Bullseye - Bull & Tiger

Tekst
0
Recenzje
Przeczytaj fragment
Oznacz jako przeczytane
Czcionka:Mniejsze АаWiększe Aa

Grundsätzlich ist Lotus die beste Chefin, die man sich wünschen kann, und die Gäste kann ich wie den letzten Dreck behandeln, und sie kommen trotzdem wieder. Eine Win-Win-Situation.



„Du bist spät dran“, sagt Bae und lächelt, während sie sich aus einem goldfarbenen Kleid windet. „Ich habe dir den Rücken gedeckt, also keine Sorge.“



„Oh, vielen Dank.“ Ich küsse sie auf die Stirn und laufe zu meinem Spind. „Wie sieht’s draußen aus?“



Bae schlüpft in eine Jogginghose und ein ausgeleiertes T-Shirt, denn ihre Schicht ist vorbei. „Wie üblich“, antwortet sie mit einem Schulterzucken. „Typen, die geil sind, darunter viele Georges. Einer hat mich tatsächlich gebeten, seine Eier mit meinen Absätzen zu zerquetschen.“



Wir erschaudern beide vor Ekel.



Die Welt ist voller kranker Perverser, aber wir ertragen es, denn die meisten sind Georges – großzügige Trinkgeldgeber. Bae und ich geben ihnen, was die meisten unserer Kunden wollen – das Girlfriend-Experience. Wir erfinden Geschichten und bringen sie dazu zu denken, dass sie unsere weißen Ritter sind.



Wir geben ihnen das – und sie biedern sich an und geben viel Trinkgeld, damit wir ihnen den Rest des Abends unsere Aufmerksamkeit schenken.



Beim Strippen geht es nicht darum, die Kleider auszuziehen. Es ist Strategie. Die Männer halten Bae fälschlicherweise für eine zarte kleine Blume, weil sie kaum über einsfünfzig ist und fast nichts wiegt. Aber sie ist geschmeidig wie ein Tiger. Was mich betrifft – ich tanze mir den Arsch ab und bleibe meinem Motto treu, dass weniger mehr ist. Und ich bekomme viel Trinkgeld.



Es geht nur um Abzocke. Sie glauben, dass sie die Kontrolle haben, aber so ist es nicht. Wir sind diejenigen, die sie abzocken. Ich lasse meine Tasche auf den Boden fallen und ziehe Jeans und Sweatshirt aus. Ich habe geduscht, bevor ich herkam, aber ich fühle mich immer noch schmutzig, als ich BH und Tanga ausziehe. Ich ziehe meine Uniform an – denn das ist für mich jedes Outfit, das ich hier trage – und werde zu Tigerlily.



Heute Abend tanze ich zu ‚Rock you like a Hurricane‘ von den Scorpions. Ich bezeichne das, was ich tue, niemals als Strippen. Ja, ich ziehe meine Kleider aus, aber ich bin keine Stripperin. Ich bin eine Tänzerin, die nur zufällig ihre Klamotten auszieht.



Ich tanze nur selten zu Popmusik, weil es nicht dasselbe Feeling wie bei einem Rocksong ist. Rock ist voller Angst, Leidenschaft und Sex. Und da ich schon seit sehr vielen Jahren keinen Sex mehr hatte, kann ich mich zumindest sexy fühlen, wenn ich auf der Bühne bin.



„Hast du schon den neuen Rausschmeißer gesehen?“, fragt Bae und fächelt sich das Gesicht, während ich mein hellblaues Netz-Bustier und den dazu passenden Tanga überstreife.



Das ist gewagt für mich, da ich gewöhnlich nichts völlig Durchsichtiges trage. Aber nur die Erwähnung von Bull – und ich weiß, dass Bae nur ihn meinen kann – reicht, und ich will alles, was ich habe in sein Gesicht reiben. Nicht buchstäblich. Ich verstehe immer noch nicht, was er an sich hat, das mir so unter die Haut geht, aber auf der Bühne will ich ihm zeigen, wer das Sagen hat.



