Schulsozialarbeit in der Schweiz (E-Book)

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2.1.2 Historische Entwicklung der Schulsozialarbeit in der Schweiz

Die Entstehungsgeschichte der Schulsozialarbeit in der Schweiz wurde in den letzten Jahren in verschiedenen Publikationen ausführlich dargestellt (Baier, 2008; Baier, Heeg, 2011; Drilling, 2009; Gschwind, 2014). Diese Arbeiten zeigen, dass die Entwicklung und Ausbreitung der Schulsozialarbeit in hohem Masse durch das föderalistische System der Schweiz sowie durch sprachregionale und regionale Unterschiede geprägt ist (Baier, 2008; Gschwind, 2014), also landesweit keinesfalls einheitlich verlief. In der französischsprachigen Schweiz entwickelten sich bereits in den 1960er-Jahren verschiedene Modelle der Kooperation zwischen Schule und Sozialer Arbeit mit unterschiedlichen Bezeichnungen, wie beispielsweise «conseillers sociaux», «éducateurs sociaux», «médiateurs scolaires» oder «travailleurs sociaux scolaires». Entsprechend den vielfältigen Bezeichnungen unterscheiden sich die Angebote auch hinsichtlich ihrer sozialpädagogischen, sozialarbeiterischen und animatorischen Mandate (Aarburg, Kottelat, 2018). Gemäss Aarburg und Kottelat (2018) befindet sich die Schulsozialarbeit in der Westschweiz heute noch in einer Pionierphase, die zwar viel Entwicklung zulässt, der es jedoch an institutioneller Sicherheit und gemeinsamen Orientierungspunkten fehlt. Auch der Organisationsgrad der Schulsozialarbeitenden ist in der französischsprachigen Schweiz relativ tief.

Im Vergleich zur Westschweiz begann die Schulsozialarbeit in der Deutschschweiz mit etwa zehn Jahren Verzögerung und vorerst nur mit vereinzelten Projekten, die in den 1970er- und 1980er-Jahren initiiert wurden (Neuenschwander et al., 2007; Vögeli-Mantovani, Grossenbacher, 2005). Der Zeitraum von Beginn bis Ende der 1990er-Jahre wird von Baier (2011a) als Pionierphase der Schulsozialarbeit bezeichnet. In dieser Phase wurde an wenigen Standorten Schulsozialarbeit mit viel Engagement und Eigenverantwortung der Fachpersonen vor Ort aufgebaut. Diese Angebote hatten oft Modellcharakter und beeinflussten die spätere Entwicklung. An die Pionierphase schliesst seit Ende der 1990er-Jahre laut Baier die Ausbauphase an, die sich durch eine schnelle Verbreitung der Schulsozialarbeit im städtischen Raum auszeichnet. In den grösseren Städten wie Bern, Zürich, Basel, St. Gallen, Luzern und Zug wurden die meisten Projekte der Schulsozialarbeit gestartet, die sich anschliessend zuerst auf die Agglomeration ausweitete und später auch in ländlichen Gebieten eingeführt wurde. Um 2005 setzt dann die Professionalisierungs- und Profilierungsphase der Schulsozialarbeit in der Deutschschweiz ein, die, parallel zum inzwischen auf tieferem Niveau weiterlaufenden Ausbau, bis heute andauert. Sie zeichnet sich durch eine zunehmende Vernetzung der Praxis und durch fachliche Konkretisierung des Profils aus, die durch die Praxis und Wissenschaft gefördert wird (Baier, 2011a).

Mit der Schulsozialarbeit hat sich in den vergangenen Jahren ein neues Handlungsfeld der Kinder- und Jugendhilfe entwickelt. Es ist aktuell wohl das am stärksten expandierende Praxisfeld der Sozialen Arbeit. Es ist heute unbestritten, dass ein hoher Bedarf an Schulsozialarbeit besteht; wo sie eingeführt wurde, ist sie kaum mehr wegzudenken. In mehreren Regionen sind deshalb Bestrebungen im Gange, die Schulsozialarbeit flächendeckend in allen Gemeinden einzuführen, Stellen für kantonale Beauftragte einzurichten und bestehende Angebote weiterzuentwickeln (Gschwind, 2014). Die Gründe für die Einführung und Ausdehnung der Schulsozialarbeit sind aber regional sehr unterschiedlich. Sie reichen von der Prävention und Bearbeitung von psychosozialen Problemlagen der Schülerinnen und Schüler oder der Behebung von Störungen im Schulalltag über die Entlastung der Schule und Lehrpersonen bis hin zur Schulentwicklung (Ziegele, 2014).

