Verwaltungsprozessrecht

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1. Anfechtungsklage

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Begehrt der Kläger die gerichtliche Aufhebung (Kassation) eines Verwaltungsakts, so ist die Anfechtungsklage nach § 42 Abs. 1 Alt. 1 VwGO statthaft.[81] Wie sich aus § 113 Abs. 1 S. 1 VwGO ergibt („soweit“), kann mittels dieser Klageart auch lediglich ein Teil eines Verwaltungsakts angegriffen werden, sofern dessen isolierte Aufhebung nicht offenkundig von vornherein ausscheidet (logische Teilbarkeit; z.B. Anfechtung eines Gebührenbescheids i.H.v. insgesamt 1000 € nur i.H.e. Teilbetrags von 250 €).

Hinweis

Da es sich beim Verwaltungsakt nach wie vor um die ganz überwiegende Handlungsform der Verwaltung handelt, ist die auf dessen gerichtliche Aufhebung gerichtete Anfechtungsklage die in der Praxis – und auch in der Klausur – am häufigsten vorkommende Klageart („Klassiker“[82]). Dem Verwaltungsakt kommt damit eine wichtige Schnittstellenfunktion zwischen dem Allgemeinen Verwaltungsrecht und dem Verwaltungsprozessrecht zu.[83]

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Entsprechend dieser Zielrichtung – der Beseitigung der Wirksamkeit (§ 43 VwVfG) eines belastenden Verwaltungsakts („Rückkehr zum status quo ante“[84]) – handelt es sich bei der Anfechtungsklage um eine prozessuale Gestaltungsklage, welche auf die unmittelbare Umgestaltung der Rechtslage durch das VG gerichtet ist. Aus diesem Grund sind Anfechtungsurteile einer Vollstreckung weder bedürftig noch zugänglich, vgl. § 167 Abs. 2 VwGO.

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Beispiele

Klage des Gastwirts gegen die Aufhebung der ihm zuvor erteilten Gaststättenerlaubnis; Klage der Ehefrau gegen die gegenüber ihrem Ehemann erlassene Ausweisungsverfügung; (negative Konkurrenten-)Klage des Taxiunternehmers gegen den seinem Konkurrenten erteilten Subventionsbescheid.

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Voraussetzung für die Statthaftigkeit der Anfechtungsklage ist mithin, dass im Zeitpunkt der Klageerhebung ein Verwaltungsakt vorliegt. Ob der verwaltungsprozessuale Verwaltungsakt-Begriff des § 42 Abs. 1 Alt. 1 VwGO stets an den verwaltungsverfahrensrechtlichen Verwaltungsakt-Begriff des Bundes-VwVfG anknüpft (§ 35 S. 1 VwVfG) oder ob bei Handeln einer Landesbehörde (vgl. § 1 Abs. 3 VwVfG, § 1 Abs. 1 VwVfG NRW) vielmehr auf den Verwaltungsakt-Begriff des jeweiligen Landes-VwVfG abzustellen ist (z.B. § 35 S. 1 VwVfG NRW), ist streitig, kann aufgrund der inhaltlichen Übereinstimmung beider Begriffe letztlich aber dahingestellt bleiben.[85]

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Ob es sich bei der mit der Klage angegriffenen Maßnahme tatsächlich um einen Verwaltungsakt handelt, ist allein nach objektiven Kriterien zu bestimmen. Auf die bloße Behauptung des Klägers, dass dies der Fall sei, kommt es ebenso wenig an wie auf die Frage, in welcher Form die Behörde rechtmäßiger Weise hätte handeln müssen. Wählt diese im konkreten Fall eine falsche Handlungsform (z.B. Verwaltungsakt statt Realakt), so ist dieser „Formenmissbrauch“[86] allein im Rahmen der Begründetheit der Klage relevant, nicht jedoch für die Bestimmung der statthaften Klageart (im Beispiel: Anfechtungsklage). Letztere richtet sich nämlich ausschließlich nach der objektiv erkennbaren Rechtsnatur der behördlichen Tätigkeit (vgl. auch Rn. 90).

