Die Schwiegermutterwette

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Die neue Unterwäsche war ausgesprochen unbequem und rieb an Stellen, die man normalerweise lieber nicht spüren wollte. Ganz besonders nicht beim Essen.

Am liebsten würde sie das Theater ausfallen lassen und gleich zur Sache kommen. Nur um aus diesen blöden Fetzen herauszukommen.

»Weißt du, was ich an uns mag?« fragte Ron, während er noch immer kaute.

»Äh, nein. Was denn?« fragte Meike und bemühte sich, nicht an ihre Unterwäsche zu denken.

»Dass wir uns nach all den Jahren immer noch anziehend finden. Das tust du doch oder?« fragte er schüchtern und Meike liebte ihn dafür umso mehr. Genau diese jungenhafte Verunsicherung an ihm mochte sie am meisten. Obwohl er das überhaupt nicht nötig hatte.

»Natürlich tue ich das«, versicherte Meike und sah ihm in die Augen. Na also. Das lief doch bestens.

»Ich meine, wir haben es nicht nötig, auf irgendwelche Hilfsmittelchen zurückzugreifen. Markus hat mir erst gestern im Büro erzählt, dass er an seine Frau nur noch ran kann, wenn sie sich verkleidet. Als Krankenschwester und so. Das ist doch verrückt, oder?«

Meike hätte sich beinahe an ihrem Bissen verschluckt.

Verdammter Mist. Wie würde Ron reagieren, wenn er ihre Verkleidung sähe?

Hätte er ihr so etwas nicht eher sagen können? Bevor sie einen Haufen Geld für etwas ausgab, das ihre Haut schon den ganzen Abend über malträtierte?

»Äh, ja. Das ist es wohl«, antwortete sie matt.

**

Friederike nutzte den Rest des Tages für Weihnachtseinkäufe. Bruno war bei ihren Eltern und Vincents Geschäft hatte an den Adventssamstagen bis achtzehn Uhr geöffnet, sodass sie in Ruhe ihre Liste abarbeiten konnte.

Sie war noch immer empört über ihre Schwiegermutter, und voller Genugtuung dachte sie an Ottilies Auftritt im Geschäft zurück.

Diese war sichtlich überrascht, als sie Friederike in der Werkstatt vorfand. Und sie hatte verblüffend schnell geschaltet.

»Was sollte das denn bitte schön?« hatte Eckart seine Frau gefragt und aufgebracht mit dem Umschlag vor ihrem Gesicht herumgewedelt.

»Ah. Du hast es also zurückgebracht«, antwortete Ottilie mit hochgezogenen Augenbrauen. »Hast du schon nachgezählt? Ist noch alles drin?« fragte sie ihren Mann, der sie anstarrte, als hätte er eine Irre vor sich.

»Jetzt guck nicht so entsetzt! Es ist ja wohl selbstverständlich, dass ich erst prüfe, ob diese junge Dame es wirklich ernst meint, bevor ich eine aufwendige Hochzeit plane.«

»Du willst mir weismachen, das wäre nur ein Test gewesen?« entgegnete Eckart ungläubig.

»Natürlich. Was glaubst du denn?« Ottilie griff nach dem Umschlag, doch Eckart hielt ihn fest.

»Und warum hast du dann mir nichts davon gesagt? Oder die Sache aufgeklärt, als Friederike ablehnte?«

»Das hat sie ja nicht. Sie nahm den Umschlag und rannte davon. Ich bin gar nicht mehr zu Wort gekommen. Es sah also ganz danach aus, als sei ihr das Geld wichtiger. Und wenn das der Fall gewesen wäre, dann hätte ich doch genau das Richtige getan. Findest du nicht?«

Eckart sah Friederike fragend an und sie zuckte resigniert mit den Schultern.

Sie wusste, dass Ottilie das Angebot völlig ernst gemeint hatte. Und Vincent, der inzwischen dazugekommen war, wusste das ebenfalls. Das konnte sie in seinen Augen lesen.

Eckart starrte unschlüssig auf den Umschlag und Ottilie zog ihn aus seinen Händen.

»Ich gehe dann mal das Geld wegbringen. Zum Glück ist ja alles gut gegangen«, behauptete sie und drehte sich zur Tür.

»Nein. Ich möchte noch mit dir reden«, sagte Vincent fest und stellte sich in die Tür.

»Wie du möchtest«, erwiderte seine Mutter spitz und steckte den Umschlag in ihre Handtasche.

»Wolltest du nicht noch Einkäufe machen?« fragte Vincent Friederike und schenkte ihr ein aufmunterndes Lächeln.

