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Der scharlachrote Buchstabe

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Kapitel 16
Ein Spaziergang im Walde

Esther Prynne beharrte bei ihrem Entschlüsse, Dimmesdale auf jede Gefahr gegenwärtiger Pein oder späterer Folgen hin mit dem wahren Charakter des Mannes, welcher sich in sein Vertrauen geschlichen hatte, bekanntzumachen. Mehrere Tage lang suchte sie vergeblich eine Gelegenheit, ihn auf einem der nachdenklichen Spaziergänge anzureden, die er, wie sie wußte, den Strand der Halbinsel entlang oder auf den waldigen Hügeln der Umgegend zu machen pflegte. Es würde weder üble Nachreden noch Gefahr für den guten Namen des Geistlichen verursacht haben, wenn sie ihn in seinem Studierzimmer besucht hätte, wo schon so manche Büßerin Sünden von vielleicht ebenso dunkler Färbung, wie die durch den Scharlachbuchstaben bezeichnete, bekannt hatte; aber weil sie die geheime oder unverhohlene Einmischung des alten Roger Chillingworth fürchtete, teils auch, weil ihr sündenbewußtes Herz da Verdacht erblickte, wo keiner gefühlt werden konnte, und dann auch, weil sowohl der Geistliche wie sie der ganzen weiten Welt zum Atmen bedürfen würden, während sie miteinander sprachen, aus all diesen Gründen dachte Esther nie daran, ihm in einem beschränkteren Räume als unter dem freien Himmel entgegenzutreten.

Endlich erfuhr sie beim Besuch eines Krankenzimmers, wohin der ehrwürdige Herr Dimmesdale berufen worden war, um ein Gebet zu verrichten, daß er am Tage vorher zu dem Missionar Eliot gegangen sei, um ihm unter seinen indianischen Bekehrten einen Besuch zu machen. Aller Wahrscheinlichkeit nach würde er zu einer gewissen Stunde des morgenden Nachmittags zurückkehren. Esther nahm daher den folgenden Tag beizeiten Perlchen, die notwendigerweise die Gefährtin aller Ausgänge ihrer Mutter war, wie unbequem auch ihre Gegenwart sein mochte, bei der Hand und brach auf.

Der Weg war, nachdem die beiden Wanderinnen von der Halbinsel auf das Festland gekommen waren, nicht mehr als ein Fußpfad. Er zog sich in den geheimnisvollen Urwald, der ihn so eng einschloß und zu beiden Seiten so schwarz und dicht dastand und nur so unvollkommene Ausblicke auf den Himmel erlaubte, daß er für Esthers Geist kein unrichtiges Bild der moralischen Wildnis abgab, in welcher sie so lange umhergeirrt war; der Tag war rauh und düster. Am Himmel hing eine graue Wolkendecke, die jedoch leise vom Winde bewegt wurde, so daß man von Zeit zu Zeit einen flackernden Sonnenstrahl einsam auf dem Pfade sehen konnte. Diese flüchtige Heiterkeit befand sich stets am fernsten Ende einer langen Durchsicht im Walde. Das scherzende Sonnenlicht nur zaghaft scherzend unter der herrschenden Gedankenschwere des Tages und der Szene – entfernte sich, sobald sie ihm nahe kamen, und hinterließ die Stellen, wo es getanzt hatte, um so trüber, als sie gehofft hatten, diese heiter erleuchtet zu finden.

»Mutter«, sagte Perle, »der Sonnenschein hat dich nicht lieb, er läuft davon und versteckt sich, weil er sich vor etwas auf deiner Brust fürchtet. Sieh nur, da spielt er eine große Strecke entfernt. Bleib du hier stehen und laß mich ihm nachlaufen und ihn fangen. Ich bin ein Kind, er wird nicht vor mir fliehen, denn ich trage noch nichts auf meiner Brust.«

»Und wirst es hoffentlich auch nie, mein Kind«, sagte Esther.

»Und warum nicht, Mutter?« fragte Perle, indem sie gerade im Beginn ihres Laufes stehenblieb; »wird er nicht von selbst kommen, wenn ich ein erwachsenes Frauenzimmer bin?«

»Lauf, Kind«, antwortete die Mutter, »und fange den Sonnenstrahl, er wird bald verschwunden sein.«

Perle lief davon und fing, wie Esther lächelnd merkte, wirklich den Sonnenschein und stand lachend und durch seinen Glanz erhellt und von der Munterkeit, welche die schnelle Bewegung erregt hatte, schimmernd mitten darin. Das Licht verweilte auf dem einsamen Kinde, als freue es sich eines solchen Spielkameraden, bis seine Mutter fast nahe genug gekommen war, um ebenfalls in den Zauberkreis zu treten.

