Verwaltungsprozessrecht

Tekst
0
Recenzje
Przeczytaj fragment
Oznacz jako przeczytane
Czcionka:Mniejsze АаWiększe Aa

3. Übungsfall Nr. 1[105]

152

„Ein Teufelskerl im Teufelsrohr“

Nachdem der äußerst erfahrene Wassersportler W mit seinem Kanu jahrzehntelang auf sämtlichen großen Wildflüssen der Welt unterwegs gewesen war, möchte er nunmehr seine Touren auf das Gebiet des heimischen Sauerlands (NRW) beschränken. Gefallen findet er insbesondere an der dortigen „Teufelsrohr“-Passage, in der v.a. die weniger erfahrenen Kanuten leicht verunglücken können. Aufgrund ihrer steil abfallenden Felsformationen und ihrer schroffen, weit in die Strömung hineinreichenden Klippen darf diese Stelle des Flusses nur mit einer Ausnahmegenehmigung befahren werden, welche nach der einschlägigen gesetzlichen Vorschrift in Gestalt eines Verwaltungsakts ergeht. Auf Antrag des W hin erteilt ihm die zuständige Behörde einen entsprechenden „Bescheid“, allerdings mit der „Einschränkung“, dass W bei Befahren des Teufelsrohrs eine näher bezeichnete Rettungsweste sowie einen Helm tragen muss. W ist empört und möchte wissen, mittels welcher verwaltungsprozessualen Klageart er diese für ihn ja wohl nicht notwendige „Einschränkung“ beseitigen kann.


[Bild vergrößern]

153

Lösung

Die statthafte Klageart richtet sich nach dem Begehren des Klägers, vgl. § 88 VwGO. Hier verfolgt W das Ziel, eine Ausnahmegenehmigung zum Befahren des „Teufelsrohrs“ zu erlangen, die nicht durch das Erfordernis des Tragens einer Rettungsweste sowie eines Helms eingeschränkt ist.

Als mögliche Klageart zur Erreichung dieses Ziels kommt einerseits eine (Teil-)Anfechtungsklage nach § 42 Abs. 1 Alt. 1 VwGO gegen die in der Form eines Verwaltungsakts („Bescheid“) ergangene Ausnahmegenehmigung in Betracht, „soweit“ (§ 113 Abs. 1 S. 1 VwGO) diese Genehmigung durch das Rettungswesten- und Helm-Erfordernis eingeschränkt wird. Andererseits könnte W sein Begehren möglicherweise aber auch dadurch erreichen, indem er gem. § 42 Abs. 1 Alt. 2 VwGO eine Verpflichtungsklage auf Erteilung einer uneingeschränkten Ausnahmegenehmigung – diese ergeht nach der einschlägigen Rechtsvorschrift in Gestalt des Verwaltungsakts – erhebt.

Den Weg der letztgenannten Klageart müsste W dann beschreiten, wenn es sich bei der ihm erteilten Ausnahmegenehmigung qualitativ um etwas anderes (ein aliud) handelt als das, was er beantragt hat, d.h. der Verwaltungsakt „Ausnahmegenehmigung“ noch gar nicht erlassen wurde, vgl. § 42 Abs. 1 Alt. 2 VwGO. Nicht eine „modifizierende Auflage“, sondern vielmehr eine Nebenbestimmung i.S.v. § 36 VwVfG (NRW) liegt dagegen vor, wenn nach dem materiellen Gehalt der Regelung diese sich lediglich akzessorisch auf den Hauptverwaltungsakt bezieht, ohne selbst integrale Inhaltsbestimmung dessen zu sein.

Vorliegend hat W mit Erteilung der Ausnahmegenehmigung sein Ziel, das „Teufelsrohr“ befahren zu dürfen, bereits erreicht. Die Einschränkung, hierbei eine bestimmte Rettungsweste anzulegen sowie einen Helm zu tragen, macht die Genehmigung im Vergleich zum Antrag des W nicht zu etwas anderem. Vielmehr nimmt der Rettungswesten- und Helm-Zusatz lediglich Bezug auf die Genehmigung, ohne diese inhaltlich zu verändern.

