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Max Havelaar oder Die Kaffee-Versteigerungen der NiederländischenHandels-Gesellschaft

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Aber Sparsamkeit fiel Havelaar schwer. Er für sich selbst konnte sich auf das durchaus Notwendige beschränken, ja er konnte diesseits der Grenze davon bleiben, aber wo andere Hilfe brauchten, war ihm das Geben, das Helfen, ein wahrer Herzenszug. Er selbst sah diese Schwäche ein und stellte sich mit all dem gesunden Verstande, der ihm gegeben war, vor, wie unrecht er that, jemand zu unterstützen, wo er selbst mehr Anrecht auf seine eigene Hilfe gehabt hätte. Er fühlte dies Unrecht noch lebhafter, wenn er »seine Tine« und Max, die er beide so lieb hatte, unter den Folgen seiner Freigebigkeit leiden sah. Er verwies sich seine Gutherzigkeit als Schwäche, als Eitelkeit, als Sucht, für einen verkleideten Prinzen zu gelten; er gelobte sich Besserung, und doch, wenn dieser oder jener sich ihm als Opfer des Mißgeschicks hinzustellen wußte, vergaß er wieder alles, um zu helfen. Und er hatte doch bittere Erfahrungen gemacht mit den Folgen dieser zu weit getriebenen Tugend. Acht Tage vor der Geburt seines kleinen Max hatte er nicht so viel, um das eiserne Bettchen zu kaufen, in dem der Liebling ruhen sollte, und kurze Zeit vorher hatte er die wenigen Schmucksachen seiner Frau geopfert, um einem beizustehen, dem es gewiß besser ging als ihm selber.

Aber das lag ja nun, da sie in Lebak angekommen waren, weit hinter ihnen. Mit fröhlicher Ruhe hatten sie von dem Hause Besitz ergriffen, in dem sie nun doch einige Zeit zu bleiben hofften. Mit einem eigenartigen Genuß hatten sie zu Batavia die Möbel bestellt, die alles so »komfortabel« und, gemütlich machen sollten; sie zeigten sich die Stellen, wo sie das Frühstück einnehmen, wo der kleine Max spielen würde wo die Bibliothek stehen sollte, wo er ihr des Abends vorlesen würde, was er am Tage geschrieben hatte  denn er hatte stets den Trieb, seine Gedanken zu Papier zu bringen … und »es wird einmal gedruckt werden«, meinte sie, »dann würde man schon sehen, wer ihr Max war.«

Aber er hatte niemals etwas unter die Presse gehen lassen, was seinen Kopf beschäftigte, weil eine gewisse Scheu, die mit einem schamhaften Gefühl verwandt war, ihn daran hinderte. Er selbst wußte diese Scheu nicht besser zu beschreiben, als indem er denen, die ihn zur Veröffentlichung anspornten, antwortete: »Würdet ihr eure Tochter ohne Hemd auf die Straße laufen lassen?«

Das war wieder eine von den »Grillen«, die seine Umgebung zu dem Ausspruch veranlaßte, daß »Havelaar doch ein sonderbarer Mensch wäre«, und ich will nicht das Gegenteil sagen. Aber wenn man sich die Mühe nähme, seine ungewöhnliche Sprechweise zu »übersetzen«, so hätte man in der sonderbaren Frage über die Toilette eines Mädchens vielleicht die Unterlage zu einer Abhandlung über die »Keuschheit des Geistes« gefunden, die scheu ist vor den Blicken des gefühllosen Passanten und sich in eine Hülle jungfräulicher Scham zurückzieht.

Ja, sie würden glücklich sein zu Rangkas-Betoeng, Havelaar und seine Tine Die einzige Sorge, die sie drückte, waren die Schulden, die sie in Europa zurückgelassen hatten, vermehrt durch die noch unbezahlten Kosten der Reise nach Indien zurück und durch die Ausgaben für die Ausstattung ihrer neuen Wohnung. Aber sie würden ja von der Hälfte, von dem dritten Teil der Einkünfte leben … vielleicht würde er bald Resident werden … und dann würde das alles in wenigen Jahren geregelt werden …

»Wenn es mir auch nicht lieb wäre, Tine, Lebak zu verlassen; denn es ist hier viel zu thun. Du mußt recht sparsam sein, meine Beste, dann können wir vielleicht auch ohne Beförderung alles abstoßen … und dann hoffe ich recht lange hier zu bleiben.«

Eine Aufforderung zur Sparsamkeit brauchte er nun eigentlich an sie nicht zu richten. Sie hatte keine Schuld daran, daß die Sparsamkeit nötig geworden war; doch hatte sie sich mit ihrem Max so identifiziert, daß sie diese Aufforderung durchaus nicht als einen Verweis auffaßte, was sie auch nicht sein sollte. Havelaar wußte sehr gut, daß er allein durch seine zu weit getriebene Freigebigkeit gefehlt hatte, und daß ihr Fehler  wenn überhaupt auf ihrer Seite ein Fehler vorhanden war  höchstens darin liegen konnte, daß sie aus Liebe zu ihrem Max alles, was er that, gutgeheißen hatte.