2.1.3 Organisation der Schulsozialarbeit in der Deutschschweiz

Aufgrund der heterogenen Ausgangslagen und des unterschiedlichen Bedarfs wird die Schulsozialarbeit seit den Anfangsjahren vor allem auf kommunaler Ebene eingeführt (Baier, 2011a; Ziegele, 2014). Die Gestaltungs- und Entscheidungskompetenz liegt mehrheitlich bei den Gemeinden; Kantone werden erst aktiv, wenn mehrere Gemeinden eines Kantons Schulsozialarbeit einführen und beim Kanton um Unterstützung ersuchen (Baier, 2011a). Dass die Autonomie und Gestaltungsfreiheit bei den Gemeinden liegen, hat den Vorteil, dass sich die Schulsozialarbeit den regionalen Eigenheiten besser anpassen und ihre Angebote dem lokalen Bedarf entsprechend ausrichten kann. Auf der anderen Seite erschwert die resultierende Vielfalt gleichzeitig eine national einheitliche Ausrichtung und Profilbildung der Schulsozialarbeit (Baier, 2011a; Ziegele, 2014).

Ein Aspekt dieser Vielfalt sind die verschiedenen Trägermodelle. Auf kantonaler, regionaler oder kommunaler Ebene ist die Schulsozialarbeit entweder einer öffentlichen Sozialverwaltung oder einer Schulverwaltung oder auch direkt einer Schule angegliedert. An einigen Standorten gibt es Formen der doppelten Anbindung, bei der die Schulsozialarbeit fachlich an die Sozialverwaltung angebunden ist und personell von der Schule oder der Schulverwaltung geführt wird (Gschwind, 2014; Wulfers, 1996). Ausserdem kann die Schulsozialarbeit einem nichtstaatlichen Träger aus dem Sozialbereich unterstellt werden (z.B. Vereine, freie Zweckverbände, Sozialfirmen) (Iseli, Stohler, 2012). Im Vergleich etwa zur Situation in Deutschland sind solche Trägerformen in der Schweiz aber sehr selten.

Die unterschiedlichen Versorgungsmodelle sind ein weiterer Aspekt der organisatorischen Vielfalt von Schulsozialarbeit. Die Schulsozialarbeit kann je nach regionalen und strukturellen Verhältnissen in integrierter oder ambulanter Form in den Schulen arbeiten (Iseli, Grossenbacher, 2013). Bei einem integrierten Versorgungsmodell ist die Schulsozialarbeit räumlich in eine Schule integriert. Die Schulsozialarbeitenden sind regelmässig und mit einem grösseren Stellenpensum vor Ort präsent, was einen niederschwelligen Zugang für Nutzerinnen und Nutzer der Schulsozialarbeit begünstigt. Bei einem ambulanten Versorgungsmodell werden meist mehrere kleine Schulstandorte von einer zentralen Stelle aus mit Dienstleistungen versorgt. Es gibt regelmässige Sprechstunden und Kontakte vor Ort; Präsenzzeiten und Leistungsangebot sind in der Regel aber zeitlich und umfangmässig eingeschränkter als bei einem integrierten Versorgungsmodell. Beide Versorgungsmodelle – integrierte wie ambulante – setzen allerdings angemessene räumliche Bedingungen für eine effektive Schulsozialarbeit voraus. Dazu gehört, dass die Schulsozialarbeitenden über ein eigenes Büro und/oder störungsfreie, nicht einsehbare Räumlichkeiten an den Schulen verfügen. Diese Räumlichkeiten sollten in der Schule zentral gelegen sein, damit ein direkter und möglichst niederschwelliger Zugang für Schülerinnen und Schüler, Lehrpersonen und Eltern gewährleistet werden kann (Iseli, Grossenbacher, 2013; Speck, 2009).