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Unabhängig vom Vorliegen der in § 35 S. 1 VwVfG genannten materiellen Voraussetzungen ist eine regelnde behördliche[87] Maßnahme allerdings auch bereits dann als Verwaltungsakt zu qualifizieren und mithin die Anfechtungsklage nach § 42 Abs. 1 Alt. 1 VwGO gegen sie statthaft, wenn sie äußerlich in die Form eines Verwaltungsakts gekleidet ist (formeller Verwaltungsakt; z.B. Bezeichnung als „Bescheid“, „Verfügung“ etc., Anordnung der sofortigen Vollziehung nach § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 VwGO, Androhung von Zwangsmitteln, Rechtsbehelfsbelehrung) – was sich auch erst aus dem Erlass eines Widerspruchsbescheids ergeben kann (vgl. Rn. 304).[88] Denn „[a]us dem Gebot des effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 [S. 1] GG) folgt, dass eine behördliche Entscheidung in der Weise angegriffen werden kann, in der sie sich äußerlich für den Adressaten darstellt.“[89] Entsprechend ist die Anfechtungsklage[90] ebenfalls gegen einen nichtigen (§ 44 Abs. 1, 2 VwVfG) Verwaltungsakt statthaft (vgl. § 43 Abs. 2 S. 2 VwGO), geht doch auch von diesem der Rechtsschein der Verbindlichkeit aus (str.[91]).

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JURIQ-Klausurtipp

Bestehen Zweifel am Verwaltungsaktcharakter der jeweiligen behördlichen Maßnahme und liegt auch kein Fall des Verwaltungsakts kraft Form vor (ist Letzteres der Fall, kann im Rahmen von § 42 Abs. 1 Alt. 1 VwGO das Vorliegen der Merkmale des § 35 S. 1 VwVfG dahingestellt bleiben), so ist bereits innerhalb des Gliederungspunkts „statthafte Klageart“ – und nicht erst in der Begründetheit – zu prüfen, ob die Voraussetzungen des § 35 S. 1 VwVfG erfüllt sind.[92] Diese werden im Skript „Allgemeines Verwaltungsrecht“ (Rn. 39–74) näher dargestellt.

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Da ein Verwaltungsakt allerdings erst mit der Bekanntgabe (§ 41 VwVfG) an (irgend-)einen Adressaten oder Betroffenen – dies muss nicht der Anfechtungskläger sein – rechtlich existent wird (äußere Wirksamkeit; zuvor liegt lediglich ein bloßes Verwaltungsinternum vor), muss diese bereits zwingend erfolgt sein. Auch darf nachträglich keine Aufhebung (Rücknahme, Widerruf) oder Erledigung[93] (§ 43 Abs. 2 VwVfG; siehe auch § 113 Abs. 1 S. 4 VwGO) stattgefunden haben, damit die Anfechtungsklage statthaft ist (z.B. kann Nachbar N gegen die Bauherrn B erteilte Baugenehmigung ab deren Bekanntgabe an B auch ohne Bekanntgabe an sich [N] selbst Anfechtungsklage nach § 42 Abs. 1 Alt. 1 VwGO erheben). Schließlich ist die Anfechtungsklage auch gegen einen gesetzlich fingierten Verwaltungsakt (vgl. § 42a VwVfG) statthaft.

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Ist vor Erhebung der Anfechtungsklage ein Vorverfahren nach § 68 Abs. 1 S. 1 VwGO durchgeführt worden, d.h. wurde ein Widerspruchsbescheid erlassen, der als weiterer Verwaltungsakt neben den Ausgangsbescheid tritt (vgl. auch § 113 Abs. 1 S. 1 VwGO: Aufhebung des „Verwaltungsakt[s] und de[s] […] Widerspruchsbescheid[s]“), so ist gem. § 79 Abs. 1 Nr. 1 VwGO der ursprüngliche Verwaltungsakt (Ausgangsbescheid) in der Gestalt, d.h. mit dem Inhalt und mit der Begründung, die er durch den Widerspruchsbescheid erfahren hat, Gegenstand der Anfechtungsklage (Einheitsklage). Andernfalls (kein Widerspruchsverfahren; Fälle des § 68 Abs. 1 S. 2 VwGO, Rn. 306 ff.) ist denknotwendig allein der Ausgangsbescheid Gegenstand der Anfechtungsklage.

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Durch diese Regelung des § 79 Abs. 1 Nr. 1 VwGO werden der Ausgangs- und der Widerspruchsbescheid zu einer prozessualen Einheit miteinander verschmolzen. Dies macht Sinn, da bei Aufhebung allein des Widerspruchsbescheids der Ausgangsbescheid – und damit die in diesem enthaltene Belastung – wieder aufleben würde. Folge dieser „Verschmelzung“ von Ausgangs- und Widerspruchsbescheid ist, dass eine Anfechtungsklage dann keinen Erfolg hat, wenn der im Ausgangsbescheid enthaltene rechtliche Fehler durch den Widerspruchsbescheid behoben wurde bzw. umgekehrt eine Anfechtungsklage dann erfolgreich ist, wenn der Ausgangsbescheid zwar noch rechtmäßig war, nunmehr aber der Widerspruchsbescheid einen relevanten Rechtsfehler enthält.

