Verwaltungsprozessrecht

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b) Öffentlich-rechtliche Streitigkeit

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Von zentraler Bedeutung im Rahmen der Prüfung der Eröffnung des Verwaltungsrechtswegs gem. § 40 Abs. 1 S. 1 Hs. 1 VwGO ist das Tatbestandsmerkmal „öffentlich-rechtlich“, welches der Abgrenzung zu den bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten dient.[37] Letztere gehören, ebenso wie die Strafsachen, vor die ordentlichen Gerichte, § 13 GVG.

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Eine Streitigkeit ist dann öffentlich-rechtlich i.S.v. § 40 Abs. 1 S. 1 Hs. 1 VwGO, wenn das Rechtsverhältnis, aus dem der Klageanspruch hergeleitet wird, öffentlich-rechtlicher Natur ist. Dies wiederum ist dann der Fall, wenn die streitentscheidende Norm eine solche des öffentlichen Rechts ist.[38]

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Welche Norm für die Entscheidung des jeweiligen Falls ausschlaggebend ist, richtet sich auf der Grundlage des i.d.R.[39] allein vom Kläger bestimmten Rechtsschutzbegehrens nach der objektiven („wahren“) Rechtslage. Auf welche Vorschriften sich der Kläger beruft bzw. welcher Rechtsauffassung die Beteiligten sind, ist dagegen unerheblich. Auch ist irrelevant, welchem Rechtsgebiet etwaige Vorfragen unterfallen (z.B. wer i.S.d. BGB Eigentümer der gem. § 43 Nr. 2 PolG NRW sichergestellten Sache ist). Maßgeblich ist vielmehr, ob die Norm, nach welcher sich die Entscheidung der Hauptfrage des Rechtsstreits richtet (z.B. die Rechtmäßigkeit der gem. § 43 Nr. 2 PolG NRW erfolgten Sicherstellung), öffentlich-rechtlich ist oder nicht.[40]

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Die Zuordnung einer Norm entweder zum öffentlichen Recht oder zum Privatrecht wird sich in der Fallbearbeitung oftmals bereits aus dem eindeutig öffentlich-rechtlichen Charakter des Gesetzes (z.B. jeweiliges Landes-OBG/SOG bzw. PAG/PolG) ergeben, auf dem die betreffende Verwaltungsmaßnahme beruht. Auf die drei nachstehenden Abgrenzungstheorien braucht in derartigen Fallgestaltungen klassisch öffentlich-rechtlicher Eingriffsverwaltung nicht weiter eingegangen zu werden. Vielmehr werden diese Theorien nur dann einmal relevant, wenn wirkliche Zweifel am öffentlich- oder privatrechtlichen Charakter der einschlägigen Norm – sofern vorhanden – bestehen (z.B. § 70 GewO).[41]

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die Subordinations- bzw. Subjektionstheorie besagt, dass Rechtssätze, die das Verhalten von Hoheitsträgern regeln, dann öffentlich-rechtlich sind, wenn sie ein Über- bzw. Unterordnungsverhältnis betreffen. Auch diese Theorie sieht sich allerdings Einwänden ausgesetzt: So kennt zum einen das öffentliche Recht durchaus nicht nur Über-/Unterordnungs-, sondern auch Gleichordnungsverhältnisse (z.B. öffentlich-rechtlicher Vertrag, §§ 54 ff. VwVfG), und sind zum anderen auch im Privatrecht Subordinationsverhältnisse anzutreffen (z.B. Arbeitsrecht, vgl. § 106 GewO). Ferner hilft diese Theorie namentlich im Organisationsrecht und im Bereich der Leistungsverwaltung nicht weiter;

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In der Rechtspraxis[45] werden diese drei Abgrenzungstheorien ungeachtet dogmatischer Einwände nicht exklusiv, sondern vielmehr nebeneinander angewandt, um die Rechtsnatur einer Vorschrift zur ermitteln.

