Kampf der Ehre

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Z serii: Ring der Zauberei #4
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KAPITEL SECHS

Thor saß auf seinem Pferd auf dem Hügel, die Gruppe der Legionäre und Krohn neben ihm, und schaute auf den verblüffenden Anblick, der sich vor ihnen auftat, herab:

So weit das Auge reichte sah er McCloud’s berittene Truppen.

Eine riesige Armee erwartete sie.

Sie waren in eine Falle gelockt worden. Forg musste sie genau zu dem Zweck hierher geführt haben. Er hatte sie verraten.

Doch warum?

Thor schluckte schwer, und blickte dem scheinbar sicheren Tod entgegen.

Ein schrecklicher Schlachtruf stieg auf, als die Armee plötzlich auf sie zustürzte. Sie waren nur wenige hundert Meter entfernt und näherten sich schnell. Thor warf einen Blick über seine Schulter, aber da war soweit er sehen konnte keine Verstärkung. Sie waren vollkommen auf sich alleine gestellt.

Thor wusste, dass ihnen keine andere Wahl blieb, als hier ihr letztes Gefecht zu bestreiten. Hier auf dem kleinen Hügel im Schatten des verlassenen Wachturms.

Ihnen stand eine unglaubliche Zahl von Feinden gegenüber, und sie hatten nicht die geringste Chance auf einen Sieg.

Doch wenn sie untergehen sollten, dann wenigstens tapfer kämpfend von Angesicht zu Angesicht. Die Legion hatte ihn das gelehrt. Weglaufen war keine Option. Thor bereitete sich darauf vor, sich dem Tod zu stellen.

Er wandte sich um und sah die Gesichter seiner Freunde. Er konnte sehen, dass auch sie blass vor Angst waren. Er sah den Tod in ihren Augen. Doch alle blieben tapfer. Nicht einer von ihnen zuckte auch nur, als ihre Pferde anfingen nervös zu tänzeln, oder machte Anstalten, umzudrehen und davonzureiten.

Sie war jetzt eine Einheit. Sie waren mehr als Freunde. Die Hundert hatten sie zu Brüdern geschmiedet. Nicht einer von ihnen würde auch nur daran denken, den anderen im Stich zu lassen. Sie alle hatten den Eid geschworen, und ihre Ehre stand auf dem Spiel. Und für die Legion war Ehre heiliger als Blut.

„Meine Herren. Ich glaube wir haben einen Kampf vor uns”, verkündete Reece langsam, als er nach seinem Schwert griff.

Thor griff nach seiner Schleuder und wollte so viele wie möglich ausschalten, bevor sie sie erreichen konnten. O’Connor zückte seinen kurzen Speer während Elden seinen Wurfspieß aufrichtete. Conval erhob seinen Wurfhammer und Conven seine Dolche. Die anderen Jungen aus der Legion, die Thor nicht kannte, zogen ihre Schwerter und hoben die Schilde. Thor konnte die Angst in der Luft spüren, und er spürte sie selbst, als das Donnern der Hufe anschwoll und der Klang der Schreie der McClouds lauter und lauter wurde, als wollte ein Gewittersturm über sie hereinbrechen.

Thor wusste, sie brauchten eine Strategie. Aber er wusste nicht welche.

Neben Thor knurrte Krohn. Thor ließ sich von Krohns Furchtlosigkeit inspirieren: Er jammerte nie und drehte sich nicht ein einziges Mal um. In der Tat stellten sich die Haare auf seinem Rücken auf und er bewegte sich langsam vorwärts. Als ob er sich der Armee alleine stellen wollte. Thor wusste, dass er in Krohn einen wahren Kampfgefährten gefunden hatte.

„Glaubst du, die anderen werden kommen, um uns zu unterstützen?“, fragte O’Connor.

“Nicht rechtzeitig”, antwortete Elden. “Forg hat uns in eine Falle geführt.”

„Doch warum?“, fragte Reece.

