Besser führen

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Der Weg zur Antwort liegt darin, die eigene Entwicklungsstufe zu erkennen – individuell und aus Unternehmenssicht. Die Unterscheidung zwischen Sein, Tun und Haben ist grundlegend und hilfreich. Anstatt wie üblich mehr zu tun, um mehr zu haben, fokussieren Sie sich nun bewusst darauf, wer Sie wählen, zu sein (Führungs-Mindset). Sie praktizieren dann ‚Führung von innen’. Sie entwickeln eine bewusste Haltung, vertrauen auf Ihre innere Resonanz und reifen als Persönlichkeit. Dies ermöglicht Ihnen ein hohes Maß an Flexibilität und Weitblick im Umgang mit Veränderung.

Sie merken: Die genannten Herausforderungen sind nicht durch Lernen zu bewältigen. Sie erfordern echte Entwicklung.

Wir alle haben in den vergangenen Jahren im Umgang mit Veränderung, Globalisierung, Digitalisierung dazu gelernt – aber die wenigsten haben sich entwickelt. Bewältigung und Umgang sind wertvolle Fähigkeiten, aber sie reichen nicht aus, um die heutigen und zukünftigen Herausforderungen zu meistern.

Wenn wir die Welt als zu komplex erleben, erleben wir nicht nur die Komplexität der Welt. Wir erleben ein Missverhältnis zwischen dem höheren Grad der Komplexität der Welt und dem Grad der Komplexität unseres eigenen Mindsets. Es gibt nur zwei Wege, dieses Missverhältnis zu beheben: die Komplexität der Welt zu reduzieren oder unsere eigene zu erhöhen.


Abb. 1: Die TOP-3-Herausforderungen für Führungskräfte in der Krise.

Quelle: www.managerseminare.de; Leadership-Trendbarometer des IFIDZ, n=217, März 2020


Abb. 2: Die TOP-10_Herausforderungen der Führung über Distanz. Quelle: www.managerseminare.de; Studie: Umfrage „Führen in der Krise“ des virtuellen Trainings- und Beratungsanbieters Virtuu, n=499 Führungskräfte, 2020

1.1Neue Führung entsteht beim Führen

„Die erfolgreichsten Führungskräfte sind jene, welche die am wenigsten fügsamen Mitarbeiter fördern. Denn wenn Führungskräfte sich irren – und das tun sie immer – wird der mit den fügsamsten Mitarbeitern scheitern“, sagte Keith Grint, Leadership-Professor an der Warwick University. Er drückt die Weitsicht aus, die vielen oft nicht klar ist, wenn es um nachhaltigen und zukunftsfähigen Führungswandel geht.

Querdenken erlaubt.

Obwohl Querdenker die Vielfalt an Perspektiven und damit die Qualität des Urteils in Entscheidungsprozessen erhöhen, sind sie in den meisten mir bekannten Unternehmen ungern gesehen. Denn sie nerven. Und oft verzögern sie eine schnelle Urteilsfindung. Erst wenn eine Führungskraft in ihnen bzw. in ihren Aussagen den Nutzen erkennt, wenn sie die zusätzlichen Aspekte als Bereicherung versteht, können Quer- und Andersdenker ihre Wirkung entfalten und zur nachhaltig positiven Entwicklung eines Teams oder gar eines ganzen Unternehmens beitragen.

Für nachhaltige Entwicklung sind alle Mitglieder eines Teams gefordert, ihr Denken umzustellen und eine neue gemeinsame Mission zu leben:

von der Vorgabe zur Selbstverantwortung

von der Kontrolle zur Selbstkontrolle

vom Sicherheitsdenken zum experimentellen Denken

von der Fehlervermeidung zum Ausprobieren

vom Recht zum Widerspruch zur Pflicht zum Widerspruch

vom Konsens zum Dissens

von der Fremdbestimmung zur Selbstbestimmung

Es ist in vielen Unternehmen zu beobachten: Egal, mit wie viel frischem Elan jemand neu anheuert, mit der Zeit wird sich dem Gruppendenken angepasst. Das heißt, dass sich die Menschen im Unternehmen immer weiter annähern, in ihrem Denken und Handeln. Konsens macht sich breit, und wer mit einer abweichenden Meinung auffällt, fällt durchs Raster – sozial und kulturell, indem er vom Team ausgegrenzt, oder sogar komplett vertrieben wird. Solche Entwicklungen passieren schleichend, oft beinahe kongruent mit der Betriebszugehörigkeit und damit dem Verbundenheitsgefühl zum Unternehmen. Die Gefahr liegt jedoch darin, dass beim Beharren auf der Gruppenmeinung und den einhergehenden Sichtweisen und Prinzipien bestimmte Risiken und Probleme nicht gesehen oder nicht eingestanden werden. Selbst wenn nicht auf der Gruppenmeinung bestanden wird, braucht es beim Einen Mut, einen anderen Standpunkt zu vertreten und bei der Führungskraft das Urteilsvermögen zur Überprüfung, ob die Mehrheit wirklich die bessere (richtige) Meinung vertritt. Führungskräfte, die es sich leicht machen, vertrauen und folgen der Mehrheit, denn schließlich ist es ja die Mehrheit.

Und schauen wir in Richtung Einarbeitung/Integration neuer Mitarbeiter, so erkennen wir, wie der Neue auf die vorherrschenden Denkweisen und Verhaltensmuster gebrieft wird, um möglichst schnell „Stallgeruch“ anzunehmen. Was Unternehmen damit ausdrücken, ist die Überschätzung ihres internen Erfahrungsschatzes, während der Wert der Unerfahrenheit und der unverstellte und unbelastete Blick von außen unterschätzt wird. Ich sehe unsere Zukunftsaufgabe auch darin, gerade die Unvoreingenommenheit mehr zu kultivieren und nutzbar zu machen.

In jedem Fall reicht es nicht mehr aus, sich auf verdienten Lorbeeren auszuruhen. Denn das kann und wird Unternehmen künftig in die Handlungsunfähigkeit treiben.

Es genügt nicht, andere Meinungen zuzulassen. Wir müssen sie fördern“, sagte schon Robert F. Kennedy.

Führungskräfte, die sich heute mit dem Rücken an der Wand befinden und bewusst ihre Komfortzone verlassen, erkennen diesen Fakt an und fördern eine neue Grundeinstellung der selbstbewussten Eigenverantwortung. Wer sich darüber hinaus Mitarbeiter wünscht, die Ideen entwickeln, um die Ecke denken und mit hoher Eigeninitiative Dinge vorantreiben, muss heute die Bedingungen für eine solche Kultur schaffen. Der erste und wichtigste Schritt dahin heißt: Weg frei machen für die eigenen Leute. Das fordert Vertrauen der Führungskraft und von den Mitarbeitern den reifen Umgang mit Freiraum und Selbstverantwortung. Wir alle dürfen anerkennen, dass wir nicht alle Antworten haben. Aber wir können lernen, die richtigen Fragen zu stellen.

