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Max Havelaar oder Die Kaffee-Versteigerungen der NiederländischenHandels-Gesellschaft

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Und umgekehrt, wie viele erfahren eine Reihe von Anregungen, ohne daß die äußeren Umstände dazu Anlaß zu geben schienen Man denke an die Robinson-Romane, an Silvio Pellicos »Gefängnisse«, an das allerliebste Buch »Picciola« von Saintine; man denke an den Kampf in der Brust einer alten Jungfer, die ihr ganzes Leben eine Liebe hegte, ohne je durch ein einziges Wort zu verraten, was in ihr vorging, an die Empfindungen des Menschenfreundes, der, ohne äußerlich mit dem Gang der Ereignisse beschäftigt zu sein, mit feurigem Interesse über das Wohlsein von Mitbürger und Mitmensch nachgrübelt, wie er neue Geschehnisse hofft und fürchtet, wie er jede Veränderung verfolgt, wie er sich aufreibt für eine schöne Idee, und vor Entrüstung glüht, wenn er sie verdrängen und zertreten sieht, durch eine Gegnerschaft, die für den Augenblick wenigstens stärker ist als schöne Ideen Man denke an einen Philosophen, der aus seiner Zelle das Volk zu lehren sucht, was Wahrheit ist, wenn er bemerken muß, daß seine Stimme durch frömmelnde Heuchelei gewinnsüchtiger Quacksalber überschrien wird Man stelle sich Sokrates vor,  nicht als er den Giftbecher leerte; denn ich meine hier die Erfahrung im Gemüt und nicht die, die aus äußeren Umständen geboren wird  wie bitter betrübt mußte seine Seele sein, als er, der das Gute und Wahre suchte, sich den »Verderber der Jugend und Verächter der Götter« nennen hörte?

Oder besser noch: man denke an Christus, als er so traurig auf Jerusalem blickte und klagte, »daß er es nicht gewollt habe«

Solch ein Schmerzensschrei  vor dem Giftbecher und dem Kreuz  fließt nicht aus einem unverletzten Herzen. Dort muß gelitten sein … dort sitzt die Erfahrung.

Die Redensart ist mir entschlüpft … sie mag nun auch stehen bleiben. Havelaar hatte viel »erfahren.« Wollt ihr etwas, was gegen den Umzug von der A-Gracht aufkommen kann? Er hatte mehr als einmal Schiffbruch gelitten, er hatte Brand, Aufruhr, Meuchelmord, Krieg, Duelle, Luxus, Armut, Hunger, Cholera, Liebe und Liebschaften in seinem Tagebuche zu stehen. Er hatte Frankreich, Deutschland, Belgien, Italien, die Schweiz, England, Spanien, Portugal, Rußland, Ägypten, Arabien, Indien, China und Amerika besucht.

Was also die Lebensumstände angeht, so konnte er viel erfahren haben. Und daß er wirklich viel erfahren hatte, daß er nicht durch das Leben gegangen war, ohne die Eindrücke aufzufangen, die es ihm so reichlich bot, dafür sind Zeugen die Beweglichkeit seines Geistes und die Empfänglichkeit seines Gemüts.

Das nun erregte die Verwunderung aller, die wußten oder vermuten konnten, wie viel er erlebt und erlitten hatte, daß davon auf seinem Gesicht so wenig zu lesen war. Wohl war auf seinen Zügen etwas von Müdigkeit, doch dies deutete eher auf frühreife Jugend als auf nahendes Alter; und nahendes Alter hätte es doch sein müssen, denn in Indien ist der Mann von fünfunddreißig Jahren nicht mehr jung.

Auch seine Empfindungen, sagte ich, waren jung geblieben. Er konnte mit einem Kinde spielen wie ein Kind, und mehrmals klagte er, daß der kleine Max noch zu jung war, um Drachen steigen zu lassen, während er, der »große Max«, das so liebte. Mit Jungen sprang er »Häschen«, und er zeichnete gern ein Muster für die Mädchen zum Sticken; selber nahm er ihnen manchmal die Nadel aus der Hand und machte sich mit dieser Arbeit zu thun, obschon er immer sagte, daß sie wohl etwas Besseres thun könnten als das »mechanische Stichezählen.« Unter jungen Leuten von achtzehn Jahren war er ein junger Student, sang er sein »Patriam canimus« oder »Gaudeamus igitur« – ja, ich bin nicht ganz sicher, daß er nicht vor noch ganz kurzer Zeit, als er in Amsterdam auf Urlaub war, ein Aushängeschild abgerissen hat, das ihm nicht gefiel, weil ein Mohr darauf zu sehen war, gefesselt zu den Füßen eines Europäers mit einer langen Pfeife im Munde, und worunter natürlich zu lesen stand: »Der rauchende junge Kaufmann.«

