Natascha

Tekst
0
Recenzje
Przeczytaj fragment
Oznacz jako przeczytane
Czcionka:Mniejsze АаWiększe Aa

Der Abgesandte

Es war kalt, sehr kalt. Der Mond stand voll und groß am Himmel, umgeben von tausend glühenden Punkten.

Ich stand auf den äußersten Zinnen der Stadtmauer. Meine Füße standen eng nebeneinander auf dem bröckeligen Gestein der alten Mauer. Ich verhielt mich ganz still. Der Wind wehte kräftig um mich herum und versuchte mich von den Zinnen zu reißen. Meine Augen waren geschlossen, der Kopf in den Nacken gelegt. Meine Arme ausgebreitet, so stand ich dort oben und wartete auf den Geruch.

Ich erwartete keinen bestimmten Duft, ich würde mich spontan entscheiden. Entscheiden wer von den Menschen es wert sei zu sterben, durch mich zu sterben.

Es ist März, das letzte Jahr war nur noch ein blutiger, wilder Sturm in meiner Erinnerung. Ein Sturm voller Qualen, Gier und Mordlust und … voller Blut.

Sehr selten gestattete ich mir, in dem roten Strudel der Erinnerung zu versinken. Zu schmerzlich waren die Gedanken an den letzten Sommer.

Ich habe gekämpft und ich wurde besiegt, ich habe verloren, alles verloren.

Mein Dasein wird nie wieder so sein wie früher, ich bin nicht mehr die Gleiche. Meine äußeren Wunden waren verheilt, aber innerlich war etwas zerrissen, das nicht heilen würde.

Niemals, es war zerstört. Unwiderruflich.

Ich bewegte mich nicht mehr unter den Menschen, hielt mich Abseits. Trat nur noch mit ihnen in Kontakt, wenn ich einen von ihnen töten wollte. Dann war ich schnell, brutal und grausam. Dann war ich ein Raubtier.

Das Raubtier, das dem Monster Nahrung geben musste, weil es danach verlangte und erst wieder Ruhe einkehrte, wenn das Monster gesättigt war.

Nach den Vorfällen im August war ich zu Josh geflüchtet und hatte mich meinem Schmerz und meiner Wut hingegeben. Ich war tagelang nicht ansprechbar, hatte in Joshs Keller gewütet und geschrien, versuchte mein inneres Monster zu bekämpfen, es einfach verhungern zu lassen.

Ich wollte nichts anderes als sterben.

Ich wollte wieder bei Justin sein, in seinen Augen, in diesen tiefen Brunnen versinken, seinen kalten Körper fühlen.

Es half alles nichts, nach ein paar Tagen holte Josh mich aus meinem selbst gewählten Gefängnis und stellte mich vor die Wahl. Entweder wurde ich wieder vernünftig, oder er lieferte mich persönlich an die Obrigkeit aus.

Seit Franks gewaltsamen und gar nicht tragischen Tod war ich Freiwild. Dennis machte seine Drohung tatsächlich wahr und verriet mich an den hohen Rat.

Sie hatten die Jagd auf mich eröffnet, es war nur eine Frage der Zeit, wann sie mich erwischten, wann auch ich in Flammen aufging.

Aber bis es soweit war, beschloss ich, mein Monster nicht mehr zu bekämpfen, sondern mich nur noch von ihm leiten zu lassen, mich dem Blutdurst und der Gier hinzugeben.

Kein Vertrauen, keine Liebe, kein Feuer mehr.

Alles hatte ich verloren, unwiederbringlich verloren.

Ich atmete die kalte Nachtluft ein, suchte weiter nach einem Geruch, nach meiner heutigen Beute.

Plötzlich und unerwartet umspielte ein zarter Duft meine Nase, leicht, luftig und süß. Ich hatte ihn gefunden, den Geruch, der mich heute Nacht ernähren würde, der mein Monster in mir für heute ruhig stellte.

Langsam öffnete ich meine Augen, sie waren gelb, Raubtieraugen, wie immer in letzter Zeit. Das harmlose, nette Braun meiner Augen war seit meinem Aufenthalt in Joshs Keller nicht wieder zurückgekehrt. Auch meine Zähne, diese zwei spitzen Dolche, kehrten kaum noch in ihren ursprünglichen Zustand zurück. Ich war jetzt ständig ein Vampir, Tag und Nacht, die ganze Zeit über. Kaum gestattete ich mir einen anderen Gedanken, als den an heißes, köstliches und frisches Blut.

