Verwaltungsprozessrecht

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6. Allgemeine Leistungsklage

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Abweichend von den übrigen in Rn. 124 genannten Klagearten ist die allgemeine Leistungsklage in der VwGO zwar nicht ausdrücklich geregelt; doch wird sie an mehreren Stellen erwähnt (z.B. in § 43 Abs. 2 S. 1 und § 111 S. 1 VwGO) und ist als eigene Klageart mittlerweile gewohnheitsrechtlich anerkannt.[153]

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Die allgemeine Leistungsklage ist statthaft, wenn das klägerische Begehren auf die gerichtliche Verurteilung des Beklagten zu einer bestimmten Leistung[154] (Handeln, Dulden oder Unterlassen, vgl. § 241 Abs. 1 BGB) gerichtet ist, die nicht – wie bei der Verpflichtungsklage als spezielle Form der Leistungsklage der Fall (Rn. 143) – im Erlass eines Verwaltungsakts oder dessen Beseitigung (dann: Anfechtungsklage), sondern vielmehr in einem rein tatsächlichen Verhalten besteht (Realakt). Demgemäß kann mit der allgemeinen Leistungsklage als „Auffangklage“[155] bzw. „prozessuale ‚Mehrzweckwaffe‘“[156] nicht nur vom Bürger ein Verhalten eines Hoheitsträgers (z.B. Folgenbeseitigung), sondern umgekehrt auch von einem Hoheitsträger als Kläger ein bestimmtes Verhalten des Bürgers verlangt werden (z.B. Abgabenzahlung; vgl. aber Rn. 370 zum Rechtsschutzbedürfnis). Schließlich ist die allgemeine Leistungsklage auch im Verhältnis verschiedener Träger hoheitlicher Gewalt sowie ebenfalls bei Innenrechtsstreitigkeiten, d.h. zwischen Organ(teil)en derselben juristischen Person des öffentlichen Rechts, statthaft (z.B. Kommunalverfassungsstreit; str.[157]). Ebenso wie bei der Verpflichtungsklage (Rn. 143) gestaltet das Gericht auch bei der allgemeinen Leistungsklage im Fall des Obsiegens des Klägers die Rechtslage allerdings nicht selbst um, sondern verurteilt den Beklagten vielmehr zu einer entsprechenden Leistung.

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Beispiele

Klage auf Widerruf einer von einem Amtsträger geäußerten Tatsachenbehauptung, auf Auszahlung einer von der Behörde bewilligten Geldleistung, auf Reparatur einer Straße, auf Rückgängigmachung der Umsetzung eines Beamten, auf Verurteilung des Bürgers zur Leistung gemäß dessen Verpflichtung aus einem öffentlich-rechtlichen Vertrag, auf Kostenerstattung zwischen verschiedenen öffentlich-rechtlichen Körperschaften, auf Rückgängigmachung des Ausschlusses eines Gemeinderatsmitglieds von zukünftigen Sitzungen durch den Bürgermeister.

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Hinsichtlich der Abgrenzung der allgemeinen Leistungsklage zur Anfechtungsklage nach § 42 Abs. 1 Alt. 1 VwGO gilt: Wendet sich der Bürger gegen ein tatsächliches hoheitliches Handeln, das einen Verwaltungsakt vollzieht (z.B. Beschlagnahme einer Sache), so kann die tatsächliche Leistung (z.B. Herausgabe der Sache) frühestens mit der zeitgleichen Aufhebung des zugrundeliegenden Verwaltungsakts verlangt werden (vgl. Rn. 137). Allerdings kann sich im Wege der Auslegung bzw. Umdeutung ergeben, dass mit der Klage auf Rückgängigmachung der Vollziehung zugleich die Anfechtung des zugrundeliegenden Verwaltungsakts begehrt wird (Rn. 36 ff.). Zur Abgrenzung der allgemeinen Leistungsklage zur Verpflichtungsklage (§ 42 Abs. 1 Alt. 2 VwGO) siehe Rn. 150.

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Beispiel[158]

In dem in Rn. 180 gebildeten Beispielsfall bereut E es jetzt, die 1000 € gezahlt zu haben und möchte daher eine auf Rückzahlung der 1000 € gerichtete Leistungsklage vor dem VG erheben. Wäre diese erfolgreich?