»Oh ja. Genau. Bin schon weg«, hatte sie geantwortet.

Und da stand sie nun mit vollen Taschen und Tüten. Verbissen hatte sie sich ihrem langen Zettel gewidmet und jeden Gedanken an Vincents Mutter verdrängt. So war wenigstens der Einkauf erfolgreich gewesen. Vincent würde überaus dankbar dafür sein, dass sie ihn nicht damit behelligte.

Und morgen, am Sonntag, hatten sie und Vincent Zeit, sich in Ruhe über die Hochzeit zu unterhalten.

**

Meike kuschelte sich glücklich in ihr Kissen.

Ron war irgendwo unten und holte etwas aus der Küche.

Der Abend war wundervoll gewesen. Und gleich nachdem sie heimgekommen waren, hatte Ron sie aus der unbequemen Wäsche befreit.

Er schien etwas überrascht zu sein, sagte aber glücklicherweise nichts. Und, wie erhofft, auch nichts über Verhütung.

Meike schreckte auf.

Die Türglocke läutete und erbost fragte sie sich, wer so spät noch klingelte.

Im nächsten Moment hörte sie durch die offene Tür die Stimme ihrer Schwiegermutter und wunderte sich nicht mehr.

»Ich habe Licht in der Küche gesehen und dachte... Oh. Habt ihr schon geschlafen?« fragte die Stimme verwirrt.

Meike dachte an die Kleidungsstücke auf der Treppe und grinste in sich hinein. Es dürfte vom Flur aus unschwer erkennbar sein, dass sie noch nicht geschlafen hatten.

Und dass sie zu spät kam.

»Gibt´s ein Problem?« hörte sie Rons Stimme.

»Äh, na ja. Die Kinder wollen nicht schlafen. Sie wollen lieber hierher kommen. Und ich muss sagen, dass sie sich heute wieder unmöglich benom...«

»Hör mal«, wurde sie von Rons müder Stimme unterbrochen. »Können wir nicht morgen darüber reden? Ich bin wirklich erledigt. Die Kinder werden schon noch einschlafen. Gib ihnen eine heiße Milch mit Honig oder so. Das hat bei mir früher auch immer funktioniert, weißt du noch?«

Meike war überrascht. Sie hatte schon damit gerechnet, sich die nächste Stunde lang Geschichten über die schlechte Erziehung ihrer Kinder anzuhören und von diesen morgen gegen sechs Uhr aus dem Bett geworfen zu werden. Wenn diese Hexe eine halbe Stunde eher gekommen wäre, hätte sie erreicht, was sie wollte, und den ganzen Abend verdorben. Vermutlich hatte Gertrud die ganze Zeit über am Fenster gesessen und gewartet. Wie gut, dass sie sich nicht die Zeit genommen hatten, das Licht einzuschalten.

Doch dass Ron seiner Mutter widersprach, war ein Bonus, mit dem sie heute Abend nicht gerechnet hatte.

»Das ist nicht zu übersehen, dass du erledigt bist«, antwortete Gertruds Stimme spitz.

Ha. Allem Anschein nach hatte sie jetzt die verstreuten Kleidungsstücke entdeckt. Meike hätte am liebsten laut losgelacht.

»Ich will euch dann mal nicht weiter stören. Beim Schlafen«, drang die eisige Stimme ihrer Schwiegermutter in Meikes Schlafzimmer. Ron murmelte etwas, das Meike nicht verstehen konnte, und Sekunden später fiel die Haustür ins Schloss.

**

Sonntag, 04.12.

Zweifelnd beobachtete Friederike Vincent, wie er wortlos über sein Mittagessen herfiel. Irgendetwas schien ihm zu schaffen machen. Nicht, das es sonst besonders laut bei ihnen zugegangen wäre. Aber so still nun auch wieder nicht.

»Was machen wir dann noch?« fragte Bruno.

»Gute Frage. Hast du eine Idee?« wandte sich Friederike hoffnungsvoll an Vincent. Doch der zuckte nur mit den Schultern und kaute weiter.

»Rodeln?« schlug Bruno vor und seine Augen leuchteten.

»Ich weiß nicht, mein Schatz. Ich glaube, dafür reicht der Schnee noch nicht.«

Es hatte zwar über Nacht geschneit und die Sonne schien auf eine dünne Schneedecke, aber bislang reichte es nur zum Schönaussehen.

