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Der scharlachrote Buchstabe

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Kapitel 14
Esther und der Arzt

Esther hieß die kleine Perle an das Wasser hinablaufen und mit den Muscheln und Seepflanzen spielen, bis sie mit jenem Kräutersammler gesprochen hätte. Das Kind flog davon wie ein Vogel, entblößte seine weißen Füße und plätscherte in das seichte Wasser der See. Hier und da blieb sie stehen und schaute neugierig in eine Pfütze, welche die Ebbe beim Zurückweichen als Spiegel zurückgelassen hatte, damit Perle ihr Gesicht darin sehen könne. Aus der Pfütze blickte sie mit dunkeln, schimmernden Locken um den Kopf und einem Elfenlächeln in den Augen das Bild eines kleinen Mädchens an, welches Perle, da sie keinen andern Spielkameraden besaß, einlud, ihre Hand zu nehmen und mit ihr um die Wette zu laufen. Aber das andere kleine Mädchen winkte ihr ebenfalls, wie um zu sagen: dies ist ein besserer Ort! Komm du in die Pfütze! und Perle schritt bis an das Knie hinein und erblickte auf dem Grunde ihre eigenen weißen Füße, während aus einer noch größeren Tiefe der Schimmer einer Art von fragmentarischem Lächeln kam, welches in dem bewegten Wasser hin und her schwamm.

Unterdessen hatte ihre Mutter den Arzt angesprochen.

»Ich möchte ein Wort mit Euch sprechen – ein Wort, das uns beide gleich stark angeht.«

»Ah, hat Frau Esther ein Wort für den alten Roger Chillingworth?« sagte er, indem er sich aus seiner gebückten Stellung erhob. »Von Herzen gern! Ich höre von allen Seiten Gutes über Euch! Erst gestern abend noch sprach eine Magistratsperson, ein weiser und frommer Mann, von Euern Angelegenheiten, Frau Esther, und flüsterte mir zu, daß von Euch die Rede im Rate gewesen sei. Es war besprochen worden, ob Euch der Scharlachbuchstabe mit Sicherheit für das Gemeinwohl von der Brust genommen werden könne oder nicht. Ich gebe Euch mein Wort, Esther, daß ich den Ehrenmann bat, es sofort geschehen zu lassen.«

»Es liegt nicht in dem Belieben des Magistrats, dieses Zeichen abzunehmen«, antwortete Esther ruhig. »Wenn ich verdiente, seiner entledigt zu werden, so würde es von selbst abfallen oder in einen Gegenstand von einer anderen Bedeutung umgewandelt werden.«

»Nun, wenn es Euch besser zusagt, so tragt den Buchstaben nur fort«, entgegnete er. »Ein Frauenzimmer muß bei der Ausschmückung seiner Person seinem eigenen Geschmacke folgen. Der Buchstabe ist hübsch gestickt und sieht auf Euerm Busen ganz vortrefflich aus.«

Während dieses Gespräches hatte Esther den alten Mann unverwandt betrachtet und war entsetzt und von Verwunderung ergriffen, als sie entdeckte, welche Veränderung die letzten sieben Jahre bei ihm hervorgebracht hatten. Es war weniger das, daß er älter geworden wäre, denn wiewohl die Spuren des vorrückenden Lebens sichtbar waren, trug er doch sein Alter gut und schien eine sehnige Kraft und Rüstigkeit zu bewahren. Aber der frühere Ausdruck eines ruhigen, stillen Forschers im Geiste, dessen sie sich bei ihm am besten erinnerte, war völlig verschwunden und durch einen unsteten, einbohrenden, fast wilden und doch sorgfältig verdeckten Blick ersetzt worden. Es schien sein Wunsch und seine Absicht zu sein, diesen Ausdruck durch ein Lächeln zu maskieren, aber dieses wurde ihm untreu und zuckte so höhnisch über sein Gesicht, daß der Beschauer eben dadurch seine Schwärze nur um so besser sehen konnte. Dann und wann kam aus seinen Augen eine rote Glut, als ob die Seele des alten Mannes brenne und dumpf in seiner Brust glimme, bis sie durch einen vorübergehenden Windstoß der Leidenschaft zu einer momentanen Flamme angefacht wurde. Diese drückte er aber so schnell wie möglich wieder zurück und bemühte sich auszusehen, als ob nichts Derartiges vorgefallen sei.