Nein. Zwar wäre die allgemeine Leistungsklage hier statthaft, weil es sich bei der von E begehrten Handlung, der Zahlung der 1000 €, um einen Realakt handelt. Doch wäre eine solche Klage vorliegend deshalb ohne Erfolg, weil in Gestalt des Gebührenbescheids (Verwaltungsakt) ein Rechtsgrund (causa) für die erfolgte Vermögensverschiebung besteht. Richtigerweise müsste E diesen daher nach § 42 Abs. 1 Alt. 1 VwGO anfechten, wobei er gem. § 113 Abs. 1 S. 2 VwGO zugleich einen Annexantrag auf Rückzahlung des Geldes stellen könnte (Rn. 137).

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Entsprechend dem jeweiligen klägerischen Begehren kann typologisch zwischen solchen allgemeinen Leistungsklagen differenziert werden, mit denen der Kläger die Verurteilung des Beklagten zu einem Tun (Vornahmeklage; z.B. Entfernung einer Straßenlaterne), zu einem Unterlassen (vgl. § 169 Abs. 2 VwGO; Unterlassungsklage, z.B. Unterlassen des künftigen Betriebs der Straßenlaterne) oder zu beidem erstrebt (z.B. Klage sowohl auf Widerruf einer getätigten ehrverletzenden Äußerung als auch auf deren zukünftiges Unterlassen). In den beiden letztgenannten Fällen ist v.a. im Hinblick auf den Prüfungspunkt des allgemeinen Rechtsschutzbedürfnisses die weitere Unterscheidung zwischen den verschiedenen Erscheinungsformen der Unterlassungsklage als quasi „negativer Leistungsklage“[159] von Relevanz: Ist das Verwaltungshandeln, dessen Abwehr der Kläger begehrt,

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bereits eingetreten, d.h. geht es um dessen Beendigung (z.B. Unterlassen andauernder Immissionen), so spricht man von einer allgemeinen Unterlassungsklage;

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noch nicht eingetreten, d.h. droht dieses erst in der Zukunft, so spricht man von einer vorbeugenden Unterlassungsklage. Hat das drohende Verwaltungshandeln

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Unabhängig von der Rechtsnatur des drohenden Verwaltungshandelns muss dieses freilich bereits stets derart bestimmt (konkret) sein, dass es einer gerichtlichen Überprüfung zugänglich ist.

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Allgemeine Leistungsklage

A.Zulässigkeit

I.Eröffnung des Verwaltungsrechtswegs

öffentlich-rechtliche Streitigkeit(Rn. 76 ff.)

II.Statthaftigkeit der allgemeinen Leistungsklage

vorgeschalteter Verwaltungsakt(Rn. 150)

III.Beteiligtenfähigkeit, § 61 VwGO

IV.Prozessfähigkeit, § 62 VwGO

V.Klagebefugnis, § 42 Abs. 2 VwGO analog

subjektiv-öffentliches Recht des Klägers(Rn. 250 ff.)

VI.Richtiger Klagegegner

VII.Grds. kein Vorverfahren

Ausnahme: Beamtenrecht, § 126 Abs. 2 S. 1 BBG bzw. § 54 Abs. 2 S. 1 BeamtStG; Rückausnahme: § 54 Abs. 2 S. 3 BeamtStG i.V.m. z.B. § 103 Abs. 1 S. 1 LBG NRW

VIII.Grds. keine Klagefrist

Ausnahme: Beamtenrecht, sofern Vorverfahren durchgeführt, § 126 Abs. 2 S. 1 BBG bzw. § 54 Abs. 2 S. 1 BeamtStG, jeweils i.V.m. § 74 Abs. 1 S. 1 VwGO

IX.Allgemeines Rechtsschutzbedürfnis

qualifiziertes Rechtsschutzbedürfnis bei vorbeugender Unterlassungsklage(Rn. 372 ff.)

