Allgemeines Verwaltungsrecht

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g) Auf unmittelbare Rechtswirkung nach außen gerichtet

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Die hoheitliche Maßnahme der Behörde auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts zur Regelung eines Einzelfalls muss schließlich noch „auf unmittelbare Rechtswirkung nach außen gerichtet“ sein, um gem. § 35 S. 1 VwVfG als Verwaltungsakt qualifiziert werden zu können. Mit diesem Merkmal wird der Verwaltungsakt abgegrenzt von rein verwaltungsinternen Maßnahmen (z.B. Beschlüsse eines internen Willensbildungsorgans wie dem Gemeinderat, die i.d.R. erst noch durch den Bürgermeister „nach außen“ umgesetzt werden müssen).


Außenwirkung kommt einer Maßnahme dann zu, wenn sie den Rechtskreis einer außerhalb der Verwaltung stehenden natürlichen oder juristischen Person oder eines sonstigen (nur teilrechtsfähigen) Rechtssubjekts als Träger eigener Rechte betrifft, d.h. (interpersonal) zwischen diesem und dem Rechtsträger der Behörde wirkt.[134] Unmittelbar ist diese Außenwirkung, wenn sie aus dem Entscheidungssatz („Tenor“; Rn. 55) der Maßnahme selbst resultiert und nicht nur dessen – mittelbare – Nebenfolge ist.[135] Zudem muss die unmittelbare Außenwirkung nach dem objektiven Sinngehalt der Regelung beabsichtigt (intendiert) sein („auf… gerichtet“). Das ist dann der Fall, wenn die Maßnahme gerade zielgerichtet (final) eine unmittelbare Außenwirkung entfalten soll. Nicht ausreichend ist es dagegen, wenn eine ausschließlich für verwaltungsinterne Zwecke gedachte Maßnahme lediglich rein tatsächlich außerhalb des Verwaltungsbereichs Wirkung entfaltet.[136]

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Aus dem Vorstehenden folgt zugleich, dass die Rechtsnatur einer Maßnahme (z.B. aufsichtsbehördliche Genehmigung einer Satzung nach § 56 Abs. 1 HwO) richtigerweise teilbar ist (str.[137]): Ergeht sie gegenüber ihrem Adressaten (z.B. Handwerksinnung) zielgerichtet mit unmittelbarer Außenwirkung, entfaltet sie gegenüber anderen Betroffenen (z.B. Bürger) außerhalb der Verwaltung dagegen nur faktisch Wirkung (z.B. als integraler Bestandteil der gem. § 56 Abs. 1 HwO genehmigten Satzung), so liegt – die Erfüllung der übrigen Voraussetzungen des § 35 S. 1 VwVfG unterstellt – nur im Verhältnis zu Ersterem ein (relativer) Verwaltungsakt vor, nicht dagegen auch gegenüber den Letztgenannten. Gegen diese Beurteilung spricht auch nicht etwa der Umstand, dass die Zulässigkeit einer Nachbarklage gegen eine Baugenehmigung nicht daran scheitert, dass die Behörde den Verwaltungsakt regelmäßig nur dem Bauherrn, nicht aber auch dem Nachbarn, bekannt gibt. Denn die Baugenehmigung stellt – und zwar auch in Bezug auf etwaige Nachbarrechte – unmittelbar verbindlich fest, dass das Bauvorhaben mit den öffentlich-rechtlichen Vorschriften vereinbar ist, und gibt die Bauausführung frei, ohne dass es dazu noch eines weiteren behördlichen Aktes bedarf. Insofern ist die Baugenehmigung, selbst wenn sie dem Nachbarn nicht amtlich mitgeteilt wird, auf unmittelbare Rechtswirkung auch ihm gegenüber gerichtet.

