Der Bastard, mein Herz und ich

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Der Bastard, mein Herz und ich
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Nancy Salchow

Der Bastard, mein Herz und ich

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Inhaltsverzeichnis

Titel

Über das Buch

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Bonus-Buch – Memo von Meena – Über das Buch

Bonus-Buch – Kapitel 1

Bonus-Buch – Kapitel 2

Bonus-Buch – Kapitel 3

Bonus-Buch – Kapitel 4

Bonus-Buch – Kapitel 5

Bonus-Buch – Kapitel 6

Bonus-Buch – Kapitel 7

Bonus-Buch – Kapitel 8

Bonus-Buch – Kapitel 9

Bonus-Buch – Kapitel 10

Bonus-Buch – Kapitel 11

Bonus-Buch – Kapitel 12

Bonus-Buch – Kapitel 13

Bonus-Buch – Kapitel 14

Danksagung

Über die Autorin

Bisher erschienen

Impressum neobooks

Über das Buch

Als Fotojournalistin Sina eine große Story über den erfolgreichen Hotelbesitzer Alwin machen soll, hat sie nur ein einziges Ziel: Den Auftrag so schnell wie möglich hinter sich zu bringen. Dass sie unfreiwillig mitbekommt, wie viele Frauengeschichten er zeitgleich zu laufen hat, bestätigt sie nur in ihrem Verdacht, dass sie es mit einem der schlimmsten Exemplare der Gattung Mistkerl zu tun hat.

Die Tatsache, dass sie ihn in stillen Momenten als einfühlsamen Mann kennenlernt, der anscheinend alles andere als ein unverschämter Frauenheld ist, versucht sie auszublenden.

Oder täuscht sie sich etwa in Alwin? Ist er möglicherweise doch nicht der Bastard, für den sie ihn hält? Und warum bekommt eine selbstbewusste Frau wie sie in Gegenwart eines Mistkerls wie ihm Herzklopfen?

Bonus im Buch: Der komplette Kurzroman „Memo von Meena“.

Kapitel 1

„Hallo, schöne Frau. Kennen wir uns?“

Sagen wir mal so: Sollten wir uns bisher nicht kennen, ist das Regal mit den Ersatz-Schleifköpfen für Hornhautentferner vermutlich nicht der optimalste Ort, um das zu ändern.

„Tun wir nicht“, antworte ich, werfe eine Packung Schleifköpfe in meinen Handkorb und rette mich mit einem flüchtigen Nicken in den Gang mit den Küchenrollen.

In welchem Paralleluniversum halten sich Männer mit Schmierhaaren und Bauchansatz unter dem engen Achselshirt eigentlich für unwiderstehlich?

„Einer attraktiven Frau wie Ihnen traut man gar keine Hornhaut zu.“ Er hält es scheinbar für nötig, mir in den Nebengang zu folgen, um diese Feststellung mit mir zu teilen.

„Deshalb kauft die attraktive Frau diese Utensilien auch nicht für sich selbst, sondern für mich“, antwortet Sanjo für mich, der plötzlich wie aus dem Nichts neben mir steht und den Arm besitzergreifend um meine Schulter legt.

„So etwas dachte ich mir schon“, murmelt der Schmierhaarige irritiert.

„Umso besser.“ Sanjo mustert ihn mit aufforderndem Grinsen.

Ohne ein weiteres Wort verschwindet der Fremde zurück in sein Goldkettchen-Universum und lässt Sanjo lachend zurück.

„Danke, aber ich kann auf mich selbst aufpassen.“ Ich puffe ihm in die Hüfte. „Hast du den Soßenbinder gefunden?“

„Ob ich den Soßenbinder gefunden habe? Ist das alles, was du deinem großen Bruder zu sagen hast, nachdem er dich wieder mal gerettet hat?“

„Komm schon, Sanjo, das war einfach nur ein schmieriger Aufreißer. Große Klappe und nichts dahinter, da weiß ich mich schon zu wehren, wenn es nötig ist. Außerdem habe ich nicht ewig Zeit. Wenn du alles hast, sollten wir echt langsam zur Kasse. Mein Termin ist schon in einer halben Stunde.“ Mit vorwurfsvollem Seufzen eile ich zur Kasse voraus. „Wird echt Zeit, dass du dein Auto aus der Werkstatt holst. Ich kann nicht ewig deinen Chauffeur spielen.“

„Und ich dachte, du wärst gern mit mir unterwegs“, antwortet er, während er mir langsam zum Warenband folgt.

