Die Totenbändiger - Äquinoktium - Die gesamte erste Staffel

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»Aye, Sir.«



Pratt schenkte Connor ein knappes Lächeln und wies dann mit einem Kopfnicken zur Tür. »Gut, dann raus mit euch. Holt euch Lunch und macht Pause, bevor mir irgendwelche Gewerkschaftsvertreter die Hölle heißmachen, weil sich eine Spuk Squad mal wieder nicht an die gesetzlich vorgeschriebenen Ruhezeiten hält.«





Kapitel 8










Cam dankte allen guten Sternen, als die Schulglocke sie um eins endlich in die Mittagspause entließ. Sein Tagesbedarf an fremden Menschen, Getuschel hinter vorgehaltenen Händen und abschätzenden Blicken war bereits jetzt schon mehr als gedeckt, doch er fürchtete, um den Nachmittagsunterricht würde er trotzdem nicht herumkommen.



Nach der Doppelstunde Mathe waren eine Doppelstunde Englisch und eine Einzelstunde Sozialkunde gefolgt und in allen Kursen war es recht ähnlich abgelaufen. Sobald er mit Ella und Jules ins Klassenzimmer gekommen war, hatte man sie von oben bis unten beäugt und zwar in allen Variation von neugierig bis misstrauisch. Jules und Ella schien das nicht viel auszumachen und sie gewannen die meisten ihre Mitschüler und Lehrer durch ein paar freundliche Sätze schnell für sich. Einigen war zwar anzusehen, dass sie skeptisch blieben, aber es hatte keine offenen Anfeindungen gegeben – oder die Notwendigkeit, sich auf dem Schulklo einzuschließen.



Das wertete Cam als positiv.



Trotzdem hielt er sich im Hintergrund und hoffte, dass man ihn in Ruhe ließ und einfach als Anhängsel der anderen beiden akzeptierte.



Er hoffte auch, dass das Lächeln, das er auf seinem Gesicht eingefroren hatte, halbwegs freundlich und nicht komplett grenzdebil wirkte.



Was dagegen bisher allerdings wirklich gut lief, war der Unterricht an sich. Obwohl Cam sich schon fragte, wofür zum Henker er in seinem Leben jemals die Infinitesimalrechnung brauchen würde. Aber das fragte er sich bei so ziemlich jeder Matheformel, also schien das eher ein generelles Problem zu sein, und keines, das auf das Konto der Ravencourt ging.



Nach der Nervosität vor den ersten Schulstunden hatte auch die Unruhe etwas nachgelassen. Trotzdem fühlte er sich mittlerweile ziemlich k. o. Die ganzen Menschen waren einfach anstrengend. Alle drängelten durch die Gänge, um möglichst schnell zum Lunch in die Cafeteria oder nach draußen in die Sonne zu kommen, und dieses unübersichtliche Gewusel machte ihn nervös.



»Hey Jules!«



Stephen, ein großer dunkelhaariger Typ, dessen Hemd sich um ein paar eindrucksvolle Armmuskeln spannte, fing Jules ab, als er mit Cam und Ella aus dem Sozialkunderaum kam. Er saß in Englisch neben Jules und während sie sich mit verschiedenen Kommunikationsmodellen auseinandergesetzt hatten, hatte Jules gleich mal herausgefunden, dass Stephen der Teamcaptain der Basketball-AG war.



»Kommst du mit auf den Hof ein paar Körbe werfen? Bin gespannt, was du so draufhast.«



»Klar, gerne.« Jules wandte sich zu Ella und Cam um. »Wenn das für euch okay ist?«



Ella boxte ihm gegen die Schulter. »Natürlich. Hau schon ab.«



Jules sah zu Cam.



Der nickte. »Sicher, viel Spaß.«



Jules drückte ihm kurz den Arm. »Wenn irgendwas ist, weißt du, wo du mich findest.«



Cam lächelte knapp und zog seinen Arm zurück. »Alles gut. Ich komme klar.«



Jules kannte ihn einfach zu gut. Doch Cam hatte beschlossen, sich weniger auf ihn zu verlassen und eigene Wege zu finden, um klarzukommen. Und manche davon funktionierten auch schon ganz gut.



Jules seufzte, als Cam ihn abschüttelte, akzeptierte aber, dass er Abstand brauchte. »Okay, dann bis später.«



»Bis später.«



Jules schloss sich Stephen und ein paar weiteren Jungs an, bei denen Cam sich nicht sicher war, ob sie ihm bekannt vorkommen sollten, und sie verschwanden im Gewühl ihrer Mitschüler.



