Das Sprachverständnis des Paulus im Rahmen des antiken Sprachdiskurses

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Die Eigenständigkeit des νοῦς und die Loslösung von der Sinnlichkeit kann der Mensch in der philosophischen Betrachtung und im Traum erlangen. In beiden Situationen erfolgt eine Konzentration auf das Bewusstsein und eine Abschirmung von äußeren Ablenkungen, wie sie bereits bei den Therapeuten und Essenern als ideale Umwelt beschrieben wurde. Beides mündet in mantische Erlebnisse, die einmal im Schlafzustand, einmal im Wachsein erfahren werden.51 Im κόσμος αἰσθητός, in dem sich die Menschen befinden, können die Sinne nur schwer ausgeschaltet werden. Deshalb scheint es für Philon so gut wie unmöglich, dass Menschen, die nicht zu den Weisen zu zählen sind, die Unabhängigkeit des νοῦς erreichen und zu echter Erkenntnis gelangen, denn Träume an sich können trügerisch sein und der δόξα gleichen. Die Kompetenz, sich durch Konzentration von den Einflüssen der Sinnlichkeit zu befreien und dadurch den Unterschied zur Traumekstase herbeizuführen, spricht Philon den Weisen zu. So zeigt sich erneut die starke Fokussierung der philonischen Ausführungen auf die intellektuelle Oberschicht.52 Das allgemeine Volk hat Philon in seinem Denken nur bedingt im Blick; seine Argumentation zeigt, dass es Menschen gibt, die nicht zu echter Erkenntnis befähigt sind, auf die Auswirkungen geht Philon nicht näher ein. Für die Weisen hingegen entwickelt er ein philosophisches Konzept, für welches er Rahmenbedingungen aufzeigt und mit der philosophischen Betrachtung und dem Traum Möglichkeiten bietet, die Erkenntnis zu steigern.

(4) Von der Beschreibung der Losgelöstheit des νοῦς kommt Philon zum Zusammenhang von Erkenntnis und Wahrheit. In Migr § 190 beschreibt er, dass der νοῦς, wenn er sich von allem Somatischen und Sinnlichen befreit hat, in einem Spiegel die ἀλήθεια sieht. Wenn der νοῦς sich zusätzlich von den Abdrücken, die ihm die Sinne eingeprägt haben, befreit, erhält er Einblicke in die Zukunft.53 Der κόσμος νοητός, den der Mensch in der Unabhängigkeit des νοῦς von allem Sinnlichen erfassen kann, fungiert als Pforte zur ἀλήθεια:

τοῦτο δὲ τὸ δεικνύμενον καὶ ὁρατόν, ὁ αἰσθητὸς οὑτοσὶ κόσμος, οὐδὲν ἄρα ἄλλο ἐστὶν ἢ οἶκος θεοῦ (…), μιᾶς τῶν τοῦ ὄντος δυνάμεων, καθ’ ἣν ἀγαθὸς ἦν. τὸν δὲ κόσμον οἶκον ὠνόμασε καὶ πύλην τοῦ πρὸς ἀλήθειαν οὐρανοῦ (…) προσεῖτε. (Som I § 185 f)

Das aber, was ihm [dem Menschen] gezeigt wird und was sichtbar ist, diese unsere sinnlich wahrnehmbare Welt, ist also ‚nichts anderes als das Haus Gottes’ (Gen 28,16), nämlich das Haus einer der Kräfte des Seienden, durch die er gut ist. Die Welt aber nannte er ein Haus und eine Pforte des wahren Himmels (Gen 28,16). (Som I § 185 f)