Weitere Voraussetzungen, die in der Literatur für den Erfolg der Schulsozialarbeit hervorgehoben werden, sind professionelle Neutralität und fachliche Unabhängigkeit von der Schule. Sie erlauben der Schulsozialarbeit, ein eigenständiges Profil herauszubilden (Speck, 2009; Wulfers, 1996). Gleichzeitig ist aber eine gute Integration der Schulsozialarbeit ins System Schule unerlässlich. Eine solche zeichnet sich durch die sorgfältige Einführung der Schulsozialarbeit ins Kollegium, die Sicherstellung des Informationsflusses zwischen allen Beteiligten, das Vorhandensein von Gefässen für den Austausch und von klaren Abläufen und Verantwortlichkeiten aus. Insofern bewegt sich die Schulsozialarbeit immer in einem gewissen Spannungsfeld. Auf der einen Seite braucht sie Unabhängigkeit, andererseits auch Nähe zur Schule und Akzeptanz beziehungsweise Unterstützung bei Schulleitungen und Lehrpersonen (Iseli, Grossenbacher, 2013). Um vor diesem Hintergrund Unsicherheiten und Konflikte zu vermeiden, empfiehlt die Fachliteratur, die Kooperation zwischen Schulsozialarbeit und Schule verbindlich zu regeln. Dazu gehören beispielsweise gegenseitige schriftliche Vereinbarungen über Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten aller Beteiligten, Verfahrensabläufe bei Konflikten und im Umgang mit sozialen Problemen sowie zur Einbindung der Schulsozialarbeit in die Schulentwicklung. Empfohlen werden regelmässige Planungs- und Reflexionsgefässe, die Schulsozialarbeit, Schulleitung und Lehrpersonen zusammenbringen (AvenirSocial, 2006a; Iseli, Grossenbacher, 2013; Speck, 2009). Solche Vereinbarungen und Strukturen sind nicht zuletzt auch deshalb wichtig, weil neben der Schulsozialarbeit noch andere Unterstützungsangebote im Kontext der Schule bestehen, wie etwa die Heilpädagogik oder Erziehungsberatung, die – zumindest auf den ersten Blick – ähnlich positioniert sind wie die Schulsozialarbeit (Wagner, Kletzl, 2013).

Angesichts der hohen Anforderungen an die Schulsozialarbeit sowie der Tatsache, dass es verschiedene Zielgruppen und Kooperationspartnerinnen und Kooperationspartner gibt, kommt den fachlichen Kompetenzen der Schulsozialarbeitenden eine hohe Bedeutung zu. Die beruflichen Anforderungen setzen eine abgeschlossene Ausbildung in Sozialer Arbeit auf Tertiärstufe voraus und zusätzlich den Besuch gezielter Weiterbildungen. Zudem verfügen die Schulsozialarbeitenden idealerweise bereits über Berufserfahrung in einem anderen Bereich der Sozialen Arbeit und im Umgang mit Kindern und Jugendlichen (AvenirSocial, Schulsozialarbeitsverband [SSAV], 2010b, o.J.).

In der Schweiz sind Angebote der Schulsozialarbeit mittlerweile in beinahe allen Schulformen und Stufen der obligatorischen Schulzeit vorhanden. In einigen Regionen ist es durchaus üblich, dass die Kinder vom Kindergarten oder den ersten beiden Jahren der Eingangsstufe bis zum Abschluss der obligatorischen Schulzeit durch Angebote der Schulsozialarbeit begleitet sind. Zunehmend etabliert sich die Schulsozialarbeit auch an Gymnasien und Berufsschulen. Die Angebote und Leistungen orientieren sich dabei an den verschiedenen Zielgruppen und am lokalen Bedarf. Es ist deshalb wenig erstaunlich, dass die einzelnen institutionalisierten Angebote von Schulsozialarbeit in ihrer Praxis unterschiedliche Profile herausgebildet haben. Sie setzen sich einmal aus unterschiedlichen Leistungsbereichen wie Prävention und Früherkennung, Beratung und Unterstützung, Information und Kooperation, Triage und Vernetzung zusammen, die zudem je unterschiedlich gewichtet werden. Der Grad der Mitwirkung der Schulsozialarbeit bei der Schulentwicklung unterscheidet sich ebenfalls.

