Symbolische Dimension des Wohnens in der Stadt

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Symbole als Gefühlspartner und Identitätsstifter

Und die Welt hebt an zu singen, triffst du nur das Zauberwort.

(Joseph von Eichendorff)

Symbole sind Zauberworte, sie dienen der Selbstvergewisserung. Symbole haben diese Dimension von etwas Wunderbarem und des Geheimnisvollen, indem sie über den Gegenstand, die Situation, die Person hinaus auf etwas Unbestimmbares, Unendliches hinweisen. Sie spielen eine Rolle im Event, in der Landmark, im Höhenrausch, im Abgrund, im Gefühlskitsch. Sie sind nicht gut oder schlecht, aber sie können gute oder schlechte Wirkungen entfalten.

Der Tierpfleger Andreas Dörflein, der den Eisbären Knut im Berliner Zoo im Jahre 2007 mit der Flasche aufgezogen hatte, war über seine Popularität nicht immer glücklich. Er äußerte einmal, es sei schon irre, was in den Gesichtern der Zuschauer vor sich gehe, die hätten oft so einen Ausdruck, als sei ihnen der Heiland erschienen. Ganz offensichtlich erschien der Tierpfleger zusammen mit dem Eisbären Knut etlichen Menschen als Heilssymbol, als Symbol einer heilen Welt, als Symbol für das Paradies.

Der Pekinger Konzeptkünstler Zhao Bandis hatte ein Symbol der Stadt Chengdu beschädigt. Chengdu versteht sich als Panda-City. Pandas sind für die Stadt nicht einfach wilde Tiere, sondern eine Ressource, eine Industrie, eben ein Symbol für die Stadt. Der Künstler hat eine Panda.-Modenschau vorgeführt mit Models, die in schwarz-weißen Dessous und mit Plüschohren aufgetreten sind. Aufgrund der Empörung, die diese Modenschau hervorgerufen hat, wurde in Chengdu ein Gesetz auf den Weg gebracht, das die öffentliche Beleidigung von Pandas künftig unter Strafe stellen sollte.

Was Symbolkraft hat, geht über ein Objekt in seiner Gegenständlichkeit hinaus und stellt Verbindung her zu einem Ideal, einem Unbestimmbarem und Unendlichen, wie es die Liebe oder die Freiheit, Frieden oder Gerechtigkeit, Treue, Ehre, Tapferkeit oder eben auch das Paradies darstellt. Als „Gefühlspartner“ öffnen die Symbole Resonanzräume für die entsprechenden Gefühle, für dieses „Nichtauslotbare“. Sie lassen Kräfte ins Fließen und Menschen ins Schwärmen kommen, und sie können dem Leben Weite und Richtung geben. Symbole sind im Bewussten wie im Unbewussten an solche Gefühle gebunden. Zustimmung und Ablehnung erfolgen aus diesen Gefühlen heraus. Soziales Verhalten, Zusammenarbeit und gutes Zusammenleben gründen sich auf positive Gefühle. Ein guter Ruf, ein gutes Bild strahlen als symbolische Qualität nach außen, und die Gruppe oder die Gemeinschaft definiert sich in ihrer sozialen und politischen Identität darüber. Heute geschieht das auch oft mithilfe eines Instruments, einer Marke.

Die Gemeinschaft der Gefühle der Zusammengehörigkeit ist noch bei manchen Stammesgesellschaften ausgeprägt, deren Ordnung von Symbolen geprägt ist, die auf eine unsichtbare, mythische Welt bezogen sind, die hinter der sichtbaren existiert. In dieser Welt ist alles bedeutsam, nicht nur Skulpturen, Reliefs, Statuen — auch ihre Alltagsgegenstände und die Landschaft, in der sie leben. Störungen der Ordnung bringen Unheil. Ein Stamm mit etwa 300.000 Menschen im Südosten Malis, die Dogon, lebt in einer solchen Welt, in der ihm seine Symbole und Rituale heilig sind, und die für ihn Heilkraft haben. Im Jahr 1989 hat die UNESCO die Traditionen der Dogon zusammen mit den spektakulären Felsen von Bandiagara als Kultur- und Naturerbe in die Welterbeliste aufgenommen.