Im Bild des Spiegels und der Pforte verdeutlicht Philon den Zusammenhang von Erkenntnis und Wahrheit.54 Ἀλήθεια umfasst die drei Modi Wahrheit, Wirklichkeit und Richtigkeit; sie treten in Kombination auf; wenn ein Modus vorliegt, sind die beiden anderen enthalten.55 Kweta formuliert drei Aspekte, die den Wahrheitsbegriff bei Philon kennzeichnen: Erstens einen materiellen Aspekt, der zum einen die geistig gedachte Wirklichkeit (= κόσμος νοητός und Wirklichkeit Gottes), zum anderen die in unserem Bewusstsein tatsächlich vorhandene Wirklichkeit (= κόσμος αἰσθητός und der Mensch) bezeichnet.56 Selbstverständlich kann auch über die vom Menschen in der sinnlichen Welt wahrgenommene Wirklichkeit Kommunikation erfolgen. Sie hat lediglich eine andere Qualität als die Kommunikation, die über den νοῦς am göttlichen Logos oder dem κόσμος νοητός partizipiert, denn indem der Mensch ein Abbild für sein Urbild annimmt, liegt Ersteres außerhalb der ἀλήθεια.57 Zweitens hat ἀλήθεια einen existentiellen Aspekt, denn sie „erstreckt sich auf alle Akte, in denen die menschliche Existenz sich konstituiert und realisiert“58, demnach auch auf die Sprache. Gott stellt mit dem πνεῦμα eine Hilfe bereit, weil es dem Menschen Schwierigkeiten bereitet, die ἀλήθεια in all diesen Bereichen zu finden.59 Als dritten Punkt formuliert Kweta einen formalen Aspekt der ἀλήθεια, der sich aus dem existentiellen ergibt; damit ist allgemein die Beurteilung von Sachverhalten gemeint. Nach Philon bezeichnet ἀλήθεια die Fähigkeit, zwischen ἀρετή und κακία zu unterscheiden.60 Der Mensch, in dem sich die ἀλήθεια manifestiert hat, wird der Wahrheit gemäß urteilen.61 Die Verbindung der beiden Aspekte resultiert aus dem philonischen Menschenbild, nämlich dass der Mensch die gesamte Welt in der ihm möglichen Dimension widerspiegeln soll, so dass eine Einheit von Denken (διάνοια), Reden (λόγος) und Handeln (ἔργον) vorliegt; nur so können gute menschliche Taten erzielt werden.62 So wird bereits hier der Zusammenhang zwischen Mensch, Wahrheit und Sprache deutlich.63

Wenn in der durch die Losgelöstheit des νοῦς erreichten Erkenntnis Wahrheit und Wirklichkeit impliziert sind, kann beides in einer sprachlichen Äußerung ausgedrückt werden. Sprache ermöglicht also den Ausdruck von Erkanntem, von Wahrheit und Wirklichkeit und befähigt zur Kommunikation über diese Aspekte. Die positive Funktion von Sprache liegt darin, dass sie Wahrheit zum Ausdruck bringen kann. Demgegenüber steht Sprache, die als δόξα und ψεῦδος bezeichnet werden kann und die einen negativen Charakter beschreibt. Diesem wird im Kapitel zu den Grenzen der Sprache nachgegangen.

Zusammenfassung:

Das Verhältnis zwischen Sprache und Erkennen findet im νοῦς seinen Mittelpunkt. Je nachdem, von welcher ‚Seite’ er seine Prägung erfährt, entsteht echte oder verfälschte Erkenntnis. Diese hat Auswirkungen auf die wahrgenommene Wirklichkeit und auf die Kommunikation, so dass ein höheres Erkenntnisniveau zu einem höheren Sprachniveau führen muss. Festzuhalten ist, dass es echte Erkenntnis, die zu wahrer Kommunikation und richtigem Verständnis der Wirklichkeit führt, gibt. Sie findet sich bei Adam und den Weisen und ist unter bestimmten Voraussetzungen erreichbar. Dazu zählt entweder eine besondere Nähe zum ursprünglichen Sein, wie dies für Adam der Fall ist, oder die unter den Voraussetzungen und auch in diesem Kapitel bereits genannten Aspekte der idealen Umwelt und der idealen Anthropologie, in der der νοῦς die Oberhand über die Sinne hat. Auch in der philosophischen Betrachtung und im Traum können ideale Erkenntnisvoraussetzungen geschaffen werden. Erkenntnis aus diesen Situationen kommt verstärkt den Weisen, da hierfür eine besondere Konzentration und das Abschirmen der Sinne notwendig ist.64 Die Menschen, die nicht auf solch ideale Voraussetzungen treffen, erfahren vorerst eine verfälschte Erkenntnis und Wirklichkeit. Selbstverständlich ist auch darüber Kommunikation möglich. Entscheidend ist, dass Philon sich in seinen Ausführungen auf die noetische Erkenntnis und im Zuge der Dekadenztheorie des Menschen auf die Weisen konzentriert. Dies hat sich in ähnlicher Weise bereits bei Heraklit gezeigt, der der Mehrheit der Menschen abspricht, den λόγος als ‚objektive’ Wirklichkeit zu erfassen.

