Soldat, Bruder, Zauberer

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KAPITEL ZWEI

Ceres wurde auf den Schultern der Menge aus dem Stadion in das Sonnenlicht getragen und ihr Herz schwoll über. Sie blickte über das Trümmerfeld und wurde von einem Schwall an Emotionen überrollt, der um ihre Aufmerksamkeit buhlte.

Natürlich herrschte Siegesstimmung. Sie hörte den Jubel der aus dem Stadion strömenden Menge. Sie alle liefen bunt durcheinander, die Rebellen von Haylon, die Kampfherren, die letzten Kämpfer aus Lord Wests Einheiten und die Menschen der Stadt.

Erleichterung über den Erfolg ihres verzweifelten Versuchs, die Kampfherren vor Lucious letzten Tötungen zu retten und darüber, dass es nun endgültig vorbei war, machte sich breit.

Doch das war nicht alles. Ceres’ Blick durchforstete die Menge, bis sie ihren Bruder und Vater Arm in Arm in einer Gruppe von Rebellen stehend fand. Sie wollte zu ihnen laufen und sicherstellen, dass es ihnen gut ging, doch die Entschlossenheit der Menge, sie durch die halbe Stadt zu tragen, war zu groß. Sie musste sich damit begnügen, dass sie allem Anschein nach unverletzt geblieben waren. Sie liefen jubelnd mit den anderen umher. Es war kaum zu glauben, dass sie zu jubeln noch im Stande waren. So viele dieser Menschen waren bereit gewesen, für das Ende der Tyrannei des Reichs ihr Leben zu geben. So viele hatten ihr Leben gegeben.

Und schließlich ergriff sie auch noch eine letzte Emotion: Traurigkeit. Traurigkeit, dass all das notwendig gewesen war und dass auf beiden Seiten so viele Menschen hatten sterben müssen. Sie sah die Leichen in den Straßen, in denen es zu Auseinandersetzungen zwischen den Rebellen und Soldaten gekommen war. Die meisten trugen das Rot des Reichs, aber das machte es nicht besser. Viele waren gewöhnliche Menschen gewesen, die gegen ihren Willen rekrutiert worden waren oder Männer, die sich der Armee angeschlossen hatten, um Armut und Joch zu entkommen. Und jetzt lagen sie hier tot auf der Straße und starrten in den Himmel, ohne dass sie jemals wieder etwas sehen würden.

Ceres konnte die Hitze des Bluts auf ihrer Haut spüren. Es trocknete bereits in der Sonne. Wie viele hatte sie heute getötet? Sie hatten irgendwann in der Schlacht zu zählen aufgehört, denn sie hatte weitermachen müssen, weiterkämpfen, denn aufzuhören hätte ihren Tod bedeutet. Sie hatte sich vom Fluss der Schlacht treiben lassen, von seiner Energie, die sich in die Energie in ihr gemischt hatte.

„Sie alle“, sagte Ceres.

Sie hatte sie alle getötet, auch wenn sie es nicht mit ihren eigenen Händen getan hatte. Sie war diejenige gewesen, die die Menschen in den Rängen überzeugt hatte, den Frieden des Reichs nicht hinzunehmen. Sie war diejenige gewesen, die Lord Wests Männer überzeugt hatte, die Stadt anzugreifen. Sie blickte zu den Toten und war entschlossen, sie niemals zu vergessen, niemals zu vergessen, was dieser Sieg gekostet hatte.

Selbst die Stadt wies die Narben der Gewalt auf: zerstörte Türeingänge, die Überreste der Barrikaden. Doch griffen auch Anzeichen von Freude langsam um sich: Menschen traten auf die Straßen, mischten sich unter die Menge, welche die Straßen in ein Menschenmeer verwandelten.

