Verwaltungsprozessrecht

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2. Individuelle Zuordnung des subjektiv-öffentlichen Rechts zum Kläger

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Nach dem Vorstehenden (Rn. 252) muss der Kläger fernerhin gerade zu dem Personenkreis gehören, den das jeweilige subjektiv-öffentliche Recht schützt.

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Beispiel[244]

G ist Inhaber eines Gaststättenbetriebs, der an einen Platz angegrenzt, auf dem jedes Jahr eine Kirmes stattfindet. Als G erfährt, dass der F für die Dauer der diesjährigen Kirmes eine Gestattung nach § 12 Abs. 1 GastG zum Betrieb eines Festzelts auf der gegenüberliegenden Seite des Platzes erhalten hat, fürchtet er um seine Einnahmen. Wäre G nach § 42 Abs. 2 VwGO befugt, die dem F erteilte Gestattung anzufechten?

Nein. G wäre nicht nach § 42 Abs. 2 VwGO befugt, die dem F erteilte Gestattung anzufechten. Denn nach dieser Vorschrift soll Rechtsschutz durch die VGe nicht bereits dann gegeben sein, wenn der jeweilige Kläger ein wie auch immer begründetes ideelles oder wirtschaftliches Interesse an der Überprüfung einer Verwaltungsentscheidung hat, sondern ausschließlich dann, wenn diese seine eigene Rechtsstellung berührt. Das wiederum setzt jedoch voraus, dass die gesetzliche Regelung, welche für die vom Kläger für rechtswidrig gehaltene Entscheidung der Behörde maßgeblich ist, nicht nur den Belangen der Allgemeinheit Rechnung tragen soll, sondern zumindest auch seinen Schutz bezweckt. Dies trifft auf § 12 Abs. 1 GastG jedoch gerade nicht zu, der in unmittelbarem Zusammenhang mit § 2 GastG steht, welcher allgemein die Erlaubnispflicht für einen Gaststättenbetrieb regelt. Bei der Gestattung nach § 12 Abs. 1 GastG handelt es sich um nichts anderes als um eine Erlaubnis nach § 2 GastG, die lediglich unter vereinfachten Voraussetzungen und mit zeitlich begrenzter Wirkung erteilt wird. § 2 GastG ist jedoch seinerseits eine gewerbepolizeiliche Vorschrift, die im Zusammenwirken mit den Versagungsgründen des § 4 GastG ausschließlich dem Schutz der in einem solchen Betrieb Beschäftigten, seiner Gäste und v.a. der Nachbarschaft dient. Dagegen zielen diese Regelungen nicht darauf ab, auch dem bereits in einem bestimmten Ort oder Ortsteil ansässigen Gastwirt eine Möglichkeit zur Abwehr neuer Konkurrenten einzuräumen. Dies wäre im Übrigen auch mit deren durch Art. 12 Abs. 1 GG garantierten Berufsfreiheit unvereinbar. Vermittelt § 12 Abs. 1 GastG dem G mithin kein subjektiv-öffentliches Recht, so lässt sich dessen Klagebefugnis schließlich auch nicht etwa daraus herleiten, dass die Erteilung einer Gestattung nach dieser Vorschrift in das Ermessen der Behörde gestellt ist („kann der Betrieb […] gestattet werden“). Denn rechtliche Regelungen, die der Verwaltung ein Ermessen einräumen, gewähren dem Einzelnen einen Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung nur insoweit, als diese Regelungen erlassen sind, um zumindest auch seinem individuellen Interesse zu dienen. Aus Rechtsvorschriften, denen dieser Schutznormcharakter fehlt, vermag hingegen kein Anspruch auf eine ermessenfehlerfreie Verwaltungsentscheidung hergeleitet zu werden.