Handelt es sich bei dem Rettungswesten- und Helm-Erfordernis mithin um eine Nebenbestimmung i.S.v. § 36 VwVfG (NRW), so war früher streitig, auf welchem prozessualen Wege gegen eine solche vorzugehen ist. Die Rechtsprechung vertrat die Ansicht, dass es sich nur bei Auflagen und Auflagenvorbehalten um selbstständige und damit isoliert anfechtbare Verwaltungsakte handle (vgl. § 36 Abs. 2 VwVfG (NRW): „verbunden werden mit“), im Falle von Bedingung, Befristung und Widerrufsvorbehalt hingegen die Verpflichtungsklage die richtige Klageart sei. Das Schrifttum war gespalten. Während manche allein die Anfechtungsklage und manche einzig die Verpflichtungsklage für die statthafte Klageart hielten, differenzierten andere zwischen Ermessens-Verwaltungsakten (dann: Verpflichtungsklage) und gebundenen Entscheidungen (dann: Anfechtungsklage).

Mittlerweile besteht jedoch weitgehend Einigkeit darüber, dass im Rahmen der Ermittlung der statthaften Klageart allein auf die logische Teilbarkeit des jeweiligen Verwaltungsakts abzustellen ist. Danach ist in der Regel gegen alle Nebenbestimmungen die Anfechtungsklage gem. § 42 Abs. 1 Alt. 1 VwGO statthaft.[106] Ob diese im Ergebnis auch zur isolierten Aufhebung der Nebenbestimmung führt, wird dagegen grundsätzlich als eine Frage der Begründetheit der Klage angesehen und „hängt davon ab, ob der begünstigende Verwaltungsakt ohne die Nebenbestimmung sinnvoller- und rechtmäßiger Weise bestehen bleiben kann“; nur wenn eine „isolierte Aufhebbarkeit offenkundig von vornherein ausscheidet“, ist hiervon eine Ausnahme zu machen.[107]

Hier wurde W das Befahren des „Teufelsrohrs“ nur unter der Voraussetzung gestattet, dass er zuvor eine näher bezeichnete Rettungsweste sowie einen Helm anlegt. Allerdings verfügt W über ausgeprägte Erfahrungen und Fähigkeiten im Kanusport, so dass er aller Voraussicht nach auch ohne die genannten „Einschränkungen“ das „Teufelsrohr“ bezwingen könnte. Erscheint das Tragen einer besonderen Weste sowie eines Helms also nicht zwingend notwendig, so verlöre die Ausnahmegenehmigung nicht offenkundig dadurch ihren Sinn, wenn W eine einschränkungslose Ausnahmegenehmigung erteilt wird. Da auch keine Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass eine gegenüber W nebenbestimmungsfrei ausgesprochene Ausnahmegenehmigung offenkundig (materiell) rechtswidrig wäre, besteht hier keine Ausnahme vom o.g. Grundsatz, dass Nebenbestimmungen[108] mit der Anfechtungsklage anzugreifen sind.

Also kann W im Wege der Anfechtungsklage nach § 42 Abs. 1 Alt. 1 VwGO gegen das Rettungswesen- und Helm-Erfordernis vorgehen.

154

Ist im konkreten Fall die Verpflichtungsklage die statthafte Klageart, so lässt sich weiter zwischen den folgenden Arten bzw. Formen der Verpflichtungsklage differenzieren:

155


Begehrt der Kläger die Verurteilung zum Erlass eines von der Behörde zuvor abgelehnten Verwaltungsakts (vgl. § 42 Abs. 1 Alt. 2 VwGO), so wird die insofern statthafte Verpflichtungsklage als Versagungsgegenklage bezeichnet. Entgegen dieser Bezeichnung richtet sich freilich auch die Versagungsgegenklage nicht lediglich gegen die Versagung (Ablehnung) des begehrten Verwaltungsakts, sondern ist vielmehr darüber hinaus auf die Verpflichtung der Behörde zu dessen Erlass gerichtet. Insoweit, als der ablehnende Bescheid dem Verpflichtungsausspruch entgegensteht, ist der Antrag auf Aufhebung der Ablehnung in der Versagungsgegenklage mit enthalten, d.h. ein diesbezüglicher Anfechtungsantrag muss nicht gesondert gestellt werden. Hintergrund dessen ist, dass aufgrund der Tatbestandswirkung des ablehnenden Bescheids das Gericht eine Verurteilung zum Erlass des vom Kläger begehrten Verwaltungsakts nur dann aussprechen kann, wenn es Ersteren zuvor aufhebt. Das wiederum erfolgt aufgrund des im Rahmen der Verpflichtungsklage grundsätzlich maßgeblichen Zeitpunkts der letzten mündlichen Verhandlung (Rn. 469 ff.) i.d.R. mit bloßer ex nunc-Wirkung. Nur sofern der Kläger eine darüber hinausgehende Aufhebung des Versagungsbescheids mit Wirkung ex tunc bzw. die Feststellung seiner Rechtswidrigkeit verlangen sollte, muss er zusätzlich noch einen entsprechenden Antrag stellen.

