Die Schwiegermutterwette

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Friederike nickte. »Schon. Aber soweit ist es wohl noch nicht. Erzähle ich dir später.«

»Können wir auch ein Baby haben?« fragte Bruno und sah seine Mutter erwartungsvoll an.

Friederike riss die Augen auf und tauschte mit Vincent überraschte Blicke.

»Möchtest du denn eins?« fragte sie und hielt die Luft an.

»Oh ja. Bitte. Ich passe auch immer gut drauf auf. Versprochen!«

Friederike atmete erleichtert aus. »Also, wenn das so ist, denke ich, dass wir da bestimmt was machen können«, sagte sie und strahlte ihren Sohn und Vincent an.

»Cool. Äh...« Sorgenfalten breiteten sich auf Brunos Stirn aus.

»Was denn?« erkundige sich Friederike besorgt.

»Ich hab meinen Wunschzettel heute im Kindergarten schon weggeschickt. Kann ich mir das Baby trotzdem noch zu Weihnachten wünschen?«

Vincent lachte. »Ich fürchte, so schnell geht das nicht.«

»Warum denn nicht?«

»Na, weil...« Vincent sah hilfesuchend zu Friederike.

»Weil man für ein Baby ganz schön viel vorbereiten muss. Da braucht man ein Kinderzimmer, ein Bettchen, einen Kinderwagen...«

»Oh.« Bruno dachte nach. »Aber wie lange dauert das denn, bis man ein Baby haben kann?«

»Äh, wie wäre es denn mit Sommer?«

Bruno sah andächtig auf seine Nudeln. »Gut. Aber nicht später!«

»Nein, versprochen. Im Sommer bekommen wir ein Baby«, sagte Friederike fröhlich. So einfach hatte sie sich das nicht vorgestellt.

Doch auf Brunos Stirn erschienen neue Sorgenfalten. »Aber dann müsst ihr erst noch heiraten«, erklärte er nachdenklich.

»Was?« platzte Vincent heraus. Ungläubig sah er Friederike an.

»Ja, wirklich. Die Tante Bärbel im Kindergarten hat gesagt, dass die Leute erst heiraten und dann bekommen sie Babys.«

»Sollen wir denn heiraten?« erkundigte sich Vincent vorsichtig.

»Na klar. Sonst können wir doch kein Baby bekommen. Außerdem bist du dann mein Papa. Und dann habe ich zwei Papas, und der blöde Lukas hat nur einen.« Schadenfreude machte sich auf Brunos Gesicht breit, während er sich seinen Triumph ausmalte.

»Sag ich doch. Das wird ganz leicht«, sagte Vincent leise zu Friederike. Doch die Erleichterung war auch ihm ins Gesicht geschrieben.

Friederike war glücklich. Sie hatte den besten Sohn der Welt. Und den besten Mann.

Jedenfalls bald.

**

Dienstag, 29.11.

Meike holte eine Packung Pfefferkuchen aus ihrer Schreibtischschublade und hielt sie den anderen hin.

Wenn ihre Ehe so weiterlief, würde sie sich bald neu einkleiden müssen, weil ihre Sachen nicht mehr passten.

Sie gehörte zu den Frustessern. Je mehr Ärger es gab, desto mehr Süßigkeiten verdrückte sie. Diese Jahreszeit war besonders gefährlich, weil einem das Zeug praktisch hinterhergeworfen wurde. Und das Wetter sorgte dafür, dass man sich die Kalorien nicht wieder wegjoggen konnte.

Meike war nicht sonderlich wild auf Sport, doch sie hatte irgendwann eingesehen, dass er notwendig war. Aber nicht bei diesem Wetter. Sport kam nur in Frage, wenn alles stimmte*.

»Kannst du da immer noch ran?« fragte Annedore entsetzt.

»Äh...ja. Wieso?«

»Na, im September schmecken Pfefferkuchen ja noch ganz lecker. Aber spätestens im November sind sie mir dann über.«

»Also pünktlich zum Advent«, stellte Friederike fest. Sie hatte gerade vom gestrigen Abend erzählt und war noch immer in Hochstimmung. Keine Schwiegermutter der Welt konnte das zerstören.

Sie nahm einen Pfefferkuchen und biss hinein. Seit sie schwanger war, dachte sie nur noch selten darüber nach, was und wie viel sie aß. Sie konnte nicht. Ihr Gehirn schaltete sich ab und sie nahm alles, was sie kriegen konnte. Nicht einmal vor Rosinen schreckte sie zurück.