Die Babu, die er aus dem Wagen gehoben hatten, sah aus wie alle Babus in Indien, wenn sie alt sind. Wenn ihr diese Art von Dienerinnen kennt, brauche ich euch nicht zu sagen, wie sie aussah, und wenn ihr sie nicht kennt, kann ich es euch nicht sagen. Das allein unterschied sie von anderen Kindermädchen in Indien, daß sie sehr wenig zu thun hatte. Denn Mevrouw Havelaar war ein Muster von Sorgfalt für ihr Kind, und was für oder mit dem kleinen Max zu thun war, that sie selber, zum großen Erstaunen vieler anderer Damen, die es nicht für gut fanden, sich zur »Sklavin der Kinder« zu machen.

Siebentes Kapitel

Stern fährt fort. Der neue Chef wird in sein Amt eingeführt und beginnt sich häuslich einzurichten.

Der Resident von Bantam stellte den Regenten und den Kontroleur dem neuen Adsistent-Residenten vor. Havelaar begrüßte beide Beamten sehr höflich; den Kontroleur  es ist immer etwas Peinliches bei der Begrüßung eines neuen Vorgesetzten  ermutigte er sofort durch einige Worte, als wollte er eine Art von Vertraulichkeit einführen, die den Verkehr erleichtern sollte. Mit dem Regenten war seine Begrüßung, wie es sich gehörte einer Person gegenüber, die »den goldenen Payong führt«, die aber gleichzeitig »sein jüngerer Bruder sein« sollte. Mit würdiger Liebenswürdigkeit machte er ihm Vorwürfe über seinen großen Diensteifer, der ihn in solchem Wetter an die Grenzen seines Bezirks geführt hatte  wozu allerdings, genau genommen, nach den Regeln der Etikette der Regent nicht verpflichtet war.

»Wirklich, Herr Adipati, ich bin Ihnen böse, daß Sie sich um meinetwillen die Mühe gemacht haben … ich dachte Sie erst in Rangkas-Betoeng zu treffen.«

»Ich wünschte den Herrn Adsistent-Residenten so früh wie möglich zu sehen«, sagte der Adipati, »um Freundschaft zu schließen.«

»Gewiß, gewiß, ich fühle mich sehr geehrt; aber ich sehe nicht gern jemand Ihres Ranges und Ihres Alters sich allzuviel anstrengen … und zu Pferde?«

»Ja, Herr Adsistent-Resident wo der Dienst ruft, bin ich noch immer stark und rüstig.«

»Das ist zu viel verlangt … nicht wahr, Resident?«

»Der Herr Adipati. Ist. Sehr.«

»Gütig, aber es giebt eine Grenze …«

»Eifrig«, schleppte der Resident hinterher.

»Wohl, aber es ist eine Grenze«, mußte Havelaar noch einmal sagen, wie um das Vorige zurückzuschlucken,  »wenn Sie es gut finden, Resident, machen wir im Wagen Platz. Die Babu kann hier bleiben, wir schicken ihr dann von Rangkas-Betoeng eine Tandu. Meine Frau nimmt Max auf den Schoß … nicht wahr, Tine … und es ist noch Platz genug.«

»Es. Ist. Mir.«

»Verbrugge, wir nehmen Sie auch mit, ich sehe nicht ein …«

»Recht«, sagte der Resident.

»Ich sehe nicht ein, warum Sie ohne Not zu Pferde durch den Modder klappern sollen. Es ist Platz für uns alle, wir können dann sofort Bekanntschaft machen, … nicht wahr, Tine, wir werden uns schon einrichten … hier, Max … sehen Sie, Verbrugge, ist das nicht ein nettes Kerlchen … das ist mein Kleiner … das ist Max«

Der Resident hatte mit dem Adipati Platz genommen. Havelaar rief Verbrugge, um ihn zu fragen, wem der Schimmel mit der roten Schabracke gehörte, und als Verbrugge nach dem Eingang der Pendoppo trat, um zu sehen, welches Pferd er meinte, legte er diesem die Hand auf die Schulter und fragte:

»Ist der Regent immer so diensteifrig?«

»Es ist für seine Jahre ein starker Mann, Mijnheer Havelaar, und Sie begreifen, daß er gern einen guten Eindruck auf Sie machen wollte.«