Ja, sie hatte es gut gefunden, als er die beiden armen Frauen aus der Nieuwstraat, die nie in ihrem Leben Amsterdam verlassen hatten und niemals »ausgewesen« waren, auf dem Haarlemer Jahrmarkt herumführte, unter dem spaßigen Vorgeben, daß der König ihn beauftragt hatte, »alte Frauchen zu amüsieren, die sich so gut geführt hätten.« Sie fand es gut, daß er die Waisenkinder aus allen Stiften Amsterdams zu Kuchen und Mandelmilch einlud und sie mit Spielsachen beschenkte. Sie verstand es vollkommen, daß er das Fahrgeld für die arme Sängerfamilie bezahlte, die in ihr Land zurück wollten, aber nicht gern ihre Habe da lassen wollten, die Harfe und die Geige und den Baß, die sie zu ihrem ärmlichen Geschäft so nötig brauchten. Sie konnte nicht schelten, als er das Mädchen zu ihr brachte, das ihn am Abend auf der Straße angesprochen hatte, daß er ihr zu essen gab und sie beherbergte, und daß er das »Gehe hin und sündige nicht weiter« nicht eher aussprach, als bis er ihr das Nichtsündigen möglich gemacht hatte. Sie fand es sehr schön von ihrem Max, daß er das Klavier auf den Treppenflur des Familienvaters zurückbringen ließ, den er hatte sagen hören, wie leid es ihm thue, daß die Mädchen nach dem Bankerott von ihrer Musik ganz abkämen. Sie begriff es sehr wohl, daß ihr Max die Sklavenfamilie zu Menado freikaufte, die so bitter weinte, als sie auf den Tisch des Auktionators steigen sollte. Sie fand es ganz natürlich, daß Max den Menschen, deren Pferde durch die Offiziere der »Bayonnaise« zu Tode geritten waren, wieder Pferde schenkte. Sie hatte nichts dagegen, daß er zu Menado und zu Amboina alle Schiffbrüchigen von den amerikanischen Walfischfängern zu sich rief und sich nachher zu sehr als »Grandseigneur« fühlte, um, wie ein Hotelwirt, der amerikanischen Regierung eine Rechnung zu schicken. Sie verstand vollkommen, wie es kam, daß die Offiziere von jedem angekommenen Kriegsschiff großenteils bei Max logierten, und daß sein Haus ihr beliebtes Absteigequartier war.

War er nicht ihr Max? War es nicht zu klein, zu nichtig, zu ungereimt, ihn, der so fürstlich dachte, an die Regeln der Sparsamkeit und Wirtschaftlichkeit binden zu wollen, die für die anderen gelten? Und außerdem, mochte auch augenblicklich ein Mißverhältnis zwischen Einnahme und Ausgabe da sein, war Max, »ihr Max«, nicht bestimmt für eine glänzende Laufbahn? Mußte er nicht bald in Verhältnisse kommen, die ihm ermöglichen würden, seinen großherzigen Neigungen, ohne Überschreitung seines Einkommens, freien Lauf zu lassen? Mußte »ihr Max« nicht General-Gouverneur werden? oder ein König? War es nicht eigentlich befremdend, daß er nicht schon längst König war?

Wenn überhaupt ein Fehler bei ihr gefunden werden konnte, so war ihre Eingenommenheit für Havelaar die Veranlassung davon, und wenn irgendwo, so müßte hier das Wort gelten, daß »man viel vergeben solle, wer viel geliebt hat.«

Jedoch, man hatte ihr wirklich nichts zu vergeben. Ohne die übertriebenen Vorstellungen zu teilen, die sie von ihrem Max hegte, konnte man in der That annehmen, daß er eine gute Laufbahn vor sich habe, und wenn diese begründete Aussicht sich verwirklicht hätte, wären in die That die unangenehmen Folgen seiner offenen Hand bald geschwunden. Aber noch ein anderer Grund entschuldigte seine und ihre scheinbare Sorglosigkeit.

