Spur der Vergangenheit

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„Bitte, Chris. So war das nicht gemeint. Es ist nur ...“, er drückte sie noch etwas fester an sich, „ich kann mich im Augenblick selber nicht leiden. Das hast du selber gerade gesagt. Ich will meinem Umfeld nicht noch mehr auf den Geist gehen, als ich es ohnehin schon tue.“

Sie löste sich ein wenig und ihre Miene wurde eine Spur sanfter. „Wer, wenn nicht ich sollte das besser nachvollziehen können.“ „Ich gehe meinem Umfeld schon viel länger auf die Nerven.“

„Meine Kleine. Was soll ich nur mit dir machen?“

„Ich hatte dich unterbrochen.“ Sie ließ sich fallen und zog Nik mit sich. Nun saßen beide im Schneidersitz auf dem Rasen. „Erzähl mir, was dann passiert ist.“

„Ich rief sie von unterwegs an, aber sie war nicht zu Hause. Also entschied ich, einfach vor dem Haus im Auto auf sie zu warten.“

Wieder machte er eine Pause und trank einen Schluck.

„Ich habe über eine Stunde gewartet, wollte schon wieder nach Hause. Dann tauchte sie auf. Diesen Typen im Schlepptau. Sie lachten, wirkten sehr vertraut miteinander und ich dachte, jemand reißt mir den Boden unter den Füßen weg. Ich konnte den Anblick kaum ertragen.“

„Aber das allein muss noch lange nichts zu bedeuten haben.“ Chris legte den Kopf schief. „Oder doch? Das war noch nicht alles, stimmt‘s?“

Er zuckte mit den Achseln. „Nein, im Großen und Ganzen war‘s das. Nur eine Sache will mir einfach nicht mehr aus dem Kopf.“ Er trank einen weiteren Schluck und spürte, wie sie ihn weiter beobachtete.

„Er hat mich gesehen. Claudias Begleitung, meine ich. Hat mich direkt angeschaut, mich provokativ angegrient und mir zugenickt. Er wusste ganz genau, wer ich bin, und in diesem Moment hab ich begriffen, dass ich verloren habe.“

„Und du bist ausgestiegen und ihr habt euch wieder gestritten.“

„Nein. Dazu kam es gar nicht. Hab Gas gegeben und einen Teil meiner Reifen auf dem Asphalt gelassen. Höchstwahrscheinlich muss ich die beiden ganz schön erschreckt haben. Ich vermute, Claudia hat mein Kennzeichen gesehen und eins und eins zusammengezählt. Am nächsten Tag hat sie mich angerufen und mir die Hölle heißgemacht. Sie warf mir vor, ich würde ihr hinterherspionieren und ihr kaum Luft zum Atmen geben.“

„Und du glaubst, dass sie damit recht hat?“

„Nein, es war nur ein dummer Zufall. Ich denke, sie fühlte sich einfach nur ertappt. Anfang der Woche kam sie dann plötzlich zu mir und die Auseinandersetzung ging in Runde zwei. Das war der Streit, den Anni mitbekommen hat.“

„Hast du sie auf den Typen angesprochen?“

„Natürlich. Angeblich nur ein guter Bekannter, mit dem sie was trinken war.“

„Aber das glaubst du nicht?“

„Nein, Chris. Ich bin nicht naiv. Die Botschaft war unmissverständlich.“

„Und dennoch, Nik. Du kannst dir da nicht sicher sein. Versteh mich nicht falsch. Ich will sie keineswegs in Schutz nehmen, aber du solltest ihr noch eine Chance geben. Sprecht miteinander, am besten auf neutralem Gebiet. Ruf sie an und lad sie zu eurem Lieblings-Italiener ein.“ Sie gab ihm kurz Zeit, darüber nachzudenken. „Weißt du, ich hatte nie wirklich diese Beziehung zu ihr, wie wir beide sie haben. Aber trotzdem ist Claudia auch Bestandteil meines Lebens. Ergo habe ich auch ihr zu verdanken, dass aus mir ein normaler Mensch geworden ist.“ „Mehr oder weniger.“ „Ruf sie an, Nik.“

„Das ist nicht nötig. Claudia kommt später noch vorbei … Dann sehen wir weiter.“ Wieder wandte er sich hilfesuchend zu ihr um. „Bitte, Chris, lass es gut sein. Wenigstens für die nächsten Stunden. Ich muss mal eine Pause einlegen.“

„Also schön.“ Sie legte eine Hand auf seiner Schulter ab. „Danke, dass du dich mir anvertraut hast“, sagte sie nun sichtlich entspannter und lehnte ihren Kopf an seinen Oberarm. Nik drückte ihr einen innigen Kuss auf den Scheitel.

