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Der scharlachrote Buchstabe

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Kapitel 7
Das Haus des Gouverneurs

Esther Prynne ging eines Tages mit einem Paar Handschuhe, die sie auf Bestellung mit Fransen besetzt und gestickt hatte und die bei einer großen Staatsaktion getragen werden sollten, nach dem Haus des Gouverneurs Bellingham, denn wiewohl die Wechselfälle der Volkswahl den früheren Regenten um ein bis zwei Stufen vom höchsten Range herabgerückt hatten, so nahm er doch immer noch eine ehrenvolle, einflußreiche Stellung in der Magistratur der Kolonie ein.

Esther wurde aber zu dieser Zeit noch durch einen andern weit wichtigeren Grund als die Ablieferung eines Paares Handschuhe angetrieben, eine Unterredung mit einer Person von so großer Gewalt und so tätiger Wirksamkeit in den Geschäften der Kolonie zu suchen. Es war ihr zu Ohren gekommen, daß einige von den höherstehenden Bewohnern der Stadt, die sich zu strengeren Grundsätzen der Religion und Regierung bekannten, die Absicht hätten, sie ihres Kindes zu berauben. In der schon angedeuteten Idee, daß Perle dämonischen Ursprungs sei, waren diese guten Leute nicht ganz unvernünftigerweise zu dem Schlüsse gekommen, daß die christliche Teilnahme an der Seele der Mutter erfordere, dieser ein solches Hindernis der Seligkeit von ihrem Lebenspfade zu entfernen. Wenn das Kind anderseits wirklich einer moralischen und religiösen Ausbildung fähig sei und die Elemente besitze, welche es in den Stand setzen konnten, dereinst zur Seligkeit zu gelangen, so würde es, wie sie glaubten, bessere Aussicht haben, in Besitz dieser Vorteile zu kommen, wenn man es einer reicheren und besseren Person, als Esther Prynne, zur Erziehung übergebe. Unter denjenigen, welche mit diesem Plane umgingen, war Gouverneur Bellingham, dem Gerüchte nach, einer von den Tätigsten. Es mag unsern Lesern wohl sonderbar, um nicht zu sagen ein bißchen komisch, vorkommen, daß eine Angelegenheit, welche in späteren Zeiten keiner höheren Jurisdiktion übertragen sein würde, als der des Stadtrates, damals ein Gegenstand öffentlicher Diskussion war, in bezug auf welchen hochstehende Staatsmänner für und wider Partei nahmen. Zu jener einfachen Zeit wurden jedoch Dinge von weit geringerem öffentlichen Interesse und weit weniger innerer Wichtigkeit als die Wohlfahrt Esther Prynnes und ihres Kindes als Gegenstände der Beratungen gesetzgebender Körperschaften und der Staatsakte behandelt. Die Periode, wo ein Streit über das Eigentumsrecht an einem Schweine nicht nur einen bitteren, heftigen Streit unter der gesetzgebenden Körperschaft des Staates, sondern auch eine wichtige Modifikation der Verfassung selbst zur Folge gehabt hatte, war zur Zeit unserer Geschichte kaum erst vorüber.

Voller Bekümmernis, aber sich ihres Rechtes so bewußt, daß der Streit zwischen der Öffentlichkeit einerseits und einemschutzlosen Frauenzimmer, welches sich nur auf die Sympathien der Natur berufen konnte, auf der andern Seite ihr kaum ein ungleicher Kampf zu sein schien, verließ Esther Prynne ihr einsames Haus. Natürlich ließ sie sich von Perlchen begleiten. Diese war jetzt alt genug, um leicht neben ihrer Mutter her zu laufen, und hätte, da sie vom Morgen bis Sonnenuntergang in Bewegung war, ohne Mühe auch einen weiteren Weg, als den jetzt vor ihr liegenden, machen können. Dessenungeachtet verlangte sie oft, wenn auch mehr aus Laune als aus Notwendigkeit, auf die Arme genommen zu werden, worauf sie aber bald ebenso heftig forderte, daß sie Esther wieder zur Erde setzen möge und dann unter harmlosen Sprüngen und Scherzen auf dem Graswege vor dieser hin eilte. Wir haben von Perlens üppiger, luxuriöser Schönheit gesprochen; eine Schönheit voll tiefer, lebhafter Farben, einem von der Röte der Gesundheit geschmückten Gesichte, Augen voller Tiefe und Glanz und schon schimmernd braun gefärbtem Haar, welches in späteren Jahren fast schwarz zu werden verhieß. Sie war von Feuer erfüllt und hatte ganz das Wesen des Sprößlings eines unbedachten, leidenschaftlichen Augenblickes an sich. Ihre Mutter hatte bei der Anfertigung der Kleider des Kindes ihrer üppigen Phantasie freien Spielraum gelassen und es in ein Purpursamtkleid von eigentümlichem Schnitt mit Goldstickerei von krausen Kringeln gehüllt. Eine so reiche, warme Färbung, die Wangen von zarterer Blüte hätte bleich erscheinen lassen müssen, war aber für Perles Schönheit aufs trefflichste geeignet und machte sie zu dem glänzendsten kleinen Flämmchen, welches je auf Erden getanzt hatte.