Da war er wieder, der Geruch, der mir die heutige Nacht versüßen würde. Ich öffnete meinen Mund,

»Ah«, ich lächelte.

Das Monster in mir schrie und kreischte laut. Mein inneres Feuer loderte kurz und heftig auf, es wollte gelöscht werden.

Ich wollte, dass es gelöscht wurde mit dem herrlichen Duft und Geschmack. Ich machte einen Schritt nach vorne und fiel in die Tiefe …

Erschrocken riss ich meine Augen auf. Dunkelheit umhüllte mich, ich musste ein paar Mal zwinkern, damit ich klarer sehen konnte. Die restlichen roten Nebelschwaden verzogen sich gerade. Ich war wohl in meiner Wolke der Erinnerung eingetaucht.

Ich kann nicht schlafen, also kann ich auch nicht träumen. Ich kann mich nur erinnern an vergangene Ereignisse.

Es war wie ein Traum, gemischt mit Ereignissen, die tatsächlich geschehen waren.

Ich setzte mich auf. Eben erst hatte ich mich in meinem Wohnzimmer auf das Sofa gelegt, daran konnte ich mich noch deutlich erinnern. Der Rest war überlagert von einem rötlichen Dunst. Dazwischen tauchte immer wieder Justins Gesicht auf. Seine Zähne blitzten, seine schönen Augen sahen mich hungrig an, sie wurden zu Raubtieraugen, dann wieder braun, die Zähne blitzten. Es war wie in einem Wirbelsturm, immer wieder die gleichen Bilder, immer schneller flogen sie an mir vorbei.

Ich schüttelte meinen Kopf um ihn frei zu bekommen und stand auf, ich hatte Durst.

Die Ereignisse im letzten August, sie waren so weit entfernt und doch war es so, als wäre alles erst gestern geschehen. Neun Monate war es jetzt her. Eine kurze Zeitspanne, für einen Vampir, doch kam es mir wie Jahrzehnte vor. Die Zeit schleppte sich dahin, wenn man alles verloren hatte, wenn man an nichts mehr glaubte, wenn man tot war.

Ich ging zu meinem Kühlschrank und holte mir eine Büchse Konservenblut, das ich langsam in ein Glas schüttete und der Mikrowelle anvertraute. Während ich auf das leise Pling wartete, ließ ich mir durch den Kopf gehen, wo ich heute Nacht hin könnte. Das leise Summen meines Handys unterbrach meine Gedanken. Misstrauisch ging ich ran

»Ja-a?«, ich hasste dieses Telefon.

»Hi, Natascha. Hier ist Josh.« Als hätte ich ihn nicht schon an der Stimme erkannt.

Das Blut war auf Temperatur und ich nahm es aus der Mikrowelle.

»Hallo Josh.«, meine Stimme war reserviert. Bei ihm wusste ich nie so richtig, wie ich mich verhalten sollte. Unsere Beziehung war so … merkwürdig, so zwiespältig.

»Bist du gerade beim essen?« Ich konnte das Schmunzeln in seiner Stimme hören, er hatte wohl das leise Geräusch der Mikro mitbekommen.

»Was gibt’s Josh?« Ich seufzte und trank einen großen Schluck, es breitete sich sofort eine herrliche Wärme in meinen Eingeweiden aus, schlagartig fühlte ich mich besser, wohler.

»Hast du Lust vorbeizukommen? Wir könnten ein bisschen … quatschen.«

»Josh, ich weiß nicht«, ich hielt das Glas vor mein Gesicht, es war bereits leer.

»Komm, Süße«, seine Stimme wurde bittend, »ich lade dich auch zu einem Drink ein.«

Ich hatte wirklich keine Lust dazu, aber ich kannte mich und Josh.

Er würde mich irgendwie rumkriegen. Nur würde ich mich später wieder über mich selbst ärgern, weil er wieder die unausweichlichen Fragen stellte. Weil er die Wörter aussprach, die ich auf keinen Fall hören wollte. Er würde mich Dinge fragen, über die ich lieber schweigen mochte.

»Wir werden auch nicht alleine sein«, setzte er hinzu und seufzte leise.

Da sah die Sache schon anders aus, mit einem Zuhörer, würde ich um seine quälenden Worte und Fragen vielleicht herumkommen.

»Wer denn?«, fragte ich neugierig geworden.

»Das wirst du schon sehen«, meinte er knapp, »kommst du?«

»Ja. Gib mir noch zwanzig Minuten, okay?«

»Ich freue mich, bis dann, meine Süße«, er legte auf.