»Jetzt wird er gehen!« sagte Perle kopfschüttelnd.

»Sieh«, antwortete Esther lächelnd, »jetzt kann ich meine Hand ausstrecken und etwas davon erfassen.«

Als sie es versuchte, verschwand der Sonnenschein, oder, nach dem strahlenden Ausdrucke zu urteilen, welcher auf Perlens Zügen tanzte, hätte ihre Mutter glauben können, das Kind habe ihn eingesogen und würde ihn wieder mit einem Schimmer auf ihrem Pfade von sich geben, wenn sie in einen düsteren Schatten gelangten. Keine andere Eigenschaft flößte ihr so sehr das Gefühl einer neuen und ursprünglichen Kraft in Perlens Natur ein, wie diese sie nie verlassende Lebhaftigkeit. Sie besaß nicht die Krankheit des Trübsinns, welche fast alle Kinder unserer Zeit mit den Skrofeln von den Leiden ihrer Vorfahren geerbt haben. Vielleicht war dies ebenfalls eine Krankheit und nur der Widerschein der wilden Energie, mit welcher Esther vor Perlens Geburt gegen ihren Schmerz angekämpft hatte. Sicher war es ein zweideutiger Zauber, der dem Charakter des Kindes einen harten, metallischen Glanz gab. Es mangelte ihm, was manchen Menschen lebenslänglich mangelt, ein Schmerz, der es tief berührte und menschlich und des Mitgefühls fähig machte. Die kleine Perle hatte aber noch Zeit genug vor sich.

»Komm, mein Kind«, sagte Esther und schaute von der Stelle, wo Perle im Sonnenschein stehengeblieben war, um sich. »Wir wollen uns ein wenig im Walde niedersetzen und ausruhen.«

»Ich bin nicht müde, Mutter«, antwortete das kleine Mädchen, »aber du kannst dich niedersetzen, wenn du mir unterdessen eine Geschichte erzählen willst.«

»Eine Geschichte, Kind!« sagte Esther. »Wovon?«

»Oh, eine Geschichte von dem schwarzen Manne«, antwortete Perle, indem sie das Gewand ihrer Mutter erfaßte und halb ernst, halb neckisch in ihr Gesicht aufblickte. »Wie er in diesem Walde spukt und ein Buch trägt – ein dickes, schweres Buch mit eisernen Haspen, und wie dieser häßliche schwarze Mann jedem, der ihm hier unter den Bäumen begegnet, sein Buch und eine eiserne Feder anbietet, und der Mensch seinen Namen mit seinem eigenen Blute einschreiben soll. Und dann setzt er ihm sein Zeichen auf die Brust! Bist du je dem schwarzen Mann begegnet, Mutter?«

»Und wer hat dir diese Geschichte erzählt, Perle?« fragte ihre Mutter, die darin einen gewöhnlichen Aberglauben ihrer Zeit erkannte.

»Es war die alte Frau am Kaminwinkel in dem Hause, wo du vergangene Nacht wachtest«, sagte das Kind. »Sie dachte aber, daß ich schliefe, als sie davon sprach. Sie sagte, daß tausend und aber tausend Menschen ihn hier getroffen und in sein Buch geschrieben und sein Zeichen an sich hätten. Und die widrige Dame, die alte Hibbins, sei eine davon. Und Mutter, die alte Frau sagte, daß dieser Scharlachbuchstabe das Zeichen sei, welches der schwarze Mann auf dich gesetzt hätte, und daß es wie eine rote Flamme glühe, wenn du um Mitternacht hier im finstern Walde mit ihm zusammenkämst. Ist das wahr, Mutter? Und gehst du ihm des Nachts entgegen?«

»Hast du je beim Erwachen deine Mutter nicht gefunden?« fragte Esther.

»Nein, nein«, sagte das Kind. »Wenn du mich in unserm Häuschen allein zu lassen fürchtetest, so könntest du mich mitnehmen. Ich würde recht gern gehen! Aber Mutter, sag, ob es einen solchen schwarzen Mann gibt, und ob du ihm je begegnet? Ist dies sein Zeichen?«

»Wirst du mich in Frieden lassen, wenn ich es dir einmal sage?« fragte ihre Mutter.

»Ja, wenn du mir alles sagst«, antwortete Perle.