Es war jedoch eine merkwürdige Eigenschaft dieser Kleidung und überhaupt des ganzen Äußeren des Kindes, daß es den Beschauer unwiderstehlich und unvermeidlich an das Zeichen erinnerte, welches Esther auf ihrem Busen zu tragen verdammt war. Es war der Scharlachbuchstabe in einer andern Form – der Scharlachbuchstabe, welcher mit Leben begabt worden war. Die Mutter selbst hatte, als ob die rote Schmach sich so tief und unverlöschlich in ihr Gehirn gebrannt habe, daß alle ihre Vorstellungen die Form derselben annehmen mußten, sorgfältig die Ähnlichkeit herausgearbeitet und viele Stunden krankhafter Übung ihres Scharfsinns darauf verwendet, eine Analogie zwischen dem Gegenstande ihrer Liebe und dem Zeichen ihrer Sünde und Qual zu erschaffen. In der Tat war Perle das eine sowohl wie das andere, und Esther hatte nur infolge dieser Identität den Scharlachbuchstaben in ihrem Äußeren so vollkommen darzustellen vermocht.

Als die beiden Wanderinnen in den Bereich der Stadt kamen, schauten die Kinder der Puritaner von ihren Spielen oder dem, was bei diesen düsteren kleinen Gesellen für Spiele galt in die Höhe und sprachen gravitätisch zueinander:

»Siehe wahrlich, dort kommt das Weib mit dem Scharlachbuchstaben, und das Bild des Scharlachbuchstabens läuft neben ihr hin. Kommt herbei und laßt uns die beiden mit Dreck bewerfen.«

Perle, die ein unerschrockenes Kind war, stürmte aber, nachdem sie die Stirn gerunzelt, mit dem Fuße gestampft und mit ihrer kleinen Hand eine Menge drohender Gebärden gegen ihre Feinde gemacht hatte, auf dieselben ein und trieb sie alle in die Flucht. Sie glich in ihrer wütenden Verfolgung einer Kinderpestilenz, dem Scharlachfieber, oder sonst einem halbflüggen Engel des Gerichts, dessen Sendung es war, die Sünden des aufwachsenden Geschlechts zu bestrafen. Sie kreischte und schrie in furchtbar lauten Tönen, bei denen die Herzen der Flüchtlinge ohne Zweifel erbebten. Sobald sie den Sieg errungen hatte, kam Perle wieder zu ihrer Mutter zurück und blickte ihr lächelnd ins Gesicht.

Sie gelangten ohne weitere Abenteuer in das Gebäude des Gouverneurs. Es war ein großes, hölzernes Haus, in der Bauart, von welcher mitunter noch Proben in den Straßen unserer älteren amerikanischen Städte vorhanden sind, die aber jetzt mit Moos überwachsen, verfallen und über die vielen freudigen und traurigen Ereignisse, welche sich in ihren düsteren Räumen zugetragen haben und teilweise noch innerlich, zum größten Teil aber vergessen sind, von Herzen wehmütig dastehen. Damals war ihr Äußeres aber noch frisch; erst vor kurzem erbaut, schimmerte aus ihren sonnigen Fenstern die Heiterkeit, welche Menschenwohnungen, in die der Tod noch nicht getreten ist, zu besitzen pflegen. In der Tat sah auch das Gebäude freundlich genug aus, da die Wände mit einer Art von Stukkaturarbeit bekleidet waren, in welche man Spiegelscheiben gemischt hatte und die, fiel die Sonne schräg darauf, dem Ganzen ein Aussehen verliehen, als ob man mit beiden Händen Diamanten dagegen geworfen habe. Dieser Glanz wäre eher in Aladins Palaste als in der Wohnung eines ernsthaften alten puritanischen Gesetzgebers am Platze gewesen. Das Haus war mit sonderbaren, dem Anscheine nach kabbalistischen Zeichen und Drudenfüßen, wie sie der ausgefallene Geschmack jener Zeit liebte, verziert und dadurch angebracht, daß man sie beim Bewerfen des Gebäudes in den Gips gezeichnet hatte, worauf sie zur Bewunderung späterer Generationen hart und dauerhaft geworden waren.

