Verwaltungsprozessrecht

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Anmerkungen

[1]

Hierzu sowie zum gesamten Folgenden siehe BVerfGE 84, 188; 87, 331; 103, 44; BVerfG NJW 2013, 1293; NVwZ 2016, 238; Hufen Verwaltungsprozessrecht §§ 35, 36 Rn. 32 ff.; Ehlers in: ders./Schoch, Rechtsschutz im Öffentlichen Recht § 25 Rn. 28; Kopp/Schenke VwGO § 96 Rn. 1, § 108 Rn. 1 f.; Mann/Wahrendorf Verwaltungsprozessrecht § 4; Schenke Verwaltungsprozessrecht Rn. 18 ff., 1101, 1111 ff.; Schmitt Glaeser/Horn Verwaltungsprozessrecht Rn. 514 ff.; 537 ff.; Würtenberger/Heckmann Verwaltungsprozessrecht Rn. 87 ff., 558 ff., 593, 633 ff.

[2]

Der Verfahrensfairness dient u.a. § 54 VwGO (i.V.m. §§ 41–49 ZPO), der die Unparteilichkeit des Richters sicherstellen soll.

[3]

Danach gilt: „Da mihi factum – dabo tibi ius“ (lat.: „Gib Du mir die Tatsache – ich werde Dir das [daraus folgende] Recht geben“).

[4]

Anders als im Zivilprozess (§§ 330 ff. ZPO) gibt es im Verwaltungsprozess daher insbesondere kein Versäumnisurteil, vgl. § 102 Abs. 2 VwGO. Siehe aber Rn. 624 zur Glaubhaftmachung.

[5]

BVerwG NVwZ 2014, 1666 (1669). Zur Normbegünstigungstheorie siehe Rn. 19 in der 1. Auflage.

[6]

Jacob JuS 2011, 511 (512).

[7]

Gegenmodell: Schriftliches Verfahren mit Entscheidung nach Aktenlage.

[8]

Siehe allerdings auch § 96 Abs. 2 VwGO und vgl. §§ 87 Abs. 3, 87a Abs. 2, 3 VwGO.

[9]

Vgl. BT-Drucks. 18/12591, S. 14 ff.

[10]

Ob der seinem Wortlaut nach allein Gehörsverletzungen erfassende § 152a VwGO auf die Verletzung anderer verfassungsrechtlich geschützter Verfahrensgarantien analoge Anwendung findet, ist str., siehe Kaufmann in: Posser/Wolff, BeckOK VwGO, § 152a Rn. 2, 25 ff. m.w.N.

1. Teil Einleitung › E. Entscheidung des Gerichts

E. Entscheidung des Gerichts

1. Teil Einleitung › E. Entscheidung des Gerichts › I. Entscheidungsformen des Gerichts

I. Entscheidungsformen des Gerichts

26

Seinen Abschluss findet der unter Beachtung der vorgenannten Verfahrensgrundsätze (Rn. 18 ff.) durchgeführte Verwaltungsprozess regelmäßig mit dem Urteil[1] des Gerichts, vgl. § 107 VwGO. Abweichend hiervon sieht § 84 Abs. 1 VwGO aus Vereinfachungsgründen (keine mündliche Verhandlung) die Möglichkeit der Entscheidung durch Gerichtsbescheid vor, wenn die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt geklärt ist. Der Gerichtsbescheid wirkt als Urteil, § 84 Abs. 3 Hs. 1 VwGO. Bei entsprechender ausdrücklicher gesetzlicher Anordnung (z.B. §§ 80 Abs. 7 S. 1, 123 Abs. 4 VwGO; Rn. 587, 630) entscheidet das Gericht durch Beschluss, vgl. § 122 VwGO.