„Ich danke dir, dass du mich dazu genötigt hast.“

„Gern geschehen. Nur eins noch.“

„Mhhh?“

„Glaub ja nicht, dass unser Gespräch damit schon beendet ist. Du bekommst nur ein bisschen Zeit zum Verschnaufen, verstanden?“

„Verstanden. Und jetzt lass uns dafür sorgen, dass wir gleich etwas Essbares auf die Teller bekommen.“ Er erhob sich und zog Chris mit sich auf die Beine.

„Ich helf dir, warte.“ Chris schlenderte zurück zum Terrassentisch und griff nach dem Servierteller, als sie hinter sich Annis Stimme hörte.

„Die Party kann losgehen! Sind die ersten Würstchen schon fertig? Ich habe einen Bärenhunger.“

„Oh, mal was ganz Neues“, antwortete Chris, schaute über ihre Schulter und sah, dass sich auch Patrick und Julia dazugesellt hatten.

„Hey, regelmäßige Mahlzeiten sind sehr wichtig.“

„Wo sie recht hat …“, pflichtete Nik ihr bei. Er hielt seine flache Hand über den Grillrost, um die Hitze der Kohlen besser einschätzen zu können.

„Ich denke, wir können was drauflegen. Chris, bring bitte noch die Zange mit.“

Er richtete sich auf und sah überrascht, dass sie bereits wieder vor ihm stand. Allerdings hatte sie keine Zange in der Hand, sondern hielt ihm eine gelbe Geschenkbox mit einer schwarzen Schleife darauf hin.

„Was ist das?“

„Du glaubst doch nicht im Ernst, dass wir deinen Geburtstag einfach so übergehen würden, oder?“, scherzte Patrick. „Wir wollten es dir eigentlich schon am Mittwoch geben, aber wir dachten, der Zeitpunkt wäre heute passender. Also, pack schon aus.“

Erstaunt nahm er das Geschenk entgegen, blickte aber etwas unsicher in die Runde.

„Während Sie auspacken, leg ich schon mal was auf den Grill, ja?“ Anni griff bereits nach dem ersten Stück Fleisch, wurde aber von Chris am Ärmel zurückgezogen.

„Iss ein Stück Brot und gib Ruhe“, mahnte sie, und gemeinsam beobachteten sie gespannt, wie Nik die Schleife öffnete und den Deckel von der Box ab nahm. Er griff hinein und holte ein rechteckiges Stück Papier heraus, welches er aufmerksam begutachtete. Wie vom Blitz getroffen hielt er inne und richtete seinen Blick in die Runde.

„Habt ihr den Verstand verloren?“

„Ähm, na ja … wir ... arbeiten … für … Sie? Also ja, ich denke, ganz dicht sind wir wirklich nicht, oder?“ Chris verpasste Anni einen Seitenhieb mit dem Ellbogen.

„Au, verdammt!“

„Wir hatten alle das Gefühl, ein Tapetenwechsel würde dir mal ganz guttun“, warf Patrick ein.

„Und als die Paarung für das Finale feststand, hat unser lieber Dr. Weimer seine Beziehungen spielen lassen und noch eine Karte für dich besorgt. Du fährst also zum Pokalfinale nach Berlin“, fügte Chris hinzu.

„Und ich fang an zu grillen.“

„Anni!“, schallte es im Chor.

„Was denn? Bin ich denn die Einzige, die hier vor Hunger umkommt?“

„Aber ich habe Notdienst.“

„… den ich für dich übernehme. Und du kannst deine neue Karre mal so richtig einfahren.“ Patrick verschränkte die Arme vor der Brust und genoss es sichtlich, seinen Chef so richtig sprachlos zu erleben.

„Ich weiß gar nicht, was ich sagen soll.“ Er hielt seine Karte fest in beiden Händen und betrachtete diese immer noch eher ungläubig.

„Moment, bevor ich es vergesse …“ Patrick zog einen weiteren verpackten Gegenstand aus seiner Jacke.

„Damit du auch standesgemäß dort aufläufst. Nochmals alles Gute zum Geburtstag.“

Nik schüttelte den Kopf und öffnete eine Seite des Geschenkpapieres. Mit zwei Fingern zog er einen rot-blauen Fan-Schal des FC Bayern München heraus und hielt diesen etwas skeptisch in die Höhe.

