Nach Gott fragen zwischen Dunkel und Licht

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Die Sehnsucht nach mehr

Inmitten der vielfältigen Wege, die Gottesfrage zu stellen, ist für nicht wenige Menschen die Sehnsucht zum Auslöser geworden, nach einem „Mehr“ zu fragen. Das zieht sich quer durch die Generationen : Junge Leute wie auch Menschen in den mittleren und fortgeschrittenen Lebensaltern sprechen davon, dass es nicht sein kann, dass das Leben in dem aufgeht, was uns ringsherum von Gesellschaft, Politik und den konsumorientierten Wirtschaftsideologien angepriesen wird. Die Sehnsucht als unstillbarer Antrieb im Menschen geht nicht in Bedürfnissen auf, die die Märkte vorgeben. Sie ist eine Kraft, die über den Menschen hinausreicht und ihn antreibt, weiter zu fragen und tiefer zu suchen.

Von daher ist die Sehnsucht auch ein ambivalentes Phänomen. Der in Frankfurt lebende Schriftsteller Wilhelm Genanzino wird beispielsweise nicht müde, in seinen Romanen die Sehnsucht des Menschen als unstete Kraft zu beschreiben. Seine Protagonisten rasen von hier nach da, immer auf der Suche, endlich zu leben, anzukommen, und sei es unter dem Pullover der Freundin, um dort in einem kurzen Augenblick zu empfinden, was da sein bedeutet.1 Die Sehnsucht lässt den Menschen nie genug haben und wird dort, wo sie ihre eigentliche Akzentuierung verliert und sich im Plural der Sehnsüchte verliert, zur zerstörerischen Kraft, die den Menschen zum Flüchtigen und Gehetzten verkommen lässt.

Ganz anders ist die Sehnsucht, die in der christlichen Mütter- und Väterliteratur der ersten Jahrhunderte als desiderium (lat. Sehnsucht) beschrieben wird. Als solche ist sie nicht einfach eine vom Menschen gemachte Kraft. Sie ist vielmehr die Weise, wie Gottes Geist im Menschen wirkt, ihn anstiftet, sich nicht mit dem Vorletzten zufriedenzugeben, sondern in allem tiefer zu sehen und das Auge des Herzens auf Gott ausgerichtet zu halten. Gregor der Große gilt in der westlichen Spiritualitätsgeschichte als der große Lehrer der Sehnsucht.2 Er verdeutlicht, dass die Sehnsucht wie der Atem Gaben Gottes an den Menschen sind. Beide markieren sowohl den Weg Gottes zum Menschen, als sie auch umgekehrt Wege des Menschen zu Gott sind. Von daher verwenden nicht wenige Meditationstechniken ein Höchstmaß an Aufmerksamkeit auf den Atem. Er ist nicht nur Weg in die Tiefe, sondern Weise, in dieser Tiefe Gott zu vernehmen, der im Menschen schon längst Wohnung genommen hat. Und wer weiß nicht aus eigener Erfahrung, wie Atem und innere Ausgeglichenheit zusammenhängen beziehungsweise wie sich Hetze und Stress auf den Atem auswirken.

Die christlich verstandene Sehnsucht kennt insofern zwar das Unterwegssein auch in der Ausprägung des Unstetseins. Sie verdeutlicht aber, dass dieses nicht um seiner selbst willen wichtig ist und schon gar nicht das Ziel oder auch nur die eigentliche Weise der Sehnsucht darstellt. Die christlich verstandene Sehnsucht bezeichnet vielmehr eine Haltung, die uneingelöste Erwartung von Leben nicht selbst einlösen zu wollen, sondern dem noch Erwarteten, und das heißt dem noch ausstehenden Gott, Raum zu geben, so dass Gott selbst immer mehr im Menschen und in der Welt ankommen kann.

Diese Sehnsucht wird schließlich auch für Franz von Assisi zum Auslöser, sich nicht mit dem zufriedenzugeben, was ihm sein reicher Vater und die in Stände aufgegliederte Gesellschaft des Hochmittelalters bieten konnten. Seine Weise, Gott zu suchen und immer wieder von ihm an überraschenden Orten gefunden zu werden, wird von daher sowohl zum Dispositiv, auf dem eigene Erfahrungen nochmals in einem anderen Licht gesehen werden können, als es sich auch als Kontrastiv zeigt, das so manche eingeschliffenen Denkgewohnheiten, wie Gott ist und wie er zu sein hat, anfragt.