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Bedeutsam wird das Kriterium der Außenwirkung v.a. im Rahmen von Sonderrechts- bzw. -statusverhältnissen (Rn. 15), namentlich im Beamtenverhältnis. Weisungen eines Dienstherrn, die an den ihm unterstellten Beamten „allein in seiner Eigenschaft als Amtswalter und Glied der Verwaltung“ gerichtet sind, entfalten ausschließlich verwaltungsinterne Wirkung und können damit nicht als Verwaltungsakt qualifiziert werden (z.B. Weisung des Behördenchefs an den Beamten, die Akten in einer bestimmten Reihenfolge zu bearbeiten). Auf unmittelbare Rechtswirkung nach außen gerichtet sind demgegenüber solche Maßnahmen, die sich auf die Stellung des Beamten „als eine dem Dienstherrn mit selbstständigen Rechten gegenüberstehende Rechtspersönlichkeit“[138] erstrecken (z.B. statusverändernde Rechtsakte wie die Ernennung, Versetzung und Entlassung eines Beamten). Als Leitlinie für die in Grenzfällen mitunter schwierige Unterscheidung zwischen Innen- und Außenwirkung mag die von Carl-Hermann Ule[139] begründete Differenzierung zwischen Grund- und Betriebsverhältnis dienen. Danach entfalten nur solche Regelungen Außenwirkung, die auf die persönliche Rechtsstellung des Betroffenen abzielen (Grundverhältnis; z.B. Statusänderungen wie Ernennung, Versetzung und Entlassung). Innenwirkung haben dagegen solche Regelungen, die den Beamten allein in seiner Eigenschaft als „Rädchen“ innerhalb des Staatsapparats betreffen sollen (Betriebsverhältnis; z.B. Zuweisung eines anderen Dienstpostens [Amt im konkret-funktionellen Sinn] innerhalb derselben Behörde, Umsetzung).

Beispiel[140]

H wurde von der Vollversammlung der IHK in das Amt des Hauptgeschäftsführers berufen. Als bei der IHK im darauffolgenden Jahr eine Umstellung ihres Rechnungslegungssystems von der Kameralistik auf die Doppik anstand, kam es bzgl. des Niveaus der Alterssicherungsansprüche für ihre Mitarbeiter zu unauflösbaren Meinungsverschiedenheiten zwischen H und dem Präsidium der IHK, die letztlich zu einem Vertrauensverlust zwischen dessen Mitgliedern und H führten. Unter dem 14.3. lud der Präsident der IHK daher die Mitglieder der Vollversammlung zu einer Sitzung am 7.4. des Jahres ein. Einziger Tagesordnungspunkt war die Abberufung von H als Hauptgeschäftsführer. In geheimer Abstimmung stimmten die Mitglieder der Vollversammlung mehrheitlich für die sofortige Abberufung des H. Dieses Ergebnis wurde H noch in der Sitzung bekannt gegeben. Kommt der von H hiergegen vor dem Verwaltungsgericht erhobenen Anfechtungsklage gegen die IHK aufschiebende Wirkung zu?

Ja. Der Anfechtungsklage des H kommt gem. § 80 Abs. 1 S. 1 VwGO aufschiebende Wirkung zu. Denn bei der Abberufung handelt es sich um einen Verwaltungsakt i.S.v. § 35 S. 1 VwVfG, so dass die hiergegen erhobene, nicht offensichtlich unzulässige Anfechtungsklage gem. § 80 Abs. 1 S. 1 VwGO Suspensiveffekt entfaltet. Zwar fehlt es an einer ausdrücklichen gesetzlichen Regelung der Frage, in welcher Rechtsform die Abberufung des Hauptgeschäftsführers einer IHK zu geschehen hat und im Zweifel hier erfolgt ist. Doch geht der Bundesgesetzgeber für die vergleichbare Abberufung des Vorstandsmitglieds einer Krankenkasse gem. §§ 35a Abs. 7, 59 Abs. 2 und 3 SGB IV von einem Verwaltungsakt aus. Auch die Entlassung eines Vorstandsmitglieds der Bundesagentur für Arbeit nach § 382 Abs. 3 S. 4 SGB III ist als Verwaltungsakt einzustufen. Der Bundesgesetzgeber befindet sich insoweit in Übereinstimmung mit der überwiegenden Ansicht, dass bei einem Streit um das Recht an einem Amt, d.h. bei einem Streit um das Verbleiben in einem solchen Amt, regelmäßig nicht nur Positionen des Innenrechts betroffen sind, sondern die Abberufung auch unmittelbare Auswirkungen auf die persönliche Rechtsstellung des bisherigen Amtsinhabers hat und es sich dabei deshalb um einen Verwaltungsakt handelt. Dies gilt auch für die vorliegende Fallgestaltung. Denn mit der Abberufung ist zwingend ein Ende der Tätigkeit des H als Hauptgeschäftsführer sowie in Abhängigkeit vom Grund der Abberufung und der individuellen Vertragsgestaltung nach einer mehr oder weniger langen Übergangszeit auch ein Verlust der Vergütung als Hauptgeschäftsführer verbunden, die regelmäßig seine Haupterwerbsquelle darstellen dürfte. Diese Gesichtspunkte gebieten es, der Abberufung unmittelbare und nachhaltige Auswirkungen auf die persönliche Rechtsstellung des Betroffenen beizumessen und damit eine Außenwirkung i.S.d. § 35 S. 1 VwVfG anzuerkennen.

