Natascha

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Er brennt lichterloh, schreiend und kreischend. Krampfhaft hält er die Mantelaufschläge des Mannes mit seinen spinnendünnen Händen fest.

Dieser versucht sich aus dem Griff zu befreien, aber der Vampir ist einfach stärker, seine menschlichen Kräfte lassen rasch nach, Eugens Gegenwehr verebbt schnell.

Ein Passant auf der anderen Straßenseite bleibt stehen, sieht verwundert auf die brennende, undefinierbare Masse. Während er sich fassungslos fragt, ob er die Feuerwehr verständigen soll, oder lieber nichts damit zu tun haben will, bewegt sich die Masse, letzte hilflose Zuckungen und dem morgendlichen Passanten wird schlagartig klar, dass es zwei Körper sind, die auf dem Gehsteig in Flammen stehen. Mit fahrigen Bewegungen holt er sein Telefon hervor, während er noch auf die brennenden Leiber blickt, wählt er bereits den Notruf.

*

Es sind gerade mal siebzig Stunden vergangen, seit die Vampire das Gas freisetzten.

Es hat bereits alle, die in dieser Stadt leben, infiziert. Menschen, Tiere, Insekten und die einzigen Geschöpfe, für die es gedacht war: Vampire.

Zuerst trifft es die Alten, ihre Struktur ist einfacher. Ihre Körperzellen sind leichter zu vernichten.

Sehr viele werden ihnen folgen, ebenso zu den Opfern gehören, die Angst wird umgehen, Panik wird ausbrechen in der Welt der Blutsauger.

Die Überlebenden haben ein leichtes Spiel, sie können die Macht übernehmen, die Welt der Vampire beherrschen … wenn ihnen niemand den Kampf ansagt.

Wenn nicht eine Handvoll junger Blutsauger bereit sind, sich ihnen in den Weg zu stellen.

Aber wer könnte so mutig, tollkühn und … so überaus dumm sein?

*

Ich renne wie eine Verrückte, als wäre der Teufel hinter mir her. Immer schneller huscht die verwunschene Landschaft an mir vorbei. Wiesen, raue Stämme, von bereits vor Jahren verdorrter Bäume, Sträucher, Häuser, dass alles verwischt zu einer undefinierten, dunklen Masse. Ich laufe in einer Geschwindigkeit an ihnen vorbei, die es mir unmöglich macht, genaue Einzelheiten in mich aufzunehmen, oder gar bestimmen zu können, wo ich mich befinde.

Ich weiß, dass ich verfolgt werde, ich kann ihn hören, riechen, ja, fast schon fühlen.

Eine kalte Hand streckt sich nach mir aus, sie berührt mich an der Schulter, verfängt sich in meinen langen Haaren. Ich stolpere, strauchele und werde gleichzeitig nach hinten gerissen. Mein Mund öffnet sich, zu einem Schrei, der sogar die Toten auferstehen lassen würde, aber es kommt nichts heraus.

Kein Wort, kein Satz … kein Schrei, Nichts.

Die Kehle wird mir abgeschnürt, ich kann nicht mehr atmen, eine mörderische Panik befällt mich.

Die Hand legt sich in meinen Nacken, hält mich fest, die anderen Finger umklammern mein Kinn.

Ein schneller Ruck, ich kann das Brechen meiner Knochen eher hören, als fühlen. Es knackt und knirscht furchtbar laut in meinen Ohren. Dann ist nur noch Stille um mich herum.

Die weißen Hände lassen mich los, fast wie in Zeitlupe sehe ich mich selbst zu Boden fallen. Es ist plötzlich so, als stehe ich bei meiner Ermordung nur einen Meter entfernt, ein Schaulustiger, ein Gaffer.

Voller Verwunderung sehe ich meinen Körper auf der nassen Erde liegen, die Arme und Beine seltsam verrenkt, so als wäre ich aus großer Höhe auf den Boden geprallt und nicht aus dem Stand umgefallen.

Ein merkwürdiges, distanziertes Gefühl beschleicht mich, ich sehe die Gestalt vor mir, aber es will mir nicht in den Kopf, dass ich das sein soll.

Nur unter großer Anstrengung löse ich meine Augen von dem toten Körper und richte die Aufmerksamkeit auf meinen Mörder, der nach wie vor, unbeteiligt danebensteht.

Erschrocken schnappe ich nach Luft. Ich fühle, wie mein Herz einen doppelten Sprung macht, nur um hinterher in meinem Körper, einen Trommelwirbel aufzuführen.