Aus den in diesem Kapitel gewonnenen Einsichten ist für die folgenden Überlegungen der Grundsatz mitzunehmen, dass Sprache die Wiedergabe von im νοῦς Erkanntem ermöglicht und dass die Art der Erkenntnis von bestimmten Voraussetzungen abhängig ist; Erkenntnis bzw. der νοῦς ist der Sprache dabei immer vorgeordnet. „Vor der Sprache liegen also Ersterfahrungen anderer Art.“65 Wenn die Voraussetzungen gegeben sind, ermöglicht Sprache im Zuge des Erkannten Kommunikation über Wahrheit und Wirklichkeit und impliziert dadurch Richtigkeit. Deshalb ist die Möglichkeit, durch Sprache Erkanntes wiedergeben zu können, als erste Funktion von Sprache festzuhalten.

4.4 Sprache als Namensgebung

In Conf § 116 beginnt die philonische Auslegung von Gen 11,4. Philon kritisiert, dass sich die Menschen einen Namen machen wollen, indem sie ihre Schlechtigkeiten in aller Welt publik machen. Es steht die Frage im Raum, was die Menschen angesichts ihrer Missetaten für einen Namen erwarten:

ὀνόματος οὖν ποίου γλίχεσθε; ἢ τοῦ τοῖς πραττομένοις οἰκειοτάτου; ἆρ’ οὖν ἕν ἐστι μόνον; γένει μὲν ἴσως ἕν, μυρία δὲ τοῖς εἴδεσιν. (Conf § 117)

Welchen Namen begehrt ihr also? Etwa den, der eueren Taten entspricht? Gibt es denn einen? Dem Begriffe nach ist es vielleicht nur einer, aber unzählig sind die Arten. (Conf § 117)

Als zusammenfassender Begriff für die Taten kann nur κακία gefunden werden. Unter ihm vereinen sich all die begangenen Taten, die Philon in Conf § 117 anführt, wie beispielsweise Mord, Ehebruch oder Lüge. Für Philon haben Namen eine große Bedeutung, das zeigt sich insbesondere bei seiner Auseinandersetzung mit Sprache: „Μὴ γὰρ ὄντων ὀνομάτων, οὐδ’ ἂν διάλεκτος ἦν“1 (denn ohne Namen gäbe es auch keine Sprache). Verschiedenen Fragen ist nachzugehen: (1) Wer schafft Namen? (2) Was ist ein Name nach philonischem Verständnis und (welche) Relationen von sprachlichem Zeichen und Objekt greift Philon auf? (3) Was sagt der Name über das Verhältnis zur Wirklichkeit aus?

(1) Philon thematisiert ausführlich die Entstehung der Namen. Sie hängt mit der Entstehung der Sprache im Allgemeinen zusammen: Sowohl Gott als auch die Menschen sind zur Namensgebung befähigt. Dem biblischen Schöpfungsbericht zufolge ist Gott der Benenner der kosmischen Größen wie Himmel und Erde oder Licht und Finsternis und der Zeitangaben wie Tag und Nacht. Auch Adam wird von Gott benannt, er kann sich nicht selbst benennen.2 Alles andere, folgert Philon, muss durch den ersten und weisesten Menschen benannt worden sein. Winston beschreibt die Leistung Adams nach Philon folgendermaßen: „Inventing names that were the best possible imitations of the essences of all things, he thus established the paradigmatic human language.“3 Dies ist auch im Blick auf die Frage, ob Sprache φύσει oder θέσει ihre Legitimation erhält, interessant. Philon kann keiner der beiden Theorien zugeordnet werden. Er verbindet die Ansicht, dass Sprache in ihrer ersten Schöpfungssituation von Adam gesetzt wurde, mit der Vorstellung, dass dieser Setzung ein natürliches Verhältnis von Ding und Wort, das seine Ursache in Gott hat, vorausgegangen sei. Es besteht also ein natürlicher Zusammenhang zwischen Sache und Name, der erstmalig von Adam in den treffenden Namen zum Ausdruck gebracht wurde.4

 