„Ich weiß es nicht.“, antwortete Thor und machte mit seinem Pferd einen Schritt nach vorn. „Aber ich habe das ungute Gefühl, dass es etwas mit mir zu tun hat. Ich fürchte, jemand will mich tot sehen.“

Thor konnte spüren, wie sich die anderen ihm zuwandten.

„Warum?“, fragte Reece.

Thor zuckte mit den Schultern. Er wusste es nicht sicher, aber er hatte eine Ahnung, bei all den Machenschaften am Hof des Königs, dass es etwas mit der Ermordung von MacGil zu tun hatte. Wahrscheinlich war es Gareth. Vielleicht sah er Thor als eine Bedrohung an.

Thor fühlte sich schrecklich dafür, seine Waffenbrüder in Gefahr gebracht zu haben. Doch es gab nichts, was er hätte tun können. Alles was er nun tun konnte, war zu versuchen, sie zu verteidigen.

Thor hatte genug. Er schrie, trat sein Pferd und brach im Galopp nach vorne, vor alle anderen aus. Er würde nicht warten, bis diese Armee auf ihn zukam. Er würde nicht auf den Tod warten. Er würde die ersten Schläge einstecken, vielleicht sogar einige von seinen Waffenbrüdern ablenken können, und ihnen eine Chance geben, umzudrehen und davonzureiten, sollten sie sich dazu entschließen. Wenn er schon auf sein sicheres Ende blickte, dann wollte er auch furchtlos drauf zu reiten. Mit Ehre.

Innerlich zitterte er vor Angst, weigerte sich aber, es zu zeigen. Thor galoppierte weiter und weiter vor den anderen her, den Hügel hinab in Richtung der vorrückenden Armee. Neben ihm rannte Krohn.

Thor hörte einen Schrei hinter ihm, seine Waffenbrüder versuchten aufzuholen. Sie waren kaum 20 Meter entfernt und galoppierten hinter ihm her, einen Schlachtruf auf den Lippen. Thor blieb vor ihnen, doch es fühlte sich gut an ihre Unterstützung hinter sich zu wissen.

Vor Thor brach eine Einheit von ungefähr 50 Kriegern aus den Linien der McCloud’schen Armee aus und ritt direkt auf ihn zu.

Sie waren knapp 100 Meter vor ihm und kamen schnell näher. Thor nahm einen Stein, holte mit seiner Schleuder aus, zielte und schleuderte. Er zielte auf den Anführer, einen großen Mann mit einer silbernen Brustplatte, und sein Wurf war perfekt. Er traf ihn am Halsansatz, genau zwischen den Platten der Rüstung, und der Mann fiel vor allen anderen zu Boden.

Während er fiel, fiel sein Pferd mit ihm, und ein Dutzend Pferde türmte sich hinter ihm auf und warf die Reiter mit dem Gesicht voran zu Boden.

Bevor sie reagieren konnten, platzierte Thor einen weiteren Stein, lehnte sich zurück und schleuderte erneut. Wieder enttäuschte seine Zielgenauigkeit nicht. Er traf einen der Anführer an der Schläfe und warf ihn seitlich vom Pferd – auf mehrere andere Krieger, die zu Boden gingen wie Dominosteine.

Während Thor ritt, surrte ein Speer an seinem Kopf vorbei, dann eine Wurflanze und ein Wurfhammer. Und er wusste, dass seine Legionsbrüder ihn unterstützten. Ihr Ziel war kein geringeres als seines, und ihre Waffen nahmen McCloud’s Krieger mit tödlicher Präzision. Einige fielen vom Pferd und rissen andere mit sich.

Thor war begeistert zu sehen, dass es ihnen bereits gelungen war, dutzende von McCloud’s Kriegern auszuschalten, einige von ihnen mit direkten Treffern, doch die meisten waren durch Kettenreaktionen von fallenden Kriegern und stolpernden Pferden zu Boden gerissen worden. Die Voraus-Einheit von 50 Mann war nun am Boden, unter einer Wolke von Staub.