»Och. Wann können wir denn endlich rodeln?«

»Hm. Keine Ahnung, ob es noch weiter schneien soll. Hast du den Wetterbericht gehört?« versuchte Friederike erneut, ein Wort aus Vincent herauszubekommen.

Doch auch dieses Mal hatte sie kein Glück. Vincent schüttelte den Kopf und begann, das Etikett der Wasserflasche zu studieren.

Friederike musterte ihn ratlos. Gestern Abend war noch alles in Ordnung gewesen. Dann war er nach einem Anruf seines Vaters noch mal kurz ins Geschäft gefahren und seitdem irgendwie seltsam. Nachdenklich und still. Auf jeden Fall stiller als sonst.

»Ist wirklich alles in Ordnung?« fragte sie bestimmt schon zum zehnten Mal, um als Antwort zum zehnten Mal ein stummes Nicken zu erhalten.

Das konnte einen wahnsinnig machen.

Irgendetwas musste gestern noch vorgefallen sein. Und vermutlich steckte ihre Schwiegermutter dahinter.

Bruno wurde unruhig. »Was ist denn nun?«

»Oh. Ja. Äh, was hältst du davon, wenn wir einen schönen Spaziergang zum Weihnachtsmarkt machen und erstmal nachsehen, wie viel Schnee liegt? Und dann überlegen wir, was wir machen, okay?«

Bruno nickte fröhlich.

Gut. Wenigstens einen ihrer Männer konnte sie zufriedenstellen.

»Wir wollten heute eigentlich über die Hochzeit reden. Weißt du noch?« erinnerte Friederike Vincent.

Anstelle einer Antwort kam nur ein weiteres Achselzucken und Friederike platzte der Kragen.

»Meine Güte! Willst du mir noch mal sagen, was los ist? Oder muss ich es erraten? Warte. Ist gar nicht schwer. Es hat was mit deiner Mutter zu tun, richtig?«

Endlich sah Vincent sie an. Und nahm erst jetzt wahr, dass auch sie besorgt war. Seinetwegen.

Was war er für ein Idiot. Aber er konnte nicht anders. Seit dem Gespräch gestern mit seinem Vater schossen die verrücktesten Gedanken durch seinen Kopf. Und es war besser, wenn er jetzt gleich alles gründlich durchdachte, als dann, wenn es zu spät war.

Sein Vater hatte ihm die Augen geöffnet über die Ehe seiner Eltern. Vincent hatte sich darüber nie Gedanken gemacht. Es gab keine Anzeichen eines sonderlich liebevollen Umgangs miteinander. Aber nichtsdestotrotz war Vincent stets davon ausgegangen, dass seine Eltern irgendwann einmal die üblichen Gründe für eine Heirat gehabt hatten und sich noch immer mochten.

 

Noch nie hatte sein Vater darüber gesprochen und Vincent nahm an, dass nur die unmögliche Situation zwischen Friederike und seiner Mutter ihn dazu bewegt hatte. Und eine Flasche Whisky, die er in der Werkstatt vor seiner Frau versteckte.

Sein Vater war entsetzt gewesen, dass seine Frau Friederike Geld geboten hatte. Vincents Gedanken kreiselten wieder und wieder um das Gespräch mit seinem Vater.

»Das war ehrlich das Letzte. Wie kommt sie nur darauf?« hatte Vincent gefragt.

»Nun..., so denkt sie. Ich selbst habe das leider zu spät gemerkt, aber ich fürchte, so hat sie schon immer gedacht. Und sie kann sich nicht vorstellen, dass Leute auch andere Motive für die Heirat mit jemandem aus einem etwas wohlhabenderen Haus haben könnten.«

»Du meinst...«

»Vincents Vater hatte genickt. »Ja. Wenn damals vor unserer Hochzeit jemand Ottilie Geld dafür geboten hätte, dass sie mich in Ruhe lässt, hätte sie nicht lange überlegt. Natürlich hätte sie sich niemals mit einer so lächerlichen Summe zufriedengegeben«, fügte er mit einem schiefen Lächeln hinzu.

»Bist du sicher?« hatte Vincent fassungslos gefragt.

»Ich denke schon. Weißt du, deine Mutter hat nie besonders viel für mich übrig gehabt. Sie hat alles daran gesetzt, schnell ein Kind zu bekommen. Eins reichte schon. Hast du dich eigentlich nie gefragt, weshalb du ein Einzelkind bist? Na ja. Egal. Danach genoss sie die Annehmlichkeiten ihres Lebens. Ich glaube nicht, dass ich dabei jemals eine größere Rolle gespielt habe. Weißt du, ich war nicht sonderlich attraktiv. Also…, es war nicht gerade so, dass die Mädels besonders scharf auf mich waren. Und dann kam Ottilie und sie war die Schönste von allen.«

»Ehrlich?« rutschte es Vincent heraus.

