; im englischsprachigen Bereich heißt solche Haltung »Supremazismus« (supremacism, von supremacy, »Überlegenheit«). Herrschen solle in dieser Welt nach dem großen Krieg aber nicht der Deutsche, sondern der Arier, eine pan-arische Bewegung müsse die Welt kontrollieren - dann freilich mit den USA, nicht Deutschland an der Spitze. Die Wurzeln des amerikanischen Neonazismus reichen zurück bis in die frühen 1950er-Jahre, in die Zeit des beginnenden Kalten Krieges. Zuerst hängte man sich an den kommunistenfeindlichen Diskurs in der amerikanischen Öffentlichkeit und verkündete, Hitler könne doch so übel nicht gewesen sein, schließlich habe er wenigstens versucht, die Sowjetunion zu vernichten. Bald stigmatisierte man denn auch die amerikanischen Juden und den Liberalismus mit den alten brachialen Mitteln der Nazi-Agitation als Helfershelfer des Kommunismus. Ihren eigentlichen propagandistischen »Dauerbrenner« bescherte der radikalen Rechten Amerikas aber erst die Bürgerrechtsbewegung der Schwarzen, die sich seit den frühen 60er-Jahren eine stetig wachsende Öffentlichkeit erkämpfte. Die offizielle Politik sah sich genötigt, die Diskriminierung der Schwarzen mehr und mehr abzubauen. Sie erhielten das Wahlrecht (auch in den Südstaaten) und wurden durch eine stattliche Reihe von Integrations- und Gleichstellungsprogrammen zusätzlich sozial gefördert. Grund genug für die amerikanischen Neonazis, ihr Heil im weißen Supremazismus zu suchen. Ähnlich wollten sie die in den 80er-Jahren einsetzende Massenimmigration aus Lateinamerika und anderen Dritte-Welt-Staaten nutzen, indem sie sich kurzerhand zur Fronttruppe im Kampf Amerikas ums Überleben als weiße Nation erklärten. Tatsächlich wird die Bevölkerung der USA ethnisch immer heterogener, und die Regierenden müssen das Kunststück vollbringen, in einer immer vielfältigeren multikulturellen Gesellschaft politischen Zusammenhalt zu stiften. An den Problemen, die dadurch entstehen, setzen die Rechtsradikalen mit ihren esoterischen Mystifikationen an. Diese suggerieren schlicht, die alte weiße Herrlichkeit lasse sich wiederherstellen. Sie sind nichts anderes als der Versuch, die religiösen Mythen des deutschen Nationalsozialismus auf amerikanische Verhältnisse anzuwenden. Die Reihe derer, welche die ideologische Feinarbeit bei dieser Adaptation leisteten, reicht von George Lincoln Rockwell (60er-Jahre) bis William Pierce (70er-/80er-Jahre), wobei die »Gedanken« des Letzteren bis in unser neues Jahrhundert herüberwirken.

Beginnen wir mit George Lincoln Rockwell, der sich in den 60er-Jahren zum »American Fuehrer« ausrief. Ihm gebührt der traurige Ruhm, die erste offen hitlerianische Rechtsformation der USA gegründet zu haben. Seine schon extravagante Hitler-Verehrung, seine hemmungslosen rassistischen Attacken gegen Juden und Schwarze und nicht zuletzt die Taktik der bewussten Überschreitung allgemein respektierter Grenzen, des kalkulierten Skandals, mit denen er Aufmerksamkeit für sich und seine Pläne zu erzwingen wusste, sichern ihm einen unbestreitbaren Platz in der Geschichte radikaler Politfolklore. Zuerst hatte Rockwell sein Glück mit rechtsextremen Gruppen traditionellen Zuschnitts versucht. Enttäuscht von deren Misserfolg, entschied er sich für einen anderen Stil. 1959 gründete Rockwell die American Nazi Party. Nicht nur der Parteiname schuf einen provokanten Bezug zu den braunen Vorbildern, sondern auch das öffentliche Erscheinungsbild. Ohne Scheu marschierte man in Sturmtruppen auf, schwang Hakenkreuzfahnen und erklärte, die Juden müssten wieder vergast werden. Rockwell sah sich vor einer steilen Karriere. Spätestens 1973, fantasierte er, sei er Präsident. Schwierigkeiten beim Regieren fürchte er nicht, ließ er verlauten, denn sowohl Senat als auch Repräsentantenhaus würden ihn unterstützen; bis dahin hätte seine Partei nämlich längst beide Kammern erobert. Was deren Programmatik betraf, so forderte Rockwell eine Politik, die den USA den Fortbestand als weiße Nation garantiere. Hinter dieser Zielvorstellung, resümiert in dem Schlagwort white survival (»weißes Überleben«), verbarg sich Brachiales, ja Mörderisches, nämlich die Rückumsiedlung der amerikanischen »Neger« nach Afrika und die Vernichtung der Juden. Sie seien die eigentlichen Feinde der USA, behauptete Rockwell; sie hätten die Aufhebung der Rassenschranken durchgesetzt und Amerika dem nationalen Zerfall und der kulturellen Degeneration preisgegeben.