Doch die Armee der McClouds war stark, und jetzt waren sie an der Reihe, sich zu wehren. Als Thor bis auf 30 Meter an sie herankam, warfen einige ihre Waffen in seine Richtung. Ein Wurfhammer flog direkt auf sein Gesicht zu, und Thor duckte sich im letzten Moment, so dass das Geschoss sein Ohr nur um Zentimeter verfehlte. Ein Speer kam genauso schnell geflogen, und er duckte sich in die andere Richtung. Dies Spitze verfehlte ihn nur knapp, kratzte jedoch zum Glück nur an seiner Rüstung. Ein Wurfspeer flog aus derselben Richtung auf sein Gesicht zu, Thor hob seinen Schild und konnte auch ihn abwehren. Der Speer blieb in seinem Schild stecken und Thor griff danach, zog ihn heraus, und warf ihn zurück nach dem Angreifer.

Wieder zielte Thor gut, und der Speer bohrte sich in die Brust des fremden Kriegers – durch das Kettenhemd. Mit einem Aufschrei stürzte er vom Pferd und war tot, noch bevor er auf dem Boden aufschlug. Thor ritt weiter wie besessen. Er stürmte mitten unter die feindliche Armee, in ein Meer von Soldaten, bereit dem Tod entgegenzutreten. Er hob sein Schwert und schrie einen Schlachtruf und seine Waffenbrüder hinter ihm taten es ihm nach.

Das war der erwartete Zusammenstoß.

Ein riesiger Krieger stürzte mit erhobener Axt auf Thor zu, und ließ sie mit Wucht in Richtung seines Kopfes hinunterfahren. Thor duckte sich in letzter Sekunde. Die Klinge verfehlte ihn knapp und traf dafür einen vorbeireitenden Krieger in den Bauch, der mit einem Schmerzensschrei vom Pferd fiel. Während er fiel, ließ er seine eigene Streitaxt los, und während sie Thor verfehlte, traf sie das Pferd eines anderen McCloud Kriegers. Es bäumte sich auf und warf seinen Reiter auf mehrere andere.

Thor ritt weiter in eine riesige Wolke von McCloud’s Männern. Hundert von ihnen. Er schlug und hieb sich seinen Weg hindurch, während einer nach dem anderen sein Schwert, seine Axt oder Keule nach ihm schwang. Mit seinem Schild wehrte er sie ab, duckte sich, schlug zurück und galoppierte weiter. Er war einfach zu schnell und zu flink für seine schwerfälligen Gegner. Das hatten sie nicht erwartet. Als riesige dicht aufgestellte Armee konnten sie nicht schnell genug manövrieren, um ihn aufzuhalten. Er hörte das Zusammenprallen von Metall überall um ihn herum, Schläge hagelten aus allen Richtungen auf ihn herab. Er wehrte sie mit seinem Schild oder seinem eigenen Schwert ab, doch er konnte nicht allen ausweichen.

Ein Schwerthieb streifte ihn hart an der Schulter und er schrie vor Schmerz auf. Das Blut lief. Zum Glück war die Wunde doch nicht tief und hielt ihn nicht davon ab, weiter zu kämpfen. Thor kämpfte beidhändig. Er war umgeben von McCloud’s Kriegern und bald spürte er, wie die Angriffe auf ihn weniger wurden. Seine Waffenbrüder hatten ihn erreicht, und kämpften nun Seite an Seite mit ihm. Die Lautstärke des Kampfgeschehens schwoll weiter an. Schwerter krachten auf Schilde herab, Speere durchbohrten Rüstungen. Die kämpften mit allen Mitteln. Schreie ertönten auf beiden Seiten. Die jungen Krieger der Legion hatten den Vorteil, dass sie eine weitaus kleinere und beweglichere Gruppe bildeten.

 

Die Zehn schlugen und kämpften ihren Weg durch eine riesige schwerfällige Armee. Das Gelände formte einen Engpass, sodass nicht alle McCloud Krieger sie auf einmal erreichen konnten.

Thor fand sich meist im Kampf gegen zwei Männer gleichzeitig, manchmal sogar drei, doch selten mehr. Und seine Brüder hinter ihm beschützten ihn vor Angreifern, die ihm in den Rücken fallen wollten.