»Ja, das verstehe ich. Ich habe viel Gutes von ihm gehört … er ist gebildet?«

»O ja …«

»Und hat er eine große Familie

Verbrugge sah Havelaar an, als begriffe er diesen Sprung nicht. Das war denn auch für einen, der ihn nicht kannte, oftmals nicht leicht. Die Regsamkeit seines Geistes ließ ihn in Gesprächen manchmal einige Glieder der Schlußfolgerung überschlagen, und wie bequem sich auch der Übergang in seinen Gedanken abspielte, so war es doch jemand, der minder rege oder an seine Regsamkeit nicht gewöhnt war, nicht übel zu nehmen, wenn er ihn bei solch einer Gelegenheit anstarrte mit der unausgesprochenen Frage auf den Lippen: Bist du närrisch oder was ist los?

So etwas lag auch in Verbrugges Zügen, und Havelaar mußte die Frage wiederholen, ehe er antwortete:

»Ja, er hat eine sehr ausgebreitete Familie.«

»Und sind Medjets im Bezirk im Bau?« fuhr Havelaar fort, wieder in einem Tone, der, im Gegensatz zu den Worten selbst, anzudeuten schien, daß ein Zusammenhang bestehe zwischen den Moscheen und der großen Familie des Regenten.

Verbrugge antwortete, es würde wirklich viel an Moscheen gearbeitet.

»Ja, ja, ich wußte es wohl«, rief Havelaar. »Und sagen Sie mir, ist viel Rückstand bei der Bezahlung der Landrenten?«

»Ja, das könnte wohl besser sein …«

»Richtig, besonders im Distrikt Parang-Koedjang«, sagte Havelaar, als fände er es bequemer, selbst zu antworten.

»Wie hoch ist der diesjährige Voranschlag?« fuhr er fort, und als Verbrugge etwas zögerte, als ob er sich auf die Antwort besinnen müsse, kam ihm Havelaar zuvor, der in einem Atem fortfuhr:

»Gut, gut, ich weiß schon … sechsundachtzigtausend und einige Hundert … fünfzehntausend mehr als im vorigen Jahre … aber doch bloß sechstausend mehr als im Jahre 185.. Wir sind seit den dreißiger Jahren bloß achttausend gestiegen … und auch die Bevölkerung ist sehr dünn … ja, Malthus … in zwölf Jahren sind wir bloß elf Prozent gestiegen, und das ist noch die Frage, denn die Volkszählungen waren früher sehr ungenau … und jetzt noch … Im ersten Jahrzehnt des Jahrhunderts haben wir sogar eine Abnahme … auch der Viehbestand kommt nicht vorwärts … ein schlechtes Zeichen … was Kuckuck springt das Pferd so? ich glaube, es wird wild … komm hierher, Max«

Verbrugge hatte den Eindruck, er würde dem neuen Adsistent-Residenten wenig zu lehren haben, und von einem Übergewicht durch »lokale Anciennität« würde keine Rede sein, was der gute Junge übrigens auch nicht erwartet hatte.

 

»Aber es ist natürlich«, fuhr Havelaar fort, während er Max auf den Arm nahm, »im Tjiandjoerschen und Bolangschen sind sie sehr froh darüber … und die Aufständischen in den Lampongs auch. Ich rechne sehr auf Ihre Mitwirkung, Mijnheer Verbrugge. Der Regent ist ein Mann von Jahren … sein Schwiegersohn ist noch immer Distriktshaupt? Alles zusammengenommen halte ich ihn für eine Person, die Nachsicht verdient … den Regenten meine ich … ich bin sehr froh, daß hier alles so arm ist … ich hoffe, lange hier zu bleiben.«

Hierauf reichte er Verbrugge die Hand. Und als dieser nun mit ihm nach dem Tische zurückkehrte, an dem der Resident, der Adipati und Mevrouw Havelaar saßen, fühlte er bereits besser als fünf Minuten vorher, daß »dieser Havelaar doch nicht so närrisch war«, wie der Kommandant meinte. Verbrugge war durchaus nicht ohne Verstand, und er, der den Bezirk Lebak kannte, wie eben ein Mann einen so großen Landstrich kennen kann, in dem nichts gedruckt wird, fing an einzusehen, daß doch ein Zusammenhang war zwischen den scheinbar nicht zusammenhängenden Fragen Havelaars, und ferner, daß der neue Adsistent-Resident, obwohl er den Bezirk noch nicht betreten hatte, doch etwas davon wußte, was darin vorging. Allerdings begriff er die Freude nicht über die Armut in Lebak, aber er dachte, den Ausdruck vielleicht nicht richtig gehört zu haben. Später freilich, als Havelaar ihm dasselbe öfter offenbarte, sah er ein, wie viel Großes und Edles in dieser Freude war.