Heilkraft können Mythen, Symbole und gute Rituale auch im modernen Umfeld entfalten. Es erfordert keinen Aberglauben oder die Sehnsucht nach archaischer, ursprünglicher Lebensweise, um sich über Mythen, Symbole und Rituale mit sich selbst und mit seinem Umfeld in Verbindung zu bringen. Die Unbefangenheit, mit der die alten Juden im polnischen Schtetl zusammen mit den mythologischen Dibbons lebten, erlaubte ihnen zum Beispiel, einem solchen Untoten auch mal ein Messer in die Brust zu stoßen, um sich von ihm zu befreien. Ähnliches kann bei Visualisierungen in einer modernen Psychotherapie erfolgen.

Ähnliches gilt für das Verständnis von Kunst und für die eigene kreative Betätigung, bis hin zum Verständnis der eigenen Träume und Fantasien. Mythologische Bilder und Symbole und symbolische Gegenstände haben Heilkraft oder können Heilkraft für Menschen entwickeln, die dafür offen sind und die sich in diesen Bildern selbst erfahren können.

Placebo- und Nocebo-Effekte geben einen Hinweis darauf, was möglich ist im Hinblick auf „den Zauber“ den ein Wort, ein Gegenstand oder eine Umwelt auslösen können. Es ist inzwischen bekannt, dass die Auflistung der Nebenwirkungen in den Beipackzettel von Medikamenten oder die Bilder aus Röntgenuntersuchungen und von Kernspintomografieuntersuchungen manchen Patienten nicht aus dem Kopf gehen. Ihre Angstreaktion vor diesen Nebenwirkungen kann das gefürchtete Unheil herbeirufen.

Symbole haben so in der Menschheitsgeschichte immer eine besondere, wenn auch widersprüchliche und unterschiedlich interpretierte Rolle gespielt. Sie sind vielschichtig, aber auch einzigartig und unvergleichlich. Sie haben ihre kleineren und größeren Fan-Gemeinden, für die sie konsens- und identitätsstiftend sind. Damit sind sie aber auch immer umstritten.

Zustimmung oder Ablehnung können gleichermaßen erfolgen, wie das offensichtlich bei dem eingangs beschriebenen Weg um den Griebnitzsee in Potsdam der Fall ist. Für die eine Gruppe stellt er ein starkes Symbol dar, für einige Eigentümer repräsentiert er aber lediglich ihr Eigentum. Die Vehemenz der Gefühle verweist auch auf das als symbolisch empfundene „Vermögen“, das jemand um keinen Preis hergeben möchte.

„Symbolisches Vermögen“ im physischen und psychischen Sinne sind Kulturschätze — Bilder, Orte, Bauwerke und Landschaften auf der Schwelle zwischen dem Bewussten und dem Unbewussten ihrer Betrachter. Zwischen den Personen und den Objekten existieren Beziehungen und in diesem „Beziehungsraum“ existiert „das Symbolische“. Eine Sicht, die den Blick auf die Dimension des Symbolischen freigibt, lässt die Welt der Bedeutungen, des Irrealen, der Kunst und der Mythen in allem, was erklärt und was nicht erklärt werden kann, in Erscheinung treten. In einem Interview zur Kunst zwischen dem Künstler Anselm Kiefer und dem Verlagsmanager Mathias Döpfner (DER SPIEGEL, 2011) äußert sich Döpfner wie folgt: Die Rationalität des Gesellschaftslebens wird oft überschätzt. Für jedes Business, egal ob Autos, Kosmetik oder Zeitungen, gilt: Erfolg entsteht aus Gefühlen, nicht aus dem Taschenrechner. Gefühle und Intuitionen der Hersteller und der Kunden, der Absender und der Empfänger. Zahlen machen das Erreichte sichtbar. Zahlen allein schaffen gar nichts.