156

Beispiel[109]

Grundstückseigentümer G hat bei der zuständigen Behörde einen Antrag auf Erteilung einer Baugenehmigung für ein Wochenendhaus gestellt, der allerdings abschlägig beschieden wurde. G will sich hiermit nicht zufrieden geben und sucht daher Rechtsschutz vor dem zuständigen VG. Welche Klageart ist vorliegend statthaft? Muss G (auch) einen Antrag auf Aufhebung der Ablehnung der Baugenehmigung stellen?

G begehrt (§ 88 VwGO) den Erlass einer Baugenehmigung, d.h. eines Verwaltungsakts. Statthafte Klageart ist damit die Verpflichtungsklage nach § 42 Abs. 1 Alt. 2 VwGO. Eines gesonderten (Anfechtungs-)Antrags gerichtet auf Aufhebung des Ablehnungsbescheids bedarf es daneben nicht mehr. Denn dieser ist im Verpflichtungsantrag bereits konkludent mit enthalten (Versagungsgegenklage) – ebenso wie im Erfolgsfall das nach § 113 Abs. 5 S. 1 VwGO ergehende Verpflichtungsurteil den vorausgehenden Ablehnungsbescheid zumindest stillschweigend aufhebt (Rn. 473 f.).

 

157

JURIQ-Klausurtipp

Ungeachtet der bei Erfolg der Versagungsgegenklage vom Gericht auszusprechenden Aufhebung des Ablehnungsbescheids enthält diese Klage nicht etwa auch dessen Anfechtung, sondern ist ausschließlich eine Verpflichtungsklage. „Das ergibt sich aus §§ 42 Abs. 1, 113 Abs. 5 VwGO. Ist die Ablehnung eines Verwaltungsakts rechtswidrig und der Kläger in seinen Rechten verletzt, so hat das Gericht die Verpflichtung der Verwaltungsbehörde auszusprechen, den beantragten Verwaltungsakt zu erlassen bzw. den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden. Es muss also ein Leistungsurteil und kein Gestaltungsurteil ergehen.“[110] Es wäre daher ein schwerer Fehler, wenn in der Klausurbearbeitung insoweit neben der Verpflichtungs- noch eine Anfechtungsklage geprüft würde.[111]

158



159


Begehrt der Kläger einen bestimmten Verwaltungsakt (z.B. Baugenehmigung, § 75 Abs. 1 S. 1 BauO NRW), auf dessen Erlass er einen rechtlich gebundenen Anspruch zu haben geltend macht (materielles subjektiv-öffentliches Recht, z.B. gem. § 58 Abs. 1 S. 1 LBO BW, Art. 68 Abs. 1 S. 1 BayBO, § 75 Abs. 1 S. 1 BauO NRW), d.h. der weder im Ermessen der Behörde steht noch bzgl. dessen diese über einen Beurteilungsspielraum verfügt, so wird der Kläger bei Gericht einen Antrag auf Verpflichtung der Behörde auf Vornahme genau der beantragten Amtshandlung stellen (Vornahmeklage, § 113 Abs. 5 S. 1 VwGO).

160


Steht dem Kläger nach dem jeweils einschlägigen materiellen Recht hingegen lediglich ein Anspruch gegen die Verwaltung auf beurteilungs- bzw. ermessensfehlerfreie Entscheidung zu (formelles subjektiv-öffentliches Recht, z.B. nach § 31 Abs. 2 BauGB bzgl. der Befreiung von den Festsetzungen des Bebauungsplans), so wird er nur einen Antrag auf Verpflichtung der Behörde zur (Neu-)Bescheidung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts stellen (Bescheidungsklage, § 113 Abs. 5 S. 2 VwGO). Würde demgegenüber auch in einem solchen Fall fehlender Spruchreife die weitergehende Vornahmeklage erhoben – der Antrag auf bloße Bescheidung ist in dieser als „Minus“ mit enthalten –, so wäre sie teilweise unbegründet und der Kläger müsste insoweit die Kosten tragen, § 155 Abs. 1 VwGO.