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Aufgrund des Erfordernisses der Geltendmachung einer Verletzung eigener Rechte (§ 42 Abs. 2 VwGO) ist im verwaltungsgerichtlichen Verfahren – im Gegensatz zum Zivilprozessrecht – eine Prozessstandschaft, d.h. die gerichtliche Geltendmachung eines fremden Rechts im eigenen Namen, außerhalb der gesetzlich geregelten Fälle (gesetzliche Prozessstandschaft; z.B. Insolvenzverwalter, § 80 InsO) ausgeschlossen (keine gewillkürte Prozessstandschaft). Namentlich altruistische Verbandsklagen, mit denen gerade nicht wie bei der egoistischen Verbandsklage (Verbandsverletzungsklage) die Verletzung eigener, sondern vielmehr die Verletzung fremder Rechte (z.B. von Mitgliedern; juristische Verbandsklage) oder anderer, allein dem öffentliche Interesse dienender Rechtsvorschriften geltend gemacht wird, sind folglich nur dann nicht mangels Klagebefugnis unzulässig, wenn dies gesetzlich ausnahmsweise vorgesehen ist (so z.B. in § 64 Abs. 1 BNatSchG, § 2 Abs. 1 UmwRG, § 1 Abs. 1 TierschutzVMG NRW), vgl. § 42 Abs. 2 Hs. 1 VwGO (Rn. 248).[245] Den sich andernfalls vermeintlich anbietenden Ausweg, die Klagebefugnis etwa über den Erwerb eines Sperrgrundstücks zu konstruieren, hat das BVerwG[246] unter Hinweis auf das Gebot von Treu und Glauben (vgl. § 242 BGB) insoweit verbaut, als diese Rechtsposition (Art. 14 Abs. 1 GG) wegen rechtsmissbräuchlicher Begründung der Eigentümerstellung nicht schutzwürdig ist (Gedanke der Gesetzesumgehung).

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Gleichwohl darf die Klagebefugnis in Drittbeteiligungsfällen nicht vorschnell verneint werden. Vielmehr kann sich die Klagebefugnis des Dritten daraus ergeben, dass die einem anderen gewährte (z.B. Baugenehmigung) oder versagte (z.B. Aufenthaltserlaubnis des ausländischen Ehegatten) Begünstigung den Dritten (mittelbar) sehr wohl in dessen eigenen (Grund-)Rechten verletzt bzw. der Dritte einen Anspruch gegen die Behörde auf Ergreifung bestimmter Maßnahmen gegenüber einem anderen hat (z.B. auf ordnungsbehördliches Einschreiten gegen einen Störer; vgl. Rn. 263 und Übungsfall Nr. 8).

3. Möglichkeit der Rechtsverletzung des Klägers

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Schließlich muss nach dem in Rn. 253 Gesagten eine Verletzung des Klägers in dessen subjektiv-öffentlichem Recht im konkreten Fall möglich, d.h. „eine Verletzung eigener subjektiver Rechte des Klägers nicht offensichtlich und eindeutig nach jeder Betrachtungsweise ausgeschlossen“[247] sein.

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Beispiel[248]

G ist durch behördlichen Bescheid vom 23.5. zur Duldung von Arbeiten zur Aufsuchung von Torfen auf seinem Grundstück verpflichtet worden. Mit notariell beurkundetem Vertrag vom 30.5. übertrug G das Grundstückseigentum im Wege der vorweggenommenen Erbfolge auf seine Tochter T. Die Umschreibung im Grundbuch erfolgte am 10.6. Um T einen ungetrübten Genuss ihres neuen Eigentums zu ermöglichen, erhebt G am 17.6. Widerspruch gegen die Duldungsverfügung. Ist der vorliegend statthafte Widerspruch zulässig?

Nein. Der Widerspruch ist mangels der analog § 42 Abs. 2 VwGO notwendigen Widerspruchsbefugnis des G unzulässig. Denn bei Erhebung des Widerspruchs war G bereits nicht mehr Eigentümer des Grundstücks, so dass er zu diesem Zeitpunkt keine Rechte mehr innehatte, die durch den angefochtenen Verwaltungsakt beeinträchtigt werden könnten. Die Möglichkeit einer Verletzung in eigenen Rechten ist somit offensichtlich ausgeschlossen. Die Verpflichtung zur Duldung der Aufsuchungsarbeiten belastet G nicht mehr. Vielmehr hat sich das Verwaltungsverfahren insoweit erledigt.