Über den Rufen der Menge konnte sie kaum etwas anderes hören, doch in der Ferne glaubte Ceres die Geräusche fortlaufender Kämpfe wahrzunehmen. Ein Teil von ihr wollte loslaufen und sich darum kümmern, doch ein noch größerer Teil von ihr wollte dieser Gewaltspirale Einhalt gebieten, bevor sie außer Kontrolle geriet. Doch in Wahrheit war sie in diesem Moment zu erschöpft, um etwas zu unternehmen. Es fühlte sich so an, als hätte sie ewig gekämpft. Wenn die Menge sie nicht getragen hätte, dann wäre sie vielleicht zusammengebrochen.

Als die Menge sie schließlich auf dem Hauptplatz absetzte, blickte sich Ceres nach ihrem Bruder und ihrem Vater um. Sie bahnte sich ihren Weg zu ihnen und schaffte es nur, weil die Menschen respekterfüllt zur Seite traten, um sie durchzulassen.

Ceres umarmte sie beide.

Sie sprachen kein Wort. Ihr Schweigen, ihre Umarmung, das sagte alles. Sie alle hatten es irgendwie als Familie überlebt. Umso schmerzhafter war der Verlust ihres Bruders.

Ceres hätte sich am liebsten nie wieder aus dieser Umarmung gelöst. Lieber wäre sie sicher bei ihrem Bruder und Vater geblieben und hätte die Revolution ihren Gang gehen lassen. Doch als sie mit zwei der für sie wichtigsten Menschen in dieser Welt dort stand, bemerkte sie auch noch etwas anderes.

Die Menschen starrten sie an.

Ceres vermutete, dass dies nach allem was geschehen war, nichts Ungewöhnliches war. Sie hatte den Kampf angeführt und sah unter all dem Blut, dem Dreck und der Erschöpfung wie ein Monster aus irgendeiner Legende aus. Doch starrten sie die Menschen auf eine andere Weise an.

Nein, sie blickten sie an, als würden sie darauf warten, dass man ihnen sagte, was als nächstes zu tun sei.

Ceres sah, wie sich einige Personen ihren Weg durch die Menge bahnten. Sie erkannte Akila unter ihnen, den drahtigen, muskelbepackten Mann, der die letzte Welle an Rebellen angeführt hatte. Die meisten trugen jedoch die Farben von Lord Wests Männern. Mindestens ein Kampfherr, ein großer mit einer Spitzhacke, dem die ihm zugefügten Wunden auf seinem Körper nichts auszumachen schienen, war ebenso unter ihnen.

„Ceres“, sagte Akila, „die verbleibenden Reichssoldaten haben sich entweder ins Schloss zurückgezogen oder die Flucht aus der Stadt angetreten. Meine Männer sind so vielen wie möglich gefolgt, doch kennen sie die Stadt nicht gut genug und ... nun, es besteht die Gefahr, dass die Leute das falsch verstehen.“

Ceres verstand. Wenn Akilas Männer den fliehenden Soldaten durch Delos nachjagten, dann würde man vielleicht denken, dass sie Invasoren seien. Und auch wenn sie das nicht wären, würde man sie überfallen, erschlagen und erschießen.

Doch war es seltsam, dass sich so viele Menschen für Antworten an sie wendeten. Sie blickte sich um und suchte nach jemandem, der in dieser Situation einen besseren Rat geben konnte als sie. Ceres wollte nicht das Ruder übernehmen, nur weil ihre Blutlinie sie mit Delos’ Uralten verband.

„Wer ist jetzt Anführer der Rebellion?“ rief Ceres. „Hat irgendeiner der Anführer überlebt?“

Um sich konnte sie sehen, wie die Menschen die Hände in die Luft warfen und den Kopf schüttelten. Sie wussten es nicht. Natürlich wussten sie es nicht. Sie hatten auch nicht mehr Überblick als Ceres. Ceres wusste jedoch das Entscheidende: Anka war nicht mehr, denn Lucious hatte sie hinrichten lassen. Wahrscheinlich waren auch die meisten anderen Anführer tot. Oder sie versteckten sich.

„Was ist mit Lord Wests Cousin Nyel?“ fragte Ceres.

„Lord Nyel ist nicht mit uns in die Schlacht gezogen“, sagte einer von Lord Wests ehemaligen Männern.