Gestern Abend, als er mich so missachtet hat, und sogar heute im Umkleideraum, hat er mich wirklich wütend gemacht. Es ist offensichtlich, dass er sich nicht gern berühren lässt, weswegen ich für ihn einen Luft-Tanz gemacht habe. Ich dachte, ich wäre nett und würde seine Grenzen respektieren, und er dankt es mir, indem er mit Tawny rummacht.



Scheiß auf ihn

.



„Erde an Lily“, spottet Bae und schnippt mit den Fingern vor meinem Gesicht.



„Ja, ich habe ihn gesehen. Er sieht wie ein weiteres tätowiertes Arschloch aus, das viel zu empfindlich ist.“



„Aber dafür ist er sehr muskulös und hat unheimlich breite Schultern“, erwidert sie und kichert, als ich die Augen verdrehe.



Ich krame in meinem Make-up-Täschchen und öle mich schnell ein. Dann trage ich meinen Glitzer auf, sodass mein Körper schimmert. Mein Make-up besteht aus silbern glitzerndem Lidschatten, falschen Wimpern, einer makellosen Grundierung und glänzend roten Lippen.



Ich reibe die Lippen aufeinander, ziehe das Gummiband aus den Haaren und schüttele sie aus. Als ich in den Spiegel blicke, spielt ein teuflisches Lächeln um meinen Mund. Ich sehe wild und animalisch aus. Ich wirke, als hätte ich alles unter Kontrolle.



Die Männer da draußen glauben, dass sie mich besitzen, aber das tun sie nicht. Ich besitze sie … alle außer einem.



Ich werfe meine Sachen in den Spind und fange an, mich zu dehnen und warmzumachen, denn ich gehe nie unvorbereitet auf die Bühne. Verletzungen kann ich mir nicht leisten. Nachdem meine Muskeln gelockert sind, schlüpfe ich in meine zehn Zentimeter hohen blauen, glitzernden High Heels und lächele Bae an.



„Wie sehe ich aus?“



„Gott stehe allen Männern da draußen bei“, antwortet sie und schmunzelt. „Obwohl ich ziemlich sicher bin, dass nur ein Mann da alle Hilfe brauchen wird, die er kriegen kann.“



Ich hebe verwirrt eine Braue.



Ihr Lächeln wird breiter. „Ich habe gehört, wie der neue Muskelprotz gefragt hat, ob du heute Abend reinkommst.“



„Oh?“, erwidere ich überrascht.



„Ja. Darum habe ich gefragt, ob du ihn schon kennengelernt hast. Ich habe mich gefragt, ob er wohl derjenige ist, der endlich deine Trockenperiode beendet“, zieht sie mich spielerisch auf. Bae weiß von meiner „Trockenperiode“, weil sie für mich das ist, was einer Freundin am Nächsten kommt.



„Ih.“ Ich verziehe das Gesicht und werfe einen Lippenstift nach ihr. Sie duckt sich und lacht. „Lieber bleibe ich den Rest meines Lebens enthaltsam. Vielen Dank.“



„Aber klar“, meint sie. Offensichtlich glaubt sie mir nicht. „Er ist so verdammt … groß. Ob sein Schwa …“



Zum Glück kündet der Showmaster Ricky meinen Namen an und beendet damit ein Gespräch, das ich nicht vorhabe fortzusetzen.



„Wir reden später darüber.“ Bae kichert, als ich ihr auf dem Weg zur Tür einen Klaps auf den Hintern gebe.



Der Weg zum Vorhang ist für mich wie ein Adrenalinschub. Ich liebe die Performance, weil ich mich in der Musik und beim Tanzen verliere. In diesen Momenten bin ich am glücklichsten. Und dann fängt die Musik an, und ich beuge den Hals von einer Seite zur anderen und schüttele die Arme aus.



Die Vorfreude ist der beste Teil. Ich komme nicht sofort raus. Ich lasse diese Tiere warten. Dies ist meine Show, und ich komme, wenn ich soweit bin … was jetzt der Fall ist.