Als Perle dieses blanke Wunderwerk von einem Hause wahrnahm, begann sie zu tanzen und zu hüpfen und forderte gebieterisch, daß man ihm die ganze Breite des Sonnenscheins von der Vorderseite abstreifen und ihr zum Spielen geben solle.

»Nein, kleine Perle«, sagte ihre Mutter, »du mußt dir selbst deinen Sonnenschein sammeln. Ich kann dir keinen geben«.

Sie näherte sich dem Tore, das gewölbt war und auf beiden Seiten etwas hervorragende schmale Türme hatte, in denen sich Fenster mit hölzernen verschließbaren Läden befanden. Esther Prynne hob den an der Pforte hängenden eisernen Hammer und klopfte, worauf einer von den Bediensteten des Gouverneurs erschien, der, einst ein freigeborener Engländer, jetzt aber auf sieben Jahre zum Sklaven geworden war, während welcher Zeit er seinem Herrn geradeso gehörte undebensogut verkauft werden konnte wie ein Ochs oder Klappstuhl. Der Bedienstete trug einen blauen Rock, die gewöhnliche Tracht der Dienstleute jener Zeit und lange davor in den altvererbten Landsitzen.

»Ist der ehrenwerte Gouverneur Bellingham daheim?« fragte Esther.

»Allerdings«, antwortete der Bedienstete, der mit weit offenem Auge auf den Scharlachbuchstaben blickte, den er, vor kurzem erst angekommen, noch nie gesehen hatte. »Ja, Seine Ehren sind daheim. Es befinden sich bei ihm aber ein oder zwei fromme Geistliche und ein Arzt. Ihr könnt jetzt den Herrn nicht sehen.«

»Es tut nichts, ich will dennoch eintreten«, anwortete Esther Prynne, und der Bedienstete, welcher vielleicht dem schimmernden Symbole auf ihrer Brust und ihrem entschiedenen Wesen nach glaubte, daß sie eine große Dame des Landes sei, leistete keinen Widerstand.

Die Mutter und Perlchen befanden sich also jetzt in der Eingangshalle. Gouverneur Bellingham hatte, wenn auch mit vielen Abänderungen, welche die Art des Baumaterials, die Verschiedenheit des Klimas und der Lebensweise geboten, seine neue Wohnung nach dem Muster der Gebäude wohlhabender Herren in seinem Vaterlande eingerichtet. Hier gab es zuerst eine geräumige und leidlich hohe Halle, die sich durch die ganze Tiefe des Hauses erstreckte und eine mehr oder weniger direkte Verbindung mit allen Gemächern gewährte. An dem einen Ende war diese Halle von den Fenstern der beiden Türme erleuchtet, die an den Seiten des Einganges Nischen bildeten. An der andern Seite fiel das Licht, wenn auch von einem Vorhang gedämpft, durch eins von den erkerartigen Fenstern herein, von welchen wir in alten Büchern lesen. Es war mit einem Kissensitze versehen, auf welchem ein Folioband lag, wahrscheinlich eine Chronik von England oder etwas Gleichgewichtiges, wie wir in unserer Zeit auf den Mitteltisch Goldschnittbücher legen, damit sich der etwa einsprechende Gast daran unterhalten möge. Der Hausrat der Halle bestand aus einigen massiven Stühlen, deren Rücklehne reich mit Girlanden von in das Eichenholz geschnitzten Blumen verziert war, und einem Tische in demselben Geschmacke, sämtliche Gegenstände aus der Zeit der Königin Elisabeth oder wohl auch einer früheren, die der Gouverneur als Erbstücke aus seinem väterlichen Hause mit hierher gebracht hatte. Auf dem Tische stand zum Zeichen, daß das Gefühl der altenglischen Gastlichkeit nicht in England dahinten geblieben sei, ein großer zinnerner Krug, auf dessen Grunde Esther oder Perle, wenn sie hineingeschaut hätten, den Schaum des vor kurzem geleerten Inhaltes an Ale bemerkt haben würden.

 

An den Wänden hing eine Reihe von Bildnissen, welche die Ahnen der Bellinghamschen Familie darstellten; teilweise mit Brustharnisch, teilweise auch mit stattlichen Krausen und Gewändern des Friedens. Allen eignete die Strenge und Düsterkeit, welche alte Porträts so unweigerlich annehmen, als ob sie nicht sowohl die Abbildungen, sondern vielmehr die Gespenster der entschlafenen Honoratioren wären und mit hartem, unduldsamem Tadel auf die Geschäfte und Freuden der Lebenden blickten.