Irgendwann musste sie die angefressenen Pfunde wieder loswerden. Doch darüber würde sie sich später Gedanken machen.

»Hat Jacob im Kindergarten auch einen Wunschzettel gemalt?« fragte sie mit vollem Mund.

»Ja. Und zu Hause gleich noch einen, weil er der Kindergärtnerin nicht traut«, seufzte Meike.

Jacob hatte die Sache mit der festgeklebten Zunge und den anschließenden Arztbesuch erstaunlich schnell weggesteckt. Nur beim Reden und Essen übte er noch Zurückhaltung. Aber vermutlich nicht lange.

Meike dachte voller Dankbarkeit an Helena, die erstaunlich schnell lauwarmes Wasser organisiert hatte, mit dem sie Jacob aus seiner unangenehmen Lage befreien konnten. Später einmal würde die Geschichte sicherlich für jede Menge Spaß sorgen. Doch im Moment konnte Meike noch nicht so recht darüber lachen. Auch wenn es im Büro alle sehr lustig gefunden hatten.

Vielleicht wäre das anders gewesen, wenn sie mit Ron darüber hätte sprechen können. Aber der wusste noch gar nichts davon.

»Und? Wünscht er sich auch ein Baby?« erkundigte sich Friederike.

»Nee. Eine Kuh. Und zwar eine echte.«

»Eine Kuh?«

»Ja. Ein Hamster oder so was reicht nicht. Es muss eine Kuh sein, die er auch melken kann.«

»Oh. Und was kriegt er?«

»Ein Piratenschiff. Das stand noch bis letzte Woche ganz oben auf seiner Wunschliste. Und einen Bauernhof mit Kühen. Natürlich aus Plastik. Aber ich habe mir überlegt, dass wir vielleicht mal übers Wochenende auf einen Bauernhof fahren könnten.«

Das hieß, falls Ron damit einverstanden war. Um das herauszufinden, müsste sie mit ihm reden. Wozu sie noch immer nicht bereit war.

»Jule hat übrigens auch einen Wunschzettel gemalt«, ergänzte sie dann und grinste.

»Ach. Ich denke sie glaubt nicht mehr an den Weihnachtsmann?« fragte Friederike.

»Egal. Trotzdem wünscht sie sich ja was.«

»Und was?«

»Sie hat einen Schuppen gemalt. Den soll ihr Vater für sie bauen.«

»Einen Schuppen?« wiederholte Annedore. «Und wozu?«

»Da will sie ihre Oma einsperren, wenn sie den Opa besucht«, erklärte Meike mit Genugtuung.

Jule hatte die Neigung, alles zu hören, das nicht für ihre Ohren bestimmt war. So auch das Gespräch gestern vor der Schule mit Helena. Und sie bekam auch all die anderen Dinge mit.

Meike hätte nicht gedacht, dass ein Kind im Alter von gerade einmal sieben Jahren schon so aufmerksam beobachten würde. Doch Jule war aufgeweckt und nicht auf den Kopf gefallen. Das führte unter anderem dazu, dass man sie - wie auch ihren kleinen Bruder - ständig im Auge behalten musste, weil man nie wusste, welche Dummheiten sie als nächsten ausbrüteten.

Aber mitunter bewies Jule auch erstaunliche Weitsicht und wusste die unschönen Vorgänge zu Hause durchaus einzuordnen.

»Ron hat natürlich behauptet, ich würde die Kinder gegen seine Mutter aufhetzen«, fügte Meike mit einem Schulterzucken hinzu. Was auch sonst.

»Und was hast du gesagt?«

»Nichts. Ich rede doch nicht mit ihm. Ich habe ihn nur verächtlich angeguckt und dann ist er gegangen.«

»Zu seiner Mutter?« fragte Annedore empört.

»Nee. Ins Arbeitszimmer.«

»Und wann willst du wieder mit ihm reden?«

»Weiß nicht. Wenn ich nicht mehr so verdammt wütend bin und normal reden kann, ohne ihn anzuschreien.«

»Oh.« Friederike kannte ihre Freundin und wusste, dass das dauern konnte.

Meike wollte nicht länger darüber sprechen. Sie wusste, dass sie etwas unternehmen musste. Weihnachten stand vor der Tür und sie hatte das Bedürfnis, wenigstens diese Tage harmonisch und friedvoll zu verbringen. Schon den Kindern zuliebe sollte sie sich um eine Aussprache und Klärung mit Ron bemühen. Bisher hatten sie es immer geschafft, ihre Streitigkeiten zu begraben, ohne groß darüber zu diskutieren. Auch wenn das zunehmend schwieriger wurde, da der Berg, den sie dabei zwischen sich aufhäuften, höher und höher wuchs und allmählich die Sicht auf den anderen versperrte.