Ich teile den Vorhang, trete in die grellen Lichter hinaus und fühle mich wie eine Siegerin, als ich auf die Bühne stolziere. Die Pfiffe von den Männern aus der ersten Reihe lassen mich spöttisch lächeln. Wenn man ihnen ein bisschen Titten und Hintern zeigt, sind sie bereit, ihre ganzen Ersparnisse dafür herzugeben. Sofort regnen Geldscheine auf die Bühne, was mich in meiner Meinung nur bestärkt.



Ich bewege mich im Takt der Musik und benutze jeden Teil meines Körpers als Waffe. Die Stange ist eine wichtige Requisite für meine Show, denn ihre Form ist die perfekte Analogie für das, was ich mit den Stangen der Blödmänner da unten anstellen sollte, wenn es nach ihnen ginge.



Aber da können sie lange träumen.



Ich klettere mit Leichtigkeit hoch, wirbele um die Stange und hänge mich kopfüber daran. Ich hake einen Fußknöchel hinter die Stange, halte mich mit einer Hand fest und stoße meine Hüften im Takt der Musik ein paar Mal nach vorn. Die Pfiffe um mich herum werden lauter.



Ich kann immer noch nicht glauben, dass diese Arschgesichter mir den Scheiß abkaufen.



Ich fahre mit meiner Routine fort, rolle die Zehen ein und strecke meinen Körper nach außen, wobei ich die Rumpfmuskeln einsetze. Wenn irgendjemand im Publikum Ahnung davon hätte, würde er mir mein Ballett-Training ansehen, aber das interessiert sie nicht. Sie interessieren sich nur dafür, mich nackt zu sehen.



Wut durchläuft mich, und ich drehe mich schneller. Jeder von ihnen ist genauso wie alle Männer in meinem Leben – sie sehen in mir nichts als ein Spielzeug. Ich springe wild herunter, lande am Rand der Bühne und ducke mich tief hin.



Als sich eine Hand ausstreckt und versucht, mich zu berühren, ziehe ich mich sofort zurück und tanze außer Reichweite. Das hier ist kein Streichelzoo. Die Stroboskoplichter beginnen zu flackern, und ich bewege mich wie besessen. Die Menge dreht durch, als ich an dem dünnen Stoff meines Tops zerre und es ins Publikum werfe.



Ich will gerade meine Brüste bedecken, aber als etwas Hellblaues mit einem Anflug von Meergrün vor mir aufblitzt, höre ich auf und entblöße mich für ihn. Ich habe keine Ahnung, wo er war, aber jetzt ist er nur wenige Meter von der Bühne entfernt. Die Männer sind von ihren Plätzen aufgesprungen, johlen laut und starren mich sehnsüchtig an, was der Grund dafür ist, dass er so nah ist. Er macht nur seinen Job.



Aber als diese ungleichen Augen mich verschlingen und er mit zwei tätowierten Fingern über seine vollen Lippen reibt, will ich glauben, dass er hier ist, weil er auch diesen elektrischen Puls zwischen uns fühlt. Meine Haut erhitzt sich bei dem animalischen, spöttischen Lächeln, das um seine Lippen spielt, denn er sieht gefährlich wütend aus.



Sein Blick treibt mich nur dazu an, noch schneller zu tanzen und meinen Körper selbstbewusst zu schütteln. Bull dreht sich bald um und wendet sein Gesicht dem Publikum zu, was mich triumphieren lässt. Seine Niederlage ist mein Sieg, und ich beende die Tanznummer atemlos, mit Schweiß bedeckt und dem Lächeln einer Gewinnerin.



Die Bühne wird dunkel, und dann bricht die Hölle los.



„Heilige Scheiße!“, brüllt Ricky und kommt auf die Bühne, als die Lichter wieder angehen und die Hintergrundmusik einsetzt. „Applaus für mein Mädchen Tigerlily!“

 



Die sabbernden Männer kommen der Aufforderung nach, während ich mich mit einem Arm über den Brüsten herunterbeuge und mein Geld aufsammele. Es liegen so viele Scheine herum, dass Ricky sich bückt und mir beim Aufheben hilft. Gerade als ich nach einem Zwanzigdollarschein greife, legt sich eine verschwitzte, unerwünschte Hand um meinen Arm.