„Ich liebe dich, Bruderherz. Aber niemand kann so sehr nerven wie du, wenn man es eilig hat.“

In der Glastür eines Kühlschranks für Dosengetränke, der direkt neben der Kasse steht, fange ich unser Spiegelbild ein. Während wir darauf warten, dass die ältere Dame vor uns ihren Einkaufswagen leert, stelle ich beim Betrachten unserer Umrisse wieder einmal fest, wie wenig wir uns optisch ähneln.

Er, der dunkelhaarige Riese mit den breiten Schultern und dem raspelkurzen Haar, ich die zierliche Blondine mit nicht mal 1 Meter 70, deren lockiges Haar bis zum Hintern reicht.

Charakterlich sind wir uns dagegen so ähnlich wie Zwillinge: beide haben wir ein besonderes Faible für Ironie und sind eigentlich ständig genervt von irgendwelchen taktlosen Mitmenschen.

„Ob ich der Dame mal freundlich verrate, dass die Zutaten des Kräuterquarks auch noch nach dem Bezahlen auf der Verpackung stehen?“, flüstere ich Sanjo ungeduldig zu.

„Sie nimmt es halt sehr genau.“

„Ich habe es aber eilig, das weißt du. Ich treffe mich zum Mittagessen mit ihm.“

„Kannst es wohl kaum erwarten, diesen Typen endlich kennenzulernen, was?“

„Termin ist Termin, mit ihm hat das wenig zu tun. Außerdem weiß ich so gut wie nichts über ihn. Deswegen lernen wir uns ja kennen.“

„Ich habe erst neulich was über ihn gelesen. Er soll ja mächtig viel Kohle scheffeln mit seinen Hotels.“

„Das Einzige, was mich interessiert, ist, dass ich mächtig Kohle mit dieser Fotoreportage über ihn scheffele.“

„Sicher nicht so viel wie er.“

„Entschuldigung“, platzt es schließlich aus mir heraus, als die Dame an der scheinbar spannendsten Stelle der Kräuterquark-Zutatenliste angelangt ist, „sind Sie schon fertig? Kann ich den Trennstab aufs Band legen?“

Die Dame legt den Quark irritiert auf das Warenband. „Immer in Eile, die Jugend von heute“, brummt sie mit einem mürrischen Kopfschütteln.

„Ja genau“, flüstere ich Sanjo ironisch zu, „ich bin diejenige, die hier ein Kopfschütteln verdient hat.“

 

Sanjo grinst. „Viel erwähnenswerter finde ich die Tatsache, dass sie dich mit achtundzwanzig für jugendlich hält.“

„So jugendlich, dass mich Schmierhaar-Bierbäuche neben den Hornhautentfernern anbaggern.“

„Du bist eben eine attraktive Frau, Schwesterherz.“

„Selbst wenn du recht haben solltest“, ich schaue auf meine Armbanduhr, „wird mich das auch nicht davor bewahren, zu spät zu diesem Termin zu kommen.“

Kapitel 2

„Entschuldigung? Herr Teschner? Alwin Teschner?“

Als er mich sieht, erhebt er sich von seinem Stuhl und reicht mir die Hand. Am Fenstertisch des Hotelrestaurants angekommen, berühren sich unsere Hände in angemessener Höflichkeit, trotzdem entgeht mir nicht das regelrecht leuchtende Grün seiner Augen und die Grübchen, die sein hübsches Lächeln umso charmanter machen. Der Dreitagebart ist ein männlicher Kontrast zu seinem dunkelblonden Haar, das er in weichen Konturen zurückgekämmt hat.

„Frau Ritter“, antwortet er und reißt mich aus den Gedanken. „Schön, dass Sie da sind. Ich habe uns einen Tisch mit Blick aufs Meer reserviert.“

Ich schaue durch das deckenhohe Fenster zum Ostseestrand hinaus, der hinter einer flachen Mauer von sanften Wellen gestreichelt wird. Mit Schrecken stelle ich fest, dass es bereits Mitte Juli ist und ich in diesem Jahr noch kein einziges Mal schwimmen war. Zu viele Aufträge. Zu viel Arbeit.