161

Verpflichtungsklage

A.Zulässigkeit

I.Eröffnung des Verwaltungsrechtswegs

öffentlich-rechtliche Streitigkeit(Rn. 76 ff.)

II.Statthaftigkeit der Verpflichtungsklage, § 42 Abs. 1 Alt. 2 VwGO

Verwaltungsaktqualität der begehrten Maßnahme(Rn. 129)

III.Beteiligtenfähigkeit, § 61 VwGO

IV.Prozessfähigkeit, § 62 VwGO

V.Klagebefugnis, § 42 Abs. 2 VwGO

subjektiv-öffentliches Recht des Klägers(Rn. 250 ff.)

VI.Richtiger Klagegegner, § 78 VwGO

VII.Vorverfahren, § 68 Abs. 2 VwGO

Statthaftigkeit bzw. Entbehrlichkeit des VorverfahrensRn. 304 ff.

VIII.Klagefrist, § 74 Abs. 2 VwGO

Fristberechnung(Rn. 362 f.)

B.Begründetheit

siehe Rn. 452 ff.

4. Fortsetzungsfeststellungsklage

162

Hat der Kläger eine Anfechtungsklage nach § 42 Abs. 1 Alt. 1 VwGO erhoben, hat sich der mit dieser angegriffene Verwaltungsakt aber „vorher“ durch Zurücknahme oder anders erledigt, so spricht das Gericht gem. § 113 Abs. 1 S. 4 VwGO auf Antrag durch Urteil aus, dass der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat (Fortsetzungsfeststellungsklage, FFK).[113]

163

Aus der Stellung von § 113 Abs. 1 S. 4 VwGO im 10. Abschnitt der VwGO über „Urteile und andere Entscheidungen“ sowie der inneren Systematik von § 113 Abs. 1 VwGO folgt, dass sich die im Gesetzestext ausdrücklich enthaltene zeitliche Bestimmung „vorher“ auf die gerichtliche Entscheidung über das Anfechtungsbegehren bezieht. Da das Ergehen eines Urteils jedoch notwendigerweise eine rechtshängige Klage voraussetzt (§ 90 Abs. 1 VwGO), erfasst § 113 Abs. 1 S. 4 VwGO in seiner unmittelbaren Anwendung nur solche Fälle, in denen sich der Verwaltungsakt nach Erhebung der Anfechtungsklage und vor Urteilsverkündung erledigt.

164


[Bild vergrößern]

165

Beispiel[114]

Veranstalter V plant für den 3.10. eine Demonstration, deren Durchführung von der zuständigen Behörde bereits am 17.6. verboten wurde. Über die hiergegen kurze Zeit später erhobene Anfechtungsklage wird erst am 9.11. entschieden. In der an diesem Tag stattfindenden mündlichen Verhandlung beantragt V die gerichtliche Feststellung, dass das Versammlungsverbot rechtswidrig war. Hierbei handelt es sich um einen typischen Anwendungsfall von § 113 Abs. 1 S. 4 VwGO.

166

Mit dieser Regelung in § 113 Abs. 1 S. 4 VwGO trägt der Gesetzgeber dem Umstand Rechnung, dass mit Erledigung des angegriffenen Verwaltungsakts das mit der Anfechtungsklage primär verfolgte Rechtsschutzziel, nämlich die zu dessen Unwirksamkeit führende gerichtliche Aufhebung (Rn. 126), nicht mehr erreicht werden kann. Ein erledigter Verwaltungsakt ist nämlich bereits kraft Gesetzes unwirksam, § 43 Abs. 2 VwVfG. Infolge dessen wird die ursprüngliche Anfechtungsklage mit Erledigungseintritt unzulässig,[115] so dass es nicht mehr zu einer Entscheidung des Gerichts über die (Un-)Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts käme. An einer gerichtlichen Feststellung der Rechtswidrigkeit auch eines erledigungsbedingt unwirksamen Verwaltungsakts kann der Kläger in bestimmten Konstellationen aber durchaus ein berechtigtes Interesse haben (Rn. 382 ff.). Den prozessualen Weg zu dieser von Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG geforderten Feststellungsmöglichkeit eröffnet § 113 Abs. 1 S. 4 VwGO. Dabei handelt es sich beim Übergang von der Anfechtungs- zur Fortsetzungsfeststellungsklage gem. § 173 S. 1 VwGO i.V.m. § 264 Nr. 2 ZPO grundsätzlich nicht um eine Klageänderung. Abweichendes gilt jedoch ausnahmsweise dann, wenn „das Feststellungsbegehren nicht nur die – von der Fortsetzungsfeststellungsklage erfasste – Rechtslage im Zeitpunkt des erledigenden Ereignisses, sondern einen davorliegenden Zeitraum betrifft.“[116]