Ungefähr in der Mitte der eichenen Vertäfelung, mit welcher die Halle ausgekleidet war, hing eine Rüstung, welche, nicht wie die Gemälde, ein Erbteil der Ahnen, aus der allerneuesten Zeit herrührte, denn sie war in demselben Jahre, wo Gouverneur Bellingham nach Neu-England abreiste, von einem geschickten Waffenschmiede in London angefertigt worden. Sie bestand aus einer Stahlhaube, einem Brustharnisch, einer Halsberge und Arm- und Beinschienen, und darunter hingen ein Paar Stahlhandschuhe und ein Schwert. Alles, besonders aber der Helm und der Brustharnisch, war so hoch poliert, daß es mit weißen Strahlen zu glänzen schien und den Fußboden ringsumher erhellte. Dieser helle Waffenschmuck war nicht bloß zu müßigem Prunke bestimmt, sondern von dem Gouverneur bei mehreren feierlichen Musterungen und Manövern getragen worden und hatte sogar an der Spitze eines Regimentes im Kriege gegen die Pequot-Indianer Dienste geleistet. Gouverneur Bellingham war nämlich, obgleich zum Juristen erzogen und gewohnt, von Bacon, Coke, Noye und Finch als seinen Kollegen zu sprechen, doch durch die Bedürfnisse seines neuen Vaterlandes nicht bloß zu einem Staatsmann und Regenten, sondern auch zu einem Soldaten umgewandelt worden.

Perlchen war über die schimmernde Rüstung ebenso erfreut wie vorher über die schimmernde Front des Hauses und blieb einige Zeit vor dem polierten Spiegel des Harnisch stehen, in welchen sie blickte.

»Mutter«, rief sie, »ich sehe dich hier. Sieh nur! sieh!«

Esther blickte hin, um dem Kinde den Willen zu tun, und entdeckte, daß in diesem konvexen Spiegel der Scharlachbuchstabe in übertriebenen, riesenmäßigen Verhältnissen erschien, so daß er bei weitem den hervorragendsten Teil ihrer Erscheinung bildete. Sie schien geradezu hinter demselben zu verschwinden. Perle deutete sodann nach oben, wo an dem Helm ein gleiches Bild zu sehen war; dabei lächelte sie ihre Mutter mit dem koboldartigen verständigen Ausdruck an, der ihr so geläufig war. Auch diese Miene ungezogener Heiterkeit wurde von dem Spiegel mit solcher Breite und Intensität zurückgeworfen, daß Esther Prynne ein Gefühl hatte, als ob es nicht das Bild ihres Kindes sein könne, sondern das eines Kobolds sein müsse, welcher Perlchens Gestalt einzunehmen versuche.

»Komm hierher, Perle«, sagte sie, indem sie ihr Kind hinwegzog, »komm und schau in diesen schönen Garten hinaus; vielleicht sehen wir dort noch schönere Blumen, als wir im Walde finden.«

Perle entsprach dieser Aufforderung, lief nach dem andern Ende der Halle und blickte von dort aus dem Erkerfenster einen Gartenweg entlang, der mit kurzgeschorenem Gras besetzt und von einem unbeholfen angelegten Strauchwerk eingesäumt war. Der Eigentümer schien aber bereits den Versuch als hoffnungslos aufgegeben zu haben, auf der andern Seite des atlantischen Meeres, auf unwirtlichem Boden, wo alles von dem Kampf um die Existenz in Anspruch genommen wurde, seinen angeborenen englischen Geschmack an der Ziergärtnerei fortzuüben. Man sah ganz in der Nähe Kohlstauden stehen, und die Ranken einer in einiger Entfernung wurzelnden Kürbispflanze waren über den zwischenliegenden Raum gelaufen und hatten eines von ihren riesenhaften Produkten dicht unter dem Hallenfenster niedergelegt, wie um den Gouverneur daran zu erinnern, daß dieser große Klumpen von vegetabilischem Gold die üppigste Zierde sei, welche ihm die Erde von Neu-England gewähren werde. Im Garten standen jedoch noch einige Rosensträucher und eine Anzahl von Apfelbäumen, wahrscheinlich Nachkommen derjenigen, welche der ehrwürdige Blackstone gepflanzt hatte, der erste, welcher sich auf der Halbinsel niedergelassen, jene halbmythische Person, die auf dem Rücken eines Stieres sitzend durch die ältesten Annalen des Landes reitet.