Mit den Gefühlen verbinden sich Bedeutungserfahrungen. Je nach Herkunft, kulturellem Hintergrund und Bewusstheitszustand von Menschen werden Symbole unterschiedlich gedeutet und auch in unterschiedlicher Tiefe erfahren. Die Bedeutungserfahrungen des Symbolischen sind immer zunächst individuell. Jemand findet sich in einem anderen oder in etwas anderem wieder und fühlt sich von diesem berührt oder „erkannt“ und in seiner Existenz bestätigt. Manche Symbole — sei es ein Gegenstand in der Wohnung, der für den Bewohner bewusst oder unbewusst symbolische Qualität hat, sei es ein Objekt in der Stadt, zu dem sich jemand hingezogen fühlt — erweisen sich als besser, als intensiver, eindrücklicher oder nachhaltiger als andere. Und so ist es naheliegend, dass Künstler, Gestalter, Planer, Architekten, aber auch jeder einzelne Mensch für sich selbst die symbolische Qualität der Objekte bewertet, mit denen er sich umgibt, die jemand herstellt und die einem guttun. Nicht jeder Gegenstand, nicht jede Fassade, jeder Platz, jede Straßenkreuzung, nicht jedes Stadtmöbel hat einen besondern Bezug für die Bewohner. Es sind jeweils bestimmte Objekte, die Assoziationen hervorrufen, und die sich als bedeutungsvoll für Wendungen in der Lebensgeschichte der Bewohner oder im Kontext des Lebens in der Stadt gezeigt haben. Es werden Gefühle ausgelöst und die Möglichkeiten für emotionale Anteilnahme, Identifikation und Identität geschaffen. Veränderungen in, Gestaltungen und Umgestaltung von Räumen können damit auch Veränderungen im Erleben und Verhalten der Menschen in der Stadt zur Folge haben.

Auslöser für Wunderbares und Identitätsstiftendes kann alles Mögliche sein: Dinge, Musik, Situationen, das Verhalten von Menschen, Ereignisse, Gebäude, Räume, Straßen, Plätze, Gestalten ... Nicht alles, aber alles, was sich für einzelne Menschen, Gruppen oder Mengen als Symbol eignet, ist Botschafter solcher Identitätsstiftung und kann das individuelle oder sogar das kollektive Bewusstsein von Menschen erschüttern.

Bei manchen Pop-Stars wie Madonna, dem verstorbenen Michael Jackson oder Steven Patrick Morrisey ist eine solche konsens- und identitätsstiftende Wirkung in all ihrer Widersprüchlichkeit auch für jemanden, der kein Fan ist, erfahrbar. Mit ihrer Musik finden Stars „die richtigen Worte“, und wer die „richtigen Worte“ oder den „richtigen Ausdruck“ findet, wird für seine Fans zum Symbol. Die kulturellen Symbole einer Gruppe der Gesellschaft erzeugen Gemeinsamkeiten bezüglich dem, was dieser Gruppe am Herzen liegt.

Die Bildsprache der Symbole übermittelt emotionale, mentale und soziale Bedeutungen, von denen Menschen über den sachlichen Gegenstand hinaus ergriffen und fasziniert werden. Durch sie dringt etwas Unendliches in das endliche Leben ein. Das entsprechende Vertrauen hat einen irrationalen Kern. Vertrauen ist nicht Gewissheit, aber die Gestalten, wenn sie als „hilfreiche Monster“ erscheinen, können ein entspanntes Verhältnis zu den Unsicherheiten des Lebens aufkommen lassen. So können Symbole bei der Bewältigung existenzieller Lebenssituationen helfen, wenn sie mit Potenzialen der Psyche korrespondieren und wenn sich die mentalen Modelle im Innen und die physischen Strukturen im Außen in Einklang bringen lassen.

 

Selbstsymbole können hilfreiche und identitätsstiftende Symbole für das einmalige Individuum sein, das jeder Mensch ist. Symbole in der Stadt können als Ausdruck für „das Richtige“, für Nachhaltigkeit, für Zukunftsfähigkeit, für die Hingabe an das Leben, für Dauer und Beständigkeit, für Mut, für Lebensfreude, für Vergänglichkeit und Verwandlung stehen.

Ein Symbol für deutsch-türkische Freundschaft sollte seinerzeit der Pamukkale-Brunnen im Görlitzer Park in Berlin werden. Er wurde aufgrund baukonstruktiver Mängel abgerissen, ohne dass er jemals recht in Betrieb gegangen war. In einer Stadt können Symbole wie dieser Brunnen die Bindung und Verbindung der Bevölkerung bewirken. Sie reduzieren den Angstlevel durch Dinge, die von den Bewohnern geliebt werden. Für wen solche Symbole einen positiven Bezug und Bedeutung haben, für den sind sie auch identitätsstiftend. Je mehr Menschen etwas mit der Botschaft eines Symbols anfangen können, desto mehr Anziehungskraft entwickelt das Symbol. Der Abriss des Brunnens ist nunmehr ein Symbol für das Gegenteil, für eine Ablehnung, für die Äußerung des „Nichtgewolltseins“, auch wenn der Grund des Abrisses ein technischer und kein ideologischer gewesen ist.