B.Begründetheit

Rn. 480

7. (Nichtigkeits-)Feststellungsklage

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Gem. § 43 Abs. 1 VwGO kann durch Klage die Feststellung des Bestehens[164] oder Nichtbestehens[165] eines Rechtsverhältnisses (allgemeine Feststellungsklage; Rn. 203 ff.) oder der Nichtigkeit eines Verwaltungsakts (Nichtigkeitsfeststellungsklage; Rn. 217 f.) begehrt werden.[166]

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Anders als die Anfechtungsklage (Rn. 127) bewirkt die Feststellungsklage keine unmittelbare Rechtsänderung und verschafft dem erfolgreichen Kläger auch nicht – wie bei der Verpflichtungs- und der allgemeinen Leistungsklage der Fall (Rn. 143, 191) – einen auf ein bestimmtes Tun, Dulden oder Unterlassen gerichteten vollstreckbaren Titel; ein Feststellungsurteil ist nur hinsichtlich der Kosten vollstreckbar. Vielmehr handelt es sich bei ihr um einen rein prozessualen Rechtsbehelf, von dem typischerweise bei unklarer Rechtslage Gebrauch gemacht wird und der allein auf die verbindliche Feststellung des Rechts gerichtet ist.

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Beispiele

Klage auf Feststellung, dass es für eine bestimmte Tätigkeit nicht einer gewerberechtlichen Erlaubnis bedarf; Klage auf Feststellung, dass die auf Fällung eines bereits umgestürzten Baumes gerichtete Verfügung nichtig ist.

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Rechtsverhältnis“ i.S.v. § 43 Abs. 1 Alt. 1 VwGO sind „die rechtlichen Beziehungen […], die sich aus einem konkreten Sachverhalt auf Grund einer öffentlich-rechtlichen Norm für das Verhältnis von (natürlichen oder juristischen) Personen[167] untereinander oder einer Person zu einer Sache ergeben.“[168]

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An sich ist diese Standarddefinition rechtstheoretisch insoweit nicht haltbar, als sie von der Existenz öffentlich-rechtlicher Beziehungen von einer Person zu einer Sache ausgeht. Denn Rechtsbeziehungen können nur zwischen Rechtssubjekten bestehen. Sie lässt sich aber dann aufrechterhalten, wenn man die Formulierung „rechtlichen Beziehungen einer Person [. . .] zu einer Sache“ als Verkürzung für die Vielzahl personaler Rechtsbeziehungen in Ansehung einer Sache (z.B. einer öffentlichen Straße) versteht.[169]

207

Stehen nur einzelne sich aus einem Rechtsverhältnis (z.B. Beamtenverhältnis als einem „Bündel von Rechten und Pflichten“) ergebende Rechte und Pflichten (z.B. zur Tragung von Dienstkleidung) in Streit, so können auch diese alleiniger Gegenstand der allgemeinen Feststellungsklage sein. Nicht feststellungsfähig sind demgegenüber unselbstständige Elemente, Tatbestandsmerkmale oder Vorfragen eines Rechtsverhältnisses wie etwa die Eigenschaften einer Person (z.B. Zuverlässigkeit i.S.v. § 4 Abs. 1 Nr. 1 GastG) oder einer Sache (z.B. die Bebaubarkeit eines Grundstücks), sofern mit ihnen keine unmittelbaren Rechte oder Pflichten verbunden sind (so aber z.B. bei der deutschen Staatsangehörigkeit). Auch ein Verwaltungsakt ist selbst kein Rechtsverhältnis, sondern kann nur entweder auf einem solchen beruhen oder aber dieses begründen, verändern oder beenden; es ist zwischen der Regelung (vgl. § 35 S. 1 VwVfG) und der von ihr ausgehenden rechtlichen Beziehung (Rechtsverhältnis) zu differenzieren. Eine über bloße Tatsachen geführte Streitigkeit (z.B. bezüglich der Echtheit einer Urkunde) betrifft schließlich ebenfalls kein „Rechts“verhältnis i.S.v. § 43 Abs. 1 Alt. 1 VwGO.