Als ein Krieger Thor in einer unaufmerksamen Sekunde attackierte und seine Keule in Richtung von Thors Kopf schwang, knurrte Krohn und stürzte dazwischen. Er sprang hoch in die Luft, ergriff das Handgelenk des Feindes, und riss es mit seinem starken Kiefer ab. Blut spritzte überall und zwang die Soldaten die Richtung zu wechseln.

Alles geschah wie in einem Nebel als Thor kämpfte und um sich schlug und in alle Richtungen parierte, jede Unze seiner Fähigkeiten nutzend, um sich zu verteidigen, anzugreifen, seine Brüder und sich selbst zu schützen.

Instinktiv rief er das, was er in den nicht enden wollenden Tagen seiner Ausbildung gelernt hatte, ab. Alles fühlte sich vollkommen natürlich an.

Sie hatten ihn gut ausgebildet und er konnte das, was er gelernt hatte, anwenden. Seine Angst war immer noch präsent, aber er fühlte sich in der Lage, sie zu kontrollieren. Als Thor kämpfte und kämpfte, und seine Arme schwer wurden und seine Schultern müde, klangen Kolk’s Worte in seinen Ohren: Der Feind wird niemals zu deinen Bedingungen kämpfen. Er tut es zu seinen Bedingungen. Krieg bedeutet Krieg für dich genauso wie für den Anderen.

Thor sah einen kurzen, breit gebauten Krieger mit einer Stachelkette die er hinter Reece’s Kopf schwang. Reece hatte es nicht kommen sehen, und im nächsten Moment würde er sterben.

Doch Thor sprang von seinem Pferd, und warf sich auf den Gegner, nur Sekundenbruchteile bevor dieser die Kette in Richtung von Reece’s Hinterkopf loslassen konnte. Sie fielen und landeten hart auf dem Boden in einer Staubwolke. Thor wand sich, außer Atem, während die Pferde um ihn herum trampelten. Er rang mit dem Krieger auf dem Boden, und als der Mann ansetzte, Thor mit seinen Daumen die Augen auszustechen, hörte Thor plötzlich einen wohlbekannten Schrei und sah wie sich Estopheles herabschwang und mit seinen Klauen die Augen des Mannes auskratzte. Gerade rechtzeitig, bevor er Thor verletzen konnte. Er schrie und schlug die Hände vors Gesicht und Thor wuchtete und schob in von sich.

Bevor Thor Gelegenheit hatte, in seinem Sieg zu schwelgen, spürte er einen harten Tritt in die Magengegend, dann einen Schlag auf den Rücken. Er blickte auf und sah einen Krieger einen zweihändigen Kriegshammer schwingen, genau in Richtung seiner Brust. Thor rollte sich ab. Der Hammer sauste an ihm vorbei und bohre sich bis zum Griff in die Erde. Er erkannte, dass dies seinen Tod hätte sein können.

Krohn stürzte sich auf den Mann, sprang vorwärts und bohrte seine Zähne in den Ellbogen des Mannes; der Krieger schlug nach Krohn, wieder und wieder. Aber Krohn ließ nicht los, knurrend, schüttelnd, zerrend, bis er schließlich den Arm aus dem Schultergelenk riss. Der Krieger schrie in wildem Schmerz auf und ging zu Boden.

Ein anderer Krieger warf sich nach vorn und schlug mit seinem Schwert nach Krohn, doch Thor rollte mit seinem Schild dazwischen, und wehrte den Schlag ab. Sein ganzer Körper bebte von der Wucht – doch er hatte damit Krohns Leben gerettet. Doch als Thor neben Krohn kniete, war er dem Angriff eines anderen schutzlos ausgeliefert.

Dieser ritt mit seinem Pferd über ihn, die Hufe trafen ihn und schlugen ihn nieder. Mit dem Gesicht voran fiel Thor in den Dreck. Er hatte das Gefühl, dass die Hufe jeden Knochen in seinem Körper gebrochen hatten.