Nein! Ist das Erste, das mir durch den Kopf schießt. Das glaube ich nicht.

Atemlose Stille.

»Hallo Kleines, wie geht’s dir?«

Ich zwinkere ein paar Mal, hat er wirklich gesprochen, oder höre ich seine Worte nur in meinem Kopf?

Ich bin mir unsicher, so bleibe ich stumm.

Ein schiefes Grinsen erscheint auf seinem feinen Gesicht.

»Was ist? Bekomme ich keine Antwort von dir?«

»I-Ich … ich«, zu mehr bin ich nicht fähig. Mit offenem Mund starre ich ihn an. Ich kann es einfach nicht begreifen. Mein Kopf ist erfüllt mit einer dumpfen Leere, zuerst ganz leise, dann immer lauter höre ich nur noch einen Satz:

Was will er hier?

Als die Worte meinen Schädel fast zu sprengen drohen, kann ich sie endlich aussprechen.

»Was zum Teufel machst du hier, Ansgar?«

Ich lasse ihm keine Chance, auf meine Frage zu antworten, rede einfach weiter.

»Du bist tot, ich habe dich in der Hölle zurückgelassen. Warum bist du hier und wieso hast du mich … umgebracht?«

Ich werfe einen kurzen Blick auf den Körper, der nach wie vor auf dem Boden liegt. Da wird mir plötzlich die Unwahrscheinlichkeit dieser Situation bewusst.

Das kann nicht sein. Ich kann nicht tot irgendwo herumliegen und gleichzeitig mit jemandem sprechen, wobei der Kerl ebenso gestorben sein sollte.

Mit den Fingern reibe ich mir über die Schläfen, mein Kopf brummt und summt. Wo bin ich hier nur rein geraten, denke ich genervt, in einen verdammten Albtraum?

Ansgar lacht kurz und trocken auf, ganz so, wie früher. Ich hebe den Blick und sehe ihn betroffen an.

»Wenn du denkst, dass du in einem Traum gefangen bist, dann wach doch einfach auf«, er zuckt mit den Schultern.

»Nichts ist einfacher als das.«

»A-Aber dann bist du … w-weg«, stottere ich und sehe ihn flehend an.

»Na und!«, erneut dieses fast schon gelangweilte Schulterzucken.

Ich habe an den Albtraum nur gedacht, trotzdem hat er mir darauf geantwortet.

»Kannst du meine Gedanken hören? I-Ich … meine …« Das ist doch zu lächerlich, betreten blicke ich meine Leiche an.

»Ich kann deine Gedanken lesen«, antwortet Ansgar.

»Aber du nicht die Meinen.«

»Wieso?«

»Weil du kein Vampir bist, natürlich«, die Verachtung ist deutlich aus seiner Stimme herauszuhören.

»Du bist ein Blutsack. Na ja, ein Halbblut, was auch nicht besser ist. Aber eben kein Vampir.«

Ich bin entsetzt.

»Woher weißt du das?«

Hämisch grinsend verschränkt er die Arme vor dem schlanken Körper.

»Ein Vögelchen hat es mir geflüstert«, knurrt er überheblich.

»Ein …Was?«, ich schnaube kurz und murmele:

»Du spinnst!«, auf dem Absatz drehe ich mich um, ich will nur noch weg von hier. Von meiner Leiche, die bereits anfängt zu stinken aber vor allem von … ihm.

Meinem geliebten Ansgar, für den ich früher alles getan hätte, ich wäre für ihn gestorben, so wie er für mich. Aber die Zeiten scheinen sich geändert zu haben, heute ist nichts mehr so, wie noch vor ein paar Jahren.

»Ich bin nicht verrückter, als du«, ruft er mir hinterher.

Über meine Schulter hinweg sehe ich ihn kurz an.

»Du bist tot, Ansgar. Die Hölle hat dich gerufen und du hast sie erhört, du bist gestorben. Mit Leichen spreche ich nicht.«

Ich drehe mich wieder nach vorne und pralle fast in ihn hinein. Ganz plötzlich steht er nur wenige Zentimeter vor mir. Ein erneuter Beweis, dass dies hier alles nur ein Traum sein kann. Er war früher einer der schnellsten Vampire, zugegeben, aber selbst er kann sich nicht unsichtbar machen.

»Ich bin nicht tot«, flüstert er und streicht mir sachte mit einem Finger über die Wange. Zitternd atme ich ein, das Gefühl, das mich überkommt, gleicht einem Kälteschock. Ganz so, als streichelt mich ein Eiswürfel.