208

Voraussetzung für die Existenz einer sich aus einer öffentlich-rechtlichen Rechtsnorm ergebenden rechtlichen Beziehung zwischen Personen (ggf. in Ansehung einer Sache) ist das Vorhandensein zumindest eines subjektiv-öffentlichen Rechts (Rn. 255 ff.). Dieses muss sich aus der Anwendung einer bestimmten Norm auf einen konkreten (überschaubaren) Sachverhalt ergeben. Die allgemeine Feststellungsklage ist keine „allgemeine ‚Auskunftsklage‚ über die Rechtslage ohne konkreten Anlass. Notwendig ist immer ein konkreter ‚Auslöser‘“[170], der die Rechtsfrage verdichtet. Deshalb können rein abstrakte („akademische“[171] bzw. „hypothetische“[172]) Rechtsfragen auf Basis eines nur erdachten oder als möglich vorgestellten Sachverhalts nicht Gegenstand einer allgemeinen Feststellungsklage sein (z.B. bzgl. der Bedeutung des Merkmals „Unzuverlässigkeit“ in § 35 Abs. 1 S. 1 GewO).

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Aus dem Vorstehenden folgt ferner, dass im Rahmen von § 43 Abs. 1 Alt. 1 VwGO die (Un-)Wirksamkeit eines Gesetzes nicht unmittelbar, sondern nur inzident als Vorfrage geltend gemacht werden kann – nämlich insofern, als um die Frage gestritten wird, ob sich aus der Anwendung der betreffenden Vorschrift auf einen konkreten Fall Rechte oder Pflichten für den Kläger ergeben, d.h. das streitige Rechtsverhältnis besteht (z.B. Klage auf Feststellung des Nichtbestehens der Mitgliedschaft in einer öffentlich-rechtlichen Körperschaft mit der Begründung, dass das diese Zwangsmitgliedschaft begründende Gesetz ungültig sei). Das ist dann nicht der Fall, wenn die jeweilige Norm wegen Verstoßes gegen höherrangiges Recht unwirksam ist, worüber bei Gesetzen im nur materiellen Sinn (Rechtsverordnungen und Satzungen) – anders als bei nachkonstitutionellen Parlamentsgesetzen (dann: Vorlage an das betreffende Verfassungsgericht gem. Art. 100 Abs. 1 GG) – das jeweilige VG selbst entscheidet. Die Ausschöpfung dieser Möglichkeit der inzidenten Normenkontrolle ist nach der Rechtsprechung des BVerfG zum Grundsatz der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde regelmäßig (Ausnahme z.B. straf-/bußgeldbewehrte Norm) Zulässigkeitsvoraussetzung einer nachfolgenden (Rechtssatz-)Verfassungsbeschwerde gem. Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG, §§ 13 Nr. 8a, 90 ff. BVerfGG.[173] Keinesfalls aber darf die in § 47 VwGO eigens vorgesehene abstrakte bzw. prinzipale Normenkontrolle dadurch umgangen werden, dass mittels einer auf einen nur erdachten oder noch ungewissen zukünftigen Sachverhalt gestützten allgemeinen Feststellungsklage die Gültigkeit einer Rechtsnorm geklärt werden soll. Dasselbe gilt für Klagen, die auf Feststellung der Unanwendbarkeit einer Rechtsnorm wegen Verstoßes gegen das Europarecht gerichtet sind.[174]

210

Die insbesondere von der Rechtsprechung[175] zusätzlich zum Vorstehenden im Rahmen der Statthaftigkeit noch geforderte Streitigkeit des Rechtsverhältnisses ist richtigerweise erst beim Feststellungsinteresse zu verorten (Rn. 388). Namentlich ist das subjektiv-öffentliche Recht, welches das Rechtsverhältnis i.S.v. § 43 Abs. 1 Alt. 1 VwGO begründet, nicht davon abhängig, ob es bestritten wird oder nicht. Im Übrigen liegt dann, wenn es an einem Meinungsstreit fehlt, bereits keine „Streitigkeit“ i.S.v. § 40 Abs. 1 S. 1 VwGO vor (Rn. 70).