„Ich bin ein paar Minuten zu spät“, sage ich. „Das ist sonst eigentlich gar nicht meine Art.“

„Tatsächlich? Ist mir gar nicht aufgefallen.“ Er zieht einen Stuhl für mich zurück.

„Ich hoffe, Sie warten noch nicht lang“, antworte ich.

„Aber nein.“ Ich spüre die flüchtige Berührung seiner Hand an meinem Unterarm, den kaum wahrnehmbaren Hauch von Rasierwasser in der Luft, als er auf dem Stuhl mir gegenüber Platz nimmt. „Es ist mein Hotel, ich war eh hier, weil ich noch ein paar Dinge mit den Kollegen durchsprechen musste. Und ob ich nun um halb eins esse oder eine halbe Stunde später, ist nicht wirklich relevant.“

Nicht wirklich relevant. Die Art, wie er sich ausdrückt, passt irgendwie nicht zu dem spitzbübischen Grinsen, mit dem er mir gegenüber sitzt. Das cremefarbene Hemd und die oliv schimmernde Hose machen einen seriösen Eindruck, doch nur so lang, bis man einen Blick in seine vor Energie aufblitzenden Augen schaut.

„Es bleibt also dabei?“, frage ich, während ich meine Kameratasche neben meinen Stuhl auf den Boden stelle. „Ich begleite Sie zwei Tage lang bei Ihrer Arbeit und darf fotografieren, was auch immer mir vor die Linse kommt?“

„Aber sicher, Frau Ritter. Ich habe keine Geheimnisse vor Ihnen“, er nimmt einen Schluck Wasser und nickt zu meinem Glas herüber. „Ich war übrigens so frei, Ihnen ein Glas Wasser zu bestellen. Ich hoffe, das war nicht übergriffig.“

„Sehr aufmerksam. Danke.“

Während ich nach dem Glas greife und einen Schluck nehme, kann ich einen unauffälligen Blick in seine Richtung nicht vermeiden.

Wie jugendlich er wirkt. Jugendlich und gleichzeitig doch so männlich und erfahren. Sind es wirklich allein seine Augen, die ihm diese kindliche Neugier geben?

Von meiner eigenen kurzen Vorbereitungsrecherche weiß ich, dass er erst dreiunddreißig ist und bereits das dritte Hotel eröffnet hat. Den Rest, so legte es mir der Chefredakteur unserer Zeitung nahe, werde ich an den zwei Tagen erfahren, in denen ich ihn begleite.

„Also, Frau Ritter“, er faltet die Hände unter seinem Kinn zusammen, „wie ist es Ihnen lieber? Möchten Sie gern selbst etwas aussuchen oder wollen Sie das Risiko wagen und die Auswahl der Speisen mir überlassen?“

Er lacht, während er das sagt und macht mich damit unerwartet nervös.

„Warum nicht ein bisschen Risiko?“, entgegne ich. „Vielleicht ist das eine gute Gelegenheit, auf diese Weise gleich ein bisschen mehr über Sie zu erfahren. Das sind die Dinge, die die Welt wissen will: Ist er Vegetarier? Oder mag er es lieber männlich-rustikal mit Steak und Pilzen?“

„Warum nur habe ich das Gefühl, dass Sie sich gerade über mich lustig machen?“ Er prostet mir mit seinem Glas zu, als wäre Wein darin.

„Nein, im Ernst. Das ist meine erste Reportage über einen Hotelinhaber. Ich bin wirklich gespannt. Und wenn zu dieser Erfahrung gehört, dass ich auch beim Essen ein Risiko eingehe, dann nehme ich das gern in Kauf.“

„Eine Frau, die etwas wagt. Sehr schön.“ Er hebt die Hand, um den Kellner herbeizuwinken, wendet dabei jedoch keine Sekunde den Blick von mir ab. „Aber bevor wir essen, möchte ich gern wissen, wem ich hier mein Herz öffne. Bisher kenne ich nur Ihren Namen.“

„Na ja, ich bin jetzt achtundzwanzig und seit vier Jahren Fotojournalistin, eigentlich freiberuflich, aber tatsächlich die meiste Zeit für die Tagesbrise-Zeitung aktiv.“

„Die tägliche Brise Ostseeluft“, sinniert er fröhlich.