»Ich habe einmal in meinem Leben den schwarzen Mann getroffen«, sagte ihre Mutter; »dieser Scharlachbuchstabe ist sein Zeichen.«

Sie waren tief genug in den Wald gelangt, um vor der Beobachtung der etwa Vorübergehenden auf dem Fußpfade sicher zu sein. Hier setzten sie sich auf eine Moosbank, die im vergangenen Jahrhundert einmal eine riesige Fichte mit ihren Wurzeln und ihrem Stamme in den düstern Schatten und ihrem Wipfel hoch oben in der freien Luft gewesen war. Es war eine kleine Vertiefung, in der sie sich niedergesetzt hatten, durch deren Mitte ein Bach über ein Bett von gefallenen Blättern floß, während sich zu beiden Seiten sanfte, laubbedeckte Abhänge hoben. Die darüberhängenden Bäume hatten von Zeit zu Zeit große Äste fallen lassen, welche die Strömung hemmten und sie zwangen, an einigen Punkten Wirbel und schwarze Löcher zu bilden, während an den schnelleren muntereren Stellen ein Grund von Kieseln und braunem, glitzerndem Sand zu sehen war. Wenn sie mit den Augen dem Laufe des Baches folgten, konnten sie das von seinem Wasser zurückgeworfene Licht noch eine kleine Strecke weit im Walde sehen, verloren aber bald dessen Spuren in der Wildnis von Baumstämmen und Gebüsch und hier und da einem mächtigen, mit grauen Flechten bedeckten Felsen. All diese hohen Bäume und Blöcke von Granit schienen verschworen, aus dem Lauf des kleinen Baches ein Geheimnis zu machen, vielleicht weil sie fürchteten, er möchte mit seiner ununterbrochenen Geschwätzigkeit Geschichten erzählen mitten aus dem Herzen des alten Waldes, aus dem er strömte, oder dessen Offenbarungen auf der blanken Oberfläche eines Tümpels spiegeln. Das Bächlein unterhielt während seines Vorwärtsgleitens beständig ein freundliches, ruhiges beschwichtigendes Geplauder, das aber wehmütig war wie die Stimme eines kleinen Kindes, das seine Kindheit ohne Gespielen verlebt und nicht weiß, wie sie unter trübseligen Bekannten und Ereignissen von düsterer Färbung munter sein soll.

»Du törichter und langweiliger kleiner Bach«, rief Perle, nachdem sie eine Zeitlang gehorcht hatte. »Warum bist du so betrübt? Fasse Mut und seufze und murmele nicht die ganze Zeit über.«

Der Bach hatte aber im Verlauf seines kurzen Lebens unter den Waldbäumen so ernste Erfahrungen gemacht, daß er sich nicht enthalten konnte, davon zu sprechen und nichts anderes sagen zu wollen schien. Perle glich dem Bache, insofern der Strom ihres Lebens aus ebenso dunkler Quelle durch eine ebenso düster beschattete Umgebung geflossen war. Aber dem Bächlein unähnlich tanzte und glitzerte und plauderte sie munter in ihrem Laufe.

 

»Was sagt der traurige kleine Bach, Mutter?« fragte Perle.

»Wenn du selbst einen Kummer hättest, so könnte dir der Bach davon erzählen«, sagte ihre Mutter; »gerade wie er mir von dem meinen erzählt. Jetzt aber, Perle, hör ich einen Schritt auf dem Pfad und das Geräusch, welches ein Mensch macht, der die Äste beiseite biegt. Geh und spiele, und laß mich mit dem, der dort kommt, sprechen.«

»Ist es der schwarze Mann?« fragte sie.

»Willst du wohl gehen und spielen, Kind?« wiederholte ihre Mutter; »lauf aber nicht tief in den Wald und hab acht, auf meinen ersten Ruf zu kommen.«

»Ja, Mutter!« antwortete Perle. »Willst du mich aber nicht einen Augenblick verweilen und ihn mit seinem dicken Buche unter dem Arme anblicken lassen, wenn es der schwarze Mann ist?«

»Geh, törichtes Kind«, sagte die Mutter, »es ist kein schwarzer Mann. Du kannst ihn jetzt durch die Bäume sehen. Es ist der Prediger.«

»Ja, er ist es wirklich!« rief das Kind. »Und Mutter, er hat seine Hand auf dem Herzen. Ist es, weil der schwarze Mann sein Zeichen auf die Stelle gesetzt hat, als der Prediger seinen Namen in das Buch schrieb? Warum trägt er es aber nicht außen auf seiner Brust, wie du, Mutter?«