In einem Wort, der alte Roger Chillingworth war ein auffallender Beweis der Fähigkeit des Menschen, sich in einen Teufel zu verwandeln, wenn er nur eine anständige Zeitlang das Amt des Teufels übernehmen will. Der Unglückliche hatte diese Verwandlung dadurch bewirkt, daß er sich sieben Jahre lang beständig der Analyse eines gequälten Herzens gewidmet und darin seinen Genuß gefunden und die glühenden Qualen, welche er analysierte und an denen er sich weidete, mit neuem Brennstoff versehen hatte.

Der Scharlachbuchstabe brannte auf Esther Prynnes Brust. Vor sich hatte sie einen weiteren Verfall, für den die Verantwortung zu einem Teil auf sie zurückfiel.

»Was seht Ihr in meinem Gesicht«, fragte der Arzt, »daß Ihr es so ernstlich anschaut?«

»Etwas, worüber ich weinte, wenn es Tränen gäbe, die bitter genug dafür wären«, antwortete sie. »Aber lassen wir das! Ich möchte mit Euch über jenen Unglücklichen sprechen.«

»Was ist mit ihm?« rief Roger Chillingworth begierig, als liebe er den Gegenstand und freue sich der Gelegenheit, mit der einzigen Person, die er darüber ins Vertrauen ziehen konnte, davon zu sprechen. »Die Wahrheit zu gestehen, Frau Esther, meine Gedanken beschäftigen sich gerade jetzt ebenfalls mit dem Herrn. Sprecht also ohne Rückhalt, ich werde Euch antworten.«

»Das letzte Mal, als wir zusammen redeten«, sagte Esther, »es sind jetzt sieben Jahre her – beliebte es Euch, mir ein Versprechen der Schweigsamkeit über das früher zwischen uns bestandene Verhältnis abzupressen. Da das Leben und der gute Ruf jenes Mannes in Euern Händen waren, schien ich keine andere Wahl zu haben, als Euerm Verlangen gemäß zu schweigen. Ich wurde jedoch von Ahndungen bedrückt, als ich mich so verbindlich machte, denn nachdem ich alle Pflichten gegen andere menschliche Wesen von mir geworfen, blieb immer noch eine Pflicht gegen ihn zurück, und etwas flüsterte mir zu, daß ich diese Pflicht verrate, indem ich mich verbindlich machte, Euer Geheimnis zu bewahren. Seit jenem Tage steht ihm kein Mensch so nahe wie Ihr. Ihr folgt ihm auf Schritt und Tritt. Ihr seid im Schlafe und im Wachen an seiner Seite. Ihr durchforscht seine Gedanken. Ihr wühlt Euch in seine Brust und nagt an seinem Herzen. Ihr habt sein Leben in Euern Krallen und laßt ihn täglich einen neuen Tod sterben, und dennoch kennt er Euch nicht. Ich habe, indem ich dies zugab, gegen den einzigen Mann, dem ich noch treu zu sein vermochte, eine falsche Rolle gespielt.«

»Welche Wahl hattet Ihr?« fragte Roger Chillingworth. »Hätte ich mit meinem Finger auf den Mann gedeutet, so würde ich ihn von seiner Kanzel in einen Kerker geschleudert und von dort vielleicht sogar an den Galgen gebracht haben.«

»Das wäre besser gewesen«, sagte Esther Prynne.

»Was habe ich dem Manne Übels getan?« fragte Roger Chillingworth noch einmal. »Ich sage dir, Esther Prynne, daß der reichste Lohn, welchen je ein Arzt von einem Herrscher erhalten hat, nicht die Fürsorge hätte erkaufen können, die ich an jenen erbärmlichen Priester verschwendet habe. Ohne meine Hilfe würde sein Leben in den ersten zwei Jahren nach seinem und deinem Verbrechen in Qualen verglüht sein. Seinem Geiste mangelte die Kraft, welche den deinen, Esther, unter einer Bürde wie die deines Scharlachbuchstabens aufrechterhalten hat. Oh, ich könnte ein herrliches Geheimnis enthüllen! Aber lassen wir's. Was die Kunst tun kann, habe ich an ihm erschöpft. Daß er jetzt noch atmet und auf Erden umherschleicht, verdankt er nur mir!«

»Besser, er wäre schnell gestorben«, sagte Esther Prynne.