Symbole als Gefühlspartner und Identitätsstifter zu entdecken, heißt für die Verantwortlichen, ein Symbolverständnis zu entwickeln, das Verantwortung für die Symbole als kulturprägende Reflexions- und Projektionsfläche im öffentlichen Raum übernimmt. In den Orten und bei Objekten, die sich als Projektionsflächen eignen, indem sie die Gemeinsamkeiten zwischen Menschen hervorrufen und wo Menschen sich selbst wiederfinden, lebt die Stadt. Daraus bezieht sie ihre Identität. Vor diesem Hintergrund dürfte der Abriss von Gebäuden, in denen legendäre Veranstaltungen stattgefunden haben, nicht vorrangig mit der Begründung erfolgen, dass diese Gebäude nicht mehr zeitgemäß seien. Das gilt zum Beispiel für den Abriss des Sportpalastes in Berlin, in dem Goebbels seine Rede hielt, die mit dem Aufruf zum „totalen Krieg“ und einer Hysterie der Teilnehmer endete, eine Emotionalität, die heute ohne dieses Raumgefühl kaum mehr glaubhaft erscheint. Das gilt auch für das langsame Verschwinden des Palastes der Republik und für das schnelle Verschwinden der Mauer, die Berlin geteilt hat. Das Entsetzen für solche Geschehnisse hat keinen Ort mehr.

Zur Begrifflichkeit der Symbole

Symbole sind bedeutungsvolle Zeichen — Zeichen, die über einen Bedeutungsüberschuss verfügen. Sie repräsentieren eine Ganzheit von etwas Auseinandergerissenem, so wie es der griechische Ursprung des Begriffs „symballein — zusammenfügen“ zum Ausdruck bringt.

Der Bedeutungshorizont des Begriffs ist vielgestaltiger, reichhaltiger und umfassender, als es der allgemeine Sprachgebrauch annimmt. Ein Verkehrszeichen vermittelt seine Bedeutung konkret und eindimensional, selten lösen Verkehrszeichen Emotionen aus, höchstens, wenn jemand ein solches Zeichen als „ungerecht“ empfindet. Da gibt es aber keinen reichhaltigen Bedeutungsüberschuss und es darf ihn im Sinne eines fließenden Verkehrs auch nicht geben.

Sofern die Umwelt als Zeichensystem gelesen wird, geben die Dinge der Umwelt als Zeichen Aufschluss über die semantische, syntaktische und pragmatische Weise, in der sie funktionieren. Unter dem syntaktischen Aspekt zeigen sie sich in der Weise, wie sie zueinanderpassen, unter dem pragmatischen zeigen sie ihre Handhabung und unter dem Blickwinkel ihrer Bedeutung — semantisch/symbolisch — geht es um eben dieses „Mehr“ und „Darüber hinaus“.

Symbole sind Mittler und Vermittler von mehrschichtigen bis hin zu widersprüchlichen Bedeutungen. Sie sind „Versprechen“ auf etwas anderes. Sie sind Dolmetscher, aber ohne das, was sie vermitteln, zu erklären. Sie sind vergleichbar mit Brücken in eigene innere psychische Räume. Im psychoanalytischen und -therapeutischen Gebrauch sind sie allgegenwärtig.

5.000 Symbole erläutert Sven Frotscher, und er konstatiert ein enormes Interesse an diesem Begriff in den verschiedenen Fachdisziplinen. Er stellt eine Übersicht von Definitionen bzw. Klassifikationen zusammen, die belegen, wie sehr sich dieser vieldeutige Begriff in den Fachdisziplinen unterscheidet und sich dadurch der Definition entzieht (Frotscher, 2006). In seiner Übersicht anhand der Fachdisziplinen und ausgewählter Vertreter lässt er Architektur, Bauwesen und Baugeschichte allerdings außer Acht. Dabei verdichtet sich gerade in der Formensprache der Bauwerke und in der Stadtgestalt die Komplexität der Realität zur symbolischen Qualität. Jedes Bauwerk, jedes Objekt kann für jemanden zum Symbol werden, die Kirche wie das Tor, das Haus wie das Bett — der Turm, die Brücke, die Schwelle, der Baum können als Symbole zum Beispiel für den Körper, für einen Übergang, für das Leben dienen.

Bei einem engen Symbolbegriff sind Bild, Zeichen und Bedeutung im Sinne einer Entsprechung „pragmatisch“ eng miteinander verbunden, wie das z.B. bei Flaggen oder Wappen der Fall ist. Auch hier gibt es einen Bedeutungsüberschuss, der aber erläutert und begründet werden kann.