Als Perle die Rosensträucher sah, begann sie nach einer roten Rose zu schreien und wollte sich nicht beschwichtigen lassen.

»Still, Kind, still«, sagte ihre Mutter ernst. »Weine nicht, liebe kleine Perle! Ich höre Stimmen im Garten, der Gouverneur wird gleich kommen, und es befinden sich noch andere Herren bei ihm.«

In der Tat sah man den Gartenweg herauf eine Anzahl von Personen sich dem Hause nähern. Perle stieß, trotz des Versuches ihrer Mutter, sie zu beruhigen, einen koboldartigen Schrei aus und wurde dann still, nicht etwa um ihr Gehorsam zu leisten, sondern weil die bewegliche Neugier ihres Charakters durch das Erscheinen dieser neuen Personen erregt wurde.

Kapitel 8
Das Elfenkind und der Geistliche

Gouverneur Bellingham ging in einem weiten Gewande und einer weichen Mütze, wie sie ältliche Herren im Hause zu tragen pflegten, voran und schien seine Besitztümer zu zeigen und sich über seine beabsichtigten Verbesserungen zu verbreiten. Der weite Umfang einer feingearbeiteten Krause nach der veralteten Mode, welche unter der Regierung König Jakobs gebräuchlich gewesen war, unter seinem grauen Barte, ließ seinen Kopf fast gerade wie den Johannes des Täufers auf einem Präsentierteller erscheinen. Der Eindruck, welchen sein strenges, starres, von mehr als herbstlichem Alter erkältetes Äußere machte, wollte sich nicht recht mit den Mitteln des weltlichen Genusses vertragen, womit er sich offenbar auf das sorgfältigste umgeben hatte. Es ist aber ein Irrtum, wenn man annimmt, daß unsere ernsten Voreltern, wenn sie auch gewohnt waren, von der menschlichen Existenz nur als einem Zustande der Prüfung und des Kampfes zu denken und zu sprechen, und wenn sie auch ohne Heuchelei bereit standen, Gut und Blut für die Gebote der Pflicht aufzuopfern, es zu einer Gewissenssache gemacht hätten, diejenigen Mittel zur Behaglichkeit und Üppigkeit, welche in ihrem Bereiche lagen, von sich zu werfen. Dieser Glaube wurde z.B. von dem ehrwürdigen Pastor John Wilson nie gelehrt, dessen Bart – weiß wie eine Schneeverwehung – über Gouverneur Bellinghams Schulter sichtbar wurde, und dessen Mund dafür gutzustehen schien, daß Birnen und Pfirsiche noch in dem Klima von Neu-England eingebürgert und vielleicht Purpurtrauben zum Blühen an der sonnigen Gartenmauer gebracht werden könnten; der alte, an der reichen Brust der englischen Kirche genährte Geistliche besaß einen tief eingewurzelten, rechtmäßigen Geschmack an allem Guten und Behaglichen, und wie streng er sich auch auf der Kanzel oder bei dem öffentlichen Tadel von Vergehen, wie das Esther Prynnes gewesen war, erwies, so hatte ihm doch das milde Wohlwollen seines Privatlebens größere Zuneigung erworben, als irgendeinem von seinen damaligen Amtsbrüdern zuteil wurde.

Hinter dem Gouverneur und Pastor Wilson kamen noch zwei Gäste, Ehrwürden Arthur Dimmesdale, der, wie sich der Leser erinnern wird, bei dem mit Esther Prynnes Schmach verbundenen Schauspiele einen kurzen und widerstrebenden Anteil genommen, und dicht neben ihm der alte Roger Chillingworth, ein Mann von großer ärztlicher Geschicklichkeit, der sich seit zwei bis drei Jahren in der Stadt niedergelassen hatte. Man wußte, daß dieser gelehrte Mann nicht bloß der Arzt, sondern auch der Freund des jungen Geistlichen war, dessen Gesundheit letzthin durch sein zu rückhaltloses Dahingehen an die Arbeiten und Pflichten des Pastoralberufes sehr gelitten hatte.

Der Gouverneur stieg vor seinen Besuchern ein paar Stufen hinauf, öffnete die Flügel der großen, in die Halle führenden Glastüre und sah hier Perlchen dicht vor sich. Esther Prynne wurde durch den Schatten des Vorhanges halb verborgen.