»Ich bin nur nicht da, nicht sichtbar.«

»Aber warum jetzt?«, rufe ich verzweifelt, »wieso quälst du mich so?«

Seine kalten Arme umschlingen mich, und ehe ich es richtig begreifen kann, lehne ich meine Wange gegen seine Brust.

Liebevoll fährt er mit seiner Hand über mein Haar, küsst mich darauf.

»Es lag nicht in meiner Absicht, dich zu quälen, verzeih mir«, haucht er an meine Schläfe geschmiegt.

»Aber ich habe dir etwas zu sagen.«

»Was sagen? Was soll das sein?«

Er drückt mich sanft von sich weg, legt seine eisigen Hände an meine Wangen und sieht mir tief in die Augen.

»Es steht euch eine schwere Zeit bevor, viele werden sterben. Aber du wirst den Pfad des Lichtes verlassen müssen, um auf den Wegen der Finsternis zu wandeln.«

»Nein!«, rufe ich entsetzt, »das werde ich nicht noch einmal tun.«

Ansgar lächelt sanft.

»Diesmal ist es die richtige Entscheidung, meine Kleine. Du musst es geschehen lassen. Andernfalls ist die Welt, wie wir sie kennen, dem Untergang geweiht.«

»Was wird passieren, Ansgar? Was ist so wichtig, das ich … ich wieder böse werden soll?«

»Gut und Böse, Rein und Unrein, Licht und Schatten, sie alle leben in einem Gleichgewicht. Das muss und das soll so sein. Jede Störung kann die Welt vernichten … das darf nicht geschehen.«

»Was soll ich denn machen?«, frage ich und höre die Verzweiflung in meiner Stimme.

»Du wirst es wissen, wenn die Zeit reif ist. Triff die richtigen Entscheidungen, Natascha, dann wird wieder Frieden herrschen unter den Menschen und …«

»Was gehen mich die Menschen an«, falle ich ihm brüsk ins Wort. Er lächelt über meine Einfältigkeit.

»Du bist selbst einer. Außerdem wollte ich sagen: unter den Menschen und anderen Geschöpfen.«

Ich presse die Lippen zusammen.

 

»Sei nicht immer so vorschnell, mit deinem Urteil«, knurrt er.

»Trotzdem verstehe ich das alles nicht«, sage ich zweifelnd.

»Bist du jetzt nur ein Traum, oder eher eine Vision?

Wer hat dich hergeschickt und das Wichtigste: Warum hast du mich umgebracht?«

Ich deute mit dem Daumen über meine Schulter, da ich annehme, dass dort immer noch die kleine Gestalt tot auf dem Boden liegt.

Ansgar atmet tief durch, bevor er gelassen antwortet:

»Ich bin kein Traum, Kleines. Ich bin hier, um dich zu warnen und ich habe dich nicht umgebracht, das war die einzige Möglichkeit, mit dir Kontakt aufzunehmen, deine Aufmerksamkeit zu erlangen.«

Er küsst mich auf die Stirn.

»Und ich bin sehr froh, dass du dich für die richtige Seite entschieden hast.«

Die richtige Seite, denke ich und sehe erneut diese scheußlichen Bilder vor mir tanzen. Rasch kneife ich die Augen zu, ich will meine Erinnerungen verscheuchen, will keinesfalls mehr an sie denken müssen.

»Jetzt muss ich gehen, meine süße Kleine«, flüstert Ansgar und küsst mich erneut auf die Stirn.

»Pass auf dich auf.«

»Nein!«, rufe ich entsetzt und will nach seiner Schulter greifen. Aber meine Hände gleiten durch ihn hindurch, wie durch eine Sandskulptur. Er rieselt durch meine Finger, zerfällt vor meinen Augen zu Staub.

»Nein!«, schreie ich erneut.

»Ansgar bleib bei mir!«

Wind kommt plötzlich auf, er umweht mich und das Aschehäufchen vor meinen Füßen. Kleine Wirbel entstehen, er nimmt den puderigen Sand, trägt ihn fort von mir.

Voller Wut trete ich gegen den Berg aus Staub, in einer riesigen Wolke fliegen die Überreste um mich herum, umkreisen mich. So als wäre es ein Sandteufel und ich das Zentrum. Auf meiner Wange fühle ich etwas, das eine leichte Berührung sein könnte. Gleichzeitig höre ich eine leise Stimme in meinem Kopf:

Vergiss nicht, ich werde immer bei dir sein, egal was geschieht.

