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Nick aus der Flasche - Snippet

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»Julie!«, erklang es vorwurfsvoll von unten.

»Gleich nach dem Essen«, versprach sie und schlüpfte zur Tür hinaus.

Nick folgte ihr, woraufhin sie ihn augenblicklich ins Zimmer zurückdrückte und flüsterte: »Du bleibst hier drin, bis ich wieder da bin. Das ist ein Befehl!«

Er nickte nur, schien ihr gar nicht richtig zuzuhören. »Aber erzähl Mrs. Warren bitte nichts von mir oder was in den anderen Flaschen ist. Das ist streng geheim.«

»Natürlich nicht. Sie würde mir ohnehin nicht glauben, und falls sie doch eine Flasche öffnet, bekommt sie noch einen Herzinfarkt!« In letzter Zeit hatte Mrs. Warren ohnehin nicht mehr so gesund ausgesehen.

»Muss ich dich persönlich holen, Fräulein!«, rief Mom gereizt, woraufhin Julie Nick noch einen warnenden Blick zuwarf und die Stufen hinuntereilte.

Kapitel 3 – Kartoffelbrei und Blaubeermuffin

Julie schlang den Kartoffelbrei und die Würstchen herunter so schnell sie konnte. Das blieb natürlich niemandem verborgen.

Dad saß noch nicht am Tisch; denn der hätte sie sofort ermahnt. Er stand nach einem Besuch eines Klienten in New York im Stau und verspätete sich, doch Connor starrte sie an, als wäre sie vom Mars.

Ihr Stiefbruder ähnelte Dad mit seinem schwarzen Haar und der großen Statur so sehr, dass Julie beinahe Respekt vor ihm bekommen könnte, wenn sie sich nicht ständig zanken würden. Der Blick aus seinen eisblauen Augen hätte sie wohl getötet, wenn das möglich wäre.

»Was ist denn nur los mit dir?«, fragte Mom.

Julie konnte es kaum erwarten, wieder zu Nick zu kommen. »Darf ich aufstehen? Ich muss noch was für die Schule tun.«

»Heute?« Connor hob die Brauen. »Es ist Wochenende.«

Julie ignorierte ihn und flehte ihre Mutter mit dem herzerweichendsten Augenaufschlag an, den sie in all der Aufregung zusammenbrachte. »Bitte, Mom.«

Ihre Mutter seufzte. »Na schön. Ausnahmsweise.«

Julie sprang so hastig auf, dass ihr Stuhl beinahe nach hinten kippte, gab ihrer Mom einen Kuss auf die Wange, streckte ihrem Bruder die Zunge heraus und brachte den Teller zur Spüle.

Als sich Mom wieder Connor zuwandte und sagte: »Nun erzähl, wie war deine Woche?«, schnappte sich Julie einen Blaubeermuffin und füllte in ein leeres Backpapierförmchen ein bisschen Kartoffelbrei und eine Scheibe Wurst, die sie auf ihrem Teller für Nick zurückgelassen hatte.

Je eine Form in jeder Hand, marschierte sie am Tisch vorbei und rannte, kaum an der Treppe angekommen, die Stufen nach oben. Irgendwie befürchtete sie, Nick würde nicht mehr da sein, doch da saß er, an ihrem Schreibtisch, und hielt das Mathebuch in der Hand.

Als er sie sah, grinste er.

Julie stellte die beiden Backförmchen vor ihm auf den Tisch. »Hier, bitte, einmal Blaubeermuffin und Kartoffelbrei mit Würstchen.«

»Lecker«, sagte er und löste sich in blauen Rauch auf. Die Säule schwebte auf ihren Schreibtisch und verwandelte sich in Mini-Nick mit der piepsenden Stimme.

So hatte er das wohl auch in der Dusche gemacht.

»Darf ich das mit den Händen essen?« Er deutete auf den Kartoffelbrei und das Würstchen zu seinen Füßen.

»Moment, mir kommt da gerade eine ausgezeichnete Idee!« Sie eilte durchs Zimmer bis zu einem großen Haufen mit Plüschtieren und legte ihr altes Puppenhaus frei, das darunter vergraben lag. Es war sehr geräumig. Eine richtige rosa Prachtvilla.

Julie klappte die vordere Wand mit der Veranda und dem Balkon auf, um an die Einrichtung zu kommen, und holte einen Tisch sowie einen Stuhl heraus. Die Puppenmöbel stellte sie auf ihren Schreibtisch. »Bitte setz dich«, sagte sie grinsend und stellte das Papierförmchen mit dem Kartoffelbrei auf die kleine Platte.

