Der Bastard, mein Herz und ich

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Kapitel 4

Das Wasser plätschert gegen den Bug des Bootes. Weich und fast lautlos, aber gerade laut genug, damit es mir ein Gefühl wohliger Vertrautheit gibt.

Ich lehne mich auf der Decke zurück, die ich auf dem Deck ausgebreitet habe, verschränke die Hände unter dem Hinterkopf und schließe die Augen, während die Nachmittagssonne meine Lider kitzelt.

„Wenn man dich so liegen sieht, könnte man meinen, du hättest für den Rest des Tages frei.”

Ich nehme Sanjos Stimme nur unterschwellig wahr. Auch ohne die Augen zu öffnen, weiß ich, dass er sich auf seinen Lieblingsliegestuhl gesetzt hat, der direkt neben meiner Decke steht. In der Hand ein Feierabendbier, das er sich gerade nach einem langen Tag hinter dem Schreibtisch genehmigt.

„Heute viel los im Architekturbüro?”, frage ich.

„Lenk nicht ab!”

„Ich wusste nicht, dass ich ablenke.” Meine Augen sind noch immer geschlossen. „Und wenn ja, wovon lenke ich ab?”

„Na, von meiner Feststellung, dass du hier herumliegst, als hättest du bereits Feierabend.”

„Mensch, Sanjo. Krieg dich wieder ein. Es ist einfach nur eine Story wie jede andere auch. Er hatte einen wichtigen privaten Termin, das ist alles, was ich weiß. Deswegen musste er kurzfristig weg. Wir treffen uns heute Abend noch mal für ein paar Fotos während des Abendessens auf der Hotelterrasse. Atmosphäre unter den Gästen einfangen und so ... du weißt schon.” Ich schiebe mich auf meinen Ellenbogen ein Stück aufrecht und schaue ihn über den Rand meiner Sonnenbrille an. „Sag mal, wo ist eigentlich Astrid? Die habe ich bestimmt schon zwei Wochen nicht mehr gesehen.”

„Astrid ... ach das … wir sehen uns im Moment nicht, weißt du?“

„Nur im Moment nicht?“

„Ach, sie fing an, unseren kompletten Tag zu verplanen. Schon am Sonntag mussten alle Aktivitäten der gesamten kommenden Woche festgelegt werden. Spontaneität war praktisch unmöglich.“

„Also auch mit Astrid wieder kein Glück.“

„Was heißt hier auch wieder kein Glück? Wir waren einfach nicht kompatibel. So ist das Leben.“

„Da hast du schon ein eigenes Boot und es taugt doch nicht als dauerhafter Frauenmagnet. Oder bist du in Wahrheit etwa auch ein Kerl der Gattung Alwin Teschner?“

„Wie bitte?”

„Das war ein Scherz, Bruderherz. Glaub mir, du bist nicht mit ihm zu vergleichen. Du hast vielleicht nicht so viel Glück mit Frauen, aber deine Absichten sind wenigstens immer ehrenhaft. Ganz im Gegensatz zu Playboy Teschner.“

„Wie darf ich das verstehen?“

„Na ja, der Gute scheint es einfach nicht allzu lang bei einer Frau auszuhalten.“ Ich greife nach meiner Limonade, die auf dem Boden neben der Decke steht und schiebe den Strohhalm zwischen meine Lippen.

„Wieso?“ Sanjo wird neugierig. „Hat er dir das einfach so erzählt?“

„Das musste er gar nicht. Ich habe unfreiwillig eine sehr peinliche Szene im Restaurant und ein Telefonat mitbekommen – und in beide Vorfälle war eine jeweils andere Frau mit hysterischer Stimme verwickelt. Erst eine Tanja, dann eine Susanna. Und später in seinem Büro“, ich stelle meine Limonade ab und lehne mich auf der Decke zurück, „hatte er noch einen Anruf, wegen dem er plötzlich ganz dringend weg musste. Und ich habe ganz deutlich gehört, dass auch da eine Frau am anderen Ende der Leitung war. Ich glaube, er hat sie Stefanie genannt.“