Meike wusste, dass Verdrängen keine Lösung war. Irgendwann würden sie die Probleme eines nach dem anderen abtragen und lösen müssen, wenn sie sich nicht dauerhaft aus dem Blick verlieren wollten.

Sie hatte jedoch keine Ahnung, wie das gehen sollte. Die Schwierigkeiten zwischen ihr und Ron hingen fast alle in irgendeiner Weise mit ihrer Schwiegermutter zusammen. Und wenn man dieses Thema Ron gegenüber auch nur am Rande erwähnte und mit dem Wort Problem in Verbindung brachte, war ein vernünftiges Gespräch nicht mehr möglich.

So gefährlich das auf Dauer auch sein mochte - Verdrängen war kurzfristig die einzige Lösung, um Frieden zu schaffen. Immerhin führten sie ansonsten eine sehr harmonische Beziehung.

Meike liebte ihren Mann. Auch wenn sie ihn gelegentlich treten könnte. Und sie ging davon aus, dass das auf Gegenseitigkeit beruhte. Obwohl sie mitunter zweifelte, für welche Seite sich ihr Mann entscheiden würde, wenn er zwischen ihr und seiner Mutter wählen müsste.

»Könnten die Damen ihr Schwätzchen vielleicht beenden und sich wieder ihrer Arbeit zuwenden?«

Meike schreckte hoch und blickte in Olivers zorngerötetes Gesicht. Sie hatte nicht bemerkt, dass er hereingekommen war. Wie meistens.

Heranschleichen war eine Spezialität von Oliver. Eine der wenigen. Vermutlich war er auch so zu seiner Stelle als Abteilungsleiter gekommen. Er hatte sich bei seinen Vorgesetzten angeschlichen und peinliche Dinge belauscht. Und dann hatte er sie erpresst. Eine andere nachvollziehbare Erklärung gab es nicht.

Friederike griff ungerührt nach einem Stapel Akten und begann, lustlos darin herumzublättern. Genau genommen hatten sie noch zwei Minuten Mittagspause, aber es brachte nichts, Oliver darauf hinzuweisen. Er würde die Gelegenheit nutzen, einen weiteren endlosen Vortrag über ihre Einstellung zur Arbeit und die Arbeitsrückstände zu halten, und in absehbarer Zeit nicht mehr verschwinden. Lieber arbeiteten sie sämtliche Pausen durch, als den Anblick Olivers länger als unbedingt nötig ertragen zu müssen.

 

Meike verabscheute Oliver zutiefst. Die meiste Zeit über bemühte sie sich dennoch, ihm gegenüber ein Mindestmaß an Freundlichkeit an den Tag zu legen. Immerhin war er ihr Chef und es konnte sich nachteilig auswirken, den unmittelbaren Vorgesetzten gegen sich aufzubringen.

Außerdem konnte er möglicherweise nichts für sein unangenehmes Wesen, da so kleine Männer wie er häufiger dazu neigten.

Der Grund war Meike ein Rätsel. Vielleicht hing es damit zusammen, dass kleine Männer oft übersehen wurden, weshalb einige den zwanghaften Drang entwickelten, unbedingt auf sich aufmerksam machen zu müssen. Offensichtlich funktionierte das am schnellsten und auch nachhaltigsten mit einem aggressiven und unsympathischen Auftreten.

Oliver schien diese Strategie perfekt zu beherrschen, auch wenn Meike die Motivation dazu nicht verstand. Sie würde lieber gar nicht als negativ auffallen.

Doch wer wusste schon, was in anderen Leuten vorging. Und letztendlich war das unsympathische Wesen auch nicht der Grund, weshalb Meike Oliver so verachtete. Zumindest nicht der einzige.

Vielmehr schien Oliver sie alle als seine persönlichen Sklaven zu betrachten, die er nach Lust und Laune schikanierte, wenn sie ihm nicht die gewünschte Aufmerksamkeit entgegenbrachten. Das bedeutete nichts anderes, als dass der die meisten Bienchen bekam, der ihm den besten Honig ums Maul schmierte.

Meike war in dieser Hinsicht völlig talentfrei. Darüber hinaus widerstrebte es ihr zutiefst, vor einer Person wie Oliver zu kriechen und nicht vorhandene Freundlichkeit vorzutäuschen.