Havelaar und Verbrugge nahmen an der Tafel Platz, und während man den Thee nahm, wartete man unter gleichgültigen Gesprächen, bis Dongso kam, dem Residenten zu melden, daß frische Pferde angespannt wären. Man packte sich so gut wie möglich in den Wagen und fuhr los.

Das Sprechen fiel infolge des Rüttelns und Stoßens schwer. Max wurde mit Bananen beruhigt; seine Mutter hatte ihn auf dem Schoße und wollte durchaus nicht zugeben, daß sie müde wäre, als Havelaar ihr den schweren Jungen abnehmen wollte. In einem Augenblick gezwungener Ruhe in einem Modderloch fragte Verbrugge den Residenten, ob er schon über Mevrouw Slotering gesprochen habe?

»Der Herr Havelaar. Hat. Gesagt.«

»Natürlich, Verbrugge, warum nicht? Die Dame kann bei uns bleiben. Ich möchte nicht …«

»Daß. Es. Gut. Wäre«, schleifte der Resident mühsam hinterdrein.

»Ich möchte nicht gern einer Dame in diesen Umständen mein Haus versagen … so etwas spricht von selbst … nicht wahr, Tine?«

Auch Tine meinte, es spräche von selbst.

»Sie haben in Rangkas-Betoeng zwei Häuser, und es ist Platz im Überfluß für zwei Familien«, sagte Verbrugge.

»Aber auch wenn das nicht so …«

»Ich. Konnte. Es. Ihr.«

»Gewiß, Resident«, rief Mevrouw Havelaar; »es ist kein Zweifel daran.«

»Nicht. Versprechen. Denn. Es. Ist.«

»Und wenn sie ihrer zehn wären, wenn sie nur bei uns vorlieb nehmen wollen.«

»Eine. Große. Last. Und. Sie. Ist.«

»Aber das Reisen in dieser Lage ist unmöglich, Resident.«

Ein heftiger Stoß des Wagens, der herausgehoben wurde, setzte hinter die Erklärung, daß das Reisen für Mevrouw Slotering unmöglich wäre, ein Ausrufungszeichen. Jeder hatte das übliche »Heh« gerufen, das auf solchen Ruck folgt; Max hatte im Schoße seiner Mutter die Banane wiedergefunden, die er durch den Stoß verloren hatte, und schon war man ein gutes Stückchen näher an dem nächsten Modderloch, ehe der Resident sich entschließen konnte, seinen Satz zu beendigen, indem er beifügte:

»Eine. Inländische. Frau.«

»O, das ist ganz dasselbe«, versuchte Mevrouw Havelaar sich verständlich zu machen. Der Resident nickte, als fände er es gut, daß die Sache also erledigt wäre, und da das Sprechen so beschwerlich war, brach man das Gespräch ab.

Die Frau Slotering war die Witwe von Havelaars Vorgänger, der vor zwei Monaten gestorben war. Verbrugge, der darauf vertretungsweise mit dem Amt des Adsistent-Residenten betraut worden war, hätte das Recht gehabt, während dieser Zeit die geräumige Wohnung zu beziehen, die zu Rangkas-Betoeng, wie in jedem Bezirke, von Landes wegen für das Haupt der Verwaltung hergerichtet ist. Er hatte es indes nicht gethan, teils aus Furcht, bald wieder umziehen zu müssen, teils um der Dame mit ihren Kindern die Benutzung zu überlassen. Es wäre sonst Raum genug gewesen; denn außer der ziemlich großen Adsistent-Residentswohnung stand daneben auf demselben Grundstück noch ein anderes Haus, das früher dazu gedient hatte, und wenn auch in baufälligem Zustande, doch noch zum Bewohnen geeignet war.

Mevrouw Slotering hatte den Residenten gebeten, bei dem Nachfolger ihres Gatten ihr Fürsprecher zu sein um die Vergünstigung, dieses alte Haus bis zu ihrer Niederkunft zu bewohnen, die sie in einigen Monaten erwartete. Dies war die Bitte, die Havelaar und seine Frau so bereitwillig zugestanden, denn gastfrei waren sie im höchsten Maße.

Der Resident hatte gesagt, daß Mevrouw Slotering eine »inländische Frau« war. Das erheischt für nicht-indische Leser einige Erklärung; denn man könnte leicht auf die unrichtige Vermutung kommen, daß es sich um eine eigentliche Javanerin handle.