Ich trank den Rest von meinem warmen Blut und spülte das Glas anschließend heiß aus.

Dann schnappte ich mir meinen Bandit Helm und ging im gemächlichen Tempo in meine Tiefgarage.

Mein heißgeliebter 66er Mustang stand immer noch in einer Werkstatt und wurde hingebungsvoll neu aufgebaut. Nachdem er im letzten Sommer einen wahren Todeskuss mit einer Fichte mitmachte, und ein wütendes Monster in ihm tobte, wurde er fast für tot erklärt. Aber der Mechaniker in der Werkstatt hatte ein Herz für mich und meinen roten Flitzer. Er hatte versprochen ihn mir zu reparieren, wenn ich nur genug Zeit hatte.

Da Zeit bei meinem Lebenswandel mehr als genug vorhanden war, hatte ich natürlich zugesagt.

Zumal er mir als Übergangsfahrzeug ein Motorrad lieh. Motorradfahren, war noch besser als Autofahren, selbst wenn es so ein klasse Wagen wie mein 66er Mustang war.

Aber das Motorrad konnte sich auch sehen lassen und ich war damit schneller unterwegs, als mit meinem Roten.

Da stand sie, auf meinem alten Parkplatz mit der Nummer 666. Eine Honda Fireblade CBR 1000 RR, ein Superbike mit einhundert zweiundsiebzig Pferdchen. Der schwarz-rote Lack glänzte, blitzte und alles an der Kiste schien zu röhren und zu brummen: Fahr mich, schwing dich drauf und rase mit mir durch die dunklen Straßen. Los, fahr mich.

Ich musste ein bisschen grinsen und zog mir den Helm an. Als ich die Honda startete, war es so als erwacht unter mir ein Monster. Aber kein Monster, das tötete, ein Monster das schnell sein wollte, eines das sich bewegen wollte.

Ein gutes Monster.

Ich fuhr aus der Garage und in Richtung Innenstadt zu Joshs Buchladen.

Ich parkte mein Motorrad genau vor seiner großen Fensterfront und ging hinein. Das zarte Glöckchen ertönte, dieses Glöckchen, das überhaupt nicht zu diesem Hexenladen passte. Weder zu der Einrichtung, noch zu den vielen tausend Dingen, die man hier erstehen konnte. Und ganz bestimmt nicht zu dem Vampir hinter dem Tresen, der, wie immer, auf seine Ellenbogen gestützt, mich munter anlächelte.

 

Er kam hinter seiner Verkaufstheke hervor und umarmte mich.

»Hi, meine Süße, wie geht es dir?« Er hielt mich auf Armeslänge fest und blickte mir fragend in die Augen.

»Gut, alles in Ordnung.«, sagte ich lahm.

Jede Begegnung von uns begann so. Auch wusste ich schon genau, wie sie weiterging.

Er zog mich abermals an seine Brust und atmete ein paar Mal tief ein. Er füllte seine Nase, seine Lungen mit meinem Duft.

»Mhm. Du riechst wieder so gut, meine Süße. Einfach zu gut.« Er seufzte tief und es hörte sich sehr alt an.

Normalerweise müsste ich wie jeder Vampir auch riechen, nach altem Papier, nach Staub, pergamentartig. Aber es war nicht so, ich roch eher nach Frühling, nach Butterblumen und Sonnenschein. Schon immer, und es änderte sich nicht. Ich wusste auch nicht, warum das so war, es interessierte mich aber auch nicht.

»Magst du was trinken?«, er lächelte mich mit leuchtenden Augen an.

»Ja, gerne. Was gibt’s denn? Was Blondes?«, ich grinste.

»Nein, wo soll ich die auf die Schnelle denn herbekommen? Aber«, er sah mich mit einem seltsamen Blick an, »gleich kommt noch eine Blondine, wenn ich es mir recht überlege. Die wird dir aber nicht schmecken.«

Ich sah Josh mit zusammengekniffenen Augen an und überlegte. Dass sie mir nicht schmecken sollte, konnte nur heißen, dass sie ein Vampir war.

Aber wer würde hier zu Josh kommen? Er hatte zwar enorm viele Bekannte und auch ein paar wirkliche Freunde, aber ihn besuchte eigentlich niemand von denen hier in seinem Hexenladen. Meistens traf er sich mit ihnen im Desmodus, unserer Stammkneipe, oder er ging zu ihnen. Noch nie hatte ich einen anderen Vampir hier bei Josh getroffen.