Und wir können besser beobachten lernen, wo wir in unseren Unternehmen dem Fortschritt im Weg stehen. Ja, das tun wir, wenn auch oft unbewusst. Zum Beispiel ist es gängig, dass Highperformer eingestellt werden, die sich durch besondere Leistungen hervortun. In den meisten Fällen sind solche Leistungsträger allerdings sehr wettbewerbsorientiert und damit Einzelkämpfer. Kommt ein solcher leistungsorientierter Fachexperte in ein Unternehmen, das an erster Stelle Teamgeist lebt, ist ein mächtiges Gewitter in der Unternehmenskultur vorprogrammiert. Ist ein solcher „Leistungssportler“ länger im Unternehmen unterwegs, wird er über die Zeit vermutlich einigen anderen Teammitgliedern das Leben schwermachen, besonders den teamorientierten „guten Seelen“ des Betriebs – im schlechtesten Fall, bis diese fliehen. In einigen von mir beobachteten Fällen entwickelt sich infolge mehrerer Highperformer im Unternehmen eine Kultur des Gegeneinander. Deshalb ist es umso wichtiger, schon im ersten Kontakt mit potenziellen neuen Teammitgliedern zu prüfen, ob die Kulturen zusammenpassen. Und gleichzeitig ist es sinnvoll, verschiedene Charaktertypen anzuziehen und zu tolerieren, um sich wertvoll zu ergänzen. Der Kommunikationswissenschaftler Paul Watzlawick leitet aus dem Kultur-Dilemma zwei Konsequenzen ab: „Wir müssen Toleranz für die Wirklichkeit anderer entwickeln. Denn deren Wirklichkeitskonstruktionen sind genauso richtig oder berechtigt wie meine eigenen.“ Und: „Wir sind absolut verantwortlich. Denn wenn klar ist, dass ich meine Wirklichkeit konstruiere, bin ich für diese Wirklichkeit auch verantwortlich.“ Den Psychologen Jens Corssen möchte ich aus seinem Buch Der Selbst-Entwickler ergänzend zitieren: „Wer sich nicht selbst entwickelt und damit bereit ist, seine Sicht der Dinge infrage zu stellen (…), läuft Gefahr, dass sein Denken zum Auslaufmodell wird und er so den Anschluss verliert.“ Wir können uns folglich nur dann zukunftsfähig aufstellen, indem wir unsere Selbstwahrnehmung immer wieder durch eine tiefgehende Fremdwahrnehmung ergänzen.

Das bedeutet, dass vor der Toleranz Anderen gegenüber wir erst einmal gefordert sind, uns selbst die Erlaubnis zum Wandel der eigenen Denkhaltung zuzugestehen. Uns selbst zu ermächtigen, neu zu denken und zu handeln. Leider bereitet uns nichts im Leben für diese Flexibilität im Kopf vor, eher im Gegenteil: In der Schule werden wir trainiert, still zu sitzen und nicht aufzufallen, nur die Angepassten (die „Genormten“) erhalten die guten Noten und wir werden darauf trainiert, nach dem Geheiß und den Regeln anderer zu funktionieren. Kein Wunder, dass die Mehrheit verinnerlicht hat, auf Kommando abzuliefern und ansonsten brav mit dem Strom zu schwimmen.

 

Und plötzlich fordern uns die Disruptiven, die Innovationstreiber und Vorausdenker auf, unseren Autopiloten neu zu programmieren. Plötzlich soll nicht mehr auf eine höhere Instanz oder eine offizielle Erlaubnis gewartet, sondern pro-aktiv weitergedacht werden. Das muss erst einmal verdaut werden. Denn ohne Autorität, nach gut Dünken, zu handeln, stellt sich den meisten Menschen als Gefahr dar. Wie soll jemand in unserer heutigen komplexen und unsicheren Welt eine Antwort auf das Morgen geben? Offen gestanden kann das keiner. Aber spätestens in der Führungsverantwortung müssen wir es. Versuchen. Und uns selbst erlauben, fehlbar zu sein.

1.2Vertrauen als Basis loyaler Führung

Schon Ralph Waldo Emerson war davon überzeugt: „Unser Misstrauen kostet uns unendlich viel.“ Dem stimme ich kompromisslos zu:

Misstrauen kann jede Zusammenarbeit, jedes Unternehmen, jede Beziehung zerstören. Selbst durch zu wenig Vertrauen entstehen Reibungsverluste, die – über die Zeit betrachtet – ebenfalls destruktiv oder sogar ruinös wirken können.