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JURIQ–Klausurtipp

Die drei vorgenannten Theorien wurden entwickelt, um eine Norm entweder dem öffentlichen Recht oder aber dem Privatrecht eindeutig zuordnen zu können. Diese Abgrenzungstheorien sind für die in der Fallbearbeitung zu begutachtende Maßnahme (z.B. im Rahmen von § 35 S. 1 VwVfG) bzw. Streitigkeit (z.B. im Rahmen von § 40 Abs. 1 S. 1 VwGO) daher nur relevant, falls diese auch tatsächlich auf einer Norm beruht. Ist Letztere öffentlich-rechtlicher Natur, so ist es ebenfalls die auf ihr beruhende Maßnahme bzw. Streitigkeit.

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Ist im konkreten Fall dagegen keine Rechtsnorm einschlägig (so z.B. i.d.R. im Bereich der Leistungsverwaltung) oder stehen zwei sich gegenseitig ausschließende Normen des öffentlichen Rechts und des Privatrechts zur Verfügung, ist wie folgt zu verfahren:

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Handelt es sich bei der Organisationsform der tätig gewordenen Person um eine solche des Privatrechts (z.B. Stadtwerke GmbH), so steht die Rechtsnatur ihrer Handlung als privatrechtlich damit i.d.R. ebenfalls ohne weiteres fest. Denn mit Ausnahme von Beliehenen (z.B. TÜV-Sachverständige, § 29 Abs. 2 S. 2 StVZO) können natürliche und juristische Personen des Privatrechts nur privatrechtlich, nicht aber öffentlich-rechtlich handeln.

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Beispiel[46]

Der Landtag des Bundeslands B hat im Haushaltsplan 15 Mio. € für ein regionales Wirtschaftsförderungsprogramm bereitgestellt. Die Bewilligung der hieraus gespeisten zinslosen Darlehen an einzelne Unternehmen erfolgt durch die zuständige Landesbehörde nach Maßgabe der vom Landeswirtschaftsminister erlassenen Förderrichtlinien in Form eines Verwaltungsakts. Um die knappen personellen Ressourcen der öffentlichen Verwaltung zu schonen, wickelt B die bewilligten Darlehen allerdings nicht selbst ab, sondern hat hierzu einen Geschäftsbesorgungsvertrag (§ 675 BGB) mit der privaten Geschäftsbank G geschlossen. Diese schließt ihrerseits mit den erfolgreichen Antragstellern nach Maßgabe des jeweiligen Bewilligungsbescheids privatrechtliche Darlehensverträge (§ 488 BGB) und zahlt anschließend die Fördergelder auf dieser Grundlage aus (Bankenverfahren), so auch an den Unternehmer U1. Als dieser trotz Fälligkeit des Darlehens dieses nicht an G zurückzahlt, nimmt diese ihn vor dem LG klageweise auf Rückzahlung in Anspruch. Ist der Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten hier eröffnet?

 

Ja. Der Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten ist vorliegend nach § 13 GVG gegeben. Denn das Rechtsverhältnis von G und U1, aus dem der Rückzahlungsanspruch hergeleitet wird, ist i.S.d. Vorschrift bürgerlich-rechtlicher Natur. Sind an einem streitigen Rechtsverhältnis wie hier mit G und U1 ausschließlich Privatrechtssubjekte beteiligt, so scheidet die Zuordnung des Rechtsstreits zum öffentlichen Recht von vorherein grundsätzlich aus – es sei denn, eine Partei wäre durch Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes mit öffentlich-rechtlichen Handlungs- oder Entscheidungsbefugnissen ausgestattet und gegenüber der anderen Partei als i.d.S. „Beliehener“ tätig geworden. Das ist hier allerdings nicht der Fall. Gesetzliche Vorschriften, durch die oder aufgrund derer eine solche Beleihung vorgenommen worden sein könnte, sind vorliegend nämlich nicht ersichtlich. Auch die Tatsache, dass G im Rahmen einer in einem staatlichen Förderungsprogramm getroffenen Bewilligungsentscheidung tätig geworden ist, rechtfertigt keine andere Beurteilung der Rechtswegfrage. Denn selbst wenn das Handeln privater Rechtssubjekte, die nicht mit hoheitlichen Befugnissen beliehen sind, der Erfüllung öffentlicher Aufgaben dient, so können sich hieraus zwar für die Gestaltung ihrer Rechtsbeziehungen zu anderen Privaten öffentlich-rechtliche Bindungen ergeben (Verwaltungsprivatrecht); an der Zuordnung diesbezüglicher Rechtsstreitigkeiten zum Zuständigkeitsbereich der ordentlichen Gerichte ändert dieser Umstand allerdings nichts.

