Josephine Baker

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New York

„Mein Name ist nicht mehr Thumpie. Mein Name ist Josephine Baker.“

In New York wird Josephine Baker zum Star. Zwar wird sie das später kleinreden und sagen, dass sie am Broadway nur ein Revuegirl war und es „dort nicht geschafft hat“,44 doch die Tatsache, überhaupt am Broadway aufzutreten, ist definitiv ein Erfolg und es ist ihr Sprungbrett. Das Publikum, das sich Karten für Shuffle Along kauft, fragt an der Kasse explizit danach, ob „das schielende Mädchen auch in der Show ist“.45

Der Erfolg der Revue basiert auf mehreren Dingen: Als wichtigste Neuerung ist die Überwindung der bislang exklusiven Linie zwischen schwarzer und weißer Unterhaltungsindustrie zu sehen, die im Windschatten des Interesses der wohlhabenden weißen Gesellschaftsschicht an „echter schwarzer Kultur“ möglich wird. Nachdem weiße Darstellende, die sich schwarz schminken, in Minstrel Shows afroamerikanische Musik, Tanz und Comedy imitiert und über die Zeit etabliert haben, steigt die Nachfrage nach genuinen Shows – die auch davon leben, dass das weiße Publikum die „Negermusik“ freier, die „Negertänze“ wilder, die komischen Einlagen derber und schwarze Frauen als per se exotischer wahrnimmt.46 Eine weitere Neuerung ist die Professionalisierung der Revuetänzerinnen. Wo bislang eine Reihe hübscher Mädchen auf der Bühne den Rhythmus der Musik brav „illustriert“ hat, enthält Shuffle Along choreografierte dynamische, erotische und unterhaltsame Tanzelemente mit eigenständigem Charakter. Darin liegt die eine Hauptinnovation gegenüber anderen All-Black-Shows.47 Die zweite läutet ein neues Zeitalter ein, was die Präsenz von Tänzerinnen betrifft: Als Herzstück der Revue werden sie auf ein Level mit den Schauspielerinnen gehoben, was wiederum große Auswirkung auf die weitere Entwicklung von Musicals hat, die in der Folge immer mehr von der Komödie abrücken und sich in Richtung Sing- und Tanztheater bewegen. Damit nimmt das Genre sich selbst, vor allem aber den (Unterhaltungs-)Wert der tanzenden Frauen ernst, deren namentliche Nennung im Programm schließlich außerdem zum Standard wird. Durch den Erfolg von Shuffle Along emanzipieren sich Revuegirls im Allgemeinen. Sie sind nicht mehr diejenigen, die am schlechtesten bezahlt werden, und sie sind nicht mehr beliebig austauschbar, weil das Publikum jetzt ihre Namen kennt.48

Doch eine von vielen zu sein, das ist Josephine zu wenig, Emanzipation, Wertschätzung und namentliche Nennung hin oder her. Sie nutzt das Potenzial ihrer Rolle als Comedy-Chorus-Girl und beginnt, ihre intuitiven Auftritte zu perfektionieren. Sie kombiniert Tanzeinlagen und Slapstick geschickt zu einer einzigartig aufregenden und unterhaltsamen Nummer auf der Bühne – und langsam, aber sicher beginnt sie ihre Bühnenpräsenz auch im Alltag zu inszenieren. Sie kleidet sich extravagant, wickelt Seidentücher wie einen Turban um den Kopf, trägt Pelz, modischen Schmuck und Make-up. Ihr Motto wird „Alles oder nichts“. Eubie Blake erinnert sich: „Eines Sonntags ging sie mit zwei anderen Mädchen auf der Fifth Avenue spazieren. Im Schaufenster einer Konfiserie an der Ecke 42. Straße sahen sie eine große rote Pralinenschachtel in Herzform. Sie kostete 35 Dollar, aber Josephine kaufte sie trotzdem und gab ihren gesamten Wochenlohn dafür aus. Als ich sie fragte, warum sie nicht eine kleinere Schachtel gekauft hätte, antwortete sie: ‚Weil ich genau diese wollte‘, und bat mich direkt danach um die Vorauszahlung ihres nächsten Wochenlohns, um sich einen Mantel zu kaufen, den sie ebenfalls gesehen hatte. Als ich mich weigerte, zog sie los und kaufte ihn auf Kredit.“49