„Nein“, sagte Ceres, „das hatte ich vermutet.“

Vielleicht war es besser so. Die Rebellen und Menschen von Delos wären einem Adligen wie Lord West angesichts dessen, was er repräsentierte, mit Vorsicht begegnet, auch wenn er ein tapferer und ehrenvoller Mann gewesen war. Sein Cousin war nicht halb der Mann, der er gewesen war.

Sie fragte gar nicht erst, ob die Kampfherren einen Anführer hatten. Sie waren aus anderem Holz geschnitzt. Ceres hatte jeden von ihnen in den Trainingsgräben des Stadions kennengelernt und sie wusste, dass, auch wenn jeder von ihnen für zwölf normale Männer kämpfen konnte, sie nicht in der Lage waren, so etwas anzuführen.

So blickte sie zu Akila. Er war augenscheinlich ein Anführer und seine Männer folgten klar seinem Beispiel. Doch schien er hier von ihr die Befehle zu erwarten.

Ceres spürte die Hand ihres Vaters auf ihrer Schulter.

„Du fragst dich, warum sie auf dich hören sollten?“, vermutete er und kam damit der Wahrheit sehr nah.

„Sie sollten mir nicht folgen, nur weil in meinen Adern das Blut der Uralten fließt“, wiederholte Ceres leise. „Wer bin ich schon? Wie könnte ich sie anführen?“

Sie sah, wie ihr Vater dabei zu lächeln begann.

„Sie wollen dir nicht wegen deiner Ahnen nachfolgen. Wenn es so wäre, dann würden sie sich an Lucious halten.“

Ihr Vater spuckte in den Dreck, als wollte er damit ausdrücken, was er von diesem Gedanken hielt.

Sartes nickte.

„Vater hat Recht, Ceres“, sagte er. „Du hast viel für sie getan, deshalb wollen sie dir folgen. Deinetwegen.“

Sie dachte darüber nach.

„Du kannst sie zusammenhalten“, fügte ihr Vater hinzu. „Und zwar jetzt.“

Ceres wusste, dass sie Recht hatten, aber es war noch immer schwer inmitten so vieler Menschen zu stehen und zu wissen, dass sie auf ihre Entscheidung warteten. Was würde geschehen, wenn sie es nicht täte? Was würde, wenn sie einen der anderen zwänge, die Führung zu übernehmen?

Ceres hatte eine leise Ahnung. Sie konnte die Energie der Menge spüren, noch konnte sie in Zaum gehalten werden und doch war sie wie eine schwelende Glut, die sich jeder Zeit zu einem Flächenbrand entzünden konnte. Ohne die Vorgabe einer klaren Richtung würde sie umschlagen und zu Plünderungen der Stadt, zu noch mehr Toten und Zerstörung und vielleicht sogar zu ihrer Niederlage führen, wenn sich die unterschiedlichen Lager in die Haare bekämen.

Nein, das konnte sie nicht zulassen, auch wenn sie unsicher war, was sie ausrichten konnte.

„Brüder und Schwestern!“ rief sie und zu ihrer Überraschung trat augenblicklich ein Schweigen ein.

Jetzt hatte sie die ungeteilte Aufmerksamkeit aller, mehr noch als zuvor.

 

„Wir haben einen großen Sieg davongetragen, wir alle! Ihr alle! Ihr habt dem Reich die Stirn geboten und ihr habt den Todesklauen den Sieg abgerungen!“

Die Menge jubelte und Ceres blickte sich um, ließ den Moment auf sich wirken.

„Aber das reicht noch nicht“, fuhr sie fort. „Ja, wir könnten jetzt alle nach Hause gehen und wir könnten auf das Viele blicken, was wir erreicht haben. Vielleicht wären wir auch für einen Moment in Sicherheit. Doch irgendwann würden das Reich und seine Herrscher sich gegen uns und unsere Kinder erheben. Alles würde wieder so werden, wie es einmal war oder sogar schlimmer. Wir müssen das hier zu einem endgültigen Ende für uns alle führen!“

„Und wie stellen wir das an?“ kam eine Stimme aus der Menge.