Nick, der den Riesenmuffin mit beiden Armen umschlungen hielt und herzhaft kaute, musterte erst skeptisch die rosa Plastikmöbel, machte es sich aber auf dem Stuhl bequem und schob den Muffin ebenfalls auf die Tischplatte. Sofort riss er sich ein weiteres Teigstück ab, murmelte: »Der reicht mir die ganze Woche«, und steckte es sich in den Mund.

Inzwischen eilte Julie zum Haus zurück, um Puppengeschirr zu suchen. Bald fand sie einen Krug und einen Löffel, den sie Nick reichte. »Guten Appetit!«

Den Krug füllte sie mit einigen Tropfen aus ihrer Wasserflasche, die immer auf dem Schreibtisch stand, und stellte ihn auf den Puppentisch. »Ich glaube, jetzt hast du alles.«

»Perfekt.« Er tauchte den kleinen Löffel in den Brei und schob ihn sich in den Mund. »Mmm, lecker.« Dabei schloss er die Augen und gab so seltsame Genusslaute von sich, dass sich Julie zurückhalten musste, nicht loszuprusten.

Fasziniert beobachtete sie ihren neuen Mitbewohner, wie er das Essen fast genauso schnell verschlang wie sie zuvor, und sich dann zufrieden im Stuhl zurücklehnte, die Finger über dem Bauch verschränkt.

»Das war das Beste, was ich seit Urzeiten gegessen habe«, sagte er mit dieser lustigen, hohen Stimme, die Julie ein weiteres Lächeln entlockte.

»Jetzt kommt aber noch der Test.«

Nick runzelte die Stirn. »Welcher Test?«

»Ob du immer noch satt bist, wenn du dich groß machst.«

»Wird sofort ausprobiert, meine Herrin.« Grinsend verwandelte er sich in eine Rauchsäule, die vom Tisch auf den Boden schwebte, sich vergrößerte und schließlich wieder Nick in Lebensgröße zeigte.

»Und?«, fragte sie.

Kurz schloss er die Augen, als würde er in sich hineinhorchen, und antwortete: »Immer noch pappsatt. Ich bin so voll, dass ich jetzt einen Verdauungsspaziergang machen könnte.«

Julie schaute aus dem Fenster. Die Hitze des Tages legte sich langsam; der Abend rückte näher. Eigentlich eine gute Zeit, um im Garten zu arbeiten oder … »Mrs. Warren!« Plötzlich fiel ihr wieder ein, dass sie die alte Dame anrufen wollte. Sie griff zum Handy, das hinter Nick auf dem Schreibtisch lag, wählte die Nummer und stellte ihr Smartphone auf laut, damit er mithören konnte.

»Hallo, Julie, was gibt es?«, fragte Mrs. Warren, als sie das Gespräch angenommen hatte.

»Ich wollte Sie fragen, ob Sie noch die anderen Flaschen haben. Ich fand sie sehr schön und hätte Ihnen gerne noch welche abgekauft.« Das klang nach einer plausiblen Erklärung.

»Da muss ich dich leider enttäuschen. Kaum hatten wir den LKW mit der letzten Kiste beladen, kam eine andere Organisation und hat alles mitgenommen, sogar das alte Auto aus der Garage.«

»Was?« Julie versuchte, sich ihre Aufregung nicht anmerken zu lassen. Auch Nick sah aufgewühlt aus. »Warum?«

»Sie hatten Papiere dabei, die bestätigten, dass Mr. Solomons Nachlass an sie geht. Die Männer hatten auch nachgefragt, ob das wirklich alles war. Ich hab natürlich niemandem erzählt, dass ich dir eine Flasche geschenkt habe. Die wird schon keiner vermissen bei all dem Gerümpel. Die Leute haben uns eine großzügige Summe gespendet, hatten im Nu alles umgeladen und sind verschwunden.«

Das war doch nicht zu fassen! Irgendwie stank das Ganze zum Himmel. »Was war das für eine Organisation?«

»Sie nannte sich Lavender, und auf dem LKW war Lavendel abgebildet. Hab ich noch nie gehört, aber ihre Dokumente sahen echt aus. Uns ist ja egal, wer das Zeug kauft, und mit dem Geld können wir viel Gutes tun, daher hat sich niemand beschwert.«

»Danke, Mrs. Warren. Da kann man wohl nichts machen«, sagte Julie. »Ich wünsche Ihnen noch einen schönen Abend.«

»Den wünsche ich dir auch, Liebes. Komm doch mal wieder zum Tee vorbei, wenn du möchtest.«

»Sehr gerne«, antwortete sie und beendete das Gespräch. »Wirklich mysteriös.«

Sie beschloss, Nick auf jeden Fall zu behalten, allein um aufzuklären, wohin die anderen Flaschen verschwunden waren. Was, wenn sie auf dem Müll landeten? Darin waren Menschen … Lebewesen eingesperrt, so wie Nick! Jemand musste ihnen helfen!