Hinweis

Eine andere Möglichkeit des Klägers, einer erledigungsbedingten Abweisung der Anfechtungsklage zu entgehen, besteht darin, die Hauptsache für erledigt zu erklären. Das Gericht entscheidet dann gem. § 161 Abs. 2 S. 1 VwGO nur noch über die Kosten des Verfahrens (bei beiderseitiger/übereinstimmender Erledigungserklärung) bzw. stellt bei tatsächlich eingetretener Erledigung diese nach gem. § 173 S. 1 VwGO i.V.m. § 264 Nr. 2 bzw. 3 ZPO erfolgter Klageänderung fest, § 43 Abs. 1 VwGO (Fall der einseitigen Erledigungserklärung). Bei einer Klagerücknahme (§ 92 VwGO) würde der Kläger hingegen gem. § 155 Abs. 2 VwGO mit den Verfahrenskosten belastet.[117]

167

Vor diesem Hintergrund erhellt, dass es sich bei der Fortsetzungsfeststellungsklage der Rechtsnatur nach richtigerweise um eine fortgesetzte Anfechtungsklage handelt. Da aufgrund der Erledigung des Verwaltungsakts allerdings nicht mehr dessen Aufhebung (§§ 42 Abs. 1 Alt. 1, 113 Abs. 1 S. 1 VwGO), sondern nur noch die Feststellung von dessen Rechtswidrigkeit verlangt werden kann, wird die Fortsetzungsfeststellungsklage plakativ auch als „amputierte Anfechtungsklage“ bezeichnet (a.A.: besondere Form der Feststellungsklage bzw. eigene Klageart [sui generis]).

 

168

Über den vergleichsweise schmalen Anwendungsbereich hinaus, der § 113 Abs. 1 S. 4 VwGO bei unmittelbarer Anwendung damit zukommt (Erledigung des mit einer Anfechtungsklage angegriffenen Verwaltungsakts nach Klageerhebung und vor Urteilsverkündung), gibt es allerdings auch noch eine Reihe weiterer gesetzlich nicht geregelter Fallkonstellationen, in denen aufgrund vergleichbarer Interessenlage eine entsprechende Anwendung dieser Norm angezeigt ist.

169

Dies gilt zum einen im Hinblick auf die ursprünglich erhobene Klageart („Eingangsklage“). Da es für den Rechtsschutzsuchenden keinen Unterschied macht, ob er durch einen erledigten belastenden Verwaltungsakt oder durch eine versagte bzw. unterlassene[118] Begünstigung in seinen Rechten verletzt wird und die Fortsetzungsfeststellungsklage verhindern soll, dass ein Kläger, der infolge eines erledigenden Ereignisses seinen ursprünglichen Antrag nicht weiterverfolgen kann, um die „Früchte“ der bisherigen Prozessführung gebracht wird, ist allgemein anerkannt, dass § 113 Abs. 1 S. 4 VwGO auf die Fälle der Erledigung eines Verpflichtungsbegehrens nach Klageerhebung analog anzuwenden ist. Auch insoweit besteht daher die Möglichkeit für den Kläger, die Rechtswidrigkeit der Ablehnung bzw. Unterlassung des begehrten Verwaltungsakts im Zeitpunkt unmittelbar vor Eintritt des erledigenden Ereignisses[119] gerichtlich feststellen zu lassen. Eine analoge Anwendung des verwaltungsaktbezogenen § 113 Abs. 1 S. 4 VwGO auf „erledigtes“ schlicht-hoheitliches Handeln (Realakte; z.B. Beseitigung eines mittlerweile an eine andere Stelle verbrachten Müllcontainers) kommt nach h.M.[120] dagegen nicht in Betracht. Einschlägig ist insofern vielmehr die allgemeine Feststellungsklage nach § 43 Abs. 1 VwGO.