Ich habe keine Gelegenheit, etwas zu tun, denn ein schwarzer Schatten gleitet vor und biegt das Handgelenk des Grabschers zurück. Der Mann schreit auf und lässt mich sofort los. Ich sehe in Bulls Augen, und jede Faser meines Körpers ist sich seiner Nähe bewusst.



„Danke“, sage ich kurz angebunden.



Er nickt nur und steht Wache, während ich meinen Verdienst aufsammele. Sobald ich fertig bin, verschwinde ich schnell hinter dem Vorhang, wo ich endlich wieder atmen kann.





Kapitel 4

Cody



„Bist du sicher, dass wir hier sein sollten?“, fragt mein bester Freund Gary Buchanan. Wir bleiben tief geduckt hinter den Bäumen.



„Ja. Jetzt hör auf, so ein Weichei zu sein und lass uns gehen.“



Gary hat recht. Wir sollten nicht hier sein. Ich müsste längst zu Hause sein, aber was meine Eltern nicht wissen, regt sie auch nicht auf.



Wir kriechen auf das glühend heiße Lagerfeuer zu und bleiben dabei tief unten, denn für zwei rotznasige Kinder wie uns ist hier betreten verboten.



Die Titans, das Football-Team meines Bruders, haben dank Damian, der in den letzten drei Spielsekunden einen Touchdown gemacht hat, das Finale gewonnen. Mein Bruder, der Held unserer Heimatstadt, hat das Spiel gerettet, was keine Überraschung ist. Um das zu feiern, haben sich alle beim Pinnacle Point versammelt, ein örtlicher Treff für Schüler im letzten Highschool-Jahr.



Die Party ist in vollem Gang. Das Bier fließt in Strömen, und Damian lockt die Mädchen in Scharen an. Er ist jedoch nicht an ihnen interessiert, weil er seit zwei Jahren mit seiner Freundin Lyndsay zusammen ist. Es ist wirklich abstoßend, wie sie sich anschmachten, als wären sie bekloppt. Aber was weiß ich schon von Liebe? Ich habe noch nie ein Mädchen geküsst.



Gary und ich waren zu sehr damit beschäftigt, auf unseren Geländefahrrädern zu fahren, um Mädchen Aufmerksamkeit zu schenken. Doch das änderte sich, als Damian mich heute Abend zu diesem dämlichen Footballspiel mitzerrte und ich eine brünette Cheerleaderin mit einem wunderschönen Lächeln sah.



Ich kenne ihren Namen nicht, und deswegen bin ich hier. Ich will ihn herausfinden. Damian hat mich vor den Cheerleadern gewarnt, und er hatte recht. Ich könnte ihn jederzeit fragen, wer sie ist, aber ich will es selbst herausfinden. Ich habe immer im Schatten meines Bruders gelebt, was mich zuvor nie gestört hat, aber allein herauszubekommen, wer dieses mysteriöse Mädchen ist, fühlt sich wie ein Schritt Richtung Mann an.



Ich weiß, dass das verdammt lahm ist, aber es wäre noch erbärmlicher, wenn mein älterer Bruder mich meiner Traumfrau vorstellen würde.



Mit dem Gedanken daran krieche ich weiter, und wir betrachten die Szene, die sich vor uns auftut. Leute sitzen um das Feuer herum und küssen sich, andere tanzen und lachen und haben viel Spaß. Ich sehe mich um und hoffe, meine Cheerleaderin zu entdecken. Und ich schaffe es.



„Da ist sie!“, zische ich und stoße Gary meinen Ellbogen in die Rippen.



Er schreit auf und schiebt sich von mir weg. „Ja, na und? Was willst du tun? Du kannst nicht mit ihr reden. Deine Eltern geben dir eine Woche Hausarrest, wenn sie rausfinden, dass du hier bist. Du solltest bei mir zu Hause schlafen.“



Er hat recht.