Sie hatte jung beide Eltern verloren und war bei ihrer Familie aufgewachsen. Als sie heiratete, teilte man ihr mit, daß sie ein kleines Vermögen besäße, das dann auch ausgezahlt wurde. Aber Havelaar entdeckte aus einzelnen Briefen aus früherer Zeit, und aus einigen losen Blättern, die sie in einer von ihrer Mutter herstammenden Kassette bewahrte, daß ihre Familie sowohl von Vater- wie von Mutterseite sehr reich gewesen war, ohne daß indes klar wurde, wo, wie und wann der Reichtum verloren gegangen war. Sie selbst, die nie für Geldsachen Interesse gehabt hatte, wußte wenig oder nichts zu antworten, als Havelaar einige Mitteilungen über die früheren Besitztümer der Ihrigen verlangte. Ihr Großvater, der Baron von Wijnbergen, war mit Willem dem Fünften nach England übergesiedelt und im Heere des Herzogs von York Rittmeister gewesen. Er schien mit den übergesiedelten Mitgliedern der statthalterlichen Familie ein vergnügtes Leben geführt zu haben, was denn auch von vielen als die Ursache des Vermögensverfalls angesehen wurde. Später bei Waterloo fiel er bei einer Attacke unter den Husaren Boreels. Rührend war es in den Briefen ihres Vaters zu lesen  er war damals ein Jüngling von achtzehn Jahren, der als Leutnant bei derselben Attacke einen Säbelhieb über den Kopf bekam, an dessen Folgen er später, nach acht Jahren, in geistiger Umnachtung sterben sollte  Briefen an seine Mutter, in denen er klagte, wie er erfolglos auf dem Schlachtfelde nach der Leiche seines Vaters gesucht hatte.

Von ihrer Mutter Seite her erinnerte sie sich, daß ihr Großvater auf sehr ansehnlichem Fuße gelebt hatte, und aus einigen Papieren ergab sich, daß er im Besitz der Postereien in der Schweiz gewesen war, wie ja auch jetzt noch in einem großen Teile Deutschlands und Italiens dieser Erwerbszweig eine Apanage der Fürsten von Thurn und Taxis ausmacht. Das ergab ein großes Vermögen, aber auch davon war, aus ganz unbekannten Ursachen, wenig oder nichts auf das zweite Geschlecht gekommen.

Havelaar erfuhr das wenige, was überhaupt darüber zu erfahren war, erst nach seiner Verheiratung; und bei seinen Nachforschungen erweckte es seine Verwunderung, daß die Kassette, von der ich sprach, und die sie mit Inhalt aus Pietät bewahrt hatte, ohne zu wissen, daß da vielleicht pekuniär wichtige Papiere darin steckten  auf unerklärliche Weise verloren gegangen war. Wie uneigennützig er auch war, so entstand doch infolge dieses und zahlreicher anderer Umstände bei ihm die Meinung, daß hierunter sich ein Familienroman verbarg, und man darf es ihm nicht übel deuten, daß er, der für seine Weise zu leben so viel brauchte, mit Freude gesehen hätte, daß der Roman ein gutes Ende nähme. Wie es nun auch sei mit dem Bestehen dieses Romans, ob da eine Beraubung stattgefunden hatte oder nicht, sicher ist, daß dadurch in Havelaars Kopfe eine Art von »Millionentraum« geboren wurde.

 

Eigenartig ist nun wieder, daß er, der so scharf und genau das Recht anderer aufgespürt und verteidigt hätte, und hätte es noch so tief unter staubigen Akten und dichtgewobenen Chikanen versteckt gelegen,  daß er hier, wo es sich um sein eigenes Interesse handelte, den Augenblick träge verbummelte, als er die Sache hätte anfassen müssen. Es schien ihn eine Art Scham zu befallen, weil es seinem eigenen Vorteil galt, und ich glaube gewiß, wenn »seine Tine« mit einem anderen vermählt gewesen wäre, der sich an ihn gewendet hätte mit der Bitte, das Spinngewebe zu zerstören, in dem ihr großväterliches Vermögen hängen geblieben war, es wäre ihm gewiß gelungen, die »interessante Waise« in den Besitz einzusetzen, der ihr gehörte. Aber nun war die interessante Waise seine Frau, ihr Vermögen war seins: da fand er etwas Krämerhaftes, etwas Erniedrigendes darin, in ihrem Namen zu fragen: »Seid ihr mir nicht noch etwas schuldig?«

Und doch konnte er den Millionentraum nicht von sich weisen, und wäre es auch nur, um eine Entschuldigung zur Hand zu haben bei seinen öfters vorkommenden Selbstvorwürfen, daß er zu viel Geld ausgab.