Der Autor David Horsager formuliert es noch radikaler: „In unserem 21. Jahrhundert wird gegenseitiges Vertrauen zu einer der knappsten Ressourcen der Welt.“ (Horsager 2013, S. 14) In seinem Buch bezeichnet er Vertrauen sogar als „die Währung von morgen“ und schreibt: „Je geringer das Vertrauen entwickelt ist, umso mehr Zeit braucht man für alles, umso teurer wird es und umso weniger loyal verhalten sich die Beteiligten untereinander. Je größer das Vertrauen ist, umso mehr Innovation, Kreativität, Freiheit, Kampfgeist und Fleiß bringen die Beteiligten auf. (…) Vertrauen ist notwendige Voraussetzung für gute Freundschaften, Familienleben, Firmenkultur.“ Was aber können wir tun, wenn wir den Weg nicht mehr zurückfinden in eine vertrauensvolle, loyale Welt? Was, wenn wir das vielfach verletzte Vertrauen und unser verlorenes Loyalitätsbewusstsein nicht wiederfinden können?

In den vergangenen Jahren als Führungsberaterin, Mentorin, Trainerin und Speakerin habe ich sowohl selbst als auch bei meinen Kunden erlebt, wie wichtig Kooperation und Zusammenarbeit im Netzwerk sind. Vertrauen und Loyalität bilden das Fundament für vernetztes, agiles Arbeiten – zwischen zwei Menschen, im Team und in strategischen Unternehmensnetzwerken. Umso mehr lohnt es sich, dafür aufzustehen und anzutreten, dass wir Vertrauen schenken und annehmen können, dass wir uns trauen und diesem alten Wert der Loyalität wieder Aufmerksamkeit und Wertschätzung entgegenbringen.

Es ist unsere Aufgabe, an der Wiederherstellung einer Vertrauenskultur zu arbeiten und uns gemeinsam um loyale Führung und Zusammenarbeit zu bemühen – als Menschen, in Systemen und Organisationen. Deshalb ist das Ziel dieses Buches auch, endlich wieder Vertrauen und Loyalität in uns selbst und unsere Beziehungen zu bringen. Es lohnt sich für alle! Für jeden einzelnen Menschen wie für unsere Gemeinschaft, für Chefs und Führungskräfte, für Mitarbeiter und Kollegen und besonders für die nächsten Generationen, denen wir mit täglich gelebter Loyalität eine wertvolle Basis schaffen, um die Herausforderungen der Zukunft zu meistern.

1.3Was ist Loyalität? – Eine Annäherung

Es gibt unzählige Definitionen von Loyalität. Begriffsbestimmungen aus der Psychologie, wissenschaftliche und wirtschaftliche Betrachtungs- und Auslegungsweisen. Im Grunde gehen alle gedanklich auf ein gemeinsames Verständnis zurück, und doch bietet jede Definition für sich einen anderen, neuen, manchmal spannenden Aspekt, der uns helfen kann, herauszufinden, was Loyalität für uns selbst heißt und im Umgang mit anderen Menschen bedeutet.

Um ein eigenes Verständnis von Loyalität zu entwickeln, schauen wir uns zunächst einmal an, wie sich Vertrauen als die Basis für den Aufbau von Loyalität definiert.

Prof. Dr. Andreas Suchaneck von der Handelsschule Leipzig und Wittenberg, Zentrum für globale Ethik, beschreibt Vertrauen im Gabler-Wirtschaftslexikon so: „Vertrauen ist die Erwartung, nicht durch das Handeln anderer benachteiligt zu werden; als solches stellt es die unverzichtbare Grundlage jeder Kooperation dar. Vertrauen wird als multidimensionales Konstrukt verstanden, welches Dimensionen wie Kompetenz, Integrität und Wohlwollen umfasst. Man kann zwischen Vertrauen in Personen und Vertrauen in Systeme unterscheiden. In Interaktionssituationen steht Vertrauen stets im Zusammenhang mit Verantwortung; Akteure, denen Vertrauen geschenkt wird, haben die Verantwortung, dieses in ihrem eigenen Interesse zu honorieren.“ Loyalität selbst wird im Gabler-Wirtschaftslexikon nicht definiert.