(2) Der Akt der Namensgebung selbst ist ein Erkenntnisprozess. Die Ausgangssituation ist durch Nichtwissen gekennzeichnet, die sich durch das Erfassen des Objekts ändert und im konkreten Namen manifestiert.5 Wie aber versteht Philon Namen bzw. mit welchen Relationen, die aus dem Überblick der Sprachphilosophie bekannt sind, beschäftigt sich Philon? Philon differenziert für ὄνομα nicht zwischen Ausdrucks- und Inhaltsseite, wie sich das bei Aristoteles abgezeichnet hat. Er beschäftigt sich in platonischer Tradition mit der Relation von Laut und Objekt, für die er auch die platonischen Begriffe ὄνομα und πρᾶγμα verwendet.6 Philon kann ὄνομα als σύμβολον bestimmen, ohne dieses Verhältnis näher zu definieren oder aus dieser Aussage eine Relation zu entwickeln, wie das für Aristoteles der Fall ist.7 Philon thematisiert das Verhältnis von ὄνομα und πρᾶγμα in zweifacher Hinsicht, die von der Art des Erkennens abhängig ist: Es gibt zum einen Namen, deren Laut nicht mit der Sache identisch ist. Auf sie kommt Philon nur selten zu sprechen, da der Fokus der Texte auf den weisen Menschen liegt. In Cher beschreibt Philon diese Art wie folgt:

ὁ μὲν ἄλλος ἅπας ἀνθρώπων ὅμιλος ὀνόματα τίθεται πράγμασι διαφέροντα τῶν πραγμάτων, ὥσθ΄ ἕτερα μὲν εἶναι τὰ τυγχάνοντα, ἑτέρας δὲ κλήσεις τὰς ἐπ΄ αὐτοῖς. (Cher § 56)

Die grosse (sic!) Masse der Menschen gibt gewöhnlich den Dingen Namen, die von den Dingen verschieden sind, so dass die wirklichen Dinge etwas Anderes sind als was ihre Benennungen besagen. (Cher § 56)

Daran wird ersichtlich, dass es Namen gibt, die im Wort keine Identität mit der Sache herstellen.8 Philon kennt also eine Möglichkeit, das Verhältnis zwischen Wort und Objekt zu bestimmen, das keine der ‚Idealbedingungen’ erfüllt und auf aisthetische Erkenntnis zurückgeht. Auf sie geht Philon nicht näher ein. Nach der Feststellung fährt er sogleich mit der mosaischen Namensgebung fort, die er als kompetent beschreibt. Auswirkungen falscher Namensschöpfung, wie etwa Kommunikation über eine verfälscht wahrgenommene Wirklichkeit, reflektiert Philon nicht. Als Beispiel für eine Namensbildung, in der im Wort keine Identität mit der Sache vorliegt, können falsche Etymologien angenommen werden oder Begriffe, die mehrdeutig sind. Als Beispiel führt Philon den Begriff κυνός (Hund) an, der das Tier, ein Gestirn am Himmel oder die Philosophen der kynischen Schule bezeichnen kann.9 Diese Uneindeutigkeit steht in der Nähe zum heraklitischen Bogenfragment.10

Weit häufiger thematisiert Philon die Namensgebung, die eine Identität von Wort und Sache hervorbringt:

(…) δὲ αἱ τῶν ὀνομάτων θέσεις ἐνάργειαι πραγμάτων εἰσὶν ἐμφαντικώταται, ὡς αὐτὸ τὸ πρᾶγμα ἐξ ἀνάγκης εὐθὺς εἶναι τοὔνομα καὶ<τοὔνομα καὶ>καθ΄ οὗ τίθεται διαφέρειν μηδέν. (Cher § 56)

(…) die Namengebungen [sind] ganz klare Bezeichnungen der Dinge, so dass das Ding selbst notwendig zugleich der Name ist und der Name in keiner Weise verschieden ist von dem Gegenstand, für den er gesetzt ist. (Cher § 56)

Der Laut kann also die φύσις der Dinge (πρᾶγμα) wiedergeben; daran wird der Zusammenhang zur Erkenntnis deutlich: Wenn der νοῦς in Unabhängigkeit von den Sinnen die φύσις der Dinge erkennt, kann diese in einer stimmlichen Äußerung wiedergegeben werden. Die Voraussetzung für diese Art der Namensbildung ist eine Nähe zum ursprünglichen Sein, wie sie für Adam der Fall war.11 Unter dieser Voraussetzung kann er die Objekte dank seiner ungetrübten Sinne der Wirklichkeit gemäß erfassen und dementsprechend benennen.12 Otte sieht darin, dass Philon die Begriffe auf einen einzigen Menschen zurückführt, die Einheitlichkeit und Eindeutigkeit der Begriffe gewährleistet. Philon argumentiert zwar in Anlehnung an die griechischen Philosophen, die die Sprache dem weisesten Menschen zuschreiben, bezieht dies aber gleichzeitig auf Adam, so dass dieser als der Weiseste unter den Erdgeborenen gelten muss. Somit ist Adam zeitlich, aber auch prinzipiell der maßgebliche Sprachschöpfer.13 Damit ist die Grundlage für die Identität von Wort und Sache gelegt.14 Auch Quaest Gen I zeigt, dass Adam seiner Aufgabe in außergewöhnlich gutem Maß nachkam, so dass sich die Tiere in ihren Namen wieder erkennen:

Wir müssen jedoch ebenfalls annehmen, daß die Namensgebung so exakt war, daß, sobald er (Adam) den Namen gab und das Lebewesen ihn hörte, es ergriffen war wie bei dem Phänomen eines ausgesprochenen vertrauten und verwandten Namens. (Quaest Gen I § 20)15

Die adamitische Namensgebung ist ebenso kompetent wie die des Moses, den Philon zu den weisen Männern rechnet.16 Philon macht damit deutlich, dass das Sein durch Sprache erschlossen werden kann. Das steht erneut in der Nähe zum heraklitischen Denken; Heraklit aber nimmt nicht an, dass das Sein durch Sprache vollständig erschlossen werden kann, also dass eine Einheit von Name und Objekt möglich ist. Diese Einheit liegt der mythischen Sprachauffassung zu Grunde. Aber auch dieser gegenüber hebt Philon sich natürlich grundlegend ab, indem er die Erkenntnis durch den νοῦς und die sprachliche Äußerung durch den λόγος προφορικός reflektiert. Das ist im magisch-mythischen Denken nicht der Fall. Man kann daher sagen: Philon nimmt die Einheit von Wort und Objekt auf einem philosophischen, reflektierten Niveau an, nur aber für die Namensgebung von Adam und den Weisen.

Es wurde deutlich, dass Philon in einer Reihe von Texten eine Einheit von Wort und Sache denkt und dass dementsprechende Namen auf noetischer Erkenntnis oder einer ursprünglichen Nähe zum Sein beruhen. Es gibt in den philonischen Texten einen weiteren Aspekt, der diese Einheit begründet; er liegt in der Tatsache, dass Sprache, wie alle anderen Bereiche, im Urbild-Abbild-Prinzip verankert ist. Adam steht als Abbild des Urbildes noch in großer Nähe zum ursprünglichen Sein und ist deshalb zu kompetenter Namensbildung befähigt: Er schafft anhand der Urbilder die Namen.17 Alle anderen Menschen aber sind nicht Abbilder des göttlichen Logos, sondern Abbilder Adams und bleiben als Nachahmungen hinter dem Urbild zurück, so dass die nachadamitischen Geschöpfe vom göttlichen Logos entfernt sind.18 Dies führt Philon zu folgender Forderung:

πρώτη δὲ τῶν εἰσαγομένων ἀρετὴ τὸ διδάσκαλον ὡς ἔνεστι τέλειον ἀτελεῖς μιμεῖσθαι γλίχεσθαι. (Sacr § 65)

Die erste Pflicht der Anfänger [der Menschen, Anm.] aber ist es, dem Lehrer [Gott, Anm., ergibt sich aus § 64] nachzustreben, soweit es möglich ist, dass Unvollkommene einen Vollkommenen nachahmen. (Sacr § 65)

Auch Virt verdeutlicht das:

ἄλλως τε καὶ μάθημα ἀναδιδάσκει τῇ λογικῇ φύσει πρεπωδέστατον, μιμεῖσθαι θεὸν καθ’ ὅσον οἷόν τε, μηδὲν παραλιπόντα τῶν εἰς τὴν ἐνδεχομένην ἐξομοίωσιν. (Virt § 168)

Ausserdem (sic!) gibt er [Gott, Anm.] die der vernünftigen Natur (des Menschen) völlig angemessene Lehre, Gott soviel wie möglich nachzuahmen und nichts ausser (sic!) Acht zu lassen, um diese Aehnlichkeit (sic!) zu erreichen, soweit sie erreichbar ist. (Virt § 168)