Mit den Fingern streiche ich über mein Gesicht, kann aber außer dem feinen Sand, der sich über meinen Körper legt, nichts spüren. Habe ich mir das alles nur eingebildet, frage ich mich gerade, als ich erneut diese leise Stimme höre:

Denk daran, was ich dir gesagt habe …

Dann ist nur noch dieser tosende Sandsturm um mich herum.

Die Partikel wirbeln hoch auf, ganz plötzlich, als hätte der Wind mit einem Schlag nachgelassen, fällt der Sand leise, prasselnd zu Boden.

Ich lasse mich auf die Knie sinken, nun bin ich mir sicher, dass ich ihn nie mehr wiedersehen werde. Er ist für alle Ewigkeiten verschwunden, nur nicht aus meinem Herzen.

*

Mit einem heiseren Aufschrei reiße ich die Augen auf, werfe hektische Blicke um mich. Ich liege auf meinem Sofa und habe scheinbar nur geträumt.

Seufzend setze mich aufrecht hin und atme ein paar Mal tief durch.

Ansgar, denke ich verzweifelt, von ihm habe ich schon lange nicht mehr geträumt, eigentlich war ich auch ganz froh darüber. Nachdem er damals von der Hölle verschlungen wurde und ich ihm ein paar Tage später dorthin folgte, habe ich meinen ehemaligen Geliebten nicht wiedergesehen. Meine Zeit aber, war scheinbar noch nicht abgelaufen, so wurde ich wieder auf die Erde geschickt und landete ausgerechnet in Joshs Armen. Es war mein Glück, das er mein Freund war und somit die Veränderung, die ich durchmachen musste, nicht bemerkte. Mein Geruch, der mich wie eine süße Wolke umgab, war der gleiche geblieben. Also warum sollte jemand auf den Gedanken kommen, dass der Teufel, in seiner ganzen Ironie, ein Halbblut aus mir machte.

Josh und all die anderen Blutsauger nahmen einfach an, dass ich nach wie vor einer der Ihren, wie früher, ein Vampir war. Ich gebe mir die größte Mühe, sie weiterhin in diesem Glauben zu lassen, zu blutig wäre mein Ende, wenn sie plötzlich hinter mein Geheimnis kämen.

Ich stehe auf und gehe in meine Miniküche. Ein guter Kaffee wird mich wieder auf den Boden der Tatsachen zurückholen. Wenn ich hinterher noch eine Dusche nehme, dann bin ich wieder ganz die Alte.

Nach einem köstlichen Milchkaffee und einer heißen Dusche, die mein Badezimmer in ein wahres Caldarium verwandelt, fühle ich mich wie neu geboren.

Ein Blick aus dem Panoramafenster verrät mir, dass es immer noch stark schneit. Mittlerweile ist es später Mittag, aber der graue, wolkenverhangene Himmel lässt kaum Helligkeit zu und so wirkt es, als gehe jeden Moment die Sonne unter.

Ruhig stehe ich vor dem großen Fenster, einen weiteren heißen Kaffee in meinen Händen, blicke ich auf das Treiben unter mir. Die wenigen Menschen, wie sie hektisch hin und her laufen, ihren angeblich so wichtigen Geschäften nachgehen.

Was seid ihr doch für eine einfältige, sterbliche Brut, denke ich grimmig, hetzt den ganzen Tag von Ort zu Ort, wollt immer die Ersten, die Besten und die Klügsten sein. Lebt euer kleines Leben, arbeitet, heiratet, baut ein Haus und vermehrt euch. Wozu das alles? Nur um nach ein paar Jahren auf ein armseliges Dasein zurückzublicken und friedlich zu sterben. Mit heroischen Gedanken, man habe etwas vollbracht, einen Eindruck in der Welt hinterlassen, ihr sozusagen seinen Stempel aufgedrückt.

Was seid ihr nur für eine erbärmliche Rasse.

Verächtlich schnaubend trinke ich meine Tasse leer.

Die Tatsache, dass ich der gleichen jämmerlichen Brut angehöre, begünstigt nicht gerade meine Einstellung ihnen gegenüber. Auch wenn ich nicht ihre Ziele verfolge, so bin ich ebenso, wie sie, ein sterbliches Geschöpf und ich hasse es.

Nach drei Jahren Halbblutzeit würde ich mittlerweile meine Seele dafür hergeben, wieder ein Vampir zu sein.