„Wir nehmen das Schloss ein“, antwortete Ceres. „Wir nehmen Delos ein, sodass es uns gehört. Wir nehmen den Adel gefangen und setzten ihren Grausamkeiten ein Ende. Akila, du bist über das Meer zu uns gekommen?“

„Das stimmt“, sagte der Rebellenanführer.

„Dann geh mit deinen Männern zum Hafen und stell sicher, dass wir die Kontrolle über den Hafen haben. Ich will nicht, dass irgendein Adliger entkommt und eine Armee oder Flotte gegen uns mobilisiert.“

Sie sah Akila nicken.

„Das werden wir tun“, versicherte er ihr.

Der zweite Teil war schwieriger.

„Alle anderen, kommt mit mir zum Schloss.“

Sie deutete auf die Festung, die über der Stadt thronte.

„Zu lange schon steht sie als Symbol für die Macht, die sie über uns haben. Heute werden wir sie uns zurückholen.“

Sie blickte in die Menge und versuchte, ihre Reaktion abzuschätzen.

„Wenn ihr keine Waffen habt, dann besorgt euch welche. Wenn ihr zu sehr verletzt seid oder nicht mitmachen wollt, dann liegt darin nichts Verwerfliches. Aber wenn ihr euch dazu entschließt, dann werdet ihr sagen können, dass ihr an dem Tag, an dem Delos seine Freiheit errungen hat, dabei gewesen seid!“

Sie machte eine Pause.

„Menschen von Delos!“ rief sie mit donnernder Stimme. „Seid ihr bereit!?“

Das Brüllen der Menge war ohrenbetäubend.

KAPITEL DREI

Stephania hing an der Reling ihres Boots. Ihre Knöchel waren so weiß wie der Schaum des Ozeans. Die Ozeanreise war alles andere als ein Vergnügen für sie. Allein der Gedanke an die Möglichkeit, so Rache zu nehmen, machte sie ihr erträglich.

Sie gehörte zum Hochadel des Reichs. Wenn sie zuvor auf lange Reise gegangen war, dann hatte sie sich in den fürstlichen Gemächern großer Galeeren befunden oder in gepolsterten Wägen gut bewachter Geleitzüge und nicht eingeengt auf einem Boot, das im Vergleich zu dem gigantischen Ozean winzig wirkte.

Doch es war nicht nur der fehlende Komfort, der es schwierig machte. Stephania rühmte sich damit, taffer zu sein, als die Leute es ihr zutrauten. Sie würde sich nicht beschweren, nur weil der leckende Kahn bei jeder Welle umhergeworfen wurde oder weil ihr die eintönige Kost aus Fisch und getrocknetem Fleisch missfiel. Sie würde sich nicht einmal über den Gestank beschweren. Unter normalen Umständen hätte Stephania ihr bestes Lächeln aufgelegt und sich mit der Situation abgefunden.

Doch ihre Schwangerschaft erschwerte das. Stephania hatte das Gefühl, dass sie das Kind in ihr jetzt wachsen fühlen konnte. Thanos’ Kind. Ihre perfekte Waffe gegen ihn. Ihre Waffe. Es war etwas, das sie kaum hatte glauben können, als sie es erfahren hatte. Doch jetzt, da ihre Schwangerschaft ihre Übelkeit noch verschlimmerte und das Essen noch widerwärtiger machte, schien sie nur zu real.

Stephania beobachtete Felene, die sich am vorderen Teil des Boots zusammen mit Elethe, Stephanias Zofe, zu schaffen machte. Die beiden hätten nicht gegensätzlicher sein können. Die Matrosin, Diebin und was auch immer diese Person in ihrer Kniehose und Tunika mit ihrem im Rücken geflochtenen Zopf war neben der Zofe in ihrem Seidenkleid und dem Mantel, ihrem kurzen Haar, das ihre dunklen Züge einrahmte und ihr eine Eleganz verlieh, von der die andere Frau nur träumen konnte.