1. Teil Einleitung › E. Entscheidung des Gerichts › II. Form, Inhalt und Aufbau des Urteils

II. Form, Inhalt und Aufbau des Urteils

27

Form, Inhalt und Aufbau des in deutscher Sprache (§ 55 VwGO i.V.m. § 184 GVG) abzufassenden Urteils als „Regelentscheidungsform des Verwaltungsprozesses“[2] ergeben sich v.a. aus § 117 VwGO. Das Rubrum (Urteilskopf; § 117 Abs. 2 Nr. 1, 2 VwGO) eines verwaltungsgerichtlichen Urteils lässt sich in etwa wie folgt darstellen:[3]

28


Klägers,
– Prozessbevollmächtigter: Rechtsanwalt [Name, Adresse] –
gegen
die Stadt [Name],
vertreten durch den Oberbürgermeister [Adresse]
Beklagte,
– Prozessbevollmächtigter: Rechtsanwalt [Name, Adresse] –
(ggf.: „beigeladen: [Name, Adresse]) (ggf.: „beteiligt: Der Vertreter des Öffentlichen Interesses bei dem Verwaltungsgericht [Ort]“)
wegen [Betreff]
am [Datum]
für Recht erkannt:

29

Unmittelbar an das Rubrum schließt sich gem. § 117 Abs. 2 Nr. 3 VwGO die Urteilsformel[9] (Tenor) an, welche neben dem (Haupt-)Ausspruch zur Sache auch noch die (Neben-)Entscheidungen über die Kosten (§ 161 Abs. 1 VwGO), zur vorläufigen Vollstreckbarkeit (§ 167 Abs. 1 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO) und ggf. über die Zulassung eines Rechtsmittels (§§ 124, 124a Abs. 1, 132, 135 f. VwGO; Rn. 8) enthält. Im Fall eines erstinstanzlichen, klageabweisenden Urteils lautet der Tenor etwa wie folgt:[10]

30

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.

3. Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung i.H.v. 110% des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

 

31

Im Anschluss an den Tenor folgt gem. § 117 Abs. 2 Nr. 4 VwGO der als solcher überschriebene „Tatbestand“. In diesem ist der Sach- und Streitstand unter Hervorhebung der gestellten Anträge seinem wesentlichen Inhalt nach gedrängt darzustellen, § 117 Abs. 3 S. 1 VwGO. Wegen der Einzelheiten soll nach § 117 Abs. 3 S. 2 VwGO auf Schriftsätze, Protokolle und andere Unterlagen verwiesen werden, soweit sich aus ihnen der Sach- und Streitstand ausreichend ergibt.

32

Die nach § 117 Abs. 2 Nr. 5 VwGO auf den Tatbestand folgenden „Entscheidungsgründe“, welche mit dem zusammenfassenden Gesamtergebnis beginnen (z.B. „Die zulässige Klage ist nicht begründet“), geben diejenigen Gründe an, die für die richterliche Überzeugung leitend gewesen sind, § 108 Abs. 1 S. 2 VwGO. Insoweit ist zunächst auf die Zulässigkeit und – sofern diese bejaht wird – anschließend auf die Begründetheit der Klage einzugehen (Rn. 40).

33

Abgeschlossen wird das Urteil durch die Rechtsmittelbelehrung (§ 117 Abs. 2 Nr. 6 VwGO; Rn. 8) und die Unterschriften der mitwirkenden (Berufs-)Richter, § 117 Abs. 1 S. 2, 4 VwGO.[11] Das Urteil wird in der Regel in dem Termin, in dem die mündliche Verhandlung geschlossen wird, verkündet und ist den Beteiligten zuzustellen, § 116 Abs. 1 VwGO.[12] Damit beginnen gem. §§ 124a Abs. 2 S. 1, 139 Abs. 1 S. 1 VwGO die Rechtsmittelfristen zu laufen.


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Anmerkungen

[1]

Hinsichtlich der verschiedenen Arten von Urteilen kann differenziert werden zwischen Gestaltungs- (z.B. § 113 Abs. 1 S. 1 VwGO), Leistungs- (z.B. § 113 Abs. 5 VwGO) und Feststellungsurteilen (z.B. § 43 Abs. 1 VwGO); Prozess- und Sachurteilen; End- (§ 173 S. 1 VwGO i.V.m. § 300 ZPO) und Zwischen- (§§ 109, 111 VwGO) sowie Voll- und Teilurteilen (§ 110 VwGO). Ferner gibt es Vorbehalts- (§ 173 S. 1 VwGO i.V.m. § 302 ZPO), Abänderungs- (§ 173 S. 1 VwGO i.V.m. § 323 ZPO), Verzichts- (§ 173 S. 1 VwGO i.V.m. § 306 ZPO) und Anerkenntnisurteile (§ 173 S. 1 VwGO i.V.m. § 307 ZPO).