Erst kurz vor der Rückkehr nach Java, als er schon viel gelitten hatte unter dem Druck des Geldmangels, als er das stolze Haupt schon unter das kaudinische Joch manches Gläubigers hatte beugen müssen, hatte er seine Trägheit und seine Scheu überwinden können, um mit den Millionen, die er seiner Ansicht nach gut hatte, ernst zu machen. Man antwortete ihm mit einer alten Rechnungsaufstellung, gegen die bekanntlich nichts zu machen ist.

Aber sie würden in Lebak sparsam sein. Warum auch nicht? In solchem uncivilisierten Lande laufen keine Mädchen des Abends auf der Straße herum, die ein wenig Ehre für ein wenig Brot zu verkaufen haben; es treiben sich da sogar keine Leute von problematischer Existenz umher. Da kommt es auch nicht so vor, daß eine Familie durch Schicksalstücke plötzlich zu Grunde geht … und derartig waren ja gewöhnlich die Klippen, an denen Havelaars gute Vorsätze scheiterten. Die Zahl der Europäer war so gering, sie kam gar nicht in Betracht, und der Javane zu Lebak war zu arm, um  bei welchem Schicksalswechsel auch  durch noch größere Armut interesseweckend zu werden. Das berechnete Tine alles nicht so: dazu hätte sie sich richtiger, als ihre Liebe zu Max gestattete, Rechenschaft geben müssen über die Ursachen ihrer minder günstigen Verhältnisse. Aber es lag etwas in ihrer neuen Umgebung, was Ruhe atmete, eine Abwesenheit aller Ursachen mit mehr oder minder romantischer Färbung, die früher Havelaar öfters veranlaßt hatten zu sagen: »Nicht wahr, Tine, das ist doch ein Fall, dem ich mich nicht entziehen kann?« worauf sie dann stets geantwortet hatte: »Nein, Max, dem kannst du dich nicht entziehen.«

Wir werden sehen, wie das einfache, scheinbar unbewegte Lebak Havelaar mehr kostete als alle früheren Extravaganzen seines Herzens zusammen.

Aber das wußten sie nicht Sie sahen der Zukunft mit Vertrauen entgegen und fühlten sich glücklich in ihrer Liebe und dem Besitz ihres Kindes …

»Was? schon Rosen im Garten?« rief Tine, »und sieh da auch Rampeh und Tjempaka, und so viel Melatti, und sieh einmal die schönen Lilien …«

Und Kinder, wie sie waren, freuten sie sich ihres neuen Hauses, und als am Abend Duclari und Verbrugge nach einem Besuch bei Havelaar nach ihrer gemeinsamen Wohnung zurückkehrten, sprachen sie viel über die kindliche Fröhlichkeit der neu angekommenen Familie.

Havelaar begab sich nach seinem Kontor, und er blieb da die Nacht über, bis zum folgenden Morgen.

Achtes Kapitel

Stern fährt fort. Havelaars Ansprache an die Häupter des Landes und seine Unterredung mit Verbrugge.

Havelaar hatte den Kontroleur ersucht, die zu Rangkas-Betoeng anwesenden Häupter aufzufordern, bis zum folgenden Tage zu verweilen, um der Sebah (Ratsversammlung), die er abhalten wollte, beizuwohnen. Solch eine Versammlung fand gewöhnlich einmal im Monat statt. Aber sei es, daß er einigen Häuptern, die sehr fern von dem Hauptorte wohnten, das unnötige Hin- und Herreisen ersparen wollte, sei es, daß er sofort und ohne den festgesetzten Tag abzuwarten auf feierliche Weise zu ihnen zu sprechen wünschte, er hatte den ersten Sebah-Tag auf den folgenden Morgen festgesetzt.

Links vor seiner Wohnung, doch auf demselben Grundstück und dem Hause gegenüber, das Mevrouw Slotering bewohnte, stand ein Gebäude, das in einem Teile die Bureaus der Adsistent-Residentschaft enthielt, zu denen auch die Landeskasse gehörte, dessen anderer Teil aber bestand in einer ziemlich geräumigen offenen Galerie, die eine sehr gute Gelegenheit zu solch einer Sitzung darbot. Dort waren denn auch die Häupter den folgenden Morgen frühzeitig versammelt. Havelaar trat ein, grüßte und nahm Platz. Er empfing die geschriebenen Berichte über Landbau, Polizei und Justiz und legte sie zur Seite zu späterer Nachprüfung.