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Vorbehaltlich entgegenstehender gesetzlicher Regelungen (z.B. § 50 Abs. 1 S. 1 BaföG: „Bescheid“) haben öffentlich-rechtlich organisierte Verwaltungsträger demgegenüber nach h.M. ein Wahlrecht, entweder als Hoheitsträger öffentlich-rechtlich oder als juristische Person privatrechtlich tätig zu werden.[47] Doch ist der Rechtscharakter der jeweiligen Maßnahme auch insoweit nicht weiter zu problematisieren, als sich der Verwaltungsträger einer eindeutigen Handlungsform entweder des öffentlichen Rechts (z.B. „Verwaltungsakt“[48]) oder des Privatrechts (z.B. „Rechnung“) bedient hat.

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Beispiel[49]

Anders als im vorstehenden Beispielsfall (Rn. 87) wickelt B die Darlehensvergabe nunmehr ohne Einschaltung Dritter selbst ab. Als U2 nach durch die zuständige Landesbehörde erfolgter Darlehensbewilligung (Verwaltungsakt) und daraufhin erfolgtem Abschluss eines privatrechtlichen Darlehensvertrags (§ 488 BGB) mit B das erhaltene Darlehen zweckwidrig verwendet, erging gegenüber U2 ein auf § 49a Abs. 1 L-VwVfG gestützter „Bescheid“, durch den er zur Rückzahlung des Darlehens aufgefordert wurde. Wie der von U2 nunmehr eingeschaltete Rechtsanwalt R mitteilt, sei dieser Bescheid jedoch allein schon deshalb rechtswidrig, weil der darin geltend gemachte Rückzahlungsanspruch nicht dem öffentlichen Recht, sondern vielmehr dem Privatrecht, angehöre und daher nicht durch „Bescheid“, d.h. in Form eines Verwaltungsakts, hätte geltend gemacht werden dürfen. Vor welchem Gericht wird R Klage auf Aufhebung des Bescheids erheben?

R wird vor dem VG Klage auf Aufhebung des Rückforderungsbescheids erheben. Denn bei der Frage nach dessen Rechtmäßig- bzw. -widrigkeit handelt es sich um eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit nichtverfassungsrechtlicher Art i.S.v. § 40 Abs. 1 S. 1 Hs. 1 VwGO; eine Sonderzuweisung ist nicht einschlägig. Die Behörde hat gegenüber U2 einen „Bescheid“ erlassen, d.h. sich – wenn auch ggf. in rechtswidriger Weise – einer öffentlich-rechtlichen Handlungsform bedient, vgl. § 35 S. 1 L-VwVfG. Dass sie dies möglicherweise nicht hätte tun dürfen, ist zwar für die Rechtmäßigkeit dieser Maßnahme von Bedeutung, ändert aber nichts an deren Rechtsnatur.

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Hinweis

Ob die von der Verwaltung gewählte Handlungsform rechtmäßig ist, d.h. ob die Verwaltung nach dem Gesetz auch so handeln durfte bzw. musste, wie sie tatsächlich gehandelt hat, ist im vorliegenden Zusammenhang ohne Bedeutung. Denn die Frage nach der Rechtsnatur einer Verwaltungsmaßnahme ist von derjenigen nach ihrer Rechtmäßigkeit streng zu trennen.[50]

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Sofern sich die Verwaltung im konkreten Fall auch nicht einer eindeutigen Handlungsform bedient haben sollte, ist das Rechtsregime anhand von Indizien wie dem Sachzusammenhang des Verwaltungshandelns und dessen Ziel und Zweck zu ermitteln.

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So erfolgt fiskalisches Handeln wie die Bedarfsdeckung des Staates (z.B. Einkauf von Büromaterialien), die Verwaltung staatlichen Vermögens (z.B. Verkauf ausrangierter Dienstfahrzeuge) sowie die staatliche Teilnahme am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr (z.B. unternehmerisches Auftreten des Staates als Anbieter am Güter- und Dienstleistungsmarkt) jeweils in privatrechtlicher Form.