Bei Wikipedia ist zu lesen: „Loyalität bezeichnet (in Abgrenzung zu Treue, Unterwerfung oder Gehorsam) die auf gemeinsamen moralischen Maximen basierende oder von einem Vernunftinteresse geleitete innere Verbundenheit und deren Ausdruck im Verhalten gegenüber einer Person, Gruppe oder Gemeinschaft. Loyalität bedeutet, im Interesse eines gemeinsamen höheren Zieles, die Werte (und Ideologie) des anderen zu teilen und zu vertreten bzw. diese auch dann zu vertreten, wenn man sie nicht vollumfänglich teilt, solange dies der Bewahrung des gemeinsam vertretenen höheren Zieles dient. Loyalität zeigt sich sowohl im Verhalten gegenüber demjenigen, dem man loyal verbunden ist, als auch Dritten gegenüber.

Das Ausmaß der geforderten Loyalität hängt von den Erwartungen ab, die für die jeweilige Beziehung konstitutiv (maßgeblich) sind. Diese Beziehungen können informeller (zum Beispiel Freundschaften) oder formeller Natur sein (zum Beispiel Arbeitnehmer). Man kann in sie hineingeboren werden (zum Beispiel Verwandtschaft) oder sie gewählt haben (zum Beispiel Einwanderung). Die Loyalitätserwartungen erstrecken sich auf äußere Handlungen, aber auch auf innere Einstellungen. Strittig ist, ob Loyalitäten genuine (wahrhaftige, unverfälschte) Pflichten sind.“

Um dies zu verstehen und für die eigene Umsetzung nutzbar zu machen, ist es wiederum elementar, die Definition von Vertrauen zu verinnerlichen (Wikipedia): „Vertrauen bezeichnet die subjektive Überzeugung (oder auch das Gefühl für oder der Glaube an die) von der Richtigkeit, Wahrheit von Handlungen, Einsichten und Aussagen bzw. der Redlichkeit von Personen. Vertrauen kann sich auf einen anderen oder das eigene Ich beziehen (Selbstvertrauen). Zum Vertrauen gehört auch die Überzeugung der Möglichkeiten von Handlungen und der Fähigkeit zu Handlungen. Man spricht dann eher von Zutrauen.“

Im Duden heißt Vertrauen „festes Überzeugtsein von der Verlässlichkeit, Zuverlässigkeit einer Person, Sache.“ Loyalität wird im Duden beschrieben als „loyale Gesinnung, Haltung, Verhaltensweise.“

Ich glaube, man kann Loyalität nicht pauschalisieren, so wie man Vertrauen nicht pauschalisieren kann.

Vor Kurzem habe ich im XING-Expertendialog zu loyaler Führung gesprochen. Im Austausch bekam ich auf meine Frage „Was ist Loyalität?“ von einer Führungskraft zu hören: „Ich glaube, es gibt unendlich viele Schattierungen und Abstufungen von Loyalität. Es ist also ganz wichtig, Menschen von Anfang an Vertrauen zu schenken, damit sie selbst lernen, sich selbst und anderen zu vertrauen. Wenn du ein Kind beim Laufen lernen begleitest, musst du darauf vertrauen, dass es die ersten Schritte macht – ganz klar auch verbunden mit der Gefahr oder der Gewissheit, dass es stolpern wird, dass es hinfallen wird. Und irgendwann kommt dann der Punkt, an dem man das Vertrauen hat, das Kind allein aus dem Haus gehen zu lassen. Mit der Loyalität verhält es sich ähnlich: Du weißt, dass dein Kind seine eigenen Abenteuer erleben will und gleichzeitig fühlst du diese innere Sicherheit, dass es sich an deinen/euren Werten orientieren wird und keine irreversiblen Dummheiten macht.“

Ein Großteil meiner geschäftlichen Aktivitäten beruht auf Vertrauen. Lieferung von Dienstleistungen, Informationsaustausch, methodenbasiertes Führen, Mentoring – und ich vertraue darauf, dass meine Kunden pünktlich bezahlen, mich wieder buchen, mich weiterempfehlen. Dabei geht es rein um Vertrauen.