Jeder erwartete nun eine Ansprache, wie sie der Resident hatte tags zuvor gehalten, und es ist auch ganz und gar nicht sicher, daß Havelaar beabsichtigte, den Häuptern irgend etwas anderes zu sagen. Aber man mußte ihn bei solchen Gelegenheiten gehört und gesehen haben, um zu verstehen, wie er bei solchen Ansprachen aus sich herausging und durch seine eigenartige Sprechweise den bekanntesten Dingen eine neue Färbung verlieh; wie sich dann seine Haltung aufrichtete, wie sein Blick Feuer schoß, wie seine Stimme vom Schmeichelnd-Sanften zum Ätzend-Scharfen überging, wie die Bilder von seinen Lippen flossen, als streue er etwas Kostbares um sich, was ihn doch nichts kostete, und wie, wenn er schloß, jeder ihn mit offenem Munde anstarrte, als wollten sie fragen: »Mein Gott wer bist du?«

Er selbst, der bei solchen Gelegenheiten sprach wie ein Apostel, ein Seher, wußte später nicht mehr genau, wie er gesprochen hatte, und seine Beredsamkeit hatte denn auch mehr die Eigenschaft, zu treffen und Bewunderung zu erregen, als durch die Bündigkeit seiner Gründe zu überzeugen. Er hätte die Kriegslust der Athener, nachdem der Krieg gegen Philipp beschlossen war, zur Unsinnigkeit anfeuern können; aber er würde sich weniger dazu geeignet haben, sie durch Gründe zum Kriege zu bewegen. Seine Ansprache an die Lebakschen Häupter war natürlich malayisch und entlehnte dieser Sprache noch eine Eigenartigkeit mehr, da die Einfachheit der orientalischen Sprachen vielen Ausdrücken eine Kraft verleiht, die in den westlichen Sprachen durch größere Künstelei verloren gegangen ist; während anderseits auch das Süßfließende des Malayischen schwer in einer anderen Sprache wiederzugeben ist,  man bedenke ferner, daß der größte Teil seiner Zuhörer aus einfachen, doch keinesfalls dummen Menschen bestand, und schließlich, daß es Orientalen waren, deren Eindrücke von den unseren sehr verschieden sind.

Havelaar mußte etwa so gesprochen haben:

»Mynherr Raden Adipati, Regent von Banten-Kidoel, und Ihr, Raden Demang, die ihr Häupter seid der Distrikte dieses Bezirks, und Ihr Raden Djaksa, die Ihr die Justiz zu Eurem Amte habt, und auch Ihr, Raden Kliwon, die Ihr die Aufsicht führt über den Hauptort, und Ihr, Raden, Mantris und alle die Häupter, die ihr seid in dem Bezirk Banten-Kidoel, ich grüße euch.

Und ich sage euch, daß ich Freude fühle in meinem Herzen, wenn ich euch da alle versammelt sehe, den Worten meines Mundes lauschend.

Ich weiß, daß einige unter euch sind, die sich auszeichnen durch Kenntnis und wackeren Sinn. Ich hoffe meine Kenntnis durch die eure zu vermehren, denn sie ist nicht so groß, als ich wünschte. Und ich liebe wackeren Sinn, aber oft merke ich, daß in meinem Gemüt Fehler sind, die die guten Triebe überschatten und ihnen das Wachstum benehmen, wie ihr ja wißt, daß der große Baum den kleinen verdrängt und tötet. Darum will ich auf diejenigen unter euch achten, die hervorragen in Tugend, um zu trachten, besser zu werden, als ich bin.

Ich grüße euch alle sehr.

Als der General-Gouverneur mich beauftragte, zu euch zu gehen, um Adsistent-Resident dieses Bezirks zu sein, war mein Herz erfreut. Ihr wißt, daß ich niemals Banten-Kidoel betreten habe. Ich ließ mir deshalb Schriften geben, die über euren Bezirk handeln, und ich habe gesehen, daß viel Gutes ist in Banten-Kidoel. Euere Leute haben Reisfelder in den Thälern und es sind Reisfelder auf den Bergen. Und ihr wünscht in Frieden zu leben, und ihr begehrt nicht in Landstrichen zu wohnen, die durch andere bewohnt werden. Ja, ich weiß, es ist viel Gutes in Banten- Kidoel.