2. Wege franziskanischen Gottsuchens

Wenn im Folgenden nach den Wegen franziskanischen Gottsuchens gefragt wird, dann bleibt schon jetzt anzumerken, dass diese nicht einfach so, abstrakt gleichsam, skizziert werden können. Nach dem „Franziskanischen“ zu fragen heißt, näher zu erläutern, wie Franz von Assisi gelebt hat, und zu rekonstruieren, was das bedeutet. Vielleicht ist das für keine andere Spiritualität so kennzeichnend wie für die franziskanische. Sie kann nur beschrieben werden, indem man ergründet, wie Franz und Klara von Assisi gelebt haben, was sie bewegte, was sie wollten und taten. Damit sind schon zwei Prinzipien franziskanischen Gottsuchens angesprochen worden, noch bevor das Thema näher behandelt wurde: Franziskanische Spiritualität zu entfalten heißt, das konkrete Leben von Franz und Klara in den Mittelpunkt zu rücken. Und franziskanische Spiritualität zu beschreiben heißt, der Erzählung den Vorrang vor der abstrakten Spekulation einzuräumen. Das wird nicht immer gelingen. Aber die „Lesebrillen“ sind damit formuliert.

Nicht am Menschen vorbei

Franziskus ist kein ganz anderer geworden, als er merkte, dass Gott in sein Leben tritt. Das hört sich einfach und selbstverständlich an, ist aber für die Spiritualitätsgeschichte ein markanter Aspekt. Gott handelt nicht am Menschen, an seinen Fähigkeiten, seinen Charaktermerkmalen, seien sie gut oder schlecht, und seiner Geschichte vorbei. Was Franziskus wollte und wie er war, wurde nicht ausradiert, als er sich auf Gott einließ. Franziskus, der das Leben in vollen Zügen suchte, musste nicht erst ausgetauscht werden, um zum Gottsucher zu werden. Diese Suche nach dem Leben war vielmehr schon der Weg, immer mehr an Gott zu rühren. Er hat sich nur vertieft, geklärt und noch deutlicher auf das Leben ausgerichtet.

Die Ausrichtung nach oben

Ein Beispiel dafür, dass Gott nicht am Menschen vorbei handelt, ist die Ausrichtung nach oben, die Franziskus schon in seiner Jugendzeit motivierte. Wie es in der Gesellschaft des Hochmittelalters üblich war, stieg Franziskus in das Geschäft seines Vaters Pietro Bernardone ein und wurde Kaufmann wie er. Die Bernardones waren angesehene Bürger Assisis. Der sich etablierende Geldhandel, der das Tauschgeschäft ablöste, war für Franziskus’ Vater zur Möglichkeit geworden, Ruhm und Einfluss zu erlangen. Pietro Bernardone war ein weit gereister Mann. Seine Frau Pica holte er vermutlich aus der Provence nach Assisi. Als Franziskus 1181 oder auch 1182 – beide Datierungen sind zu finden – geboren wird, ist sein Vater wieder einmal auf Handelsreisen unterwegs. Trotz seiner Weitläufigkeit und seines Reichtums fehlte Pietro Bernardone aber das Entscheidende, das ihm sein Sohn Franziskus verschaffen sollte: ein Platz ganz oben. Die Ständegesellschaft des Hochmittelalters war klar gegliedert in die majores, die Adligen, die minores, also die Bürgerlichen, zu denen die Bernardones gehörten, und die clerici, die Kleriker; Letzteres kam für Pietros Sohn nicht in Frage, um nach oben zu kommen. Auch der „Geldadel“ war kein wirkliches Äquivalent zu den majores. Hier blieb in den Augen Pietros nur eines: Franziskus sollte Ritter werden und auf Kreuzzügen und Kriegen kämpfen und siegen. Diesen unbedingten Wunsch des Vaters, über den von der Gesellschaft zugewiesenen Platz hinauszuwachsen und mehr zu werden, macht sich Franziskus zu eigen.

Wie im Grunde fast immer, findet dieses Ausgestrecktsein nach oben bei Franziskus einen sinnenfälligen Ausdruck. Als Bürger ist er festgelegt auf die Region der Commune, den Stadtplatz und damit auch geographisch gesehen die mittlere Ebene der Stadt. Ganz unten sind die Behausungen der Armen und Aussätzigen zu finden, die in den Augen der Gesellschaft nicht zählen. Ganz oben, wo Pietro und jetzt auch Franziskus hinwollen, liegt die Rocca, die Burg Assisis. Ritter zu werden heißt, künftig in der Burg Platz zu nehmen und damit so weit oben als möglich anzukommen.