Er reichte mir ein Glas mit lauwarmem Blut.

»Jeanie wird noch vorbeikommen«, sagte er leise.

Jeanie, ausgerechnet. Meine Hand, die das Glas hielt, war kurz in seiner Bewegung eingefroren.

Ich stellte es geräuschvoll auf die Theke und blickte vor mich hin. Wirklich, wie konnte er nur. Er wusste doch, dass sie für die Obrigkeit arbeitete, und das die nicht gerade gut auf mich zu sprechen waren seit … seit den Ereignissen im letzten Sommer.

Immerhin hatte ich den Chef unseres Clans in das Reich der ewigen Verdammnis geschickt. Seit dem war auch der hohe Rat hinter mir her, er jagte mich zwar nicht direkt, aber wenn ich zufällig in seine Nähe geraten würde, wäre es wohl aus mit mir.

»Was soll das, Josh?«, ich war verärgert, wie konnte er mich nur so ausliefern.

»Keine Sorge, Natascha. Jeanie ist auf unserer Seite, sie ist nicht offiziell hier, nicht als Spionin, sie ist als Freundin hier. Wirklich, entspann dich.«

Als Freundin, dachte ich verächtlich, lieber wollte ich eine Spinne küssen, als die Freundin von Pestbeule Jeanie zu sein.

Ich holte gerade Luft, um Josh meine Verärgerung entgegen zuschleudern, da ging plötzlich die Tür auf.

Ich drehte mich um und da stand sie vor mir. Viel größer als ich, schier endlose Beine, lange blonde Haare, ein engelsgleiches perfekt modelliertes Gesicht, mit wasserhellen, blauen Augen, die mich freundlich anblickten.

»Hallo«, sie lächelte zögernd und streckte mir ihre Hand entgegen.

Ein Friedensangebot?

Ich blickte auf die ausgestreckte Hand und widerstand dem plötzlich auftretenden Wunsch ihr einfach darauf zu spucken.

Stattdessen ergriff ich ihre Hand und schüttelte sie kurz.

»Hallo Jeanie«. Meine Stimme war kratzig und ich hörte selbst die unterdrückte Wut darin.

Als ich Jeanie losließ, ergriff ich schnell mein Glas, damit ich nicht in Versuchung kam, meine Hand an meiner Hose abzuwischen, schließlich hatte ich gerade etwas Ekeliges angefasst.

Josh kam um die Theke herum und begrüßte sie, er umarmte sie und küsste Jeanie auf beide Wangen.

Dann drückte er ihr ein Glas mit frisch gewärmtem Blut in die Hand.

»Kommt, wir setzen uns nach draußen, es ist noch schön.«

Josh ging vor, durch seine Hintertür, in den Hof. Hier hatte er einen Tisch mit ein paar Stühlen hingestellt. Es brannte eine Kerze, die alles in ein seltsames, flackerndes Licht tauchte. Ich war froh, aus dem hellen Licht zu kommen, hinein in die Dunkelheit, dort fühlte ich mich sicherer.

Es war warm draußen, eine richtig schöne Nacht. Ich schloss meine Augen und atmete die Nachtluft ein. Außer dem Vampirgeruch stiegen mir auch noch andere Gerüche in die Nase. Bessere, köstlichere, der Geruch von Menschen, mir lief das Wasser im Mund zusammen, meine Zähne wollten ihr Eigenleben aufnehmen, ich konnte es gerade noch verhindern.

Immer noch hielt ich meine Augen geschlossen, sie waren wahrscheinlich zu gelben Raubtieraugen mutiert, wenn ich sie jetzt öffnete, könnte das zu Missverständnissen führen.

Ich hielt mir das Glas mit dem Konservenblut unter die Nase, und langsam beruhigte sich das Monster in mir.

Ich konnte meine Augen wieder öffnen und trank einen Schluck.

Jeanie und Josh unterhielten sich leise, ich hatte nicht mitbekommen, worüber.

Ich war ganz in meiner Blutwelt versunken.

Jetzt lauschte ich ihnen. Es ging wohl um einen gemeinsamen Bekannten. Ich wusste gar nicht, dass Josh überhaupt Kontakt mit Jeanie hatte.

Sie drehte ihren Kopf in meine Richtung und verzog die Lippen. Sollte das ein Lächeln sein? Ich konnte sie einfach nicht leiden. Um meine Gefühle zu verbergen, trank ich schnell noch einen Schluck Blut.