„Kann man so sagen, ja.“

Der Kellner unterbricht unsere Unterhaltung mit einem erwartungsvollen Lächeln.

„René, bringst du uns bitte als Vorspeise das Orangencarpaccio mit gebratenen Garnelen und als Hauptgang ...”, er hält die Hand vor seinen Mund und flüstert ihm etwas zu.

Der Kellner nickt mit einem geheimnisvollen Augenzwinkern und verschwindet wieder in der Küche.

„Sollte ich Angst haben?“, frage ich.

„Keine Sorge. Sie bekommen keine Schnecken oder andere Kriechtiere serviert.“

„Na dann …“

Ich umklammere noch immer mein Glas, als wäre es ein Rettungsanker.

Seltsam. Irgendetwas an seinem Blick elektrisiert mich auf eine Weise, die mir fremd ist. Fremd und gerade deshalb so verlockend.

Wo kommt diese Gelassenheit in seinen Augen her? Und warum bringt mich diese Mischung aus jugendlicher Abenteuerlust und Reife derart durcheinander? Bilde ich mir all diese Dinge nur ein?

„Aber wir waren noch nicht fertig“, sagt er.

„Fertig womit?“

„Na ja, ich wollte doch mehr über Sie erfahren.“

„Ach so. Ähm … sehr viel mehr gibt es eigentlich nicht über mich zu sagen.“ Ich kann mir ein freches Grinsen nicht verkneifen. „Zumindest nicht, wenn man bedenkt, dass wir uns überhaupt nicht kennen und wir nur auf beruflicher Ebene miteinander zu tun haben.“

„Oh, das ist aber eine enttäuschende Antwort. Damit nehmen Sie mir die Chance, Sie zu fragen, ob Sie verheiratet sind, Kinder haben – oder wenigstens ein Haustier.“

„Erinnern Sie sich bitte daran, Herr Teschner, ich mache eine Story über Sie, nicht umgekehrt.“

„Wie nett, dass Sie mich daran erinnern.“

„Und ja, ich habe ein Haustier“, ergänze ich mit einem Augenzwinkern. „Mein Kater heißt Oskar.“

„Verstehe.“ Da ist es wieder, sein spitzbübisches Grinsen.

Flirte ich etwa gerade mit ihm?

Bleib professionell, Sina! Immer hübsch professionell bleiben.

„Also?“ Ich wechsele das Thema mit einem Räuspern. „Wo wollen wir heute anfangen? Bleiben wir hier oder was liegt an?“

„Also zuerst einmal werde ich Sie mit unserem Mittagessen hoffentlich davon überzeugen können, dass das Restaurant des Möwenzauber-Hotels eines der besten hier in Rerik ist.“ Er lacht. „Sie können es auch als eine Art Bestechung betrachten, damit Ihre Story über mich besonders positiv ausfällt.“

„Und nach der Bestechung?“

„Na ja, danach – so war meine Idee – machen wir gleich die Fotos am Meer, die Sie in Ihrer Mail angekündigt haben. Dann haben wir das hinter uns. Ich hasse es nämlich, fotografiert zu werden.“

„Die Fotos?“

„Haben Sie es etwa vergessen?“ Seine Stirn legt sich in Falten. „Sie wollten doch ein Fotoshooting mit mir am Meer machen. Für den Bericht.“

„Oh ja.“ Ich zupfe am Kragen meiner Bluse. „Die Fotos. Natürlich. Eine gute Idee.“

Gerade als ich mich daran erinnere, mich etwas professioneller zu verhalten, stört eine Frauenstimme meine Gedanken.

„Alwin“, flötet eine langbeinige Rothaarige durch das Restaurant, während sie auf unseren Tisch zukommt. „Hier steckst du also.“

„Tanja!“ Die Verlegenheit ist ihm deutlich anzumerken. „Ich bin gerade mitten bei der Arbeit.“

Das sehe ich.“ Sie mustert mich mit leicht abfälligem Blick.