 

Eine Mischung aus Clownerie und Provokation kennzeichnete Rockwells öffentliche Auftritte. Kurz nach Gründung seiner Partei demonstrierten er und die Seinen regelmäßig vor dem Weißen Haus und trugen Schilder mit aggressiven Sprüchen: »Vergast die jüdischen Sowjetspione«, hieß es da, oder »Kommunismus ist Judenkram«, oder »Nur ein Land des Nahen Ostens hat eine Kommunistische Partei: Israel«. Man quälte sich gar einen matten Reim auf Präsident Eisenhowers Spitznamen ab: »Save Ike from the kikes« (›Rettet Ike vor den Itzigs’). 1961 fuhr Rockwell mit einem Propagandagefährt durch die Südstaaten, das er hate bus (»Hassbus«) taufte – ein hämischer Konter auf die gegen die Rassentrennung protestierenden »Freiheitsfahrten« (freedom rides) der Bürgerrechtler – und das ringsum mit Parolen bemalt war, etwa »Ja, wir wollen keine Rassenvermischung« oder »Wir hassen den Judäo-Kommunismus«. Nicht überall fanden Rockwell und seine Neonazis Beifall; in New Orleans etwa wurden sie gar verhaftet. Man kehrte zurück nach Washington und kurvte dort wieder in einem Bus herum, diesmal mit dem Slogan: »Rockwell hat recht. Wer braucht Nigger?« In Boston und Philadelphia demonstrierte die Partei vor Kinos, die gerade den Film Exodus zeigten, der bekanntlich von der Massenauswanderung jüdischer Holocaust-Überlebender Ende der 40er-Jahre handelt. Auf den Transparenten stand die Forderung: »Amerika den Weißen – die Gaskammer den Verrätern«. Namentlich Mitte der 60er-Jahre machten Rockwell und seine Nazi Party durch zahllose Protestkundgebungen und Störmaßnahmen von sich reden. Bald hagelte es Strafanzeigen gegen die Sturmtruppler; die Vorwürfe reichten von Rauferei, Herumtreiberei und Körperverletzung bis hin zu Fahnenflucht, Verleumdung und unerlaubtem Waffenbesitz.

Wie wird jemand ein amerikanischer Nazi? Welche Komponenten müssen da zusammenkommen? Nehmen wir den Casus Rockwell.1 Bei ihm finden wir eine Melange aus religiöser Überzeugung und Idealismus, die sich nicht anders umzusetzen vermag als in einer polterigen Artikulation von Antisemitismus, weißem Supremazismus und Eugenik. Nun garantiert Poltern ja Aufmerksamkeit. Möglicherweise haben wir hier den Schlüssel: das Bedürfnis, Aufmerksamkeit zu erregen, sich zur Schau zu stellen. In Letzterem verrät sich vielleicht das familiäre Erbe: Beide Eltern arbeiteten am Theater. George Lincoln Rockwell wurde am 9. März 1918 in Bloomington/Illinois geboren. Der Vater, George Lovejoy Rockwell, englisch-schottischer Abstammung, war als »Old Doc Rockwell« ein gefragter Variété-Komiker, zu sehen auf den führenden Bühnen des Landes, so am Broadway; der Rundfunk verhalf ihm zu weiterer Prominenz. 1915 heiratete er Claire Schade, eine junge Spitzentänzerin deutsch-französischer Herkunft, die damals gemeinsam mit Eltern und Schwester die Variété-Balletttruppe »The Four Schades« bildete. 1918 bekamen George und Claire ihr erstes Kind, George Lincoln. Neun Jahre später trennte sich das Paar. Der kleine George lebte nach der Scheidung seiner Eltern teils bei der Mutter auf dem Land in Illinois, teils beim Vater in der mondänen Ostküstenstadt Boothbay Harbor/Maine. Der bekannte Mime führte dort ein gastfreies Haus und lud immer wieder bedeutsame Künstler-Kollegen ein, darunter Fred Allen, Benny Goodman und Groucho Marx. Dass die beiden Letzteren Juden waren, störte Rockwell senior offenbar nicht.