Die europäische Gesellschaft in Indien ist scharf geschieden in zwei verschiedene Teile: die eigentlichen Europäer, und diejenigen, die, obwohl gesetzlich in demselben Rechtsverhältnis stehend, nicht in Europa geboren sind und mehr oder weniger inländisch Blut in den Adern haben. Zur Ehre der Humanitätsbegriffe in Indien beeile ich mich hinzuzufügen, daß, wie scharf die Linie auch ist, die man im gesellschaftlichen Verkehr zwischen den zwei Arten von Menschen zieht, die dem Eingeborenen gegenüber gemeinsam den Namen »Europäer« tragen, diese Scheidung keineswegs den barbarischen Charakter besitzt, der in Amerika bei der Sonderung der Stände vorherrscht. Ich verkenne nicht, daß immer noch viel Ungerechtes und Verletzendes in dem Verhältnis vorhanden ist, und daß mir das Wort »Liplap« oft in den Ohren klang als ein Beweis, wie weit der Nicht-Liplap, der Weiße, oft noch von wahrer Bildung entfernt ist. Es ist wahr, daß der Liplap nur ausnahmsweise in Gesellschaften zugelassen wird, daß er gewöhnlich, um mich eines sehr gewöhnlichen Ausdrucks zu bedienen, nicht für voll angesehen wird, aber selten wird man solche Absonderung oder Geringschätzung als Princip hinstellen oder verteidigen hören. Es steht jedem frei, seinen Verkehr zu wählen, und man kann es dem eigentlichen Europäer nicht übel deuten, wenn er den Umgang mit Leuten seiner Art vorzieht, gegenüber dem Verkehr mit Personen, die  ihre größere oder geringere Würdigkeit außer acht gelassen  seine Eindrücke und Ideen nicht teilen, oder  und das ist am Ende die Hauptsache  deren Vorurteile eine andere Richtung genommen haben als die seinen.

Ein »Liplap«– wollte ich den Ausdruck benutzen, der für gebildeter gilt, müßte ich sagen: »ein sogenanntes inländisches Kind«; ich bitte aber um Erlaubnis, mich an den aus Allitteration geborenen Sprachgebrauch zu halten, ohne daß ich etwas Beleidigendes mit dem Ausdruck beabsichtige, und was bedeutet das Wort denn auch?  ein Liplap hat viel Gutes, und der Europäer hat viel Gutes. Beide haben viel Schlechtes; darin gleichen sie also einander. Aber das Gute und Schlechte, das beiden anhängt, geht zu sehr auseinander, als daß ihr Verkehr miteinander im allgemeinen zu gegenseitiger Befriedigung ausschlagen könnte. Außerdem, und daran hat die Regierung viel Schuld, ist der Liplap oft schlecht unterrichtet. Die Frage ist nun nicht, wie der Europäer sein würde, wenn er so von Jugend auf in seiner Entwicklung gehindert worden wäre. Aber es ist sicher, daß die geringe wissenschaftliche Bildung des Liplap im allgemeinen seiner Gleichstellung mit dem Europäer im Wege steht, auch da, wo er als Individuum, in Bildung, Wissenschaft oder Kunst den Vorrang vor einer bestimmten europäischen Person verdienen würde.

Auch hierin liegt wieder nichts Neues. Es lag in der Politik Wilhelms des Eroberers, den geringsten Normannen über den gebildetsten Sachsen zu erheben; und jeder Normanne berief sich auf das Übergewicht der Normannen im allgemeinen, um seine Person zur Geltung zu bringen, auch da, wo er, ohne den Einfluß seiner Stammesgenossen als der siegenden Partei, der geringste gewesen wäre.

Auf solcher Basis wurde von vornherein in allen Verkehr eine Gezwungenheit gebracht, die nur durch philosophische, weitherzige Einsicht der Regierung wieder beseitigt werden könnte.

Daß der Europäer, der dabei im Vorteil ist, sich gern in dies künstliche Übergewicht findet, spricht für sich selbst, aber manchmal ist es komisch, jemand, der seine Bildung und seine Ausdrucksweise in der Rotterdamschen Sandstraße auflas, den Liplap auslachen zu hören, weil dieser »ein Glas Wasser« oder »Gouvernement« männlich und »Sohn« oder »Mond« sächlich verwendet.