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Zu thematisieren ist die Außenwirkung einer Maßnahme auch im Fall von Weisungen. Während es Weisungen gegenüber einer untergeordneten Behörde an der nach § 35 S. 1 VwVfG erforderlichen Außenwirkung und damit an Verwaltungsaktqualität fehlt, wenn beide Behörden demselben Rechtsträger angehören und die Weisung einer Bundes- gegenüber einer Landesbehörde eine dem Verfassungs- und nicht dem Verwaltungsrecht zuzuordnende Angelegenheit ist, ist bei Maßnahmen der staatlichen Kommunalaufsicht (z.B. gem. §§ 118 ff. GemO BW, Art. 108 ff. bay. GO, §§ 119 ff. GO NRW; Rn. 50) zu differenzieren: Insoweit, als die Kommune – insofern ähnlich wie der Bürger – dem Staat als selbstständige Körperschaft des öffentlichen Rechts gegenübersteht (eigener Wirkungskreis[141]), haben Aufsichtsmaßnahmen (Rechtsaufsicht) der hierfür zuständigen staatlichen Landesbehörde Außenwirkung gegenüber der betreffenden Stadt bzw. Gemeinde. Demgegenüber ist die Rechtsnatur von Aufsichtsmaßnahmen im übertragenen Wirkungskreis[142] (Fachaufsicht) streitig. Teilweise wird die Außenwirkung und damit das Vorliegen eines Verwaltungsakts insoweit verneint, da die Kommune hier nur als „verlängerter Arm“ des Staates – und nicht als Träger von eigenen Rechten und Pflichten – tätig werde. In der Rechtsprechung[143] wird dagegen betont, dass diese Sichtweise nur im Grundsatz zutreffe und ausnahmsweise auch Maßnahmen der Fachaufsicht Außenwirkung und damit Verwaltungsaktqualität zukommt, soweit nämlich der Kommune nach dem materiellen Recht eine durch die kommunale Selbstverwaltungsgarantie des Art. 28 Abs. 2 GG geschützte Rechtsstellung[144] zuerkannt wird.

 

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Eine weitere Fallgruppe, bei der auf das Merkmal der Außenwirkung näher einzugehen ist, ist diejenige des mehrstufigen Verwaltungsakts. Dieser zeichnet sich dadurch aus, dass die Behörde, die den Verwaltungsakt gegenüber dem Bürger letztlich erlässt (Genehmigungsbehörde), zuvor noch aufgrund gesetzlicher Vorschriften verpflichtet ist, die bindende Zustimmung (z.B. § 9 Abs. 2 FStrG) bzw. das Einvernehmen (z.B. § 45 Abs. 1b S. 2 StVO) anderer (Mitwirkungs-)Behörden einzuholen, vgl. auch § 58 Abs. 2 VwVfG. Ist die andere Behörde dagegen bloß anzuhören etc., d.h. ist deren Stellungnahme nicht bindend, so fehlt es insoweit bereits an einer Regelung (Rn. 54 ff.). Die Zustimmung bzw. das Einvernehmen der Mitwirkungsbehörde hat nur dann Außenwirkung gegenüber dem Bürger, wenn diese selbstständig über bestimmte Gesichtspunkte zu entscheiden hat, die von der Genehmigungsbehörde nicht geprüft werden (inkongruente Prüfungskompetenz, z.B. Dispensmöglichkeit der obersten Landesstraßenbaubehörde gem. § 9 Abs. 8 S. 1 FStrG). Ist das Prüfungsprogramm beider Behörden dagegen gleich (kongruente Prüfungskompetenz), so handelt es sich bei der Zustimmung bzw. beim Einvernehmen der Mitwirkungsbehörde um einen rein verwaltungsinternen Vorgang ohne Verwaltungsaktqualität.