Nick wirkte geknickt. Mit gesenktem Kopf stand er vor dem Schreibtisch und seufzte. Julie wusste auch nicht, was sie tun konnte, um ihn aufzumuntern.

»Wollen wir ein wenig Musik hören?«, fragte sie vorsichtig.

Er schüttelte den Kopf. »Darf ich spazieren gehen? Ich muss nachdenken.«

Julie streichelte ihm einmal über den Rücken. Mehr traute sie sich nicht. Es fühlte sich seltsam an, das bei Nick zu tun, immerhin war er ja kein normaler Junge. Doch er schien Gefühle zu haben wie ein gewöhnlicher Mensch. »Das nimmt dich sehr mit, oder?«

»Hm. Irgendwie glaube ich, meine Taten wiedergutmachen zu müssen, auch wenn Solomon mich dazu gezwungen hat, ihm bei seinen Machenschaften zu helfen«, sagte er zögerlich. »Ich war involviert, so lange Zeit. Ich muss irgendwas tun, nur weiß ich nicht, wo ich anfangen soll. Von dieser Organisation hab ich noch nie was gehört.«

»Ich kann sie googeln!« Natürlich, warum war sie nicht gleich draufgekommen?

Nick runzelte die Stirn. »Googeln?«

Erneut griff sie nach ihrem Smartphone und tippte darauf herum, während Nick ihr über die Schulter blickte.

»Was machst du?«

»Ich suche im Internet nach dieser Organisation. Heutzutage hat doch jeder eine Homepage.«

»Ich hab zwar keine Ahnung, wovon du sprichst, aber falls dein Telefon etwas herausfinden kann, schaffe ich mir auch so eins an.«

Julie schmunzelte. »Ja, ohne ein Smartphone geht nichts mehr. Fast jeder hat eins. Mein Freund Martin ist mit seinem quasi verwachsen.«

»Du hast einen Freund?« Nick klang überrascht und sah sie dabei so eindringlich an, dass sie hastig wegschaute.

Wäre es denn ungewöhnlich, wenn sie einen hätte? Hässlich fand sie sich nicht. »Ist nur ein Kumpel. Wir kennen uns schon aus dem Sandkasten, sozusagen.«

 

»Ach so.« Er rückte noch näher, sodass Julie die Wärme seines Körpers an ihrem Oberarm fühlte. Ihre Finger zitterten, als sie versuchte, auf dem winzigen Buchstabenfeld den Namen einzutippen. Seine Nähe verwirrte sie. Nur Josh war ihr bisher so nahe gekommen. Nie würde sie seinen heißen Kuss vergessen. Ihren einzigen Kuss. Das war kurz vor ihrem Unfall gewesen. Seitdem schien Josh so zu tun, als wäre nie etwas zwischen ihnen passiert. Mistkerl. Sie würde es ihm schon noch heimzahlen. Immerhin hatte sie jetzt einen Flaschengeist, da war schließlich einiges möglich.

Nach einer kurzen Pause fragte er: »Hast du denn einen Freund, also … bist du mit einem Jungen zusammen?«

Neugierig war er auch noch! »Da gibt’s einen, den ich ganz süß finde, aber er hat kein Interesse mehr.«

»Aha«, machte er nur, während ihr Gesicht brannte. Es war ihr peinlich, über solche Dinge zu reden. Das konnte sie bestenfalls mit Martin, der ohnehin so etwas wie ihre beste Freundin war. Zu Jungs hatte sie immer schon den besseren Draht gehabt. Die waren nicht so zickig.

»Ich finde leider gar nichts über eine Organisation mit Namen Lavender«, stellte Julie nach einer Weile fest, zwar enttäuscht, da sie Nick nicht helfen konnte, aber trotzdem froh, endlich das Thema wechseln zu können.