»Na komm.« Ella hakte sich bei Cam unter und steuerte mit ihm auf eine der Türen zu, die auf den Schulhof hinausführten. »Suchen wir uns draußen einen netten Platz. Ich bin gespannt, was Granny uns in die Lunchpakete gepackt hat.«



Sie wollte gerade die Tür aufstoßen, als eine Stimme hinter ihnen sie zurückhielt.



»Ella?«



Die beiden wandten sich um.



Ein hübsches Mädchen mit langen braunen Haaren schloss zu ihnen auf. Cam ordnete sie und ihre beiden Begleiterinnen gedanklich in ihren Mathekurs ein und erinnerte sich vage, dass sie eine von denen war, die gelächelt hatten, als Ella und Jules Larissa und den Rest des Kurses davon überzeugt hatten, dass Totenbändiger keine mordlustigen Freaks waren.



»Hi, ich bin Teagan.« Sie schenkte Ella ein strahlendes Lächeln und bedachte auch Cam mit einem kurzen Blick. »Das sind Astrid und Lindsay«, stellte sie ihre Freundinnen vor.



Ella erwiderte das Lächeln. »Hi. Wir sind zusammen im Mathekurs, richtig?«



Teagan nickte. »Genau. Und was du da gesagt hast – also über euch Totenbändiger – das war echt klasse.«



»Ehm … danke.«



»Und wir finden, dass wir daraus was machen sollten.«



Ella runzelte die Stirn. »Okay … Sorry, aber ich weiß gerade ehrlich gesagt nicht, was du damit meinst.«



Wieder schenkte Teagan ihr ein Lächeln. »Na, diese ganzen blöden Vorurteile gegen euch. Wir finden, damit sollte aufgeräumt werden. Und dabei könnte ich dir helfen. Ich hab einen Lifestyleblog und poste Videos auf Instagram und YouTube. Ich bin zwar noch keine richtige Influencerin, aber ich hab im Sommer die zweitausend Follower geknackt. Und ich würde echt gerne ein paar Videos mit dir machen, in denen du den Leuten das erzählst, was du uns heute Morgen erzählt hast. Du hast absolut das Zeug dazu, Menschen zu überzeugen, dass Totenbändiger voll okay sind. Wir könnten ihnen in den Videos zeigen, wie es ist, eine zu sein, und ihnen erzählen, dass du und deine Brüder jetzt hier zur Schule geht und dass das überhaupt kein Problem ist.« Sie streckte die Hand aus und strich Ella eine blaugrüne Haarsträhne hinters Ohr, damit ihr Totenbändigerzeichen besser zu sehen war. »Du bist unglaublich süß und die Leute werden dich total lieben.«



Überrumpelt konnte Ella sie einen Moment lang nur anstarren.



Cam hatte nicht besonders viel Ahnung von social media. Für ihn waren das nur weitere Orte, an denen sich zu viele Menschen tummelten, die noch schwerer zu durchschauen waren, als die im echten Leben. Deshalb hielt er sich davon fern. Das Offensichtliche hatte er aber trotzdem verstanden.



»Du hoffst, dass du mit den Videos von meiner Schwester mehr Klicks, Likes und Follower bekommst.«



Teagan musterte ihn kurz und hob dann die Schultern. »Na ja, genau so funktioniert das Ganze ja.« Sie sah zurück zu Ella. »Am Anfang würdest du von mir und meinen Followern profitieren und kannst für ein besseres Ansehen von euch Totenbändigern werben. Wenn ich dadurch mehr Follower bekomme, ist das für mich total cool, aber für dich ist die größere Anzahl natürlich auch gut, weil wir mit deinem nächsten Video dann noch mehr Leute erreichen. Wir helfen uns sozusagen gegenseitig. Und du müsstest ja nicht nur über euch Totenbändiger reden.« Sie deutete auf Ellas Rucksack, der aus verschiedenen Stoffresten zusammengenäht war und dadurch eine coole Flickenoptik hatte. »Hast du den selbstgemacht?«



Ella nickte.