170

Beispiel[121]

Mit Bescheid vom 1.3. wurde der Antrag des Schaustellers S auf Zulassung seines Autoscooter-Fahrgeschäfts zu dem nach §§ 60b Abs. 2, 69 Abs. 1 GewO für den 1.6. festgesetzten gemeindlichen Volksfest abgelehnt. S hält diese Entscheidung mit Blick auf § 70 Abs. 1 GewO für rechtswidrig. Da das VG über die von ihm daraufhin in zulässiger Weise erhobene Verpflichtungsklage bis zum 1.6. allerdings noch nicht entschieden hat und S befürchtet, auch im nächsten Jahr nicht zum jährlich stattfindenden Volksfest zugelassen zu werden, kann er in der am 1.9. stattfindenden mündlichen Verhandlung analog § 113 Abs. 1 S. 4 VwGO einen Fortsetzungsfeststellungsantrag stellen.

171

Zum anderen wird § 113 Abs. 1 S. 4 VwGO von der h.M.[122] ebenfalls in zeitlicher Hinsicht analog angewandt. Weil die Art des Rechtsschutzes nicht von dem mehr oder weniger zufälligen Zeitpunkt des Erledigungseintritts abhängig sein könne, müsse § 113 Abs. 1 S. 4 VwGO auch auf diejenigen Fälle erstreckt werden, in denen die Erledigung des belastenden (Anfechtungssituation) bzw. begünstigenden (Verpflichtungssituation) Verwaltungsakts jeweils schon vor – und nicht erst nach – Klageerhebung eintritt.

172-

173

Beispiele[123]

Veranstalter V plant für den 3.10. eine Demonstration, deren Durchführung von der zuständigen Behörde am 2.10. mit für sofort vollziehbar erklärter Verfügung verboten wurde. Am 4.10. erhebt V Klage vor dem VG mit dem Antrag festzustellen, dass das Versammlungsverbot rechtswidrig gewesen ist. Der Antrag ist nach § 113 Abs. 1 S. 4 VwGO analog statthaft (Erledigung des Anfechtungsbegehrens vor Klageerhebung).

Nach rechtswidriger Ablehnung des von Grundstückseigentümer G bei der zuständigen Behörde gestellten Antrags auf Erteilung einer Baugenehmigung ändert sich die Eigenart der näheren Umgebung zum Nachteil des G, so dass sein § 34 Abs. 1 BauGB unterfallendes Bauvorhaben zum jetzigen Zeitpunkt nicht mehr genehmigungsfähig ist. Nunmehr erhebt G Fortsetzungsfeststellungsklage vor dem VG mit dem Antrag festzustellen, dass ursprünglich ein Anspruch auf Erteilung der Baugenehmigung bestand. Die Klage ist in doppelt analoger Anwendung von § 113 Abs. 1 S. 4 VwGO statthaft (Verpflichtungssituation mit Erledigungseintritt vor Klageerhebung).

174


Dieser Auffassung (Rn. 171) wird allerdings teilweise[124] mit dem Hinweis darauf entgegen getreten, dass es für eine analoge Anwendung des § 113 Abs. 1 S. 4 VwGO auch in zeitlicher Hinsicht an der für jede Analogie[125] notwendigen planwidrigen Regelungslücke fehle. Denn bei der Frage, ob die Behörde dazu berechtigt war, den erledigten Verwaltungsakt zu erlassen (Anfechtungssituation) bzw. den begehrten Verwaltungsakt zu versagen bzw. zu unterlassen (Verpflichtungssituation), handele es sich um ein Rechtsverhältnis i.S.v. § 43 Abs. 1 VwGO, dessen (Nicht-)Bestehen im Wege der allgemeinen Feststellungsklage zu klären sei. Diese Sichtweise hatte zwischenzeitlich durch das Urteil des BVerwG vom 14.7.1999[126] Auftrieb erfahren. Nachfolgend[127] hat sich das BVerwG von dieser Rechtsprechung jedoch wieder distanziert, so dass entgegen anderslautenden Stimmen in der Literatur[128] insoweit letztlich doch nicht von einer Kehrtwende gesprochen werden kann. Folgt man der h.M.[129], so ergibt sich die nachfolgende Übersicht über den Anwendungsbereich der Fortsetzungsfeststellungsklage gem. § 113 Abs. 1 S. 4 VwGO:

175


[Bild vergrößern]

176


Die in jedweder, d.h. sowohl in unmittelbarer als auch in (doppelt) analoger Anwendung von § 113 Abs. 1 S. 4 VwGO erforderliche Erledigung[130] des Verwaltungsakts ist in der Anfechtungssituation zu bejahen, wenn der angegriffene Verwaltungsakt keine Regelungswirkung mehr entfaltet, vgl. § 35 S. 1 VwVfG („Wegfall der Beschwer“).