Philon fordert eine Nachahmung Gottes in allen Bereichen, das gilt auch für die Sprache. Die göttliche Sprache ist dadurch gekennzeichnet, dass sie keine Grammatik besitzt, einen unkörperlichen Charakter hat19 und im Gegensatz zur menschlichen Sprache nicht durch Hören, sondern „τῷ τῆς ψυχῆς ὄμματι“20 (mit dem seelischen Auge) wahrgenommen wird.21 Das steht im Gegensatz zur menschlichen Sprache, die sich durch grammatische Phänomene auszeichnet und durch Hören erkannt wird.22 Die göttliche Sprache hat den Charakter der Vollkommenheit und liefert eine Deckung von Wort und Sache, weil Philon Gott immer einheitlich denkt.23 Die Richtigkeit der Namen, die in der göttlichen Sprache garantiert ist, kann deshalb durch die Nachahmung der göttlichen Sprache aufrechterhalten bzw. wiederhergestellt werden.24 Die göttliche Sprache ist nicht gemacht, sondern „seems to have preexisted with God Himself, thus entirely pertaining to the realm of the eternal, unchanging, most real and most true“25. Konsequenterweise heißt das, dass die göttliche Sprache im κόσμος νοητός vorhanden ist, der durch den νοῦς erkannt werden kann. Eine längere Passage aus Som II verdeutlicht, dass der Mensch Zugang zum göttlichen λόγος hat, und damit zur noetischen Erkenntnis und zur Nachahmung der göttlichen Sprache befähigt ist:26

κάτεισι δὲ ὥσπερ ἀπὸ πηγῆς τῆς σοφίας ποταμοῦ τρόπον ὁ θεῖος λόγος, ἵνα ἄρδῃ καὶ ποτίζῃ τὰ ὀλύμπια καὶ οὐράνια φιλαρέτων ψυχῶν βλαστήματα καὶ φυτά, ὡσανεὶ παράδεισον. (…) τοῦτον τὸν λόγον εἰκάσας ποταμῷ τις τῶν ἑταίρων Μωυσέως ἐν ὕμνοις εἶπεν· ‚ὁ ποταμὸς τοῦ θεοῦ ἐπληρώθη ὑδάτων’ (Psalm 64,10). καί<τοι> τινὰ τῶν ἐπὶ γῆς ῥεόντων ἄλογον κυριολογεῖσθαι· ἀλλ’, ὡς ἔοικε, πλήρη τοῦ σοφίας νάματος τὸν θεῖον λόγον διασυνίστησι, μηδὲν ἔρημον καὶ κενὸν ἑαυτοῦ μέρος ἔχονατι, <μᾶλλον> δέ, ὡς εἶπέ τις, ὅλον δι’ ὅλων ἀναχεόμενον καὶ αἰρόμενον εἰς ὕψος διὰ τὴν συνεχῆ καὶ ἐπάλληλον τῆς ἀεννάου πηγῆς ἐκείνης φοράν. (…) τῷ γὰρ ὄντι τοῦ θείου λόγου ῥύμη *** καὶ συνεχῶς μεθ’ ὁρμῆς ἐν τάξει φερομένη πάντα δὶα πάντων ἀναχεῖ τε καὶ εὐφραίνει. (Som II § 242.245.247)

Es kommt aber von der Weisheit27 wie aus einer Quelle der göttliche Logos einem Flusse gleich herab, auf daß er befeuchte und tränke die olympischen und himmlischen Keime und Gewächse tugendliebender Seelen wie einen Garten. Diesen Logos verglich einer der Anhänger des Moses mit einem Flusse und sprach in den Psalmen: ‚Der Fluß Gottes wurde erfüllt mit Wasser’ (Psalm 64,10). Nun ist es doch unsinnig, dies von einem auf unserer Erde fließenden Flusse in buchstäblichem Sinne zu sagen, sondern, wie es scheint, spricht er deutlich von dem göttlichen Logos voll vom Naß der Weisheit, der keinen Teil frei und leer von sich läßt, ja mehr noch, wie man sagen könnte, ganz und gar sich ergießt und zur Höhe gehoben wird durch den dauernden und ununterbrochenen Zustrom jener ewig fließenden Quelle. Tatsächlich überströmt und erfreut der Strom des göttlichen Logos, der ununterbrochen und dauernd mit Wucht in Ordnung dahingetragen wird, alles durch und durch. (Som II § 242.245.247)

Der göttliche Logos überflutet und nährt die menschliche Seele; d.h., der menschliche λόγος agiert nicht unabhängig, sondern ist abhängig von Gott und kann nur durch ihn zu wirklicher Erkenntnis und richtiger Namensbildung gelangen. Die in der göttlichen Sprache vorliegende Einheit von Idee und Name soll in die Seele des Menschen eindringen und den menschlichen λόγος ernähren.28 Es wird deutlich, dass Sprache für Philon seinen Ausgangspunkt bei Gott hat und dass es für die Weisen möglich ist, über den göttlichen Logos eine Einheit von Wort und Sache zu erlangen, wie sie sich in der göttlichen Sprache findet. Damit knüpft Philon im Wesentlichen an die noetische Erkenntnis an; all die Aspekte – Nähe zum ursprünglichen Sein, Traum oder philosophische Betrachtung –, die in noetische Erkenntnis münden, können also die Einheit von Name und Sache ermöglichen, wie sie in der göttlichen Sprache vorliegt, weil der göttliche Logos dabei den menschlichen νοῦς prägt. Daher können diese Aspekte als Form der Nachahmung verstanden werden, wodurch der Zusammenhang von Nachahmung der göttlichen Sprache und Art des Erkennens ersichtlich wird.