»Oh ja«, nickte sein Vater. »Und sie hatte es auf mich abgesehen. Auf den unscheinbaren Eckart. Mein Verstand schaltete sich vollkommen aus und es lief ganz und gar nach ihrem Kopf. Ich hätte wirklich alles für sie getan. Und wenn mir jemand gesagt hätte, dass nur eiskalte Berechnung hinter alldem steckt, wäre ihm das vermutlich nicht gut bekommen. Für Ottilie hätte ich mich, wenn nötig, durch die ganze Stadt geprügelt.«

Vincent hatte bei dieser Vorstellung lächeln müssen, obwohl ihm nicht danach zumute war. Sein Vater hatte nie die Hand gegen jemanden erhoben. Selbst die während Vincents Kindheit durchaus üblichen Erziehungsmethoden der Ohrfeigen und Klapse auf den Hintern hatte er abgelehnt. Alles in allem war Vincent sowohl völlig gewaltfrei als auch recht lieblos aufgewachsen. Emotionen spielten im Zuhause seiner Kindheit weder in die eine noch in die andere Richtung eine Rolle.

»Man müsste, wenn man eine Frau heiratet, einen kurzen Blick in die Zukunft werfen können, wie sie als alte Frau aussieht«, sagte Eckart und Vincent musterte ihn verwirrt.

Wer wollte das schon sehen? Das würde schon noch früh genug kommen. Und zwar Gott sei Dank allmählich.

Eckart hypnotisierte seinen Whisky und setzte seine Überlegungen fort. »Nein, ehrlich. Das Alter neigt dazu, den meisten Menschen ihren Charakter ins Gesicht zu zeichnen. Fröhliche Menschen haben völlig andere Falten als, äh, solche wie deine Mutter zum Beispiel. Und sie sehen auch im Alter noch schön aus, trotz der Falten. Ich denke, wenn ich damals schon gewusst hätte, wie deine Mutter jetzt aussieht, hätte die Angst vermutlich gesiegt und mir wäre einiges erspart geblieben.«

Nachdenkliche Stille folgte.

»Hast du nie daran gedacht, dich von ihr zu trennen?« erkundigte sich Vincent schließlich zögernd.

Sein Vater hatte mit dem Kopf geschüttelt. »Damals waren das noch andere Zeiten. Da ließ man sich nicht einfach so scheiden. Ganz besonders ließ man keine Frau mit einem Kind sitzen. Außerdem hätte sie mich ausgenommen wie eine Weihnachtsgans. Und mit Sicherheit hätte sie dich als Druckmittel benutzt, um noch mehr zu bekommen.« Eckart machte einen Moment Pause und sah Vincent an. »Weißt du, man gewöhnt sich mit der Zeit daran. Wir führen beide ein ganz bequemes Leben und tun, was wir möchten, ohne Rücksicht auf den anderen nehmen zu müssen.« Er grinste kurz. »Und irgendwie ist sie auch bestraft worden. Sie hat ihr Leben mit jemandem geteilt, den sie im Grunde vermutlich gar nicht wollte. Im Gegenzug hat sie jedoch nicht so viel Geld bekommen, wie sie gerne gehabt hätte. Weißt du, sie kam aus recht einfachen Verhältnissen und damals muss ihr unser Lebensstil wie der Himmel vorgekommen sein. Aber als sie dann meine Frau war und in den entsprechenden Kreisen verkehrte, stellte sie schnell fest, dass andere noch viel mehr hatten. Das muss sie ziemlich erschüttert haben.«

Vincent wusste nicht, was er sagen sollte. Und dann dachte er an Friederike.

»Warum erzählst du mir das ausgerechnet heute?« fragte er beunruhigt.

Sein Vater hatte sich bedächtig einen weiteren Whisky eingegossen.

»Nun, ich mag Friederike wirklich. Und ich kann nicht das geringste Anzeichen erkennen, dass sie wie deine Mutter ist. Aber ich kenne sie auch nicht so gut wie du. Und eines hat sie mit deiner Mutter auf jeden Fall gemeinsam - sie sieht unglaublich gut aus. Und du, so leid es mir tut, mein Junge, hast nun mal mein Aussehen abbekommen. Wenn du glaubst, dass Friederike dich wirklich liebt, dann vergiss dieses Gespräch so schnell wie möglich und genieße dein Leben. Aber ich bitte dich, es nicht zu überstürzen, wenn du dir nicht sicher bist.«

Vincent hatte seinen Vater entsetzt angestarrt.