Ein Liplap kann gebildet, gut erzogen, ja gelehrt sein  es giebt deren  sobald der Europäer, der sich krank stellte, um von dem Schiff zurückzubleiben, auf dem er Teller wusch, dessen Höflichkeit basiert auf »Uwee« und »Verexküsiert«, der an der Spitze der Handelsunternehmung stand, die am Indigo im Jahre 1800 »enorm« verdient hat  so viel, nein, lange bevor er den »Toko« besaß, in dem er Schinken und Jagdflinten verkaufte  sobald dieser Europäer merkte, daß der gebildetste Liplap Schwierigkeiten hat, das g und h auseinanderzuhalten, lachte er über die Dummheit des Mannes, der nicht weiß, daß ein Unterschied ist zwischen einem »Heck« und einem »Geck«.

Aber um darüber nicht zu lachen, hätte man auch wissen müssen, daß im Arabischen und Malayischen das »cha« und das »ha« durch ein und dasselbe Zeichen ausgedrückt wird, daß »Hieronymus« über Geronimo in Jerôme übergeht, daß wir aus »Huano« Guano machen, daß ein »Want« ein Handschuh ist, daß »Kous« von Hose abstammt, daß wir aus »Guild-Heaume« im Holländischen Huillem und Willem machen. Das ist zu viel verlangt von einem, der sein Vermögen im Indigo machte.

Und solch ein Europäer kann doch nicht umgehen mit solch einem Liplap Ich begreife, wie Willem von Guillaume kommt, und muß bekennen, daß ich, besonders auf den Molukken, viele Liplapen kennen gelernt habe, die mich durch den Umfang ihrer Kenntnisse in Staunen setzten, und die mich auf den Gedanken brachten, daß wir Europäer, denen so viel Hilfsmittel zur Verfügung stehen, oftmals, und nicht allein vergleichsweise, weit zurück sind gegen die armen Parias, die von der Wiege an mit einer künstlichen, absichtlichen Zurücksetzung und mit den Vorurteilen gegen ihre Farbe zu kämpfen hatten.

Aber Mevrouw Slotering war ein für allemal vor Fehlern im Holländischen sicher, denn sie sprach malayisch. Wir werden sie später zu Gesicht bekommen, wenn wir mit Havelaar, Tine und dem kleinen Max in der Vorgalerie der Adsistent-Residentswohnung zu Rangkas-Betoeng Thee trinken, wo ja unsere Reisegesellschaft, nach vielem Rasseln und Stoßen, endlich wohlbehalten ankam.

Der Resident, der nur mitgekommen war, um den neuen Adsistent-Residenten in sein Amt einzusetzen, gab den Wunsch zu erkennen, noch denselben Tag nach Serang zurückzukehren, »Weil. Er.«

Havelaar erklärte sich zu aller Eile bereit.

»Es. So. Eilig. Habe.«

Und es wurde verabredet, daß man dazu in einer halben Stunde zusammenkommen wolle in der großen Vorgalerie der Wohnung des Regenten. Verbrugge, der darauf vorbereitet war, hatte schon vor vielen Tagen den Distriktshäuptern, dem Patteh, dem Kliwon, dem Djaksa, dem Steuerkollekteur, einigen Mantris, und ferner allen inländischen Beamten, die dieser Feierlichkeit beiwohnen mußten, den Auftrag gegeben, sich auf dem Hauptplatze zu versammeln.

Der Adipati nahm Abschied und ritt nach seinem Hause. Mevrouw Havelaar besah ihre neue Wohnung und war damit sehr zufrieden, vor allem, weil der Garten so groß war: das schien ihr sehr gut für Max, der viel in die Luft sollte. Der Resident und Havelaar hatten sich jeder in ein Zimmer begeben, um sich umzukleiden, denn bei der Feierlichkeit, die bevorstand, war das offiziell vorgeschriebene Kostüm ein Erfordernis. Rund um das Haus standen Hunderte von Menschen, die entweder zu Pferde den Wagen des Residenten begleitet hatten, oder zu dem Gefolge der versammelten Häupter gehörten. Die Polizei- und Bureau-Aufseher liefen eifrig hin und her; kurz, alles deutete darauf, daß die Eintönigkeit auf dem vergessenen Fleckchen Erde für einen Augenblick durch einiges Leben unterbrochen wurde.

Jetzt fuhr der hübsche Wagen des Adipati auf dem Vorplatz vor. Der Resident und Havelaar, blitzend von Gold und Silber, aber etwas über ihre Degen stolpernd, stiegen ein und begaben sich nach der Wohnung des Regenten, wo sie mit der Musik von Gongs, Gamelangs und allerlei Schnarr-Instrumenten empfangen wurden. Auch Verbrugge, der sein beschmutztes Gewand abgelegt hatte, war bereits angelangt. Die niederen Häupter saßen in einem großen Kreis, nach orientalischer Weise auf Matten am Fußboden, und am Ende der langen Galerie stand ein Tisch, an dem der Resident, der Adipati, der Adsistent-Resident, der Kontroleur und ein paar Häupter Platz nahmen.