Meine Eltern sind ziemlich streng zu mir, weil ich nicht so ein Goldjunge wie Damian bin. Ich tue nicht, was man mir sagt. Ich glaube, man könnte mich das schwarze Schaf oder den Rebellen der Familie nennen, aber das ist mir egal. Damian würde mich nicht verpetzen, aber ich weiß, dass er mir Schuldgefühle einreden würde, weil ich unseren Eltern nicht gehorche. Seine Aufrichtigkeit würde auf mich abfärben und schließlich würde ich nachgeben und ihnen erzählen, was ich getan habe.



Daher versteht es sich von selbst, dass er mich nicht sehen darf.



Die Cheerleaderin trägt noch ihre Uniform und unterhält sich mit einer Gruppe Mädchen. Ich nehme meinen Mut zusammen und gehe zu ihr hinüber. Gary bleibt zurück und steht Schmiere. Damian ist am anderen Ende des Geländes, also bin ich für den Moment wohl sicher.



Ich weiß nicht, wie man so etwas macht und beschließe daher, mir eine Scheibe von meinem Bruder abzuschneiden und einen seiner Sprüche zu verwenden. Ich bleibe ein kleines Stück von ihr entfernt stehen, und sie dreht sich um und sieht mich mit großen blauen Augen an.



„Hallo, Hübsche“, sage ich selbstbewusst und lächele.



Ihre Freundinnen grinsen und dämpfen ihr Lachen hinter ihren Händen.



„Hi“, erwidert sie schließlich und trinkt einen Schluck aus einem blauen Becher.



„Ich habe dich heute Abend beim Cheerleading gesehen. Beim Spiel“, füge ich blöd hinzu, denn wo sonst würde sie Cheerleading machen?



Aber ich bleibe cool.



„Oh, toll.“ Ich sollte den Hinweis verstehen, kann aber nicht. Ich will derjenige sein, der erfolgreich ist.



„Gibst du mir deine Nummer?“



Ihre Freundinnen lachen laut, und Gary stöhnt, was mir sagt, dass dies als der schlechteste Anmachversuch in die Geschichte eingehen wird.



Ich sollte mich verziehen, kann aber nicht. „Ich heiße Cody. Cody Bishop.“



Sie hören plötzlich auf zu kichern und stehen mit offenen Mündern da. „Ist dein Bruder Damian Bishop?“, fragt eins der Mädchen.



Gottverdammt.



Das ist nicht das, was ich wollte. Ich wollte es allein schaffen, nicht weil Damian mein Bruder ist. Doch ich nicke trotzdem.



Die Cheerleaderin, deren Namen ich nicht einmal kenne, lächelt und sieht über meine Schulter. „Gib mir dein Telefon.“



„Sonya!“, schilt eine ihre Freundinnen sie und kichert.



„Er ist zu jung.“



Ihr Name. Endlich. Sonya, meine Königin.



Ich suche in meiner Jeans nach meinem Handy und gebe es ihr. Sie nimmt es mit einem schiefen Grinsen. Als sie ihre Nummer eingibt, kann ich mein Glück kaum fassen. Ihre Freundinnen starren sie mit großen Augen an, während ich mich wie Herkules fühle.



Aber nur bis Sonya mir mein Handy zurückgibt und sagt: „Kannst du meine Nummer deinem Bruder geben?“



Ich schnappe wie ein Fisch auf dem Trockenen nach Luft und fühle mich plötzlich, als hätte sie mir in die Eier getreten. Ich weiß nicht, was ich sagen soll, also nicke ich wie ein Weichei. „Klar.“



„Danke, Cody.“ Sonya beugt sich vor und küsst mich auf die Wange. Der Kuss ist keusch. Es ist offensichtlich, dass sie Mitleid mit mir hat, denn in Damian Bishops Schatten zu leben, ist, als würde man von der Sonne überstrahlt werden.