»Ja, Weib, du sprichst die Wahrheit!« rief der alte Roger Chillingworth, und das düstere Feuer seines Herzens loderte vor ihren Augen; »ja besser wäre er schnell gestorben! Noch nie hat ein Sterblicher gelitten wie dieser Mann, und immer vor den Augen seines schlimmsten Feindes! Er hat geahnt, er hat gefühlt, daß beständig ein Einfluß über ihm hing wie ein Fluch. Er wußte durch ein geistiges Gefühl – denn der Schöpfer hat nie einem Wesen ein reizbareres Empfindungsvermögen verliehen als ihm –, er wußte, daß keine freundliche Hand an den Fasern seines Herzens zog und daß ein Auge, das nur Böses suchte und es fand, aufmerksam in sein Inneres blickte. Aber er wußte nicht, daß das Auge und die Hand die meinen waren! Mit dem seiner Bruderschaft eigenen Aberglauben bildete er sich ein, daß er einem Teufel überliefert sei, der ihn mit furchtbaren Träumen und verzweifelten Gedanken, dem Stachel der Reue und der Verzweiflung an der Verzeihung foltere, um ihm einen Vorgeschmack von dem zu geben, was ihn jenseits des Grabes erwartet. Aber es war der stete Schatten meiner Gegenwart – die nächste Nähe des Mannes, dem er schmähliches Unrecht zugefügt und der am Ende nur noch von diesem ewigen Gifte der grausamsten Rache existierte! Wahrhaftig, er irrte nicht! An seiner Seite stand ein Teufel! Ein sterblicher Mensch mit einst menschlichem Herzen ist, nur um ihn zu quälen, zu einem Teufel geworden.«

Der unglückliche Arzt erhob bei diesen Worten seine Hände mit einem Blick des Entsetzens, als ob er im Spiegel gesehen hätte, wie eine furchtbare Gestalt, die er nicht wiederzuerkennen vermochte, seine Stelle eingenommen habe. Es war einer von den Augenblicken, die nur zuweilen in jahrelangen Zwischenräumen wiederkehren, wenn das moralische Aussehen des Menschen sich seinem geistigen Auge treu widerspiegelt. Vielleicht hatte er sich noch nie so wie jetzt gesehen. »Hast du ihn noch nicht genug gequält?« sagte Esther, die den Blick des Alten bemerkt hatte; »hat er dir noch nicht genug bezahlt?«

»Nein! Er hat die Schuld nur vergrößert!« antwortete der Arzt, dessen Wesen jetzt seine Wildheit verlor und in Trübsinn fiel. »Erinnerst du dich meiner, Esther, wie ich vor neun Jahren war? Schon damals stand ich im Herbst meiner Tage, und es war nicht der Frühherbst, aber mein ganzes Leben hatte aus fleißigen, eifrig forschenden, gedankenvollen, stillen Jahren bestanden, die ich getreulich zur Vergrößerung meines Wissens und ebenso getreulich, wiewohl der letztere Zweck nur nebenbei mit dem andern zusammenhing, zur Beförderung der menschlichen Wohlfahrt angewendet hatte. Kein Leben war friedlicher und unschuldiger als das meine, wenige Leben so reich an erwiesenen Wohltaten gewesen. Erinnerst du dich meiner? War ich nicht, wenn du mich auch für kalt halten mochtest, dennoch ein Mann, der für andere vorsorglich, für sich nur weniges bedürfend, gütig, wahrhaft, gerecht und von beständiger, wo nicht warmer Zuneigung war? War ich nicht all dies, Esther?«

 

»All dies und mehr«, sagte Esther.

»Und was bin ich jetzt?« fragte er, indem er in ihr Gesicht blickte und alles Böse seines Innern auf seine Züge heraustreten ließ. »Ich habe dir bereits gesagt, was ich bin – ein Teufel! Wer hat mich dazu gemacht?«

»Ich war es«, rief Esther schaudernd; »ich war es nicht weniger als er. Warum hast du dich nicht an mir gerächt?«

»Ich habe dich dem Scharlachbuchstaben überlassen«, antwortete Roger Chillingworth, »wenn der mich nicht gerächt hat, so kann ich weiter nichts tun.«

Er legte seine Finger darauf und lächelte.