 

Der Resident erhob sich und las den Beschluß des General-Gouverneurs vor, worin der Herr Max Havelaar zum Adsistent-Residenten des Bezirks Banten-Kidoel oder Süd-Bantam, von den Inländern Lebak genannt, angestellt wurde. Er nahm darauf das Staatsblatt, auf dem der für die Einführung in Ämter allgemein vorgeschriebene Eid stand, »daß man, um zu dem betreffenden Amte zu gelangen, niemand etwas versprochen oder gegeben habe, noch auch versprechen oder geben werde, daß man treu und zu Diensten sein werde Seiner Majestät dem König von Nederlanden, sowie gehorsam Seiner Majestät Stellvertreter in den Indischen Landen, daß man die Gesetze und Bestimmungen, die gegeben seien oder noch gegeben würden, genau befolgen und für ihre Befolgung durch die Untergebenen sorgen werde, wie es einem guten … (in diesem Falle: Adsistent-Residenten) zukommt.«

Hierauf folgte natürlich das sakramentale »So wahr mir helfe Gott der Allmächtige.«

Havelaar sprach den vorgelesenen Eid nach. Als in diesen Eid inbegriffen hätte eigentlich das Gelöbnis angesehen werden müssen, daß man die inländische Bevölkerung gegen Aussaugung und Unterdrückung beschirmen werde; denn wenn man schwur, daß man die bestehenden Gesetze und Bestimmungen befolgen werde, brauchte man schlechthin auf die zahlreichen diesbezüglichen Vorschriften hinzublicken, um einzusehen, daß eigentlich ein besonderer Eid für diesen Punkt nicht nötig wäre. Es scheint indessen, daß der Gesetzgeber gemeint hat, Überfluß am Guten könne nichts schaden; man fordert also von dem Adsistent-Residenten noch einen besonderen Eid, in dem diese Pflicht noch einmal ausdrücklich ausgesprochen wird, und Havelaar rief daher Gott den Allmächtigen nochmals zum Zeugen an, daß er »die inländische Bevölkerung beschirmen werde gegen Unterdrückung, Mißhandlung und Erpressung

Für einen feinen Beobachter wäre es der Mühe wert gewesen, den Unterschied in Ton und Haltung bei dem Residenten und bei Havelaar bei dieser Gelegenheit zu beobachten. Beide hatten einer solchen Feierlichkeit schon öfter beigewohnt; der Unterschied, den ich meine, lag also nicht darin, daß der eine oder der andere von dem Neuen und Ungewohnten mehr oder minder berührt wäre, sondern er wurde ganz allein durch das Verschiedenartige der Charaktere beider Personen hervorgerufen. Der Resident sprach allerdings etwas schneller als gewöhnlich, da er den Beschluß und die Eide lediglich vorzulesen brauchte, was ihn der Mühe überhob, nach dem Schluß seiner Sätze zu suchen; aber es geschah doch alles mit einer Würde und einem Ernst, die dem oberflächlichen Zuschauer eine sehr hohe Vorstellung von dem Gewicht, das er der Sache beilegte, einflößen mußte. Havelaar dagegen hatte etwas in Gesicht, Stimme und Haltung, als ob er sagen wollte: »Das versteht sich alles von selber, auch ohne Gott den Allmächtigen würde ich das thun«– und wer ein Menschenkenner ist, würde sich wohl auf seine Zwanglosigkeit mehr verlassen haben als auf die Würde des Residenten.

Ist es nicht in der That komisch, anzunehmen, daß der Mann, der berufen ist Recht zu sprechen, dem das Wohl und Wehe von Tausenden in die Hand gegeben ist, sich durch ein paar ausgesprochene Laute gebunden erachten sollte, wenn er nicht, auch ohne diese Laute, sich durch sein eigenes Herz dazu gedrungen fühlte?

Wir glauben von Havelaar, daß er die Armen und Unterdrückten, wo er sie antreffen mochte, auch geschützt hätte, wenn er bei Gott dem Allmächtigen das Gegenteil gelobt hätte.