Das Problem war, dass Pia ebendies perfekt beherrschte und zu ihrem eigenen Nutzen einsetzte. Das hatte zur Folge, dass Oliver beim Verteilen der Akten Pias mustergültig aufgeräumten Schreibtisch regelmäßig zu übersehen schien, sodass dieser oft nichts anderes übrig blieb, als sich die Zeit mit dem Feilen ihrer Nägel zu vertreiben.

Seufzend wandte sich Meike ihren Akten zu. Die Probleme mit ihrem Mann würden vorerst hinter denen mit ihrem Chef zurückstehen müssen.

Wenigstens führte sie jetzt bei dieser blöden Wettgeschichte. Für Helenas gestrigen Bericht vor der Schule über ihre Schwiegermutter hatte sie einen Punkt bekommen, womit es nunmehr 1:0 stand.

**

Samstag, 03.12.

Das zweite Adventswochenende begann und Meike hatte Pläne.

Sie und Ron würden heute Abend ins Theater gehen, und die Kinder mussten deshalb bei Rons Eltern übernachten. Der Termin stand schon seit drei Monaten fest.

Die Kinder waren nicht gerade begeistert von dieser Aussicht, aber Gertrud, ihre Schwiegermutter, hatte versprochen, Plätzchen zu backen. Zumindest Jacob hatte sie damit auf ihrer Seite. Und Jule würde spätestens beim Ausrollen des Teiges schwach werden, da war sich Meike sicher.

Das war die Gelegenheit. Meike hatte gegen Mitte der Woche wieder begonnen, höfliche Worte mit Ron zu wechseln, und der reagierte ausgesprochen dankbar darauf. Im Moment zeigte er sich von seiner besten Seite und Meike war glücklich darüber. Also schien auch ihm noch etwas an ihrer Ehe zu liegen.

Sie war sich fast sicher, dass sie ihn heute Abend verführen konnte, ohne dass er an seine Mutter und die von ihr geforderte Empfängnisverhütung dachte. Und mit etwas Glück war ihnen der Eisprung gewogen und es für dieses Mal noch nicht zu spät. Wenn Meike erst einmal schwanger war, konnte ihre Schwiegermutter zetern wie sie wollte.

Für alle Fälle hatte Meike in einem Geschäft für Damenunterwäsche eingekauft. So etwas hatte sie schon lange nicht mehr getan und es war ihr ausgesprochen unangenehm gewesen. In einem solchen Geschäft konnte Hilfsbereitschaft des Verkaufspersonals schnell aufdringlich wirken. Und Meikes Verkäuferin war ganz besonders hilfsbereit gewesen und wollte unbedingt an Meikes Anblick teilhaben, als diese in einem Hauch von Nichts in der Kabine stand und überlegte, ob sie ihr Geld wirklich für einen derart unbequemen und nutzlosen Fummel hinauswerfen wollte.

Schließlich war es bislang nie ein Problem gewesen, Ron zu verführen. Das war bei Männern anscheinend genetisch einprogrammiert. Es war beinahe erschreckend, wie schnell sie sich herumkriegen ließen, ganz egal, wie müde, krank, wütend oder hungrig sie sich gerade eben noch gefühlt hatten.

Wenn Meike heute Abend auch noch auf zusätzliche Anreize wie diese viel zu durchsichtigen Stoffstückchen zurückgriff, dürfte eigentlich nichts schief gehen. Rons Gehirn würde sich ausschalten und die Kontrolle anderen Körperteilen überlassen, denen die Sache mit der Empfängnisverhütung vollkommen gleichgültig war.

**

Friederike näherte sich mit gemischten Gefühlen dem kleinen Café am Markt. Vincents Geschäft befand sich nur zwei Häuser weiter und sie warf sehnsüchtige Blicke in die entsprechende Richtung.

Friederike liebte das Café. Hier hatte sie Vincent zum ersten Mal gesehen und sich später mit ihm regelmäßig getroffen. Es war gemütlich, ohne dabei plüschig zu wirken. Und hier gab es das beste Schokoeis der Welt. Friederike würde allein aus diesem Grund das Café mögen, selbst wenn es eingerichtet wäre wie ein Bahnhof.

Doch sie war dieses Mal nicht mit Vincent verabredet, sondern mit seiner Mutter. Diese hatte Friederike gestern Abend angerufen und mitgeteilt, dass wegen der Hochzeit eine ganze Menge Dinge zu besprechen wären, was man am besten heute Morgen bei einer Tasse Kaffee tun könnte, solange die Männer noch im Geschäft waren. Schließlich sei das Planen einer Hochzeit sowieso Frauensache und Männer dabei nur im Weg.