Rockwell junior erlangte die Hochschulreife im Internat Hebron Academy nahe Lewiston/Maine und studierte ab 1938 an der Brown University in Providence/Rhode Island (Nordwesten der USA), wo er Philosophie und Soziologie belegte. Bald zeigte er sich von den Gesellschaftswissenschaften abgestoßen; die egalitäre Attitüde, die damals in ihnen obwaltete, und die liberale Haltung der Dozenten passten ihm nicht. Später nannte er den Liberalismus die »schwachbrüstige kleine Schwester« des Kommunismus. Seine Noten waren nicht unbedingt brillant; dennoch konnte er sich in bescheidenem Rahmen profilieren, und zwar als Grafiker und Illustrator der Campuszeitung Sir Brown. Seine Beiträge reichten von Witzzeichnungen bis zu gewaltschwangeren Horrorcomics, die vor allem Zerstörung zeigten, namentlich Bombardements.2 Der Krieg bot ihm eine willkommene Gelegenheit, den Zwängen des ungeliebten Studiums zu entfliehen. Kurzzeitig ließ er sich von der antideutschen Welle innerhalb der öffentlichen Meinung mitreißen. Den unsicheren, nervösen, fahrigen jungen Mann drängte es zur Aktion. Er meldete sich 1941 zur Navy (der US-Marine), erwarb zusätzlich das Pilotenabzeichen und landete so bei der Seeluftflotte. Er flog zahlreiche Einsätze gegen deutsche U-Boote im Südatlantik und im Südpazifik; im August 1944 leitete er die Luftunterstützung während der Schlacht um Guadalcanal (östlich von Neuguinea) und der Invasion von Guam (nördlich von Neuguinea). Im Oktober 1945 schließlich entließ ihn die Armee mit diversen Auszeichnungen im Rang eines Korvettenkapitäns.3

Inzwischen hatte Rockwell auch geheiratet, eine Bekanntschaft aus seiner Universitätszeit. Nach seiner Demobilisierung entsann er sich erst einmal seines künstlerischen Talentes und mühte sich fünf Jahre, es zu seinem Beruf zu machen – nicht ganz erfolglos. Er besuchte das Pratt Institute, eine renommierte Kunsthochschule in New York, und bot schon bald seine Dienste der Werbung an. Auf diesem Gebiet arbeitete er eine Weile als Maler, Grafiker und Fotograf in den Staaten Maine und New York, besaß kurzfristig gar eine eigene Agentur und einen eigenen Verlag. 1948 beteiligte sich Rockwell an dem Wettbewerb, den die größte Förderungsgesellschaft für Illustratoren, die »Society of Illustrators«, jährlich US-weit ausrichtet, und gewann einen mit 1000 Dollar dotierten Preis. Eine viel versprechende Karriere als Werbekünstler hätte hier beginnen können – wäre nicht 1950 wieder ein Krieg dazwischen gekommen. Diesmal hieß der Feind Nordkorea. Rockwell ging zurück in den aktiven Dienst und trainierte Kampfpiloten in Südkalifornien. Der Koreakrieg entfachte in ihm permanenten Hass auf den Kommunismus und die paranoide Furcht, dieser könnte die USA unterminieren.4