»Geh jetzt, Kind, ein andermal sollst du mich plagen wie du willst!« rief Esther Prynne. »Aber geh nicht weit weg. Bleib, wo du das Plaudern des Baches hören kannst.«

Das Kind entfernte sich singend, folgte dem Laufe des Baches und versuchte, mit dessen wehmütiger Stimme heitere Töne zu vermischen, aber der kleine Bach ließ sich nicht trösten und fuhr fort, sein unverständliches Geheimnis von einem höchst traurigen Ereignis, welches sich im Bezirk des dunklen Waldes zugetragen hatte, zu erzählen oder erhob eine prophetische Wehklage über etwas, was noch darin geschehen sollte. Perle, die in ihrem eignen kleinen Leben Schatten genug hatte, brach also alle Bekanntschaft mit diesem klagenden Bache ab und begann, Veilchen und Anemonen und einige scharlachrote Mohnblumen zu pflücken, die sie in den Spalten eines hohen Felsens fand.

Sobald sich ihr Elfenkind entfernt hatte, tat Esther ein paar Schritte nach dem durch den Wald führenden Pfade hin, ohne jedoch aus dem tiefen Schatten der Bäume hervorzutreten. Sie sah den Geistlichen völlig allein, auf einen Stab gestützt, den er sich am Wege geschnitten hatte, herankommen. Er sah verstört und schwach aus und verriet in seiner Miene eine abgespannte Mutlosigkeit, die auf seinen Spaziergängen in der Ansiedlung und in jeder Situation, in der er sich der Beobachtung ausgesetzt sah, nie so auffallend gewesen war. Hier zeigte sie sich schmerzlich in der tiefen Abgeschiedenheit des Waldes, welche an sich schon eine schwere Prüfung für die Heiterkeit gewesen wäre. Sein Gang zeigte eine Mattigkeit, als ob er keinen Grund sähe, noch einen weiteren Schritt zu tun und auch keinen Wunsch dazu fühlte, sondern froh gewesen wäre, wenn er über irgend etwas hätte froh sein können, sich am Fuße des nächsten Baumes niederzuwerfen und dort ewig ohne Bewegung liegen zu bleiben. Das Laub mochte dann auf ihn herabfallen und die Erde sich allmählich zusammenhäufen und einen kleinen Hügel über seinem Körper bilden, gleichviel, ob noch Leben darin war oder nicht. Der Tod war ein zu bestimmter Gegenstand, als daß er ihn hätte wünschen oder vermeiden mögen.

Für Esthers Augen jedoch ließ der ehrwürdige Herr Dimmesdale kein Symptom eines bestimmten und heftigen Leidenserblicken, außer daß er, wie Perlchen bemerkt hatte, die Hand auf sein Herz hielt.

Kapitel 17
Der Pfarrer und sein Pfarrkind

So langsam auch der Geistliche daherkam, war er doch beinahe schon vorüber, ehe Esther Prynne laut genug sprechen konnte, um seine Aufmerksamkeit zu erregen. Endlich gelang es ihr.

»Arthur Dimmesdale!« sagte sie anfangs leise, dann lauter, aber mit heiserem Tone. »Arthur Dimmesdale!«

»Wer spricht?« fragte der Prediger.

Er sammelte sich schnell und stand aufrechter da, als sei er in einer Stimmung überrascht worden, für welche er keine Zeugen zu haben wünschte. Als er besorgt nach der Richtung, von welcher die Stimme gekommen war, blickte, sah er undeutlich unter den Bäumen eine in so dunkle Gewänder gekleidete und von dem grauen Zwielicht, zu welchem der bewölkte Himmel und das dichte Laub die Mittagszeit verdüstert hatten, so wenig abstechende Gestalt, daß er nicht wußte, ob es ein Weib oder ein Schatten sei. Vielleicht wurde er auf seinem Lebenspfade so von einem Gespenste, welches sich aus seinen Gedanken hervorgestohlen hatte, verfolgt.

Er trat einen Schritt näher und entdeckte den Scharlachbuchstaben.