Sowohl Friederike als auch Vincent waren von dem Anruf überrascht. Ottilie, Vincents Mutter, schien eine Wendung um hundertachtzig Grad hingelegt zu haben.

Vincent war vorsichtig hoffnungsvoll. Vielleicht hatte seine Mutter tatsächlich erst einmal die Neuigkeiten verdauen müssen und kam jetzt mit der Situation klar. Schließlich machte sein Vater auch nicht so ein Theater, im Gegenteil. Er schien sich aufrichtig auf das Enkelkind zu freuen. Und er mochte Friederike.

Die war sich nicht so sicher, was das heute zu bedeuten hatte. Doch auch sie hoffte. Immerhin hätte Ottilie es wesentlich schlimmer treffen können. Friederike arbeitete und verdiente eigenes Geld. Im Gegensatz zu ihrer zukünftigen Schwiegermutter. Außerdem legte sie keinen großen Wert auf Luxus und mochte selbst Schmuck nicht sonderlich. Obwohl Vincent ihr schon erklärt hatte, dass sie als Mitglied der Familie nicht mehr mit ihrer Zwanzig-Euro-Plastikuhr aus dem Spanienurlaub herumlaufen könne. Egal, wie sehr ihr diese gefiel.

Friederike betrat das Café fünf Minuten zu früh und hoffte, dass ihr noch ein paar Momente allein bleiben würden. Doch im nächsten Augenblick sah sie Ottilie dezent winken, die sich ausgerechnet an ihrem Tisch niedergelassen hatte. Friederike seufzte. Sicherlich war die Auswahl an Tischen in dem kleinen Café nicht sonderlich groß und dieser Tisch war der beste von allen, da er etwas abseits stand. Aber trotzdem. Irgendwie schien es ihr symbolisch dafür zu sein, dass ihre Schwiegermutter sich von jetzt an in ihr Leben drängte.

Friederike grüßte zurückhaltend. Ottilie hatte nie Wert auf Herzlichkeit gelegt.

»Ich habe schon mal für dich bestellt«, informierte ihre Schwiegermutter.

»Äh, und was?« fragte Friederike verwirrt, zog ihre Jacke aus und setzte sich.

»Kaffee. Ich nehme an, gefrühstückt hast du schon?«

»J-ja. Vorhin, zu Hause.«

»Gut. Kommen wir also gleich zur Sache. Du wirst vielleicht bemerkt haben, dass die Mitteilung über die Schwangerschaft und die Hochzeit etwas überraschend für uns kam.«

So konnte man das auch ausdrücken. Friederike nickte und bedankte sich bei der Kellnerin, die eine Tasse Kaffee vor ihr hinstellte.

Ottilie wartete, bis die Kellnerin wieder verschwand. Dann sprach sie weiter, ohne Friederike dabei anzusehen. »Ich wäre dir sehr verbunden, wenn du mich über deine Motive aufklären könntest.«

»W-wie bitte?« Friederike war sich nicht sicher, ob sie verstand, was Ottilie von ihr wollte.

»Wir beide wissen doch, dass du dein Leben nicht wirklich mit Vincent verbringen möchtest. Ich denke...«

»Woher wollen Sie das denn bitte schön wissen?« unterbrach Friederike sie scharf. Sie musste Ottilie noch immer siezen, auch wenn Eckart, ihr zukünftiger Schwiegervater, ihr schon vor Monaten das Du angeboten hatte.

Üblicherweise ging man spätestens bei einer Verlobung zum vertraulicheren Du über. Doch das heute war das erste Gespräch mit Ottilie nach der Eskalation am letzten Wochenende, als Vincent und sie ihre Verlobung bekannt gegeben hatten. Friederike hatte gehofft, dass diese Förmlichkeit heute aus dem Weg geschafft werden würde. Aber es sah nicht danach aus. Im Gegenteil.

»Ich bitte dich. Ich bin doch nicht blind! Und dumm auch nicht, auch wenn sich mein Sohn von dir offenbar für dumm verkaufen lässt. Vincent ist überhaupt nicht dein Typ.« Ottilie musterte Friederike geringschätzig.