„Lass uns telefonieren, ja?“ Er scheint bemüht, sie so schnell wie möglich abzuwimmeln.

„Telefonieren. So so.“ Sie beugt sich über unseren Tisch, sodass ich direkt in den Ausschnitt ihres viel zu engen Tops schauen kann. „Ich warte seit über einer Woche auf deinen Anruf.“

„Ich habe eben viel zu tun. Und eigentlich“, er senkt seine Stimme, „habe ich dir doch auch schon erklärt, warum das alles doch keine so gute Idee ist.“

„Keine so gute Idee?“ Sie wird lauter. „Genau darüber wollte ich ja mit dir reden.“

„Tanja, bitte!“

„Oh, mein Auftauchen ist dem großen Geschäftsmann wohl peinlich, was?“ Sie stemmt die Hände in die Hüften. „Tut mir schrecklich leid, wenn ich dich blamiere, mein Lieber.“

„Ich weiß gar nicht, warum du eine Szene machst“, antwortet er mit gesenkter Stimme. „Es ist doch nichts vorgefallen, dass dich dazu veranlassen müsste, hier in aller Öffentlichkeit aus der Rolle zu fallen.“

„Aus der Rolle zu fallen?“ Sie schaut sich mit hämischem Lachen im Restaurant um, in dem sich die peinlich berührten Köpfe der Anwesenden entweder vor Neugier heben oder vor Scham senken. „Vielleicht stehe ich ja darauf, aus der Rolle zu fallen, Alwin. Und zwar genau hier, wo es alle mitbekommen. Das hat doch was, findest du nicht?“

Nun scheint es ihm zu reichen.

Mit rosigen Wangen erhebt er sich von seinem Platz und legt seine Hand an ihren Unterarm. „Lass uns draußen darüber reden, okay?“

Sie entgegnet etwas, das ich nicht verstehen kann.

Entgeistert schaue ich den beiden dabei zu, wie sie das Restaurant durch einen Seitenausgang in Richtung Ostseeterrasse verlassen.

„Ich bin gleich wieder da“, ruft er mir auf halber Strecke zu. „Probieren Sie das Carpaccio. René wird es sicher gleich servieren. Sie werden begeistert sein.“

Die Blicke der anderen Gäste streifen mich. Ob sie mich für seine Gespielin halten? Die Neue an seiner Seite, nachdem er gerade erst die Vorgängerin abserviert hat?

Ich senke meinen Blick peinlich berührt auf meine Hände. Bleib gelassen, Sina. Bleib einfach ganz gelassen. Du tust hier nur deinen Job – und das Privatleben dieses Mannes geht dich nicht das Geringste an.

Kapitel 3

Die Wellen streicheln den Sand wie Blätter, die an einer mächtigen Baumkrone ihre unsichtbaren Linien im Wind ziehen.

Auf und ab.

Hin und her.

In einer anderen Situation, an einem anderen Tag, hätte ich vermutlich meine Schuhe ausgezogen, um barfuß durch den feuchten Sand zu laufen, hätte mich hier und da von einer Welle berühren lassen und dabei vergnügt aufgeschrien.

Doch hier und heute ist Professionalität gefragt.

„Den Kopf ein klein wenig mehr nach links. Entspannen Sie sich. Ja genau so.“

Alwin steht neben einem alten Ruderboot, das umgedreht im Sand liegt und folgt meinen Anweisungen.

Während ich meine Fotos schieße, flackern Bilder in mir auf, wie sie mich immer heimsuchen, wenn ich am Strand fotografiere. Bilder längst vergangener Tage mit Hannes und mir am Meer – und mit ihnen die Erinnerungen an unsere erste Liebesnacht in genau so einem alten Ruderboot im Schilf.

Hannes. Meine erste Liebe.

Und meine bisher längste, mit der keine der nachfolgenden Beziehungen konkurrieren konnte.

Was er wohl inzwischen macht? Ob er die Fesseln der Provinzlangeweile, wie er sie immer so abfällig nannte, inzwischen abgelegt hat und in Berlin glücklicher geworden ist? Und ob er mich und unsere vier Jahre inzwischen vergessen hat?