211

Da § 43 Abs. 1 Alt. 1 VwGO keine weitergehenden Anforderungen an das festzustellende Rechtsverhältnis stellt, kann es sich bei diesem sowohl um ein Außenrechtsverhältnis zwischen Staat und Bürger bzw. verschiedenen Verwaltungsträgern als auch um ein Innenrechtsverhältnis handeln (zum Kommunalverfassungsstreit siehe Übungsfall Nr. 6). Ferner muss das Rechtsverhältnis i.S.v. § 43 Abs. 1 Alt. 1 VwGO nicht – wie jedoch regelmäßig der Fall – zwischen Kläger und Beklagtem, sondern kann ebenfalls zwischen dem Beklagten und einem Dritten bestehen (Drittrechtsverhältnis; z.B. Klage des Unternehmers U auf Feststellung, dass der von der Stadt S mit seinem Konkurrenten K geschlossene öffentlich-rechtliche Subventionsvertrag unwirksam ist). Im letztgenannten Fall ist allerdings besonderes Augenmerk auf die weiteren Zulässigkeitsvoraussetzungen der Klagebefugnis, des richtigen Klagegegners sowie des Feststellungsinteresses zu legen. „Eine Feststellungsklage gegen den Normgeber kommt […] nur dann in Betracht, wenn die Rechts[norm] unmittelbar Rechte und Pflichten der Betroffenen begründet, ohne dass eine Konkretisierung oder Individualisierung durch Verwaltungsvollzug vorgesehen oder möglich“, d.h. sie i.d.S. „self-executing“, ist.[176]

 

212

Unerheblich für die Statthaftigkeit der allgemeinen Feststellungsklage ist schließlich auch, ob das Rechtsverhältnis ein solches der Vergangenheit (erledigter Realakt; z.B. Klage auf Feststellung, dass die im vergangenen Jahr durchgeführte Observation durch die Polizei rechtswidrig war), der Gegenwart (z.B. Klage auf Feststellung der Genehmigungsfreiheit des vom Kläger aktuell ausgeübten Gewerbes) oder der Zukunft[177] ist (z.B. Klage des Beamten auf Feststellung, dass im Fall seines Vorversterbens seine Ehefrau einen Anspruch auf Versorgungsbezüge hat; siehe aber noch Rn. 389 zum Feststellungsinteresse).

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Allerdings kann nach § 43 Abs. 2 S. 1 VwGO die Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses nicht begehrt werden, d.h. die allgemeine Feststellungsklage ist unstatthaft, soweit der Kläger seine Rechte durch Gestaltungs- oder Leistungsklage verfolgen kann oder hätte verfolgen können. Der Sache nach handelt es sich bei dieser Subsidiaritätsklausel um eine spezielle Ausprägung des Rechtsschutzbedürfnisses, das der Gesetzgeber jedoch bereits mit der Statthaftigkeit der allgemeinen Feststellungsklage verknüpft hat, vgl. § 43 Abs. 2 S. 1 VwGO („kann nicht begehrt werden“). Hierdurch hat er das Verhältnis dieser Klageart zur Anfechtungs-, Verpflichtungs-, Fortsetzungsfeststellungs- (dazu: Übungsfall Nr. 6) und allgemeinen Leistungsklage (str.; Rn. 216) geregelt. Dies war notwendig, weil unter den weiten Begriff des „Rechtsverhältnisses“ i.S.v. § 43 Abs. 1 Alt. 1 VwGO u.a. auch Rechte und Pflichte aus einem Verwaltungsakt sowie Ansprüche auf Leistung (inkl. Unterlassung) fallen. Wegen der prinzipiellen Gleichwertigkeit der unterschiedlichen Rechtswege gilt die Subsidiaritätsklausel rechtswegübergreifend auch im Verhältnis zu solchen Gestaltungs- und Leistungsklagen, die vor anderen als den allgemeinen VGen (z.B. den Zivilgerichten) erhoben werden können – was praktisch allerdings kaum einmal von Bedeutung sein dürfte. Nicht zur Anwendung gelangt § 43 Abs. 2 S. 1 VwGO dagegen im Verhältnis zur Nichtigkeitsklage natürlicher oder juristischer Personen gem. Art. 263 Abs. 4 AEUV. Denn die Subsidiaritätsklausel bezieht sich nur auf den nationalen Rechtsschutz. Zuständig für Entscheidungen im ersten Rechtszug über Klagen nach Art. 263 Abs. 4 AEUV ist aber das (europäische) Gericht, Art. 256 Abs. 1 S. 1 AEUV. Die nationalen Gerichte sind dem EuGH zufolge hingegen nicht dazu befugt, über die Gültigkeit von EU-Recht zu entscheiden.[178]