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Trotz möglicher Verletzung des Klägers in einem subjektiv-öffentlichen Recht lässt sich die Klagebefugnis hierauf dann nicht stützten, wenn er sich auf dieses offensichtlich nicht mehr zu berufen vermag. Ein derartiger Ausschluss von Rechten nicht nur im Verwaltungsverfahren (formelle Präklusion), sondern auch im verwaltungsgerichtlichen Verfahren (materielle Präklusion) liegt namentlich dann vor, wenn

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der durch einen Verwaltungsakt Betroffene es versäumt hat, Einwendungen gegen dessen Erlass in einem hierfür vorgesehenen Verwaltungsverfahren fristgerecht geltend zu machen und es gesetzlich vorgesehen ist, dass er danach mit der Geltendmachung seines subjektiv-öffentlichen Rechts ausgeschlossen ist (so z.B. in § 10 Abs. 3 S. 5 BImSchG, § 17a Nr. 7 FStrG a.F., § 73 Abs. 4 S. 3 VwVfG) oder

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der Kläger sein (disponibles) subjektiv-öffentliches Recht in anderer Weise, insbesondere durch wirksamen Verzicht (z.B. in einem öffentlich-rechtlichen Vertrag nach §§ 54 ff. VwVfG) oder durch Verwirkung (vgl. Rn. 348), eingebüßt hat.

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JURIQ-Klausurtipp

Ob der Kläger tatsächlich in dem von ihm geltend gemachten subjektiv-öffentlichen Recht verletzt ist, ist erst in der Begründetheit der Klage zu prüfen (Rn. 392, 452). Im vorliegenden Zusammenhang des § 42 Abs. 2 VwGO reicht vielmehr bereits die bloße Möglichkeit der Rechtsverletzung aus (Rn. 250). Hierfür „genügt es, dass der Kl[äger] Tatsachen behauptet, die – wenn sie sich als zutreffend erweisen – eine Rechtsverletzung ergeben können. Darin erschöpft sich die Filterfunktion der Klagebefugnis.“[250] Im Zweifel ist daher die Klagebefugnis zu bejahen und – bei Vorliegen aller übrigen Zulässigkeitsvoraussetzungen – die Frage nach der Rechtsverletzung des Klägers im Rahmen der Begründetheitsprüfung näher zu thematisieren (keine „Kopflastigkeit“ der Klausur).[251] Als Faustregel mag insoweit gelten: Wären zur Verneinung der Klagebefugnis in der Klausur mehr als drei Sätze erforderlich, so ist die Möglichkeit einer Rechtsverletzung des Klägers nicht offensichtlich nach jeder Betrachtungsweise völlig ausgeschlossen, d.h. die sich aus § 42 Abs. 2 VwGO ergebenden Anforderungen sind erfüllt.

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Auf die drei Elemente „subjektives Recht“, dessen Zuordnung zum Kläger und die Möglichkeit von dessen Verletzung in diesem Recht (Rn. 251 ff.) braucht im Fall der Anfechtung eines belastenden Verwaltungsakts durch dessen Adressaten nach § 42 Abs. 1 Alt. 1 VwGO allerdings nicht näher eingegangen zu werden. Denn durch das in einem belastenden Verwaltungsakt enthaltene Ge- bzw. Verbot greift die Behörde jedenfalls in das Auffanggrundrecht des Adressaten aus Art. 2 Abs. 1 GG (allgemeine Handlungsfreiheit) ein, welches diesen vor ungesetzlichem Zwang schützt. Eine Rechtsverletzung des Adressaten eines belastenden Verwaltungsakts ist damit stets möglich (Adressatentheorie). Sofern im konkreten Fall vorhanden, ist vorrangig freilich auf einfachgesetzlich begründete Rechtspositionen bzw. zumindest etwaig einschlägige Spezialgrundrechte abzustellen. Wendet sich der Kläger gegen die behördliche Aufhebung (Rücknahme bzw. Widerruf, §§ 48 f. VwVfG) eines ihn begünstigenden Verwaltungsakts, so handelt es sich bei diesem um die möglicherweise verletzte Rechtsposition (vgl. das Beispiel in Rn. 435). In Bezug auf sonstiges Verwaltungshandeln, das nicht im Erlass eines Verwaltungsakts besteht (z.B. behördeninterne Weisung), und bei anderen Klagearten als der Anfechtungsklage (z.B. Verpflichtungsklage; str.[252]) ist die Adressatentheorie dagegen nicht einsetzbar, ebenso wenig wie bei Drittanfechtungsklagen.