Darauf folgte eine Ansprache des Residenten an die Häupter, in der er den Adsistent-Residenten als Oberhaupt des Bezirks vorstellte, sie aufforderte, ihm zu gehorsamen, ihren Verpflichtungen gewissenhaft nachzukommen, und dergleichen Gemeinplätze mehr. Die Häupter wurden darauf einzeln mit Namen vorgestellt, Havelaar reichte jedem die Hand, und die »Installation« war beendigt.

Man nahm im Hause des Adipati das Mittagsmahl ein, zu dem auch der Kommandant Duclari geladen war. Gleich nach Beendigung der Mahlzeit stieg der Resident, der gern noch diesen Abend in Serang sein wollte, »Weil. Er. So. Viel. Zu. Thun. Hatte«, in seinen Reisewagen, und so kehrte Rangkas-Betoeng wieder zu der Ruhe zurück, die man von einer javanischen Binnenstation, von wenig Europäern bewohnt und dazu auch nicht am großen Wege gelegen, erwarten konnte. Die Bekanntschaft zwischen Duclari und Havelaar war bald auf einen gemütlichen Fuß gebracht, der Adipati schien von seinem neuen »älteren Bruder« recht eingenommen, und Verbrugge erzählte später, daß auch der Resident, dem er ein Stück Weges auf seiner Rückfahrt nach Serang das Geleit gegeben hatte, sich über die Familie Havelaar sehr günstig ausgelassen hatte. Sie hatten auf ihrer Reise nach Lebak einige Tage in seinem Hause verweilt; und der Resident hatte noch hinzugefügt, es wäre wohl zu erwarten, daß Havelaar, der bei der Regierung gut angeschrieben wäre, höchstwahrscheinlich bald zu einem höheren Amte befördert oder wenigstens in einen »vorteilhafteren« Bezirk versetzt werden würde.

Max und »seine Tine« waren erst unlängst von einer Reise nach Europa zurückgekehrt und fühlten sich dessen, was ich einmal sehr bezeichnend »das Kofferleben« nennen hörte, müde. Sie waren deshalb glücklich, nach vielem Umhertreiben endlich wieder einen Fleck zu bewohnen, auf dem sie zu Hause waren. Vor ihrer Reise nach Europa war Havelaar Adsistent-Resident von Amboina gewesen. Er hatte da mit vielen Unannehmlichkeiten zu kämpfen gehabt, weil die Bevölkerung dieser Insel sich in unruhigem und aufrührerischem Zustande befand, und zwar infolge zahlreicher falscher Maßregeln, die in der letzten Zeit ergriffen worden waren. Er hatte diesen Geist mit viel Energie zu unterdrücken gewußt. Aber aus Verdruß über die geringe Hilfe, die man ihm darin von oben her gewährte, und aus Ärger über die schlechte Verwaltung, die seit Jahren die herrlichen Landstriche der Molukken entvölkert und ruiniert  man suche darüber nachzulesen, was bereits im Jahre 1825 der Baron van der Capellen geschrieben hat: man kann die Publikation dieses Menschenfreundes finden in dem Indischen Staatsblatt dieses Jahres, und es ist seit der Zeit nicht besser geworden  aus Ärger über das alles war er krank geworden, und das hatte ihn bewogen nach Europa zu reisen. Genau genommen, hätte er bei der Wiedereinstellung Anspruch auf eine bessere Wahl gehabt, als den armen Bezirk Lebak; denn sein Wirkungskreis auf Amboina war von größerer Bedeutung gewesen, und er hatte da, ohne einen Residenten über sich, ganz auf eigenen Füßen gestanden. Außerdem war, schon bevor er nach Amboina kam, die Rede davon gewesen, ihn zum Residenten zu befördern, und es befremdete daher viele, daß ihm jetzt ein Bezirk übertragen wurde, der an Kultur-Emolumenten so wenig aufbrachte, weil viele den Wert eines Amtes nach den damit verbundenen Einkünften abmessen. Er selbst indes beklagte sich darüber nicht. Seine Ehrsucht war nicht von der Art, daß er um höheren Rang oder Gehalt betteln sollte.

Und das letztere wäre ihm doch gut zu statten gekommen. Denn auf seinen Reisen in Europa hatte er das wenige ausgegeben, was er in früheren Jahren erspart hatte, ja er hatte dort sogar Schulden machen müssen, und er war also, in einem Wort, arm. Aber er hatte sein Amt nie als Geldquelle betrachtet, und bei seiner Berufung nach Lebak nahm er sich mit Zufriedenheit vor, das Rückständige durch Sparsamkeit einzuholen; in welchem Bestreben seine Frau, die in Geschmack und Bedürfnissen so einfach war, ihn gern unterstützen wollte.

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