»Er hat dich gerächt!« antwortete Esther Prynne.

»Ich hatte nicht weniger erwartet«, sagte der Arzt. »Und nun, was verlangst du von mir in bezug auf jenen Mann?«

»Ich muß das Geheimnis enthüllen«, antwortete Esther fest; »er muß dich in deinem wahren Charakter erblicken: was die Folgen sein mögen, weiß ich nicht, aber diese lange Schuld des Vertrauens, die ihm, dessen Fluch und Verderben ich gewesen bin, von mir gebührt, soll endlich bezahlt werden. Soweit es den Umsturz oder die Bewahrung seines guten Rufes und irdischen Standes und vielleicht auch sein Leben betrifft, ist er in deinen Händen, und ich, die der Scharlachbuchstabe zur Wahrheit erzogen hat, wenn es auch die Wahrheit des in die Seele dringenden, rotglühenden Eisens ist – ich sehe keinen so großen Vorteil für ihn in einem längeren Leben gespenstischer Leere, daß ich mich erniedrigen sollte, dich um Gnade anzuflehen. Tu mit ihm, was du willst! Es ist für ihn nichts Gutes zu hoffen – nichts Gutes für mich –, nichts Gutes für dich! Da ist nichts Gutes für die kleine Perle. Es gibt keinen Pfad, der uns aus diesem finsteren Labyrinthe führen könnte.«

»Weib, fast möchte ich dich bemitleiden«, sagte Roger Chillingworth, der ein Gefühl von Bewunderung nicht unterdrücken konnte; denn die Verzweiflung, der sie Ausdruck verlieh, hatte etwas Majestätisches an sich. »Du hast große Eigenschaften gehabt. Vielleicht wäre dieses Übel nicht geschehen, wenn du früher auf eine bessere Liebe als die meine gestoßen wärest. Ich bemitleide dich um des Guten willen, das in deiner Natur vergeudet worden ist.«

»Und ich dich«, antwortete Esther Prynne, »wegen des Hasses, der einen weisen und gerechten Mann in einen Teufel verwandelt hat. Willst du ihn von dir austreiben und wieder ein Mensch werden? Wenn auch nicht um meinetwillen, doch doppelt wegen deiner selbst! Verzeih und überlaß die weitere Vergeltung der Macht, welche sie für sich in Anspruch nimmt. Ich habe gesagt, daß nichts Gutes für ihn oder dich oder mich vorhanden sei, die wir hier zusammen in diesem düstern Labyrinth des Übels wandern und bei jedem Schritte über die Schuld straucheln, womit wir unsern Pfad angefüllt haben. Es ist nicht so! Es könnte etwas Gutes für dich, für dich allein geben, da du tief gekränkt worden bist und es dir freisteht zu verzeihen. Willst du dieses einzige Vorrecht aufgeben? Willst du diese unschätzbare Wohltat von dir stoßen?«

»Laß ab, Esther, laß ab!« erwiderte der alte Mann mit trüber Strenge; »es ist mir nicht gegeben zu verzeihen. Ich besitze nicht die Macht, von der du zu mir sprichst. Mein alter, lange vergessener Glaube stellt sich ein und erklärt alles, was wir tun und alles, was wir leiden. Du hast durch deinen ersten Schritt auf den Irrweg das Samenkorn des Bösen gepflanzt, von jenem Augenblicke an aber ist alles düstere Notwendigkeit gewesen. Ihr, die ihr mir Unrecht zugefügt habt, seid nur in einer Art von typischer Illusion sündig, und ich, der ich dem Satan sein Amt aus den Händen gerissen habe, bin ebensowenig ein Teufel. Es ist unser Schicksal. Laßt die schwarze Blume des Bösen blühen wie sie mag. Jetzt geh deines Weges und verfahre mit jenem Manne, wie du willst.«

Er winkte ihr mit der Hand, hinwegzugehen, und bückte sich wieder zu den Kräutern am Boden.