»Das..., das ist doch völliger Blödsinn. Ich liebe Vincent. Und ich dachte, dass Sie mit mir über die Hochzeit sprechen wollten!«

Ottlilie sah sie verächtlich an. »Vincent ist nicht hier. Du kannst dir das Theater also sparen. Ich habe Erkundigungen über deinen ersten Mann eingeholt. Und ich brauche dir wohl nicht zu erklären, dass der bedeutend besser zu dir passte. Wenn du diese Art von Männer bevorzugst, kannst du unmöglich meinen Sohn wirklich mögen.«

»Ach ja? Über welche Art von Männern reden wir denn?« erkundigte sich Friederike aufgebracht.

»Du weißt ganz genau, was ich meine. Männer, die mehr Zeit vor dem Spiegel als ihre Frauen verbringen. Die von Sport besessen sind und nicht genügend Verstand für die wirklich anspruchsvollen Dinge des Lebens besitzen. Männer zum Spaß haben eben.«

»Falls es Ihnen noch nicht aufgefallen ist - ich habe mich von Mike getrennt. Und Vincent und ich haben sehr viel Spaß miteinander!«

Friederikes Gelassenheit war dahin. Und die Hoffnung auf ein friedliches Gespräch ebenso.

Was bildete sich diese Schachtel eigentlich ein, ihre Gefühle für Vincent anzuzweifeln und Erkundigungen über ihren geschiedenen Mann einzuholen.

Friederike musste sich eingestehen, dass Ottilies Beschreibung von Mike den Nagel auf den Kopf traf. Genau aus diesen Gründen hatte sich Friederike von ihm getrennt, als sie feststellte, dass selbst ein Kind nicht mehr Verantwortungsbewusstsein in Mike weckte. Friederike hatte hinter seinem hübschen Gesicht mehr Substanz vermutet, als vorhanden war. Doch nichtsdestotrotz war er - zumindest die meiste Zeit über - ein netter Mensch und mittlerweile auch ein recht guter Vater. Ottilie hatte kein Recht, so über ihn zu reden.

»Oh ja. Das kann ich mir vorstellen.« Ottilie rümpfte die Nase. »Vincents Geld macht vieles wett, nicht wahr?«

Friederike hatte genug und stand auf. Sie war nicht hergekommen, um sich beleidigen zu lassen.

»War es das, was Sie wollten? Mir Unverschämtheiten an den Kopf werfen? Das hätten Sie auch am Telefon tun können. Ich denke, ich nutze meine Zeit lieber anders. Eine Hochzeit organisiert sich nicht von selbst.«

Friederike wusste, dass sie niemals Ottilies hochnäsigen, verächtlichen Blick so perfekt beherrschen würde wie diese. Doch sie tat ihr Bestes, als sie ihre zukünftige Schwiegermutter anstarrte. Schließlich nahm sie ihre Jacke und wandte sie sich zum Gehen.

»Einen Moment noch!« Ottilies Befehlston durchschnitt die Stille im Café und ließ die Leute an den anderen Tischen aufblicken.

Friederike zögerte und drehte sich um.

»Bitte setz dich. Eine Sache gäbe es noch zu besprechen.«

Friederike Stolz kämpfte mit ihrer Neugier und den letzten Rest Hoffnung. Zögernd ließ sie sich auf der äußersten Stuhlkante nieder und schlang die Arme um ihre dicke Jacke.

»Was?« fragte sie knapp. Es konnte wohl keiner von ihr erwarten, dass sie nach diesem Gesprächsverlauf noch immer höflich blieb.

»Ich möchte diese Hochzeit nicht und du möchtest sie im Grunde ebenfalls nicht. Aber es ist...«

»Jetzt reicht es! Ich möchte Ihren Sohn heiraten. Und ich werde es. Ob Ihnen das nun gefällt oder nicht!« Friederike sprang erneut von ihrem Stuhl auf.

 

»Meine Güte. Jetzt stell dich nicht so an. Wir wissen beide, dass es letztendlich nur auf eine Frage hinausläuft.«

Ja. Wer kriegt eher einen Nervenzusammenbruch - die alte Schachtel oder ich, dachte Friederike und biss die Zähne zusammen.

»Wie viel?« fügte Ottilie mit berechnendem Blick hinzu.

»Äh, was?« fragte Friederike verdutzt.

Ottilie verdrehte die überschminkten Augen. »Wie viel ist es dir wert, auf die Hochzeit zu verzichten? Und den wahren Vater dieses Balgs zu benennen?«

»Vincent ist...«

»Ich werde nach der Geburt selbstverständlich einen Vaterschaftstest vornehmen lassen. Also spätestens dann wird die Wahrheit ans Licht kommen. Aber wir können uns das ganze unschöne Drumherum sparen, wenn wir uns vorher einigen. Also. Wie viel?«

Friederike war sprachlos. Bot ihr diese alte Hexe tatsächlich Geld an, damit sie verschwand?