»Esther! Esther Prynne! Bist du es? Bist du noch am Leben?«

»So ist es. In einem solchen Leben wie seit vielen Jahren das meine gewesen ist. Und du, Arthur Dimmesdale, lebst du noch?«

Es war kein Wunder, daß sie so gegenseitig ihre wirkliche und körperliche Existenz in Frage zogen und selbst an ihrereignen zweifelten. Sie begegneten einander in dem düstern Walde auf so seltsame Weise, daß es dem ersten Zusammentreffen zweier Geister in der Welt jenseits des Grabes glich, die in ihrem frühern Leben in vertrauter Verbindung, jetzt mit kaltem Schauder in gegenseitiger Furcht dastanden, weil sie noch nicht mit ihrer Lage vertraut, nicht an die Gesellschaft entkörperter Wesen gewöhnt waren. Jedes ein Geist und über des andern Geist entsetzt! Auch über sich selbst waren sie entsetzt, weil die Krisis sie auf ihr Bewußtsein zurückwarf und dem Herzen beider seine Geschichte und Erfahrungen enthüllte, wie es das Leben mit Ausnahme solcher atemlosen Momente nie tut. Die Seele erblickte ihre Züge in dem Spiegel des flüchtigen Augenblickes. Es geschah mit Furcht und Beben und wie von einer langsamen, widerstrebenden Notwendigkeit getrieben, daß Arthur Dimmesdale seine leichenkalte Hand ausstreckte und die eisige Hand Esther Prynnes berührte. So kalt der Druck auch war, benahm er doch der Begegnung ihr Traurigstes. Sie fühlten jetzt wenigstens, daß sie Bewohner der gleichen Sphäre waren.

Ohne daß wieder ein Wort gesprochen worden wäre, ohne daß er oder sie das Führeramt auf sich genommen hätte, sondern mit wortloser Übereinstimmung glitten sie in den Schatten des Waldes, aus welchem Esther hervorgekommen war, zurück und setzten sich auf die Moosbank, wo sie vorher mit Perle zusammen gesessen hatte. Sobald sie ihre Stimme wiederfanden, taten sie anfangs nur Bemerkungen und Fragen über den düsteren Himmel, den drohenden Sturm und dann ihre beiderseitige Gesundheit, wie es zwei gewöhnliche Bekannte getan hätten. So näherten sie sich, nicht kühn, sondern Schritt für Schritt den Gegenständen, die in ihrem tiefsten Herzen brüteten. Die durch das Schicksal und die Umstände einander so lange Entfremdeten mußten etwas Gewöhnliches und Unbedeutendes haben, was vorauslief und die Türen des Verkehrs öffnete, damit ihre wahren Gedanken über die Schwelle geführt werden konnten.

Nach einer Weile heftete der Geistliche seine Augen auf die Esther Prynnes.

»Esther«, sagte er, »hast du Frieden gefunden?«

Sie lächelte trüb und blickte auf ihren Busen hinab.

»Und du?« fragte sie.

»Keinen. Nichts als Verzweiflung«, antwortete er. »Was konnte ich, der ich bin, was ich bin, und ein Leben, wie das meine führe, anders erwarten? Wäre ich ein Atheist, ein Mensch ohne Gewissen, ein Bösewicht mit rohen Instinkten, so würde ich längst schon vielleicht Frieden gefunden haben, ja, ich hätte ihn nie verloren. Wie aber die Sachen mit meiner Seele stehen, so ist alles, was ich ursprünglich an guten Fähigkeiten besaß, jede herrliche Gabe Gottes zum Diener der geistigen Qual geworden. Esther, ich bin überaus elend.«

»Das Volk verehrt dich«, sagte Esther, »und du wirkst doch gewiß Gutes unter ihm. Gewährt dir dies keinen Trost?«

»Nur um so mehr Elend – nur um so größeres Elend, Esther«, antwortete der Geistliche bitter. »Was das Gute betrifft, das ich vielleicht zu tun scheine, so habe ich daran keinen Glauben. Es muß ein Blendwerk sein. Was kann eine verderbte Seele, wie die meine, zur Erlösung anderer Seelen oder eine befleckte Seele zu ihrer Reinigung tun? Und wollte Gott, daß sich die Ehrfurcht und Verehrung des Volkes in Haß und Verachtung wandelte. Kannst du es für einen Trost halten, Esther, daß ich auf meine Kanzel treten und so vielen Augen begegnen muß, die zu meinem Gesichte emporgewendet sind, als ob daraus das Licht des Himmels strahlte? Daß meine Herde nach der Wahrheit hungrig nur meinen Worten lauschen muß, als ob eine der Zungen des Pfingstfestes zu ihnen spräche? Und dann nach innen blicke und die schwarze Wirklichkeit dessen, was sie vergöttern, erkenne. Ich habe in Bitternis und Herzenspein über den Kontrast zwischen dem, was ich scheine und was ich bin, gelacht! Und Satan lacht dazu!«