„Ziemlich beschäftigt, der Gute.“

„Ich finde so etwas abartig.“ Seufzend schließe ich die Augen. „Nur weil er halbwegs ansehnlich ist und ein erfolgreicher Geschäftsmann, muss er die Frauen doch nicht behandeln wie austauschbare Barbies. Ich kann es kaum erwarten, bis ich die Reportage fertig habe. Heute Abend noch ein paar Fotos, morgen der Rest – und das war’s dann.“

„Denk an das Geld“, sagt Sanjo. „Immer nur an das Geld. Der Rest ist egal.“

„Ganz genau so werde ich das auch von jetzt an betrachten. Diese Reportage ist ein lukrativer Job und macht sich hervorragend in meiner Vita. Und was interessiert es mich, was er in seinem Privatleben treibt?“

„Eben.“

Wir verfallen in ein wohliges Schweigen, sodass sich das Plätschern des Wassers am Rumpf des Bootes erneut in mein Bewusstsein drängt.

Der Kirchdorfer Hafen, so bunt das Treiben hier auch für gewöhnlich ist, hüllt sich an diesem späten Nachmittag in eine angenehme Stille. Eine Stille, die jedoch einer Frage, die in mir brennt, umso mehr Raum zum Wachsen gibt: Warum, zum Teufel, mache ich mir Gedanken darüber, dass ein augenscheinlich so sensibler und tiefgründiger Mann wie Alwin Teschner so wenig Respekt vor dem anderen Geschlecht hat? Und wie passen die melancholischen und nachdenklichen Aussagen, die er am Strand von sich gegeben hat, zu dem Bild, das ich mittlerweile von ihm habe? Dem Bild eines Weiberhelden, der Frauen wie heiße Kartoffeln fallen lässt, sobald sie ihm lästig werden?

Denk an das Geld. Immer nur an das Geld. Der Rest ist egal.

„Woran denkst du?“, fragt Sanjo.

„An das Geld“, antworte ich. „Nur an das Geld.“

*

Als ich die Hotelterrasse betrete, bin ich überrascht, nicht nur speisende, sondern auch tanzende Hotelgäste vorzufinden.

Die Ostsee im Hintergrund als idyllisches Panorama. Der weiche Schein der Laternen, in dessen Licht die Wangen der Gäste weich und geheimnisvoll schimmern.

Hier der Ärmel eines weiten Leinenhemdes, dort der fließende Stoff eines lavendelfarbenen Sommerkleides. Das gelbgraue Gewebe der Überdachung, das im milden Ostseewind flattert.

Instinktiv wandert meine Hand zu der Kamera in meiner Tasche, doch anstatt sie auszupacken, verharren meine Finger auf dem Leder.

„Frau Ritter, da sind Sie ja wieder.“ Er kommt aus dem Inneren des Restaurants direkt auf mich zu.

„Herr Teschner.“ Ich stehe in der Mitte der Terrasse, während die besinnlichen Klänge von „Have You Ever Really Loved A Woman“ in der Luft schweben.

Das Lächeln, mit dem er auf mich zukommt, ist so weich und sanft, dass mich ein kurzer Ruck durchfährt.

Ob es dieselbe Art und Weise ist, wie er alle Frauen ansieht, bevor sie sich auf ihn einlassen? Meine Güte, so gut sieht er doch nun auch wieder nicht aus!

Aber warum fällt es mir dann so schwer, einen Frauenhelden in ihm zu sehen, wenn er mich auf diese Weise anschaut? Sein Charme wirkt weder berechnend noch übertrieben, seine Augen aufrichtig und voller Wärme.

Er legt seine Hände seitlich an meine Schultern, als hätten wir uns Jahre nicht gesehen.

„Auf Sie habe ich gewartet“, sagt er.