Während Friederike nach den richtigen Worten suchte, kramte Ottilie in ihrer Handtasche. Dann schob sie einen Umschlag über den Tisch.

»Hier drin sind fünftausend Euro, und zwar dafür, dass du meinen Sohn verlässt und künftig in Ruhe lässt. Wenn du das noch innerhalb der nächsten Woche tust, bekommst du noch einmal fünftausend. Du solltest also nicht zu lange überlegen.«

Friederikes Sicherungen brannten endgültig durch. Was fiel dieser unverschämten Person ein! Ohne zu wissen, was sie damit eigentlich bezweckte, schnappte sie sich den Umschlag und hastete aus dem Café.

»Gute Entscheidung«, hörte sie Ottilie hinterherrufen. Den Rest konnte sie nicht mehr verstehen.

Friederike brauchte nicht weit zu gehen.

Zwei Häuser weiter stieß sie die Tür des Juwelierladens auf.

Eckart bediente gerade eine Kundin und nickte ihr freundlich zu. »Er ist hinten«, sagte er und lächelte. »Na? Schon fertig mit Planen?«

Wenn du wüsstest, dachte Friederike und verschwand eilig in die Werkstatt.

Vincent saß am Computer und blickte fragend auf.

»Oh, hallo. Schon fertig?« Dann sah er Friederikes Gesichtsausdruck und runzelte die Stirn.

»Was...«

»Da.« Friederike warf ihm den Umschlag zu, den er ungeschickt fing. »Das hat mir deine Mutter gegeben, damit ich dich verlasse. Ach ja. Und damit ich sage, wer der wirkliche Vater unseres Babys ist.«

»Wie bitte? Was ist das?« Vincent starrte sie verblüfft an.

»Sieh ruhig rein.« Friederike verschränkte die Arme und bemühte sich, ihren Zorn zu unterdrücken. Vincent konnte schließlich nichts dafür.

Vincent öffnete den Umschlag und holte ungläubig ein Bündel Geld heraus. »Wie-, wie viel ist das?«

»Angeblich fünftausend.«

»Oh. Mehr bin ich ihr nicht wert?«

»Das ist nicht komisch!«

»Nein. Du hast recht.« Vincent seufzte. Dabei hatte er so gehofft, dass seine Mutter ihre Ansichten geändert hätte. Stattdessen nun das hier. Das war schlimmer als im Kino.

»Übrigens bekomme ich noch mal Fünftausend, wenn ich dich noch in der kommenden Woche sitzen lasse«, ergänzte Friederike frustriert.

»Und? Ist die Versuchung sehr groß?« fragte Vincent mit schiefem Lächeln.

»Möchtest du das denn?«

»Das weißt du doch. Aber ich gebe dir gerne Zwanzigtausend, damit du mich heiratest.«

»Das ist doch mal ein Angebot.« Friederike grinste. »Lass das bloß nicht deine Mutter hören. Die lässt dich entmündigen und zwangseinweisen.«

Eckart kam hereingepoltert. »Tschuldigung, das ich störe. Aber ihr habt noch genug Zeit füreinander. Weißt du, wo die Uhr von Frau Heinzelmann ist?«

»Äh, ja. Die liegt hier bei den reparierten Uhren. Warte mal kurz...«, Vincent stand auf und suchte in einem Kasten herum. »Mutter hat Friederike vorhin übrigens Geld gegeben, damit sie mich verlässt«, fügte er beiläufig hinzu.

»Was?!«

»Wusstest du was davon?«

Eckarts ungläubiger Blick wanderte von Vincent zu Friederike.

»Soll das ein Witz sein?«

»Heißt das, du weißt nichts davon?« fragte Vincent erneut und bohrte den Blick in seinen Vater.

»Nein! Natürlich nicht! Ich... ich dachte, ihr wolltet über die Hochzeit reden?« Eckart sah Friederike völlig entgeistert an und sie glaubte ihm.

»Hier. Ich schätze, das gehört dann wohl dir«, sagte Vincent und schob den Umschlag zu seinem Vater. »Friederike möchte das großzügige Angebot, wenn ich sie richtig verstanden habe, lieber doch nicht annehmen.«

»Oh. Äh... Meine Güte. Ich weiß nicht, was...«

»Lass mal gut sein.« Vincent klopfte seinem Vater auf die Schulter. »Ich kümmere mich um Frau Heinzelmann. Friederike kann dir inzwischen alles erzählen.«

Eckart ließ sich auf den Stuhl fallen. Er wusste, dass seine Frau nichts von dieser Hochzeit und der Tatsache, dass sie Oma wurde, hielt. Aus welchen hirnverbrannten Gründen auch immer. Aber niemals, unter gar keinen Umständen, hätte er es für möglich gehalten, dass sie so weit gehen würde.