»Was haben wir da?« sagte Gouverneur Bellingham mit einem erstaunten Blicke auf das Scharlachfigürchen vor sich. »Ich gestehe, daß ich seit meinen Tagen der Eitelkeit, zur Zeit des alten Königs Jakob, wo ich es für eine hohe Gunst zu halten pflegte, wenn ich bei einem Hofmaskenspiel zugelassen wurde, nie etwas dergleichen gesehen habe. Es pflegte zur Feiertagszeit ein Schwarm von diesen kleinen Erscheinungen da zu sein, und wir nannten sie nur Kinder des Herrn des Ungehorsams. Wie mag aber ein solcher Gast in meine Halle gekommen sein?«

»Ja wahrhaftig«, rief der gute Pastor Wilson, »was für ein scharlachgefiedertes Vögelchen mag dies sein? Ich habe wohl schon solche Gestalten gesehen, wenn die Sonne durch ein buntgemaltes Fenster schien und die goldenen und purpurnen Bilder auf dem Boden abzeichnete; das war aber im alten Lande. Sprich, Kleines, wer bist du und wie kommt deine Mutter dazu, dich auf so seltsame Weise herauszuputzen? Bist du ein Christenkind – wie? Kannst du deinen Katechismus hersagen? Oder bist du eine von den garstigen Elfen oder Feen, die wir mit anderen Überbleibseln der Papisterei im lustigen Alt-England zurückgelassen zu haben glaubten.«

»Ich bin meiner Mutter Kind«, antwortete die scharlachene Erscheinung, »und mein Name ist Perle.«

»Perle? eher Rubin! oder Koralle! – oder zum wenigsten rote Rose, wenn du deinen Namen nach deiner Farbe hast erhalten sollen!« antwortete der alte Geistliche, indem er seine Hand zu einem vergeblichen Versuche, Perlchen auf die Wange zu klopfen, ausstreckte. »Wo ist aber deine Mutter? Oh, ich verstehe«, fügte er hinzu, wendete sich zu Gouverneur Bellingham und flüsterte: »Das ist eben das Kind, über welches wir zusammen gesprochen haben, und siehe, da ist auch das unglückliche Weib, Esther Prynne, seine Mutter!«

»Wirklich?« rief der Gouverneur, »wir hätten uns ja denken können, daß die Mutter eines solchen Kindes ein scharlachenes Weib und ein würdiges Abbild jenes babylonischen sein müsse. Sie kommt aber zur rechten Zeit, und wir wollen die Sache sofort untersuchen.«

Gouverneur Bellingham trat durch die Glastüre in die Halle, wohin ihm seine drei Gäste folgten.

»Esther Prynne«, sagte er, seinen von Natur strengen Blick auf die Trägerin des Scharlachbuchstabens heftend, »in der jüngsten Zeit ist von dir häufig die Rede gewesen. Es ist gewichtig besprochen worden, ob wir, die wir Gewalt und Einfluß besitzen, unsren Gewissen auch Genüge leisten, wenn wir eine unsterbliche Seele, wie die jenes Kindes dort, der Leitung einer Person überlassen, die gestrauchelt und in die Fallstricke dieser Welt gestürzt ist. Sprich du, die eigene Mutter des Kindes! Denkst du nicht, daß es für das zeitliche und ewige Wohl deiner Kleinen besser wäre, wenn sie deiner Obhut entnommen und geziemend gekleidet und in strenger Zucht gehalten und in den Wahrheiten des Himmels und der Erde unterrichtet würde? Was kannst du in dieser Hinsicht für das Kind tun?«

»Ich kann meine kleine Perle lehren, was ich hiervon gelernt habe«, antwortete Esther Prynne und sie legte ihren Finger auf das rote Zeichen.

»Weib, das ist dein Mal der Schande«, antwortete der strenge Richter, »eben wegen des Fleckens, welchen jener Buchstabe anzeigt, möchten wir dein Kind anderen Händen übergeben.«

»Dennoch hat mir«, sagte die Mutter ruhig, wiewohl sie bei diesen Worten bleicher wurde, »dieses Schandmal Lehren gegeben, gibt sie mir täglich, gibt sie mir selbst in diesem Augenblicke – Lehren, durch die mein Kind weiser und besser werden kann, wenn sie auch mir selbst keinen Vorteil zu bringen vermögen.«

 

»Wir wollen vorsichtig urteilen«, sagte Bellingham, »und geziemend überlegen, was wir tun sollen. Ich bitte Euch, guter Pastor Wilson, fragt diese Perle, da dies ihr Name ist, aus, und sehet zu, ob sie eine christliche Erziehung, wie sie einem Kinde ihres Alters geziemt, erhalten hat.«

Der alte Pfarrer setzte sich auf einen Lehnstuhl und versuchte Perlchen zwischen seine Knie zu ziehen; das Kind, welches nur an die Berührung und Vertraulichkeit seiner Mutter gewöhnt war, entwischte jedoch durch die offene Glastür und blieb auf der oberen Stufe stehen, wo es aussah wie ein wilder, buntgefiederter, tropischer Vogel, der seinen Flug in die höheren Luftregionen antreten will. Wilson war über diesen Ausbruch nicht wenig erstaunt, denn er hatte eine Art von großväterlichem Wesen an sich und war bei den Kindern sonst ungemein beliebt, versuchte aber dennoch, das Verhör vorzunehmen.