Kapitel 15
Esther und Perle

Auf solche Weise nahm Roger Chillingworth, eine verwachsene alte Gestalt mit einem Gesicht, welches den Menschen länger im Gedächtnis spukte als ihnen angenehm war, von Esther Prynne Abschied, und ging, zur Erde gebückt, weiter. Er pflückte hier eine Pflanze oder grub dort eine Wurzel aus und steckte sie in den Korb, den er am Arme trug. Sein grauer Bart berührte fast den Boden, als er vorankroch.

Esther blickte ihm ein Weilchen mit einer halb phantastischen Neugier nach, um zu sehen, ob das zarte Frühlingsgras nicht unter seinen Tritten verwelken und vergilbt und braun die Spur seines schwankenden Ganges durch das heitere Grün zeigen würde. Sie hätte gern gewußt, welche Art von Kräutern der alte Mann so eifrig sammelte. Ob nicht die durch die Sympathie seines Auges zu schlimmen Zwecken befruchtete Erde ihm unter seinen Fingern aufwachsende giftige Sträucher von bisher unbekannten Arten bieten würde? Oder war es für ihn genügend, daß jeder heilsame Wuchs bei seiner Berührung in etwas Bösartiges und Schädliches verwandelt ward? Beschien ihn die Sonne, die alles andere so hell erleuchtete, wirklich? Oder befand sich dort, wie es vielmals schien, ein trüber Schattenkreis, der sich mit seiner verwachsenen Gestalt bewegte, wohin er sich auch wenden mochte? Und wohin ging er jetzt? Würde er nicht plötzlich in die Erde versinken und eine hohle verbrannte Stelle zurücklassen, wo im Verlauf der Zeit giftiger Nachtschatten, Schierling, Belladonna und was sonst das Klima von bösen Pflanzen hervorbringen konnte mit häßlicher Üppigkeit wuchern würde? Oder würde er Fledermausschwingen entfalten und hinwegfliegen und um so häßlicher aussehen, je höher er zum Himmel aufstieg?

»Gleichviel, ob es Sünde ist oder nicht«, sagte Esther Prynne bitter, indem sie ihm nachblickte, »ich hasse den Mann.«

Sie machte sich Vorwürfe über das Gefühl, konnte es aber weder besiegen noch verwinden. Sie dachte an die lang vergangenen Tage in einem fernen Lande, wo er des Abends aus seinem einsamen Studierzimmer kam und sich am Schimmer des Kaminfeuers ihrer Heimat und im Lichte ihres bräutlichen Lächelns niedersetzte. Er habe es nötig, sich an diesem Lächeln zu wärmen, wie er sagte, um die Kälte so vieler einsamer Stunden unter seinen Büchern vom Herzen abzutauen. Solches war ihr einst nicht anders als glücklich erschienen, jetzt aber, Wo sie es durch den Trauerflor ihres späteren Lebens sah, reihten sich diese Szenen unter ihre häßlichsten Erinnerungen. Sie wunderte sich, wie solches nur hatte sein können. Sie wunderte sich, wie sie sich je hatte bewegen lassen, ihn zu heiraten. Sie hielt es für ihr bereuenswertestes Verbrechen, daß sie je den lauen Druck seiner Hand erduldet und erwidert und das Lächeln ihrer Lippen und Augen sich mit dem seinen habe vermischen und verschmelzen lassen. Und es erschien ihr als ein schlimmeres, von Roger Chillingworth begangenes Vergehen, als irgendeine Kränkung, die ihm je zugefügt worden war, daß er sie zu der Zeit, wo ihr Herz es nicht besser wußte, überredet hatte, sich an seiner Seite für glücklich zu halten.

»Ja, ich hasse ihn!« wiederholte Esther bitterer noch als vorher, »er hat mich verraten! Er hat mir schlimmeres Unrecht zugefügt als ich ihm.«

Die Männer mögen sich hüten, die Hand eines Weibes zu gewinnen, wenn sie nicht damit zugleich die höchste Leidenschaft ihres Herzens erwerben, sonst kann es ihr unglückliches Schicksal werden, wie das Roger Chillingworths, wenn irgendeine mächtigere Berührung als die ihre alle ihre Gefühle erweckt hat, Vorwürfe selbst über die ruhige Zufriedenheit, das Marmorbild des Glückes zu erhalten, die sie ihr anstelle der warmen Wirklichkeit des Glückes gegeben haben. Aber Esther Prynne hätte längst schon über diese Ungerechtigkeit hinaus sein sollen. Was bewies sie? Hatten sieben lange Jahre unter der Folter des Scharlachbuchstabens ihr so viele Schmerzen auferlegt, ohne Reue hervorzubringen?