Und jetzt, einen Tag später, starrte er noch immer vor sich hin.

Er liebte Friederike über alles, und er wollte unbedingt glauben, dass sie dieses Gefühl erwiderte. Aber konnte er sich wirklich sicher sein?

Schließlich gab er sich einen Ruck. »Spazieren gehen ist gut. Ich muss mit dir reden.«

»Nein«, erwiderte Friederike. »Ich will jetzt wissen, was los ist.«

»Also gut.« Nervös beobachtete Vincent, wie Friederike Bruno zum Spielen ins Kinderzimmer schickte.

Sie hatte recht. Er sollte besser gleich Klarheit schaffen, bevor er völlig durchdrehte.

**

Meike musterte mit gemischten Gefühlen ihre Schwiegermutter.

Diese ständigen gemeinsamen Mahlzeiten mussten ein Ende nehmen. Sie wollte sich auf ihr Essen freuen können, ohne sich fragen zu müssen, welche Unverschämtheiten dieses Mal wieder auf der Lauer lagen.

Heute ließ es sich jedoch nicht umgehen, da die Essenseinladung mit dem Holen ihrer Kinder verbunden war. Und jetzt wusste Meike auch, wieso. Ihre Schwiegermutter wollte die schlechte Erziehung der Kinder auswerten. Schon wieder.

Wieso ließ sie die beiden auch allein im Badezimmer. Gemeinsam.

Das wäre Meike nie in den Sinn gekommen. Schließlich kannte sie ihre Kinder. Gertrud müsste es ebenfalls besser wissen. Das hatte sie nun davon.

Meike und Ron hatten das Haus von Rons Eltern noch nicht ganz betreten, als sie sich schon anhören mussten, was gestern Abend vorgefallen war.

Eigentlich war es ganz lustig, wenn es einen nicht selbst betraf. Und es hätte schlimmer kommen können. Den beiden war schon bedeutend größerer Blödsinn eingefallen.

Jacob hatte aus der Zahnpastatube eine Zahnpastaschlange von der Tür bis zum Fenster herausgedrückt, ohne dabei vor dem neuen Badvorleger Halt zu machen. Angeblich wollte er wissen, wie viel da reinpasst. Außerdem war Jule auf Omas Nagelschere gestoßen und hatte damit versucht, Omas Zahnbürste zu frisieren.

Als Meike das hörte, war sie in erster Linie erleichtert, dass Jule nicht auf die Idee gekommen war, ihren Bruder oder sich selbst als Versuchsobjekt für irgendwelche Schnippeleien zu benutzen. Zu Hause wurden Scheren und Ähnliches schon seit längerem vor den Kindern versteckt. Sicher ist sicher.

Erst heute Morgen war dann aufgefallen, dass auch die Schnur der Jalousie fehlte. Später fand Gertrud sie im Mülleimer und bislang bestritten beide Verdächtigen, damit irgendetwas zu tun zu haben.

Ron übernahm die Strafpredigt.

»Die Oma hat uns doch schon ausgemeckert«, erklärte Jule empört.

»Na und? Ihr solltet endlich mal lernen, euch zu benehmen. Sonst will die Oma bestimmt bald nicht mehr, dass ihr sie besucht.«

»Dann besuchen wir eben nur noch den Opa«, erklärte Jule.

»Na, der backt mit euch bestimmt nicht so schöne Plätzchen wie die Oma«, wandte Ron stirnrunzelnd ein.

Jule sah ihn verächtlich an. »Na und? Beim Plätzchen backen hat die Oma doch auch nur rumgemeckert. Erst mussten wir die ganze Zeit zugucken und durften nicht mitmachen, und dann, als wir die Plätzchen ausstechen sollten, hat ihr das nicht gepasst, wie wir das machen. Und dann hat sie alles alleine fertig gemacht.«

Ron warf Meike einen hilflosen Blick zu.

In diesem Moment rief Gertrud zu Tisch. Und da saß sie nun.

Ein Gespräch wollte nicht recht aufkommen. Alle stocherten in ihrem Gulasch herum und wünschten sich vermutlich weit weg.

»Ich kann mich doch darauf verlassen, dass du dich wieder um unseren Weihnachtsbaum kümmerst?« fragte Gertrud in Rons Richtung.