„Das ist jetzt nicht dein Ernst.“ Anni ließ die flache Hand gegen ihre Stirn prallen. „Sag mir nicht, dass du dieses Ding da gekauft hast. B für Borussia, nicht für Bayern. Ich glaub es einfach nicht, was für ein Holzkopf.“

Amüsiert warf Patrick seinen Kopf in den Nacken und fing herzhaft an zu lachen. In der anderen Hand baumelte ein schwarz-gelber Schal mit der Aufschrift „Dortmunder Jungs“. „Ein kleiner Scherz, den ich mir nicht verkneifen konnte. Das ist mein Schal.“

„Im Ernst? Ich wusste ja immer, dass du ein dunkles Geheimnis hast.“

„Ich hoffe wirklich, dass du einen tollen Tag hast, aber gewinnen werden leider nur die Bayern. Sorry, Chef.“

Nik zog einen Mundwinkel nach oben.

„Abwarten, mein Freund. Die Jungs haben noch nie verloren, wenn ich im Stadion war.“

„Irgendwann ist immer das erste Mal.“

„Und bevor die Herren sich noch die Köpfe einschlagen, wie wär‘s mit essen?“ Das erste Steak fiel auf den Grillrost und augenblicklich ertönte ein zischendes Geräusch. Triumphierend hob Anni die Grillzange in die Höhe.

„Ich weiß immer noch nicht, was ich sagen soll. Das ... das ist wirklich der Hammer.“

„Schon okay. Hab einfach 'ne schöne Zeit.“ Chris zwinkerte ihm mit einem Auge zu.

„Danke. Wirklich. Dank an euch alle. Und damit meine ich nicht nur das hier“, sagte Nik und hielt die Eintrittskarte in die Höhe. Auch ohne weitere Ausführungen wussten alle, was gemeint war. Das war eben seine Art, sich bei ihnen für sein Verhalten der letzten Wochen zu entschuldigen. Ein Augenblick der Ruhe und Wärme legte sich über sie nieder und vergessen waren all die Spannungen, die sich zuletzt aufgebaut hatten.

„Gern geschehen, Chef. Über die Gehaltserhöhung sprechen wir dann später, ja?“

„Übertreib es nicht, Dr. Weimer. Und jetzt lasst uns essen.“

„Mir gehört das erste Stück Fleisch.“

„Oh, Anni.“

Freitag, 04. Mai, 22 Uhr 16

Angespannt ließ Tom seine Zeigefinger rhythmisch gegen das Lenkrad prallen, ohne dabei den Blick von der Straße zu nehmen. Er hatte in den vergangenen Nächten kaum ein Auge zugetan. Seiner Großmutter ging es zum Glück gut. Noch, denn er wusste, dass sie von da an unter ständiger Beobachtung standen.

 

Der Hausarzt hatte gute Arbeit geleistet und nach ihrem Gespräch sofort alle notwendigen Schritte eingeleitet, um schnellstmöglich den so dringend benötigten Platz in einem adäquaten Pflegeheim zu sichern. Dass man ihn bereits zwei Tage später vergeblich versucht hatte zu kontaktieren, hatte Tom überhaupt nicht gewusst. Wahrscheinlich hatte einer seiner dämlichen Kollegen die Nachricht einfach nicht weitergeleitet. Zum Glück gab er für solche Notfälle immer auch die Nummer seiner Nachbarn, Heinz und Gerda, an. Die beiden waren Gold wert und mit keinem Geld der Welt zu bezahlen. Sie hatten sich gekümmert und Granny bereits am Nachmittag in die Einrichtung gebracht. Als er nach diesem für ihn noch immer völlig unfassbaren Vorfall zurück in seine Wohnung kam, wäre er vor Sorge beinahe durchgedreht. Sie war leer und von Granny nirgends eine Spur. Sein Herz raste wie verrückt und beruhigte sich erst wieder, als Gerda in der Tür stand und ihm die guten Nachrichten überbrachte.

Er hätte eigentlich erleichtert sein müssen, doch kurz nachdem sie gegangen war, fand er das Foto mit einer weiteren Nachricht für ihn auf dem Küchentisch. Ein weiteres Indiz dafür, dass sich jemand Zutritt zu seiner Wohnung verschafft hatte und dass es ab jetzt keinen Ort mehr zu geben schien, an dem sie sicher waren. „Mein Angebot steht noch.“ … und … „Überleg dir genau, was du tun willst“, hatte auf dem Zettel gestanden, und das Bild zeigte Granny, wie sie friedlich in ihrem Zimmer schlief.