Shuffle Along ist nach New York auf Tour und bis Herbst 1923 unschlagbar erfolgreich – doch dann geraten die Produzenten in Streit und die Revue wird von den Spielplänen genommen. Noble Sissle und Eubie Blake bringen aber schon kurz darauf eine neue Show auf die Bühne: In Bamville ist eine Komödie, die zwar nicht an den Triumphzug von Shuffle Along anknüpfen kann, es aber dennoch unter dem Titel Chocolate Dandies 1924 an den Broadway schafft. Josephine ist in der Besetzungsliste als „das bestbezahlte Revuegirl der Welt“ aufgeführt – sie verdient 125 Dollar die Woche, „einfach nur, weil ich schielen konnte!“.50 Für sie ist die neue Show ein weiterer Karriereschritt, denn in ihrer Paraderolle als Clown tanzt sie nicht mehr am Ende der Chorus Line, sondern als Solonummer. Eine perfekte Inszenierung für sie: Alle Tänzerinnen putzen sich in rüschenverzierten Kleidern mit federgeschmückten Hüten heraus, doch Josephine wählt für ihre Auftritte Clownsschuhe, einen weiten Kittel und schminkt sich schwarz; sie imitiert einen Jockey mit Schiebermütze und karierten Socken und da sie für eine Charleston-Parodie ein Kleid tragen muss, lässt sie die Taille bis fast unter die Achseln rutschen und den Rocksaum viel zu kurz schneidern. Kurz: Sie zieht alle Register, um sich mit Ironie selbst zu übertreffen – und sich und ihren Erfolg gegenüber dem weißen Publikum zu verharmlosen, denn, wie Gilda Gray bereits 1922 in den Ziegfeld Follies singt: schwarze Entertainer mit Erfolg haben auch das Potenzial, weiße Kultur (und Künstler) zu verdrängen – denn wer schwarz ist, dem gehört die Aufmerksamkeit:

Just like an eclipse on the moon,

Ev’ry café has a dancing coon,

Pretty choc’late babies,

Shake and shimmy ev’rywhere,

Real dark town entertainers hold the stage,

You must black up to be the latest rage.51

Der Schriftsteller E. E. Cummings schreibt über Josephines Auftritt in den Choclate Dandies: „Sie glich einem großen, lebenssprühenden, niemals fassbaren Schreckgespenst, das auf ganz unirdische Weise die Augen rollte und seine Glieder verbog – eine Vision, die ungeahnte Ängste auslöste, die nur sich selbst darstellen wollte und demnach gänzlich ästhetisch war.“52 Die Show wird als erotisch wahrgenommen, obwohl sich das weder in Kostümen noch in der Geschichte widerspiegelt. Es ist vielmehr die grundsätzliche Erwartung des Publikums, in schwarzen Shows und schwarzen Clubs eine sexuell aufgeladene Stimmung vorzufinden, die das Publikum gleichermaßen befördert wie die Darstellenden. Der Vaudeville-Charakter-Darsteller Joseph Attles erinnert sich an die Atmosphäre in den Clubs von Harlem während der Harlem Renaissance: „Es gab weiße Männer und Frauen, die schwarze Jungs wollten, und weiße Männer und Frauen, die schwarze Mädchen wollten. Jeder hatte die Zeit seines Lebens in Harlem, in den überfüllten, verrauchten Zimmern mit Musik und Tanz und schlechtem Gin und Sex.“53

Doch ein weißes Publikum auf der Suche nach Vergnügen, liberale weiße Dichter und aufgeschlossene Intellektuelle, die schwarze Shows besuchen und faszinierte Kritiken schreiben, stellen sogar in New York nur eine kleine Minderheit – der amerikanische Zeitgeist ist rassistisch und die Trennung zwischen Schwarz und Weiß unüberwindbar. Jeder Erfolg muss sich durch eine Erniedrigung rechtfertigen, um die weiße Überlegenheit nicht in Frage zu stellen. Schwarze Kunst hat fröhlich, orgiastisch und wild zu sein, exotisch ist unterhaltsam, aber ungefährlich. 1925 ist Josephine Baker erfolgreich, als selbstironischer Clown hat sie sich ein Alleinstellungsmerkmal ertanzt, als sie die Chance bekommt, die USA mit all ihren Restriktionen hinter sich zu lassen. Sie lässt sich für eine Spielzeit in Paris buchen. Europa ist künstlerisch eine Chance, vor allem gibt es dort aber keine Diskriminierung von Schwarzen – im Gegenteil, dort ist „Negerkunst“ das große neue Ding und ab Oktober 1925 hat es einen Namen: Josephine Baker.

