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Nick aus der Flasche - Snippet

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Kapitel 4 – Dämonen der Vergangenheit



»Ich werde dir jeden Tag schreiben«, sagte sie und küsste ihn. »Du fehlst mir jetzt schon.«



Nick hielt Emma fest und genoss, wie sie sich an ihn schmiegte, steckte seine Nase in ihr Haar und nahm einen tiefen Atemzug ihres lieblichen Duftes. »Ich werde dich jedes Wochenende besuchen. Oder du mich, sobald ich eine eigene Wohnung habe.« Und wenn sie beide endlich achtzehn waren, würden sie heiraten. Nick konnte es kaum erwarten. Obwohl er Emma ebenfalls vermissen würde, freute er sich, nicht mehr im Heim wohnen zu müssen. Zwar hatte es ihm hier nicht an Geborgenheit gefehlt und die Zeit war ihm in guter Erinnerung geblieben, jedoch war es etwas völlig anderes, eine eigene Familie zu gründen.



Er lebte schon ewig hier, seit seine Eltern bei einem Autounfall umkamen. Da war er erst drei Jahre alt gewesen. Hier hatte er auch Emma kennengelernt, seinen blonden, blauäugigen Engel, war mit ihr zur Schule gegangen und hatte fast seine gesamte Freizeit mit ihr geteilt. Emma wollte eine Ausbildung zur Kinderpflegerin machen, während Nick mit einem guten Highschoolabschluss in der Tasche nun die ganze Welt offenstand. Zuerst wollte er raus aus New York, daher war er ganz aufgeregt, dass ein Mr. Solomon, der auf Staten Island lebte, ihm einen Job verschaffen wollte. Es war kein Traumberuf, aber ein Anfang.



Mr. Solomon hatte vor zwei Wochen im Heim angerufen und gezielt nach Heimabgängern gefragt, die für seine Firma arbeiten möchten. Nick hatte nicht genau verstanden, worum es ging; er sollte wohl wertvolle Waren verkaufen. Das hörte sich nach viel Geld an. Er hatte zwei Mal mit dem Mann telefoniert und alles klang wunderbar. Er stellte ihm sogar eine Unterkunft zur Verfügung, wenn Nick ihm im Haus half, denn Mr. Solomon war gesundheitlich angeschlagen.



Nick hatte keine Probleme, für ein wenig zusätzliche Arbeit gratis zu wohnen – im Gegenteil. So würde er sich viel Geld sparen und wollte daher mit seinem ersten Einkommen Emma zum Essen ausführen. Und falls der Job nichts für ihn war, konnte er später immer noch mit dem College weitermachen oder einen anderen Beruf erlernen … ach, er wollte so vieles.



»Nimmst du deine Gitarre nicht mit?«, fragte Emma.



»Ich weiß nicht, ob ich bei Mr. Solomon spielen kann. Passt du solange auf sie auf?«



»Ich werde sie hüten wie einen Schatz.« Seine Emma wusste eben, wie viel ihm das Instrument bedeutete. Das Geld dafür hatte er sich mühsam zusammengespart.



Es wurde ein tränenreicher Abschied, weshalb Nick froh war, als er im Bus saß und New York verließ. Viel zu selten war er aus der Stadt gekommen, daher klebte er mit der Nase am Fenster, um jeden Eindruck aufzusaugen.



Mit dem Bus war er über eine Stunde unterwegs, bis er in einem Ort ausstieg, der sich Prince’s Bay nannte. Hier sah alles anders aus als in New York, viel grüner, weiter und vor allen Dingen: nicht überlaufen. Viele neue Wohnsiedlungen entstanden erst, die kleine Stadt war im Aufschwung. Nick suchte die Adresse und fand sich in einer Straße, in der sich nur wenige Häuser aneinanderreihten, die meisten davon im Aufbau oder noch nicht bezogen. Es schien einsam hier, wo Nick nur das hektische Stadtleben kannte, doch dieser beschauliche Ort gefiel ihm.



Schließlich fand er Mr. Solomons Haus, das als einziges ein wenig verkommen wirkte. Aber Mr. Solomon hatte ja nach jemandem gesucht, der ihm in Haus und Garten half.



Tatsächlich traf Nick auf einen älteren Mann mit langem Bart, der ihm freundlich lächelnd die Tür öffnete.



»Guten Tag, Mr. Solomon. Mein Name ist Nicolas Tate und ich …«



»Ja, ja, Junge, komm rein«, sagte der Alte mit kratzender Stimme. Rasch zog er die Tür weiter auf und Nick ging an ihm vorbei.