Felene schien bestens gelaunt und sang ein altes Matrosenlied, das so vulgär war, dass Stephania überzeugt war, dass sie es absichtlich sang, um sie zu reizen. Vielleicht entsprach das jedoch auch nur Felenes Art, jemanden zu umgarnen. Sie hatte einige Blicke eingefangen, die die Diebin ihrer Zofe zugeworfen hatte.

Und auch ihr. Das war jedoch immer noch besser als ihre misstrauischen Blicke. Diese waren zu Beginn selten gewesen, doch hatten sie mit der Zeit zugenommen, und Stephania konnte auch vermuten, warum. Die Nachricht, die sie Thanos hatte mitteilen lassen, hatte besagt, dass sie Lucious’ Gift geschluckt hatte. Damals war es der beste Weg gewesen, Thanos zu verletzen, doch jetzt bedeutete es, dass sie die Zeichen ihrer Schwangerschaft, die entschlossen war, sich zu erkennen zu geben, verstecken musste. Selbst ohne die fast konstant anhaltende Übelkeit, konnte Stephania spüren, wie sie sich langsam in einen Wal verwandelte und ihre Kleider jeden Tag enger wurden.

Das würde sie nicht ewig verstecken können, was bedeutete, dass sie Thanos’ Schoßhund irgendwann würde töten müssen. Vielleicht sogar gleich. Sie musste nur zu der anderen Frau gehen und sie über den Bug ihres Bootes schubsen. Oder sie konnte ihr etwas von ihrem Wasser anbieten. Ihrer überstürzten Abreise zum Trotz hatte Stephania dennoch genug Giftmischungen mitnehmen können, um eine ganze Legion von möglichen Feinden auszulöschen.

Sie könnte es auch ihrer Zofe überlassen. Elethe konnte schließlich gut mit Messern umgehen, doch dann hatte sie sie wiederum als Gefangene der Matrosin vorgefunden, als sie an der Anlegestelle angekommen war. Das wäre vielleicht also nicht die beste Idee.

Diese Einsicht ließ Stephania innehalten. Das war etwas, das sie nicht falsch angehen durfte. Sie hatte nur eine Chance. So weit von anderen Mitteln und Wegen entfernt, konnte ein Versagen ihren stillen Abgang bedeuten. Es würde ihren Tod bedeuten.

Sie waren auf jeden Fall noch zu weit vom Festland entfernt. Stephania konnte das Boot nicht steuern, und auch wenn sich ihre Zofe in den Landen von Felldust auskannte, so würde sie sie gewiss nicht sicher über den Ozean und zu dem richtigen Stückchen Land bringen können. Stephania war auf der Suche nach etwas bestimmten, und sie würde es nur finden, wenn sie zu dem Land, das nun seit Generationen ein Verbündeter des Reichs war, gelangen würde.

Stephania trat zu den anderen, und für einen Augenblick dachte sie darüber nach, Felene trotzdem über Bord zu werfen, einfach weil sie gegenüber Thanos überraschend loyal erschien. Das war nichts, das Stephania von einer bekennenden Diebin erwartet hätte. Das hieß auch, dass Bestechung in diesem Fall keine Option darstellte und ihr nur gewaltsame Mittel blieben.

Doch als Felene sich zu ihr drehte, zwang sich Stephania zu einem Lächeln.

„Wie weit ist es noch?“ fragte sie.

Felene machte mit ihren Händen eine abwägende Bewegung so als sei sie ein Händler. „Ein Tag oder zwei vielleicht. Das hängt vom Wind ab. Behagt Euch meine Gegenwart schon nicht mehr, Prinzessin?“

„Nun“, sagte Stephania, „du bist so vulgär, herablassend, selbstherrlich und fast fröhlich im Bezug auf dein Dasein als Kriminelle.“

„Und das sind nur wenige meiner hervorragenden Eigenschaften“, sagte Felene mit einem Lachen. „Trotzdem werde ich Euch ohne Probleme nach Felldust bringen. Habt Ihr darüber nachgedacht, was Ihr dort tun wollt? Wollt Ihr vielleicht Freunde vom Hof fragen, Euch bei der Suche nach diesem Zauberer zu helfen? Wisst Ihr, wo Ihr ihn suchen müsst?“

„Dort, wo die sinkende Sonne die Gebeine der Steintoten trifft“, sagte Stephania, sich an die Anweisungen der Alten Hara erinnernd. Stephania hatte für diese Anweisungen mit dem Leben einer ihrer Zofen bezahlt. Das schienen sie kaum wert gewesen zu sein.