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Namentlich im Rahmen der Leistungsverwaltung (z.B. Subventionsvergabe, Benutzung öffentlicher Anstalten und Einrichtungen) ist nach der von H.P. Ipsen[51] entwickelten Zwei-Stufen-Theorie zwischen der stets als öffentlich-rechtlich zu qualifizierenden Bewilligung bzw. Zulassung auf der ersten Stufe (dem „Ob“) und der entweder öffentlich-rechtlich (Indiz: Benutzungsordnung als „Satzung“ ergangen) oder[52] privatrechtlich (Indiz: Benutzungsordnung als „Allgemeine Geschäftsbedingungen“ ergangen) ausgestalteten Abwicklung auf der zweiten Stufe (dem „Wie“) zu unterscheiden; siehe auch Übungsfall Nr. 4.[53]

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Beispiel[54]

Nachdem der Kreisverband K der politischen Partei P bei der Sparkasse S, einer Anstalt des öffentlichen Rechts, erfolglos die Eröffnung eines Girokontos beantragt hatte, hat K Klage gegen S vor dem VG erhoben. Unter Hinweis auf § 5 Abs. 1 S. 1 PartG begehrt K dort, S zu verurteilen, für sich ein Girokonto zu eröffnen. S meint, dass es sich bei dem von K angestrebten Rechtsverhältnis um ein zivilrechtliches handele, weshalb der beschrittene Verwaltungsrechtsweg nicht nach § 40 Abs. 1 S. 1 VwGO eröffnet sei. Stimmt das?

Nein. Ob eine Streitigkeit öffentlich-rechtlich ist, richtet sich dann, wenn wie im hiesigen Fall eine ausdrückliche gesetzliche Rechtswegzuweisung fehlt, nach der Natur des Rechtsverhältnisses, aus dem der geltend gemachte Anspruch hergeleitet wird. Dieses wiederum bemisst sich nach dem erkennbaren Ziel des Rechtsschutzbegehrens und des zu seiner Begründung vorgetragenen Sachverhalts. Maßgeblich ist allein die tatsächliche Natur des Rechtsverhältnisses, nicht hingegen die rechtliche Einordnung des geltend gemachten Anspruchs durch den Kläger. Dabei genügt es für die Annahme einer öffentlich-rechtlichen Streitigkeit, dass für das Rechtsschutzbegehren eine Anspruchsgrundlage in Betracht kommt, die im Verwaltungsrechtsweg zu verfolgen ist. K beruft sich für sein Begehren auf § 5 Abs. 1 S. 1 PartG. Danach sollen alle Parteien gleichbehandelt werden, wenn ein Träger öffentlicher Gewalt den Parteien Einrichtungen zur Verfügung stellt. Diese Vorschrift begründet eine einseitige Verpflichtung von Trägern staatlicher Gewalt und ist daher nach der modifizierten Subjektstheorie dem öffentlichen Recht zuzuordnen. Im Hinblick auf die Geltendmachung dieses öffentlich-rechtlichen Anspruchs ist die Streitigkeit zwischen dem Kreisverband K der politischen Partei P und S als Anstalt öffentlichen Rechts (vgl. z.B. § 1 Abs. 1 S. 1 SpkG NRW) auf Eröffnung eines Girokontos als öffentlich-rechtliche Streitigkeit einzuordnen und somit für sie der Verwaltungsrechtsweg eröffnet. Der Einwand von S, dass es sich bei dem von K angestrebten Rechtsverhältnis um ein zivilrechtliches handele, führt zu keinem anderen Ergebnis. Denn K stützt sein Begehren auf Zugang zu der Einrichtung von S auf eine dem öffentlichen Recht zugehörige Anspruchsgrundlage. Für diesen das „Ob“ der Kontoeröffnung betreffenden Streitgegenstand ist die Ausgestaltung der Rechtsbeziehungen (das „Wie“) im Anschluss an den erstrebten Zugang jedoch irrelevant. Auch lässt der privatrechtliche Charakter des Vertragsabschlusses zur Kontoeröffnung keinen Rückschluss auf die Rechtsnatur derjenigen Vorschrift zu, die hierzu verpflichtet.