»Perle«, sagte er mit großer Feierlichkeit, »du mußt auf Belehrung achten, damit du zur gehörigen Zeit die kostbare Perle in deiner Brust tragen mögest. Kannst du mir sagen, mein Kind, wer dich erschaffen hat?«

Nun wußte Perle recht gut, wer sie geschaffen, da Esther Prynne, die Tochter eines frommen Hauses, sehr bald nach ihrem Gespräch mit dem Kinde über dessen himmlischen Vater, begonnen hatte, es über jene Wahrheiten zu belehren, welche der menschliche Geist selbst im unreifsten Zustande mit so gierigem Interesse einsaugt. Die Kenntnisse, welche Perle in den drei Jahren ihres jungen Lebens gesammelt hatte, waren daher so groß, daß sie recht leidlich eine Verhörung aus der neuenglischen Fibel oder den ersten Seiten des Westminster Katechismus hätte bestehen können, obgleich sie mit der äußeren Form jener beiden berühmten Werke unbekannt war. Die Bockigkeit, welche alle Kinder in höherem oder geringerem Grade besitzen und von welcher Perlchen mit einem zehnfältigen Anteil begabt war, bemächtigte sich ihrer jedoch jetzt gerade in dem unpassendsten Augenblicke und verschloß ihr die Lippen oder trieb sie an, ungehörige Worte auszusprechen. Nachdem das Kind seinen Finger in den Mund gesteckt und sich mehrfach heftig geweigert hatte, die Frage des guten Pfarrers Wilson zu beantworten, erwiderte es endlich, daß es gar nicht geschaffen worden sei, sondern daß seine Mutter es von dem wilden Rosenbusche gepflückt habe, welcher neben der Gefängnistür stand.

Diese phantastische Idee hatte ihr wahrscheinlich die Nähe der roten Rosen des Gouverneurs vor der Glastür nebst ihrer Erinnerung an den Rosenstrauch am Gefängnisse eingegeben, an welchem letzteren sie beim Hierherkommen vorübergegangen war.

Der alte Roger Chillingworth flüsterte dem jungen Geistlichen mit lächelndem Gesichte etwas ins Ohr. Esther Prynne warf einen Blick auf den Heilkünstler und nahm selbst jetzt, wo ihr Schicksal auf dem Spiele stand, mit Schrecken die Veränderung wahr, welche in seinen Zügen stattgefunden hatte. Um wieviel häßlicher er geworden, wie seine dunkle Gesichtsfarbe noch schwärzlicher und sein Körper noch mißgestalter geworden zu sein schien, als zu der Zeit, wo sie in vertrautem Verhältnisse mit ihm gestanden hatte. Ihre Augen trafen sich; sie sah sich aber sogleich genötigt, dem weiteren Fortgange der Szene vor ihr ausschließliche Aufmerksamkeit zu schenken.

»Das ist entsetzlich!« rief der Gouverneur, als er sich langsam wieder von dem Erstaunen erholte, worein ihn Perlens Antwort versetzt hatte. »Das Kind ist drei Jahre alt, und es kann noch nicht einmal sagen, wer es geschaffen hat! Ohne Zweifel schwebt die Kleine über ihre Seele, die gegenwärtige Entartung und das künftige Schicksal derselben ebensosehr im Dunkeln. Ich denke, ihr Herren, daß wir nicht weiter zu fragen brauchen.«

Esther erfaßte Perle, preßte sie heftig in ihre Arme und stellte sich dem alten puritanischen Herrscher mit fast wütendem Ausdrucke entgegen. Allein in der Welt, die sie ausgestoßen hatte und nur noch in Besitz dieses einzigen Schatzes, der das Leben ihres Herzens erhalten konnte, fühlte sie, daß sie gegen die Welt unverwirkbare Rechte besitze und war bereit, dieselben bis zum Tode zu verteidigen.