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In Bezug auf die Verpflichtungs- (Rn. 248; Übungsfall Nr. 4) sowie die allgemeine Leistungsklage (Rn. 249; Übungsfall Nr. 5) ist die Klagebefugnis dann zu bejahen, wenn die Möglichkeit besteht, dass der Kläger einen Anspruch auf die jeweils begehrte Leistung hat (z.B. nach § 1 Abs. 1 S. 1 IFG; Negativbeispiel: § 29 Abs. 1 S. 2 VwVfG). Zur allgemeinen Feststellungsklage siehe Rn. 486.

2. Teil Verwaltungsgerichtliche Klage › B. Zulässigkeit › IX. Richtiger Klagegegner

IX. Richtiger Klagegegner

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Gegen wen die Klage zu richten ist, ist in § 78 VwGO geregelt.[253] Entgegen der insbesondere von der Rechtsprechung[254] vertretenen Auffassung handelt es sich bei dieser Vorschrift nicht etwa um eine Normierung der Passivlegitimation (und damit um eine Frage der Begründetheit der Klage); passiv legitimiert ist derjenige, der durch das dem Kläger tatsächlich zustehende Recht (Aktivlegitimation) tatsächlich verpflichtet wird. Richtigerweise[255] regelt § 78 VwGO vielmehr die passive Prozessführungsbefugnis (die aktive Prozessführungsbefugnis ist in § 42 Abs. 2 VwGO geregelt; Rn. 248). Unter dieser Zulässigkeitsvoraussetzung ist die Befugnis zu verstehen für denjenigen, dessen Verpflichtung durch den Kläger behauptet wird, als Beklagter im eigenen Namen den Prozess zu führen. Ob der Beklagte nach dem materiellen Recht auch der richtige Anspruchsgegner ist, ist im Rahmen von § 78 VwGO dagegen ohne Bedeutung.

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JURIQ-Klausurtipp

Folgt man der hier vertretenen Ansicht, so ist § 78 VwGO bereits im Rahmen der Zulässigkeit der Klage zu prüfen. Ist diese auch nach erfolgtem richterlichen Hinweis gem. § 86 Abs. 3 VwGO gegen den falschen Beklagten gerichtet und auch eine anderweitige Auslegung bzw. Umdeutung nicht möglich (Rn. 36 ff.), so ist die Klage bereits unzulässig. Schließt man sich hingegen der abweichenden, insbesondere in der bayerischen Examenspraxis[256] vorherrschenden Auffassung an, so führt die gegen den falschen Beklagten gerichtete Klage zu deren Unbegründetheit. In der Klausur darf der gewählte Aufbau freilich keinesfalls begründet werden.[257]