[2]

Hufen Verwaltungsprozessrecht § 38 Rn. 1.

[3]

Zum Folgenden siehe Jansen/Wesseling JuS 2009, 32 ff., 322 ff.; Mann/Wahrendorf Verwaltungsprozessrecht § 15 Rn. 16 und Anhang; Martens/Koch Mustertexte zum Verwaltungsprozess Rn. 341; Pietzner/Ronellenfitsch Das Assessorexamen im Öffentlichen Recht Rn. 860; Ramsauer/Lambiris/Kappet Die Assessorprüfung im öffentlichen Recht Rn. 5.12; Schenke Verwaltungsprozessrecht Rn. 57d; Schmitt Glaeser/Horn Verwaltungsprozessrecht Rn. 520.

[4]

Zu den Registerzeichen siehe etwa den Anhang im v. Hippel-Rehborn.

[5]

Ggf. ist die besondere Urteilsart zu kennzeichnen.

[6]

Synonym: Verwaltungsrechtssache, -streitsache, -streitverfahren, verwaltungsgerichtliches Verfahren.

[7]

Bzw. falls keine mündliche Verhandlung stattgefunden hat: „ohne mündliche Verhandlung am“.

[8]

Der Richter auf Probe führt gem. § 19a Abs. 3 DRiG nur die Amtsbezeichnung „Richter“ (ohne „am Verwaltungsgericht“, vgl. § 19a Abs. 1 DRiG). Nach § 29 S. 1 DRiG darf bei einer gerichtlichen Entscheidung nicht mehr als ein Richter auf Probe mitwirken.

[9]

Die Urteilsformel ist nicht zu verwechseln mit den Leitsätzen des Urteils, bei denen es sich um eine Zusammenfassung der wichtigsten Entscheidungsgründe handelt.

[10]

Zum gesamten Vorstehenden siehe Hufen Verwaltungsprozessrecht § 38 Rn. 13; Ramsauer/Lambiris/Kappet Die Assessorprüfung im öffentlichen Recht Rn. 6.01; Schenke Verwaltungsprozessrecht Rn. 57b. Zum Folgenden siehe Finger Jt 2008, 635 (640); Hufen Verwaltungsprozessrecht § 38 Rn. 20; Jansen/Wesseling JuS 2009, 32 (33); Kment JuS 2005, 420 (421); Preusche JuS 2000, 170 ff.

[11]

Die Streitwertfestsetzung wird in Klausuren üblicherweise erlassen.

[12]

Entscheidet das Gericht ohne mündliche Verhandlung, so wird das Urteil nicht verkündet, sondern nur zugestellt.

2. Teil Verwaltungsgerichtliche Klage

Inhaltsverzeichnis

A. Ggf.: Auslegung bzw. Umdeutung des Klagebegehrens

B. Zulässigkeit

C. Begründetheit

34

Die in verwaltungsrechtlichen Klausuren anzutreffenden Aufgabenstellungen erfordern regelmäßig die Prüfung der Erfolgsaussicht eines förmliches Rechtsbehelfs (Rn. 8), sei es in Form eines Gutachtens im 1. Staatsexamen oder eines entsprechenden gerichtlichen Entscheidungs- oder anwaltlichen Klage-/Antragsentwurfs im 2. Staatsexamen. Ein förmlicher Rechtsbehelf, namentlich die im Folgenden behandelte verwaltungsgerichtliche Klage, hat dann Erfolg – und nicht nur wie die Verfassungsbeschwerde Aussicht hierauf[1] –, wenn sie zulässig (Rn. 40 ff.) und begründet (Rn. 390 ff.) ist. D.h., es müssen alle für die Entscheidung des Gerichts in der Sache erforderlichen (Sachentscheidungs-)Voraussetzungen gegeben sein und nach dem vom Gericht festgestellten Sachverhalt (Rn. 20) die Anforderungen vorliegen, an die das materielle Recht die Zuerkennung des mit der Klage geltend gemachten Anspruchs knüpft. Damit ist zugleich das Grobschema der Falllösung vorgegeben: „1. Zulässigkeit, 2. Begründetheit“.[2]