Teagan grinste freudig. »Der sieht echt mega aus. Hast du noch mehr solcher Sachen?«



Wieder nickte Ella. »Die meisten meiner Klamotten nähe ich selbst. Und ein paar für meine Schwester.«



»Wow, das ist genial! Das kommt mit Sicherheit auch total gut an. Wir könnten also auch DIY-Videos machen, in denen du zeigst, wie so was geht. Also einfach ein bisschen was zu dir und deinen Hobbys. Damit die Leute da draußen sehen, dass Totenbändiger ganz normal sind und keine Freaks, vor denen man Angst haben muss.«



Unschlüssig kaute Ella auf ihrem Daumennagel herum.



Einerseits war die Vorstellung, eine Art Aushängeschild und Vorzeige-Totenbändigerin zu sein, nicht besonders reizvoll. Andererseits durfte man aber auch nicht darauf warten, dass immer andere etwas taten, um die Welt ein bisschen besser zu machen. Bisher hatten ihre Eltern und ihre Granny mit einigen anderen für mehr Rechte und eine bessere Zukunft gekämpft. Aber sie war kein kleines Kind mehr, und wenn Teagan ihr die Chance bot, viele junge Leute zu erreichen, konnte sie so vielleicht auch ein bisschen was bewirken. Vor allem, wenn sie Videos drehten, in denen sie zeigten, dass die Vorurteile gegenüber Totenbändiger unbegründet und oft einfach nur lächerlich und dämlich waren.



Sie blickte zu Cam. »Was denkst du?«



Er bedachte sie mit einer hochgezogenen Augenbraue. »Wieso fragst du mich? Du machst doch am Ende sowieso das, was du willst.«



Sie grinste. »Aber das heißt ja nicht, dass ich nicht trotzdem gerne höre, was du so denkst. Du weißt doch: Quiet people have the loudest minds.«



Er grinste zurück. »Ich denke, du solltest das machen, was sich für dich richtig anfühlt.«



Teagan hatte ihr Smartphone aus der Tasche ihres Blazers gezogen, steckte es jetzt aber wieder weg. »Du musst das nicht sofort entscheiden. Schlaf drüber, wenn du willst. Ich kann dir meine Videos auch erst mal zeigen. Wollen wir in den Medienraum gehen? Am Laptop haben wir einen größeren Bildschirm.«



Wieder sah Ella zu Cam.



Der verdrehte die Augen. »Geh. Ich hab absolut nichts dagegen, ein paar Minuten allein zu sein. Also hau ruhig ab. Ich komme klar.«



»Ja, das weiß ich.« Sie drückte kurz seine Hand. »Dann sehen wir uns nachher in Bio, okay?«

 



»Yep. Bis später.«



Er sah Ella, Teagan und ihren Freundinnen noch kurz hinterher, als sie Richtung Medienraum verschwanden, dann wandte Cam sich um und stieß die Tür auf.



Die Spätsommersonne schien zwischen dicken weißen Wattewolken auf den Schulhof herab und es war angenehm warm. Überall saßen kleinere und größere Gruppen auf den Bänken und an den Picknicktischen zusammen, lachten, quatschten und aßen Lunch, den sie sich entweder von zu Hause mitgebracht oder in der Cafeteria der Schule geholt hatten. In einer Ecke spielten ein paar der jüngeren Kids Fußball, in einer anderen plärrte ein cooler Retro-Ghettoblaster einen Popsong, zu dem ein paar Mittelstufemädchen irgendeine Choreografie einübten.



Cam kannte Schulalltag bisher nur aus amerikanischen Teenyserien, aber das hier kam der Fiktion erstaunlich nahe. Nur mit mehr Einheitskleidung.



Er ließ die trubeligen Tische nahe der Cafeteria hinter sich und lief zu einem der Bäume am Rand des Schulhofes. Hier war niemand und ein bisschen Alleinsein tat jetzt verdammt gut. Er setzte sich in den Schatten, trank ein paar Schlucke aus seiner Wasserflasche und lehnte sich mit geschlossenen Augen gegen den Baumstamm.



Keine anderen Menschen.



Der Lärm seiner Mitschüler drang zwar zu ihm herüber, doch das war okay.



Die waren in ihrer Welt, er in seiner.



Alles perfekt.



»Hey Freak!«



Oder auch nicht.



Der höhnische Tonfall in der Stimme ließ nichts Gutes erahnen und Cam öffnete alarmiert die Augen.



Vier Jungs schlenderten betont lässig auf ihn zu, doch die Blicke, mit denen sie ihn musterten, ließen keinen Zweifel daran, dass sie auf Ärger aus waren.



»Was machst du hier?« Ein dunkelhaariger Lockenkopf schien der Anführer der kleinen Gang zu sein. Cam kannte ihn und einen der anderen aus seinem Mathekurs.