Tom hatte verstanden. Egal was er auch unternommen hätte, dieser Typ war ihm immer eine Nasenlänge voraus. Und die Polizei? Hätte ihm mit Sicherheit auch kein Wort geglaubt. Was hätte er auch schon vorbringen können? Wozu man ihn rekrutiert hatte, wusste er ohnehin erst seit etwa einer halben Stunde. Somit hatte er also keine Wahl gehabt und sich darauf eingelassen, bei diesem Job mitzuwirken. „Ich bin ja nur der Fahrer. Niemand wird zu Schaden kommen.“

Ein Informant hatte Erik gesteckt, dass dieser Juwelier eine größere Menge an teuren Uhren und anderen Schmuckstücken erhalten hatte. „Wir gehen einfach rein, holen die Klunker und verschwinden wieder.“

Er hatte Falk und Erik direkt vor dieser dunklen Gasse aussteigen lassen und danach den schwarzen BMW nur wenige Meter weiter in einer Parkbucht angehalten. „Außerdem sind die ganzen Wertsachen bestimmt versichert. Keiner wird zu Schaden kommen.“ Immer und immer hallte der Satz in seinem Kopf wider. Damit versuchte er sich und sein Gewissen zu beruhigen.

Die Hauptstraße schien wie leergefegt. Lediglich die Ampelanlagen auf der Kreuzung verrichteten präzise ihre Arbeit und das wechselnde Licht der einzelnen Phasen war alles, was noch an Leben erinnerte. Keine Passanten, keine Autos. Und das schon seit geraumer Zeit. Bis jetzt.

Tom erspähte die ihm entgegenkommenden Scheinwerfer eines Wagens. Nervös begannen seine Zeigefinger wieder, gegen das Lenkrad zu klopfen. „Was machen die bloß so lange?“ Das Auto wurde langsamer und ihm drehte sich förmlich der Magen um, als er die blau-weiße Aufmachung mit dem Schriftzug Polizei auf dem Kombi lesen konnte. „Komm schon … fahr weiter.“ Doch der Beamte drosselte weiter die Geschwindigkeit. „Nicht anhalten, bitte nicht anhalten.“ Das Blaulicht wurde eingeschaltet. Der Streifenwagen machte auf der Straße kehrt und kam direkt hinter ihm zum Stehen. „Oh, bitte nicht.“ Seine Karriere als Krimineller war bereits zu Ende, bevor sie richtig angefangen hatte. Er hörte förmlich die Handschellen klicken. Nur mit Mühe konnte er das Bild in seinem Kopf beiseiteschieben, um sich wieder auf das Wesentliche zu konzentrieren.

Tom blickte in den Rückspiegel. Ein Beamter stieg aus, schaute sich kurz um und kam langsam auf ihn zu. „Ganz ruhig. Du wartest nur auf einen Freund, den du hier treffen solltest. Genau. Und dieser Freund scheint dich versetzt zu haben. Sauer. Sei sauer … mach ihm weiß, dass du stinksauer bist.“

In der Hoffnung, den Beamten so von Falk und Erik ablenken zu können, wappnete er sich innerlich auf das Bevorstehende. Dennoch lag eine verstörende Spannung in der Luft. Ein ungutes Gefühl, das sich in seiner Magengrube breit machte und ihm einen kalten Schauer über den Rücken jagte.

Tom bemerkte eine flüchtige Bewegung aus dem Augenwinkel. Noch bevor der Polizist den BMW erreicht hatte, blitzte es einmal in der dunklen Gasse auf und er hörte einen Schuss krachen. Ein zweiter folgte und riss den Beamten von den Füssen. „Oh Gott. Was zur Hölle passiert denn jetzt?“ Nicht mehr imstande zu reagieren, verfolgten Toms Augen das Geschehen durch den Außenspiegel. Weitere Schüsse fielen. Diese wurden von einem zweiten Beamten abgefeuert, der seinem Kollegen zu Hilfe geeilt und ihn hinter den Dienstwagen gezogen hatte.

Dann geschah alles auf einmal. Erik preschte mit ausgestrecktem Arm aus der Gasse und feuerte eine Salve von Kugeln auf den Dienstwagen ab. Scheinwerfer, Blaulicht und der rechte Außenspiegel gingen zu Bruch. Der Lärm war ohrenbetäubend und Tom merkte nicht einmal, dass er seinen Kopf eingezogen und sich die Ohren mit beiden Händen zuhielt. „Das muss sofort aufhören. Bitte, lass sie nicht tot sein.“ Die hintere Seitentür wurde aufgerissen und Falk sprang hinein, gefolgt von Erik, der auf dem vorderen Sitz Platz nahm.

„Fahr los!“, brüllte er. „Mach schon, worauf wartest du?“

Mit zittrigen Händen drehte Tom den Zündschlüssel und ließ den Motor aufheulen. Energisch trat er aufs Gas und wuchtete den BMW zurück auf die Straße. Er überquerte die Kreuzung mit viel zu hoher Geschwindigkeit. Das Heck brach aus und nur mit Mühe schaffte es Tom, den Wagen in der Spur zu halten.