Die Empfindungen der kurzen Zeit, während welcher sie stand und der gekrümmten Gestalt des alten Roger Chillingworth nachblickte, warfen ein trübes Licht auf Esthers Zustand und enthüllten vieles, was sie sich sonst vielleicht nicht gestanden hätte.

Sobald er verschwunden war, rief sie ihr Kind zurück.

»Perle! Perlchen! Wo bist du?«

Dem Kinde, dessen Geistestätigkeit nie ermattete, hatte es, während seine Mutter mit dem alten Kräutersammler sprach, nicht an Unterhaltung gefehlt. Anfangs hatte Perle, wie schon berichtet, phantastisch mit ihrem eigenen Bilde in einer Wasserpfütze kokettierend, dem Phantome gewinkt herauszukommen und, da es dies nicht tat, sich selbst einen Durchgang in dessen Sphäre einer unerfaßbaren Erde und eines unerreichbaren Himmels gesucht. Da sie jedoch bald fand, daß es entweder ihr oder dem Bilde an Wirklichkeit mangelte, hatte sie sich anderwärts nach einem bessern Zeitvertreib umgesehen. Sie machte kleine Kähne aus Birkenrinde und befrachtete sie mit Schneckenhäusern und sandte mehr Fahrzeuge auf die See hinaus als irgendein Kaufmann in Neu-England, aber der größte Teil davon scheiterte nahe der Küste. Sie erfaßte eine lebende Krabbe am Schwänze und bemächtigte sich mehrerer Seesterne und legte eine Qualle zum Zerschmelzen an die warme Sonne. Dann nahm sie den weißen Schaum, welcher die Linie der herankommenden Flut säumte, warf ihn in den Wind und sprang ihm mit beflügelten Schritten nach, um die großen Schneeflocken einzuholen, ehe sie fielen. Als sie eine Gesellschaft von Strandläufern wahrnahm, die am Ufer hinliefen und ihre Nahrung suchten, sammelte das garstige Kind eine Schürze voll Kiesel, schlich den kleinen Seevögeln von einem Felsen zum andern nach und bewies eine große Geschicklichkeit im Werfen nach ihnen. Ein kleines graues Vögelchen mit weißer Brust war, wie Perle sicher glaubte, von einem Kiesel getroffen worden und flatterte mit gebrochenem Flügel davon. Dann aber seufzte das Elfenkind und gab seine Jagd auf, weil es ihm leid tat, einem kleinen Wesen Schmerz zugefügt zu haben, das ebenso wild war wie der Seewind oder wie Perle selbst.

Ihr letztes war, Seetang zu suchen und sich daraus eine Schärpe oder einen Mantel oder einen Kopfputz zu machen und auf diese Weise das Aussehen einer kleinen Seejungfer anzunehmen. Sie hatte die Gabe ihrer Mutter geerbt, Draperien und Kostüme zu erfinden. Als letzte Zutat zu ihrer Nereidenkleidung nahm Perle ein paar Riedgrashalme und ahmte, so gut sie konnte, auf ihrer Brust den Zierat nach, der ihr auf ihrer Mutter so vertraut war. Ein Buchstabe – der Buchstabe A –, aber frisch grün, statt scharlachrot! Das Kind legte sein Kinn auf die Brust und betrachtete die Anordnung mit seltsamem Interesse, als ob es nur darum in die Welt geschickt worden wäre, seine verborgene Bedeutung ausfindig zu machen.

›Ich bin gespannt, ob die Mutter mich fragen wird, was er bedeutet!‹ dachte Perle.

Gerade jetzt hörte sie die Stimme ihrer Mutter, flatterte so leicht dahin wie einer von den kleinen Seevögeln und erschien tanzend, lachend und mit dem Finger auf den Zierat an ihrer Brust deutend vor Esther Prynne.