„Wissen Sie, dass ich mir ziemlich dämlich vorkomme?“, ruft er mir zu.

„Dämlich?“ Ich komme ein paar Schritte aus dem Wasser heraus auf ihn zu. „Aber warum denn?“

„Weil nichts unnatürlicher ist als ein gestelltes Foto“, antwortet er, während er die Arme sinken lässt. „Es wäre mir wesentlich lieber, wenn Sie mich bei der Arbeit fotografieren. Am besten so, dass ich es nicht mitbekomme.“

„Sie arbeiten aber nun mal am Meer“, verteidige ich meine Strategie. „Da müssen wir zumindest ein wenig Flair in die Sache bringen. Langweilige Schreibtisch-Fotos kann doch jeder. Ich bin auf der Suche nach dem ganz besonderen Schnappschuss.“

 

„Trotzdem muss eine kleine Fotopause erlaubt sein.“ Er entfernt sich vom Boot und kommt auf mich zu. „Wie wäre es, wenn wir zurück zum Hotel gehen? Ich erwarte einen wichtigen Anruf aus München. Es wäre mir lieb, wenn ich dabei in meinem Büro wäre.“

„Natürlich.“ Ich stecke meine Kamera zurück in die Tasche. „Das Ziel ist ja, Sie bei einem ganz normalen Arbeitstag zu begleiten.“

„Eben.“ Er neigt den Kopf zur Seite und betrachtet mich, als würde er in meinen Augen die Antwort auf eine bestimmte Frage suchen. „Wer weiß, vielleicht erfahren Sie auf diese Weise ja etwas Interessantes für Ihren Bericht?“

„Was mich viel mehr interessieren würde“, entgegne ich, während wir langsam zurück zur Strandpromenade gehen, „ist Ihr Werdegang, Herr Teschner.“

„Mein Werdegang?“

„Ja. Wir sind Sie überhaupt zu Ihrem ersten Hotel gekommen? Sie sind doch noch so jung, wenn ich das so sagen darf.“

„Danke. Aber mein erstes Hotel hat weniger mit Erfolgsgespür zu tun als mit Glück. Mein Vater ist vor sieben Jahren in den Ruhestand gegangen und hat mich in seine Fußstapfen treten lassen, nachdem ich eine Ausbildung zum Hotelfachmann in ebendiesem Ursprung all meiner Hotels absolviert hatte.“

„Im Möwenzauber?“

Er nickt. „Dort fing alles an. Und von da an haben wir alles getan, um das Hotel zu dem zu machen, was es heute ist.“

„Wir?“

„Mein Bruder und ich.“

„Sie haben einen Bruder?“

„Clemens. Wobei er sich mehr auf Restaurants spezialisiert hat. In unseren Hotels, aber auch darüber hinaus. Das ist sein Steckenpferd. Er ist der beste Koch, den Sie sich vorstellen können. Die Gemüselasagne, die Sie heute gegessen haben, verdanken Sie ihm.“

„Tatsächlich? Sie war großartig.“

„Clemens hat es einfach drauf. Das Geschäftliche hingegen überlässt er lieber mir.“ Ein geheimnisvolles Lächeln schleicht sich auf seine Lippen. „So wie einige andere Dinge.“

„Verstehe.“

„Na ja, und die anderen beiden Hotels in Wismar“, fährt er fort, „das hat sich einfach durch Zufall ergeben. Eines stand zum Verkauf, weil die Besucherzahlen im Sturzflug waren. Das andere war das Opfer einer bösen Scheidung. Die Besitzer waren verheiratet – bis sie ihn mit einem Zimmermädchen in flagranti erwischt hat. Und dann ging es um alles oder nichts. Sie wissen schon: Kann ich das Hotel nicht haben, kriegst du es auch nicht.“

„Beängstigend, wie schnell sich Liebe doch wandeln kann.“

„Beängstigend, ja.“ Er stupst mir mit dem Ellenbogen in die Hüfte. „Das mit dem Zimmermädchen behalten Sie aber bitte für sich, ja? Es soll mich ja niemand für eine männliche Tratschtante halten.“

„Natürlich. Das sind ohnehin nicht die Details, die mich interessieren. Ich bin ja keine Klatschreporterin.“

Alwin schiebt die Hände in seine Hosentaschen. Wie ruhig er wirkt, während wir nebeneinander den Strand entlanggehen. So ruhig und ausgeglichen. Und dann, wie aus dem Nichts, blitzt wieder dieser jugendliche Charme auf, wann immer sich unsere Blicke treffen.