Vincent bediente derweil Frau Heinzelmann, als sich die Ladentür erneut öffnete.

Seine Mutter spazierte herein. Vincent hätte ihr am liebsten eine verpasst und damit ihr selbstgefälliges Grinsen vertrieben. Doch das ging leider nicht. Frau Heinzelmanns Anwesenheit sorgte dafür, dass Vincent sich nicht vergaß.

»Na mein Junge? Wie geht es dir?« Seine Mutter schien beschlossen zu haben, die Ahnungslose zu spielen.

Das konnte sie haben.

»Toll. Ganz großartig. Und dir? Was macht die Hochzeitsplanung?«

»Oh. Alles bestens. Ich kann es gar nicht erwarten«, sagte Ottilie und warf argwöhnische Blicke auf Frau Heinzelmann, die mit großen Augen den Wortwechsel verfolgte. Frau Heinzelmann gehörte zu den Personen, die ihr Wissen gerne mit der ganzen Welt teilten. Selbst wenn es sich dabei nicht wirklich um Wissen, sondern eher um Vermutungen handelte. Die Tatsache, dass der einzige Sohn des Juweliers mit seiner Mutter über Hochzeitsvorbereitungen sprach, war eine hochinteressante Neuigkeit. Und Ottilie wollte Aufsehen vermeiden. Zumal es, wie es aussah, diese Hochzeit nie geben würde.

Sie war mit sich zufrieden. Nie im Leben hätte sie es für möglich gehalten, dass so wenig reichen würde, um Friederike davon zu überzeugen, aus Vincents Leben zu verschwinden. Die fünftausend Euro sollten lediglich eine Verhandlungsgrundlage darstellen.

Sie selbst hätte sich niemals damit zufrieden gegeben. Wenn man ihr vor dreißig Jahren ein ähnliches Angebot unterbreitet und dabei eine angemessene Summe geboten hätte, wäre ihr Leben vielleicht völlig anders verlaufen. Eckarts Geld hatte ihn damals attraktiv genug gemacht, um ihn zu heiraten. Aber sie hatte nie behauptet, ihn zu lieben. Er hatte es einfach angenommen und sie versäumte es, diesen Irrtum aufzuklären.

Aber es sollte mit dem Teufel zugehen, wenn sie jetzt erlaubte, dass diese Person dasselbe Spiel mit ihrem Sohn trieb.

»Papa ist hinten«, sagte Vincent und konzentrierte sich wieder auf Frau Heinzelmann. Auch er kannte Frau Heinzelmanns Qualifikation als Tageszeitung und wollte sie nach Möglichkeit aus dem Laden haben, bevor das Gemetzel begann.

**

Meike, saß bei ihrem Lieblingsitaliener, lächelte ihren Mann an und genoss den friedlichen Moment. In solchen Augenblicken waren alle Probleme weit weg.

Sie hatte ihn schon länger nicht mehr genau betrachtet* und war wie jedes Mal, wenn sie es doch einmal wieder tat, fasziniert von seinem guten Aussehen. Ron war sich dessen gar nicht bewusst und sie empfand es mitunter als ungerecht, dass er überhaupt nichts dafür tun musste.

Doch nicht heute. Sie war stolz auf ihren Mann, um den sie von vielen beneidet wurde. Wie es aussah, auch von der Bedienung. Attraktiv, erfolgreich, höflich - und seiner Mutter hörig, flüsterte eine Stimme in ihrem Kopf.

Sei still, dachte sie unwillig. Nicht jetzt.

Das Dumme war, dass man Stimmen im Kopf, wenn sie sich erst einmal eingenistet hatten, da nur schwer wieder heraus bekam. Sie konnte sie höchstens in eine kleine Ecke verbannen und so gut wie möglich ignorieren. Aber in den unmöglichsten Momenten schlichen sie sich wieder an und spukten umher.

Ron schob sich einen Bissen in den Mund. Sie hatten beschlossen, noch vor dem Theaterbesuch essen zu gehen. So blieb hinterher mehr Zeit, dachte Meike und rutschte unruhig auf ihrem Stuhl umher.