Als Beispiel kann die amerikanische Flagge dienen: Vor den letzten Präsidentschaftswahlen verteilten amerikanische Wissenschaftler Online-Formulare, in denen Menschen ihre Wahlabsichten angeben sollten. Auf einigen Fragebögen war eine kleine amerikanische Flagge abgebildet. Jene Versuchsteilnehmer, die Formulare mit der Flagge erhielten, gaben darauf häufiger an, für die Republikaner stimmen zu wollen. Sie taten das bei der Wahl tatsächlich ... (DER SPIEGEL, 29/2011). Die Betrachtung der amerikanischen Flagge hat womöglich Menschen dazu motiviert, die republikanische Partei zu wählen.

In einer weiten Fassung des Begriffs meint „Symbol“ den bildhaften Ausdruck von etwas anderem, das nicht unmittelbar anschaulich im Bild des Objektes mitschwingt. Es ist eben mehr als das Bild der Handhabung des Gegenstandes und seiner augenfälligen Bedeutung. Der weite Begriff ist vieldeutig, er kann selbst Gegensätzliches im Symbol zusammenführen, und der davon Berührte erfährt es gefühlsmäßig. Der Deutende erschließt den Sinn durch seine eigenen Assoziationen und die Auswahl von Bedeutungen, die ihm zur Verfügung steht, d.h. sein Wissen darüber. Symbolik in dieser Form ist Teil des geistigen Gesamterbes der Menschheit, das universale Vorstellungen im zeitgenössischen Objekt zum Ausdruck bringt.

Die Farbe Rot dient zum Beispiel als Symbol der Macht und kann als Farbe des Blutes Wärme und Geborgenheit, oder aber Gewalt zum Ausdruck bringen. Der Selbstdarstellung eines „Stars“ findet auf einem „roten Teppich“ statt. Eine reale rote Textilie liegt dem Auftritt im wahrsten Sinne des Wortes zugrunde. Das kostbare Rot hat seine Ursache im einst so wertvollen Drüsensekret der Purpurschnecke, das im Mittelalter für Kaiser, Könige und Kirche reserviert war. Liebe, Macht und Blut lassen sich auf einem Teppich assoziieren, der Menschen in Szene setzt, der ihnen einen Auftritt verschafft, durch den sie gesehen werden und „Aufmerksamkeitskapital“ anhäufen können.

Was allgemein als Symbol gilt, kann sich für Individuen oder Gruppen ganz unterschiedlich darstellen. Sofern sich große Gruppen oder Menschenmengen für ein Objekt mit Symbolcharakter begeistern, entwickelt das eine Sogkraft, die immer mehr Menschen in ihren Bann zieht. Der verhüllte Reichstag in Berlin war so ein Symbol. Nicht alle haben es geliebt. Der damalige Bundeskanzler Helmut Kohl soll sich sogar geweigert haben, ihn auch nur einmal anzusehen.

Symbole und das Unbewusste

Eine Besonderheit der Symbole liegt darin, dass sie Brücken zwischen Bewusstem und Unbewusstem sind. Das Unbewusste ist auch durchaus nicht nur das Unsichtbare. Es ist lediglich „der andere Schauplatz“.

Lange Zeit wurde das Unbewusste vornehmlich als das „Primitive“, das „Niedere“, das „Kranke“, das „Degenerierte“ ausgegrenzt. „Heute“, so Prof. Dr. Michael Hagner auf einer internationalen Konferenz mit dem Thema: Das Unbewusste als Störung der Wissensordnung und als Antrieb der Wissensproduktion, im Kulturlabor Berlin 2007, „leben wir in einem neurowissenschaftlichen Biedermeier“. Das Unbewusste hat aus dieser Sicht seinen Schrecken verloren. Es ist in die Bereiche des Kollektiven ausgewandert. Es ist in den Genen oder über die bildgebenden Verfahren der Neurowissenschaften im Gehirn lokalisierbar. Wer damit allerdings meint, man habe es „im Griff“, der ist damit einer Fehlinterpretation aufgesessen.

Heute können wir sagen, dass sich das Unbewusste nicht nur im Traum, in Bildern, Symbolen, Kunst, Märchen und Mythen, Riten und Zeremonien, Sprache und Bewegung, Geschichten und Fehlleistungen mitteilt, sondern in allen Bildern, die symbolische Qualität für jemanden haben. Das kann auch das Bild einer Stadt, einer Straße, eines Quartiers sein, das Bild, das ein Künstler herstellt, oder das Bild eines psychisch Kranken. Die Bildqualität lässt das Erleben auf eine nicht vorgeformte Weise mit der symbolischen Dimension des Unbewussten interagieren.