Rons Vater schien verwirrt zu sein. »Aber das können wir doch auch selbst...«

»Nein, nein. Wir haben das alles schon besprochen, nicht wahr? Außerdem hat Ron im letzten Jahr einen so schönen Baum für uns ausgesucht, wie du ihn noch nie gefunden hast.«

Meike fiel fast das Essen aus dem Mund.

Sie konnte sich noch lebhaft an die Tortur im letzten Jahr erinnern, als Ron den Ehrgeiz hatte, neben dem eigenen Weihnachtsbaum auch den seiner Mutter zu besorgen. Und zwar nicht irgendwo vom Händler, sondern selbst geschnitten.

Dummerweise war der Winter schneller gewesen und alle Bäume waren nicht nur tief verschneit, sondern auch eingefroren.

Meike hatte Ewigkeiten gebraucht, um den perfekten Baum zu finden. Sie hatte Unmengen Bäume freigeschüttelt und war durch tiefsten Schnee gewatet, um noch mehr Bäume zu begutachten.

Und schließlich hatte sie ihn gefunden. Den perfekten Baum.

Danach waren sie beide so erledigt gewesen, dass sie Ron überreden konnte, einen der bereits geschnittenen Bäume für seine Eltern zu kaufen. Und sie hatten auch nicht besonders viel Energie in die Auswahl gesteckt. Ron war das sowieso mehr oder weniger egal gewesen.

Als Meike am nächsten Tag in die Garage kam, war der perfekte Baum verschwunden. Und zwar auf direktem Wege in Gertruds Wohnzimmer.

Wie Ron erzählte, war Gertrud gleich morgens in die Garage gekommen, hatte Meikes Traumbaum gesehen und war augenblicklich davon überzeugt gewesen, dass es sich dabei um ihren Baum handelte. Den anderen Baum hatte sie keines Blickes gewürdigt. Und Ron, der elende Feigling, traute sich nicht, seiner Mutter zu sagen, dass das Meikes Baum war.

Vielleicht war es ihm auch egal gewesen. Schließlich brachte ihm dieser großartige Weihnachtsbaum Lob und Pluspunkte von seiner Mutter ein. Er hatte ihr den Baum sogar nach Hause getragen und aufgestellt.

Meike würde sich weigern, das noch einmal mitzumachen. Entweder Ron erklärte sich bereit, ihren eigenen Baum sofort nach dem Kauf in Sicherheit zu bringen, oder aber sie würde sich erst dann auf die Suche nach dem eigenen Baum begeben, wenn Ron den für seine Mutter bereits besorgt hatte. Und er konnte ihn auch selbst aussuchen. Meike würde keinen Finger dafür rühren.

Meike hatte Rons Antwort verpasst. Doch sie konnte sich schon denken, wie sie ausgefallen war. Das Gespräch war wieder eingeschlafen und alle widmeten sich ihrem Essen. Selbst die Kinder aßen vorbildlich leise. Meike hatte jedoch keinen Hunger. Irgendetwas war ihr auf den Magen geschlagen und sie musste nicht lange überlegen, was das war.

Verstohlen musterte sie ihre Schwiegermutter und ihr Blick blieb an dem großen Haarknoten hängen.

Ihre Schwiegermutter liebte ihr Haar und Herbert hatte sich zu fortgeschrittener Feierstunde einmal zu der Bemerkung hinreißen lassen, sie würde ihrem Haar größere Aufmerksamkeit widmen als ihrer Ehe.

Früher einmal war das Haar blond gewesen. Jetzt musste sie es färben, was gelegentlich danebenging und einen seltsamen Stich ins Lila mit sich brachte. Aber niemals würde Gertrud ihre Haare freiwillig abschneiden. Meistens steckte sie sie hoch zu etwas, das große Ähnlichkeit mit einem Vogelnest hatte. Meike würde sich nicht wundern, wenn irgendwann einmal ein Vogel seine Eier hineinlegte, wenn Gertrud nur lange genug still hielt.

 

Ansonsten war Gertrud, wie man den alten Fotos entnehmen konnte, auch früher schon nicht sonderlich attraktiv gewesen. Ganz im Gegensatz zu ihrem Mann, der sein gutes Aussehen an seinen Sohn weitergegeben hatte.

Meike hatte sich schon häufiger gefragt, wie ihr Schwiegervater ausgerechnet an dieser Frau hängen bleiben konnte.