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Nach dem in § 78 Abs. 1 Nr. 1 Hs. 1 VwGO enthaltenen Grundsatz ist die Klage gegen den Bund, das Land oder die Körperschaft, d.h. gegen den Rechtsträger (inkl. Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts), zu richten, dessen Behörde den angefochtenen Verwaltungsakt erlassen oder den beantragten Verwaltungsakt unterlassen hat (Rechtsträgerprinzip), im Fall einer Beleihung[258] also gegen das beliehene Privatrechtssubjekt. Speziell in Bezug auf den Landrat gilt: Wird dieser als Organ „seines“ Verwaltungsträgers tätig (z.B. gem. § 42 KrO NRW), so ist der Kreis der richtige Klagegegner; handelt der Landrat hingegen im Wege der Organleihe als staatliche Behörde (z.B. nach § 2 Abs. 1 Nr. 2 POG NRW), so ist die Klage gegen das jeweilige Bundesland zu richten. Zur Bezeichnung des beklagten Rechtsträgers lässt § 78 Abs. 1 Nr. 1 Hs. 2 VwGO allerdings die Angabe der Behörde ausreichen;[259] im umgekehrten Fall gilt Entsprechendes (z.B. wenn der Kläger die Gemeinde anstelle der gem. § 78 Abs. 1 Nr. 2 VwGO i.V.m. z.B. § 19 Abs. 2 AGVwGO Saarl. zu verklagenden Behörde, d.h. ihres Oberbürgermeisters, genannt hat). Der Vorsitzende hat auf eine Richtigstellung hinzuwirken, § 82 Abs. 2 VwGO (vgl. auch § 86 Abs. 3 VwGO). Die Regelung des § 78 Abs. 1 Nr. 1 Hs. 1 VwGO korrespondiert mit § 61 Nr. 1 Alt. 2 VwGO, wonach prinzipiell nur die juristische Person des öffentlichen Rechts selbst – und nicht die für sie handelnde Behörde (Ausnahme: landesrechtliche Bestimmung gem. § 61 Nr. 3 VwGO) – beteiligtenfähig ist (Rn. 232, 234).

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Beispiel[260]

Dem A geht eine Ordnungsverfügung zu. Im Briefkopf des Bescheids heißt es: „Stadt S, Der Oberbürgermeister, Fachbereich: Öffentliche Sicherheit und Ordnung, Abteilung: Ordnungsaufgaben, Ansprechpartner Herr H.“ A möchte diesen Verwaltungsakt anfechten. Wer ist richtiger Klagegegner, wenn das betreffende Landesrecht keine Bestimmung i.S.v. § 78 Abs. 1 Nr. 2 VwGO enthält?

In Ermangelung einer landesrechtlichen Bestimmung i.S.v. § 78 Abs. 1 Nr. 2 VwGO bestimmt sich der richtige Klagegegner vorliegend nach § 78 Abs. 1 Nr. 1 Hs. 1 VwGO. Danach ist die (Anfechtungs-)Klage gegen die Körperschaft zu richten, deren Behörde den angefochtenen Verwaltungsakt erlassen hat. Der hier in Frage stehende Verwaltungsakt wurde vom Oberbürgermeister der Stadt S als Behörde dieser Gebietskörperschaft erlassen. Das Handeln des Sachbearbeiters (Herrn H.) wird dem Oberbürgermeister zugerechnet. Bei dem Fachbereich „Öffentliche Sicherheit und Ordnung“ und der Abteilung „Ordnungsaufgaben“ handelt es sich jeweils um rein behördeninterne Aufgliederungen. Richtigerweise muss A seine Klage somit gegen die Stadt S richten.

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Ausnahmsweise ist die Klage abweichend von § 78 Abs. 1 Nr. 1 Hs. 1 VwGO jedoch nicht gegen den Rechtsträger, sondern vielmehr gegen die – aufgrund weiterer landesrechtlicher Bestimmung nach § 61 Abs. 1 Nr. 3 VwGO beteiligtenfähige (Rn. 234 ff.) – Behörde selbst zu richten, die den angefochtenen Verwaltungsakt erlassen oder den beantragten Verwaltungsakt unterlassen hat, sofern das Landesrecht dies bestimmt, § 78 Abs. 1 Nr. 2 VwGO (Behördenprinzip). Von dieser Möglichkeit, die sich freilich nicht auch auf Bundesbehörden oder Behörden anderer Bundesländer erstreckt (hierfür hat der betreffende Landesgesetzgeber jeweils keine Kompetenz), wurde Gebrauch gemacht

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für sämtliche Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen in § 14 Abs. 2 AGGerStrG MV und § 19 Abs. 2 AGVwGO Saarl.;

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für grundsätzlich alle Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen mit Ausnahme von Klagen i.S.v. § 52 Nr. 4 VwGO in § 8 Abs. 2 BbgVwGG;

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in § 79 Abs. 2 NJG, § 8 S. 2 AGVwGO LSA und § 69 Abs. 2 LJG SchlH. hinsichtlich derjenigen Fälle, in denen eine Landesbehörde (nicht hingegen: eine kommunale Behörde) den angefochtenen Verwaltungsakt erlassen oder den beantragten Verwaltungsakt unterlassen hat.