Aber nicht darum war mein Herz erfreut; denn auch in anderen Landstrichen würde ich viel Gutes gefunden haben.

Aber ich erfuhr, daß euer Volk arm ist, und darüber war ich froh im Innersten meiner Seele.

Denn ich weiß, daß Allah die Armen liebt, und daß er Reichtum dem giebt, den er prüfen will; aber dem Armen sendet er, wer sein Wort spricht, daß sie sich aufrichten in ihrem Elend.

Giebt er nicht Regen, wenn der Halm verdorrt, und einen Tautropfen in den Blumenkelch, der dürstet?

Und ist es nicht schön, ausgesendet zu werden, um die Müden zu suchen, die zurückblieben nach der Arbeit und niedersanken längs des Weges, da ihre Knie nicht mehr stark genug waren, um nach dem Lohnplatze zu gehen? Sollte ich nicht erfreut sein, meine Hand dem reichen zu dürfen, der in die Grube fiel, und einen Stab zu reichen dem, der die Berge besteigt? Sollte mein Herz nicht aufspringen, als es sich gewählt sah unter vielen, um aus Klagen ein Gebet zu machen, eine Danksagung aus Weinen?

Ja, ich bin sehr froh, daß ich nach Banten-Kidoel gerufen bin.

Ich habe gesagt zu der Frau, die meine Sorgen teilt und mein Glück vergrößert: Freue dich, denn ich sehe, daß Allah Segen giebt auf das Haupt unseres Kindes Er hat mich gesendet an einen Ort, wo noch nicht alle Arbeit gethan ist, und er schätzte mich würdig, dort zu sein, vor der Zeit der Ernte. Denn nicht im Schneiden der Padi liegt die Freude, die Freude liegt im Schneiden der Padi, die man gepflanzt hat. Und die Seele der Menschen wächst nicht von dem Lohn, sondern von der Arbeit, die den Lohn verdient. Und ich sagte zu ihr: Allah hat uns ein Kind gegeben, das einmal sagen soll: wißt ihr, daß ich sein Sohn bin? Und dann werden Leute leben in diesem Lande, die ihn grüßen mit Liebe, und die Hand auf sein Haupt legen und sagen: Setz dich nieder zu unserem Mahle, und bewohne unser Haus, und nimm teil an dem, was wir haben, denn ich habe deinen Vater gekannt.

Denn, Häupter von Lebak, es ist viel zu arbeiten in eurem Landstrich.

Sagt mir, ist nicht der Landmann arm? Reift nicht eure Padi oft, um die zu nähren, die nicht gepflanzt haben? Sind nicht viele Mißstände in eurem Lande?

Ist nicht Scham in euren Seelen, wenn der Bewohner von Bandung, das da im Osten liegt, euer Land besucht und fragt: wo sind die Dörfer, und wo die Landbauer, und warum höre ich den Gamelang nicht, der Freude spricht mit ehernem Munde, noch das Gestampf der Padi durch eure Töchter?

Ist es euch nicht bitter, von hier nach der Südküste zu reisen und Berge zu sehen, die kein Wasser tragen auf ihren Seiten, oder die Ebenen, auf denen nie ein Büffel den Pflug zog?

Ja, ja, ich sage euch, daß meine Seele darüber betrübt ist; und darum gerade sind wir Allah dankbar, daß er uns Kraft gegeben hat, hier zu arbeiten.

Denn wir haben in diesem Lande Acker für viele, obschon der Bewohner wenig sind. Und es ist nicht der Regen, der fehlt; denn die Spitzen der Berge saugen die Wolken des Himmels zur Erde. Und nicht überall sind Felsen, die Raum weigern der Wurzel; denn auf vielen Stellen ist der Boden weich und fruchtbar und verlangt nach dem Getreidekorn, das er euch im gebogenen Halm wiedergeben will. Und es ist kein Krieg im Lande, der die Padi zertritt, wenn sie noch grün ist, noch Krankheit, die den Patjol nutzenlos macht. Auch sind die Sonnenstrahlen nicht heißer als nötig, um das Getreide zu reifen, das ihr und eure Kinder essen müßt, noch auch Banjers, die euch sagen lassen: zeige mir den Platz, da ich gesät habe.

Wo Allah Wasserströme sendet, die die Äcker wegschwemmen, wo er den Grund hart macht wie dürren Stein, wo er seine Sonne glühen läßt zum Versengen, wo er mit Krankheit schlägt, die die Hände schwach machen, und mit Dürre, die die Ähren tötet  da, Häupter von Lebak, beugen wir das Haupt und sprechen: er will es so

 

Aber nicht ist es so in Banten-Kidoel.