Einer Randbemerkung Herberts und einer genaueren Berechnung zufolge musste er Gertrud heiraten. Die Begründung der Alkoholisierung im oberen Stadium klang plausibel. Immerhin war es eine anerkannte Tatsache, dass Männer sich Frauen schön trinken konnten. Und das erklärte auch, weshalb Herbert selbst jetzt noch gerne mal einen zu sich nahm. Obwohl Meike bezweifelte, dass das noch immer funktionierte.

Sie spürte, dass etwas in der Luft lag. Und dann beim Kompott passierte es endlich.

Nachdem Jule herumnörgelte, dass sie die blöden matschigen Erdbeeren nicht essen wollte. Und Jacob, der seiner großen Schwester alles gleichtat, ebenfalls nicht.

Meike konnte das verstehen. Von Erdbeeren erwartete man, dass sie rot aussahen. Diese eingekochten Erdbeeren hatten jedoch einen seltsamen rosa-grau-braunen Farbton und schmeckten so, wie sie aussahen.

Neidisch sah sie zu, wie die Kinder den Tisch verlassen durften.

»So. Und ihr wollt also unbedingt noch eins von der Sorte, ohne Rücksicht auf uns«, begann Gertrud.

Meike wusste, dass ihre Schwiegermutter empfindlich reagierte, wenn jemand ihr Essen kritisierte. Aber das war nun doch etwas übertrieben. Schließlich schaute beim Löffeln dieses Kompotts keiner der Anwesenden besonders glücklich drein.

»Jetzt fang doch nicht schon wieder damit an«, warf Herbert, Meikes Schwiegervater, ein.

»Ach nein? Und wann dann? Wenn wir einen neuen Tisch brauchen, weil der alte nicht mehr für alle Kinder reicht?«

»Das haben wir doch am letzten Wochenende schon alles geklärt«, meinte Ron und würgte die letzte Erdbeere hinunter.

»Soso. Das sah gestern Abend aber nicht so aus. Ich möchte dich daran erinnern, dass wir euch Geld für euer Haus geliehen haben. Zinsfrei. Wenn du meinst, noch mehr Kindern in die Welt setzen zu müssen, werden wir das Geld zurückfordern.«

»Gertrud!« Herbert sah entsetzt von seinem Kompott auf.

»Was denn? Das war schließlich keine Kleinigkeit. Und man kann dafür doch wohl erwarten, dass sie Rücksicht auf uns nehmen. Was meinst du, wie viel Zeit deinem Sohn einmal dafür bleibt, sich um uns zu kümmern, wenn er das Haus voller Kinder hat?«

Ron verdrehte die Augen. »Es ist überhaupt nicht so, wie du jetzt schon wieder denkst.«

Meike war empört. Ihr Intimleben ging die alte Hexe nun wirklich nichts an.

Sollte sie sich ihren Kredit doch wohin stecken. Sie verdienten beide nicht schlecht und konnten ihr Haus auch ohne derart zweifelhafte Hilfe abzahlen.

Ron war jedoch um Eintracht bemüht. »Das gestern hatte überhaupt nichts mit einem Kind zu tun, nicht wahr?«

Rons und Gertruds Köpfe wandten sich synchron in Meikes Richtung.

Mist. Ziehe ein unverbindliches Gesicht und nicke.

Doch es gelang ihr anscheinend nicht überzeugend genug. Einmal mehr verfluchte Meike die Tatsache, dass ihr Gesicht nichts verbergen konnte.

»Aber..., letzte Wochenende hast du gesagt, du könntest nur noch an den nächsten fünf Tagen schwanger werden«, sagte Ron konsterniert.

»Das werde ich mit Sicherheit nicht hier besprechen«, erwiderte Meike mit einem Seitenblick auf Gertruds verkniffenes Gesicht und erhob sich.

»Jule? Jacob! Kommt her, wir gehen«, rief sie. »Äh, vielen Dank für das Essen«, ergänzte sie und nickte in Herberts Richtung.

Erleichtert registrierte sie, dass Ron ebenfalls aufstand und allem Anschein nach mit nach Hause gehen wollte.

»Jetzt ziehe endlich deine Stiefel an«, drängte sie Jule, die unentschlossen im Flur herumbummelte.

»Ich will aber nicht«, erwiderte diese. Dann wandte sie sich an Ron. »Papi, kannst du mich bitte-bitte tragen?«

»Was? Warum denn?« fragte er verwirrt.

»Damit die Stiefel nicht dreckig werden.«

»Meine Güte.« Meike hatte gerade keine Nerven für so etwas. »Dann sind sie eben dreckig. Na und?«

Seit wann kümmerte sich Jule um Dreck? Im Gegenteil. Wenn es darum ging, sich darin zu wälzen, waren Meikes Kinder meistens als Erste zur Stelle.