»Tascha«, begann sie gerade und ich fiel ihr sofort brüsk ins Wort.

»Natascha!«, etwas freundlicher setzte ich hinzu, »bitte.«

»Okay«, sie zuckte kurz mit den schmalen Schultern.

»Natascha. Wir waren in der Vergangenheit nicht gerade Freundinnen, eher ganz im Gegenteil. Aber, wie du vielleicht weißt, gehöre ich auch nicht mehr zum Clan.« Ich hob erstaunt meine Augenbrauen, das war das Erste, was ich hörte.

»Ach, und wieso nicht?«

»Das ist eine längere Geschichte und ehrlich gesagt, geht es dich nichts an«, sie presste die Lippen zusammen.

Da war sie wieder, die alte Jeanie, ekelig und arrogant, wie wir sie kannten und hassten. Ich bemerkte, wie Josh neben ihr kurz nach Luft schnappte.

Jeanie räusperte sich umständlich.

»Auf jeden Fall, bin ich auch nur gekommen, um dich zu warnen, Natascha«, sie blickte mich gespannt an.

Mich warnen? Wovor? Vor dem nächsten Schnee? Laut sagte ich zu ihr:

»Und was bitte ist so wichtig, dass du extra hergekommen bist?« Ich war leicht verärgert über so viel Arroganz.

Sie tauschte einen schnellen Blick mit Josh.

»Der hohe Rat sucht nach dir, sie wissen, wo du dich die meiste Zeit aufhältst.« Jeanie warf mir einen prüfenden Blick zu, dann blickte sie wieder auf ihr Glas, das sie in der Hand hielt.

»Sie werden jemanden schicken, der mit dir reden soll. Dich ausfragt«, erneut geriet sie ins Stocken.

»Ja? Und weiter?«, fragte ich.

»Es geht natürlich um … letzten Sommer. Um deinen Sohn und dieses Halbblut … ich meine den Vampir, Justin.«

Bei der Erwähnung seines Namens sah ich kurz wieder diese Augen vor mir. Seine schönen braunen Augen und wie sie sich langsam zu Raubtieraugen veränderten.

»Ja und?« meine Verärgerung war schon fast greifbar.

»Also, es geht darum, da Dennis nun mal dein Sohn war und Justin von dir verwandelt wurde, wollen sie wohl einen schicken, der dich … na ja, prüft.« Wieder tauschte sie einen schnellen Blick mit Josh aus. Dann seufzte sie und sah auf ihre Hände.

Josh wendete sich mir zu.

»Hör mal meine Süße, es ist im Prinzip ganz einfach. Der hohe Rat schickt einen Kerl, einen Abgesandten, vorbei, der soll prüfen, ob dein Blut wirklich so verseucht und … böse ist. Außerdem will er aus deinem Munde die Ereignisse hören, schließlich hast du auch einiges verloren. Und Franks Tod soll geprüft werden.« Josh atmete ein bisschen schneller als sonst.

»Und wer soll das sein?« fragte ich gespannt.

»Das wissen wir nicht, aber du kannst ihn wohl als deinen«, Josh schmunzelte kurz, »Rechtsbeistand betrachten. Er ist weder auf deiner Seite, noch auf der Seite des Rates. Er ist zwar einer von ihnen, aber man könnte ihn als … nun ja, als neutral betrachten. Vielleicht ist danach der Rat nicht mehr hinter dir her, betrachte es mal von dieser Seite.« Josh lächelte ein bisschen schief.

Ich sah ihm gerade in die Augen und überlegte, ob ich nun erfreut darüber sein sollte, dass man sich scheinbar Sorgen um mich machte und mich warnen wollte, oder ob ich lieber wütend war, weil die Beiden hinter meinem Rücken alles aushandelten.

Ich konnte mich nicht entscheiden, somit stand ich auf und sagte an Jeanie gewandt:

»Danke für die Warnung«, dann drehte ich mich um und wollte gehen.

»Wo willst du hin?«, fragte Josh, stand auf und folgte mir in seinen Laden.

»Warte, bitte«. Ich drehte mich halb zu ihm um.

»Wieso, was ist denn jetzt noch?« Jetzt spürte ich, wie die Wut in mir hochstieg.

Josh hielt mich am Arm fest. »Ich will nicht, dass du so gehst, so wütend. Versteh doch bitte, dass ich es nur gut mit dir meine«, er zog mich zu sich heran.

»Ich will einfach nicht, dass dir etwas geschieht.« Er vergrub sein Gesicht in meinen Haaren und, wie immer, atmete er ganz unwillkürlich meinen Geruch tief ein.