 

Auf nationaler Ebene gibt es in der Schweiz zwei berufsständische Vertretungen der Schulsozialarbeit. Der Berufsverband AvenirSocial umfasst alle Handlungsfelder der Sozialen Arbeit. Für die Schulsozialarbeit haben sich auf nationaler Ebene bei AvenirSocial sowie in einzelnen Kantonssektionen Fachgruppen zur Schulsozialarbeit gebildet. Sie organisieren Veranstaltungen und setzen sich für die Profilierung des jungen Handlungsfeldes der Sozialen Arbeit ein. Parallel zu AvenirSocial ist der Schulsozialarbeitsverband (SSAV) entstanden, der als regionales Netzwerk im Raum Luzern gegründet wurde und sich heute ebenfalls zu einem nationalen Netzwerk für Schulsozialarbeitende weiterentwickelt hat. In den vergangenen Jahren haben beide Berufsverbände mit dem Ziel der Profilierung der Schulsozialarbeit insgesamt in mehreren Fragen und Projekten zusammengearbeitet. So wurden beispielsweise nationale Qualitätsrichtlinien für die Schulsozialarbeit von einer gemeinsamen Arbeitsgruppe beider Berufsverbände überarbeitet und angepasst (AvenirSocial, Schulsozialarbeitsverband [SSAV], 2010a).

2.2 Ergebnisse

Die nun folgenden Auswertungen haben zum Ziel, den aktuellen Stand und die Organisation der Schulsozialarbeit in der Deutschschweiz zu dokumentieren. Im ersten Teil geht es um die Verbreitung der Schulsozialarbeit in den Deutschschweizer Kantonen. Im zweiten Teil werden die organisatorischen Rahmenbedingungen der Angebote beschrieben. Dabei liegt der Fokus besonders auf den verschiedenen Formen von Trägerschaft, den räumlichen Bedingungen der Schulsozialarbeit in den Schulen, auf dem Grad ihrer Integration in die Schulen und den persönlichen Merkmalen der Schulsozialarbeitenden. Im dritten Teil werden Ergebnisse zu den Leistungen und Tätigkeitsbereichen der Schulsozialarbeitenden vorgestellt. Alle Ergebnisse basieren auf den Daten unserer Befragung von über 800 Schulsozialarbeitenden, die mit deskriptiven statistischen Methoden analysiert wurden. Weiter kamen Zusammenhangsanalysen (Rangkorrelationsanalysen nach Spearman) und Unterschiedsanalysen (Kruskal-Wallis-Test) als statistische Verfahren und Tests zum Einsatz.

2.2.1 Einführung und Verbreitung der Schulsozialarbeit
Einführungsjahr der Schulsozialarbeit

Die Schulsozialarbeit ist ein sehr dynamisches Arbeitsfeld, das sich seit Ende der 1990er-Jahre in ausgeprägtem Wachstum befindet. Abbildung 4 bildet diese Entwicklung bis ins Jahr 2017 ab. Die obere Linie zeigt dabei den kumulierten prozentualen Anteil von Schulen in unserer Stichprobe, die im entsprechenden Jahr Schulsozialarbeit eingeführt haben. Die untere Linie zeigt dieselbe Entwicklung, aber in nicht kumulierten Prozentangaben pro Jahr.

Diese Ergebnisse stimmen teilweise mit dem Phasenmodell zur Entwicklung der Schulsozialarbeit nach Baier (2011a) überein. So ist ersichtlich, dass in der Pionierphase bis Ende der 90er-Jahre nur an wenigen Schulen Schulsozialarbeit eingeführt wurde: in lediglich 5.5 Prozent aller Schulen unserer Stichprobe (n = 690) vor dem Jahr 2000. Die Resultate bestätigen auch, dass ab 2000 ein Ausbau stattgefunden hat, der selbst nach 2005 und mit Beginn der Professionalisierungs- und Profilierungsphase andauerte. Gemäss unseren Daten hat die Ausbauphase in der Zeit zwischen 2005 und 2012 ihren Höhepunkt erreicht. Während bis 2004 knapp ein Viertel (24.6 %) der Schulen in unserer Stichprobe Schulsozialarbeit eingeführt hatten, waren es 2012 bereits 84.2 Prozent. Das heisst, dass drei Fünftel (59.7 %) der Schulen die Schulsozialarbeit zwischen 2005 und 2012 neu implementiert haben. Erst ab 2012 flacht die Kurve allmählich ab. Bis 2017 sind zwar jährlich neue Schulen mit Schulsozialarbeit hinzugekommen, aber die Zuwachsrate hat sich im Vergleich zu früheren Jahren deutlich reduziert.