„Das war nicht nötig. Ich hatte die Sache im Griff.“ Er merkte nicht einmal, wie hysterisch er klang. „Scheiße, warum musstet ihr den Polizisten töten?“

„Haben wir nicht“, antwortete Falk knapp und schaute durch die Heckscheibe. Tom folgte seinem Blick in den Rückspiegel und sah, wie der Streifenwagen die Verfolgung aufgenommen und gefährlich weit aufgeholt hatte.

„Genau dafür habe ich dich engagiert. Jetzt kannst du zeigen, was du drauf hast.“

Lässig hing Erik in seinem Sitz und lud seine Waffe nach, ohne ihn eines Blickes zu würdigen. Sie hatten bereits etliche Kilometer hinter sich gelassen. Mittlerweile hatten sich zwei weitere Streifenwagen mit Sirenen dazugesellt und zu dritt folgten sie ihnen konstant. Sie durchquerten das Hönnetal und das Blaulicht der Streifenwagen spiegelte sich in den Felsen und ließ die Steinformationen gespenstisch aufleuchten. Bedingt durch die vielen engen Kurven war es unmöglich, Geschwindigkeit aufzunehmen.

„Da vorne links“, befahl Erik.

„Was zum Teufel ist los mit dir?“, fauchte Tom und lenkte den Wagen in eine scharfe Linkskurve. Wieder brach das Heck aus und wirbelte die Insassen mächtig durcheinander.

„Halt‘s Maul und fahr weiter. Da vorne rechts.“ Tom gehorchte und folgte jeder seiner Anweisungen, ohne überhaupt zu wissen, wohin diese Fahrt führte. Die Straße wurde immer schmaler und ging über eine Anhöhe. Nach wenigen Hundert Metern gelangten sie auf einen Schotterplatz, umringt von einigen Bäumen und Gebäuden. Eine riesige Hofanlage, und in einem der Gebäude brannte noch Licht.

„Das ist eine Sackgasse. Scheiße, Mann. Ich dachte, du kennst dich aus“, schrie Tom und legte den BMW quer, um wenden zu können. Doch es war zu spät. Die Streifenwagen hatten bereits den Platz erreicht und sich in einem Halbkreis aufgestellt. Die Beamten suchten hinter den geöffneten Türen Schutz und zielten mit ausgestreckten Armen in ihre Richtung.

„Stellen Sie den Motor ab und steigen Sie sofort aus“, brüllte einer der Polizisten. „Die Hände da, wo ich sie sehen kann.“

Tom zitterte nun am ganzen Leib und wie betäubt gehorchte er den Anweisungen und drehte den Zündschlüssel zurück.

„Du Idiot. Was machst du?“ Entgeistert starrte Falk ihn vom Rücksitz aus an. Ein Schuss fiel und der Vorderreifen war getroffen.

„Ich sage es nicht noch mal. Aussteigen!“, schrie der Polizist erneut.

„Es ist vorbei.“ „Mein Leben ist vorbei. Vielen Dank dafür.“ Gequält drehte er sich zu Falk um und funkelte ihn aus seinen braunen Augen an. „Hast du es noch nicht kapiert? Dank deines Genies hier gehen wir alle in den Knast. Das war‘s. Ich steige jetzt aus.“ Er hatte die Hand bereits an den Türgriff gelegt, als sich ein harter Gegenstand in seine Rippen bohrte.

„Ich für meinen Teil gehe bestimmt nicht in den Knast. Und du solltest ganz schnell deine Nerven in den Griff kriegen, ansonsten gehst du nirgendwo mehr hin.“

Verstört blickte Tom zuerst auf die Waffe, die nun auf ihn gerichtet wurde, dann in Eriks verrückte Augen und erst jetzt wurde ihm bewusst, dass er der Einzige war, der keine Maske über dem Gesicht trug. Wie betäubt korrigierte er diesen Fehler und setzte den Timon, der sich im Ablagefach seiner Tür befand, auf. Eriks Maske war dem Gesicht von Scar nachempfunden. Falk war Rafiki. Alle Charaktere aus dem König der Löwen. „Ich werde sterben.“

„Schon besser.“

„Und jetzt beruhigen wir uns alle wieder“, sagte Falk.

Licht durchflutete plötzlich das Wageninnere. Die scheunenartige Eingangstür direkt neben dem Wagen wurde geöffnet und eine schlanke Person war im Begriff, die Räumlichkeiten hinter sich zu verlassen. Geschockt durch das Bild, das sich ihr bot, blieb sie wie angewurzelt stehen.