Heute ist bekannt, dass sich das Gehirn im bewussten Bereich mit 10 bis 40 informationstechnischen Einheiten pro Minute, im unbewussten Bereich dagegen mit bis zu 100 Millionen Einheiten beschäftigt. Auch wenn die bewussten Erfahrungen nur Bruchteile ausmachen, so liegt der Rest doch nicht brach. Das Gehirn arbeitet immer.

Viele Verhaltensweisen erfolgen zwangsläufig unbewusst, reflexhaft. Wie beim Autofahren handelt es sich um automatische Vorgänge, die den bewussten Denkvorgang nur partiell tangieren. Autofahren wäre ohne solche Habitualisierung gar nicht möglich. Unbewusst ablaufende Vorgänge, eingeübte Verhaltensweisen, Habitualisierungen sind Vorbedingungen der menschlichen Existenz. Individuelle und soziale Verhaltensweisen dieser Art werden allerdings dann problematisch oder auch gefährlich, wenn die Habitualisierung die Wahrnehmung der Realität verhindert.

Gewohnheit als das Gewohnte, im Kontext einer gleichbleibenden, verlässlichen Identität, versteht sich im Festhalten und Behalten und lässt nicht los, was einmal gefunden und für gut befunden wurde. Man macht sich etwas vor und verhindert unbewusst die direkte Wahrnehmung und die diesbezügliche Gefühlswahrnehmung — zum Beispiel wenn Ordnung als höchster Wert erachtet wird und Tätigkeiten des Aufräumens und Saubermachens oder des Sammelns von Gegenständen zwanghaft werden.

In der Psychoanalyse ist das Unbewusste seit Freud, Jung und Adler ein grundlegendes Konzept. Diese Psychoanalytiker der ersten Stunde haben erkannt, dass das Unbewusste Symbole produziert, die für das menschliche Leben bedeutsam sind. Das Unbewusste lässt Intuition entstehen und es vermag Einfälle auf das hin zu ordnen, worauf es ankommt.

C. G. Jung hat sich gewünscht, dass jeder Mensch sein eigenes Unbewusstes dazu erforschen möge, und er war der Meinung, es sei der Mühe wert zu erforschen, ob das eigene Unbewusste Wege kennt und weist, die das Bewusstsein nicht erwartet. Es enthält alle Aspekte der menschlichen Natur, Gut und Böse und es ist grenzenlos und mächtig wie die Sterne)). Die Kreativität, die durch die Arbeit mit dem eigenen Unbewussten ausgelöst werden könne, sei stärker als Gewalt und sie sei auch ein angemessenes Mittel gegen Gewalt, wenn sie als Instrument genutzt werde.

Neben den individuellen Symbolen, die mit persönlichen Mustern und Komplexen korrespondieren, hat C. G. Jung eine tiefer in der menschlichen Psyche liegende Schicht des Unbewussten beschrieben, welche archetypische Vorstellungsbilder enthält. Er war der Auffassung, den Menschen sei eine Tendenz zur Formung von kollektiven und mythologischen Bildern angeboren, die kulturübergreifend überall auf der Welt entdeckt werden könnte. Diese im Menschen angelegten archetypischen Bilder könnten über die Zugänge des Unbewussten, wie Träume, Mythen, Märchen, Bilder, Spiritualität, Meditation, Yoga und anderem mehr abgerufen werden. Aus „Es“ solle „Ich“ werden — für Jung handelte es sich dabei um ein „Es“, das weit über die Triebstruktur der Sexualität hinausreicht.

 

Potenziell sind Symbole in der Psychoanalyse und -therapie etwas Tiefgehendes, bis hin in die „Konstruktion“ oder „Dekonstruktion“ des Unbewussten der Persönlichkeit. Für Susanna K. Langer ist die Bildung von Symbolen (…) eine ebenso ursprüngliche Tätigkeit des Menschen wie essen, schauen oder sich bewegen. Sie ist der fundamentale, niemals stillstehende Prozess des Geistes (Langer, 1965). In der Psychoanalyse und –therapie geht es ganz wesentlich darum, eine Symbolsprache für Unsagbares, Verstörendes, traumatische Erlebnisse und Beziehungen zu finden. Die Symbolisierungsprozesse sind notwendig, damit kognitiv Verstandenes emotional verfügbar gemacht werden kann.