JURIQ-Klausurtipp

Wegen der aus § 43 Abs. 2 S. 1 VwGO resultierenden „Auffangfunktion“[179] der allgemeinen Feststellungsklage sollte auf diese bei der Ermittlung der statthaften Klageart erst dann eingegangen werden, wenn keine der übrigen in Rn. 124 genannten Klagearten statthaft ist. Aus dem derartigen „Schattendasein“ ist die allgemeine Feststellungsklage in den letzten Jahren faktisch allerdings ein Stück weit herausgetreten und erlebt derzeit eine gewisse „Konjunktur“.[180]

214

Hintergrund der Regelung in § 43 Abs. 2 S. 1 VwGO ist zum einen ein prozessökonomischer. Da mittels der allgemeinen Feststellungsklage lediglich ein Recht festgestellt werden kann, nicht aber die Rechtslage unmittelbar verändert und auch kein vollstreckbarer Titel geschaffen wird (Rn. 203), würde es eine unnötige doppelte Inanspruchnahme der Gerichte bedeuten, wenn der die Aufhebung bzw. den Erlass eines bestimmten Verwaltungsakts begehrende Kläger zunächst lediglich auf die Feststellung der fehlenden staatlichen Befugnis bzw. der bestehenden staatlichen Verpflichtung zum Erlass dieses Verwaltungsakts und – falls der unterlegene Beklagte nicht freiwillig dazu bereit ist, die entsprechenden Konsequenzen aus einem solchen, nicht vollstreckbaren Feststellungsurteil zu ziehen – erst im Anschluss daran in einem weiteren Prozess auf die gerichtliche Aufhebung bzw. Verurteilung zum Erlass des Verwaltungsakts klagen würde. Vielmehr soll der Rechtsstreit auf das eine Verfahren konzentriert werden, welches für den Kläger am rechtsschutzintensivsten ist (so z.B. die Verpflichtungsklage auf Verurteilung zur Erteilung einer Baugenehmigung im Vergleich zur Klage auf bloße gerichtliche Feststellung, dass die Behörde zur Genehmigungserteilung verpflichtet ist). Bietet die allgemeine Feststellungsklage (z.B. auf Feststellung des Nichtbestehens der Mitgliedschaft in einer öffentlich-rechtlichen Körperschaft) dem Kläger im konkreten Fall allerdings ausnahmsweise ein „Mehr“ an Rechtsschutz (z.B. zu keinem Zeitpunkt Mitgliedsbeiträge zahlen zu müssen) als eine Gestaltungs- oder Leistungsklage (z.B. gegen jeden einzelnen Beitragsbescheid), so ist sie unter dem Gesichtspunkt der Vermeidung einer Vielzahl von Prozessen sehr wohl statthaft. Dasselbe trifft zu, wenn das Anliegen des Klägers im Rahmen einer Gestaltungs- oder Leistungsklage lediglich als – der Rechtskraft nicht fähige – Vorfrage behandelt würde.

Beispiel[181]

Schlossherr H veranstaltet auf seinem Grundstück jährlich an zwei Wochenenden im Dezember einen Weihnachtsmarkt mit ca. 10 000 Besuchern. Mit Bescheid vom 28.11. erteilte die Stadt S dem H die auf § 29 Abs. 2 StVO gestützte Erlaubnis für die Durchführung des Weihnachtsmarkts am 8./9.12. und am 15./16.12. Dieser waren den H belastende Nebenbestimmungen beigefügt. Mit seiner am 28.12. erhobenen Klage begehrt H die verwaltungsgerichtliche Feststellung, dass der auf seinem Grundstück an zwei Wochenenden im Dezember eines jeden Jahres stattfindende Weihnachtsmarkt nicht der Erlaubnispflicht nach § 29 Abs. 2 StVO unterliegt. Steht § 43 Abs. 2 VwGO der Zulässigkeit dieser Klage entgegen?