II
Paris


Josephine bei Proben auf dem Dach des Théâtre des Champs-Élysées, 1925.

„Vielleicht ist mir die Pariser Luft wirklich zu Kopf gestiegen.“

Die verrückten Zwanzigerjahre

„Picasso habe ich mehrfach Modell gestanden.“

Als Josephine Baker 1925 in Paris ankommt, sind die „Années folles“ („Die verrückten Zwanziger“) auf dem Höhepunkt: Paris ist die Partystadt Europas und feiert sich seit Ende des Ersten Weltkriegs durch wahrhaft verrückte Jahre. In der Rückschau sieht es so aus, als hätten sich in den Zwanzigern alle wegweisenden Literatur- und Kunstschaffenden in der französischen Hauptstadt versammelt. Ein Kreis verkörpert die englischsprachige Community: Die modernen Literaten Ezra Pound, T. S. Eliot, James Joyce, John Dos Passos, F. Scott Fitzgerald und Ernest Hemingway gehen bei der Salonière Gertrude Stein ein und aus. Ein anderer Kreis betreibt die Suche nach Lebensformen jenseits der traditionellen Normen: Die Künstler Luis Buñuel, Tristan Tzara und Man Ray experimentieren mit Film und Fotografie, Salvador Dalí malt sein erstes surrealistisches Bild und André Breton schreibt das Manifest des Surrealismus. Paris ist das kreative Epizentrum Europas und ein Hort für Menschen mit dem Wunsch nach einem liberalen Umfeld und alternativen Lebensweisen. Die konventionellen Zwänge und Moralvorstellungen der Jahrhundertwende hat der Erste Weltkrieg gemeinsam mit der traditionellen Gesellschaftsordnung obsolet gemacht – all das war der Nährboden für den Krieg oder zumindest nicht so stabil, dass es ihn hätte verhindern können, warum also nicht ganz neu anfangen? Aus diesem sicher sehr urbanen und elitären Ansatz heraus erwächst eine Befreiung, die ihre eigenen Regeln erst noch definieren muss, und so blüht in den ersten Jahren in der Nachkriegszeit die Emanzipation von Normen in vielen Bereichen.

 

Die Musikwelt experimentiert mit Tonalität, Harmonie und neuen Rhythmen und die Grenzen zwischen klassischen Kompositionen und Unterhaltungsmusik beginnen zu verschwimmen. Mit den amerikanischen Soldaten hat der Jazz Einzug in die europäische Musik gefunden und entfaltet nun eine befreiende Kraft, die sich auch im Ballett und in klassischen Kompositionen niederschlägt. Uraufführungen von Claude Debussy über Maurice Ravel und Igor Strawinsky werden in Paris sowohl als Avantgarde gefeiert als auch lustvoll schockiert abgelehnt.

Exemplarisch für die Dynamik der Auseinandersetzung über moderne Kunstformen ist der Skandal des Balletts ParadeBallet réaliste („Parade – ein realistisches Ballett“) von 1917: Erik Satie komponiert die Musik für das Tanzensemble Les Ballets Russes, das Libretto stammt von Jean Cocteau. Das Bühnenbild und die Kostüme entwirft Picasso und die Reaktionen sind ebenso wild wie das Finale von Parade, das mit einem schnellen Ragtime endet. Satie reagiert auf eine Musikkritik mit einer Postkarte an den Verfasser: „Mein Herr und lieber Freund – Sie sind ein Arsch, ein Arsch ohne Musik! Gezeichnet Erik Satie“, worauf dieser ihn verklagt. Vor Gericht poltert Satie weiter, worauf er verurteil wird und erst nach prominenten öffentlichen Interventionen die Strafe nicht antreten muss. Stattdessen eröffnet er 1918 mit seiner „Lobrede auf die Kritiker“ das Konzert der „Nouveaux Jeunes“. Die Protagonisten der Avantgarde haben sich wahrlich nichts geschenkt und jede Gelegenheit als Skandal zelebriert. Tatsächlich ist auch die Revue Nègre („Negerrevue“) nichts anderes als ein kalkulierter Skandal.