»Gott hat mir das Kind gegeben; er hat es mir als Ersatz aller andern Güter geschenkt, die ihr mir genommen hattet. Sie ist mein Glück, nichtsdestoweniger aber auch meine Qual! Perle erhält mich hier im Leben! Aber Perle bestraft mich auch! Seht ihr nicht, daß sie der Scharlachbuchstabe ist, nur daß sie die Fähigkeit erhalten hat, geliebt zu werden und damit eine millionenfache Gewalt der Vergeltung für meine Sünde? Ihr sollt sie mir nicht nehmen, lieber will ich sterben!«

»Du armes Weib«, sagte der nicht herzlose alte Prediger, »das Kind soll gut versorgt werden; weit besser, als du es vermöchtest.«

»Gott hat es mir zur Bewahrung anvertraut«, wiederholte Esther, mit fast zum Schreien gesteigerter Stimme, »ich will es nicht hergeben!« und hier wendete sie sich, wie von einem plötzlichen Impuls getrieben, zu dem jungen Geistlichen Dimmesdale, welchen sie bis zu diesem Moment kaum angeblickt hatte. »Sprich du für mich«, rief sie, »du bist mein Pastorgewesen und hast meine Seele in Obhut gehabt und kennst mich besser, als es diese Männer vermögen. Ich will das Kind nicht hergeben; sprich du für mich, du weißt, was in meinem Herzen vorgeht, denn du hast Sympathien, die diesen Männern fehlen, und weißt, was Mutterrechte sind, und um wieviel stärker sie werden, wenn eine Mutter nur ihr Kind und den Scharlachbuchstaben hat. Sieh du zu! Ich will das Kind nicht verlieren! Sieh du zu!«

Als der junge Geistliche diese seltsame Aufforderung vernahm, welche kundgab, daß Esther Prynne durch ihre Lage zu einem dem Wahnsinne nahe kommenden Gemütszustande aufgereizt worden war, trat er augenblicklich vor. Er war bleich und hielt die Hand an sein Herz, wie es seine Gewohnheit war, wenn seine eigentümlich reizbaren Nerven in Aufregung gebracht wurden. Er sah jetzt noch sorgenschwerer und abgezehrter aus als damals, wo wir sein Äußeres bei der öffentlichen Schmachszene Esthers beschrieben, und in der unruhigen, wehmütigen Tiefe seiner großen, schwarzen Augen lag, sei es nun infolge seiner abnehmenden Gesundheit oder aus irgendeinem andern Grunde, eine Welt von Pein.

»In dem, was sie sagt, liegt viel Wahres«, begann der Geistliche mit wohlklingender, bebender, aber doch so kräftiger Stimme, daß in der Halle ein Echo hervorgerufen wurde und die hohle Rüstung widerklang. »Es liegt viel Wahres in dem, was Esther sagt, und in dem Gefühle, welches sie beseelt! Gott hat ihr das Kind gegeben und dazu eine instinktmäßige Kenntnis seiner Natur und Bedürfnisse, die beide, dem Anscheine nach, so eigentümlich sind – und die kein anderes sterbliches Wesen besitzen kann. Und liegt nicht überdies eine schaurige Heiligkeit in dem Verhältnisse zwischen dieser Mutter und diesem Kinde?«

»Wieso, guter Herr Dimmesdale?« unterbrach ihn der Gouverneur, »ich bitte Euch, das deutlich zu machen.«

»Es muß so sein«, fuhr der Geistliche fort, »denn sagen wir nicht, wenn wir anderer Ansicht sind, eben dadurch, daß derhimmlische Vater, der Schöpfer alles Fleisches, eine Tat der Sünde leichthin anerkannt und den Unterschied zwischen unheiliger Lust und geheiligter Liebe für nichts geachtet habe? Dieses Kind der Schuld des Vaters und der Schande der Mutter ist aus Gottes Händen gekommen, um in vielerlei Weisen auf das Herz derjenigen zu wirken, welche so eindringlich und mit solcher Bitterkeit des Geistes das Recht, es zu behalten, beansprucht. Es sollte eine Segnung, die einzige Segnung ihres Lebens sein! Es war ohne Zweifel auch, wie uns die Mutter selbst gesagt hat, zu einer Vergeltung bestimmt; einer Folter, die sie in so manchem Augenblicke, von welchem wir nichts ahnen, fühlen sollte; einer Pein, einem Stachel, einem stets wiederkehrenden Schmerze inmitten einer unruhigen Freude! Hat sie nicht diesen Gedanken in der Kleidung des armen Kindes ausgedrückt, welches uns so mächtig an das rote Symbol erinnert, das wie ein Mal auf ihrem Busen brennt?«