Sie tritt schnell von mir zurück und schreit auf. Ich habe keine Ahnung, warum, bis jemand nach meinem Oberarm greift und mich herumreißt. Er ragt über mir auf und hebt mich mit Leichtigkeit hoch, sodass ich auf seiner Augenhöhe bin.



„Lass mich runter, du Scheißkerl!“, fluche ich und versuche, mich zu befreien.



Als Reaktion lacht er nur. „Was machst du hier, Kleiner? Müsstest du nicht längst im Bett sein?“



„Fick dich!“ Ich spucke ihm ins Gesicht, was den gewünschten Effekt hat, denn er lässt mich auf die Füße fallen. Sofort ramme ich ihm mein Knie in die Eier. Er röchelt, klappt zusammen, und ich schlage ihm mit der Faust ins Gesicht. Ich bin plötzlich so wütend.



Ich bin vielleicht dünn, dafür aber rauflustig, und ich weiß, wie man kämpft. Damian würde das ausdiskutieren, aber ich bin nicht der verfluchte Damian – ich bin nicht so perfekt wie er.



Die Versager-Freunde des Kerls kommen angerannt, die Fäuste erhoben, bereit, sich zu schlagen. Gary ist keine Hilfe, denn er versteckt sich hinter den Mädchen. Sie sind in der Überzahl, vier gegen einen, aber ich fühle mich plötzlich so lebendig. Das ist mein Kampf,

meiner

, nicht Damians.



Und das treibt mich an, sodass ich einem der Blödmänner mit aller Kraft ins Gesicht schlage. Er fällt mit einem dumpfen Knall um. Von einer Sekunde auf die andere bin ich in einem Schauer von Fäusten und greife alles an, was mir in die Quere kommt. Pures Adrenalin treibt mich an, und ich ignoriere die Schreie um mich herum. Es ist das absolute Chaos.



Gerade als ich einem Arschloch mein Knie ins Gesicht ramme, höre ich eine Flasche splittern und sehe das gezackte Ende auf mich zukommen. Ich springe zurück und hebe die Arme. Der Kerl, dem ich in die Eier getreten habe, will sich an mir rächen. Ich lasse ihn nicht aus den Augen, als er mich umkreist.



„Du kämpfst außerhalb deiner Liga, meinst du nicht? Bist hinter dem hübschesten Mädchen hier her.“ Der Schwachkopf ist ohne Zweifel der Anführer. Er hat seelenlose schwarze Augen, Augen, die ich nie vergessen werde. Außerdem hat er ein kleines, blaues Hai-Tattoo auf dem Hals.



„Lass ihn in Ruhe!“, schreit jemand. Ich glaube, dass es Sonya ist.



Diese Arschlöcher gehen nicht in unsere Schule. Ich würde sie erkennen, wenn es so wäre. Ich begreife, dass ich mich in ganz große Scheiße geritten habe, und jetzt, wo das Adrenalin abklingt, bekomme ich Angst. Gerade als der Bastard ausholt, wird er mit brutaler Kraft zur Seite geschleudert.



Ich drehe den Kopf und sehe den wütenden Damian, der bereit ist, es mit jedem aufzunehmen. „Legt euch mit jemandem an, der so groß ist wie ihr, ihr verfluchtes Pack!“, brüllt er und breitet die Arme wie ein verdammter Superheld aus.



Die Kerle rennen auf ihn zu und können ein paar Faustschläge austeilen, bevor Damian sie wie Ameisen zur Seite schleudert. Ich beobachte ihn mit großen Augen, denn ich kann nicht fassen, dass mein Bruder es mit ihnen aufnimmt und gewinnt. Ich habe geholfen, aber er lässt meinen Versuch lächerlich erscheinen.



„Friss Dreck, du Arschloch!“, schreie ich aus sicherer Entfernung und feuere meinen Bruder an.



Als die vier Trottel begreifen, dass sie verloren haben, huschen sie mit dem Schwanz zwischen den Beinen davon, wie Feiglinge. Ich habe meine erste Schlägerei gewonnen. Na ja, irgendwie.