„Ja diese Art von Anweisung kommt mir bekannt vor“, sagte Felene mit einem Seufzer. „Glaubt mir, ich habe ein paar beachtliche Dinge in meinem Leben gestohlen und die Anweisungen sind selten eindeutig. Keine Straßennamen oder jemand, der dir sagt, die dritte Tür links zu nehmen. Zauberer und Hexen sind am schlimmsten. Es überrascht mich, dass eine Adlige wie Ihr es seid, sich auf so etwas einlässt.“

Das lag daran, dass die Matrosin wirklich kaum etwas über Stephania wusste. Nicht die Dinge, die Stephania sich angeeignet hatte, um bei gewissen Anlässen mehr als eines von vielen Gesichtern im Hintergrund zu sein. Sicherlich wusste sie auch nichts über ihre Beharrlichkeit, wenn es darum ging, Rache zu nehmen.

„Ich werde tun, was ich muss, was es auch kostet“, sagte Stephania. „Die Frage ist nur, ob ich mich auf dich verlassen kann.“

Felene begann zu grinsen. „Solange Ihr mir nicht mehr abverlangt als zu trinken, zu kämpfen und gelegentlich etwas zu klauen.“ Dann wurde ihr Ausdruck ernster. „Ich schulde Thanos etwas, und ich habe ihm mein Wort gegeben, Euch in Sicherheit zu bringen. Ich werde mein Wort halten.“

Ohne diesen Zusatz wäre sie für Stephanias Plan ideal gewesen. Oh, wenn sie doch nur so bestechlich gewesen wäre wie der Rest ihresgleichen. Oder offen für Verführung. Stephania hätte ihr Elethe, ohne mit der Wimper zu zucken, überlassen, so wie sie auch der Hexe Hara ihre Zofe überlassen hatte.

„Was machen wir, wenn wir in Felldust angekommen sind?“ fragte Felene. „Wie finden wir den Ort, ‚wo die sinkende Sonne die Gebeine der Steintoten trifft’?“

„Ich habe von den Gebeinen der Steintoten gehört“, antwortete Elethe. „Sie befinden sich in den Bergen.“

Stephania hätte es vorgezogen, das im Privaten zu besprechen, doch in Wahrheit gab es keine Privatsphäre auf ihrem kleinen Boot. Sie mussten darüber sprechen, und das bedeutete, Felene miteinzubeziehen.

„Das heißt, dass wir uns in die Berge begeben müssen“, sagte Stephania. „Kannst du die Vorkehrungen dafür treffen?“

Elethe nickte. „Ein Freund meiner Familie hat Karawanen, die durch die Berge ziehen. Das sollte nicht schwer zu organisieren sein.“

„Ohne groß Aufmerksamkeit zu wecken?“ fragte Stephania.

„Ein Karawanentreiber, der zu viel Aufmerksamkeit auf sich zieht, wird ausgeraubt“, versicherte ihr Elethe. „Wir werden außerdem näheres erfahren, wenn wir die Stadt erreichen. Felldust ist meine Heimat, gnädige Frau.“

„Ich bin mir sicher, dass du eine große Hilfe sein wirst“, sagte Stephania auf eine Weise, in der Dankbarkeit mitschwang. Zuvor hätte das ihre Zofe in einen Zustand der Freude versetzt, doch jetzt lächelte sie nur. Wahrscheinlich hatte es etwas mit der Aufmerksamkeit zu tun, die Felene ihr so großzügig schenkte.