»Nichts. Nur sitzen.«



»Ach ja?« Ein heimtückisches Grinsen trat in das Gesicht des Lockenkopfs. »Also ich finde ja eher, du bedrohst uns. Und du weißt ja, was wir mit jemandem wie dir machen dürfen, wenn wir uns bedroht fühlen.«



Cam presste die Kiefer aufeinander und spürte, wie Wut in seinem Inneren zu brodeln begann.



Genau wegen solcher Dreckskerle hasste er Menschen.



Finster starrte er zurück. »Tut mir leid, wenn du jemanden, der einfach nur friedlich unter einem Baum sitzt, nicht von jemandem unterscheiden kannst, der dich bedroht. Ich will keinen Ärger, also geht einfach und lasst mich in Ruhe.«



In Lockenkopfs Augen blitzte es gefährlich auf und er rückte Cam noch ein paar Schritte näher auf die Pelle.



»Weißt du, unsere Ruhe wollen wir auch, aber leider hat man Freaks wie dich an unsere Schule gelassen. Und egal, was für tolle Sprüche ihr von euch gebt – Freaks bleiben Freaks. Und die wollen wir hier nicht, klar?«



Cam verzichtete darauf, dem Mistkerl zu erklären, dass sie ihre blöde Schule liebend gern für sich hätten behalten können und er sich kein bisschen darum riss, gemeinsam mit Vollidioten wie ihnen in einem Klassenzimmer sitzen zu müssen. Doch erstens ging das diesen Blödmann nichts an und zweitens ging es hier ums Prinzip: Er ließ sich nicht von irgendwelchen Armleuchtern fertigmachen, die sich für was Besseres hielten, nur weil sie zufällig nicht als Totenbändiger zur Welt gekommen waren.



»Und was genau willst du jetzt gegen uns tun?«, fauchte er deshalb zurück.



Lockenkopf schüttelte fast mitleidig den Kopf. »Bist du ein bisschen dumm? Das hab ich doch gerade gesagt. Du hast uns bedroht. Ich werde Dave gleich eine blutige Lippe verpassen und wir behaupten, das warst du. Wir wollten uns nur ein bisschen mit dir unterhalten, da bist du völlig grundlos ausgerastet. Auch wenn ihr hier auf ganz harmlos und nett macht, weiß doch schließlich jeder, dass Totenbändiger total unkontrolliert sind und man euch nicht trauen kann. Keiner wird euch mehr hier haben wollen und ihr fliegt achtkantig wieder raus.« Wieder blitzten seine Augen gefährlich. »Wer weiß, vielleicht machen wir dich sogar kalt. Immerhin hast du uns angegriffen, da steht es uns zu, dass wir uns wehren.«



Cams Fäuste ballten sich, ohne dass er etwas dagegen tun konnte, und Lockenkopf lächelte hämisch, als er das sah.



»Was denn? Willst du jetzt etwa tatsächlich auf uns losgehen?« Er griff in seine Hosentasche und ließ ein Klappmesser aufschnappen.



Erschrocken starrte Cam auf die Klinge.



»Heb deine Fäuste gegen mich und ich schwöre dir, ich kill dich sofort«, zischte Lockenkopf eiskalt und Cam glaubte ihm jedes verdammte Wort.



»Halt die Klappe, Topher. Steck das Messer weg und lass ihn in Ruhe.«



Die Stimme ließ Lockenkopf und seine Gang herumfahren. Ein blonder Typ, den Cam aus seinen Vormittagskursen kannte, war hinter ihnen aufgetaucht. In seiner Hand hielt er ein Smartphone, mit dem er aufzeichnete, was sich hier gerade abspielte.



»Ich hab alles auf Video und solltest du Camren oder seinen Geschwistern irgendeinen Scheiß andichten wollen, gehe ich zur Carroll. Wenn sie das hier sieht, weiß sie, dass ihr nur irgendwas inszeniert habt, und dann sind es mit Sicherheit nicht die Hunts, die achtkantig hier rausfliegen.«



Tophers Hand krallte sich um den Griff seines Messers und seine Gesichtsmuskeln verrieten, wie wütend er war. Deshalb gab er sich auch nicht so leicht geschlagen.