„Es ist sehr ruhig heute“, stellt er beim Blick über das Meer fest. „So kurz nach dem Regen ist mir der Strand am liebsten. Keine Touristen. Nur hier und da ein melancholischer Spaziergänger. Der perfekte Zeitpunkt, um seine Gedanken zu ordnen.“

Nicht weit von uns, direkt im feuchten Sand neben einem Steg, sitzen mehrere Möwen.

Durch eine sanfte Berührung bringt er mich zum Stehen und zieht mich langsam zu sich in die Hocke.

„Schauen Sie“, sagt er leise. „Sind das nicht faszinierende Tiere?“

Schweigend folge ich seinem Blick zu den Vögeln im Sand.

„Ich könnte ihnen stundenlang zusehen“, sagt er. „Wussten Sie, dass Möwen ganz furchtbare Taucher sind? Hin und wieder werden sie deshalb sogar zu Mundräubern und stehlen anderen Vogelarten die Beute aus dem Schnabel, die sie selbst niemals fangen könnten.“

„Nein, das wusste ich nicht.“ Eine Erinnerung wird in mir wach. „Mein Bruder und ich haben früher immer am Strand gespielt und den Möwen Namen gegeben. Ich weiß noch wie heute, dass bei mir jede Möwe Elwira hieß.“

„Tatsächlich? Das ist witzig. Mich haben diese Tiere auch schon von Kindesbeinen an begeistert.“

Ich weiß nicht, ob ich unbewusst eine Bewegung mache, die in seinen Augen zu hektisch ist. Irgendetwas jedoch bringt ihn dazu, meine Hand mit sanftem Druck festzuhalten, sodass ich neben ihm regungslos innehalte, um den Vögeln zu zuzuschauen.

„Schon als Kind“, sagt er, „gab es für mich nichts Beruhigenderes, als die Möwen zu beobachten. Sie sind so im Einklang mit sich selbst und ihrer Umgebung. Finden Sie nicht auch?“

„Um ehrlich zu sein, habe ich als junges Mädchen nie so genau darüber nachgedacht. Ich fand sie einfach nur niedlich. Aber jetzt, wo Sie es erwähnen … Möwen sind vermutlich irgendwie … na ja … so etwas wie ein Symbol. Ein Symbol des Meeres und der damit verbundenen Freiheit.“

„Der Freiheit“, antwortet er, ohne den Blick von den Vögeln abzuwenden „aber auch der Melancholie.“

„Melancholie“, wiederhole ich beinahe lautlos.

„Faszinierende Tiere“, sagt er. „Immer noch und immer wieder aufs Neue.“

Langsam wendet er sich von den Vögeln ab und schaut mich erneut mit diesem seltsam suchenden Blick an. Erst jetzt wird mir bewusst, dass meine Hand noch immer in seiner liegt.

Irgendetwas scheint in der Luft zu schweben. Für einen Moment schauen wir einander wortlos an. Niemand von uns wagt ein Wort, geschweige denn eine Bewegung.

Täusche ich mich oder liegt irgendetwas Ungreifbares zwischen uns? Kein anzügliches Lächeln, keine fragwürdigen Blicke – einfach nur eine unerklärliche Atmosphäre, die sich nicht in Worte fassen lässt.

Plötzlich durchschneidet ein hartnäckiges Vibrieren die Stille.

„Verdammt.“ Er zieht sein Handy aus der Hosentasche. „Der Anruf aus München. Und ich habe die Unterlagen nicht dabei.“

Doch die Art, wie er auf sein Display schaut, macht deutlich, dass es doch nicht der erwartete Anruf ist.

Nach einem kurzen Zögern nimmt er schließlich ab.

„Susanna … Nein. Es ist gerade etwas …“, er schaut mich an, „ungünstig.“

Ich erhebe mich aus der Hocke und tue so, als hätte ich etwas an meiner Kamera zu prüfen. Nur nicht den Eindruck erwecken, als würde ich lauschen.