Meine Seele, die einst unsterblich war, ist jedoch nicht mit mir zurück in diese Welt gekommen, sie irrt ziellos im Höllenfeuer umher. Ich denke, dass sie vereint mit Ansgars Seele ihren Frieden gefunden hat. Ich hoffe es, da die Hoffnung das Einzige ist, das mir geblieben ist.

Ich blicke in meine Tasse und verspüre Lust auf ein weiteres heißes Gebräu.

Im gleichen Augenblick, in dem ich mich umdrehe, um zu meiner Küche zu gehen, klingelt das Handy.

Misstrauisch nähere ich mich dem winzigen Telefon und werfe einen Blick auf das Display.

»Josh«, knurre ich vor mich hin, »du hast mir gerade noch gefehlt.«

Dennoch drücke ich die Hörertaste, lasse das Handy aber auf der Anrichte liegen und widme mich meiner Kaffeemaschine.

»Hi, Josh«, sage ich munter, »ich habe dich auf laut gestellt, hab noch was zu erledigen und d…«

»Das ist mir völlig egal«, unterbricht mich mein alter Freund herrisch.

Ich werfe einen erstaunten Blick auf das unschuldig aussehende Telefon und frage vorsichtig:

»Was ist los? Ist was passiert?«

»Ja, allerdings«, ertönt blechern seine Stimme.

»Du musst sofort herkommen und ich meine … jetzt gleich.«

»Tja, weißt du Josh, eigentlich habe ich noch etwas vor und keine Lust, meine Zeit in deinem …«

»SOFORT!«, schreit er in das Telefon, sodass der Lautsprecher knackt und kracht.

»Es ist etwas geschehen und ich brauche deine sofortige Anwesenheit. Dies ist keine Bitte!«

Ärgerlich drücke ich den Anruf einfach weg. Was bildet dieser Vampir sich eigentlich ein, denke ich wütend, schließlich ist er nicht mein Boss.

Kopfschüttelnd trinke ich in aller Ruhe mein Getränk.

Eine Stunde später halte ich es nicht mehr aus, ich muss einfach wissen, was Josh von mir will. Seine Stimme klang nicht nur fordernd, auch Furcht schwang in ihr mit. Das bin ich von meinem alten Freund nicht gewöhnt, er ist normalerweise die Ruhe selbst, was auch immer um ihn herum geschieht.

Ich ziehe mir einen Pullover an, streife eine Jacke über und verlasse meine Wohnung.

Draußen ist es bitterkalt, der Schneefall hat soeben aufgehört. Keuchend stapfe ich durch den tiefen Schnee, vor meinem Mund bilden sich große Atemwolken.

Die Straßen sind erstaunlich leer und einsam. Laternen werfen ihr Licht auf mächtige Schneehaufen, die entlang der Gehsteige aufgetürmt wurden, alles glitzert und leuchtet hell.

Mit viel Glück, denke ich bei mir, werden wir dieses Jahr eine weiße Weihnacht haben.

Irgendwo bellt heiser ein Hund, dann ein Heulen. Ich hebe den Kopf, war das der Hund, frage ich mich kurz, oder war das etwa … was anderes.

Wieder dieses unheimliche Heulen, der Hund bellt als Antwort nur noch lauter, wütender. Plötzlich jault er auf, ein hohes, helles Quietschen, ein dumpfer Schlag, Stille. Lauschend bleibe ich stehen, was zum Teufel ist da los?

Angestrengt blicke ich in die Gärten der Häuser, ich weiß nicht genau, aus welcher Richtung das Bellen kam, ich kann nichts entdecken.

Plötzlich, ich will schon weitergehen, sehe ich einen Schatten, er huscht ein paar Meter vor mir in einen Hauseingang.

Ich zucke mit den Schultern, vielleicht ein Vampir, der sich ein spätes Mittagsmahl geholt hat.

Da löst sich die Gestalt aus der Dunkelheit heraus. Gegen die Hauswand gelehnt blickt er mir lässig entgegen.

Unwillkürlich muss ich grinsen, dort steht ein Vampir, der seinesgleichen sucht. Nicht genug, dass Fries wirklich gut aussieht, leider weiß er das auch und hält damit nicht gerade hinter dem Berg.

Wir kennen uns erst seit einem Jahr, doch unsere erste Begegnung verlief äußerst amüsant:

Ich war mit Josh und einigen anderen Jungs zusammen im Desmodus, unserer Stammkneipe. Es war gerade meine Runde und so ging ich zur Theke, um die Bestellung aufzugeben.

Entschlossen zwängte ich mich an den vielen Vampiren vorbei und beugte mich über den Tresen.