Mehrere andere Krieger der McClouds sprangen von ihren Pferden und umringten Thor. Er erkannte, wie ungünstig seine Lage war. Da lag er auf dem Boden, in seinem Kopf hallte es vor Schmerzen. Aus dem Augenwinkel sah er einen anderen Jungen der Legion kämpfen, den er nicht kannte. Er stieß einen schrillen Schrei aus und Thor beobachtete wie ein Schwert seine Brust durchbohrte und er nach vorn zusammensank. Er war tot.

Ein anderer seiner Waffenbrüder, den er auch nicht näher kannte kam zu seiner Hilfe und tötete den Angreifer mit einem kraftvollen Stoß seines Speers. Doch zur gleichen Zeit stieß ein McCloud ihm von Hinten einen Dolch in den Hals. Der Junge gab ein gurgelndes Geräusch von sich und fiel tot zu Boden.

Thor wandte sich um und sah ein halbes Dutzend Krieger auf sich zustürzen. Einer hob sein Schwert, um es in sein Gesicht zu schlagen, und Thor hob den Arm und blockte den Schlag mit seinem Schild. Der Schlag hallte in seinen Ohren nach. Ein anderer trat mit seinem Stiefel Thor das Schild aus der Hand. Ein dritter trat auf sein Handgelenk und drückte es zu Boden. Ein vierter Angreifer trat vor, hob seinen Speer um ihn durch Thors Brust zu jagen.

Thor hörte ein Fauchen und Krohn sprang den Soldaten an, warf ihn zu Boden, und drückte ihn nieder. Ein anderer trat vor und Schlug mit einer Keule hart nach ihm. So hart, dass Krohn mit einem Jaulen vornüber fiel und auf der Seite liegen blieb. Ein anderer Krieger sprang mit einem Dreizack vor und diesmal war niemand da, um Thor zu schützen. Thor lag hilflos am Boden, und beobachtete wie sich der Dreizack auf ihn hinabsenkte.

Er war sich sicher – sein Ende war gekommen.

KAPITEL SIEBEN

Gwen kniete mit Illepra an Godfrey’s Seite in der engen Behausung und konnte es nicht mehr länger ertragen. Sie hatte seit Stunden dem Stöhnen ihres Bruders gelauscht, und Illepras Miene beobachtet, die sich immer weiter verdunkelte. Es schien sicher, dass er sterben würde. Sie fühlte sich so unglaublich hilflos, während sie so dasaß. Sie hatte das Gefühl, etwas tun zu müssen. Irgendetwas.

Nicht nur, dass sie fast zerbrach an Schuldgefühlen und Sorge um Godfrey. Vielmehr noch sorgte sie sich um Thor. Sie konnte das Bild von ihm im Kampf nicht aus ihrem Kopf vertreiben – von Gareth in eine Falle geschickt, um zu sterben. Sie spürte, sie musste Thor in irgendeiner Weise helfen. Sie würde noch verrückt werden, wenn sie länger dasitzen würde.

Gwen erhob sich plötzlich, und eilte zum Ausgang.

„Wo gehst du hin?“ Fragte Illepra, ihre Stimme heiser vom Singen der Gebete.

Gwen wandte sich ihr zu.

„Ich komme bald zurück“, sagte sie. „Es gibt da etwas, da ich versuchen muss.“

Sie öffnete die Tür und eilte hinaus in die flirrende Luft des Sonnenuntergangs. Sie blinzelt beim Anblick dessen, was sie vor sich sah: der Himmel war rot und violett gestreift, und die zweite Sonne saß als grüner Ball auf dem Horizont. Akorth und Fulton standen noch immer Wache und als sie sie sahen richteten sie sich auf. Sie konnte die Sorge in ihren Gesichtern sehen.

„Wird er leben?“, fragte Akorth.

„Ich weiß es nicht“, entgegnete Gwen. „Bleibt hier und steht Wache.“

„Wohin geht Ihr, Mylady?“ fragte Fulton.