Pietro ist dafür kein Geld zu schade. Er stattet seinen Sohn mit teurem Rüstzeug aus und lässt ihn mit den anderen Bürgern Assisis in den Krieg gegen die verhasste Nachbarstadt Perugia ziehen. Das war um das Jahr 1202. Nach ganz oben zu kommen scheint kein unerreichbares Ziel mehr zu sein. Franziskus wird diese Ausrichtung sein Leben lang beibehalten. Es wird aber nicht mehr die Rocca und damit das gesellschaftliche Ansehen suchen, sondern mehr. Was dieses „Mehr“ ist, weiß er noch nicht. Erst langsam, Schritt für Schritt, zeigt es sich.

Alles geben

Vorher aber wird gefeiert und getanzt. Hier zeigt sich ein anderer Zug an Franziskus, den er auch sein Leben lang beibehalten wird: seine Freigebigkeit, seine Gabe, mit vollen Händen zu verschenken und andere an seinem Glück teilhaben zu lassen. Nicht erst später, als er schon alles aufgegeben hat, unter den Armen wohnt und einer von ihnen geworden ist, lernen ihn die Menschen kennen als einen, der nicht zählt und rechnet, sondern gibt, was er geben kann. Schon als er noch im Haus seines Vaters wohnt, verschenkt er die Stoffe, wenn die Leute sie nicht bezahlen können, ist er König der Feste und der Anführer der Jugend Assisis. Nicht nur deshalb ist er ein gern gesehener junger Mann. Franziskus liebt die Menschen, das Zusammensein mit anderen. Und die anderen lieben ihn. Er hat viele Freunde und Freundinnen. Franziskus zieht die Menschen förmlich an. Wo er ist, da sind auch andere. Auch das wird Franziskus sein Leben lang kennzeichnen. Obwohl er später, sehr viel später, Phasen tiefer Einsamkeit durchleben wird und lernen muss, dass Leben auch heißt, das Geworfensein auf sich selbst auszuhalten, ist für ihn das Zusammensein mit anderen eine wichtige Lebensquelle. Dass das auch bedeutet, sich nicht abhängig von anderen zu machen, auch gegen Widerstände am Rechten und Richtigen festzuhalten, das wird Franziskus schmerzlich am eigenen Leib erfahren müssen, als er die Regel für die Brüder schreibt und diese eine andere, weniger radikale Lebensweise wollen als er selbst.

 

Gott inszenieren – mit allen Sinnen Gott ausdrücken

Nicht nur zu dieser Zeit, als er die Regeln verfasste, also 1221 bzw. 1223, sucht Franziskus eher in Inszenierungen als in Worten dem Ausdruck zu verleihen, was er in sich spürt. Schon als junger Mann spricht er in Bildern und Gesten. Er lässt sich ein Kleid aus teuren Stoffen nähen und mit einem wertlosen Stoff zusammenflicken [vgl. Gef 2 (FQ, 612 f)]. Er gebraucht, wie es in der Zeit des Minnesangs üblich war, das Brautmotiv an vielen Stellen und meint damit aber nicht wie die höfischen Sänger das angebetete geliebte Mädchen, sondern die Armut. Für Franziskus wird sie zur Herrin und zu seiner Geliebten. Später, es ist im Jahr 1223, wird er das Wunderbare und Unermessliche, das die Menschwerdung Jesu Christi bedeutet, nicht in Worten oder Texten ausdrücken. Franziskus lässt die Erzählungen der Kindheitsevangelien bei Lukas (Lk 1–2) und Matthäus (Mt 1–2) inszenieren. Als er sich in der Einsiedelei von Greccio im Rietital um die Weihnachtszeit aufhält, ruft er die Bauern zusammen, lässt sie Ochs und Esel herbeischaffen, eine Futterkrippe mit Heu aufstellen und lädt ein Ehepaar in eine Höhle ein. Über dem hastig zusammengestellten Stall feiert er mit den Menschen Eucharistie. Die Zeichen sprechen und lassen verstehen, dass Niedrigkeit und Armut Gott nicht zuwider waren. Die Geschichte der Menschen, was das Leben ausmacht, das ist in der Menschwerdung Jesu Christi Gottes Zeit und Schicksal geworden. Gott selbst ist Mensch geworden und das heißt, dass ihm keine menschliche Not mehr fremd ist. Was Worte nicht einfangen können, inszeniert Franziskus in Zeichen, die ihre Deutekraft für die Menschen entfalten und damit in jede Zeit neu hineingegeben sind, um ausgelotet zu werden.