Der göttliche Logos kann begrifflich auch mit dem Lexem πνεῦμα wiedergegeben werden und von daher ist nach der Rolle des göttlichen Geistes bei Paulus und Philon zu fragen.29 Paulus bestimmt die Sprachgaben als vom göttlichen Geist gewirkt; das göttliche πνεῦμα befruchtet das menschliche πνεῦμα oder den göttlichen νοῦς und erwirkt dementsprechend eine unverständliche oder verständliche Äußerung.30 Philon geht einen Schritt weiter als Paulus. Der göttliche Logos wirkt bei Philon die ‚echte’ Sprache, für die eine Einheit von Wort und Objekt vorliegt; eine Entsprechung von göttlicher und menschlicher Sprache finden wir bei Paulus nicht. Philon geht aber noch weiter: In der menschlichen Sprache kann nicht nur diese Einheit übernommen werden, es wird zugleich die vollkommene göttliche Moral im Menschen fruchtbar gemacht. So folgert Philon, dass die vier Tugenden Weisheit, Mut, Mäßigkeit und Gerechtigkeit auf diese Art und Weise im Menschen ‚angebracht’ werden.31

(3) Liegt einem Namen noetische Erkenntnis bzw. die enge Verbindung von göttlicher und menschlicher Sprache zu Grunde, bringt die Einheit zwischen Wort und Objekt auch Wahrheit und Wirklichkeit mit sich. Da der Name das Wesen eines Objekts hervorbringt, erhält der Mensch über ihn einen Bezug zur Realität; damit sind Namen „Träger der Sprache und des Wirklichkeitsverständnisses“32. Durch Sprache kann die Weltwirklichkeit erkannt werden und es kann Kommunikation darüber erfolgen, wenn Sprache eindeutig ist.33 Eine Voraussetzung dafür ist, dass der Mensch das Wort als solches annimmt. Die Identität von Wort und Sache wird nicht immer erkannt oder zugelassen. Dies ist bei den Sophisten der Fall. Wenn sie das Wort als solches annehmen würden, könnte der in der sprachlichen Äußerung manifestierte Gehalt zutage treten. Die Sophisten aber leben in einem Widerspruch von Denken/Erkennen und Sprechen und entwickeln doppeldeutige Wörter, die die richtige Identität von Wort und Sache nicht zulassen.34 Auch über diese Wirklichkeit kann Kommunikation stattfinden; ebenso wie über die Wirklichkeit, wie sie der Mensch vom κόσμος αἰσθητός aus wahrnimmt. Sie manifestiert sich in Namen, in denen keine Einheit von Ding und Wort vorliegt, und bringt eine verfälschte Wirklichkeit zum Ausdruck. Für seine Argumentation stützt Philon sich im Wesentlichen auf die Sachentsprechung der Sprache, die in der adamitischen Sprache ihren Ausgangspunkt findet.35 Philon kann damit zwei verschiedene Entwicklungen vereinen: Noetische Erkenntnis ermöglicht Namensbildung, in der eine Einheit von Name und Sache vorliegt. Diese Namen geben die Wirklichkeit wieder. Aisthetische Erkenntnis liefert diese Einheit nicht, sondern einen verfälschten Bezug zwischen Name und Objekt, weil unter Beteiligung der Sinne eine verfälschte, nicht die objektive Wirklichkeit wahrgenommen und wiedergegeben werden kann. Damit steht Philon in der Tradition Heraklits, der zwar eine enge Verbindung von Wort und Sache denkt, der aber diesen Bezug bereits problematisiert. Die Tatsache, dass Philon den Zusammenhang zwischen Weltwirklichkeit und Sprache überhaupt reflektiert, kann anhand von Quaest Gen IV noch expliziert werden und zeigt, dass er im philosophischen Denken verhaftet ist:

 

Da sein (Isaaks) Vater (die Brunnen) benannt hatte, war er selbst zufrieden mit den Namen, die ursprünglich gegeben waren, denn er wußte, daß, wenn er die Namen ändern würde, er gleichzeitig die Dinge ändern würde. (Quaest Gen IV § 194)36