»Darin tust du dir selber Unrecht«, sagte Esther sanft. »Du hast tief und schwer bereut. Deine Sünde ist in den Tagen der Vergangenheit zurückgeblieben. Dein gegenwärtiges Leben ist in voller Wahrheit nicht weniger fromm, als es den Augen des Volkes erscheint. Hat die so durch gute Werke besiegelte und bezeugte Bußfertigkeit keine wirkliche Existenz? Und weshalb sollte sie dir nicht Frieden bringen?«

»Nein, Esther, nein«, antwortete der Geistliche, »es ist nichts Substantielles darin! Sie ist kalt und tot und kann nichts für mich tun. Buße habe ich genug geübt. Wahre Reue aber war da nicht, sonst würde ich schon längst diese Gewänder der erheuchelten Frömmigkeit abgeworfen und mich den Menschen gezeigt haben, wie sie mich am Jüngsten Tage vor dem Richterstuhl Gottes erblicken werden. Glücklich bist du, Esther, daß du den Scharlachbuchstaben offen auf deiner Brust trägst. Der meine glüht im Verborgenen. Du ahnst nicht, welch ein Trost es nach der Qual siebenjährigen Betruges für mich ist, in ein Auge zu blicken, das mich als das erkennt, was ich bin! Hätte ich nur einen Freund, oder wäre es auch mein bitterster Feind, zu dem ich mich täglich, wenn mich alle übrigen bis zum Ekel mit Lob überschütten, wenden und dem ich als der niedrigste aller Sünder bekannt sein könnte, so würde sich meine Seele dadurch vielleicht noch am Leben erhalten. Selbst ein so geringer Anteil von Wahrheit würde mich erretten. Aber jetzt ist alles Lüge. Alles Leere alles Tod!«

Esther Prynne blickte in sein Gesicht, zögerte aber zu sprechen. Indem er jedoch seine lang gezügelten Empfindungen so heftig aussprach, boten ihr seine Worte hier gerade den Punkt, an welchem sie das, was sie zu sagen gekommen war, einschieben konnte. Sie bezwang ihre Furcht und sprach:

»Einen Freund, wie du ihn soeben jetzt gewünscht hast«, sagte sie, »mit dem du deine Sünde beweinen kannst, hast du an mir, der Teilhaberin dieser Sünde.« Von neuem zauderte sie, bezwang sich aber und brachte mit Anstrengung die Worte heraus: »Einen solchen Feind hast du schon lange gehabt und mit ihm unter demselben Dache gewohnt.«

Der Geistliche sprang keuchend auf und griff nach seinem Herzen, als wolle er es aus seiner Brust reißen.

»Was sagst du?« rief er, »einen Feind? Und unter meinem eigenen Dache? Was meinst du?«

Esther Prynne war jetzt vollkommen zum Bewußtsein des tiefen Unrechts gekommen, das sie diesem Unglücklichen zugefügt hatte, indem sie ihn so viele Jahre – doch ein einziger Augenblick wäre schon ebenso schlimm gewesen – der Gnade und Ungnade eines Mannes überlassen hatte, dessen Zwecke nur bösartig sein konnten. Schon die Nähe seines Feindes, unter welcher Maske er sich auch immer verbergen mochte, war hinreichend, um die magnetische Sphäre eines so reizbaren Wesens, wie Arthur Dimmesdale, zu beunruhigen. Es hatte eine Periode gegeben, da Esther dieser Rücksicht weniger Beachtung geschenkt, oder vielleicht hatte sie auch in der Menschenfeindlichkeit ihrer eignen Not dem Geistlichen überlassen das zu ertragen, was sie sich als ein leidlicheres Schicksal vorstellen mochte. Aber in der jüngsten Zeit, seit der Nacht seiner Vigilie, waren alle ihre Gefühle in bezug auf ihn zugleich gemildert und gekräftigt worden. Sie las jetzt besser in seinem Herzen. Sie bezweifelte nicht, daß die beständige Gegenwart Roger Chillingworths, der durch das geheime Gift seiner Bosheit die ganze ihn umgebende Luft verpestete, und seine ärztliche Einmischung in die körperlichen und geistigen Gebrechen des Geistlichen, kurz, alle diese Gelegenheiten grausam benutzt worden waren. Mittelst ihrer war das Gewissen des Leidenden in einem gereizten Zustande erhalten worden, dessen Zweck es nicht war, ihn durch heilsamen Schmerz zur Gesundheit zu bringen, sondern sein geistiges Wesen zu zerstören und zu verderben. Das irdische Resultat davon mußte fast notwendigerweise Wahnsinn und das im Jenseits die ewige Entfremdung von dem Guten und Wahren sein, wovon der Wahnsinn vielleicht der irdische Typus ist.