35

JURIQ-Klausurtipp

Der abweichenden Auffassung,[3] die wegen § 17a Abs. 2 S. 1 GVG (i.V.m. § 173 S. 1 VwGO; Rn. 65) in einer dreistufigen Gliederung vor der „Zulässigkeit“ und der „Begründetheit“ des Rechtsschutzbegehrens noch die „Eröffnung des Verwaltungsrechtswegs“ prüfen will, ist nicht zu folgen. Letztlich sollte der Streit um den zwei- oder dreistufigen Aufbau allerdings nicht überbewertet werden, scheint es in der Prüfungspraxis doch zu einer „friedlichen Koexistenz“ beider Konzepte gekommen zu sein.[4] Keinesfalls aber darf der gewählte Aufbau im Gutachten begründet werden.[5]

Anmerkungen

[1]

Hierzu Wienbracke Einführung in die Grundrechte, Rn. 573 f. Vgl. auch Schübel-Pfister JuS 2012, 420.

[2]

Zum gesamten Vorstehenden siehe Ehlers in: ders./Schoch, Rechtsschutz im Öffentlichen Recht § 21 Rn. 2; Gersdorf Verwaltungsprozessrecht Rn. 1, 17, 64, 82, 99, 116, 128; Hufen Verwaltungsprozessrecht § 10 Rn. 1 ff.; Kopp/Schenke VwGO Vorb § 40 Rn. 2; Mann/Wahrendorf Verwaltungsprozessrecht § 6 Rn. 1; Schenke Verwaltungsprozessrecht Rn. 58, 62, 155. Zum infolge anderer Aufgabenstellungen mitunter gebotenen abweichenden Aufbau siehe Bull JuS 2000 778.

[3]

Einen Überblick über den Streitstand geben Fischer Jura 2003, 748 ff.; Heidebach Jura 2009, 172 ff.; Leifer JuS 2004, 956 ff.; Schübel-Pfister JuS 2017, 1078 (1079 a.E.).

[4]

Hufen Verwaltungsprozessrecht § 10 Rn. 1. Vgl. auch Schaks/Friedrich JuS 2018, 860 (861).

[5]

Vgl. Wolff in: ders./Decker, VwGO/VwVfG § 40 VwGO Rn. 10 f.

2. Teil Verwaltungsgerichtliche Klage › A. Ggf.: Auslegung bzw. Umdeutung des Klagebegehrens

A. Ggf.: Auslegung bzw. Umdeutung des Klagebegehrens

36

Noch vor Behandlung der Zulässigkeitsvoraussetzungen kann es u.U. erforderlich sein, auf bestimmte prozessuale Fragestellungen (kurz) einzugehen, wozu neben der Rubrumsberichtigung u.a. die Auslegung bzw. Umdeutung des Klagebegehrens zählt.[1]

37

Nach dem im Verwaltungsprozessrecht herrschenden Dispositionsgrundsatz entscheiden die Beteiligten über den Umfang des Rechtsstreits (Rn. 19). Folglich ist das Gericht an das Klagebegehren (§ 82 Abs. 1 S. 1 VwGO), d.h. an den – ggf. auszulegenden bzw. umzudeutenden – Antrag des Klägers (§ 82 Abs. 1 S. 2 VwGO), welcher den Streitgegenstand (mit-)bestimmt (Rn. 58), gebunden, vgl. § 88 Hs. 1 VwGO. Das Gericht darf dem Kläger daher weder quantitativ mehr (z.B. Verpflichtung der Behörde zum Erlass eines bestimmten Verwaltungsakts anstatt der beantragten bloßen Verbescheidung des Antrags) noch etwas anderes (aliud; z.B. Leistung statt bloße Feststellung) zusprechen als beantragt, wohl aber – bei (teilweise) unzulässiger oder unbegründeter Klage – weniger (z.B. nur Aufhebung des ablehnenden Bescheids anstelle der begehrten Verpflichtung der Behörde zum Erlass eines bestimmten Verwaltungsakts). Folge dieses Verbots, über den gestellten Antrag hinaus zu gehen (ne ultra petita) oder dem Kläger etwas anderes zuzusprechen als von diesem beantragt, ist die grundsätzliche Geltung des Verböserungsverbots (Verbot der reformatio in peius) im Verwaltungsprozess, vgl. §§ 88, 129, 141 S. 1 VwGO (Ausnahmen z.B.: Widerklage nach § 89 VwGO, Anschlussrechtsmittel nach §§ 127, 141 S. 1 VwGO). Auf eine Klage hin darf das Gericht nicht zum Nachteil des Klägers eine von diesem nicht beantragte (ungünstigere) Entscheidung treffen (z.B. Aufhebung eines Verwaltungsakts insgesamt, d.h. inkl. dessen für den Kläger günstigen Teilregelung, statt wie beantragt nur hinsichtlich des für den Kläger nachteiligen Teils).