»Der Opa hat sie aber erst heute früh mit uns geputzt. Und ich will sie nicht noch mal putzen.«

»Das musst du doch auch gar nicht. Zieh sie jetzt endlich an, ja?«

»Nein. Am Dienstag ist Nikolaus, und da müssen die Stiefel sauber sein.«

Ron schien ebenfalls die Nase voll zu haben und hob seine widerspenstige Tochter hoch. Meike nahm die Stiefel in die eine und Jacob an die andere Hand und ging hinterher.

»Morgen in der Schule musst du die Stiefel aber auf jeden Fall anziehen. Da werden sie auch schmutzig.«

»Nee. Da ziehe ich die anderen an.«

Meike gab auf. Die anderen waren Jules Schönwetterstiefel und auf gar keinen Fall durfte sie die morgen bei Schneematsch in der Schule tragen. Aber das würde sie später ausdiskutieren. Jetzt hatte ein anderes Thema Vorrang.

Sie bedauerte, vorhin nicht einfach behauptet zu haben, dass sie gestern gar nicht schwanger werden konnte. Wenn sie es doch sein sollte, konnte sie ebenso gut sagen, das sei schon am letzten Wochenende passiert.

»Das gestern hätte nicht passieren dürfen«, schnaufte Ron. Jule war kein Kleinkind mehr und wog einiges mehr als beim letzten Mal, als er sie getragen hatte.

»Wie bitte? Aber du hast es doch genauso...«

»Natürlich«, unterbrach Ron Meike und warf seiner Tochter einen prüfenden Blick zu. »Aber wir sind keine Teenager mehr, die ohne Verstand loslegen. Du solltest wieder die Du-weißt-schon nehmen.«

»Ja. Aber die Du-weißt-schon vertrage ich nicht. Schon vergessen?« erwiderte Meike sarkastisch.

»Äh..., ja. Uns wird schon was einfallen. Bis jetzt haben wir das doch auch immer hinbekommen. Hoffentlich ist noch nichts passiert. Du hättest mir ruhig sagen können, dass, äh, das noch nicht vorbei ist.«

»Was ist noch nicht vorbei?« erkundigte sich Jule.

»Äh, das Wochenende.«

»Das hätte ich auch gewusst.«

»Weil du ein kluges Mädchen bist. Wie wäre es mit der Du-weißt-schon für danach?« wandte sich Ron wieder an Meike.

»Wieso redest du so komisch?« fragte Jule.

Meike war entsetzt. »Auf gar keinen Fall. Ich will schließlich schwanger werden.«

»Mag sein. Aber ich habe das auch mit zu entscheiden.«

»Richtig. Und du hast es genauso gewollt wie ich, bis deine Mutter sich eingemischt hat.«

»Du hast es doch gehört. Sie will den Kredit zurückhaben, wenn wir noch ein Kind bekommen.«

»Na und? Soll sie doch ihr blödes Geld haben. Wir bekommen auch einen Bankkredit. Ich lasse mich doch nicht erpressen.«

»Weißt du, was das kostet? Und wenn du ein Kind bekommst, kannst du erstmal nicht mehr arbeiten.«

»Die Oma will uns Geld wegnehmen?« fragte Jule empört.

»So wie ein Bankräuber?« Jacob war begeistert.

»Wir sollten später weiterreden«, grummelte Ron.

Meike zog frustriert ihre Stiefel aus.

Sie hoffte noch immer auf ein weiteres Kind. Auch wenn sie selbst mitunter zweifelte, ob sie damit klarkommen würde. Jule und Jacob hatten Blödsinn für zehn Kinder im Kopf und Meike hatte nicht die leiseste Ahnung, woher das kam.

Rons Mutter hatte einmal behauptet, dass die Neigung zu Dummheiten aus Meikes Richtung vererbt worden sein musste, da Ron stets das artigste und folgsamste Kind gewesen sei.

Was für eine Überraschung.

Meikes Mutter behauptete von Meike jedoch dasselbe und zu Rons vorletzter Geburtstagsfeier war es deswegen zwischen den Schwiegermüttern zum Streit gekommen.

Vielleicht wurde das Dritte ja das Bilderbuchkind, das beide Eltern angeblich immer waren.

Die Kinder waren in Jules Zimmer verschwunden und Meike begann, den Übernachtungsrucksack auszupacken. Ron stand noch immer unschlüssig im Flur und Meike beschloss, es noch einmal mit Vernunftsargumenten zu versuchen.