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Abweichend vom Grundsatz des § 79 Abs. 1 Nr. 1 VwGO ist nach § 79 Abs. 1 Nr. 2 VwGO ausnahmsweise allein (isoliert) der Abhilfebescheid (Rn. 333) oder der Widerspruchsbescheid (Rn. 337) Gegenstand der Anfechtungsklage, wenn dieser erstmalig eine Beschwer enthält (z.B. wird aufgrund eines Nachbarwiderspruchs die dem Gastwirt G zunächst erteilte Gaststättenerlaubnis wieder aufgehoben; daraufhin ficht G den Widerspruchsbescheid an). Zudem „kann“ – nicht: „muss“ – der Widerspruchsbescheid gem. § 79 Abs. 2 S. 1 VwGO auch dann alleiniger Gegenstand der Anfechtungsklage sein, wenn und soweit er gegenüber dem ursprünglichen Verwaltungsakt eine zusätzliche selbstständige Beschwer enthält (z.B. reformatio in peius; Rn. 339 ff.). Gem. § 79 Abs. 2 S. 2 VwGO, der als Spezialnorm die Anwendbarkeit von § 44a VwGO und § 46 VwVfG ausschließt, gilt auch die Verletzung einer wesentlichen Verfahrensvorschrift als eine zusätzliche Beschwer, sofern der Widerspruchsbescheid auf dieser Verletzung beruht. Diese im Rahmen von § 79 Abs. 2 S. 2 VwGO mithin erforderliche Kausalität des Verfahrensfehlers für die im Widerspruchsbescheid getroffene Sachentscheidung („beruht“) ist i.d.R. allerdings nur bei Ermessensentscheidungen (Rn. 429 ff.) und bei Entscheidungen mit Beurteilungsspielraum (Rn. 418 ff.) denkbar, nicht hingegen auch bei gebundenen Verwaltungsakten. Denn anders als bei den beiden Erstgenannten ist bei Letzteren die Sachentscheidung der Behörde vom Gesetz genau vorgezeichnet – und zwar unabhängig davon, ob im Zuge der Entscheidungsfindung wesentliche Verfahrensvorschriften eingehalten wurden oder nicht (str.[94]). Abweichendes gelte der Rechtsprechung[95] zufolge nur dann, wenn bei drohender Verböserung die nach § 71 VwGO gebotene Anhörung unterblieben ist. Denn hierdurch werde dem Widerspruchsführer die Möglichkeit der Rücknahme seines Widerspruchs und damit die Herbeiführung der Bestandskraft des Ausgangsbescheides genommen.

 

137

Ist der angefochtene Verwaltungsakt (z.B. Gebührenbescheid) schon vollzogen, so kann der Kläger neben dessen Aufhebung zudem noch im Wege der objektiven Klagehäufung (§ 44 VwGO; Rn. 47 ff.) den gerichtlichen Ausspruch beantragen, dass und wie die Verwaltungsbehörde die Vollziehung rückgängig zu machen hat, § 113 Abs. 1 S. 2 VwGO (Annexantrag, z.B. Rückzahlung der zu Unrecht erhobenen Gebühr). Im Vergleich zu der dem Kläger durch § 113 Abs. 1 S. 2 VwGO unbenommenen Möglichkeit, den Vollzugsfolgenbeseitigungsanspruch als Unterfall des allgemeinen Folgenbeseitigungsanspruchs (FBA) erst zu einem späteren Zeitpunkt – nämlich nach Rechtskraft des Aufhebungsurteils – mittels gesonderter (Verpflichtungs- bzw. allgemeiner Leistungs-)Klage gerichtlich durchzusetzen, besteht der Vorteil des darüber hinaus an keine weiteren Zulässigkeitsvoraussetzungen[96] geknüpften Annexantrags gerade darin, dass der Anspruch auf Rückgängigmachung des vollzogenen Verwaltungsakts aus prozessökonomischen Gründen gleichzeitig mit dessen Anfechtung geltend gemacht werden kann. Hierdurch erspart sich der Anfechtungskläger die Führung eines zweiten Prozesses. Ob zur Rückgängigmachung der Vollziehung die Vornahme eines Realakts (z.B. Rückgabe der zu Unrecht beschlagnahmten Sache) oder der Erlass eines Verwaltungsakts (s.u.) erforderlich ist, ist für die Zulässigkeit des Antrags nach § 113 Abs. 1 S. 2 VwGO ohne Bedeutung.