Ich bin hierher gesandt, euer Freund zu sein, euer älterer Bruder. Würdet ihr euren jüngeren Bruder nicht warnen, wenn ihr einen Tiger sähet auf seinem Wege?

Häupter von Lebak, wir haben oft Fehler begangen, und unser Land ist arm, weil wir so viele Fehler begingen.

Denn in Tjiandjoeri und Bolang und im Krawangschen und in der Umgegend von Batavia leben viele Leute, die geboren sind in unserem Lande, und die unser Land verlassen haben.

Warum suchen sie die Arbeit fern von dem Platz, da sie ihre Eltern begruben? Warum flohen sie die Dessah, wo sie die Beschneidung empfingen? Warum suchen sie die Kühle des Baumes, der dorten wächst, lieber als den Schatten unserer Büsche?

Und selbst drüben im Nordwesten über der See, da sind viele, die unsere Kinder mußten sein, aber die Lebak verlassen haben, um in fremden Strecken herumzuirren, mit Kris und Klewang und Schießgewehr. Und sie kommen dort elend um, denn es ist die Macht der Regierung, die die Aufständischen niederschlägt.

Ich frage euch, Häupter von Lebak warum sind so viele, die weggingen, um nicht begraben zu werden, wo sie geboren sind? Warum fragt der Baum: wo ist der Mann, den ich spielen sah als Kind an meinem Fuße?«

Havelaar hielt hier einen Augenblick inne.

Um einigermaßen den Eindruck zu verstehen, den seine Worte machten, hätte man ihn hören und sehen müssen. Als er von seinem Kinde sprach, war in seiner Stimme etwas Sanftes, etwas unbegreiflich Rührendes, was dich veranlaßte zu fragen: wo ist der Kleine? ich möchte das Kind küssen, dessen Vater so spricht Aber als er kurz darauf, mit wenig Rhetorik, überging zu den Fragen: warum Lebak arm wäre, warum so viele Einwohner auswanderten, da war in seiner Rede etwas, das an den Ton erinnert, den ein Bohrer macht, wenn er mit Gewalt in hartes Holz geschraubt wird. Und er sprach dabei nicht laut, noch betonte er besonders einzelne Worte, ja es war sogar etwas Eintöniges in seiner Stimme, aber sei es Absicht oder Natur, gerade durch die Eintönigkeit verstärkte er den Eindruck seiner Worte auf Gemüter, die so besonders für solche Rede empfänglich waren.

Seine Bilder, stets aus dem Leben genommen, das ihn umgab, waren für ihn wirklich Hilfsmittel, um recht verständlich zu machen, was er sagen wollte, und nicht, wie es oft vorkommt, überflüssige Anhängsel, die die Sätze der Redner beschweren, ohne irgend eine Verdeutlichung zu dem Begriff der Sache, die man zu erklären meint, beizutragen. Wir sind jetzt an die Ungereimtheit des Ausdrucks »stark wie ein Löwe« gewöhnt; aber wer das Bild in Europa zuerst gebrauchte, zeigte damit, daß er seinen Vergleich nicht aus der Poesie der Seele geholt hatte, die Bilder giebt anstatt der Begründung und nicht anders sprechen kann, sondern daß er einfach aus einem anderen Buch  vielleicht aus der Bibel,  worin ein Löwe vorkam, abgeschrieben hatte. Denn keiner seiner Zuhörer hatte die Stärke des Löwen kennen gelernt, und es wäre deshalb eher nötig gewesen, ihnen diese Stärke dadurch verständlich zu machen, daß man den Löwen mit etwas anderem, wovon die Kraft ihnen bekannt war, in Vergleich stellt.

Man sieht, daß Havelaar wirklich ein Dichter war, daß er, wenn er von den Reisfeldern sprach, die auf den Bergen waren, die Augen durch die offene Seite des Saales dahin richtete und die Felder in der That sah; man fühlt, wenn er den Baum ließ fragen, wo der Mann war, der als Kind an seinem Fuße gespielt hatte, daß dieser Baum dastand und in der Vorstellung von Havelaars Zuhörern in Wirklichkeit fragend um sich blickte nach den verschwundenen Bewohnern von Lebak. Er ersann nichts; er hörte den Baum sprechen und glaubte lediglich nachzusprechen, was er in seiner dichterischen Auffassung so deutlich gehört hatte.