Schritt für Schritt den Weg entdecken

Dies alles versteht Franziskus nicht plötzlich. Gott zeigt sich ihm nicht ein für allemal und eindeutig. Franziskus sucht ein Leben lang nach seinem Weg, er ahnt eine Richtung, findet sie aber nicht sofort. Auch das ist charakteristisch für Franziskus. Schritt für Schritt tut er das Nächstliegende. Das kann zu Verwechslungen führen. Als er sich vom Kreuz in San Damiano, einer kleinen Kirche vor den Toren Assisis, drunten im Tal gelegen, angesprochen weiß und die Worte Jesu hört: „Franziskus, siehst du nicht, dass mein Haus in Verfall gerät? Geh also hin und stelle es mir wieder her!“ [Gef 13 (FQ, 619)], trägt er Steine zusammen, mauert eingerissene Mauern auf und renoviert das Kirchengebäude. Erst nach und nach wird er im Laufe seines Lebens verstehen, dass mit diesem Auftrag mehr als eine bauliche Angelegenheit gemeint war. Franziskus soll die ganze Kirche reformieren. Die Bewegung hin zu den Armen, die Suche Gottes nicht nur ganz oben, sondern immer weiter unten, soll die Kirche, die sich unter Innozenz III. (1198–1226) in triumphalistischer Manier gebärdet, wieder auf das Evangelium Jesu ausrichten.

Gott im konkreten Tun erkennen

So wird immer wieder deutlich, dass Franziskus zwar ein Mensch ist, der das, was er verstanden hat, ganz und gar tut. Er ist aber kein Fundamentalist, der aus einer einmal getroffenen Entscheidung heraus nicht mehr bereit ist, die Umstände und v. a. die Menschen selbst mit ihren Stärken und Begrenzungen in den Blick zu nehmen. Franziskus beurteilt Welt und Geschichte nicht aus einer idealen Vorstellung heraus. Er gibt der Praxis, dem konkreten Tun den Vorrang. Er sucht die Aussätzigen auf und spürt, dass er in ihnen Gott begegnet. Er stiftet Frieden unter Unversöhnlichen und wittert, dass Gott mit Gewalt nichts zu tun hat, aber auch nicht mit fauler Harmonie verwechselt werden darf. Er geht zu den Muslimen und versteht, dass es falsch sein muss, Gottes Heil auf die katholische Kirche einzugrenzen. Gott gewinnt für Franziskus im konkreten Tun Konturen. Damit wird es ihm auch möglich, Gott nicht nur in den von der damaligen Gesellschaft und Kirche festgelegten Schablonen zu finden und ihn wie in der Romanik üblich in den Himmeln thronend zu suchen. Franziskus wird durch das konkrete Tun des Guten aufmerksam für die Spuren Gottes mitten in unserer Welt, im Gesicht des Anderen und im Schicksal der Entrechteten. Gott ist nicht jenseits der Geschichte der Menschen zu finden, sondern mitten in ihr. Das bedeutet auch, dass Gott nicht am Menschen vorbei wirkt, sondern die konkreten Eigenschaften, die den Menschen ausmachen, gebraucht, um dem Guten Raum zu schaffen. Das mag zunächst gewöhnlich klingen. Vergleicht man das aber mit durchaus gängigen Verstehensweisen in der Spiritualitätsgeschichte, zeigt sich das Besondere.

Gottes Ja als Beginn der Geschichte des Menschen mit Gott

Anders als in gnostischen Strömungen üblich, die auch heute reges Interesse finden, oder auch in den Bewegungen der Katharer und Waldenser selbstverständlich, die zur Zeit des Franziskus viele Menschen begeisterten, machen Franziskus und die franziskanische Spiritualität deutlich, dass am Beginn der Beziehung Gottes zum Menschen nicht asketische Übungen stehen. Der Mensch muss Gott gegenüber nicht in Vorleistung gehen oder sich selbst Gewalt antun. Die Geschichte des Franziskus zeigt vielmehr, dass Gottes Ja zum Menschen über allem und jeder und jedem Einzelnen steht. Dieses Ja bezieht sich nicht nur auf die guten und lichten Seiten, sondern auch auf das Dunkle, das man selbst lieber verborgen halten will. Gott sucht den Menschen mit allem, was ihn ausmacht. Und Gott kann alles nütze werden. Es liegt am Menschen, wie viel er davon für Gott auftut und wie viel er ihm zutraut. Was das heißt, mag ein Wort illustrieren, das dem französischen Religionsphilosophen und Naturwissenschaftler Blaise Pascal (1623–1662) zugeschrieben wird: „Es ist nicht auszudenken, was Gott aus den Bruchstücken unseres Lebens machen kann, wenn wir sie ihm ganz überlassen.“ Es geht darum, alle Herzkammern für Gott aufzutun und in das Vertrauen hineinzuwachsen, Gott selbst die Scherben unseres Lebens zu überlassen.