Es findet eine Veränderung der Weltwirklichkeit statt, wenn ein Objekt umbenannt wird, weil in den Namen, auf denen der philonische Fokus liegt, die φύσις der Dinge erkannt werden kann; d.h. nicht, dass die Sache an sich verändert wird, sondern dass eine Uminterpretation der anfänglichen Realität stattfindet, weil ein anderer Name nicht dasselbe Objekt bezeichnen kann.37 Es läge dann keine Einheit, sondern eine Vielfalt zwischen Name und Objekt vor, wie sie auch Heraklit im Bogenfragment thematisiert.38

Zusammenfassung:

Die Entstehung und Beschaffenheit von Namen ist für die philonische Beschäftigung mit Sprache zentral. Sowohl Gott als auch die Menschen schaffen Namen. Für die menschliche Sprache legt Adam den Grundstein. Er ist dazu befähigt, Dingen Namen zu geben, die das Wesen der Sache offenbaren. Philon stellt einen Zusammenhang zwischen der in der antiken Sprachphilosophie diskutierten Entstehung der Sprache durch ‚θέσις’ oder ‚φύσις’ her. Er geht von einem natürlichen Zusammenhang der Namen und Dinge aus, der seinen Grund in Gott hat, und sieht diesen durch Adam erstmals gesetzt. Die göttliche und die adamitische Sprache zeichnen sich durch die Einheit von Wort und Sache aus. Die Qualität der Namensgebung hängt von der Weisheit der Menschen ab. Diese ist gekoppelt an die Fähigkeit zur echten Erkenntnis und damit an die Nähe zum Sein, zu Gott und zu göttlicher Erkenntnis, zur Rolle der Sinne und ihrer bewussten Zurückweisung, so dass die Arbeit des νοῦς zu uneingeschränkter Erkenntnis führen kann. Philon bezieht sich auf die adamitische und mosaische Namensgebung sowie auf die Fähigkeiten der Essener und Therapeuten. Damit wird erneut der philonische Fokus auf die philosophische Auseinandersetzung mit Sprache deutlich, die jedoch einen eindeutig theologischen Bezug aufweist. Die Menschen, denen noetische Erkenntnis zukommt und die so die göttliche Sprache nachahmen, sind zu kompetenter Namensbildung befähigt. Sie bringen in Namen Wirklichkeit zum Ausdruck. Das Verhältnis von Name und Objekt/Wirklichkeit wird demnach reflektiert, nicht aber das sprachliche Zeichen an sich und dessen unterschiedliche Komponenten. Indem Philon die Relation von Name als Laut und Sache bestimmt und v.a. indem er den λόγος, verstanden als Denken und als Äußerung, in seine Ausführungen einbaut, zeigt er, dass er im philosophischen Denken verhaftet ist. Indem er eine Einheit von Name und Sache denkt, ist eine Nähe zum mythischen Denken auszumachen. Das allgemeine Reflektieren über das Verhältnis von Name und Objekt besteht seit Heraklit. Philon ist nicht vollständig in einer mythischen Sprachauffassung zu verorten, sondern zeigt Facetten mehrerer sprachphilosophischer Entwicklungen auf: Die Betonung des λόγος-Begriffs und die Ansicht, dass es möglich ist, dass die Einheit zwischen Name und Sache gestört werden kann, rückt ihn in die Nähe des heraklitischen Sprachverständnisses. Indem er das Verhältnis zwischen Laut und Sache eingehend reflektiert – unabhängig davon, wie er dieses charakterisiert – wird deutlich, dass er sich mit der Relation beschäftigt, die für Platon typisch ist. Philon benutzt hierzu die platonischen Termini ὄνομα und πρᾶγμα. Eine Unterscheidung zwischen Laut- und Inhaltsseite, wie Aristoteles sie benennt, weist Philon nicht auf. Deutlich wurde auch, dass Philon zwei Sprachen kennt und dass Adam hebräisch sprach. Philon reflektiert aber nirgendwo das Problem, das für die ὄνομα-Lehre daraus entstehen muss. Seine Etymologien, die häufig auf hebräische Lexeme zurückgehen, sind von vornherein Gegenstand seiner philosophischen Betrachtung. Sonst müsste er durchgehend die griechischen Lexeme kritisieren und die hebräischen bevorzugen. Sprachlich scheint Philon nie über Hebräisch bzw. das Verhältnis von Hebräisch und Griechisch nachgedacht zu haben.