Damian dreht sich mit diesem Großer-Bruder-Blick zu mir um. „Nach Hause. Sofort.“



„Ach, komm schon, Bro. Lass uns deinen Sieg mit einem Bier feiern.“



Sonya kichert, was mich denken lässt, dass ich vielleicht eine kleine Chance habe. Aber als Damian sich mit dem Handrücken das Blut vom Mund wischt und schwankt, wird mir klar, dass wir beide nach Hause müssen. „Okay. Aber du kommst mit.“



Ich erwarte, dass er protestiert, doch er nickt erschöpft. Morgen wird er definitiv ein Veilchen haben.



Lyndsay bietet an, uns zu begleiten, aber Damian schüttelt den Kopf. „Du bleibst, Baby. Alle deine Freundinnen sind hier. Ruf mich an, wenn du zu Hause bist.“



„Bist du sicher?“, fragt sie und kaut auf der Unterlippe.



Das ist typisch Damian. Er denkt immer an andere.



„Ja. Außerdem muss ich den Kleinen nach Hause bringen. Er sieht mich demonstrativ an, und ich erwidere den Blick mit großen Augen. Er hat gerade meine Chancen bei Sonya ruiniert. Niemand will sich mit einem „Kleinen“ treffen.



Damian und Lyndsay küssen sich, und ich täusche Würgelaute vor.



Sonya lächelt mich an und flüstert: „Ruf mich an.“ Vielleicht habe ich falsch gelegen. Es scheint so, als würde dieser Abend gerade zum Besten meines Lebens werden.



Damian zerzaust mir das Haar, und dann gehen wir zusammen langsam den Hügel hinauf zu der Stelle, wo er sein Auto geparkt hat. Er ist unsicher auf den Füßen, was zeigt, dass er Schmerzen hat, aber er sagt kein Wort.



„Soll ich fahren?“, biete ich an. Das ist das Mindeste, was ich tun kann, nachdem er mich davor bewahrt hat, zu Hackfleisch verarbeitet zu werden.



Damian greift in die Tasche seiner Schuljacke und holt den Schlüssel hervor. „Sag es nicht Mom“, zieht er mich auf, und ich lächele.



Das Gelände ist dicht mit Bäumen bestanden, und auch wenn es eine Abkürzung ist, wäre es wohl einfach gewesen, wenn wir auf dem Weg geblieben wären. Wir gehen langsam, während Damian versucht, wieder zu Atem zu kommen.



„Du stehst also auf Sonya Teller, was?“



Als ich nicht antworte, stupst er mich spielerisch in die Rippen. „Ich habe es dir gesagt – Cheerleader.“



Ich werde nie erfahren, was er noch sagen wollte, denn in der einen Sekunde steht er neben mir, und in der nächsten schwebe ich in der Luft.

 



Ich trete sofort um mich, aber es ist sinnlos. Irgendein Arschloch hat seine Arme um meine Mitte geschlungen und hält mich fest, während drei seiner Freunde zwischen den Bäumen hervorkommen und Damian angreifen.



„Nein!“, schreie ich und versuche, mich zu befreien, doch es ist zwecklos. Der Kerl hält mich zu fest. Ich rieche Bier und Gras in seinem stinkenden Atem. „Lass mich los.“



„Sorry, kann ich nicht. Es ist Zeit, dass du ein Mann wirst.“



Ich begreife, dass die Bastarde die vier sind, die uns vorhin angegriffen haben. Aber im Gegensatz zu vorhin haben sie einen verletzten Damian überrumpelt. Sie stürzen sich auf ihn, treten ihn in die Rippen, ins Gesicht, den Bauch – wo immer sie können. Er versucht, sie abzuwehren, aber einer stößt ihm das Knie so hart auf die Nase, dass sie unter dem Aufprall bricht.



Er fällt auf den Rücken und schnappt keuchend nach Luft. Er ist wirklich schwer verletzt. Ich sehe hilflos zu, unfähig, irgendetwas zu tun, während sie meinen Bruder bewusstlos schlagen, und ich nichts weiter machen kann, als mich zu winden.