Mit dieser Geisteshaltung begann George Rockwell in den frühen 50er-Jahren sein politisches Engagement. Seine erste große Leitfigur wurde General Douglas MacArthur, der Held des Koreakrieges; als dieser die Absicht bekundete, Präsident der USA zu werden, beteiligte sich Rockwell an der Wahlkampagne. Eine zweite Persönlichkeit, die ihn stark faszinierte und zum aktiven Einstieg in die Politik trieb, war Joseph McCarthy, republikanischer Senator des Staates Wisconsin, der im US-Kongress unermüdlich vor kommunistischer Unterwanderung warnte. Freilich erntete er lebhaften Widerspruch, besonders in weiten Teilen der Medien, was in George Rockwell tiefstes Unbehagen auslöste: Wer solch einen wackeren Mahner attackiere, so seine Meinung, könne keine redlichen Motive haben. Eine alte Dame in San Diego/Kalifornien, die ebenfalls bei der Wahlkampagne für den Kriegshelden mitarbeitete, zeigte ihm Zeitungen, die MacArthur und McCarthy besonders heftig schmähten und die von Juden kontrolliert seien. Daneben empfahl die Dame weiterführende Lektüre, so die Reden McCarthys und die Zeitschrift Common Sense (»Gemeinsinn«) des rechtsextremen Publizisten Conde McGinley, welche Bestürzendes über jüdisch-kommunistische Machenschaften zu berichten wusste, die laut Ansicht der Autoren hinter allen dramatischen Entwicklungen des 20. Jahrhunderts steckten. Ferner solle er, riet die Dame, unbedingt einmal Gerald L. K. Smith reden hören. Der sei zwar schon etwas betagt, vertrete die gemeinsame Sache aber mit rhetorischer Bravour; er spreche demnächst in Los Angeles. Rockwell fuhr hin und lauschte den antisemitischen Tiraden des greisen Volksverhetzers. Er war fasziniert von der emotionalen Verve, mit der Smith die »jüdische Verschwörung« und den »Griff des Judentums nach der Weltmacht« schilderte.5 Entsetzlich, wie wenig diese Gefahr doch wahrgenommen wurde! Er selbst jedenfalls wollte mehr darüber erfahren und vertiefte seine einschlägigen Kenntnisse in der Stadtbücherei von San Diego. Je mehr er las, desto mehr glaubte er an die Existenz einer jüdisch-kommunistischen Weltverschwörung. Vor allem zwei Dinge machten Rockwell perplex: zunächst die Enormität der Verschwörung selbst, nicht minder aber das Schweigen, das offizielle Politik und Medien darüber breiteten; wurde die Konspiration doch einmal erwähnt, dann, schien ihm, nur, um deren Existenz beharrlich zu leugnen. In den dunklen Regalschluchten der Stadtbücherei von San Diego erlebte George Rockwell eine Erleuchtung, sein politisches Erwachen. Längst schon hatte er empfunden, dass die Welt aus den Fugen und Unheil im Gange war – nun jedoch, das spürte er ganz deutlich, hielt er den Schlüssel zu Vergangenheit und Gegenwart in Händen. Aber wie sollte man gegen ein so monströses und weltweit agierendes Komplott kämpfen, noch dazu, wenn die eigene Regierung dermaßen töricht handelte? Angesichts der ungeheuerlichen Gefährlichkeit der jüdischen Weltverschwörung verstand Rockwell nicht mehr recht, warum Amerika sich mit der kommunistischen Sowjetunion gegen das »christliche Deutschland« verbündet hatte, »das nie [hier bei uns] einen Spion in Führungspositionen einschleuste und auch nie die Welt zu erobern begehrte«. So betrachtet musste Adolf Hitler mit seinem Kreuzzug gegen das Weltjudentum und den Kommunismus wie ein Verwandter im Geiste wirken. Hitler, so drängte sich Rockwell auf, hat die jüdische Bedrohung seit Beginn seiner politischen Karriere richtig eingeschätzt. Kein Wunder, dass die Juden seine Beseitigung anstrebten. Um ihrer eigenen Interessen willen haben sie England und Amerika in einen blutigen Konflikt mit dem deutschen Führer getrieben. Im Frühjahr 1951 fand Rockwell ein Exemplar von Mein Kampf in einem Buchladen vor Ort; er kaufte die Schrift, las sie – und sah die Welt neu:

»Mir war, als wäre in meinem Geist eine Sonne aufgegangen, die verschwenderisch ihren Glanz ausgoss und die graue Welt jäh in das helle Licht des Begreifens und Durchschauens tauchte. Wort für Wort, Satz für Satz stieß die Erkenntnis in das Dunkel voran gleich einem Gewitter der Offenbarung. Zerrissen und weggewischt die Spinnweben, die mehr als dreißig Jahre die Wahrheit verhüllt hatten; die Mysterien, bisher ein unergründliches Gewusel in einer verrückt gewordenen Welt, strahlend beleuchtet. Ich fühlte mich wie gebannt, wie hypnotisiert. […] Immer wieder musste ich staunen über die außerordentliche, unbeschreibliche Genialität, die sich in diesem Buch niederschlug. […] Der Nationalsozialismus, die bilderstürmerische Weltsicht Adolf Hitlers, war, dies wurde mir klar, ein wissenschaftlich fundierter Rassenidealismus; eigentlich sogar mehr noch: Er war eine neue Religion.«6

So konvertierte George Lincoln Rockwell zur Religion des Nationalsozialismus. Später sollte er den braunen Diktator regelrecht zum Erlöser hochstilisieren: »Künftige Generationen werden Adolf Hitler als den Weißen Retter des 20. Jahrhunderts betrachten und den Führerbunker in Berlin als das Alamo der Weißen Rasse.«7 (Im texanischen Fort Alamo hatten sich im März 1836 amerikanische Siedler und Soldaten verschanzt, die für die Unabhängigkeit der Provinz Texas von Mexiko kämpften. Sie wurden zunächst von der mexikanischen Übermacht geschlagen. Drei Wochen später jedoch gewannen die Amerikaner die entscheidende Schlacht; Texas wurde unabhängig und schließlich Teil der USA.)

Rund acht Jahre sollten nach dem epiphanischen Ereignis in der Bibliothek von San Diego noch vergehen, bis Rockwell als bekennender Hitlerianer an die Spitze der American Nazi Party trat. Vorerst erwarteten ihn andere Aufgaben. November 1952 versetzte ihn die Navy zur Flugzeugbasis Keflavik in Island, wo er zwei Jahre als F8F-Bearcat-Pilot zubrachte und den Rang eines Fregattenkapitäns erlangte. Hier lernte er auch seine zweite Frau kennen, Thora Hallgrimsson, Spross einer prominenten Familie des Landes und Nichte des isländischen Botschafters in den USA. Rockwell vertiefte sich erneut in die Lektüre von Mein Kampf und wählte für seine Flitterwochen gleich das passende Reiseziel: Berchtesgaden und Umgebung. Hier besuchten die beiden voller Ehrfurcht und Faszination, was von Hitlers Alpendomizilen heil geblieben war, so das Kehlsteinhaus, auch Adlernest genannt, eine Erholungsstätte auf schmaler Felsspitze, die sie wie einen Wallfahrtsort betraten.8 Nach seiner Rückkehr ins Zivilleben befasste er sich mit der Herausgabe von Zeitschriften – erstens, um Geld zu verdienen, zweitens, um seine politischen Ideen zu verbreiten. Daneben wurde er in rechtsgerichteten Vereinigungen aktiv; ihn störten freilich die Zersplitterung und Grüppchenwirtschaft, die in der Szene herrschten, und er strebte daher einen »Dachverband der konservativen Organisationen Amerikas« (American Federation of Conservative Organizations) an, wofür er sich sogar bemühte, seine knallharte Nazi-Ideologie hinter einer Fassade biederen Bürgersinns zu verbergen. Doch ließ er das Projekt resigniert fahren, als er erkennen musste, dass er mit eben dieser Strategie jene verprellte, auf die es ihm ankam, nämlich die eingeschworenen Schwarzenfeinde und Antisemiten.9

 