„Aber ich habe dir doch gesagt, dass es nicht um mich geht.“ Er wendet mir den Rücken zu. „Und auch nicht um uns. Nein, da habe ich keine Zeit … Nein, Susanna … das hat nichts mit Lügen zu tun. Du wusstest von Anfang an, dass … nun hör mir doch mal zu … es gibt nicht den geringsten Grund, warum du … Susanna!“

Beim letzten Ausruf ihres Namens zucke ich zusammen.

Meine Güte, erst diese Tanja im Restaurant, nun dieser Anruf einer gewissen Susanna. Auf wie vielen Hochzeiten tanzt dieser Mann eigentlich?

Ich schiebe meine Kamera zurück in die Tasche.

Unbehagen überkommt mich. Noch vor wenigen Augenblicken haben wir nebeneinander im feuchten Sand gesessen und die Möwen beobachtet. Ein stiller Moment, der mir so besonders erschien, dass es beinahe schon unheimlich war.

Und jetzt? Jetzt telefoniert er mit einer Frau, die sich – wie schon die Frau aus dem Restaurant – scheinbar mehr von ihm erhofft hat, als er zu geben bereit ist.

Und ausgerechnet ich soll eine Story über ihn schreiben? Eine Story über einen Frauenhelden, wie er im Buche steht?

Ruhig bleiben, Sina. Ganz ruhig. Du bist beruflich hier.

Er schiebt das Handy zurück in seine Hosentasche und strahlt mich an, als wäre nichts geschehen – und im Grunde stimmt das ja auch. Was gehen mich schon seine Privatangelegenheiten an?

„Also?“ Er kommt auf mich zu. „Wo waren wir stehengeblieben?“

*

17. Juli 2001

Mama, Papa,

ich weiß, ihr seht die Welt im Moment mit anderen Augen als noch vor wenigen Monaten. Und ich weiß, dass das auch der Grund dafür ist, warum ihr Clemens und mich am liebsten rund um die Uhr in eurer Nähe haben möchtet.

Aber eben diese Nähe ist es, die ich im Moment nicht ertrage.

Es ist inzwischen vier Monate her und trotzdem vergeht kein einziger Tag, eigentlich nicht mal eine Stunde, in der ich nicht an Jessica denken muss. Ich weiß, wir alle vermissen sie und wir alle quälen uns noch immer ununterbrochen mit der Frage, ob dieses schreckliche Drama hätte verhindert werden können, wenn jemand von uns bei ihr gewesen wäre. Wenn sie nicht allein am Meer gewesen wäre. Wenn …

Aber es hat keinen Sinn, sich mit diesen Fragen zu quälen.

Und genau darum geht es. Wenn ich hier bleibe, wo mich alles an sie erinnert, kann ich diesen Fragen einfach nicht entkommen. Ich muss raus aus dieser ständigen Erinnerung an Jessica. Wenigstens für eine Weile. Weg von diesen Schuldgefühlen, die wir alle mit uns herumschleppen.

Und ihr könnt mir tausendmal sagen, dass ich keine Schuld daran trage. Als ihr großer Bruder habe ich mich für sie verantwortlich gefühlt. Gerade an diesem Tag. Und genau das kann ich vermutlich niemals vergessen.

Ja, ich werde die Lehre als Hotelfachmann beginnen. Das habe ich euch versprochen, vor allem dir, Papa. Nur ich weiß im Moment einfach noch nicht, wann. Und vor allem auch nicht, wie.

Ich weiß nur eins: Ich will diese Reise nach Schottland machen. Dass sich mir jetzt die Chance dazu bietet, kann kein Zufall sein.

Bitte betrachtet es nicht als Wegrennen. Ich komme wieder. Ganz sicher. Nur jetzt, jetzt habe ich das Gefühl, dass mich alles hier erdrückt. Vor allem der Gedanke an Jessica.

Bitte versucht nicht noch einmal, es mir auszureden. Ich fliege schon am Montag und nichts und niemand kann mich davon abhalten. Ich bin jetzt volljährig – bitte behandelt mich auch so.

Euer Alwin