Die Wirkung der Symbole beruht auf einer Art „psychischer Ladung“ zwischen inneren, mentalen Prozessen und äußeren Gegebenheiten. Die Farbe Rot auf großen Flächen lässt die meisten Menschen diese „Ladung“ sinnlich erfahren. Im Zusammentreffen des konkreten Objekts oder Subjekts, eines Ereignisses oder Ortes der Umwelt mit Wahrnehmungs- und Identitätsmustern von einzelnen Menschen, Gruppen oder Menschenmengen entsteht strukturelle Ähnlichkeit, eine Übereinstimmung des existenziell Vorhandenen. Eine solche Übereinstimmung ist im positiven Sinne bei der Farbe Rot die Erfahrung von etwas Hervorgehobenem, Bedeutendem, im negativen Sinne die von Bestrafung, Versagen, Verwerflichkeit. Der Begriff der Aura oder der Atmosphäre reicht nicht aus, um den Bedeutungsüberschuss dessen, was sich in diesem intermediären Raum zwischen Mensch und Umwelt ereignet, auszudrücken. Die Synthese von realer Gestalt und Vorstellung ist das Feld der symbolischen Dimension der räumlichen Umwelt.

Die heute bekannte Plastizität des Gehirns lässt es wahrscheinlich erscheinen, dass Symbole auch als Muster in Form von strukturellen Analogien zwischen Außen- und Innenwelt existieren. Sie bringen sich als „Bauchgefühle“ für oder gegen die inneren und äußeren Gegebenheiten zum Ausdruck.

Der Psychologe Gerd Gigerenzer (vgl. Bauchentscheidungen, Gigerenzer 2007) vertritt die Auffassung, dass Bauchgefühle nicht nur ein Impuls oder eine Laune sind, sondern auch ihre eigene Gesetzmäßigkeit haben. Die Intelligenz des Unbewussten liegt darin, dass es, ohne zu denken, weiß, welche Regel in welcher Situation vermutlich funktioniert. Als Beispiel aus der Zeit des Nationalsozialismus verweist er auf eine Untersuchung des Historikers Christopher Brownig, die auf die besondere Identifikation von Männern in Uniform mit ihren Kameraden hinweist. Der einfachen Faustregel Tanz nicht aus der Reihe folgend, haben sich damals nur wenige Menschen den Ritualen und den unfassbar grausamen Befehlen verweigert. Die Uniform als Symbol, dessen man sich zugehörig fühlte, und die unbewusste Befolgung einer einfacher Regel hatte verheerende und moralisch verwerfliche Handlungsweisen zur Folge. Unter anderem hat auch symbolische Einsicht, die Einsicht in einen Sinn- und Bedeutungszusammenhang, den jemand nicht mehr bereit ist mitzutragen, nicht stattgefunden.

Symbolische Einsicht drängt das Negative, das Unbegreifliche und Bedrohliche nicht in die Tiefen des Unbewussten weg, sondern lässt Widersprüche und negative Emotionen zu. Wo sich Verbindung ergibt, wo eine spezifische Wahrnehmung Vergnügen bereitet oder Einsicht erzeugt, kann „Freundschaft geschlossen werden“ mit dem Gebäude, dem Ensemble, der Straße, dem Quartier, der Stadt, den Menschen und den Dingen in ihrer verbindenden symbolischen Qualität. Man fährt hin, sucht sie auf oder holt sie sich ins Haus.

Orte des Leidens und der Schande — die Vernichtungslager des Nazi-Regimes, die Wohn- und Sterbeorte für unzählige Menschen waren — sind heute Erinnerungsorte und Symbole für das größte Verbrechen an der Menschheit. Sie werden von vielen Menschen aufgesucht, die sich der Verantwortung verpflichtet fühlen, dass so etwas nie wieder geschehen dürfe.

In Zeiten des Konflikts, der Gefahr und der Enttäuschung kommen symbolische und religiöse Bilder und Mythen ins Spiel, um Ideologien und Positionen in den Konflikten zu rechtfertigen. Sofern eine bestimmte Vorstellung oder Geisteshaltung als höher, überlegener oder als die einzig wahre erachtet werden, existiert ein reduziertes, eindimensionales Symbolverständnis und eine sehr eingeschränkte symbolische Einsicht. In solcher Beschränktheit sind manche Menschen sogar bereit, das eigene Leben und das anderer Menschen für die höhere Sache zu opfern.