Es könnte vielleicht jemand bemerken, daß das Ursprüngliche in Havelaars Sprechweise nicht so zweifelsohne ist, da sein Stil an die Propheten des Alten Testaments erinnert. Da muß ich erinnern, daß ich bereits gesagt habe, wie er in Augenblicken der Begeisterung wirklich etwas von einem Seher hatte, und daß er, durch Eindrücke genährt, die das Leben in Wäldern und auf Bergen ihm mitgeteilt hatte, und durch die poesieatmende Atmosphäre des Ostens, wahrscheinlich nicht anders gesprochen hätte, wenn er die herrlichen Poesien des Alten Testaments niemals gekannt hätte.

Finden wir doch in den Versen, die aus seiner Jugend stammen, Zeilen wie diese, die auf dem Salak geschrieben waren  einem der Riesen, wenn auch nicht dem größten unter den Bergen der Preanger-Regentschaften,  worin wieder der Anfang die Sanftmut seiner Gefühle zeichnet, um plötzlich überzugehen in das Nachsprechen des Donners, den er unter sich hört:

 
's ist süßer, seinen Schöpfer hier zu loben,
Gebet klingt schön längs Berg- und Hügelreih',
Die Seele schwinget leichter sich nach oben,
Man fühlt, daß seinem Gott man näher sei.
 
 
Hier schuf er zu Altären sich und Chören,
Was keines Menschen Fuß betrat bisher;
Hier kannst du ihn in Sturmesbrausen hören,
Und rollend ruft sein Donner: Ich der Herr
 

Fühlt man da nicht, daß er die letzten Zeilen nicht so hätte schreiben können, wenn er nicht wirklich gehört hätte, wie Gottes Donner ihm in krachendem Schauer gegen die Bergwände die Worte vorgesprochen hätte?

Aber er liebte Verse nicht, »es wäre eine häßliche Schnürbrust«, sagte er, und wenn er wirklich einmal dazu gebracht werden konnte, etwas vorzulesen, was er »verbrochen« hatte, so amüsierte er sich damit, sein eigen Werk zu verderben; entweder trug er es in einem Tone vor, der es ins Komische verzerrte, oder er brach, mit Vorliebe bei einer tiefernsten Stelle, ab und warf einen Witz dazwischen, der die Zuhörer peinlich befremdete, der aber bei ihm nichts anderes war als eine Satire auf das Mißverhältnis zwischen dem Schnürleibchen und seiner Seele, die sich darin so beengt fühlte.

Wenige unter den Häuptern nahmen etwas von den dargereichten Erfrischungen. Havelaar hatte nämlich durch einen Wink dafür gesorgt, daß der bei solchen Gelegenheiten unvermeidliche Thee mit Manissan (Konfekt) herumgereicht wurde. Er schien absichtlich einen Ruhepunkt eintreten zu lassen nach den letzten Sätzen seiner Ansprache, und er hatte wohl seine Grunde dafür. »Wie?« mußten die Häupter denken, »er weiß es schon, daß so viele unseren Bezirk verlassen haben, mit Bitterkeit im Herzen? Er weiß schon, wie viele Familien nach Nachbarbezirken auswanderten, um der Armut, die hier herrscht, zu entfliehen? Und sogar das ist ihm bekannt, daß so viele Bantamer unter den Banden sind, die in den Lampongs die Fahne des Aufruhrs gegen die niederländische Regierung entrollt haben? Was will er, was bezweckt er, wem gelten seine Fragen?«

Und es waren welche unter ihnen, die Raden Wira Kusuma, das Distriktshaupt von Parang-Koedjang, ansahen. Aber die meisten schlugen die Augen zur Erde nieder.

»Komm mal her, Max«, rief Havelaar, der sein Kind draußen spielen sah, und der Adipati nahm den Kleinen auf den Schoß. Aber der war zu wild, um lange dazubleiben. Er sprang davon und lief in dem großen Kreise herum, amüsierte die Häupter durch sein Schwatzen und spielte mit ihren Dolchscheiden. Als er an den Djaksa kam, der sich in seiner Kleidung von den anderen unterschied und dadurch das Kind anzog, wies dieser auf etwas am Kopfe des kleinen Max, und machte eine Bemerkung zu dem Kliwon, der ihm zunächst saß, und der ihm zuzustimmen schien.

»Gehe nun, Max«, sagte Havelaar, »Papa hat den Herren noch etwas zu sagen«, und der Kleine lief davon, nachdem er mit Kußhändchen gegrüßt hatte.

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