»Ernsthaft, Evan? Ist das so ein Schwulending? Glaubst du, der Kleine macht mit dir rum, wenn du ihm den Arsch rettest? Weil Totenbändiger es mit jedem treiben?« Er schnaubte abfällig. »Bei dem Hübscheren der beiden hast du ja wohl Pech gehabt, was? Den hat Stephen sich schon gekrallt. Versuchst du deshalb jetzt dein Glück bei dieser kleinen Vogelscheuche? Wie hoffnungslos untervögelt kann man denn sein, dass man mit einem Totenbändiger-Freak rummachen will?«



Evan schenkte ihm ein ironisches Lächeln und machte eine auffordernde Handbewegung, während er noch immer das Video aufnahm.



»Rede nur weiter, Topher. Homophobe Sprüche kommen bei der Carroll immer gut an. Und das Messer, das du mit aufs Schulgelände gebracht hast, erst recht. Also, wie viel tiefer willst du dich noch in die Scheiße reiten, bevor du hier den Abflug machst?«



Tophers Hand krallte sich erneut so fest um den Griff seines Messers, dass seine Knöchel weiß hervortraten.



Drohend trat er zwei Schritte auf Evan zu. »Wer hält mich denn davon ab, dir dein Scheißhandy einfach wegzunehmen? Vier gegen einen, das schaffst du nie.«



Unbeeindruckt bot Evan ihm weiter die Stirn, seine Stimme klang jetzt jedoch deutlich schneidender als zuvor. »Ganz blöde Idee. Ich lade das Video gleichzeitig in meine Cloud. Mir mein Handy wegzunehmen, bringt dir also rein gar nichts. Und jetzt hau endlich ab und wage ja nicht, mich oder Camren noch einmal blöd anzumachen. Und falls du ihm oder seinen Geschwistern Ärger machen oder ihnen irgendwas in die Schuhe schieben willst, weißt du, zu wem dieses Video hier wandert, verstanden?«



»Das wird dir noch leidtun.« Wutschnaubend spuckte Topher ihm vor die Füße.



»Nein, ich denke nicht. Und jetzt verschwindet und nervt jemand anderes mit eurer Anwesenheit.«



Einen Moment lang zögerte Topher noch, dann nickte er knapp zu seinen Mitläufern und ließ endlich das Messer zuschnappen.



»Wir gehen, Leute. Unsere Zeit kommt ein anderes Mal.«



Der Spruch war so abgedroschen, der verdiente keine Antwort. Evan verdrehte bloß die Augen und ließ das Video weiterlaufen, bis Topher und seine Gang sich zum belebteren Teil des Schulhofes getrollt hatten. Dann steckte er sein Handy ein und wandte sich zu Cam um.



»Hi, ich bin Evan.« Er deutete auf den Boden neben Cam. »Darf ich?«



Einen Moment lang war Cam zu überrumpelt, doch dann nickte er. »Sicher. Danke, dass du mir geholfen hast.«



Er musterte Evan unauffällig, als der sich neben ihn setzte und mit dem Rücken gegen den Baumstamm lehnte. Er war schlank, sportlich und größer als Cam, doch Letzteres war keine Kunst. Seine welligen blonden Haare waren in Stirn und Nacken ein bisschen zu lang, sahen dadurch aber ziemlich lässig aus. Er hatte die Ärmel seines Hemdes bis zu den Ellbogen hochgekrempelt, was die Schuluniform bei ihm deutlich cooler wirken ließ.



»Keine Ursache. Topher ist nicht glücklich, wenn er nicht irgendjemanden fertigmachen kann. Hat er bei mir auch eine Zeit lang versucht und als ich gesehen hab, dass er dir hinterhergeht, war klar, dass er irgendeinen Mist vorhat.« Sein Blick wurde ernst, als er Cam ansah. »Ich weiß, dass die Carroll von der ganzen Wir-sind-die-erste-Schule-die-Totenbändiger-aufgenommen-hat-Sache total begeistert ist. Wir hatten zig Schulveranstaltungen zu dem Thema und auch wenn die Mehrheit am Ende dafür war, euch aufzunehmen, gibt es hier auch etliche Leute, die dagegen sind. Ich will dir nicht in dein Leben reinquatschen oder dir Angst machen, aber du solltest vielleicht ein bisschen vorsichtiger sein.«



»Aber ich hab überhaupt nichts gemacht!«



»Ja, das weiß ich. Aber du warst hier alleine und du hast gesehen, wie ein Mistkerl wie Topher das ausgenutzt hätte.«



»Na toll.« Unwirsch fuhr Cam sich über die Augen.