 

Dies war das Verderben, in welches sie den Mann gestürzt, den sie einst so leidenschaftlich geliebt hatte, den – warumsollten wir es nicht aussprechen – sie immer noch so leidenschaftlich liebte. Esther fühlte, daß die Aufopferung des guten Namens des Geistlichen, ja der Tod selbst, wie sie bereits Roger Chillingworth gesagt hatte, der Alternative, welche sie gewählt, unendlich vorzuziehen gewesen wäre, und jetzt würde sie sich gern auf das Waldlaub niedergelegt haben und dort zu Arthur Dimmesdales Füßen gestorben sein, wenn sie nur nicht dieses schwere Unrecht zu bekennen gehabt hätte.

»Arthur, verzeih mir! In allen andern Dingen habe ich mich bemüht, wahr zu sein! Die Wahrheit war die einzige Tugend, die ich hätte bewahren können, und die ich selbst in der äußersten Not bewahrt habe, außer wenn dein Bestes – dein Leben, dein Ruf auf dem Spiele standen. Da willigte ich in eine Täuschung. Aber die Lüge ist nie gut, selbst wenn auf der andern Seite der Tod steht! Verstehst du nicht, was ich sagen will? Jener alte Mann, der Arzt, er, den man Roger Chillingworth nennt – er war mein Gatte.«

Der Geistliche blickte sie einen Moment mit der ganzen auflodernden Leidenschaftlichkeit an, die, in mehr als einer Gestalt mit seinen höheren, reineren, sanfteren Eigenschaften vermengt, derjenige Teil von ihm war, welchen der Teufel als sein Eigentum ansprach und durch den er das übrige zu gewinnen suchte. Esther hatte noch nie einen schwärzeren oder einen wütenderen Blick auf sich geheftet gesehen. Während des kurzen Zeitraumes, welchen er dauerte, brach er als eine düstere Verwandlung hervor. Sein Charakter war durch Leiden aber so sehr geschwächt worden, daß selbst seine niederen Kräfte für das Böse nur eines kurzen Kampfes fähig waren. Er sank auf den Boden nieder und begrub sein Gesicht in den Händen.

»Ich hätte es wissen können«, murmelte er; »ich wußte es! Wurde mir nicht das Geheimnis durch das natürliche Zurückschrecken meines Herzens bei seinem ersten Anblicke und so oft ich ihn seitdem gesehen habe, verkündet. Warum verstand ich es nicht? O Esther Prynne, du ahnst nicht, wie entsetzlich das ist! Und die Schmach! Das Ungehörige und die abscheuliche Häßlichkeit dieser Bloßlegung eines kranken und sündigen Herzens gerade vor dem Auge, welches sich daran weiden mußte! Weib, Weib, dafür bist du verantwortlich! Ich kann dir nicht verzeihen.«

»Du mußt mir verzeihen!« rief Esther und warf sich neben ihm auf das abgefallene Laub nieder. »Überlaß Gott die Strafe, du mußt verzeihen.«

Mit plötzlicher, verzweifelter Zärtlichkeit schlang sie ihre Arme um ihn und drückte seinen Kopf an ihren Busen, ohne sich darum zu kümmern, daß seine Wange an dem Scharlachbuchstaben ruhte.

Er wollte sich losmachen, rang aber vergeblich. Esther wollte ihn nicht freigeben, damit er ihr nicht streng ins Gesicht blicken möge. Die ganze Welt hatte sie finster angeblickt, sieben lange Jahre hatte sie das alleinstehende Weib mit Zorn betrachtet – und sie hatte alles ertragen und ihre festen traurigen Augen nicht ein einziges Mal abgewendet. Auch der Himmel hatte sich zornig gegen sie erwiesen, und doch war sie nicht gestorben. Aber den erzürnten Blick dieses bleichen, schwachen, sündigen und schmerzbeladenen Mannes konnte Esther nicht ertragen und damit leben.

»Willst du mir doch vergeben?« wiederholte sie aber- und abermals. »Willst du nicht bös dareinsehen? Willst du verzeihen?«

»Ich verzeihe dir, Esther!« antwortete der Prediger endlich mit tiefer, aus einem Abgrund von Trauer, aber nicht Zorn, heraufkommender Stimme. »Ich verzeihe dir jetzt von ganzem Herzen. Gott vergebe uns beiden. Esther, wir sind nicht die schlimmsten Sünder der Welt. Es gibt einen schlimmeren als selbst den befleckten Priester! Die Rache jenes alten Mannes ist schwärzer gewesen als meine Sünde. Er hat mit kaltem Blute das Heiligtum eines Menschenherzens geschändet. Wir beide, Esther, haben das nie getan.«