Als sie in den blutroten Himmel blickte und die mystische Stimmung in der Luft spürte kam ihr ein Gedanke. Es gab jemanden, der vielleicht in der Lage war, ihr zu helfen.

Argon.

Wenn es eine Person gab, der Gwen vertrauen konnte, eine Person, die Thor liebte und ihrem Vater immer treu gewesen war, eine Person, die die Macht hatte ihr zu helfen, dann war er das.

„Ich muss jemand ganz Besonderen finden.“, sagte sie.

Sie wandte sich ab, und eilte über die Ebene davon. Sie fiel in einen Trab auf dem Weg zu Argons Hütte.

Sie war seit Jahren nicht mehr dort gewesen. Nicht mehr, seit sie dem Kindesalter entwachsen war. Doch sie erinnerte sich, dass er hoch auf der öden felsigen Ebene lebte. Sie lief und lief, war außer Atem, und das Gelände wurde immer öder, windiger, Grass wich Kiess, dann Felsen. Der Wind heulte und während sie weiterlief, wurde die Landschaft geradezu unheimlich. Sie fühlte sich, als würde sie auf der Oberfläche eines fremden Planeten wandeln.

Endlich erreichte sie Argons Hütte. Außer Atem hämmerte sie an die Tür. Er gab keinen Knauf, mit dem sie sie hätte öffnen können, doch sie wusste, sie war am Ziel.

„Argon!“, rief sie. „Ich bin es! MacGils Tochter! Lass mich ein! Ich befehle es dir!”

Sie hämmerte und hämmerte, aber die einzige Antwort war das Heulen des Windes.

Sie brach in Tränen aus. Sie war erschöpft, und fühlte sich hilfloser denn je. Hohl, und es gab niemand sonst, an den sie sich hätte wenden können.

Als die Sonne tiefer am Himmel sank, wich ihr blutrotes Licht der Dämmerung. Gwen wandte sich um und begann, den Hügel wieder hinunterzulaufen. Sie wischte ihre Tränen vom Gesicht, und überlegte verzweifelt, wohin sie jetzt gehen konnte.

„Bitte Vater“, sagte sie laut und schloss die Augen. „Gib mir ein Zeichen. Zeig mir, wohin ich gehen soll. Sag mir, was ich tun soll. Bitte lass deinen Sohn heute nicht sterben. Und bitte lass Thor nicht sterben. Bitte. Wenn du mich liebst, antworte mir.”

Gwen lief still und lauschte dem Wind, als sie plötzlich eine Eingebung hatte.

Der See. Der See der Sorgen.

Natürlich. Jeder, der für einen totkranken beten wollte, tat dies am See. Er war ein unberührter, kleiner See inmitten des roten Waldes, umgeben von Bäumen, die in den Himmel zu wachsen schienen. Es war ein heiliger Ort.

Danke Vater, für deine Antwort, dachte Gwen. Sie konnte jetzt seine Nähe mehr denn je spüren, und fiel in einen Trab in Richtung des roten Waldes, in Richtung des Sees, der ihre Sorgen Gehöre schenken würde.

*

Gwen kniete am Ufer des Sees der Sorgen, die Knie auf weichen roten Kiefernnadeln, die das Wasser wie ein Ring umranden und sah auf das stille Wasser hinaus. Es war das stillste Wasser, das sie je gesehen hatte, und der Mond spiegelte sich darin. Ein glitzernder Vollmond. Voller, als sie ihn je zuvor gesehen hatte. Und während sich die zweite Sonne noch immer senkte, ging der Mond auf, und das letzte Sonnenlicht und das erste Mondlicht ergossen sich über den Ring. Die Sonne und der Mond spiegelten sich gemeinsam im Wasser des Sees, einander gegenüber, und Gwen konnte ahnen, wie heilig diese Zeit des Tages war. Es war das Fenster zwischen dem Ende des einen Tages und dem Beginn des nächsten, und zu dieser heiligen Zeit, an diesem heiligen Ort, war alles möglich.