Banken haben sich jahrelang gegenseitig Vertrauen geschenkt – und wie wir aus der Wirtschaftskrise 2009 gelernt haben, kann dieses Vertrauen binnen Stunden plötzlich weg sein. 2020 hat Corona uns gelehrt, wie unser Vertrauen in Menschen und deren Solidarität ins Schwanken geraten kann – und in wie vielen Branchen Unternehmen heute mit ihrer Existenz um den Wiederaufbau von Vertrauen kämpfen müssen.

Bevor ich weiter über Loyalität spreche, ist schon die Frage um das Vertrauen ein heißes Thema: Wie geht man mit Vertrauen um? Und wie verhält man sich, wenn Vertrauen ausgenutzt wird? Jemandem bis zu einem gewissen Punkt zu vertrauen – und nicht darüber hinaus – ihm also soweit eine Sicherheit einzubauen, halte ich für eine gesunde Einstellung.

Ob wir nun über zwischenmenschliches oder gesamtwirtschaftliches Vertrauen sprechen: es handelt sich immer und überall um Menschen. Natürlich gibt es über den menschlichen Aspekt hinaus auch so etwas wie das Vertrauen in Systeme, Institutionen und Organisationen. Prof. Dr. Suchaneck schrieb: „Wir akzeptieren die Werte und Regeln der Systeme, Institutionen und Organisationen, handeln danach und vertrauen eben darauf, dass a) das andere auch tun und b) unser Vertrauen von diesen Systemen, Institutionen und Organisationen nicht missbraucht wird. Ganz nebenbei vereinfacht dieses Vertrauen unser Leben – schließlich denken wir nicht immer wieder neu darüber nach, sondern werden von einer allgemeinen Zuversicht getragen.“

In der Psychologie wird sich kritischer über Vertrauen geäußert. Hier wird Vertrauen als die Erwartung einer Person definiert, dass andere Menschen berechenbar im Interesse dieser Person handeln. (Quelle: https://wpgs.de/fachtexte/fuehrung-von-mitarbeitern/vertrauen-aufbauenmisstrauen-ueberwinden-tipps-und-psychologie/Kurzversion der URL: https://bit.ly/3mWAwCx)

Die Psychologie spricht den Menschen die Neigung zu, negativen Dingen mehr Gewicht zu geben als positiven. Aus Angst vor dem Scheitern versuchen wir manches gar nicht. Doch nur, wenn wir diese Angst überwinden, können wir Vertrauen aufbauen.

Mit jeder kleinen Hürde, die wir im Leben meistern, schwindet die Angst und wächst das Vertrauen – in unser Können und unsere Fähigkeiten und in uns selbst, unabhängig davon, was wir zu leisten imstande sind. Haben wir erst einmal Vertrauen aufgebaut, können wir Kontrolle abgeben.

Aber ohne ein Mindestmaß an Kontrolle können viele Menschen überhaupt kein Vertrauen aufbauen. Martin Schweer fasst das aus psychologischer Sicht folgendermaßen zusammen: „Vertrauen ist die subjektive Sicherheit, dass man Kontrolle abgeben und übertragen kann – sei es in die Hände anderer Personen oder eines sozialen Systems.“

Bei der Entstehung von Vertrauen und deren Einfluss auf das Maß an Vertrauen ist auch die Rolle der Hormone Mittelpunkt zahlreicher Forschungen. In der Biologischen Psychologie und den Neurowissenschaften ist großes Interesse daran zu verzeichnen. Prof. Dr. phil. Franz Petermann sieht das in neuen Erkenntnissen begründet, „die zeigen, dass so genannte Neuropeptide wie das Oxytozin bei der Entstehung von Vertrauen eine große Rolle zu spielen scheint“ (Petermann, 2013). Der österreichische „Hormon-Papst“ Prof. Dr. Johannes Huber beginnt bereits bei der DNA, also der Entstehung des Lebens. Seiner Meinung nach hat die Entstehung zwischenmenschlichen Vertrauens nicht nur mit dem genetischen Code, der DNA, sondern auch dem epigenetischen Code (der elektrischen Ladung, die unsere DNA umgibt) zu tun.