 

38

In der vorbezeichneten Weise gebunden ist das Gericht gem. § 88 Hs. 1 VwGO allerdings nur an das Klagebegehren (Klage- bzw. Rechtsschutzziel), so wie es sich ihm im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung aufgrund des gesamten Prozessvorbringens (inkl. Klagebegründung) darstellt, nicht aber auch an die ggf. irrtümlich falsch gewählte (Wortlaut-)Fassung der Anträge, § 88 Hs. 2 VwGO.


„Das ,Klagebegehren‘ i.S.v. § 88 VwGO ist das […] wirkliche Rechtsschutzziel“[2], dessen Ermittlung nach dieser Vorschrift Aufgabe der Verwaltungsgerichte ist.[3]

39

Sofern Anhaltspunkte dafür bestehen, dass ein Rechtsbehelf eingelegt werden soll und gegen welche Maßnahme er sich richtet, ist aufgrund des verfassungsrechtlichen Gebots des effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG; Rn. 9) davon auszugehen, dass der Kläger denjenigen Rechtsbehelf einlegen wollte, der ihm im konkreten Fall ein Maximum an Rechtsschutz gewährt. Liegen diese Voraussetzungen vor, so kann eine dementsprechende Auslegung (§§ 133, 157 BGB analog) bzw. Umdeutung (§ 140 BGB analog) zulässig und geboten sein (z.B. kann die ausdrückliche Anfechtung nur des Erstattungsbescheids i.S.v. § 49a Abs. 1 VwVfG zugleich die konkludente Anfechtung des zugrundeliegenden [Subventions-]Rücknahmebescheids i.S.v. § 48 VwVfG enthalten).[4] Insofern „[w]esentlich ist der geäußerte Parteiwille, wie er sich aus der prozessualen Erklärung und sonstigen Umständen ergibt; der Wortlaut der Erklärung tritt hinter deren Sinn und Zweck zurück. Neben dem Klageantrag und der Klagebegründung ist auch die Interessenlage des Klägers zu berücksichtigen, soweit sie sich aus dem Parteivortrag und sonstigen für das Gericht und den Beklagten als Empfänger der Prozesserklärung erkennbaren Umständen ergibt; Anträge sind somit unter Berücksichtigung des recht verstandenen Interesses des Klägers auszulegen. Ist der Kläger bei der Fassung des Klageantrags anwaltlich vertreten worden, kommt der Antragsformulierung allerdings gesteigerte Bedeutung für die Ermittlung des tatsächlich Gewollten zu. Selbst dann darf die Auslegung jedoch vom Antragswortlaut abweichen, wenn die Klagebegründung, die beigefügten Bescheide oder sonstige Umstände eindeutig erkennen lassen, dass das wirkliche Klageziel von der Antragsfassung abweicht.“[5] Notwendige Voraussetzung eines derartigen Vorgehens gem. § 88 VwGO ist allerdings stets, dass das auf diese Weise erzielte Ergebnis dem vom Kläger in erkennbarer Weise verfolgten Rechtsschutzziel entspricht und von diesem insbesondere nicht bewusst ausgeschlossen wurde. In der Praxis hat bei unklaren Anträgen das Gericht auf eine Erläuterung hinzuwirken, § 86 Abs. 3 VwGO.