Er rückte von ihr ab und schaute wieder aus dem Fenster. »Also kann dein Telefon doch keine Wunder verbringen.«

»Leider nicht.«

»Darf ich denn nun raus? Mir mal ansehen, wo ich mich befinde? Solomon hatte mir das nie erlaubt.« Er schenkte ihr einen mitleidserregenden Hundeblick. Den hatte er wirklich drauf. »Vielleicht kann ich mich dann an mehr erinnern.«

Zwar hatte Julie kein gutes Gefühl bei der Sache, aber sie wollte auf keinen Fall so sein wie dieser Zauberer. »Klar. Und wie kommst du raus? Fliegst du aus dem Fenster?«

Nick schaute nach unten. »Ich glaube, das traue ich mir noch nicht zu.«

Plötzlich hatte sie vor Augen, wie Nick blutüberströmt im Garten lag. »Könntest du … sterben, wenn du abstürzt?«

Schulterzuckend erwiderte er: »Das möchte ich nicht unbedingt testen.«

»Okay, dann mach dich klein, ich schmuggel dich raus.«

*

»Aua, du reißt mir mein Ohr ab«, schimpfte sie leise, während sie die Treppen hinunterging.

Nick stand auf ihrer Schulter, unter ihrem Haar verborgen, und klammerte sich an ihre Ohrmuschel. »Tschuldigung.«

Connor und ihre Mutter befanden sich immer noch in der Küche und räumten den Tisch ab. Julie musste aber an ihnen vorbei.

»Na, da ist ja unsere Davonschleicherin«, murmelte ihr Bruder, der seinen Teller eben in den Geschirrspüler stellte. »Schon fertig mit den Schularbeiten?«

»Leider nicht. Ich wollte euch beim Abräumen helfen, aber wie ich sehe, komme ich zu spät.«

»Tragisch«, erwiderte Connor sarkastisch.

»Könnt ihr euch mal vertragen?« Mom öffnete unter der Spüle eine Tür und holte einen Eimer raus.

»Lass, ich bring den Müll weg!«, beeilte sich Julie zu sagen und nahm ihr den Eimer ab. Perfektes Timing! Da würde niemand doofe Fragen stellen, wenn sie kurz vor die Tür ging, um Nick abzusetzen.

Julie eilte aus dem Haus, wobei Kater Lanzelot die Gelegenheit nutzte und aus der Tür huschte, und durchquerte den kleinen Vorgarten. Die Sonne brannte noch, doch nicht mehr so heiß wie am Mittag, und würde erst nach neun untergehen. Nick hatte also noch für ein paar Stunden Tageslicht. Ob sie ihn lieber begleiten sollte? Ach wo, er war ja kein Baby, und außerdem wollte er allein sein.

Sie stellte den Eimer auf die Mülltonne am Straßenrand und tat so, als wäre ihr etwas hinuntergefallen. Sie bückte sich und Nick schwebte auf den Boden.

»Moment noch«, flüsterte sie, stand schnell wieder auf und schaute sich um.

Mrs. Jennings von gegenüber goss die Pflanzen auf der Veranda und drehte ihnen den Rücken zu. Ansonsten war niemand in unmittelbarer Nähe. Julie wartete, bis ein Auto vorbeigefahren war, und sagte dann: »Jetzt kannst du dich groß machen.«

Während Nick in Zeitraffergeschwindigkeit wuchs, ging er in die Hocke, wobei Julie akribisch die Gegend im Auge behielt. Wenigstens stand Mom nicht am Fenster. Connor schien sie ausreichend zu beschäftigen.

Julie nahm den Eimer, klappte die Mülltonne auf und leerte die Abfälle hinein. »Tu einfach so, als hättest du dir die Schnürsenkel gebunden und dann stehst du auf«, sagte sie und kam sich dabei wie ein Bauchredner vor, da sie versuchte, den Mund beim Sprechen so wenig wie möglich zu bewegen.

Nick grinste sie von unten herauf an. »Ich hab keine Schuhe an.« Er wackelte mit den Zehen, die in Connors schwarzen Socken steckten.

»Mist!« Musste sie denn an alles denken? »Das hättest du doch gleich sagen können.«

»Ich bin schon so daran gewöhnt, barfuß zu laufen, dass ich es nicht bemerkt habe.« Er schlüpfte aus den Socken und steckte sie in die Hosentaschen.

Na ja, dann lief er halt ohne Schuhe. An so einem warmen Abend würde sich wohl niemand darüber wundern.

»Wie kommst du später wieder rein?«, wollte sie wissen.

»Ich bin in einer Stunde zurück. Dann kannst du mich wieder abholen.«

»Wo willst du eigentlich hin?«

»Egal, einfach mal ’ne Runde gehen und ausprobieren, wie weit ich mich von meiner Flasche entfernen kann.«

Er wollte doch nicht abhauen? Sie musterte ihn flüchtig, während er sich die Umgebung ansah. Nein, er wirkte nur glücklich. »Okay, also dann … bis später.«

»Bis später.«

Julie blickte sich noch einmal um, gab Nick ein Zeichen und ging ins Haus zurück, wobei sie vehement versuchte, sich nicht umzudrehen, um ihm hinterherzuschauen.