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Wird die öffentliche Einrichtung (z.B. i.S.v. § 10 Abs. 2 S. 2 GemO BW, Art. 21 Abs. 1 S. 1 bay. GO, § 8 Abs. 2 GO NRW) von einer juristischen Person des Privatrechts betrieben (z.B. Stadthallen-GmbH), deren Anteile sich mehrheitlich in der Hand beispielsweise einer Gemeinde befinden, kann das Benutzungsverhältnis (zweite Stufe) nur privatrechtlich ausgestaltet sein (vgl. Rn. 86). Wird die Zulassung (erste Stufe) versagt, hat der Bürger einen dahingehenden Anspruch gegenüber der Gemeinde als Gesellschafterin, dass diese auf die privatrechtlich organisierte Gesellschaft so einwirkt, dass Letztere dem Bürger den Zugang verschafft.[55]

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Realakte wie die Dienstfahrten eines Beamten sind nach der Rechtsprechung[56] dann als öffentlich-rechtlich zu beurteilen, wenn sie zur Wahrnehmung hoheitlicher Aufgaben erfolgen (z.B. Bürgermeister fährt zu einer dienstlichen Besprechung). Erfolgt die Fahrt dagegen aus fiskalischen Gründen (z.B. Bürgermeister fährt zu einem Gewerbetreibenden, um mit diesem über den Verkauf seines Grundstücks an die Gemeinde zu verhandeln), so ist sie als privatrechtlich zu beurteilen. Entsprechendes gilt ebenfalls hinsichtlich des Anspruchs des Bürgers auf Widerruf bzw. Unterlassung ehrverletzender Äußerungen eines Beamten bzw. von Informationen, Warnungen etc. einer Behörde sowie hinsichtlich Ansprüchen des Staates gegenüber dem Bürger auf Rückzahlung von zu Unrecht gewährten Geldleistungen; wiederum ist jeweils der Zusammenhang des Tätigwerdens bzw. die Rechtsnatur des zugrundeliegenden Leistungsverhältnisses ausschlaggebend. Bei Streitigkeiten betreffend die wirtschaftliche Tätigkeit von Gemeinden ist zwischen dem – öffentlich-rechtlichen – „Ob“ (vgl. z.B. §§ 102 ff. GemO BW, Art. 86 ff. bay. GO, §§ 107 ff. GO NRW) und dem – privatrechtlichen – „Wie“ (siehe die Vorschriften des GWB und des UWG) des Wettbewerbs zu differenzieren.

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Beispiel[57]

Nachdem G die auf seinem münsterländischen Grundstück bislang stehende Kapelle abgerissen hatte, äußerte sich Oberbürgermeister O hierzu in einem Interview wie folgt: „Eigentlich war ausgemacht worden, dass die Kapelle nicht abgerissen werden sollte. Sie stand unter Denkmalschutz. G wusste das und hat sie trotzdem mutwillig zerstört.“ Als G hiervon erfährt, beauftragt er Rechtsanwalt R damit, rechtliche Schritte gegen O zu ergreifen, um das bis dahin gute Ansehen des G in der Öffentlichkeit wiederherzustellen. Vor dem Gericht welchen Rechtswegs wird R Klage gegen O auf Widerruf von dessen Äußerung erheben?