Nein. Die von S erstrebte Feststellung, dass er einer Erlaubnis nach § 29 Abs. 2 StVO nicht bedürfe, kann mit einer Gestaltungs- oder Leistungsklage – namentlich einer Fortsetzungsfeststellungsklage gegen den Bescheid vom 28.11. – nicht in gleicher Weise geklärt werden. Denn durch eine solche könnte nur festgestellt werden, dass der auf die Durchführung des Weihnachtsmarkts im Dezember dieses Jahres bezogene Bescheid rechtswidrig gewesen ist. Im Rahmen dieser Fortsetzungsfeststellungklage wäre die Erlaubnispflicht des Weihnachtsmarkts nach § 29 Abs. 2 StVO als Vorfrage der Rechtmäßigkeit des durch Zeitablauf erledigten Verwaltungsakts zwar zu prüfen. Doch würde die Entscheidung dieser Vorfrage nicht gem. § 121 VwGO in Rechtskraft erwachsen und die Beteiligten insoweit nicht binden.

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Zum anderen verhindert § 43 Abs. 2 S. 1 VwGO, dass die besonderen Zulässigkeitsvoraussetzungen der Anfechtungs- und Verpflichtungsklage (§§ 68 ff., 74 VwGO) durch Erhebung einer allgemeinen Feststellungsklage umgangen werden (bei der behördlichen Befugnis zum Erlass eines Verwaltungsakts handelt es sich um ein Rechtsverhältnis i.S.v. § 43 Abs. 1 Alt. 1 VwGO; Rn. 207). Konsequenterweise greift die Subsidiaritätsklausel auch dann, wenn die an sich statthafte spezielle Klageart im konkreten Fall – z.B. wegen Verfristung – nicht mehr zulässig ist, vgl. § 43 Abs. 2 S. 1 VwGO („hätte verfolgen können“; z.B. Klage auf Feststellung der Unzulässigkeit der bestimmungsgemäßen Nutzung eines Luftverkehrslandeplatzes nach Verstreichenlassen der Anfechtungsfrist der vorangegangenen luftverkehrsrechtlichen Genehmigung). Ergibt sich die Möglichkeit einer Gestaltungs- oder Leistungsklage dagegen erst nach Erhebung der allgemeinen Feststellungsklage, so scheitert deren Zulässigkeit nicht an § 43 Abs. 2 S. 1 VwGO.[182]

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Entgegen dem Wortlaut von § 43 Abs. 2 S. 1 VwGO, der neben Gestaltungsklagen ausdrücklich auch die allgemeine Leistungsklage erfasst, hält das BVerwG[183] – im Anschluss an die Rechtsprechung der Zivilgerichte zu § 256 Abs. 1 ZPO – die Subsidiaritätsklausel insoweit nicht für anwendbar, als sich die allgemeine Feststellungsklage gegen eine juristischen Person des öffentlichen Rechts richtet (Folge: Wahlmöglichkeit des Bürgers zwischen diesen beiden Klagearten). Denn besondere Zulässigkeitsvoraussetzungen, deren Umgehung im Wege der allgemeinen Feststellungsklage durch § 43 Abs. 2 S. 1 VwGO verhindert werden soll, gebe es bei der allgemeinen Leistungsklage nicht (Rn. 201). Zudem könne aufgrund der Gesetzesbindung der Verwaltung (Art. 20 Abs. 3 GG) davon ausgegangen werden, dass diese sich auch ohne den von einem vollstreckbaren Leistungstitel ausgehenden Druck entsprechend der bloßen gerichtlichen Feststellung der Rechtslage verhalten werde, sog. „Ehrenmanntheorie“. Dass dieses Argument des durchweg rechtstreuen Verhaltens der Verwaltung letztlich jedoch nicht verfängt, ist im Schrifttum[184] herausgearbeitet worden: Nicht nur nehmen in der Rechtswirklichkeit juristische Personen des öffentlichen Rechts typischerweise die Beklagtenrolle einer allgemeinen Feststellungsklage ein, so dass eine insoweit erfolgende teleologische Reduktion der Subsidiaritätsklausel zu ihrem weitgehenden Leerlauf führen würde. Vielmehr belegt darüber hinaus die Existenz des die Vollstreckung von Urteilen gegen eine juristische Person des öffentlichen Rechts regelnden § 170 VwGO, dass der Gesetzgeber gerade nicht von deren stets freiwilliger Befolgung gerichtlicher Entscheidungen ausgeht, vgl. ferner § 172 VwGO.[185] Doch auch die Annahme, dass sich die Funktion von § 43 Abs. 2 S. 1 VwGO darauf beschränke, die Umgehung der besonderen Zulässigkeitsvoraussetzungen der Anfechtungs- und Verpflichtungsklage zu verhindern, sei nicht zutreffend. Denn wäre dies der Fall, hätte es ausgereicht, die Subsidiarität allein bzgl. dieser beiden Klagearten anzuordnen. Da der Gesetzgeber mit der Normierung von § 43 Abs. 2 S. 1 VwGO aber eine darüber hinausgehende Regelung zum Rechtsschutz treffen wollte, ist in dieser Vorschrift allgemein von „Gestaltungs-“ und „Leistungsklagen“ die Rede.