Aber Rockwell fühlte sich unvermindert zu politischer Tätigkeit gedrängt. Den entscheidenden Impuls versetzte ihm im Winter 1957/58 ein ständig wiederkehrender Traum, in dem er Hitler persönlich begegnete und dieser ihn zur Fortführung seines Kampfes ermunterte. So stritt er denn weiter gegen die »Macht der Juden in Amerika«. Er konnte dies nun in etwas größerem Stile tun, denn inzwischen hatte er einen Geldgeber aufgetrieben, den wohlhabenden Antisemiten Harold N. Arrowsmith. Flugs riefen die beiden das National Committee to Free America from Jewish Domination ins Leben, das »Nationale Komitee zur Befreiung Amerikas von der jüdischen Vorherrschaft«, Sitz: Rockwells Wohnhaus in Arlington/Virginia. Die Stadt ist funktional gesehen ein Wohn- und Verwaltungsvorort Washingtons; daneben beherbergt sie das Pentagon und den zu einer patriotischen Weihestätte avancierten Nationalfriedhof. Rockwells Arlingtoner Heim sollte in den Folgejahren der Ausgangspunkt vielfältiger politischer Aktivität werden. Nicht alles gelang auf Anhieb. Eine Außenseiterkandidatur für den Posten des Gouverneurs von Georgia etwa scheiterte. Doch der gewiefte Provokateur suchte weiter, die Herrschenden zu stellen; schließlich lieferte ihm ein Geschehen im Nahen Osten die Gelegenheit zu profilsichernder Konfrontation. Es ging um das arg bedrängte Chamoun-Regime im Libanon, das zwar bei den dortigen Arabern nicht besonders beliebt war, aber von Israel unterstützt wurde. Deshalb beschloss die US-Regierung im Mai 1958, Präsident Chamoun per Militäreinsatz aus der Patsche zu helfen. Am 29. Juli 1958 führte Rockwell eine Demonstration vors Weiße Haus, die gegen den jüdischen Einfluss auf die amerikanische Außenpolitik protestierte; auch in Atlanta/Georgia und Louisville/Kentucky organisierte er entsprechende Kundgebungen. Etwa um diese Zeit beteiligte sich Rockwell zudem in Georgia an der Gründung einer neuen rechtsradikalen Partei, der National States’ Rights Party.10 Der Terminus states’ rights bezeichnet die Souveränitätsrechte der Einzelstaaten gegenüber Washington; wenn Rassisten den Begriff gebrauchen, südstaatliche besonders, meinen sie allerdings hauptsächlich den (illegitimen) Anspruch, von der Zentralregierung erlassene Antidiskriminierungsgesetze nicht übernehmen zu müssen. Die National States’ Rights Party gebärdete sich, ganz nach Rockwells Geschmack, entschieden schwarzenfeindlich und antisemitisch. Da brachte ihn ein Attentat in Schwierigkeiten. Am 12. Oktober wurde ein Bombenanschlag auf eine Synagoge in Atlanta verübt. Während der Fahndung nach den Tätern nahm die Polizei vor Ort einige Gefolgsleute Rockwells fest. Nun berichteten die Medien auf der ganzen Welt über die gewaltbereite rechtsradikale Szene der USA, und immer wieder fiel in diesem Zusammenhang sein Name. Rockwell musste den neuen Ruhm mit einigen Unannehmlichkeiten bezahlen. Man bedrängte ihn und seine Familie empfindlich, auch zu Hause. Arrowsmith wiederum, sein reicher Gönner, mochte derart negativ apostrophiert nicht länger im Lichte der Öffentlichkeit stehen und entzog Rockwell die Unterstützung.11

Seine Frau und seine Kinder hielten dem Druck nicht stand und kehrten nach Island zurück. Gescheitert und geächtet, von seiner Familie und früheren Unterstützern verlassen, schien Rockwell Anfang 1959 am Ende. Wenn sich jetzt nichts tat, erwartete ihn eine Zukunft voller Trübnis und Einsamkeit. Aber es tat sich etwas, wenn auch zunächst nur innerlich. An einem kalten Märzmorgen saß er wieder einmal mutterseelenallein in seinem Haus in Arlington gegenüber einer riesigen Hakenkreuzfahne und einem Hitler-Bild und hielt mit beiden eine Art meditative Zwiesprache. Da hatte er, eigenen Berichten zufolge, ein »religiöses Erlebnis«, und fühlte sich für einen Moment im Stande des »universellen Bewusstseins«, wie fernöstliche Lehren derlei nennen würden. Endlich sei ihm klar geworden, dass er sich ganz und gar Hitlers Mission widmen müsse, nämlich dem totalen, weltweiten Sieg über die Kräfte der Tyrannei und der Unterdrückung. Die Konservativen und ihr Respektabilitätsgetue konnten ihm künftig gestohlen bleiben; mit ihnen würde er keine Bündnisse mehr eingehen, die ihn zum Relativieren der eigenen Position zwängen. Er würde nun offen als Nationalsozialist in der Tradition Adolf Hitlers agieren. Es blieb nicht bei der Vision und beim Gedankenspiel. Im März 1959 gründete Rockwell seine amerikanische Variante der NSDAP und nannte sie zunächst noch vage American Party, dann ganz unverhüllt American Nazi Party, kurz ANP. Sein Domizil an der North Franklin Road 2507 in Arlington baute er zum Hauptquartier der neuen Bewegung aus. Stolz flaggte er dort das Nazibanner; auf dem Dach prangte ein riesiges, von Scheinwerfern beleuchtetes Hakenkreuz. Auch rekrutierte er eine uniformierte Schutzgarde, »Sturmtruppe« genannt. Die Gardisten trugen zwar Grau- statt Braunhemden, dafür aber wie die Vorbilder Hakenkreuzarmbinden. Ihre Zahl wuchs zumindest so weit an, dass sie eine eigene Unterkunft brauchten. Rockwell kaufte in der Nähe einen heruntergekommenen Bauernhof und ließ ihn zur Kaserne umfunktionieren.12