Abbildung 4: Einführung der Schulsozialarbeit (SSA) an Schulen pro Jahr (n = 690)

Dass ab 2000 viele neue Angebote von Schulsozialarbeit geschaffen wurden, hängt gemäss Helfenstein et al. (2008) möglicherweise mit der veränderten öffentlichen Wahrnehmung von Jugendgewalt zusammen. Die Themen «Jugendgewalt» und «Jugendkriminalität» haben in den Medien grosse Beachtung gefunden und so den öffentlichen Druck auf die Schulen stark erhöht. Die nachdrücklichen Forderungen nach Massnahmen zur Lösung der Gewaltproblematik waren wohl mitverantwortlich, dass Schulen vermehrt Schulsozialarbeit eingeführt haben. Einfluss dürfte auch die Zunahme der Probleme von Jugendlichen beim Übertritt von der obligatorischen Schule in die Berufsbildung gehabt haben, die sich zu jener Zeit auch im Anstieg der Jugendarbeitslosigkeit zeigten. Der vermehrte Einsatz von Schulsozialarbeitenden in der obligatorischen Grundschule wäre also als Massnahme zu lesen, um die Jugendlichen besser auf den Übergang ins Berufsleben vorzubereiten und zu unterstützen (Helfenstein et al., 2008). Die für die Schweiz ernüchternden Ergebnisse der ersten Pisa-Studie zur Jahrtausendwende, insbesondere was die Bildungschancen von sozial benachteiligten Schülerinnen und Schülern betraf, haben den Ausbau der Schulsozialarbeit wahrscheinlich ebenfalls begünstigt. Inzwischen ist die Schulsozialarbeit kaum mehr umstritten und wird häufig als notwendige Folge des gesellschaftlichen Wandels und der damit einhergehenden Veränderungen in den Schulen angesehen (Helfenstein et al., 2008; Vögeli-Mantovani, Grossenbacher, 2005). Der Ausbau der Angebote könnte zudem zu einer gewissen Eigendynamik geführt haben, die die Einführung zusätzlicher Angebote nach sich gezogen hat.

(Kantonale) Verbreitung der Schulsozialarbeit im Rückblick und heute

Für das Jahr 2007 konnten Helfenstein, Krieg und Mettler (2008) in ihrer Bestandsaufnahme in 21 Kantonen der Deutschschweiz 350 Schulsozialarbeitende ausfindig machen. Sechs Jahre später gingen Gschwind (2014), Seiterle (2014) und Ziegele (2014) auf der Basis von Selbstauskünften kantonaler Stellen von nahezu 900 Schulsozialarbeitenden in den deutschsprachigen Kantonen aus. Ihre Ergebnisse wiesen auch auf grosse Unterschiede zwischen den Kantonen und einzelnen Gemeinden bei der Anzahl Schulsozialarbeitenden, den Gesamtstellenprozenten und der Anzahl versorgter Schülerinnen und Schüler pro Vollzeitstelle hin.

Tabelle 5 zeigt die Versorgung mit Schulsozialarbeit in den von uns untersuchten Kantonen. Insgesamt haben wir anhand bestehender kantonaler Listen und durch intensive Recherchen im Internet sowie durch Auskünfte der Gemeinden 1059 Schulsozialarbeitende identifiziert, die von August 2016 bis Dezember 2017 in einem formalen Anstellungsverhältnis tätig waren. Im Vergleich zu den bei Gschwind (2014) identifizierten 900 Schulsozialarbeitenden in Primar-, Sekundar- und Berufsschulen war also auch für die drei Jahre, die zwischen den Studien liegen, eine deutliche Zunahme der Anzahl Schulsozialarbeitenden zu verzeichnen, obschon unsere Untersuchung die Sekundarstufe II nicht einbezogen hat. Gemäss unseren Analysen hat der Anteil der Schulsozialarbeitenden im Vergleich zum Jahr 2013 in fast allen Kantonen (abgesehen von Glarus, Zug und Appenzell-Ausserrhoden) zum Teil noch einmal deutlich zugelegt. Besonders hoch war die Zunahme in den Kantonen Basel-Stadt und Solothurn. Im Kanton Glarus identifizierten wir für 2017 mit sechs Schulsozialarbeitenden zwei Personen weniger als Gschwind (2014) vier Jahre zuvor. Zum Zeitpunkt unserer Erhebung gab es im Kanton Appenzell-Ausserrhoden weiterhin keine Schulsozialarbeit, lediglich schulsozialarbeitsähnliche Angebote. In den Kantonen Zug und Appenzell-Innerrhoden blieb die Anzahl der Schulsozialarbeitenden stabil.