Ihr macht mir meine Arbeit wirklich zu leicht.“ Erik reagierte als Erster. Er schmiss seine Tür auf und sprang in geduckter Haltung auf die junge Frau zu.

„Stopp!“, brüllte der Beamte und feuerte einen Schuss ab. Aber die Kugel prallte am BMW ab.

Erik bekam den Arm der jungen Frau zu packen und hielt ihr die Waffe bereits im nächsten Moment an die Schläfe. Der Aufschrei war entsetzlich.

Triumphierend drückte er noch fester zu und zerrte sie beinahe von den Füßen.

„Ich würde vorschlagen, ihr Amateure nehmt jetzt eure Waffen aus meinem Gesichtsfeld. Ansonsten wird die Schönheit hier nicht mehr ganz so niedlich sein“, rief Erik den Polizisten zu.

„Los, raus hier.“ Falk öffnete nun auch seine Tür und zog Tom am Ärmel mit. „Tom! Beweg dich endlich.“ Der Schock saß immer noch tief und es sollte nicht besser werden. Er rollte sich über den Schaltknauf auf den Beifahrersitz und folgte fassungslos der Szenerie und erkannte die blonde Frau auf Anhieb. Nun wurde es hektisch.

„Du Arschloch. Lass sofort meine Freundin los.“ Raubkatzenähnlich sprang eine weitere Frau aus der Tür und schlug mit beiden Fäusten auf Erik ein. Mit mäßigem Erfolg, zumal Falk schnell reagierte und sie mit geschickten Handgriffen vor seinem Körper positionierte, seine Waffe auf ihren Kopf gerichtet. Langsam bewegten sie sich in Richtung der Eingangstür, ohne die Beamten aus den Augen zu lassen. Das Wimmern brach nun nicht mehr ab.

„Habt ihr mich verstanden? Ihr sollt die Waffen runternehmen!“, forderte Erik die Menge erneut auf. Nur langsam gaben die Beamten nach. Einige schauten sich unsicher an, andere hielten die Arme beschwichtigend in die Höhe.

„Komm endlich aus der Karre raus!“ Tom verstand nur zögerlich. Aber Falk ließ nicht locker und zerrte ihn aus dem Wagen. „Rein da“, befahl er und zog die Frau mit bedächtigen Schritten zurück in das Gebäude.

Freitag, 04. Mai, 22 Uhr 31

Mit einem Ruck schloss Anni die Tür der Spülmaschine und startete das Programm. „So, das waren die letzten Teller. Gleich morgen früh bringe ich Ihnen das Geschirr ins Haus.“ Sie schaute auf und lächelte ihren Chef an, der am Kühlschrank des Sozialraumes stand und sich eine Flasche Wasser rausnahm.

„Lass gut sein. Ich mach das später. Ihr verschwindet jetzt. Ab ins Bettchen.“ Anni verdrehte die Augen.

„Großer Gott. Ich bin fünfundzwanzig, Single und es ist Freitagabend. Bestimmt geht da noch was, oder was meinen Sie, Frau Bachmann. Hast du nun endlich deine Prötteln zusammen?“

„Jep. Alles gefunden. Und was meine ich wozu?“

„Unser Sonnenschein hier will noch ausgehen. Normalerweise würde ich das für gut befinden, allerdings vergessen Sie bitte nicht, Frau Winter, dass morgen Sprechstunde ist. Und ich will keine Alkoholfahne ertragen müssen.“ Nik öffnete die Wasserflasche und hob herausfordernd eine Augenbraue.

„Also mal ganz ehrlich. Mein Vater schreibt mir schon lange nicht mehr vor, wann ich ins Bettchen gehen sollte. Ich muss Ihnen wirklich noch einiges beibringen.“

 

„Also ich für meinen Teil würde gerne ins Bettchen. Ich bin echt erledigt und Sarami hat mich heute auch noch nicht wirklich zu Gesicht bekommen.“

„Tja … dann muss ich wohl alleine los.“

„Soll ich euch noch nach Hause bringen?“, fragte Nik.

„Nein, ich habe lediglich ein Radler getrunken. Außerdem lässt man seinen Besuch nicht warten.“ Chris zwinkerte ihm zu.

„Hört, hört. Also macht unser Boss doch noch Party heute Abend. Der Mann ist lernfähig.“

„Sag Gute Nacht, Fräulein Winter.“ Sie zog Anni am Arm.

„Gute Nacht, Fräulein Winter“, antwortete Anni spöttisch, und Nik warf den Kopf in den Nacken und musste lachen. „Gute Nacht. Und nochmals vielen Dank. Ich bin immer noch ganz sprachlos.“

„Lass gut sein. Wirklich.“

Sirenen tauchten in der Ferne auf und kamen schnell näher.