217

Hinsichtlich der Nichtigkeitsfeststellungsklage (§ 43 Abs. 1 Alt. 2 VwGO) gilt, dass es im Rahmen ihrer Statthaftigkeit allein auf das objektive Vorliegen eines Verwaltungsakts ankommt (Rn. 129 ff.). Ob dieser tatsächlich nichtig ist (§ 44 Abs. 1, 2 VwVfG), ist allein eine Frage der Begründetheit der Nichtigkeitsfeststellungsklage (Rn. 484). Ebenfalls unerheblich für deren Statthaftigkeit ist, dass § 44 Abs. 5 VwVfG die Möglichkeit eröffnet, die Nichtigkeit eines Verwaltungsakts durch die Behörde feststellen zu lassen. Der besonderen Erwähnung der Nichtigkeitsfeststellungsklage in § 43 Abs. 1 Alt. 2 VwGO bedurfte es deshalb, weil ein Verwaltungsakt selbst kein Rechtsverhältnis i.S.v. § 43 Abs. 1 Alt. 1 VwGO ist (Rn. 207).

218

Die Subsidiaritätsklausel des § 43 Abs. 2 S. 1 VwGO findet nach dem ausdrücklichen Wortlaut von § 43 Abs. 2 S. 2 VwGO auf die Nichtigkeitsfeststellungsklage keine Anwendung, d.h. der Kläger hat insoweit ein Wahlrecht zwischen Erhebung der Anfechtungs- oder der Nichtigkeitsfeststellungsklage (Rn. 131). Im Gegensatz zur kumulativen Erhebung dieser Klagen, die nach § 173 S. 1 VwGO i.V.m. § 17 Abs. 1 S. 2 GVG in Bezug auf denselben Verwaltungsakt unzulässig wäre, können Nichtigkeitsfeststellung- und Anfechtungsantrag als Haupt- bzw. Hilfsantrag gestellt werden (Rn. 47). Die Vorschriften über das Widerspruchsverfahren (§§ 68 ff. VwGO) und die Klagefrist (§ 74 VwGO) finden auf die Nichtigkeitsfeststellungsklage grundsätzlich keine Anwendung (Ausnahme: Beamtenrecht, § 126 Abs. 2 S. 1 BBG bzw. § 54 Abs. 2 S. 1 BeamtStG).

Hinweis

Der Grund dafür, dass der Kläger im Hinblick auf den verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutz gegen nichtige Verwaltungsakte nach h.M. ein Wahlrecht zwischen der Anfechtungsklage nach § 42 Abs. 1 Alt. 1 VwGO (Rn. 131) und der Nichtigkeitsfeststellungsklage nach § 43 Abs. 1 Alt. 2 VwGO hat, ist, dass sich vielfach – insbesondere in den Fällen des § 44 Abs. 1 VwVfG – nur schwer beurteilen lässt, ob ein Verwaltungsakt „bloß rechtswidrig“ oder darüber hinaus sogar nichtig ist. „Hier ist dem Adressaten […] dringend zu raten, Widerspruch einzulegen und Anfechtungsklage zu erheben, weil unsicher ist, ob das Gericht seine Einschätzung der Nichtigkeit des Verwaltungsakts auch teilt; ist dies nämlich nicht der Fall und nimmt das Gericht bloß Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts an, würde der Adressat […] Widerspruchs- und Klagefrist versäumen und der [Verwaltungsakt] nach Ablauf dieser Fristen in Bestandskraft erwachsen.“[186]