177

Die Gründe hierfür können sowohl tatsächlicher als auch rechtlicher Natur sein. Als Beispiele für Letztere werden in § 43 Abs. 2 VwVfG die Rücknahme (§ 48 VwVfG; siehe auch § 113 Abs. 1 S. 4 VwGO), der Widerruf (§ 49 VwVfG) und die anderweitige Aufhebung (gem. §§ 72 f. bzw. § 113 Abs. 1 S. 1 VwGO) genannt. Tatsächlich kann sich ein Verwaltungsakt zum einen u.a. durch Zeitablauf erledigen (z.B. nach § 77 Abs. 1 BauO NRW), § 43 Abs. 2 VwVfG. Dieser Fall liegt dann vor, wenn sich der Verwaltungsakt auf einen mittlerweile abgelaufenen Zeitpunkt bzw. -raum bezieht und sein Bestand auch nicht Voraussetzung für die Rechtmäßigkeit von noch andauernden Folgemaßnahmen ist (so z.B. die anlässlich eines Auswärtsspiels der deutschen Fußball-Nationalmannschaft an Hooligan H gerichtete Untersagung der Ausreise aus dem Bundesgebiet bis zum 16.10.2018, 24:00 Uhr). Die in § 43 Abs. 2 VwVfG zum anderen noch erwähnte Erledigung des Verwaltungsakts „auf andere Weise“ als in den vorgenannten Fällen ist zu bejahen, sofern die Aufhebung des keine Wirkungen mehr entfaltenden Verwaltungsakts sinnlos geworden ist – sei es, weil beispielsweise dessen Regelungsobjekt untergegangen ist (z.B. die an die Behörde herauszugebende Sache) oder weil bei Höchstpersönlichkeit des Verwaltungsakts, d.h. fehlender Rechtsnachfolge, dessen Adressat verstorben ist (Wegfall des Regelungsadressaten).

178

Grundsätzlich nicht zur Erledigung eines Verwaltungsakts führt hingegen dessen Vollziehung bzw. freiwillige Befolgung, da der Verwaltungsakt hierfür Rechtsgrund bleibt. Entsprechendes gilt nach h.M.[131] auch im Fall der Vollstreckung eines Verwaltungsakts. Dies kommt auch in § 113 Abs. 1 S. 2 VwGO zum Ausdruck, wonach die Rückgängigmachung der Vollziehung des Verwaltungsakts frühestens mit dessen gleichzeitiger Aufhebung verlangt werden kann (z.B. kann der Bürger erst dann mit Erfolg die Herausgabe seiner von der Polizei beschlagnahmten Sache verlangen, wenn die Beschlagnahmeanordnung aufgehoben ist). Besteht ein solcher Vollzugsfolgenbeseitigungsanspruch hingegen nicht – etwa weil unumkehrbare Tatsachen geschaffen wurden –, so führt der Vollzug eines Verwaltungsakts ausnahmsweise sehr wohl zu dessen Erledigung (z.B. wenn der Hauseigentümer die ihm gegenüber erlassene Abrissverfügung befolgt hat).

179

JURIQ-Klausurtipp

Bevor in der Klausurbearbeitung die Erledigung eines Verwaltungsakts bejaht wird, sollte zur Kontrolle die Überlegung angestellt werden, ob dessen Aufhebung aus Sicht des Klägers noch Sinn macht („Wird noch irgendetwas geregelt?“). Ist dies unter jedem denkbaren Aspekt zu verneinen, so wird regelmäßig vom Erledigungseintritt auszugehen sein.[132]

180

Beispiel[133]

Behörde B hat gegenüber Einwohner E einen gem. § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 VwGO sofort vollziehbaren Gebührenbescheid i.H.v. 1000 € erlassen. Nach erfolgloser Einlegung eines Widerspruchs hiergegen erhebt E Anfechtungsklage. Da E allerdings die Vollstreckung des Gebührenbescheids fürchtet, zahlt er noch während des laufenden Prozesses die 1000 € und begehrt nunmehr anstelle der Aufhebung des Gebührenbescheids die Feststellung von dessen Rechtswidrigkeit.