Damit ist die Welt der Bilder, Mythen und Symbole zugleich Verbindung und Verführung, Rettungsanker und Instrument der dunklen Triebkräfte der Psyche. Es gibt das Schreckliche und das Schöne, das Gezähmte und das Ungezähmte, das Schwere und das Leichte, die Angst und die Lust. Die Bilder dazu kommen nicht aus sich heraus, sondern sind Gebilde der menschlichen Fantasie, mentale Modelle im Bewussten und im Unbewussten. Die Dämonen der Angst, der Sucht, der Hysterie und der Depression, der Zerstreuung und des Zwangs gehören als schmerzhafte Erfahrungen zum Leben. Aber viele dieser Monster lassen sich auch dienstbar machen, so, wie es die Märchen und Mythen immer schon gezeigt haben und wie sie durch gute Rituale immer wieder auch gezähmt werden konnten.

Es gibt das Wunderbare und das Geheimnisvolle. Es kann und soll Spaß machen, sich z. B. bei einem Konzert oder bei einem Fußballspiel der „unterirdischen“ Dynamik des Unbewussten hinzugeben. Ein vernünftiger Umgang mit Risiken und Unwägbarkeiten besteht in der Fähigkeit, sich mit Unsicherheit vertraut zu machen und gelassen selbst mit unlösbaren Problemen zu leben. Selbst eine „falsche“ Deutung der Welt, eine nützliche Fiktion, ist manchmal besser als gar keine, sofern sie als hilfreiche Deutung funktioniert und anderen Menschen nicht schadet.

Kreativität und Fantasie sind etwas Wunderbares, etwas, das sich naturwissenschaftlichen Gesetzen nicht unterordnen lässt. Kunst, Mythologie und symbolische Einsicht sind Formen der Erkenntnis, die Menschen untereinander und mit ihrer Lebenswelt verbinden. Wer versucht, symbolische Einsicht walten zu lassen, dem erschließt sich eine neue Weite für die Entfaltung der Persönlichkeit und dem erschließt sich auch eine tröstende Verbindung zur Ewigkeit, ohne dass dem Leben seine Realität von Schmerz und Trauer, Lust und Vergnügen genommen wird. Der unbewussten Reaktion auf Gegenstände, Bilder, symbolische Formen, Riten und Mythen hat allerdings ein bewusstes Verständnis der Zusammenhänge nachzufolgen, bei dem die Implikationen der symbolischen Dimension soweit wie möglich aufgedeckt werden.

Wahrnehmung im Sinne eines solchen Verständnisses ist mehr als Sehen, Wiedererkennen und der Gebrauch der Gegenstände. Sie schließt die Wahrnehmung der eigenen Gefühle, Lust oder Unlust, vernünftiges oder unvernünftiges Verhalten, Langeweile oder Ergriffenheit mit ein und erstreckt sich auf über den Gegenstand hinausgehende Informationen, die einen Wert oder eine Bedeutung für den Wahrnehmenden enthalten. Die Wirklichkeit ist nicht mehr zum Wegschauen, sondern dient dazu, die Welt um eine erstaunliche und erträgliche Dimension zu erweitern. Es besteht deshalb eine Verpflichtung dahin gehend, die symbolischen Implikationen von Ereignissen, Objekten, Orten aufzudecken und soweit wie möglich transparent zu machen. Dafür muss die verlorene Sprache der Symbole wiedererlernt werden. So ist es beispielsweise für Eltern sehr wichtig, sich darüber zu informieren und sich damit auseinandersetzen, welche Symbolik ihre Kinder in ihren Kinderzimmern verwenden. Gruppen und Kulte, die bestrebt sind Jugendliche an sich zu binden, verfügen über solche Symbole, und als verantwortungsvolle Eltern gehört es zu ihrer Aufsichtspflicht sich damit auseinanderzusetzen und auch den Kindern und Jugendlichen den Kontext deutlich zu machen. Die „psychische Ladung“ von Symbolen, die Gefühlsreaktionen auslöst, kann „zum Sprechen“ gebracht werden und dadurch bestenfalls Gegensätze innerhalb der eigenen Psyche miteinander versöhnen. Dies wahrzunehmen ist eine Chance, die den Sinn des Erwerbs symbolischer Fähigkeiten begründet.