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In diesen Bundesländern werden die Behörden in gesetzlicher Prozessstandschaft für den jeweiligen Rechtsträger (z.B. Land) tätig. Demgegenüber gilt namentlich in Baden-Württemberg, Bayern und NRW mangels Existenz einer landrechtlichen Bestimmung i.S.v. § 78 Abs. 1 Nr. 2 VwGO das Rechtsträgerprinzip des § 78 Abs. 1 Nr. 1 VwGO.

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Beispiel

Hat im vorstehenden Beispielsfall (Rn. 286) der Landesgesetzgeber von der Möglichkeit des § 78 Abs. 1 Nr. 2 VwGO auch bzgl. Kommunalbehörden Gebrauch gemacht, so muss A seine Klage gegen den Oberbürgermeister als diejenige Behörde richten, die den hier in Frage stehenden Verwaltungsakt erlassen hat.

293

Wenn ein Widerspruchsbescheid erlassen ist, der erstmalig eine Beschwer enthält (§ 68 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 VwGO), ist Behörde i.S.v. § 78 Abs. 1 VwGO die Widerspruchsbehörde, § 78 Abs. 2 VwGO. Diese Regelung gilt gem. § 79 Abs. 2 S. 3 VwGO entsprechend für den Fall, dass der Widerspruchsbescheid alleiniger Gegenstand der Anfechtungsklage ist, weil und soweit er gegenüber dem ursprünglichen Verwaltungsakt eine zusätzliche selbstständige Beschwer enthält (Rn. 136). In allen übrigen Fällen ist dagegen selbst dann, wenn der Verwaltungsakt im Widerspruchsverfahren abgeändert wurde, die Ausgangsbehörde (§ 78 Abs. 1 Nr. 2 VwGO) bzw. deren Rechtsträger (§ 78 Abs. 1 Nr. 1 Hs. 1 VwGO) richtiger Klagegegner – und nicht etwa die Widerspruchsbehörde bzw. deren Rechtsträger. Dies ergibt sich mittelbar aus § 79 Abs. 1 Nr. 1 VwGO, wonach Gegenstand der Anfechtungsklage der ursprüngliche Verwaltungsakt in der Gestalt ist, die er durch den Widerspruchsbescheid gefunden hat.

294

Auf andere Klagen als die Anfechtungs- und Verpflichtungs- sowie die mit diesen eng verwandte Fortsetzungsfeststellungs- und Nichtigkeitsfeststellungsklage (str.[261]) findet § 78 Abs. 1 Nr. 1 Hs. 1, Nr. 2 VwGO weder direkt noch analog Anwendung. Insoweit ist vielmehr auf die allgemeinen Grundsätze betreffend die Prozessführungsbefugnis zurückzugreifen. Danach gilt das Rechtsträgerprinzip, d.h. die allgemeine Leistungsklage ist gegen diejenige Person zu richten, gegenüber der der Kläger das von ihm geltend gemachte Recht behauptet (dazu siehe Übungsfall Nr. 5). Was die allgemeine Feststellungsklage anbelangt, so folgt bereits aus dem in § 43 Abs. 1 VwGO enthaltenen Erfordernis des Bestehens eines Rechtsverhältnisses, dass der Beklagte entweder selbst hieran beteiligt sein oder aber das Rechtsverhältnis wenigstens präjudizielle Bedeutung haben muss für ein anderes Rechtsverhältnis, an dem der Kläger und der Beklagte beteiligt sind. Nur bei Organstreitigkeiten ist die Klage gegen das andere beteiligungsfähige Organ – und nicht die juristische Person, der es angehört – zu richten, siehe Übungsfall Nr. 6 (str.[262]).

2. Teil Verwaltungsgerichtliche Klage › B. Zulässigkeit › X. Vorverfahren