Im Haus war es recht düster, weshalb er im ersten Moment kaum etwas erkennen konnte, da seine Augen noch von der Sonne geblendet waren.



Er hörte Mr. Solomon hinter sich etwas murmeln, das sich wie Latein anhörte, und Gleichgültigkeit machte sich in ihm breit, eine wohltuende, innere Leere, die ihn angenehm entspannte.



»Wie heißt du?«, fragte der Mann ihn.



Er wusste es nicht und es war ihm auch egal.



»Von nun an wirst du mich Meister nennen und tun, was ich dir befehle.«



»Ja, Meister«, erwiderte er und folgte Mr. Solomon tiefer ins düstere Haus und die Treppen hinab in einen muffigen Keller, in dem zahlreiche Gefäße aller Farben und Formen in Regalen standen. Eine silberfarbene Flasche mit einem dicken Bauch, die mit Schnörkeln und Steinchen verziert war, befand sich auf einem Holztisch.



Weitere Sprüche folgten und alles hatte sich vor seinen Augen gedreht. Als er sein Bewusstsein zurückerlangt hatte, brüllte sein Meister ihn an. Er wusste nicht, was er falsch gemacht hatte, und als er fragte, ließ sein Meister mittels Magie einen in der Luft schwebenden Riemen auf seinen Rücken niedersausen.



»Du wirst keine Fragen stellen, sondern nur tun, was ich dir auftrage. Verstanden, Diener!«



Er schnappte nach Luft, denn der stechende Schmerz hatte ihm den Atem genommen. »Ja, Meister«, erwiderte er mechanisch, obwohl er tief in seinem Inneren wusste, dass es nicht richtig war, was hier passierte …





* * *





»Nick?«, flüsterte Julie, nachdem sie in ihr Zimmer getreten war und die Tür zugemacht hatte. Der Spieleabend hatte länger gedauert, als erwartet, und sie war vor Nervosität beinahe gestorben. Draußen war es bereits stockdunkel, und auch in ihrem Zimmer brannte kein Licht, bis auf das im Puppenhaus. Es war totenstill im Raum, das Album der Stones längst zu Ende.



Als sie nichts hörte, schaltete sie die Nachttischlampe ein, schnappte sich ihre Schlafsachen und huschte ins Bad, um sich bettfertig zu machen. Sie wusch sich, putzte sich die Zähne und zog sich ihr Schlafshirt über.



Ihre erste Nacht mit einem Flaschengeist. Ob sie überhaupt einschlafen konnte?



Während Julie mit ihrer Familie Scrabble gespielt hatte, dachte sie daran, welche Wünsche ihr Nick erfüllen sollte, und hatte sich nicht auf das Spiel konzentrieren können. Es war eine so verdammt schwere Entscheidung!



Ihre Gedanken kreisten ständig um Geld, denn damit könnte sie sich noch ganz viele Wünsche erfüllen. Doch immer wieder rannte sie gegen dieselbe Mauer: Wie sollte sie ihren Eltern erklären, warum sie plötzlich reich war? Sie müsste ihnen Nick vorstellen. Was würde dann passieren? Was, wenn sich herumsprach, dass sie einen Flaschengeist besaß? Jeder würde auf einmal Wünsche erfüllt haben wollen, das war gewiss wie bei einem Lottogewinn. Außerdem würde das Fernsehen vor der Tür stehen, Mediziner und Wissenschaftler würden Nick untersuchen wollen … Oh Gott, ein Horrorszenario folgte dem nächsten.



Nein, niemand durfte etwas von ihm erfahren. Sie hatte zu große Angst, ihn zu verlieren.



Nachdem sie im Badezimmer fertig war, schlich sie sich an das Puppenhaus heran und schaute durch die Fenster. Im Obergeschoss waren die Vorhänge zugezogen, daher sah sie nur das Licht durchschimmern. Im unteren Stockwerk war Nick nicht. Ob er tatsächlich schon schlief?



»Ich hole meinen iPod raus, wenn’s dir recht ist«, sagte sie leise, denn sie hörte zum Einschlafen gern Musik. »Nicht erschrecken.« Vorsichtig öffnete sie die Front des Hauses.



Als sie ins Obergeschoss blickte, konnte sie ihren Augen nicht trauen. Was hatte Nick mit ihrem Puppenhaus angestellt? Es sah fantastisch aus! Das schwarz geflieste Badezimmer mit dem knallroten Boden war einfach ein Hingucker! Der Stil hatte ein bisschen was Sixtymäßiges.