Der Fortsetzungsfeststellungsantrag nach § 113 Abs. 1 S. 4 VwGO ist unzulässig, da der Verwaltungsakt (Gebührenbescheid) sich ungeachtet der Zahlung durch E nicht erledigt hat. Vielmehr wirkt dieser Bescheid als Rechtsgrundlage (causa) für das behördliche Behaltendürfen der 1000 € weiterhin fort. Auch kann er immer noch aufgehoben und die Erfüllungshandlung, d.h. die Zahlung des Geldbetrags, wieder rückgängig gemacht werden.

181

Von der Erledigung eines Verpflichtungsbegehrens ist namentlich dann auszugehen, wenn „das Rechtsschutzziel aus Gründen, die nicht in der Einflußsphäre des Klägers liegen, in dem Prozessverfahren nicht mehr zu erlangen ist, weil es entweder bereits außerhalb des Prozesses erreicht wurde [z.B. Behörde erlässt den begehrten Verwaltungsakt] oder überhaupt nicht mehr erreicht werden kann“[134], z.B. weil der Jahrmarkt, zu dem Schausteller S erfolglos die behördliche Zulassung seines Fahrgeschäfts erstrebt hatte, im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung hierüber bereits stattgefunden hat. Fernerhin auch dann, wenn zum maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt (Rn. 469 ff.) eine Änderung der Sach- bzw. Rechtslage in Bezug auf den beantragten Verwaltungsakt eingetreten ist, aufgrund derer der Kläger diesen nicht mehr beanspruchen kann (z.B. weil sich nach erfolgloser Beantragung einer Baugenehmigung die nähere Umgebung während des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens so verändert hat, dass die Genehmigung für das § 34 Abs. 1 BauGB unterfallende Bauvorhaben nicht mehr erteilt werden kann). War die Sache im Erledigungszeitpunkt noch nicht spruchreif, so kann analog § 113 Abs. 1 S. 4 VwGO die Feststellung begehrt werden, dass der Beklagte zur Bescheidung verpflichtet war.

182

Hinweis

Speziell in Bezug auf beamtenrechtliche Konkurrentenklagen sind folgende Besonderheiten zu beachten:[135] Zwar gewährt Art. 33 Abs. 2 GG jedem Deutschen ein grundrechtsgleiches Recht (Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG) auf gleichen Zugang zu jedem öffentlichen Amt nach Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung, vgl. auch § 9 BBG, § 9 BeamtStG. Daraus folgt der Anspruch eines Stellenbewerbers auf beurteilungs- und ermessensfehlerfreie Entscheidung über seine Bewerbung. Ist ein Konkurrent unter Verstoß gegen diesen Bewerbungsverfahrensanspruch zum Beamten ernannt worden, so kann seine Ernennung allein aus diesem Grund nach den einschlägigen beamtenrechtlichen Vorschriften regelmäßig aber nicht wieder rückgängig gemacht werden (Grundsatz der Ämterstabilität; Ausnahme: ein herkömmlicher gesetzlicher Rücknahmetatbestand wie § 14 BBG bzw. § 12 BeamtStG ist erfüllt). Eine hiergegen[136] erhobene Anfechtungsklage des unterlegenen Bewerbers – bei der Ernennung des Konkurrenten handelt es sich um einen diesen begünstigenden Verwaltungsakt mit belastender Drittwirkung – hätte daher keinen Erfolg. Doch auch mit einer auf die eigene Ernennung gerichteten Verpflichtungsklage würde der Mitbewerber ab dem Zeitpunkt der Ernennung des Konkurrenten nicht durchdringen, da für eine seiner Bewerbung entsprechende Entscheidung dann mangels verfügbarer Stelle kein Raum mehr ist. Ein Amt darf nämlich nur zusammen mit der Einweisung in eine besetzbare Planstelle verliehen werden (siehe z.B. § 49 Abs. 1 BHO), so dass die ausgeschriebene Planstelle mit ihrer Besetzung durch den Konkurrenten nicht mehr zur Verfügung steht. Auch ist der zugeordnete Dienstposten nicht mehr frei, weil der Ernannte einen Rechtsanspruch auf ein seinem statusrechtlichen Amt entsprechendes (abstrakt und konkret funktionelles) Amt hat.