„Ich schließe dann gleich ab. Verschwindet jetzt.“

Chris drehte sich noch einmal zu ihm um. „Viel Glück.“ Ihre Lippen formten diese Worte lautlos und sie ließen ihn zurück.

Sie hatten bereits den Ausgang erreicht, als Anni gegen ihre Jackentasche klopfte. „Ach, Mist. Hab meinen Schlüssel an der Anmeldung liegen lassen. Moment.“

Chris schüttelte den Kopf. „Aber mich anmaulen.“

Die Sirenen waren nun ganz nah und plötzlich bremste ein Wagen so abrupt vor der Praxis ab, dass einzelne Kieselsteine vor die Tür flogen.

„Na, da hat es aber jemand verdammt eilig.“

„Vielleicht ist etwas passiert. Ich schaue mal nach.“

Anni verengte missmutig die Augen. „Oh, Mann. In diesem Job hat man wirklich nie Feierabend. Das war‘s wohl mit Ausgehen.“ Sie zog sich die Jacke wieder aus, als Chris plötzlich aufschrie. Ohne mit der Wimper zu zucken, folgte Anni ihr nach draußen und erstarrte. „Oh mein Gott.

Nik blieb zurück und ließ den Tag noch einmal Revue passieren. Er lehnte immer noch vor dem Kühlschrank und hielt die Wasserflasche in der Hand. Er dachte an das Bevorstehende und das Schmunzeln verschwand auf der Stelle. „Gib ihr noch eine Chance.“ „Ich versuche es“, murmelte er und lief gerade wieder Gefahr, eine depressive Haltung einzunehmen, als ein Schuss die Stille durchbrach und er kurz darauf Chris schreien hörte. Vor Schreck rutschte ihm die Flasche aus der Hand und ging scheppernd auf den harten Fliesen zu Bruch. Sein Puls raste und pulsierte bis zum Hals.

„Aaaahhh.“ Ein weiterer, ohrenbetäubender Schrei. „Anni.“ Er stürmte hinaus, kam aber nur bis zur Rezeption und ein noch größerer Schock traf ihn so unvorbereitet, dass er kaum noch in der Lage war, klar zu denken. Drei Männer. Direkt vor ihm und die Gesichter unter abstrakten Tiermasken verborgen. Er konnte nur Augen erkennen. Tiefblaue Augen, die ihn mit einer Arroganz anstarrten, dass Nik seine aufkommende Wut kaum im Griff hatte.

„Guten Abend, Dr. Berger.“ Der Mann schien beeindruckt von seiner Körpergröße. „Ich muss mich für die späte Störung entschuldigen.“

„Was zum Teufel ist hier los? Wer sind Sie?“ Nik funkelte die Männer an.

„Nun. Das spielt im Augenblick keine Rolle. Aber ich fürchte, Ihr Feierabend wird noch etwas warten müssen.“ Er richtete sich noch etwas mehr auf und verstärkte den Griff um Chris‘ Hals. Verängstigt schloss sie die Augen und begann zu weinen.

„Was wollen Sie? Hier gibt es nichts für Sie zu holen, Geld schon gar nicht. Davon können Sie sich gern überzeugen. Aber lassen Sie die Mädchen los.“

Der Mann legte den Kopf schief und grinste ihn an.

Er verspottet mich. Arroganter Mistkerl.“

„Ihre paar Kröten interessieren mich nicht. Ich bräuchte nur ein wenig … na ja, sagen wir, etwas Unterstützung, um meine Freunde da draußen zu überzeugen, uns nicht weiter auf die Pelle zu rücken. Ich darf doch auf Ihre Hilfe zählen?“

„Du kannst mich mal.“ Nik hatte seine Wut nicht mehr unter Kontrolle und ballte die Fäuste.

Sein Gegenüber schnalzte mit der Zunge und drehte ganz langsam den Kopf von rechts nach links.

„Warum seid ihr Sauerländer eigentlich immer so stur? Ich habe doch höflich gefragt, oder etwa nicht?“ Mit einem gewaltigen Ruck stieß er Chris von sich. Sie konnte das Gleichgewicht nicht halten, krachte zu Boden und blieb zusammengerollt dort liegen. Ohnmächtig musste Nik mit ansehen, wie dieser Irre mit der Löwenmaske seine Waffe weiter auf sie gerichtet hielt. Es machte ihn fast wahnsinnig, denn er konnte nichts dagegen tun.