Ich löste mich von ihm. »Josh, ich bin dir dankbar, dir und …« Ich sah kurz zu seinem Hinterausgang, wo Jeanie immer noch im Hof saß, uns aber wahrscheinlich zuhörte.

»… und ihr auch, aber ich muss jetzt los. Falls du den Abgesandten siehst, kannst du ihm ja meine Adresse geben. Mach‘s gut.« Ich wendete mich zum Ausgang und war überrascht, dass Josh mich nicht noch einmal zurückhielt. Normalerweise kam man unter vier Versuchen bei ihm nicht davon.

»Auf bald«, seine Stimme war nur ein Flüstern.

Draußen atmete ich die warme Frühlingsluft ein, zog mir meinen Helm auf und startete mein Motorrad.

Unter mir erwachte das Monster wieder zum Leben.

Mein Monster in mir war allerdings noch nicht befriedigt, es kreischte und jaulte und schrie nach Nahrung. Nach frischem Blut, nach herrlich, köstlichem menschlichem Blut. Ich würde ihm nachgeben, mich ihm hingeben und mit ihm meine Beute teilen. Wir werden gemeinsam unseren Blutdurst stillen, noch heute Nacht.

Ich machte mich auf den Weg.

Ich schloss meine Augen und lehnte den Kopf an die raue Mauer. Meine Zähne wurden gerade wieder normal. Ich ließ das Mädchen einfach fallen, schwer plumpste sie auf den Boden. Sie war leer und tot und interessierte mich nicht mehr. Nur ihr Blut war für mich von Interesse, und das hatte ich bekommen. Mein Monster und ich.

Ich versuchte mich zu sammeln.

Mein Handy klingelte, ich ging ran.

»Natascha? Hier ist Josh.«

Es war schon ein paar Stunden her, seit ich ihn und Jeanie verließ.

»Ja?«, war alles, was ich herausbekam.

»Ich wollte dir nur sagen, dass der Abgesandte nach dir sucht.« Josh machte eine kurze Pause.

»Pass auf dich auf.«

»Danke«, ich legte auf, ich war noch nicht in der Lage große Reden zu schwingen. Das Mädchenblut musste sich erst in meinem Körper verteilen.

Mit einem Ruck löste ich mich von der Mauer und ging zu meinem Motorrad. Es war ganz in der Nähe geparkt, meine Beute war einfach zu überwältigen. Ich musste sie nicht verfolgen, wie sonst immer, sie kam praktisch wie von selbst zu mir.

Langsam fuhr ich durch die menschenleere Stadt nach Hause. Immer wieder überlegte ich, wo mich dieser Abgesandte der Hölle wohl zu fassen kriegen würde. Sollte ich davonlaufen, oder einfach alles auf mich zukommen lassen?

War es wirklich so, wie Josh sagte, dass er neutral war, oder hatte ich von Anfang an keine Chance, mich zu verteidigen, da seine Meinung schon feststand?

Grübelnd parkte ich die Honda auf meinem Parkplatz. Ein neuer Wagen stach mir direkt ins Auge, er stand auf den Besucherparkplätzen. Ein nagelneuer schwarzer Bentley, ein Continental GT, ein super Geschoss. Da hatte aber jemand reichen Besuch hier im Haus, dachte ich noch und flitzte die Treppen hoch, bis in das oberste Stockwerk. Weiter grübelnd schloss ich meine Wohnungstür auf.

Mein kleines Appartement war leer und einsam.

Jedenfalls sollte es so sein, aber kaum hatte ich die Tür hinter mir geschlossen, da spürte ich eine große Hand auf meinem Mund und ein kalter, harter Körper presste sich an meinen und mich gegen die Tür.

 

Ein Vampir, eine Lidschlaglänge befürchtete ich, Justin wäre zurückgekommen, beinahe wünschte ich es mir. Mein Helm fiel mir aus der Hand und prallte auf den Boden.

»Ruhe!«, herrschte mich der Vampir an, seine Stimme war leise, zischend und klang gefährlich.

Ich blickte hoch, er war groß, über einen Kopf größer, als ich. Da er mich immer noch gegen die Tür presste, konnte ich mich nicht rühren und ihm auch nicht in das Gesicht sehen. Im Stillen wunderte ich mich, warum ich ihn nicht schon im Treppenhaus roch, ich musste wohl in meine Gedanken so vertieft gewesen sein, dass für meine Instinkte kein Raum mehr war.