»Bleib einfach mehr im Zentrum des Geschehens. In der Nähe der Gebäude und im Inneren gibt es fast überall Kameras. Da wird niemand irgendwas versuchen. Und wenn du Abstand von den anderen brauchst, dann such den nicht ganz alleine, damit du notfalls einen Zeugen und ein bisschen Rückendeckung hast.«



Cams Magen zog sich zusammen, als er zu seinen Mitschülern hinübersah, die in der Sonne saßen und ihre Mittagspause genossen.



Wer von denen wollte ihn, Jules und Ella auch am liebsten zum Teufel jagen?



Und welche Mittel waren sie bereit, dafür einzusetzen?



Tophers Klappmesser hatte einen ziemlich unguten Eindruck hinterlassen.



»Hey, keine Sorge«, meinte Evan mit einem aufmunternden Lächeln. »Ich helfe dir, wenn du willst. Ich kann dir die größten Vollidioten von Ravencourt zeigen, dann musst du die nicht mühsam alleine herausfinden. Obwohl sich die meisten ziemlich schnell selbst outen.« Er verzog vielsagend das Gesicht. »Aber ein erster unschätzbar wertvoller Tipp: Falls du als Wahlpflichtkurs Fußball gewählt hast, solltest du das noch mal überdenken. Ich hab keine Ahnung wieso, aber der Kurs zieht Vollidioten an wie ein Magnet.«



Mist, der Wahlpflichtkurs.



An den hatte er gar nicht mehr gedacht.



»Ich hab mir noch keinen ausgesucht.« Cam zog seinen Rucksack zu sich und begann, nach der Kursliste zu kramen. »Aber Fußball wird es dann auf jeden Fall schon mal nicht.«



Evan grinste. »Gut, du lernst schnell. Es besteht also noch Hoffnung, dass du dein Abschlussjahr an der Ravencourt heil überstehst.«



Cam schnaubte gequält.



»Hast du die Liste hier? Bei den Kursen steht dabei, wer sie leitet. Ich kann dir sagen, wen du besser meiden solltest. Es gibt hier nämlich leider auch ein paar Lehrer, die nicht wirklich begeistert davon sind, dass du und deine Geschwister jetzt bei uns seid.«



Cam hielt mit dem Kramen inne. »Was ist mit der Basketball-AG und der Kunstwerkstatt? Weißt du, ob die Lehrer dort okay sind?«



Evan überlegte kurz und nickte dann. »Warum? Überlegst du, da reinzugehen?«



Cam schüttelte den Kopf. »Nicht unbedingt. Aber Jules und Ella sind da drin.«



Er sah hinüber zum Basketballfeld, wo Jules mit Stephen und ein paar anderen Körbe warf.



Sollte er zu ihm gehen und erzählen, was passiert war?



Aber Jules war nicht alleine, genauso wenig wie Ella. Und sie waren beide im Bereich der Sicherheitskameras. Er musste ihnen also nicht ihren Spaß verderben und konnte noch bis zur Biostunde warten, um sie vor den Schattenseiten ihrer Schule zu warnen.



»Du und deine Geschwister, ihr steht euch ziemlich nahe, was?«, fragte Evan, der Cams Blick Richtung Basketballfeld bemerkt hatte.



Unverbindlich hob Cam die Schultern.



»Aber blutsverwandt seid ihr nicht, oder? Ihr seid ja alle fast gleich alt und seht euch überhaupt nicht ähnlich.«



Cam warf ihm einen kurzen Blick zu und wusste nicht so recht, was er sagen sollte. Er sprach mit Fremden nicht über sich und seine Familie. Und Evan war fremd, auch wenn er ganz nett zu sein schien und ihm mit Topher und seiner Gang geholfen hatte. Was ziemlich cool und alles andere als selbstverständlich war. Und sein Insiderwissen über die Schüler und Lehrer der Ravencourt konnte echt hilfreich sein, um den Schulalltag hier heil zu überstehen. Deshalb wollte Cam ihn nicht vor den Kopf stoßen, doch er hatte keine Ahnung, wie man jemandem auf nette Weise sagte, dass ihn etwas nichts anging.

 



Er wich Evans Blick aus, spürte aber, wie der ihn von der Seite musterte, als Cams Antworten ausblieben.



»Okay, also der Gesprächigste von euch dreien bist du definitiv nicht«, bemerkte Evan messerscharf und brach damit die unangenehme Stille.



Cam verzog das Gesicht. »Nein.«



Evan grinste. »