„Nein!“, schrie Nik und hob beide Hände. „Nicht. Ich mach alles, was Sie wollen. Aber tun Sie ihr nichts. Bitte.“

Amüsiert lachte der Mann auf.

„Dachte ich‘s mir doch.“ Er schaute auf Chris herab, dann wieder zu ihm. „So, wie du sie anstarrst, könnte man meinen, du hast was mit ihr. Nicht, dass es mich interessieren würde.“

„Sie ist meine Tochter. Nicht, dass es dich etwas angehen würde.“

Das überraschte ihn jetzt allerdings. Eine Ähnlichkeit war nicht erkennbar, aber im Grunde war es auch egal. Er zuckte mit den Schultern. „Wie dem auch sei. Darf ich dann bitten. Es dauert auch nicht lang.“ Der Mann fuchtelte mit der Waffe umher und bedeutete Nik, zu ihm zu kommen.

Er gehorchte nur zögerlich, konnte den Blick von Chris nicht lösen. Dann durchfuhr ihn ein stechender Schmerz in der Schulter, als der Löwenmann nach ihm griff und seinen Arm so kräftig nach oben drückte, dass Nik unweigerlich ins Hohlkreuz fiel.

„Beweg dich endlich.“

Er drückte ihn aus der Tür und schirmte dabei seinen Körper hinter ihm ab. Sofort blendete sie das Scheinwerferlicht der Streifenwagen. Nik versuchte mit der anderen Hand, das Licht vor seinen Augen abzuschirmen, aber erneut wurde der andere Arm so nach oben gedrückt, dass er schmerzhaft das Gesicht verzog und nachgab.

„Hören Sie auf, so an mir rumzuzerren.“

„Halt die Klappe oder ich mach noch ganz andere Sachen mit dir.“

Nik öffnete wieder die Augen. Einige Beamten reagierten entsetzt auf die neue Entwicklung und traten nervös von einem Bein auf das andere.

„Wie ihr seht, haben wir nun drei Leute in unserer Gewalt. Wenn ich auch nur einen von euch in der Nähe dieser Tür sehe, knalle ich sie ab. Mit ihm fange ich an.“

„Hören Sie doch auf mit dem Unsinn“, rief ein etwas beleibter Polizist. „Das führt doch zu nichts. Sie kommen hier nicht mehr raus.“

Ein Schuss krachte und der linke Scheinwerfer des mittleren Streifenwagens ging zu Bruch. Der Beamte blieb wie angewurzelt stehen.

„Ich meine es ernst. Und im Übrigen unterhalte ich mich nur noch mit jemandem, der etwas zu sagen hat.“ Er drehte den Kopf etwas näher an Niks Ohr. Dieser konnte den heißen Atem in seinem Nacken spüren. „Hast du ein Handy?“

Nik reagierte nicht und bekam dafür sofort die Quittung. Der Lauf der Waffe wurde nun unsanft unter sein Kinn gedrückt. „Das war‘s. Ich sterbe jetzt.“

„Ich habe gefragt, ob du ein Handy hast.“

„Nicht hier. Es liegt im Haus. Aber in meinem Büro gibt es einen Festnetz-Anschluss. Separat von der anderen Leitung geschaltet.“

„Die Nummer.“ Wieder ging es ihm nicht schnell genug und er bog den Arm noch weiter nach hinten. Nik stöhnte auf und verschloss die Augen.

„Wie ist die Nummer?“

„Zwei. Drei. Sechs. Acht“, antwortete er mit belegter Stimme.

„Lauter!“

Nik wiederholte die Ziffern.

„Hast du das verstanden, Bulle?“

Der Beamte bewegte sich nicht. Wieder krachte ein Schuss, diesmal in den Himmel.

„Ob du das verstanden hast?“

„Ja! Ja, verstanden. Aber bitte bleiben Sie ruhig.“

Der Mann zerrte Nik zurück ins Gebäude und knallte die Tür ins Schloss. Mit einem kräftigen Ruck konnte sich Nik von seinem Peiniger lösen und stieß den dritten Maskierten, der unterdessen neben Chris kniete, zur Seite.

„Nimm deine Drecksfinger von ihr.“

Er fiel vor ihr auf die Knie und hob vorsichtig ihr verängstigtes Gesicht an. „Ist alles in Ordnung mit dir?“ Wortlos schüttelte sie den Kopf und drückte sich an ihn.

„Bitte sei nicht böse auf mich“, sagte sie. Immer und immer wieder. „Ich habe die Tür geöffnet. Ich hab sie reingelassen. Ich wäre schuld gewesen, wenn … wenn …“ Sie brach ab und vergrub ihre Stirn noch tiefer an seiner Brust.