Gwen kniete weinend da, betete für alles, was Ihr etwas bedeutete. Die Ereignisse der letzten Tage waren zu viel für sie gewesen, und alles strömte aus ihr heraus. Sie betete für Ihren Bruder und vielmehr noch für Thor. Sie konnte den Gedanken beide zu verlieren nicht ertragen. Den Gedanken, niemanden mehr um sich zu haben außer Gareth. Sie konnte den Gedanken nicht ertragen, dass er sie verschiffen wollte, um irgendeinen Barbaren zu heiraten.

Sie fühlte, wie die Welt um sie herum zusammenbrach. Sie brauchte Antworten. Und mehr noch. Sie brauchte Hoffnung.

Es gab viele Menschen in ihrem Reich, die zum Gott der Seen oder zum Gott der Wälder oder dem Gott der Berge oder des Windes beteten – doch Gwen hatte nie an auch nur einen von ihnen geglaubt. Sie, genauso wie Thor, hatte sich gegen den allgemeingültigen Glauben zum radikalen Glauben an nur einen einzigen Gott bekannt, ein einzelnes Wesen, das das gesamte Universum kontrollierte. Und zu diesem Gott betete sie nun.

Bitte Gott, betete sie. Bring Thor zurück zu mir. Beschütze ihn im Kampf. Lass ihn dem Hinterhalt entkommen. Bitte lass Godfrey leben. Und bitte beschütze auch mich. Lass nicht zu, dass man mich von hier wegschickt, um einen Wilden zu heiraten. Ich würde alles dafür geben. Bitte gib mir ein Zeichen. Sag mir was du von mir willst.

Gwen kniete für eine lange Zeit da, und hörte nichts außer dem endlosen Heulen des Windes durch die Kiefern des roten Waldes. Sie lauschte dem sanften rauschen der Zweige, wie sie sich hoch über ihrem Kopf im Wind wiegten, und ihre Nadeln ins Wasser fielen.

“Sei vorsichtig wofür du betest.”, hörte sie eine Stimme sagen.

Sie erschrak und fuhr herum. Sie sah jemanden nicht weit von ihr entfernt im Schatten der Bäume stehen. Sie hätte sich gefürchtet, doch sie erkannte die Stimme sofort. Eine uralte Stimme. Älter als die Bäume, älter als die Erde selbst. Und ihr Herz schwoll vor Freude als sie erkannte wer es war.

 

Sie wandte sich ihm zu und sah ihn vor sich stehen: In einen weißen Mantel mit Kapuze gehüllt, mit seinen hellen Augen, die durch sie hindurch direkt in ihre Seele zu blicken schienen. Er hielt seinen Stab und schien im Licht der letzten Sonne und des aufgehenden Mondes zu leuchten.

Argon.

Sie stand auf und ging auf ihn zu.

„Ich habe dich gesucht.“, sagte sie. „Ich war bei deiner Hütte. Hast du mich nicht anklopfen gehört?“

„Ich höre alles.“, antwortete er kryptisch.

Sie hielt inne und wunderte sich. Er blieb ausdruckslos.

„Sag mit, was ich tun muss“, sagte sie. “Ich bin bereit alles zu tun. Vollkommen egal was. Bitte lass Thor nicht sterben. Du kannst ihn nicht sterben lassen!”

Gwen tat einen Schritt auf ihn zu und griff flehend nach seiner Hand. Aber als sie ihn berührte, durchfuhr sie eine brennende Hitze, die von seiner Hand ausging und in ihre strömte und zuckte zurück, überwältigt von seiner Kraft.

Argon seufzte, wandte sich von ihr ab, und ging einige Schritte in Richtung des Sees. Er stand da und schaute aufs Wasser. Seine Augen reflektierten das Licht.

Sie stellte sich neben ihn und wusste nicht wie lange sie stumm dastanden, bis er bereit war, zu sprechen.

„Es ist nicht unmöglich das Schicksal zu ändern“, sagte er. „Doch es fordert einen hohen Preis von dem, der es zu ändern wünscht. Du möchtest ein Leben retten. Das ist ein nobles Bestreben. Doch du kannst nicht zwei Leben retten. Du wirst eine Wahl treffen müssen.”