Tabelle 5: Versorgung der Kantone mit Schulsozialarbeit (Stand Dezember 2017)


Anzahl Schulsozialarbeitende Versorgung im Kantonsgebiet
Kanton absolut in % pro 1000 SuS* Anzahl SuS* pro VZÄ** Schulsozialarbeit Bewertung insgesamt***
AG 156 14.8 2 706 ++
ZG 29 2.7 2 745 ++
BS 32 3.0 1.7 773 ++
ZH 330 31.1 2 800 +
SG 103 9.8 1.8 864 +
OW 8 0.8 2.0 896 +
NW 10 0.9 2.4 925 +
LU 83 7.9 1.9 953 +
TG 49 4.6 1.6 971 +/–
SH 11 1.0 1.3 978 +/–
GL 6 0.6 1.4 1020 +/–
SZ 22 2.1 1.3 1232
BL 42 4.0 1.3 1286
SO 33 3.1 1.2 1353
GR 21 2.0 1.1 1462 – –
BE 105 9.9 1.0 1440 – –
UR 3 0.3 0.8 2193 – –
FR 8 0.8 . . .
VS 7 0.7 . . .
AI 1 0.1 0.6 . .
AR 0 0.0 0.0 0 – –
Total 1059 100.0 1.6 967 +/–

Anmerkungen: In den Kantonen Bern, Freiburg und Wallis wurden die französischsprachigen Gebiete und die Schulsozialarbeitenden, die in diesen Regionen wirken, nicht berücksichtigt. * SuS = Schülerinnen und Schüler, einschliesslich solcher aus Schulen ohne Schulsozialarbeit ** VZÄ = Vollzeitäquivalent (Vollzeitstelle) *** Abweichung von der ermittelten durchschnittlichen Anzahl SuS pro VZÄ von 967: ++ mehr als 20 % weniger SuS, +1 % bis 20 % weniger SuS, +/–1 % bis 20 % mehr SuS, –20 % bis 40 % mehr SuS, – mehr als 40 % mehr SuS

 

Die kantonalen Schwankungen bei der Anzahl der Schulsozialarbeitenden lassen sich unter anderem durch die Einwohnerdichte der Kantone und ihre Schülerinnen- und Schülerzahlen begründen. In den grossen Kantonen mit den meisten Schülerinnen und Schülern – Zürich, Bern, Aargau und St. Gallen – sind mit Abstand die meisten Schulsozialarbeitenden tätig. In diesen Kantonen wurde die Schulsozialarbeit auch ausserhalb der grösseren Städte seit Beginn der 2000er-Jahre eingeführt und damit tendenziell früher als in den kleineren oder stark ländlichen Kantonen wie Uri, Glarus, Nidwalden oder Graubünden, die etwa fünf Jahre später mit der Implementation von Schulsozialarbeit begannen. Nicht immer verfügen die grösseren Kantone aber über eine bessere Versorgung mit Schulsozialarbeit. Die Kantone Ob- und Nidwalden sind beispielsweise überdurchschnittlich gut versorgt, wenn die Anzahl Schülerinnen und Schüler als Bezugsgrösse dient. Hier kommen auf 1000 Schülerinnen und Schüler 2.0 bis 2.4 Schulsozialarbeitende, und pro Vollzeitstelle werden 896 bis 925 Schülerinnen und Schüler versorgt. Damit schneiden diese Kantone deutlich besser ab als Bern und Graubünden, wo mit einem Vollzeitäquivalent durchschnittlich 1440 bis 1462 Schülerinnen und Schüler von der Schulsozialarbeit unterstützt werden. Dieser Vergleich deutet darauf hin, dass neben der Zahl der Schülerinnen und Schüler noch weitere Faktoren dafür verantwortlich sind, dass die Versorgung mit Schulsozialarbeit je nach Kanton sehr unterschiedlich ausfällt. Gemäss unseren Berechnungen ist insbesondere in den Kantonen Aargau, Zug und Basel-Stadt die Ausstattung mit Schulsozialarbeit bezogen auf die Anzahl Schülerinnen und Schüler im Vergleich zu den anderen Kantonen überdurchschnittlich. Auch die Kantone Zürich, St. Gallen, Obwalden, Nidwalden und Luzern liegen über dem Deutschschweizer Schnitt.