Zur Freiheit berufen

Gott zwingt den Menschen nicht. Er führt ihn nicht mit Gewalt an sich heran. Er gibt den Menschen vielmehr frei. Diese Freiheit ist – theologisch verstanden – nicht eine vom Menschen erwirkte. Sie gilt auch nicht nur bis zu einem gewissen Grad. Gottes Ermächtigung des Menschen zum ganz Freien entspringt vielmehr aus Gott selbst, der Liebe ist. Die Liebe aber kann und will nichts anderes, als den Geliebten in der Fülle zu wissen. Da nun Gott allem Geschaffenen diese Grundsignatur der Liebe eingestiftet hat, kommt der Mensch dort zur Fülle, wo er selbst zum Liebenden wird. Liebe aber ist nur dort möglich, wo sie in Freiheit geschieht. Jeder weiß aus eigenen Erfahrungen, wie weh es tut, nicht um seiner selbst willen geliebt zu werden, sondern aufgrund eines bestimmten Zwecks ausgesucht worden zu sein. Die größte Freiheit und Nicht-Notwendigkeit zeigt sich deshalb dort, wo jemand zum anderen auch nein sagen kann. Gottes Liebe riskiert genau das: Sie geht so weit, den Menschen in eine Freiheit zu setzen und einen Radius zu eröffnen, sich auch von Gott abgrenzen und zu ihm nein sagen zu können. Das ist wohl der größte und tiefste Ausdruck der Liebe Gottes zum Menschen. Er entlässt den Menschen in eine solche Freiheit, dass sich der Mensch in die größte Entfremdung begeben kann, die möglich ist. Und dennoch will Gott den Menschen nur so; denn nur die Antwort desjenigen, der frei ist, sich auch von dem loszusagen, der ihn geschaffen hat, ihn gewollt und von Anfang an ja zu ihm gesagt hat, ist eine von Grund auf freie und damit eine von Grund auf zur Liebe fähige.

Das ist zugleich das große Paradox christlicher Gottsuche. Der Mensch wird nicht dort freier, wo er sich von Gott als seinem Schöpfer entfernt. Das Wirken Gottes, theologisch gesprochen: seine Gnade, ist auch nicht Konkurrentin der Freiheit des Menschen, so dass der Mensch versuchen müsste, sein Lebensgeschick immer mehr in seine eigenen Hände zu nehmen und das Glück des Lebens immer mehr selbst zu erschaffen. Sondern umgekehrt: Der Mensch wird dort immer freier, wo er sein eigenes Verdanktsein immer tiefer bejaht und immer mehr einschwingt, alle Fasern des Lebens auf Gott auszurichten, der ihn in das Dasein und zu einem Leben in Fülle (vgl. Joh 10,10) gerufen hat.

Wie sehr sich dieses Verstehen im ganz gewöhnlichen Alltag auswirkt, mögen so einfache Dinge plausibilisieren wie die Erkenntnis, dass das eigentlich und wirklich Wichtige im Leben nicht selbst gemacht, sondern nur geschenkt werden kann. Denn wer kann schon machen, geliebt zu werden, im Tiefsten gehalten und glücklich zu sein?

Gott suchen heißt von daher nichts anderes, als sich immer mehr aufzutun für die liebende Zuwendung Gottes und so immer mehr Mensch zu werden. Damit ist auch ein Maßstab aufgerichtet für religiöse Praktiken und Lehren. Wo sie den Menschen knechten, wo der Mensch durch sie immer weniger zum Leben kommt oder gar vom Leben abgeschnitten wird, dort haben sie auch nichts mit Gott zu tun. Kirchliche Lehre und Moralverkündigung sind von diesem Blick aus auf den Prüfstand zu stellen.

Dass Gott nicht am Menschen vorbei handelt, gilt von daher als wichtiger Grundzug franziskanischer Gottessuche und ist so etwas wie eine fundamentale Aussage franziskanischen Gottverstehens. Der Mensch muss nicht zuerst ein anderer, moralisch Besserer oder Gläubigerer werden, um sich für Gott aufzutun. Gott sucht den Menschen so, wie er ist. Und der Mensch ist eingeladen, sich finden zu lassen. Das heißt auch, Gott zuzutrauen, trotz und auch angesichts aller Schatten und Schwierigkeiten den Einzelnen als geliebtes Du zu suchen.

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