»Nie, nie!« flüsterte sie. »Was wir taten, hatte seine eigene Weihe. Wir fühlten es so – wir sagten es zueinander! Hast du es vergessen?«

»Still, Esther!« sagte Arthur Dimmesdale, sich vom Boden erhebend, »nein, ich habe es nicht vergessen.«

Sie setzten sich wieder nebeneinander und mit verschlungenen Händen auf den moosbedeckten Stamm des gestürzten Baumes. Das Leben hatte nie eine düsterere Stunde für sie gehabt. Es war der Punkt, auf welchen ihr Pfad so lange zugegangen und in seinem Verlaufe immer dunkler geworden war – und doch umschloß er einen Zauber, der sie zwang, dabei zu verweilen, und noch einen und wieder einen und endlich noch einen Augenblick zu verlangen.

Der Wald um sie her war düster und knarrte in einem hindurchgehenden Sturme. Die Zweige schwankten schwer über ihren Köpfen, während ein gewichtiger alter Baum dem anderen seine Trübsal zublies, als ob er ihm die traurige Geschichte der beiden erzählte, die unter ihm saßen, oder gezwungen war, Übles zu prophezeien. Und doch zauderten sie. Wie öde sah der Waldpfad aus, welcher zurück nach der Ansiedelung führte, wo Esther Prynne wieder die Bürde ihrer Schmach und der Geistliche das Trugbild seines guten Namens wieder auf sich nehmen mußte.

So verweilten sie noch einen Augenblick. Kein goldenes Licht war ihnen je so köstlich gewesen wie das Dunkel dieses düsteren Waldes. Hier, wo sie nur von seinen Augen gesehen wurde, brauchte sich der Scharlachbuchstabe nicht in die Brust der Gefallenen einzuglühen. Hier, wo ihn nur ihre Augen erblickten, konnte Arthur Dimmesdale, der Lügner vor Gott und Menschen, auf einen Augenblick wahr sein.

Er schrak zusammen, denn ein Gedanke stieg plötzlich in ihm auf.

»Esther«, rief er, »hier ist ein neues Entsetzen! Roger Chillingworth kennt deine Absicht, seinen wahren Charakter zu enthüllen. Wird er noch weiter unser Geheimnis bewahren? Welchen Weg wird jetzt seine Rache einschlagen?«

»In seiner Natur ist eine seltsame Verschwiegenheit«, antwortete Esther gedankenvoll, »und durch seine versteckten Rachegelüste ist sie nur noch stärker geworden. Ich glaube nicht, daß er das Geheimnis verraten wird. Er wird andere Mittel suchen, seine schwarze Leidenschaft zu sättigen.«

»Und ich! wie soll ich länger leben und dieselbe Luft mit diesem Todfeind atmen?« rief Arthur Dimmesdale schaudernd und die Hand auf sein Herz pressend – eine Gebärde, die bei ihm zu einer unwillkürlichen geworden war. »Denke für mich, Esther, du bist stark. Fasse du für mich einen Entschluß.«

»Du darfst nicht länger mit diesem Manne zusammenwohnen«, sagte Esther langsam und fest. »Dein Herz darf nicht länger unter seinem bösen Blicke liegen.«

»Es wäre weit schlimmer als der Tod«, antwortete der Geistliche. »Aber wie es vermeiden? Welche Wahl steht mir frei? Soll ich mich wieder auf dieses verwelkte Laub niederlegen, auf das ich mich warf, als du mir sagtest, wer er sei? Muß ich hier niedersinken und auf der Stelle sterben?«

»Ach, welcher Untergang ist über dich gekommen«, sprach Esther, der die Tränen aus den Augen kamen. »Willst du aus Schwäche sterben? Ein anderer Grund ist dazu nicht da.«

»Das Gericht Gottes ist über mir«, antwortete der von seinem Gewissen gepeinigte Priester. »Es ist zu mächtig, als daß ich dagegen ankämpfen könnte.«

»Der Himmel würde dir Gnade erweisen«, erwiderte Esther, »wenn du nur die Kraft hättest, sie zu nutzen.«

»Sei du stark für mich«, antwortete er. »Rate mir, was ich tun soll?«

»Ist denn die Welt so klein?« fragte Esther, indem sie ihre dunkeln Augen auf die des Geistlichen heftete und instinktmäßig eine magnetische Kraft über einen Geist ausübte, der so geschwächt und niedergedrückt war, daß er sich kaum aufrecht zu halten vermochte.