»Mein Perlchen«, sagte Esther nach kurzem Schweigen, »der grüne Buchstabe hat keine Bedeutung auf deiner kindlichen Brust, aber weißt du, mein Kind, was der Buchstabe, welchen deine Mutter tragen muß, zu bedeuten hat?«

»Ja, Mutter«, sagte das Kind, »es ist der große Buchstabe A. Du hast ihn mir in der Fibel gezeigt.«

Esther blickte forschend in ihr kleines Gesicht; wiewohl aber dasselbe den eigentümlichen Ausdruck zeigte, welchen sie so oft in ihren schwarzen Augen bemerkt hatte, konnte sie doch nicht zur Gewißheit darüber kommen, ob Perle irgendeine Bedeutung mit dem Symbole verband. Sie fühlte einen krankhaften Wunsch, die Sache zu ermitteln.

»Weißt du, Kind, weshalb deine Mutter diesen Buchstaben trägt?«

»Freilich weiß ich das!« antwortete Perle und schaute lustig in das Gesicht ihrer Mutter; »aus demselben Grunde, aus dem der Pfarrer die Hand auf sein Herz hält.«

»Und was für ein Grund ist das?« fragte Esther mit einem halben Lächeln über die Ungereimtheit der kindlichen Beobachtung, über die sie jedoch allsogleich erbleichte. »Was hat der Buchstabe mit irgendeinem andern Herzen als dem meinen zu tun?«

»Aber Mutter, ich habe dir alles gesagt, was ich weiß«, sagte Perle ernsthafter, als sie sonst zu sprechen gewohnt war. »Frage den alten Mann, mit dem du soeben sprachst, vielleicht kann er es dir sagen. Aber sag, Mutter, was bedeutet der Scharlachbuchstabe? Und weshalb trägst du ihn auf deiner Brust? Weshalb hält der Prediger die Hand auf sein Herz?«

Sie nahm die Hand ihrer Mutter in ihre beiden Hände und blickte mit einer Innigkeit, welche bei ihrem wilden, launischen Charakter selten war, in ihre Augen. Esther glaubte, daß sich das Kind ihr wirklich mit kindlichem Zutrauen zu nähern suche und alles, was es könne, und so verständig als es ihm möglich war, tue, um einen gemeinsamen Bereich sympathetischen Gefühls zu finden. Dies zeigte das Kind in einem ungewohnten Lichte. Bisher hatte sich die Mutter, ihr Kind mit der Innigkeit eines einzigen Gefühles liebend, darein ergeben, fast keine andere Vergeltung zu hoffen, als die Kaprice eines Aprilwindes, der seine Zeit in lustiger Jagd hinbringt und seine Anfälle unerklärlichen Zornes hat und selbst in seiner besten Laune aufbrausend ist und einen öfter erkältet als liebkost, wenn man ihn an seine Brust nimmt, zur Vergeltung für diese Ungezogenheit aber zuweilen in seiner Laune die Wange mit zweideutiger Zärtlichkeit küßt und einem sanft mit dem Haar spielt und dann wieder seine eignen müßigen Wege geht und einem ein träumerisches Wohlgefühl im Herzen zurückläßt. Dies war das Urteil der Mutter über die Anlage des Kindes. Jeder andere Beobachter würde vielleicht wenige liebenswürdige Züge erblickt und den unliebenswürdigen eine weit dunklere Färbung gegeben haben. Jetzt aber trat der Gedanke lebendig vor Esthers Geist, daß sich Perle mit ihrer auffallenden Frühreife und ihrem Scharfsinne vielleicht schon dem Alter genähert haben möge, wo sie zu einer Freundin gemacht und ihr so viel von den Kümmernissen ihrer Mutter anvertraut werden könne, als sich ihr ohne peinliche Zudringlichkeit für das Kind wie für die Mutter mitteilen lasse. Von Anfang an konnte man aus dem kleinen Chaos des Charakters Perlens die Grundsätze eines unerschütterlichen Mutes, eines unbezähmbaren Willens, eines standhaften Stolzes, der zum Selbstrespekt geschult werden konnte – und einer bitteren Verachtung vieler Dinge, die bei näherer Untersuchung den Makel der Lüge an sich trugen, hervortreten sehen. Sie besaß Neigungen, liebevolle Neigungen, obgleich sie sich bisher noch scharf und unangenehm gezeigt hatten, wie die köstlichsten Früchte, solange sie unreif sind. ›Bei allen diesen trefflichen Eigenschaften‹, dachte Esther, ›muß das Böse, welches sie von ihrer Mutter geerbt hat, sehr groß sein, wenn dieses Elfenkind nicht zu einem edlen Weibe erwächst.‹