Das Interesse an afrikanischer Kunst ist in Paris bereits um die Jahrhundertwende erwacht. Unter den ersten Künstlern, die sich mit „Negerkunst“ befassen, befinden sich Henri Matisse und Pablo Picasso, die Gründe dafür sind in einer Anekdote von Matisse festgehalten: „Oft besuchte ich Gertrude Stein in der Rue de Fleurs. Auf dem Weg dorthin befand sich ein kleines Antiquitätengeschäft. Eines Tages sah ich dort im Schaufenster einen kleinen, aus Holz geschnitzten Negerkopf (…). Ich hatte das Gefühl, dass hier zwei Kulturen, so fremd sie einander auch sonst sein mochten, die gleichen Methoden der Formgebung verwendeten. Ich erwarb den Kopf für ein paar Francs und nahm ihn mit zu Gertrude Stein. Dort traf ich auf Picasso, der ebenso fasziniert davon war, wie ich. Wir diskutierten lange darüber und seither interessierten wir uns alle für Negerkunst – was auch mehr oder weniger in unseren Bildern zum Ausdruck kommt.“54

Die Vertreter des Fauvismus und die Kubisten verarbeiten ihre Faszination künstlerisch und 1919 macht der Kunsthändler Paul Guillaume afrikanische Kunst salonfähig: Er organisiert eine Ausstellung mit „Negerskulpturen“, publiziert in seiner Kunstzeitschrift Les Arts à Paris eine Abhandlung über die Ästhetik und die Hintergründe der Objekte und er organisiert das erste „Negerfest“ in Paris, zu dem alle eingeladen sind, die Rang und Namen haben. Diesem Vorbild folgend, wird der Jazzclub Le Bal Nègre in Montparnasse ab 1924 zum Treffpunkt des Who is Who der Nachtschwärmer. Und spätestens als Citroën auf der Pariser Weltausstellung 1925 in einem Pavillon die Transafrikaexpedition Croisière Noire („Schwarze Expedition“) zelebriert, ist klar, dass Afrika und schwarze Kunst ein Publikumsmagnet sind.

Zur selben Zeit suchen die Direktoren des Théâtre des Champs-Élysées, André Daven und Paul Achard, nach der kriegsbedingten Flaute nach einem neuen Konzept für ihr Haus, um ein breites Publikum anzusprechen. Dafür muss das Programm weniger elitär und anspruchsvoll gestaltet werden – weniger Theater, mehr Music Hall, mit Bühnenspektakel, Restaurant und Tanz, entspricht dem Geschmack der Zeit. Im Frühjahr 1925 versuchen sie mit einer „Saison Opéra Music Hall“ an alte Publikumserfolge anzuknüpfen.

Zeitgleich zu Davens und Achards Experiment klopft Caroline Dudley Reagan an die Türen der Theateretablissements Casino de Paris, Folies Bergère und Odéon. Reagan gehört zur frankophilen amerikanischen Community in Paris und bewegt sich im Umfeld von Gertrude Stein, ist aber auch eine Schirmherrin der Harlem Renaissance. Seit ihrem ersten Besuch einer All-Black-Show in Washington D. C., die sie nachhaltig fasziniert hat, trägt sie sich mit dem Gedanken, eine solche Revue nach Europa zu bringen: „Acht schwarze Mädchen in schwarzen Trikots, eine prächtiger als die andere, tanzen, tanzen, tanzen. Es war der Charleston (…). Ich war überwältigt, wie von einem unsichtbaren Magneten angezogen, eine Kompanie zusammenzustellen, um solche Künstler zu zeigen, um Paris zu begeistern, zu verblüffen, sprachlos zu machen.“55

Die Theaterdirektoren teilen Caroline Reagans Begeisterung jedoch nicht und lehnen ihr Angebot, La Revue Nègre zu inszenieren, ab. Erst als sie im Théâtre des Champs-Élysées vorstellig wird, trifft sie auf Gegeninteresse. Sie schlägt André Daven und Paul Achard vor, für sie in New York eine Kompanie zusammenzustellen. Die beiden riechen den Erfolg und engagieren sie.