Plötzlich spürte ich, wie jemand über meine langen Haare strich, ärgerlich drehte ich mich um. Sah in dunkle Augen, in einem weißen Gesicht, umrahmt von schwarzen, nach allen Seiten abstehenden, Haaren. Er lächelte mich sanft an und flüsterte:

»Ich hoffe, es hat dir nicht allzu viele Schmerzen bereitet.«

Verwirrt blickte ich den Kerl an, aber er sprach bereits weiter:

»Als du vom Himmel auf unsere Erde fielst, war da der Aufprall sehr schlimm?« Es dauerte einige Sekunden, bis das Gesagte bei mir eindrang. Der Typ versuchte tatsächlich mich anzumachen und das mit einem der ältesten Sprüche überhaupt.

Mit einem hämischen Grinsen auf den Lippen zischte ich:

»Nein. Mich hat die Hölle ausgespuckt, die Wunden solltest du sehen. Aber die sind an einer Stelle, an die du noch nicht einmal in deinen Träumen herankommst.«

Ich sah, wie er schluckte, solch eine Antwort war der gut aussehende Kerl bestimmt nicht gewöhnt. Mit einem Schulterzucken drehte ich mich um und gab bei dem Barkeeper meine Bestellung auf. Es dauerte ungewöhnlich lange und als ich mit den Blutdrinks endlich zu unserem Tisch kam war ich so erstaunt, den Schwarzhaarigen neben Josh sitzen zu sehen, dass ich fast die Gläser fallen ließ. Ich konnte mich gerade noch beherrschen. Auf meinen verdutzten Gesichtsausdruck hin, feixte der Junge nur und meinte:

»Ich wollte nur nach deinen Wunden fragen und wo sie wirklich sind. Denn glaub‘ mir Baby, in meinen Träumen komme ich an alles was ich nur will.«

Es war so, das Fries die ganze Nacht an unserem Tisch verweilte. Er stellte sich als unübertrefflicher Unterhalter heraus, die anderen Jungs und selbst Josh lachten immer wieder über seine Erzählungen.

Ich fand ihn nach den kurzen Stunden bereits so sympathisch, dass ich ihm gestattete, mich nach Hause zu begleiten.

Er versuchte keine Dummheiten, sondern verabschiedete sich formvollendet von mir und ging pfeifend davon. Seit dem habe ich Fries immer mal wieder getroffen, mal zufällig, mal waren wir sogar verabredet. Nie wieder hat er versucht, mich anzumachen, er war einfach immer nur nett, ließ seinen Charme und sein gutes Aussehen für sich sprechen.

Auch heute wirkt er wie ein Fotomodel, frisch aus einem bad boys Katalog entsprungen. Die schwarze Lederweste liegt auf seiner blanken Haut, an den Händen trägt er fingerlose Handschuhe. Die dunkle, enge Jeans wird von einem mehr als auffälligen Gürtel gehalten. Er ist mit gelblich verfärbten Zähnen besetzt und die Schnalle, aus gehämmertem Silber, stellt ein Pentagramm dar.

Ein selbstgefälliges Grinsen umspielt seine Lippen.

»Hallo Natascha, so früh schon unterwegs?«

Ich gehe einfach an ihm vorbei, ich ahne, dass er mir ohnehin folgen wird.

»Wie du siehst …«, murmele ich vor mich hin.

 

Tatsächlich bin ich nur zwei Schritte weit gekommen, und Fries geht, mich weiter unverschämt angrinsend, neben mir.

Ich sehe ihn von der Seite her an und meine:

»Ich schätze, du hast gerade ein paar kleine Kinder sehr unglücklich gemacht.«

Er hebt fragend seine Augenbrauen.

»Wieso?«, erstaunt blickt er sich um.

»Na, du hast doch den Hund getötet«, antworte ich und grinse jetzt selbst hämisch.

»Bestimmt werden bald seine traurigen Überreste von ein paar kleinen Kindern beweint werden.«

Fries fährt sich mit den Fingern durch die schwarzen Haare, mit dem zweifelhaften Erfolg, dass sie noch mehr als sonst von seinem Kopf abstehen.

»Ach so«, murmelt er, »das meinst du.«

Schlagartig verändert sich sein Gesichtsausdruck, er sieht plötzlich aus wie ein kleiner Junge, verlegen und beschämt.

Er steckt die Hände tief in die Hosentaschen, schweigend gehen wir langsam weiter. Ich zucke erschrocken zusammen, als seine Stimme die Stille unvermutet zerreißt.