 

Perlens unvermeidliche Neigung, über das Rätsel des Scharlachbuchstabens Aufschluß zu verlangen, schien eine angeborene Eigenschaft ihres Wesens zu sein. Sie hatte dies von der frühesten Zeit ihres bewußten Lebens als die ihr zugewiesene Mission betrachtet. Esther hatte oft geglaubt, daß die Vorsehung, als sie das Kind mit dieser auffallenden Neigung begabte, einen Plan der Gerechtigkeit und Vergeltung gehabt haben müsse, aber bis jetzt noch nie daran gedacht zu fragen, ob nicht mit diesem Plan vielleicht auch eine gnädige und freundliche Absicht verbunden sein möge. Konnte es nicht, wenn Perlchen mit Glauben und Vertrauen als geistiger Bote sowohl wie als Erdenkind aufgenommen wurde, ihre Sendung sein, den Kummer zu verscheuchen, welcher kalt im Herzen ihrer Mutter lag und es in ein Grab verwandelte, und ihr in der Bewältigung der Leidenschaft beizustehen, die einst so glühend gewesen und selbst jetzt noch nicht verstorben oder eingeschlafen, sondern nur in diesem Herzensgrabmale eingekerkert war?

Solcher Art waren die Gedanken, welche sich jetzt mit einer Lebhaftigkeit, als ob sie ihr ins Ohr geflüstert worden wären, in Esthers Geiste regten, und die ganze Zeit über hielt Perlchen die Hand ihrer Mutter in ihren beiden eigenen und wandte ihr Gesicht empor, während sie ein-, zwei-, dreimal die forschenden Fragen stellte.

»Was bedeutet der Buchstabe, Mutter, und warum trägst du ihn? Warum hält der Prediger die Hand auf das Herz?«

›Was soll ich sagen?‹ dachte Esther. ›Nein, wenn dies der Preis der Teilnahme des Kindes ist, so kann ich ihn nicht zahlen.‹

Hierauf sagte sie:

»Törichte Perle, was sind das für Fragen? Es gibt viele Dinge in der Welt, nach denen ein Kind nicht fragen darf. Was weiß ich vom Herzen des Predigers? Und was den Scharlachbuchstaben betrifft, so trage ich ihn wegen seiner Goldfäden.«

Während der ganzen vergangenen sieben Jahre hatte Esther das Symbol auf ihrem Busen noch nie verleugnet. Vielleicht war es der Talisman eines strengen, aber doch schützenden Geistes, der sie jetzt verließ, als er erkannte, daß sich trotz seiner eifrigen Wache über ihr Herz ein neues Übel in dasselbe geschlichen hatte, oder ein altes nicht völlig aus ihm vertrieben war. Aus Perlchens Gesicht verschwand sofort der Ernst. Aber das Kind hielt es nicht für angemessen, die Sache fallen zu lassen. Noch zwei, drei Male, während es mit seiner Mutter heimwärts ging, und ebensooft beim Abendessen und als es von Esther zu Bett gebracht wurde, und einmal, nachdem sie schon eingeschlafen schien, blickte Perle mit neckisch strahlenden schwarzen Augen auf.

»Mutter«, sagte sie, »was hat der Scharlachbuchstabe zu bedeuten?«

Und den folgenden Morgen gab das Kind dadurch das erste Zeichen seines Erwachens, daß es den Kopf vom Kissen erhob und die andere Frage stellte, welche es so unerklärlich mit seinen Forschungen über den Scharlachbuchstaben verknüpft hatte:

»Mutter! Mutter! Warum hält der Prediger seine Hand auf sein Herz?«

»Halt deinen Mund, du ungezogenes Kind«, antwortete seine Mutter mit einer Rauheit, welche sie sich noch nie gestattet hatte, »plage mich nicht, sonst sperre ich dich in die finstere Kammer.«