Anmerkungen

[1]

Hierzu sowie zu weiteren derartigen Situationen siehe Bülter Verwaltungsgerichtliche Urteile und Beschlüsse im Assessorexamen Rn. 267 ff.; Jansen/Wesseling JuS 2009, 32 (34 f.); Ramsauer/Lambiris/Kappet Die Assessorprüfung im öffentlichen Recht Rn. 8.12 f. Zum gesamten Folgenden siehe BVerwG SächsVBl 2015, 164; Decker in: Wolff/Decker, VwGO/VwVfG § 88 VwGO Rn. 1, 3; Kopp/Schenke VwGO § 88 Rn. 1 ff., 6 ff.; Schenke Verwaltungsprozessrecht Rn. 42a.

[2]

Kugele VwGO § 88 Rn. 3.

[3]

BVerfG NVwZ 2016, 238 (241) m.w.N.

[4]

Die Übergänge zwischen Auslegung (Ermittlung des vom Kläger tatsächlich verfolgten Zwecks – unabhängig von der gewählten Formulierung) und Umdeutung (Ermittlung des hypothetischen Willens des Klägers, wenn Ersterer in der vom Letzteren vorgesehenen Weise nicht zu erreichen ist) sind fließend. Beispiele hierzu bei Seibert JuS 2017, 122 (123); Wienbracke VR 2015, 93 (95).

[5]

BVerwG SächsVBl 2015, 164 (165) m.w.N.

2. Teil Verwaltungsgerichtliche Klage › B. Zulässigkeit

B. Zulässigkeit

40

Das Vorliegen der Zulässigkeitsvoraussetzungen prüft das Gericht von Amts wegen und in jedem Verfahrensstadium.[1] Sind diese erfüllt, so muss das Gericht zur Sache entscheiden; sind sie nicht erfüllt, darf das Gericht keine Sachentscheidung treffen und muss die Klage durch Prozessurteil als unzulässig abweisen, vgl. Art. 20 Abs. 3 GG. Das Gesetz erlaubt eine Sachentscheidung erst dann, wenn alle Zulässigkeitsvoraussetzungen vorliegen. Deshalb ist die Zulässigkeit einer Klage (vgl. z.B. § 42 Abs. 2 VwGO) zwingend vor deren Begründetheit (vgl. z.B. § 113 Abs. 1 S. 1 VwGO) zu prüfen. Insbesondere darf nicht etwa auf die Prüfung zweifelhafter Zulässigkeitsvoraussetzungen verzichtet und das prozessuale Begehren als jedenfalls unbegründet abgewiesen werden. Gleichfalls verbietet es sich, eine Klageabweisung sowohl auf ihre Unzulässigkeit als auch ihre Unbegründetheit zu stützen. Für die Rechtskraft eines Urteils ist es nämlich von erheblicher Bedeutung, ob eine Klage durch Prozessurteil als unzulässig oder durch Sachurteil als unbegründet abgewiesen wird. Allein bzgl. doppelt relevanter Tatsachen, d.h. solcher, die sowohl im Rahmen der Zulässigkeit als auch der Begründetheit von Bedeutung sind (z.B. Streit um die Wirksamkeit der Auflösung einer juristischen Person), ist anerkannt, die Klage in diesem Punkt (z.B. Beteiligtenfähigkeit, § 61 Nr. 1 Alt. 2 VwGO) als zulässig zu behandeln und erst im Rahmen der Begründetheit näher zu prüfen, ob die betreffenden Umstände tatsächlich vorliegen (z.B. § 3 VereinsG).

41

JURIQ-Klausurtipp

Ist die Klage unzulässig und ergibt sich aus der jeweiligen Aufgabenstellung nichts Abweichendes, so ist die Begründetheit in einem Hilfsgutachten zu prüfen.[2]