»Wo willst du eigentlich hin?«

»Zu Josh, in seinen Laden«, antworte ich und werfe ihm einen schelmischen Blick zu.

»Du auch?«

»Eh, … ehrlich gesagt, nein«, murmelt Fries und streicht sich über den Nacken.

»Aber du folgst mir doch«, ich lache kurz auf.

»Ich folge dir überall hin, Natascha. Selbst wenn es die Hölle sein sollte.«

Nachdenklich betrachte ich diesen unverschämten Blutsauger, so etwas Merkwürdiges hat er noch niemals von sich gegeben.

Er zuckt mit den Schultern.

»Was ist? Warum starrst du mich so an?«

Meine Stimme gleicht einem Reibeisen.

»Sprich solche Worte nicht leichtfertig aus, Fries«, knurre ich.

»Die Hölle ist ein verfluchter Ort. Dorthin wünscht man sich nicht unbedacht.«

»Ich wünsche mich auch nicht dorthin«, antwortet er murmelnd, »ich habe nur gemeint, dass ich dir folgen werde, egal wo du hingehst.«

»Egal … egal, was geschieht …«, wispere ich vor mich hin.

»Wie bitte?«

»Oh, nichts«, rufe ich und räuspere mich umständlich. Innerlich verfluche ich Ansgar und das er so einfach in meinen Träumen auftaucht.

Schweigend setzen wir unseren Weg fort.

Als wir an Joshs Bücherladen ankommen, wird mein anfängliches Erstaunen zu blankem Entsetzen. Die Straße ist voller Autos, wohin man auch blickt, überall wimmelt es von Vampiren.

Viele bekannte Gesichter sehe ich, alle tragen den gleichen fragenden Ausdruck mit sich herum.

»Verdammt, gibt’s hier was umsonst?«, knurrt Fries neben mir und scheint ebenso erstaunt zu sein.

Ich zucke mit den Schultern.

»Irgendetwas ist geschehen, ich weiß nur noch nicht was …«

Suchend blicke ich mich nach Josh um, ich entdecke ihn hinter seinem gläsernen Tresen. Eigentlich wie immer, wenn ich dieses Geschäft betrete, nur das noch niemals so viele Blutsauger anwesend waren. Ich schiebe mich durch das Gedränge in seine Richtung.

Josh unterhält sich leise mit Viktor, einem Geschäftspartner. Als ich endlich bei ihm ankomme, fühle ich ein Kribbeln am ganzen Körper, ein Kloß von monströsen Ausmaßen verschließt meine Kehle. Die Furcht ist fühlbar, sogar riechen kann ich sie, ich stinke geradezu nach Angst.

Ich lege meine Hände auf die von Josh.

Erschrocken reißt er seinen Kopf herum, er hat mich scheinbar nicht bemerkt. Sofort umarmt er mich über die Theke hinweg, zerrt mich mit einem Ruck darüber. Wie wild schlingt er die Arme um meinen Körper, vergräbt seine Nase in meinen Haaren.

»Natascha, Süße. Ich bin so froh, dass du doch noch gekommen bist«, haucht er in mein Ohr.

»Es tut mir schrecklich leid, dass ich dich eben angebrüllt habe. Aber alles ist so, so … furchtbar …«

»Josh, bitte …«, seine Umarmung, die einem Ertrinkenden gleicht, erschreckt mich fast noch mehr, als die Tatsache, dass ich nicht weiß, was hier los ist.

Nur zögernd lässt mein alter Freund mich los, seine Hände um meine Taille gelegt sieht er mich lächelnd an.

»Jetzt geht es mir entschieden besser«, flüstert er. Noch bevor ich eine Antwort darauf geben kann, tippt ihm Viktor auf die Schulter.

»Wir müssen loslegen. Das Fußvolk wird langsam ungeduldig.«

Josh nickt nur, ehe er mir zuflüstert:

»Such dir einen guten Platz. Möglichst in meiner Nähe.«

Sanft schiebt er mich von sich weg. Mit einem Satz springt Josh auf seinen gläsernen Tresen, jetzt überragt er alle anwesenden Vampire um eine halbe Körperlänge. So wird er auch von denen im hintersten Winkel gehört und gesehen.

»Ich bitte um Ruhe, Freunde«, erklingt seine klare Stimme durch den Raum. Kurz wendet er den Kopf, sucht meinen Blick, flüchtig lächelt er und kneift ein Auge zu.

Ich grinse zurück, wenn es auch bestimmt gequält aussieht, so kann es sich doch nicht mit meiner inneren Unruhe, mit dem wilden Chaos in mir, messen.