Erste Allüren

„Als die Freiheitsstatue am Horizont verschwand, wusste ich, nun bin ich frei.“

Caroline Reagan stürzt sich sofort in die Arbeit. Sie sieht ihre Chance, als Producerin mit einem Äquivalent zu Shuffle Along in Paris für Furore zu sorgen. Sofort als sie 1925 in New York ankommt, schließt sie sich mit dem Jazzmusiker Spencer Williams zusammen, der sowohl in der Stadt als auch in der Musikszene etabliert ist und ihr Türen öffnen kann. Er übernimmt die Aufgabe, die Musik für ihre Show zu komponieren und sie bei der Besetzung von La Revue Nègre zu beraten. Drei Monate lang ziehen sie Nacht für Nacht durch die Jazzclubs und Theater am Broadway und in Harlem.

Mitte September haben sie es geschafft: Als Pianist und Leader der sechsköpfigen Band ist der erst zweiundzwanzigjährige Claude Hopkins engagiert, der trotz seiner jungen Jahre bereits einen Namen in New York hat: „Crazy Fingers“. Auch die anderen Musiker sind exzellent besetzt: Die Klarinette spielt Sidney Bechet, der bereits Europaerfahrung hat und als passioniertes Improvisationstalent gilt. Am Schlagzeug sitzt Percy Johnson, das Saxophon spielt Joe Hayman, die Posaune Daniel Day und Ernest „Bass“ Hill die Tuba. Als männlicher Star wird der Stepptänzer Louis Douglas besetzt, der ebenfalls bereits in Frankreich war. Die Suche nach einem weiblichen Star gestaltet sich etwas schwieriger. Carolines erste Wahl, Ethel Waters, will Amerika nicht verlassen und fordert zudem eine wöchentliche Gage von 500 Dollar. Eine Entscheidung, die sie später bitter bereut: „Ich wurde gefragt, ob ich mit nach Europa kommen wolle, doch ich wollte zuerst Amerika sehen. Also verlangte ich 500 Dollar die Woche – ich hätte diese Franzosen genauso gut nach all ihren Chateaubriand-Steaks mit ihren weltberühmten Frites fragen können. (…) 500 Dollar! Sacrebleu! Josephine, die weniger verlangte, ging nach Frankreich. Am Ende hatte Josephine ein Schloss, einen Grafen und ganz Paris zu ihren Füßen. Nochmal, sacrebleu!“56 Auch die zweite Wahl, Gertrude Saunders, die mit Shuffle Along zum Star geworden ist, verlangt zu viel, und so fällt die Entscheidung schließlich auf Maude de Forrest, eine Bluessängerin mit gutem Mezzosopran und einer Vorliebe für Spirituals. Entgegen der Legende wird Josephine in New York nicht als Star besetzt, sondern als Tänzerin.

Frühe Autogrammkarte von Josephine, um 1925/26.

An Starallüren mangelt es Josephine aber schon zu diesem Zeitpunkt nicht. Caroline Reagan bietet ihr 150 Dollar die Woche, das sind 25 Dollar mehr, als sie bislang verdient, und ist wahrlich ein gutes Angebot. Josephine sagt zu, um am nächsten Tag wieder abzusagen. Das geht hin und her, bis Caroline schließlich auf 250 Dollar erhöht – eine verlockende Summe, doch ohne gutes Zureden von Spencer Williams hätte Josephine wahrscheinlich dennoch wieder abgesagt: Eine Mischung aus Angst vor dem Unbekannten, Lust auf etwas Neues, der unbedingte Wille, erfolgreich zu sein, und die Zuversicht, es auch in New York zu schaffen, lassen Josephine zögern. Ein unschlagbar überzeugendes Argument für Paris und gegen Amerika allerdings hat Spencer Williams: In Frankreich gibt es keine Rassentrennung.