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Beispiel[97]

Antrag des Hauseigentümers an das Gericht, die behördlicherseits erfolgte Einweisung eines Obdachlosen aufzuheben (Aufhebungsantrag i.S.v. § 113 Abs. 1 S. 1 VwGO) und die Behörde zu verpflichten, gegenüber dem Obdachlosen eine Räumungsverfügung zu erlassen (Annexantrag i.S.v. § 113 Abs. 1 S. 2 VwGO).

139

Ob der vom Kläger gem. § 113 Abs. 1 S. 2 VwGO geltend gemachte Vollzugsfolgenbeseitigungsanspruch tatsächlich besteht, bemisst sich nicht etwa nach dieser Vorschrift selbst, welche die Existenz dieses Anspruchs voraussetzt, sondern vielmehr nach dem materiellen Recht (Rn. 395 ff.).

140

Geht es dem Kläger nicht um die Rückgängigmachung des Vollzugs des angefochtenen Verwaltungsakts (z.B. Entlassung eines Beamten), sondern um die Gewährung sonstiger Leistungen (z.B. Besoldungszahlung), so kann er einen Antrag nach § 113 Abs. 4 VwGO stellen. Nach dieser Vorschrift ist, falls neben der Aufhebung eines Verwaltungsakts eine Leistung verlangt werden kann, im gleichen Verfahren auch die Verurteilung zur Leistung zulässig.

141

Anfechtungsklage

A.Zulässigkeit

I.Eröffnung des Verwaltungsrechtswegs

öffentlich-rechtliche Streitigkeit(Rn. 76 ff.)

II.Statthaftigkeit der Anfechtungsklage, § 42 Abs. 1 Alt. 1 VwGO

Verwaltungsaktqualität der angegriffenen Maßnahme(Rn. 129 ff.)

III.Beteiligtenfähigkeit, § 61 VwGO

IV.Prozessfähigkeit, § 62 VwGO

V.Klagebefugnis, § 42 Abs. 2 VwGO

subjektiv-öffentliches Recht des Klägers(Rn. 250 ff.)

VI.Richtiger Klagegegner, § 78 VwGO

VII.Vorverfahren, § 68 Abs. 1 VwGO

Statthaftigkeit bzw. Entbehrlichkeit des VorverfahrensRn. 304 ff.

VIII.Klagefrist, § 74 Abs. 1 VwGO

Fristberechnung(Rn. 362 f.)

B.Begründetheit

siehe Rn. 392 ff.

2. Verpflichtungsklage

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Begehrt der Kläger die Verurteilung zum vollständigen oder teilweisen (vgl. § 113 Abs. 5 S. 1 VwGO: „soweit“; z.B. Klage auf Leistungsbescheid nur über einen Teilbetrag) Erlass eines abgelehnten oder unterlassenen Verwaltungsakts, so ist gem. § 42 Abs. 1 Alt. 2 VwGO die Verpflichtungsklage die statthafte Klageart.[98]

143

Gemäß dieser Zielrichtung des Klägers, gegenüber seiner ursprünglichen Lage „ein Mehr“ – nämlich einen begünstigenden Verwaltungsakt (§ 48 Abs. 1 S. 2 VwVfG) – zu erlangen, handelt es sich bei der Verpflichtungsklage um eine besondere Form der Leistungsklage. Anders als bei der Anfechtungsklage vermag der Kläger dieses Rechtsschutzziel aber selbst im Fall seines Erfolges vor Gericht nicht allein durch dessen entsprechende Entscheidung zu erreichen. Denn auch soweit die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig, der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt und die Sache spruchreif ist, spricht das Gericht gem. § 113 Abs. 5 S. 1 VwGO lediglich die – vollstreckbare (§ 172 S. 1 VwGO) – Verpflichtung der Behörde aus, den begehrten Verwaltungsakt zu erlassen; nicht hingegen erlässt das Gericht diesen selbst. Denn nach dem Gewaltenteilungsgrundsatz des Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG ist die Judikative auf eine Kontrolle der Exekutive beschränkt, übt selbst jedoch keine Verwaltungstätigkeit aus.

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Beispiele

Klage des Grundstückseigentümers auf Erteilung einer Baugenehmigung; (positive Konkurrenten-)Klage des Taxiunternehmers auf Erteilung eines Subventionsbescheids auch an ihn; Klage der Ehefrau auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis für ihren Ehemann; Klage des Nachbarn auf Aufhebung der dem Bauherrn erteilten Baugenehmigung.

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Voraussetzung für die Statthaftigkeit der Verpflichtungsklage ist mithin, dass es sich bei der erstrebten Maßnahme um einen Verwaltungsakt handelt. Insoweit gelten die obigen Ausführungen zur Anfechtungsklage (Rn. 129 ff.) auch hier. Entsprechendes trifft auf § 79 VwGO (Rn. 134 ff.) zu, sofern die Ablehnung des beantragten Verwaltungsakts Gegenstand eines Vorverfahrens war.