Mit ernster Miene wendet er sich wieder den wartenden Dämonen zu.

Atemloses Gemurmel, knisternde Spannung, dann eine tödliche Stille, die Gefühle sind fast greifbar, so deutlich kann ich sie spüren.

Josh muss nicht noch einmal um Ruhe bitten, sie erfüllen seinen Wunsch auf Anhieb.

»Danke, Freunde. Ebenso danke ich euch, dass ihr so zahlreich erschienen seid. Auch ich weiß, dass solch ein kurzfristiges Treffen nicht in jedermanns Sinn liegt. Ich ahne ebenso, dass ihr anderes zu tun habt, als hier zu stehen und mir zuzuhören.«

Sein kühler Blick trifft mich, nur flüchtig, aber es genügt, meinen Kloß im Hals auf noch größere Ausmaße anschwellen zu lassen, diesmal vor Verlegenheit.

Ich senke beschämt die Augen.

Unbeirrt fährt Josh fort:

»Aber es ist etwas Dramatisches geschehen und es wird uns noch viel Schlimmeres widerfahren, wenn wir nicht jetzt und hier eine Lösung finden.«

»Was ist denn los, Joshua?«, brüllt einer der Vampire quer durch den Raum. Mein alter Freund nimmt sich nicht die Mühe, den Blutsauger wegen Respektlosigkeit zu rügen, stattdessen antwortet er leise:

»Der Hohe Rat der Vampire liegt im Sterben, Freunde.«

Josh holt Luft, um noch einen Satz anzubringen, dazu kommt es aber nicht mehr.

Ein wahrer Tumult, ein Tornado bricht in dem kleinen Bücherladen aus. Alle reden durcheinander, sie sind nur Sekunden von einer Panik entfernt.

»Leute, bitte … ich bitte euch, beruhigt euch wieder«, Josh hebt beschwichtigend beide Hände. Nur langsam kehrt wieder Ruhe ein. Aber es ist eine andere Stille, als eben noch, ein gefährliches, ein trügerisches Schweigen.

»Es betrifft leider nicht nur sie«, fährt Josh nach einigen Sekunden fort.

»Scheinbar sind alle alten Vampire von einer Art … Krankheit befallen. Wir … wir … wissen … Leute, bitte …«

Mit einem entnervten Knurren gibt sich Josh geschlagen, die Vampire rufen erneut lautstark durcheinander, ein jeder fragt seinen Nachbarn nach einem guten Freund, einem alten Blutsauger.

Ein lärmendes Spektakel beginnt.

Mit grimmigem Gesicht springt Josh von der gläsernen Theke, ich bin sofort neben ihm, ich habe mich nicht wegbewegt.

»Josh, was hat das alles zu bedeuten?«, raune ich ihm zu. Währenddessen versucht Viktor, etwas Ruhe einkehren zu lassen.

»Das, was ich gesagt habe«, antwortet Josh knapp.

»Was soll das für eine Krankheit sein?«

Er zuckt mit den Schultern.

»Das wissen wir nicht, aber scheinbar befällt es nur die uralten Vampire. Sie können sich nicht mehr heilen und es ist so, als ernähren sie sich nicht, obwohl sie ununterbrochen Blut trinken. Aber es erhält ihre Körper nicht mehr am Leben. Es scheint sie zu verbrennen, wenn noch die Wärme der Sonne hinzukommt …«

Joshs Hände driften rasch auseinander.

»Bumm!«, knurrt er.

»Es ist eine echt merkwürdige Sache.«

Hörbar schließe ich meinen Mund.

»Merkwürdig?«, frage ich zurück, »das ist ja wohl ein viel zu schwaches Wort, ich nenne es eher absonderlich, erschreckend und grausam.«

Hilflos zuckt Josh erneut mit den Schultern.

»Was soll damit nur bezweckt werden?«, murmele ich vor mich hin.

»Den Rat zu töten und die Alten, das hat doch keinen Sinn.«

»Oh doch«, knurrt Josh neben mir, sodass ich ihn bestürzt anblicke.

»Ein neuer Rat kann und darf erst gebildet werden, wenn der alte verschwunden ist. Ansonsten würden nämlich immer nur die fehlenden Mitglieder ersetzt. Und die darf der Rat selbst bestimmen. Sollte aber allen Angehörigen auf einen Schlag etwas zustoßen, dann sieht das Gesetz der Vampire vor, das ein komplett neuer Rat aus dem Volk entstehen soll.«

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