„Auf mich?“

Er nickt. „Sie sprachen vom Einfangen der abendlichen Atmosphäre auf der Hotelterrasse. Und hier vergeht kein Sommerabend, an dem nicht getanzt wird. Und genau deshalb“, er nimmt mir meine Kameratasche ab und stellt sie auf einen unbesetzten Stuhl, „ist es wichtig, dass Sie diese Atmosphäre am eigenen Leib spüren, um wirklich wahrheitsgetreu darüber schreiben zu können.“

Ehe ich etwas entgegnen kann, spüre ich seine Hand an meiner Taille und meine Finger in seinen.

Mit achtsamen Schritten beginnt er, mit mir zu tanzen. Langsam und bedächtig, aber äußerst sicher in seinen Bewegungen führt er mich durch den Rhythmus der Musik.

„Glauben Sie mir“, beginne ich unsicher, „ich bin wirklich eine ganz grauenvolle Tänzerin.“

„Blödsinn. Sie machen das wunderbar.“

Unser Tanz ist vielmehr ein Wiegen. Sanft und besonnen, als würden wir nur dastehen und einander umarmen.

Ich spüre seine warme Wange an meiner, während mein Blick ungewollt zu seinem offenen Hemdkragen wandert.

Was tue ich hier eigentlich? Ich will einen Artikel schreiben und Fotos machen – und nicht tanzen.

„Herr Teschner“, ich löse mich aus seiner Berührung, „eigentlich wollte ich …“

Doch er zieht mich sanft, aber mit Nachdruck, wieder an sich heran.

„Noch ist das Lied nicht zu Ende“, sagt er. „Nur noch ein paar Takte. Sie müssen mir versprechen, die Augen zu schließen und sich ganz auf die Atmosphäre einzulassen. Ich möchte wirklich, dass sie diesen Ort so kennenlernen, wie es auch die Gäste tun.“

„Aber ich …“

„Tun Sie mir den Gefallen?“

Nur noch ein paar Schritte. Nur noch ein paar Klänge.

Sein Gesicht ist so nah neben meinem, dass ich einen Hauch von Rotwein in seinem Atem wahrnehme.

Ich sträube mich innerlich dagegen, trotzdem spüre ich, wie mich der Rhythmus gefangen nimmt. Nicht nur der Rhythmus der Musik, nein, vielmehr ist es der Rhythmus zwischen uns beiden, der mich nicht loslässt.

Nur unterschwellig nehme ich das Rauschen des Meeres in der Ferne wahr, das so vertraut ist und doch in diesem Moment etwas seltsam Geheimnisvolles in sich trägt. Fast so, als wäre es darum bemüht, dem Augenblick eine mystische Note zu geben.

Kämpf dagegen an, Sina. Du hast keine Zeit für Melancholie.

„Ich wollte Sie eigentlich fragen“, beginne ich schließlich, „ob ich eines der Zimmer – am besten Ihr schönstes – bei Sonnenuntergang fotografieren dürfte. Das abendliche Ostseepanorama, das von drinnen durch das Fenster zu sehen ist, Sie wissen schon. Es geht ja nicht nur um Sie, sondern auch um das Hotel in meinem Artikel.“

„Sicher. Was auch immer Sie wollen.”

Doch während er das sagt, macht er keinerlei Anstalten, mit dem Tanzen aufzuhören. Nichts scheint ihm wichtiger zu sein, als sich hier und jetzt zu genau diesem Lied zu bewegen.

„Und was, wenn ich Sie bitten würde, dass wir das jetzt erledigen?”, frage ich über seine Schulter hinweg.

 

„Das Lied ist zu kitschig, ich weiß.”

„Das meinte ich nicht.”

Er bleibt stehen. „Was ist es dann?”

„Nichts. Ich würde einfach nur wahnsinnig gern meine Arbeit erledigen, Herr Teschner. Immerhin bin ich ja deswegen hier.”

Seufzend lässt er die Arme sinken. „Dann hoffe ich, dass es Ihnen trotzdem gelingen wird, die Atmosphäre des Hotels zu spüren und auch zu übermitteln.”

„Keine Sorge, das schaffe ich auch ohne Bryan Adams.”

Kapitel 5

Es ist der perfekte Ausblick. Perfekt für frisch vermählte Brautpaare, für die diese Suite eigentlich bestimmt ist. Und perfekt für ein Foto.