Und in dem schicken grünen Schlafzimmer lag ihr Mini-Nick, eingekuschelt in ihre selbstgenähte Bettwäsche. Die hatte er so belassen, was ihr Herz zum Hüpfen brachte. Er sah ja so schnucklig aus! Wie eine lebendige Puppe. Julie hatte sich früher oft vorgestellt, dass ihre Puppen echte Menschen wären, und jetzt besaß sie tatsächlich solch ein kleines Wesen.



Sie wollte eben das Licht löschen, als Nick etwas murmelte und sich auf den Bauch drehte. Die Zudecke verrutschte und ein nacktes Bein kam zum Vorschein.



»Nein …«, stöhnte er.



»Nick?«, wisperte sie. Hatte er einen Albtraum? Sollte sie das Schlafzimmerlicht lieber brennen lassen, damit er sofort wusste, wo er war, wenn er erwachte?



Unruhig wälzte er sich im Bett hin und her.



»Nick? Träumst du?« Langsam streckte sie die Hand aus, um ihm behutsam mit dem Zeigefinger über den Kopf zu streicheln. Sie wollte ihn ja nicht zerdrücken.



Abrupt setzte er sich auf und starrte sie schwer atmend an. Schweiß glitzerte auf seiner Stirn.



»Hattest du einen Albtraum?«



»Ich …« Er sah aus, als wollte er ihr etwas erzählen, doch er nickte nur.



Was hatte er bloß erlebt? Was hatte dieser Solomon ihm angetan?



In ihrer Brust wurde es eng. Nick sollte sich nicht fürchten.



»Kannst bei mir schlafen«, sagte sie sanft.



Finster schaute er sie an. »Ich bin kein Baby!«



Männer …

, dachte Julie schmunzelnd, während sie das Bett samt Nick vorsichtig aus dem Haus holte und auf ihren Nachttisch stellte, neben seine Flasche. Dann zog sie den Netzstecker, und das Puppenhaus lag im Dunkeln.



Julie huschte ins Bett, wünschte Nick, der ihr protestierend den Rücken zudrehte, eine Gute Nacht und löschte das Licht.



Nur einschlafen konnte sie nicht. Ihr fehlte die Musik, aber sie wollte den iPod nicht holen, da sie lieber lauschen wollte, ob Nick wieder schlecht träumte. Der wälzte sich in seinem Bettchen hin und her. Sie hörte ihn seufzen und stöhnen und fragte schließlich: »Was ist los?«



»Ich kann nicht mehr einschlafen«, kam es mit dieser piepsigen Stimme zurück.

 



»Das kenne ich«, sagte sie. »Wenn ich schon mal tief geschlafen habe und geweckt werde, dauert es auch immer ewig.«



Von seiner Seite nur Schweigen.



»Ich finde es übrigens toll, wie du mein Puppenhaus umdekoriert hast.«



»Wirklich?«, antwortete er prompt.



»Ja, sieht toll aus. Von mir aus darfst du den Rest auch noch neu machen.«



»Danke.«



»Dann kannst du nun richtig zaubern?«, wollte sie wissen. Außerdem würde ein wenig Smalltalk keine peinliche Stille aufkommen lassen.



»Das muss ich noch austesten, denn es funktioniert nicht immer. Aber das Haus neu einzurichten ist eine gute Übung.«



Julie war hellwach, doch ihr ging der Gesprächsstoff aus. Sie wollte Nick jetzt nicht auf seinen Traum ansprechen oder auf sein Leben bei Mr. Solomon, daher fragte sie: »Hast du Lust, einen Film anzugucken?«



»Jetzt?«



»Hm.«



»Hier?«



»Ja, vom Bett aus hat man einen Superblick zum Fernseher.«



»Sehr gern.«



Julie setzte sich auf. »Worauf hast du Lust? Krimi, Thriller, Komödie, Action?«



»Action«, erwiderte er sofort.



War ja irgendwie klar. Sie wusste schon, warum sie nicht »Romantik« aufgezählt hatte.



Sie schaltete das Nachtlicht ein und sah Nick auf seinem Bett hocken, die nackten Beine baumelten heraus. Blinzelnd rieb er sich über die Augen. Gott, wie putzig er so klein aussah! Sein Haar war ganz verwuschelt und er trug nur Connors T-Shirt und die