42

Maßgebender Zeitpunkt, zu dem die Zulässigkeitsvoraussetzungen vorliegen müssen, ist grundsätzlich[3] derjenige der letzten mündlichen Verhandlung; findet diese nicht statt, so kommt es auf den Erlass der schriftlichen Entscheidung an. Bis zu diesem Zeitpunkt kann eine zunächst fehlende Zulässigkeitsvoraussetzung – sofern möglich (Negativbeispiel: Fristversäumnis) – noch nachträglich herbeigeführt werden (z.B. Erlangung der Prozessfähigkeit gem. § 62 VwGO). Gelingt dies nicht und wird die Klage folglich als unzulässig abgewiesen, so besteht die Möglichkeit, nach Behebung des betreffenden Mangels eine neue – insoweit dann zulässige – Klage zu erheben. Der Wegfall einer Zulässigkeitsvoraussetzung während des Rechtsstreits hat unterschiedliche prozessuale Konsequenzen, siehe z.B. einerseits § 173 S. 1 VwGO i.V.m. § 17 Abs. 1 S. 1 GVG (Unbeachtlichkeit der nach Rechtshängigkeit eintretenden Veränderung der die Zulässigkeit des beschrittenen Rechtswegs begründenden Umstände; Rn. 64) und andererseits § 173 S. 1 VwGO i.V.m. §§ 239, 246 ZPO (Unterbrechung bzw. Aussetzung des Prozesses bei Wegfall der Beteiligungsfähigkeit).

43

In welcher Reihenfolge die verschiedenen Zulässigkeitsvoraussetzungen zu prüfen sind, ist vorwiegend eine Frage der Logik bzw. der Zweckmäßigkeit. Für die Klausurpraxis empfiehlt sich der nachfolgende Aufbau, wobei allerdings vor der „schematischen Anwendung des Schemas“ in Rn. 46 nachdrücklich zu warnen ist.

44

JURIQ-Klausurtipp

„Eine gute juristische Arbeit erkennt man nicht zuletzt auch daran, dass sie die Schwerpunkte bei der Fallbearbeitung richtig setzt.“ Nähere rechtliche Ausführungen zu offensichtlich unproblematischen Zulässigkeitsvoraussetzungen können den Wert der Arbeit sogar mindern.[4]

45

Stets erwartet werden allerdings – ggf. zumindest knappe – Ausführungen zu den im nachfolgenden Schema[5] fett hervorgehobenen Prüfungspunkten. Diese sind aufgrund des aus Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG folgenden Gebots der Gewährleistung von effektivem Rechtsschutz (Rn. 9 ff.) sämtlich „so anzuwenden und auszulegen, dass sie es nicht in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise erschweren, einen eröffneten Rechtsweg [Rn. 53 ff.] zu beschreiten. Den Fachgerichten ist es verwehrt, durch übermäßig strenge Handhabung verfahrensrechtlicher Vorschriften den Anspruch auf gerichtliche Durchsetzung des materiellen Rechts unzumutbar zu verkürzen […]. Im Zweifel verdient diejenige Interpretation [d]es Gesetzes den Vorzug, die Rechtssuchenden den Zugang zu den Gerichten eröffnet.“[6]

46


Zulässigkeitsvoraussetzungen der …
Anfechtungsklage Verpflichtungsklage Fortsetzungsfeststellungsklage allgemeinen Leistungsklage allgemeinen Feststellungsklage
1. Ordnungsgemäße Klageerhebung (Rn. 47 ff.)
3. Eröffnung des Verwaltungsrechtswegs (Rn. 53 ff.)
4. Statthafte Klageart (Rn. 123 ff.)
5. Zuständiges Gericht (Rn. 220 ff.)
6. Beteiligtenfähigkeit (Rn. 224 ff.)
7. Prozessfähigkeit (Rn. 240 ff.)
8. Postulationsfähigkeit (Rn. 247)
9. Klagebefugnis (Rn. 248 ff.)
10. Richtiger Klagegegner (Rn. 283 ff.)
11. Ggf. Vorverfahren (Rn. 295 ff.)
13. Keine anderweitige Rechtshängigkeit (§ 173 S. 1 VwGO i.V.m. § 17 Abs. 1 S. 2 GVG)
14. Keine entgegenstehende rechtskräftige Entscheidung (§ 121 VwGO)
15. Kein Rechtsschutzausschluss nach § 44a VwGO
16. Allgemeines Rechtsschutzbedürfnis bzw. (Fortsetzungs-)Feststellungsinteresse (Rn. 367 ff.)

2. Teil Verwaltungsgerichtliche Klage › B. Zulässigkeit › I. Ordnungsgemäße Klageerhebung