Allerdings stellte ich gerade fest, dass er eigentlich nicht roch, er verströmte keinen Geruch. Weder diesen pergamentartigen, oder sonst irgendeinen, er roch nach Nichts. Ich konnte noch nicht einmal sagen, er roch nach Luft, denn selbst Luft hat immer einen Geruch.

Ich war total irritiert, war das hier wieder ein Traum? Ich verspürte den Drang mich zu kneifen, oder ihn.

Er löste seine Hand von meinem Mund und beugte den Kopf zu mir herunter.

»Kein Wort jetzt«, seine Augen blitzten leicht in der Dunkelheit.

Es klingelte plötzlich, ich zuckte kurz zusammen. Der Vampir warf einen Blick durch den Türspion, das helle Licht aus dem Treppenhaus fiel auf sein Auge und es wirkte so, als wenn er mit einem Scheinwerfer geblendet würde. Er beugte sich wieder zu meinem Ohr.

»Das ist ein Mensch. Dein Nachbar? Was will er hier?«

Mir rieselte ein Schauer über den Rücken, mit jedem seiner, wie abgehackt gesprochenen Sätze, hatte er mir seinen kalten Atem ins Ohr gepustet. Das hatte schon lange keiner mehr bei mir gemacht.

Ich riss mich zusammen und versuchte mich zu drehen, um ebenfalls durch den Spion zu blicken. Der Unbekannte presste mich aber immer noch gegen die Tür, so fiel es mir sehr schwer, mich umzudrehen. Ich warf einen Blick auf den Menschen vor meiner Tür, in diesem Moment klingelte er erneut. Ich kannte ihn nicht, aber sein Geruch, der jetzt zu mir durch die Tür drang, war mir schon mal aufgefallen. Es war tatsächlich mein Nachbar, er wohnte unter mir.

Nachdem Ralph verschwand, wurde die Wohnung neu vermietet, an ihn. Ich wusste seinen Namen nicht, er hatte mich bis jetzt auch nicht interessiert. Ich wilderte nicht in meinem eigenen Revier, das wäre nicht gut.

Der geruchlose Kerl presste sich jetzt an meinen Rücken, was sollte das nur, gleich lagen wir beide mitsamt der Wohnungstür im Treppenhaus und hatten das Menschlein davor wahrscheinlich zu Mus zerquetscht.

Ich boxte kurz mit meinen Ellenbogen nach hinten. Es war ein Gefühl, als habe ich einen Stein schlagen wollen.

»Lass mir ein bisschen Platz«, zischte ich leise. Er rückte wirklich von mir ab, wenn auch nur wenige Zentimeter. Ich drehte mich wieder um, schon presste er mich erneut gegen die Tür. Ich sagte dazu nichts.

Wir lauschten, der Kerl vor der Tür murmelte etwas und schien dann zu verschwinden. Erneut blickte der Unbekannte durch den Türspion und projizierte den Scheinwerfer auf sein Auge, dann ging im Treppenhaus das Licht aus und der Scheinwerfer war weg.

Vollkommene Dunkelheit hüllte uns ein. Wenn ich nicht seinen harten Körper an mir spürte, wüsste ich nicht, dass er da wäre. Er roch wirklich nach Nichts, ich war immer noch ganz verwundert über diese Tatsache.

Jetzt hörte ich ihn atmen, das hatte er eben nicht gemacht, da war ich mir ganz sicher. Außer, als er mit mir gesprochen hatte.

Auch konnte ich ihn in der Dunkelheit jetzt besser erkennen.

Er war groß, wirklich riesig kam er mir vor. Er war ein kleines Stück von mir abgerückt und ich konnte ihm ins Gesicht sehen, nett sah er aus, braunes Haar, sehr kurz geschnitten, ein hübsches Gesicht, edel, wie ein Adeliger wirkte er. Dann der schwarze Anzug, kein Teil von der Stange, eine Maßanfertigung, mochte ich wetten.

Aber die Augen, die waren das Beste, wie funkelnde Sterne.

In den Pupillen brannte ein Feuer, kurz fühlte ich mich an meine Träume erinnert, die Iris war von brauner Farbe, aber einer sich bewegenden Farbe. Außen um die Iris war ein feiner, roter Ring, er wirkte wie eine Begrenzung, damit die sich bewegende Augenfarbe nicht wie Lava über den Rand floss. Ich war fasziniert, von diesen Augen, so etwas hatte ich noch nie gesehen.