* * *

Es war neun Uhr abends und die Dämmerung brach herein. Zwei Mal war Julie bereits bei den Mülltonnen gewesen. Zuerst hatte sie den Papierkorb, der unter ihrem Schreibtisch stand, ausgeleert, danach den Abfall aus dem Kosmetikeimer im Badezimmer, doch Nick war nicht draußen gewesen. War er abgehauen? War ihm etwas zugestoßen? Oder hatte er nur die Zeit vergessen? Immerhin trug er keine Uhr.

Verdammt, langsam ging ihr der Müll aus und Mom schaute sie ohnehin schon so seltsam an.

Um sich abzulenken, hatte Julie begonnen ihr Puppenhaus zu entstauben, alles feucht herauszuwischen und es neu einzurichten. Sie hatte sogar die kleine Schaumstoffmatratze des Bettes mit einem frischen Stofftaschentuch bezogen, die winzigen Bettbezüge im Waschbecken gewaschen und trocken geföhnt – doch Nick war immer noch nicht zurück.

»Ich bin nicht sein Babysitter, verdammt«, murmelte sie, als sie zum gefühlten hundertsten Mal aus dem Fenster schaute. »Er ist alt genug.« Obwohl die Klimaanlage lief, hatte sie das Fenster angelehnt, in der Hoffnung, Nick würde hereingeflogen kommen oder es schaffen, an der Fassade hochzuklettern. Unsichtbar. Schließlich war er ein Flaschengeist, denen traute sie alles zu.

Was, wenn er einfach nicht mehr wiederkommen wollte, weil er seine Freiheit genoss?

So nicht, mein Lieber, du gehörst jetzt mir und hast dich an gewisse Regeln zu halten. Immerhin hab ich noch zwei Wünsche frei, dachte sie und nahm die Flasche in die Hand. Der Verschluss war offen und baumelte an der daran befestigten Kette.

Hm, ob er zurückkam, wenn sie an der Flasche rieb?

Julie probierte es aus, doch nichts passierte. Einen Wunsch wollte sie aber auch nicht vergeuden.

Mann, das fing ja schon gut zwischen ihnen an. »Nicolas Tate, du kommst sofort zurück, oder es gibt mächtig Ärger. Das ist ein Befehl!«

Eine fast durchsichtige Rauchsäule schoss so plötzlich zum angelehnten Fenster herein, dass es aufflog. Vor Schreck wich Julie zurück, stieß mit den Kniekehlen an die Bettkante und plumpste mit dem Po auf die Matratze. Beinahe hätte sie die Flasche fallen lassen. Schnell stellte sie sie auf dem Nachttisch ab und schaute mit rasendem Herzen zu, wie sich die Rauchansammlung auf dem Fußboden verdichtete und in einen knienden Nick verwandelte.

»Es tut mir leid, dass ich mich verspätet habe, Herrin«, sagte er unterwürfig.

Julie war so erleichtert, dass er wieder da war! »Wo bist du gewesen?«

*

Nick knirschte mit den Zähnen. Er wollte sie nicht anlügen. »Hab die Zeit vergessen.«

Julie saß auf dem Bett und blickte mit aufgerissenen Augen zu ihm herab. Sein abruptes Auftauchen hatte sie wohl erschreckt. Es hatte ihn ja selbst überrascht, als es ihm auf einmal die Füße weggerissen hatte.

Langsam entspannte sie sich, wobei ein Lächeln über ihre Lippen huschte. »Du hast dich verlaufen.«

Dem Mädchen blieb auch nichts verborgen. Nick stieg die Hitze in den Kopf und er schaute rasch auf den Boden, damit Julie nicht bemerkte, wie er rot wurde. »Hier sieht jede Straße aus wie die andere«, murmelte er. »Ich hätte schon wieder zurückgefunden. Ich konnte immer spüren, in welcher Richtung sich meine Flasche befindet. Sie ist wie ein Magnet.« Das stimmte, nur war er schließlich so weit gelaufen, dass er es einfach nicht mehr rechtzeitig zurückgeschafft hatte. Er hatte sich an den fremden Dingen einfach nicht sattsehen können.

»Und wie war dein Spaziergang so?«, wollte sie wissen.

Nick erhob sich und starrte auf seine schmutzigen Füße. »Interessant. Ich kam mir vor wie in einer fremden Welt.« Von den seltsamen, teilweise flackernden Gestalten, denen er vor einem Bahnübergang begegnet war, erzählte er ihr nichts. Er wusste nicht, ob er sich diese teilweise durchscheinenden Leute eingebildet hatte.