Die hauchdünnen Vorhänge, die an den Seiten des wandbreiten Fensters zurückgebunden sind, lassen das zarte Violett der untergehenden Sonne nur erahnen, doch durch das freigelegte Fensterglas in der Mitte bietet sich mir ein unverstellter Blick auf das Meer.

„Es ist einfach ...”, ich lasse meine Hand mit der Kamera sinken, „... wunderschön.”

„Was habe ich Ihnen gesagt?”

Er schließt die Tür hinter mir und kommt zu mir ans Fenster.

„Von hier aus hat man die beste Sicht auf das Meer”, sagt er. „Frei und unverstellt.”

„Sie haben nicht zu viel versprochen.” Ich hebe meine Kamera und beginne zu fotografieren.

„Genau deshalb ist dies hier auch die Hochzeitssuite”, antwortet er. „Nirgends kommt die besondere Atmosphäre der Umgebung so zur Geltung wie hier.”

Während ich meine Fotos schieße, ist der Stolz in seiner Stimme nicht zu überhören. Fast so, als wäre er höchstpersönlich für den Sonnenuntergang verantwortlich.

„Deswegen wird dieses Hotel wohl auch immer mein liebstes bleiben“, sagt er. „Hier hat alles angefangen. Hier ist die Wurzel von allem.“

Er steht mit den Händen in den Hosentaschen vor dem Fenster, während sein Blick in die Ferne wandert.

Durch die Linse ist es mir möglich, ihn unauffällig zu beobachten.

Da ist er wieder, der abenteuerlustige Junge, den ich in jedem seiner Züge erkennen kann. Aber wie passt dieser Junge zu dem erfolgreichen Geschäftsmann, der sich so gewählt ausdrückt? Und warum gibt mir seine Persönlichkeit solche Rätsel auf?

Nur das übliche Interesse an dem Objekt des Artikels, das wird es sein. Und wenn nun mal dieser Mann Thema des Artikels ist, ist es eben auch er, der mich beschäftigt.

Richtig?

„Was sehen Sie, wenn Sie durch die Linse schauen?“, fragt er plötzlich.

„Wie bitte?“

„Na ja, wenn Sie fotografieren, die Ostsee, das Hotel, mich – was sehen Sie da?“

Ich packe die Kamera wieder ein, während ich über seine Worte nachdenke.

„Ich weiß nicht genau, ob es eine Antwort auf diese Frage gibt“, sage ich.

„Es gibt auf jede Frage eine Antwort“, sagt er. „Nur vielleicht nicht immer eine, die uns gefällt.“

„Ich sehe alles“, antworte ich nach einem kurzen Zögern. „Manchmal sogar mehr, als mir lieb ist.“

„Wie meinen Sie das?“ Er reißt seinen Blick vom Fenster los und betrachtet mich mit einem Interesse, das mir wieder diesen kleinen, unerwarteten Ruck versetzt.

„Es hängt vielleicht mehr mit meiner Persönlichkeit als mit dem Fotografieren zusammen, aber es war schon immer so, dass ich mehr in Dingen und Menschen gesehen habe als andere. Ich weiß nicht, ob diese Gabe zuerst da war und mich zum Fotografieren gebracht hat oder ob sie erst so richtig durch das Fotografieren zum Vorschein gekommen ist. Aber“, ich schlucke, während ich über meine eigenen Worte nachdenke, „ich kann mich nicht mehr daran erinnern, jemals ohne sie gewesen zu sein. Sie ermöglicht mir vieles, aber manchmal ist sie auch ein Fluch.“

„Ein Fluch?“ Er kommt einen Schritt auf mich zu.