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Hinsichtlich der Abgrenzung der Verpflichtungsklage zur



147

 


– wird der Erlass eines begünstigenden Verwaltungsakts (z.B. Baugenehmigung, § 75 Abs. 1 S. 1 BauO NRW) begehrt und lehnt die Behörde diesen ab, so ist gem. § 42 Abs. 1 Alt. 2 VwGO im Grundsatz allein die Verpflichtungsklage (in Gestalt der Versagungsgegenklage; Rn. 155) die statthafte Klageart. Dieses Rechtsschutzziel könnte der Kläger mit einer allein gegen den ablehnenden Bescheid (z.B. Ablehnung der beantragten Baugenehmigung) erhobenen Anfechtungsklage dagegen nicht erreichen. Denn selbst im Falle des Erfolgs dieser isolierten Anfechtungsklage würde lediglich der ablehnende Bescheid aufgehoben, nicht aber würde der Kläger den von ihm erstrebten Verwaltungsakt erlangen. Hierfür müsste vielmehr eine gesonderte (Verpflichtungs-)Klage erhoben werden. Die isolierte Anfechtungsklage ist daher nur dann statthaft, wenn sich das klägerische Begehren in der Aufhebung des Ablehnungsbescheids erschöpft. Das für die Zulässigkeit einer solchen Klage erforderliche Rechtsschutzbedürfnis liegt ausnahmsweise dann vor, wenn der Ablehnungsbescheid über die Versagung des begehrten Verwaltungsakts hinaus negative Folgen hat (z.B. Erlöschen der Fiktion nach § 81 Abs. 3 S. 1 AufenthG);

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Beispiel[100]

Auf den Widerspruch des Nachbarn N hin wird die dem Grundstückseigentümer G zunächst erteilte Baugenehmigung durch Widerspruchsbescheid später wieder aufgehoben. Da G unbeirrt an seinem genehmigungspflichtigen Bauvorhaben festhält, wendet er sich hilfesuchend an Rechtsanwalt R. Zu welcher Klageart wird R dem G raten?

G begehrt (§ 88 VwGO) eine Baugenehmigung, d.h. den Erlass eines Verwaltungsakts. Dieser wurde hier zunächst erteilt und erst später wieder aufgehoben. Statthafte Klageart ist damit die Anfechtungsklage nach § 42 Abs. 1 Alt. 1 VwGO, gerichtet auf Kassation des die ursprüngliche Baugenehmigung beseitigenden Widerspruchsbescheids. Denn dringt G mit dieser Klage durch, so lebt infolge der dann rückwirkenden „Aufhebung ihrer Aufhebung“ die ursprünglich erteilte Baugenehmigung wieder auf.

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150



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Beispiel[104]

Zeitungsverlag Z beantragt bei der zuständigen Behörde die Einsichtnahme in die dort geführten Akten über Abwassereinleitungen des Industrieunternehmens I. Nach unter Hinweis auf § 8 Abs. 1 Nr. 2 UIG erfolgter Ablehnung dieses Antrags fragt Z nunmehr nach seinen Rechtsschutzmöglichkeiten.

Welche Rechtsschutzmöglichkeit Z vorliegend zur Verfügung steht, richtet sich nach der Rechtsnatur des begehrten behördlichen Handelns, d.h. hier der Gewährung der Einsichtnahme in die Akten. Dabei handelt es sich um einen Realakt, so dass Z an sich eine allgemeine Leistungsklage vor dem zuständigen VG (§ 6 Abs. 1 UIG) erheben müsste. Wie sich allerdings aus §§ 5 Abs. 1 S. 4, 6 Abs. 2 UIG ergibt, geht der Zugänglichmachung von Umweltinformationen als schlicht-hoheitlichem Verwaltungshandeln eine behördliche Entscheidung über deren „Ob“ und „Wie“ (Umfang) in Gestalt eines Verwaltungsakts voraus. Nach ggf. erfolgloser Durchführung eines ordnungsgemäßen Widerspruchsverfahrens gem. §§ 68 ff. VwGO (Rn. 295 ff.) ist hier daher die Verpflichtungsklage nach § 42 Abs. 1 Alt. 2 VwGO die statthafte Klageart. Hat diese Erfolg, d.h. wird die Verwaltung zum Erlass eines positiven Bescheids gegenüber Z verpflichtet, so kassiert das Verpflichtungsurteil zugleich den vorausgegangenen Ablehnungsbescheid (Rn. 155).