Nachdem er sich dergestalt offen und unverhohlen zum Nationalsozialismus bekannt hatte, setzte er alle Energie daran, den »jüdischen Feind« zu provozieren, aber auch die amerikanische Mehrheitsgesellschaft, die er als passives Opfer der Juden betrachtete. Keine Gelegenheit ließ er aus, das konventionelle Amerika gezielt zu schockieren und zu empören, und dies beileibe nicht nur durch das Tragen von Uniformen und Insignien einer verfemten Bewegung. Ab 1960 jagte eine nassforsche Aktion die nächste, und Presse, Rundfunk und Fernsehen überschlugen sich geradezu mit Berichten. Dies gelang, wohlgemerkt, einer Formation, die nie mehr war als ein durchgeknalltes Randgrüppchen, das in seiner besten Zeit gerade einmal zweihundert Mann zählte.13 Umringt von flatternden Sternenbannern und Hakenkreuzfahnen, hielt Rockwell vor neugierigen Mengen und sensationsfreudigen Reportern Reden, in denen er ein Eugenikprogramm zur Reinigung der arischen Rassen forderte, das erst national, dann weltweit praktiziert werden sollte. Die Juden, so predigte er unermüdlich, steckten hinter den üblen Fehlentwicklungen der neueren Zeit; auf ihr Konto gingen Marxismus, Kulturbolschewismus, der Verfall der Rassen ebenso wie der ungezügelte Kapitalismus. Man müsse ihnen den Prozess machen und sie bei erwiesener Schuld hinrichten, und das hieß für Rockwell: vergasen. Die Methoden, mit denen er und die Seinen sich immer wieder erfolgreich mediale Publizität erzwangen, waren stets die gleichen: Man verteilte Hetzschriften, verursachte öffentliche Zwischenfälle und provozierte bei Versammlungen die Andersmeinenden unter den Zuhörern, bis diese sich zu gewaltsamen Gegenreaktionen hinreißen ließen.14 Neben den Juden hatte der Rassismus der ANP selbstverständlich auch die Schwarzen im Visier. Rassenvermischung und Integration waren der Partei ein Gräuel, hinter dem sie ebenfalls die Juden vermuteten, die mit solchen Machenschaften die arische Substanz des weißen Amerika zu verdünnen trachteten. Daher wollte Rockwell alle amerikanischen Neger nach Afrika rücksiedeln, in einem eigenen, von den USA noch zu gründenden Staat. Interessanterweise gab es auf Seiten der Afroamerikaner ähnliche Bestrebungen. Eine der radikaleren schwarzen Organisationen, die islamistisch ausgerichteten Black Muslims (»Schwarze Moslems«), lehnte ihrerseits jede Integration ab und verlangte einen eigenen Staat. Rockwell bekundete für diesen Teil des farbigen Amerika durchaus Sympathie; so erschien er am 25. Februar 1962 bei einer Großtagung der Black Muslims in Chicago als Gastredner, versicherte die über zwölftausend Versammelten seiner Solidarität und erklärte ihr Oberhaupt Elijah Muhamad kurzerhand zum »Adolf Hitler der Schwarzen«. Freilich ahnte Rockwell, dass die Schwarzen in ihrer großen Mehrheit wohl nicht einfach weichen würden. Deshalb, so verkündete er im vertraulichen Kreis, müsse der Deportation ein Rassenkrieg vorausgehen, der die Reihen der Schwarzen durch gezielte Massentötungen bereits merkbar lichte und mit dem man möglichst bald beginnen solle.15