Das ärgerte Stephania ein wenig. Es war keine Eifersucht im herkömmlichen Sinne, denn das Mädchen war ihr wie alle anderen auch egal, seitdem Thanos aus ihrem Leben verschwunden war. Nein, es war vielmehr die Tatsache, dass die Zofe ihr gehörte. Das Mädchen hätte einst alles getan, was Stephania ihr aufgetragen hätte. Doch jetzt konnte Stephania sich nicht mehr sicher sein, und das wurmte sie. Sie musste einen Weg finden, sie auf die Probe zu stellen, bevor das hier vorbei war.

Sie würde viele Dinge tun müssen, bevor sie mit Felldust fertig war. Sie würde den Zauberer finden müssen, und auch wenn ihre Zofe einen Hinweis auf seinen Aufenthaltsort entschlüsselt hatte, so würde das immer noch Zeit und Mühe kosten. Sie würde sich in einem fremden Land befinden, in dem sowohl die Politik als auch das Volk anders waren, auch wenn sich Schwäche überall in der Welt ähnlich zeigte.

Selbst wenn sie den Zauberer fände, würde sie entweder Zugang zu seinem Wissen gewinnen oder ihn auf ihre Seite ziehen müssen. Vielleicht würde es einfach nur Geld kosten oder den Einsatz ihres Charmes, doch das bezweifelte Stephania. Jeder Zauberer, der die Macht besaß einen Uralten aufzuhalten, war in einer Lage, in der er von der Welt fordern konnte, was immer er wollte.

Nein, Stephania würde sich etwas einfallen lassen müssen, doch würde sie einen Weg finden, der sie zum Erfolg führen würde. Jeder begehrte etwas, ob es Macht war oder Ruhm oder Wissen oder schlicht Sicherheit. Stephania hatte immer eine Gabe gehabt, herauszufinden, was ein Mensch wollte; das war so häufig der Hebel gewesen, der die anderen dazu gebracht hatte, das zu tun, was Stephania von ihnen verlangt hatte.

 

„Sag mir, Elethe“, sagte sie aus einem Impuls heraus. „Was ist es, das du begehrst?“

„Euch zu dienen, gnädige Frau“, sagte das Mädchen sofort. Das war natürlich die richtige Antwort, doch darin lag eine Spur Aufrichtigkeit, die Stephania gefiel. Sie würde die wahre Antwort bald erhalten.

„Und du, Felene?“ fragte Stephania.

Sie sah, wie die Diebin mit den Schultern zuckte. „Was auch immer die Welt mir zu bieten hat. Vorzugsweise etwas mit Gold, Alkohol, Geselligkeit und Unterhaltung. Nicht unbedingt in dieser Reihenfolge.“

Stephania lachte sanft und tat so, als würde sie nicht merken, dass sie log. „Natürlich. Was sollte man sich sonst wünschen?“

„Warum sagt Ihr es mir nicht?“ konterte Felene. „Was ist es, dass Ihr wollt, Prinzessin? Warum nehmt Ihr all das auf Euch?“

„Ich will Sicherheit“, sagte Stephania. „Und ich will Rache an jenen nehmen, die mir Thanos genommen haben.“

„Am Reich Rache nehmen?“ fragte Felene. „In dieser Hinsicht sind wir uns einig. Sie haben mich schließlich auf ihrer Insel ausgesetzt.“

Wenn sie glaubte, dass es Rache am Reich war, die Stephania wollte, dann sollte sie es ruhig glauben. Das Objekt ihrer Rache ließ sich allerdings einfacher definieren: Ceres, dann Thanos und jeden, der ihnen geholfen hatte.

Stephania wiederholte leise den Schwur, den sie sich in Delos gegeben hatte. Sie würde ihr Kind als Waffe gegen seinen Vater aufziehen. Sie würde ihrem Kind Liebe schenken; sie war mit Sicherheit kein Monster. Aber es würde auch einen Zweck erfüllen. Es würde wissen, was sein Vater getan hatte.

Und dass einige Dinge unverzeihlich waren.