Der Anführer lacht, als Damian erfolglos versucht, ihn abzuwehren. „Jetzt bist du nicht mehr so taff, was, Quarterback?“



„Lasst ihn in Ruhe!“, schreie ich und schlage wild auf den Mann ein, der mich an seinen Brustkorb gedrückt hält. Er ist ein großer, starker Scheißkerl, der um die hundert Pfund mehr wiegt als ich.



Damian stöhnt und gräbt die Finger in die Erde bei dem Versuch, von seinen drei Angreifern wegzukriechen. Der Anblick bringt mich um, weil er so schwach aussieht. Aber sie gönnen ihm keine Gnade, so wie er es bei ihnen gemacht hat. Der Anführer stellt sich vor ihn, zieht den Reißverschluss seiner schwarzen Jeans hinunter und pisst auf Damians Kopf.



„Du verfluchtes Arschloch! Hör auf!“ Ich trete um mich, bin mordlustig.



Einer stellt seinen Stiefel auf Damians Kreuz, um ihn davon abzuhalten, sich zu bewegen, während ein anderer auf die Knie geht, Damians Handgelenk mit einem Knacken zurückbiegt und ihm den Meisterschaftsring vom Finger reißt. Es ist nicht genug, dass sie ihn erniedrigen und brechen, sie bestehlen ihn auch noch.



Sie lachen auf Kosten meines Bruders hysterisch. Drei gegen einen ist wohl kaum fair, aber an dieser Situation ist gar nichts fair.



„Danke für den Ring“, spottet der Kerl, der ihn Damian abgenommen hat und streift den Ring über seinen Mittelfinger. „Mir gefällt deine Jacke. Ich wollte schon immer Quarterback sein. Aber man sagte mir, ich sei zu klein. Jetzt bin ich nicht so klein, was, Arschloch?“



„Zieh ihn hoch“, befiehlt der Anführer dem Kerl, der Damian zu Boden drückt. Er gehorcht, reißt an Damians Haar und zerrt ihn in einen unnatürlichen Winkel. Damian stöhnt. Er ist mit Blut und Pisse bedeckt.



Nachdem er seinen Reißverschluss zugezogen hat, tritt der Anführer hinter ihn und reißt ihm die Jacke herunter. Dann wirft er sie dem Arschloch zu, das Damians Ring gestohlen hat.



Nachdem sie ihn bestohlen und zusammengeschlagen haben, werden sie uns ja wohl in Ruhe lassen. Aber das tun sie nicht. Der Anführer schlägt Damian so hart ins Gesicht, dass ich einen seiner Zähne durch die Luft fliegen und im Dreck landen sehe.



„Nein!“, schreie ich immer wieder und versuche verzweifelt, mich zu befreien. Das Arschloch, das mich festhält, verstärkt seinen Griff nur noch und lacht, während er zusieht, wie seine Freunde meinen Bruder zusammenschlagen.



Der Dieb und der Leitwolf wechseln sich ab, Damian ins Gesicht zu boxen, bis ihm das Kinn auf die Brust sackt. Blut sickert aus seinem Mund und färbt die Erde rot. Das Mondlicht fällt auf etwas Glänzendes – Damians Sankt Christophorus Medaillon.



Er nimmt es nie ab. Er nennt es seinen Glücksbringer. Doch jetzt ist es nichts weiter als noch etwas, das sie stehlen können. Der Anführer zerrt es von seinem schlaffen Hals und zerreißt dabei die Kette. Er nickt seinem Freund zu, der Damian festhält, und der lässt ihn in den Dreck fallen.



Er bleibt röchelnd liegen.



Bei diesem Anblick drehe ich durch. Damian ist wegen mir verletzt worden … und ich weigere mich, diese Tatsache zu akzeptieren.



Etwas unglaublich Wildes überwältigt mich, und ich werfe den Kopf zurück, knalle ihn ins Gesicht des Blödmanns. Er stößt ein schmerzerfülltes Keuchen aus und lässt mich fa