Unsere frühkindlichen Erfahrungen prägen, ob wir uns geliebt fühlen, ob und in wen wir Vertrauen haben können, oder nicht. Im Erwachsenenalter kennen wir das alle und erleben es sehr bewusst: Negative Erlebnisse führen dazu, dass wir weniger vertrauen, zumindest die meisten von uns. Wer betrogen wurde, wird nicht leichtgläubig und weniger gutgläubig sein. Bei wem sich solche Erfahrungen mehren, der verliert das Vertrauen irgendwann komplett. Doch: Dies ist kein Schicksal! Sie können sich bewusst neu entscheiden.

 

Wenn wir uns im weiteren Verlauf des Buches damit beschäftigen wollen, wie wir Vertrauen als Basis der Führung, als Fundament für loyale Führung, wiederentdecken können, dann ist das Wissen um ein paar psychologische und wissenschaftliche Zusammenhänge existenziell. Nichts ist für alle Zeiten festgeschrieben. Menschen und Persönlichkeiten können sich jederzeit ändern, sie sollen und dürfen dies auch – wenn es für sie selbst und ihr Umfeld förderlich ist. Ich sehe es sogar als unsere Aufgabe, an uns zu arbeiten, weil es ohne persönliche Weiterentwicklung kein Wachstum geben wird. Und das ist für jeden Menschen individuell mindestens ebenso wertvoll wie für ein Miteinander im wirtschaftlichen Kontext.

Die schweizerische Vertrauens- und Organisationsforscherin Antoinette Weibel hat sich mit der Vertrauenskultur im Management auseinandergesetzt. Die Professorin für Personalmanagement an der Universität St. Gallen definiert Vertrauen wissenschaftlich so: „Vertrauen ist eine risikoreiche Vorleistung, die ich meinem Gegenüber entgegenbringe. Das heißt, ich entscheide mich für eine Handlung, obwohl mir die Konsequenzen schaden könnten. Da die Person, die vertraut, mehr verlieren kann als ihr Gegenüber, sprechen wir von einem Vertrauensvorschuss.“

Vertrauen ist nicht nur in allen Lebensbereichen wichtig, wie Ina Schmidt in ihrem Essay „Vertrauen und innere Sicherheit“ formuliert, Vertrauen macht uns auch zufriedener, weil es unser Leben erleichtert. „Vertrauensvolles Verhalten basiert auf bestimmten Praktiken, die auf guten Gründen beruhen, vielfach aber intuitiv zu einem Entscheidungskriterium werden. Wir schenken jemandem unser Vertrauen in der Annahme, dass er ein ähnliches ‚Vertrauensverständnis‘ hat, sich also dessen bewusst ist, was ich an vertrauensvoller Ungewissheit an ihn richte – in der zuversichtlichen Haltung, das schon alles gut gehen wird … und das tun wir immer dann, wenn es keine Gründe gibt, die gegen einen vertrauensvollen Umgang sprechen, eine schlichte, aber doch grundlegende Erkenntnis. Letztlich ist also das, was wir in diesem Dilemma – einem existenziellen Bedürfnis nach Sicherheit in einer per se unsicheren Welt – tun können, eine ‚tragische‘ Aufgabe, wie schon der Philosoph Friedrich Nietzsche erkannte. Er meinte damit, dass der Mensch sehr bewusst die Welt in einen ‚schönen Schein‘ kleidet, der es ihm möglich macht, sich zu orientieren, einen Überblick zu gewinnen, zur Ruhe zu kommen, ohne dabei zu vergessen, dass er ‚auf dem Rücken eines Tigers in Träumen‘ hängt.“

Was Ina Schmidt eher philosophisch ausdrückt, bringt David Horsager auf den Punkt: „Vertrauen ist der zuversichtliche Glaube an jemanden oder etwas. Es ist der vertrauensvolle Glaube an die Einheit: Tun, was richtig ist. Halten, was man versprochen hat. Jedes Mal derselbe Mensch sein, egal unter welchen Umständen.“