Ich konnte nicht anders, hob meine Hand und kniff ihn kräftig in den Oberarm. Sofort schoben sich seine Augenbrauen düster zusammen, der Ring in den Augen wurde kurz breiter, das Feuer der Pupillen loderte auf.

Wow, dachte ich, das war aber ein Schauspiel.

»Was sollte das?«, fragte er mich und sah wirklich wütend aus.

»Ich wollte nur sehen, ob du auch echt bist. Oder nur einer meiner Träume.«

»Du bist ein Vampir, du kannst nicht träumen, oder hast du das noch nicht mitbekommen?«, er hörte sich ein bisschen amüsiert an.

»Doch natürlich«, wofür hielt er mich, »ich meine ja auch nicht solche Träume … ich … ach vergiss es. Wer bist du eigentlich und was hast du in meiner Wohnung zu suchen?«

»Alles zu seiner Zeit. Komm mit!« Er ging durch meinen Flur ins Wohnzimmer, hier drehte er das Licht an. Ich folgte ihm.

Er setzte sich wie selbstverständlich auf mein Sofa, vor ihm stand ein Glas mit einer meiner Blutkonserven, wie lange war er eigentlich schon hier?

»Ist hier neuerdings ein Selbstbedienungsladen?«, ich war ein wenig empört.

»Entschuldige, ich verspürte ein wenig Durst, auch wusste ich nicht, wann du gedenkst wieder nach Hause zu kommen. So habe ich mich selber bedient.« Er hob sein Glas an.

»Kann ich dir auch schnell etwas zubereiten?«

Ich winkte ab. »Nein, danke«, und setzte mich in den Sessel, ihm gegenüber. Er grinste nur selbstgefällig und nippte an seinem Drink.

»Ist jetzt die richtige Zeit?«, fragte ich gereizt, »wer zum Teufel bist du und was willst du hier?«

»Ich bin Ansgar. Ich bin ein Abgesandter des hohen Rates. Und ich will … dich.« Seine Augen wurden etwas größer, das Feuer loderte kurz auf, dann war alles wieder wie vorher.

Die Gedanken in meinem Kopf überschlugen sich, töten wollte er mich aber bestimmt nicht, das hätte er eben schon machen können, also um was ging es hier genau? Laut fragte ich:

»Kannst du mir das mal näher erklären? Eh, wie war dein Name? Ansgar? Den hab ich ja noch nie gehört, was bedeutet der denn?«

Er verdrehte die Augen zur Decke. »Er bedeutet Speer Gottes und du weißt genau, wozu ich hier bin.« Er presste die Lippen zusammen und sah jetzt wirklich wütend aus.

Speer Gottes? Ich versuchte, meine eingerosteten Lateinkenntnisse hervor zu kramen. Heißt ger nicht Speer? Was bedeutet denn dann die Silbe gar? Er unterbrach meine Gedanken.

»Vor einiger Zeit sind ein paar Dinge geschehen, die auch den frühzeitigen Tod eines Vampirs nach sich zogen. Für die Vernichtung von Frank bist du wohl verantwortlich. Aber es ist ja nicht nur das, du hast ein fremdes Halbblut einfach so verwandelt und dein leiblicher Sohn ist zu einem Monster mutiert, der unaufhaltsam durch die Stadt zieht und wahllos Morde begeht.« Er sah mich streng an, »was hast du zu deiner Verteidigung zu sagen?«

Ich schluckte kurz, dann erzählte ich ihm die ganzen Vorkommnisse des letzten Sommers, ließ kaum etwas aus. Nur die mehr als seltsamen Gefühle zwischen Justin und mir ließ ich weg. Das war eine persönliche Sache, die niemand kannte und das sollte auch so bleiben. Diese spezielle Erinnerung gehörte nur mir alleine.

Als ich meinen Bericht abschloss starrte er vor sich hin. Er hatte die Finger aneinander gelegt und sah aus, als überlegte er. Dann blickte er mich an, das Feuer loderte kurz auf.

»Du weißt, dass ich das nachprüfen muss, ich kann dir das nicht so unbesehen glauben. Vor allem wird der hohe Rat wissen wollen, ob das mit deinem Blut wirklich stimmt, ob es wirklich verseucht ist.«

Ich hob eine Augenbraue und meine sarkastisch: »Wie willst du das nachprüfen? Willst du mir ein bisschen Blut abzapfen und ins nächste Labor schicken damit die es auf … böse Viren untersuchen?«

Er stemmte sich vom Sofa hoch und kam auf mich zu.