Er sah sie an.

“Wünschst du, dass Thor diese Nacht überlebt oder dein Bruder? Einer von ihnen muss sterben. So steht es geschrieben.”

Gwen war entsetzt.

“Was für eine Wahl ist das?“, fragte sie. „Indem ich den Einen rette, verurteile ich den Anderen zum Tod.“

„Das tust du nicht.“, antwortete er. „Es ist beiden bestimmt zu sterben. Es tut mir leid. Doch das ist ihr Schicksal.”

Gwen fühlte sich, als hätte jemand ihr einen Dolch in die Eingeweide gerammt. Beide sollten sterben? Es war zu schrecklich, um es sich vorstellen zu können. Konnte das Schicksal wirklich so grausam sein?

“Ich kann nicht den Einen über den Anderen wählen.“, sagte sie schließlich mit schwacher Stimme. „Meine Liebe für Thor ist natürlich stärker. Aber Godfrey ist mein eigen Fleisch und Blut. Ich kann nicht ertragen, dass einer auf Kosten des Anderen leben soll. Und ich glaube nicht dass einer von ihnen das will.“

„Dann werden beide sterben.“, entgegnete Agron.

Gwen fühlte sich von Panik überwältigt.

„Warte!“, rief sie, als er sich von ihr abwenden wollte.

Er drehte sich wieder zu ihr um und sah sie fragend an.

„Was ist mit mir?“, fragte sie. „Was, wenn ich an ihrer Stelle sterbe? Ist das möglich? Könnten dann beide leben?“

Argon blickte sie eine Weile lang an, als ob er ihr tief ins Herz schauen wollte.

„Dein Herz ist rein.“ Sagte er. “Du hast von allen MacGils das reinste Herz. Dein Vater hat eine weise Wahl getroffen. Ja das hat er...“

Argon verstummte und er schaute ihr weiter tief in die Augen. Gwen fühlte sich unwohl, wagte aber nicht, den Blick abzuwenden.

„Aufgrund deiner Wahl, deiner Opferbereitschaft in dieser Nacht“, sagte Argon „hat das Schicksal dich erhört. Thor wird Leben. Und auch dein Bruder. Und auch du sollst leben. Doch einen kleinen Teil deines Lebens musst du geben. Denke daran, es gibt immer einen Preis. Ein Teil von dir wird sterben, damit beide leben können.“

“Was soll das heißen?”, fragte sie, starr vor Angst.

„Alles hat seinen Preis.“, antwortete er. „Du hast die Wahl. Willst du ihn lieber nicht bezahlen?“

Gwen wappnete sich für das, was nun kommen sollte.

“Ich würde alles für Thor tun.”, sagte sie. „Und für meine Familie.“

Argon sah durch sie hindurch.

„Thor erwartet ein großes Schicksal.“, sagte Argon. „Aber das Schicksal kann sich ändern. Unser Schicksal liegt in unseren Sternen. Aber es wird auch von Gott gelenkt. Gott kann das Schicksal ändern. Thor sollte heute Nacht sterben. Dank dir wird er leben. Doch du musst den Preis dafür zahlen. Und der ist hoch.”

Gwen wollte mehr wissen und streckte ihre Hand nach Argon aus. Doch noch bevor sie seine Hand berühren konnte, blitzte ein grelles Licht auf und Argon war verschwunden.

Gwen fuhr herum und blickte in alle Richtungen, doch er war verschwunden.

Sie wandte sich schließlich wieder dem See zu, der immer noch so ruhig dalag, als wäre dies eine Nacht wie jede andere. Sie sah ihr Spiegelbild und es erschien ihr unendlich weit entfernt. Sie war erfüllt mit Dankbarkeit, und endlich auch einem Gefühl des Friedens. Doch sie hatte auch Angst um ihre eigene Zukunft. So sehr sie auch versuchte, den Gedanken aus ihrem Kopf zu vertreiben, so brennend wollte sie es wissen: Welchen Preis würde sie für Thors Leben bezahlen müssen?