Als die Besetzung steht, kommen neue Probleme auf die Producerin zu, denn die wenigsten in der Truppe können lesen und schreiben oder haben gar eine Geburtsurkunde, um einen Reisepass zu beantragen. In wilden Aktionen werden familiäre Allianzen erfunden, um sich gegenseitig die persönlichen Angaben zu bezeugen – die der Beamte in New York zum Glück ohnehin nicht überprüfen kann. Caroline Reagan bürgt für Josephine, doch diese gibt sich keinerlei Mühe, strategisch vorzugehen, stattdessen macht sie widersprüchliche Angaben. In ihrem Arbeitsvertrag steht sie mit dem Namen Josephine Baker, in ihrer Geburtsurkunde aber heißt sie Freda J. McDonald. Zum nächsten Problem wird führen, dass sie als Vater Edward McDonald erfindet, jedoch das nächste Kreuz bei „ledig“ macht. Als dem Beamten die Ungereimtheiten auffallen, entspinnt sich folgender Dialog:

„Ledig?

Ja und Nein.

Verheiratet?

Ja und Nein.

Geschieden?

Ja und nein.“57

Wie auch immer sie es schafft, sie bekommt ihren Pass. Wie die meisten Anekdoten, so existiert natürlich auch diese in mehreren Varianten. Auf eine dreist-naiv-charmante Art setzt Josephine sich jedenfalls durch.

Ende September schifft sich die Truppe auf der Berengaria ein – Unterdeck, nicht erste Klasse, denn unter amerikanischer Flagge gilt auch auf hoher See, dass Schwarze und Weiße separiert bleiben. Entsprechend dem Brauch auf Ozeandampfern, dass mitfahrende Kunstschaffende das Unterhaltungsprogramm bereichern, arrangiert Caroline Reagan zwei Auftritte – da ohnehin täglich Proben angesetzt sind, ist das eine gute Gelegenheit, die Wirkung des Ensembles auf das Publikum zu testen. Josephine besteht darauf, einen Part als Sängerin zu bekommen und obwohl das nicht vorgesehen ist, versucht die Producerin erst gar nicht, ihr das auszureden. Sie weiß mittlerweile, wie resolut Josephine werden kann, um zu bekommen, was möchte. Doch natürlich hat Josephines ungeübte Stimme keine Chance – die Band übertönt sie und ihr Gesang geht in der Weite des Raums völlig unter. Was daraufhin geschieht, wirft ein Licht auf Josephines Mentalität: Sie wirft ihren Misserfolg Caroline Reagan vor und dass diese sie absichtlich dieser Demütigung ausgesetzt habe. Lautstark und völlig außer sich beschuldigt sie sie: „Das hast du mit Absicht gemacht! Ich bin raus. Morgen bin ich weg.“ Doch Caroline, Dame der Gesellschaft durch und durch, lässt sich nicht provozieren, sondern antwortet souverän: „Ganz wie du möchtest, aber ich fürchte, morgen wird nicht möglich sein. Wir befinden uns in der Mitte des Ozeans.“58

Josephine hat nie gelernt, sozialkompatibel zu reagieren und sich zurückzunehmen. Im Gegenteil: In den Straßen von St. Louis, sehr jung und ohne Begleitung auf Tour, auf den Bühnen bis nach New York war Durchsetzungskraft gefragt. Auf Verletzungen und Enttäuschungen reagiert sie reflexhaft mit Angriff, nach dem Motto „Der Schnellere bzw. Stärkere gewinnt“. Die sozialen Codes einer Gesellschaft, in der Klugheit, Taktik und Abwägen zum Ziel führen, sind ihr völlig fremd. Sie rast vor Ärger und braucht bis zum nächsten Morgen, um sich zu beruhigen – und ein Einsehen zu haben. Dann klopft sie an Carolines Kabinentür und bittet um Verzeihung. Entsprechend der Gepflogenheiten lässt diese sie nicht herein, sondern bestellt sie für zehn Uhr in den Speisesaal. Das zeigt Wirkung: Als Caroline um Punkt zehn Uhr erscheint, ist Josephine bereits da und sehr nervös. Doch statt einer Standpauke bekommt sie zu hören: „Josephine, du kannst tanzen, du bist schön und du hast etwas an dir, das sogar die Pariser begeistern wird. Und du bist ein Clown. Vergiss das nicht.“59 Caroline weiß eben auch, was sie will, nur wendet sie die wirksameren Methoden an.

 
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