„Na ja, ich würde manchmal einfach nicht alles so bewusst wahrnehmen. Manchmal ist es einfach angenehm, wenn gewisse Nebensächlichkeiten unentdeckt bleiben, sodass ich mich besser auf das Wesentliche konzentrieren kann.“

„Und was wenn es genau diese Nebensächlichkeiten sind, die das Leben lebenswert machen?“ Er neigt den Kopf zur Seite, den Blick noch immer fest auf mich gerichtet. „Was, wenn die wahre Leidenschaft, das wahre Leben, eben nicht in den grauen Fakten steckt, sondern eben“, er lächelt, „zwischen den Zeilen?“

„Zwischen den Zeilen“, wiederhole ich leise, während ich seinen intensiven Blick erwidere.

Ob das die Erklärung dafür ist, dass ich mehr in ihm sehe, als mir lieb ist? Die Erklärung dafür, dass schon in so kurzer Zeit ein Interesse in mir geweckt wurde, das weit über die für eine Reportage wie diese übliche Neugier hinausgeht? Und auch die Erklärung dafür, warum ich eben nicht den Frauenheld in ihm sehe, der er zweifellos ist?

Ich sehe ihn näher kommen. So nahe, dass es keinen vernünftigen Grund mehr gibt, der diese Nähe rechtfertigt.

„Sie dürfen über mich herausfinden, was auch immer Sie möchten“, sagt er mit einem Lächeln, das keinen Zweifel daran lässt, dass sein Interesse an mir kein berufliches ist.

Und – zack – da ist er doch, der Frauenheld, den ich für einen Moment nicht sehen wollte oder konnte – oder was auch immer. Und endlich bin ich wieder wach.

„Ich würde jetzt gern für heute Schluss machen“, sage ich mit fester Stimme. „Wenn ich die Fotos gleich zu Hause auf den Laptop ziehe, kann ich mit dem Bearbeiten noch heute Abend beginnen.“

„Natürlich.“ Alwin räuspert sich. „Was auch immer Sie wollen.“

*

8. August 2001

Ihr Lieben,

ich habe mich gut bei den Grahams eingelebt. Besonders dir würde ihr kleines Hotel auf dem Hügel wahnsinnig gut gefallen, Papa.

Und ja, es geht mir gut. Wirklich. Zum ersten Mal seit Monaten ist es mir gelungen, mich ein bisschen abzulenken.

Du wärst stolz, wenn du sehen würdest, wie oft ich mich mit Mrs. Graham über ihre Arbeit unterhalte. Vermutlich hast du mir doch mehr Geschäftssinn in die Wiege gelegt, als du gehofft hattest.

Ich weiß noch nicht, wann ich wiederkomme. Aber ihr seid die Ersten, die es erfahren werden.

Euer Alwin

*

Ich stütze mein Kinn gelangweilt auf meine Hand und starre auf den Bildschirm.

Die hochgeladenen Fotos warten förmlich darauf, von mir gesichtet zu werden, doch schon seit fünf Minuten gelingt es mir nicht, sie wirklich wahrzunehmen.

Ich schaue auf die Laptop-Uhr.

Kurz nach halb zehn. Zu früh, um schlafen zu gehen. Aber irgendwie auch zu spät, um noch etwas Sinnvolles zustande zu bringen.

Die Türklingel reißt mich aus der Lethargie.

Sanjo? Aber selbst er würde um diese Zeit nicht mehr auftauchen, um mir von seinem neuesten Flirt zu berichten.

Ich greife nach meiner Strickjacke und ziehe sie über meiner Jogginghose und dem T-Shirt zusammen.

Lustlos schleiche ich zur Tür. Als ich sie öffne, zucke ich unweigerlich zusammen.

„Herr Teschner? Woher wissen Sie, wo ich … was machen Sie hier?“

„Ich komme einfach nicht zur Ruhe, Sina.“

Seit wann duzen wir uns? Habe ich irgendetwas verpasst?

Ich starre ihn mit offenem Mund an, doch mir will einfach keine passende Antwort einfallen.

„Ich habe so etwas noch nie erlebt“, sagt er. „Glaub bitte nicht, dass ich so etwas öfter tue und Adressen von Frauen ausfindig mache, die ich eigentlich gar nicht kenne. Aber der heutige Tag und auch die Zeit mit dir am Meer ... da war etwas in der Luft, das mich seitdem verfolgt. Und ich kann einfach nicht in den Alltag übergehen, ohne dass ich dich gefragt habe, ob …“, er verstummt. Nervös greift er sich an die Stirn und schiebt die Hände schon im nächsten Moment wieder in die Hosentaschen. Ist das wirklich derselbe selbstbewusste Geschäftsmann, mit dem ich den Tag verbracht habe?