Mangels einschlägiger Sonderzuweisung wird R vorliegend dann nach § 40 Abs. 1 S. 1 Hs. 1 VwGO den Verwaltungsrechtsweg beschreiten, wenn es sich bei der hiesigen Streitigkeit nichtverfassungsrechtlicher Art um eine solche des öffentlichen Rechts handelt. Das setzt voraus, dass die streitentscheidende Norm diesem Rechtsgebiet zuzuordnen ist. Als solche kommt hier allerdings nicht nur der öffentlich-rechtliche Folgenbeseitigungsanspruch, sondern alternativ auch § 823 bzw. § 1004 BGB in Betracht. Letztlich entscheidend ist insoweit folgende Überlegung: Als actus contrarius zu der zu widerrufenden Äußerung teilt der Widerrufsanspruch deren Rechtsnatur. Diese wiederum bemisst sich nach dem Sachzusammenhang, in dem sie gefallen ist. Soweit es wie hier um Äußerungen eines Amtsträgers geht, ist das Rechtsverhältnis dann öffentlich-rechtlicher Natur, wenn die beanstandete Äußerung bei der Erfüllung öffentlicher Aufgaben – gestützt auf vorhandene oder vermeintliche öffentlich-rechtliche Befugnisse gegenüber einem außerhalb der Verwaltung stehenden Bürger – abgegeben worden ist, d.h. wenn es sich um dienstliche Äußerungen handelt, die im hoheitlichen Bereich gefallen sind. Demgegenüber ist das Rechtsverhältnis privatrechtlicher Natur, wenn die fraglichen Äußerungen nicht in amtlicher Eigenschaft, sondern bloß gelegentlich einer nach öffentlichem Recht zu beurteilenden Tätigkeit gemacht worden und allein Ausdruck einer persönlichen Meinung – und damit durch Beziehungen bürgerlich-rechtlicher Gleichordnung geprägt – sind. Vorliegend hat O die in Rede stehenden Äußerungen in seiner Eigenschaft als gesetzlicher Vertreter der Gemeinde (§ 63 Abs. 1 S. 1 GO NRW) im Rahmen der Öffentlichkeitsarbeit der Verwaltung getätigt, die der Erfüllung der Auskunfts- und Informationspflichten der Gemeinde im Rahmen ihres Aufgabenbereichs diente – vorliegend des Denkmalschutzes, welcher nach § 20 Abs. 1 Nr. 3 und Abs. 3 DSchG NRW der Gemeinde als untere Denkmalbehörde obliegt. Damit sind die hier in Rede stehenden Äußerungen nach öffentlichem Recht zu beurteilen. R wird daher vor dem VG Klage gegen O erheben.

 

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Die Rechtsnatur des Hausverbots wird in Rechtsprechung[58] und Schrifttum[59] nach unterschiedlichen Kriterien ermittelt. Während Erstere auf den Zweck des Besuchs abstellt (Einreichung eines Bauantrags: öffentlich-rechtlich; Fotograf im Standesamt: privatrechtlich), rekurriert Letzteres auf den öffentlich-rechtlichen Zweck des Hausverbots, nämlich die Erfüllung der öffentlichen Aufgaben im Verwaltungsgebäude sicherzustellen.

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Führen auch die vorgenannten Indizien zu keinem Ergebnis, ist im Zweifel von einer Vermutung zugunsten des öffentlich-rechtlichen Charakters des Verwaltungshandelns auszugehen. Denn mit dem öffentlichen Recht steht der Verwaltung ein Sonderrecht zur Erfüllung ihrer Aufgaben zur Verfügung, von dessen Gebrauchmachen so lange auszugehen ist, als der Wille, in privatrechtlicher Handlungsform tätig zu werden, nicht deutlich in Erscheinung tritt.

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Dass die Zuordnung einer Maßnahme zum öffentlichen Recht bzw. zum Privatrecht nicht stets exklusiv erfolgt, sondern u.U. ein und dieselbe Maßnahme durchaus sowohl öffentlich-rechtlich als auch privatrechtlich einzustufen sein kann (Doppelqualifikation), wird insbesondere von der Rechtsprechung[60] vertreten. So wird etwa das Ausstrahlen einer Sendung durch eine öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalt wegen der damit verbundenen Erfüllung des Programmauftrags gegenüber den Beitragszahlern als öffentlich-rechtlich, hinsichtlich der in einer solchen Sendung etwaig in ihrer Ehre gekränkten Personen dagegen als privatrechtlich qualifiziert. Diese Auffassung wird vom Schrifttum[61] nicht geteilt, könne doch ein und dasselbe Rechtsverhältnis nicht sowohl dem öffentlichen als auch dem privaten Recht angehören. Eine privatrechtliche Norm könne öffentlich-rechtliches Verhalten weder ver- noch gebieten, da dies dem Sonderrechtscharakter des öffentlichen Rechts widerspreche.

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