„Sag mir jetzt“, sprudelt es schließlich aus ihm heraus. „Sag mir jetzt, jetzt sofort, dass ich mir das alles nur einbilde. Dass es da keine besondere Atmosphäre zwischen uns gibt. Dass wir uns nicht ohne Worte verstanden haben und es vom ersten Moment an so war, als würden wir uns kennen. Sag es mir, Sina, bitte! Nur ein Wort von dir und ich verschwinde auf der Stelle wieder.“

Seine Worte treffen mich mitten ins Herz. Ich möchte schreien, weinen, lachen, die Tür zuschlagen und ihm gleichzeitig um den Hals fallen – alles zur selben Zeit.

Augenblicklich fallen mir die Telefonate mit den Frauen ein und das peinliche Theater mit dieser Tanja im Restaurant. Was, wenn es eine ganz einfach Erklärung für all das gibt? Was, wenn er gar kein Frauenheld ist?

Du redest dir die Dinge schön, Sina. Du willst, dass er ehrenwert ist, weil er dich auf eine Weise reizt, die du nicht einordnen kannst.

„Sina?“

Der Blick, mit dem er mich mustert, ist ängstlich und hoffnungsvoll zugleich.

„Ich … ich weiß nicht, was ich sagen soll“, beginne ich vorsichtig.

„Sag einfach, dass ich mich irre“, antwortet er. „Und ich verschwinde wieder.“

Doch ich kann ihm weder antworten, noch bin ich in der Lage, ihn wegzuschicken. Allein die Tatsache, dass er hergekommen ist, sollte mir Angst machen oder mich zumindest irritieren. Doch die Wahrheit ist, dass es mich, je mehr ich darüber nachdenke, überhaupt nicht überrascht. Ob es ihm auch so geht? Ob er meine Blicke, mein Auftreten, eher entschlüsselt hat als ich selbst und deshalb etwas getan hat, das in jeder anderen Situation einfach nur unpassend und lächerlich wäre? Hat er etwas verstanden, das ich selbst nicht wahrhaben wollte und ist genau deshalb hergekommen?

Meine Hand liegt noch immer auf dem Türgriff, während sich meine Kehle langsam zuschnürt.

„Ich“, er hält kurz inne, „ich glaube, ich gehe besser wieder. Bitte entschuldige, dass ich hier einfach so aufgetaucht bin. Das war dumm von mir. Dumm und peinlich. Ich wollte nur reden, aber selbst das … das …“, er schluckt, „vergiss es einfach, okay?“

Gerade als er sich abwendet, finde ich endlich meine Stimme wieder.

„Du hast dich nicht geirrt“, rufe ich ihm nach und erschrecke im selben Augenblick über meine mutigen Worte.

Mit dem Rücken zu mir bleibt er regungslos stehen. Erst nach einigen Momenten des Schweigens dreht er sich schließlich zu mir um.

Er kommt einen Schritt auf mich zu. Wortlos schauen wir einander an, bis er sich vorsichtig zu mir herunterbeugt und meine Lippen so sanft und flüchtig mit seinen berührt, dass ich schon kurz darauf glaube, mir das alles nur eingebildet zu haben.

„Das war alles, was ich wissen wollte“, sagt er so leise, dass ich ihn kaum hören kann.

Ich möchte etwas antworten, doch kein einziges Wort findet seinen Weg in meinen wie leergefegten Kopf, geschweige denn auf meine Lippen.

Mit einem Lächeln, das alles und gleichzeitig nichts bedeutet, wendet er sich von mir ab.

Noch immer in der offenen Tür stehend, schaue ich ihm nach, wie er die Treppen herunterläuft. Schritt für Schritt. Stufe für Stufe. Herzschlag für Herzschlag.