Beispiel[145]

Landwirt L stellt bei der zuständigen Baugenehmigungsbehörde B einen Antrag auf Genehmigung der Errichtung eines Holzhauses im Außenbereich (§ 35 BauGB). B legt den Antrag der Gemeinde G, in deren Gebiet das Bauvorhaben stattfinden soll, zur Genehmigung nach § 36 Abs. 1 S. 1 BauGB vor. G verweigert das Einvernehmen, woraufhin B die Erteilung der Baugenehmigung gegenüber L ablehnt. Wäre eine Verpflichtungsklage des L statthaft, mit der er die Verpflichtung von G zur Erteilung des Einvernehmens begehrt?

Die Verpflichtungsklage wäre nach § 42 Abs. 1 Alt. 2 VwGO dann die statthafte Klageart, wenn das Einvernehmen der Gemeinde nach § 36 Abs. 1 S. 1 BauGB als Verwaltungsakt zu qualifizieren ist. Dieser setzt begrifflich u.a. voraus, dass es sich um eine behördliche Maßnahme handelt, die „auf unmittelbare Rechtswirkung nach außen gerichtet“ ist, siehe § 35 S. 1 VwVfG. Eine solche Wirkung kommt dem gemeindlichen Einvernehmen nach § 36 Abs. 1 S. 1 BauGB jedoch nicht zu. Denn mit der (Nicht-)Erteilung des Einvernehmens im Baugenehmigungsverfahren regelt die Gemeinde nicht selbst die Rechtsbeziehungen zum Betroffenen bzw. hinsichtlich einer Sache. Dies folgt bereits aus dem Wortlaut von § 36 Abs. 1 S. 1 BauGB, wonach über die Zulässigkeit von Vorhaben nach den §§ 31, 33 bis 35 BauGB im bauaufsichtlichen Verfahren „von der Baugenehmigungsbehörde im Einvernehmen mit der Gemeinde entschieden“ wird. Hiernach trifft also nicht die Gemeinde, sondern vielmehr die Baugenehmigungsbehörde die Entscheidung, ob das Vorhaben mit dem geltenden öffentlichen Recht übereinstimmt oder nicht. Die Gemeinde wirkt lediglich verwaltungsintern, nämlich im Baugenehmigungsverfahren, mit. Äußert folglich erst die das Baugenehmigungsverfahren abschließende Entscheidung der Baugenehmigungsbehörde Rechtswirkungen gegenüber dem Bauwilligen, so fehlt es dem gemeindlichen Einvernehmen nach § 36 Abs. 1 S. 1 BauGB an der für einen Verwaltungsakt konstitutiven unmittelbaren Außenwirkung. Eine Klage des L nach § 42 Abs. 1 Alt. 2 VwGO, gerichtet auf Verpflichtung der G zur Erteilung des Einvernehmens, wäre also nicht statthaft.

Hinweis

Im vorgenannten Beispielsfall wäre auch eine allgemeine Leistungsklage von L gegen G, gerichtet auf Erteilung des Einvernehmens nach § 36 Abs. 1 S. 1 BauGB, mangels Klagebefugnis/Rechtsschutzbedürfnis bzw. wegen § 44a VwGO (str.) unzulässig. Vielmehr müsste L Verpflichtungsklage gegen B auf Erteilung der Baugenehmigung erheben. Hierbei prüft das Verwaltungsgericht inzidenter, ob die Verweigerung des Einvernehmens durch G nach § 36 Abs. 1 S. 1 BauGB rechtmäßig war. Ist dies nicht der Fall, so verurteilt das Gericht B zur Erteilung der Baugenehmigung. Das fehlende gemeindliche Einvernehmen wird durch das Urteil ersetzt. Gem. § 36 Abs. 2 S. 3 BauGB kann ein rechtswidrig versagtes Einvernehmen der Gemeinde auch schon im Genehmigungsverfahren durch die zuständige Landesbehörde ersetzt werden.

2. Übungsfall Nr. 1[146]

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„Lebensgefahr im Sauerland“

Auf dem 23 Meter langen und 7 Meter breiten, wegen seiner zahlreichen Felszerklüftungen sowie besonders starken Strömung als „Teufelsrohr“ bekannten Teilabschnitt eines Wildflusses im Sauerland ist es in der Vergangenheit vermehrt zu tödlichen Unfällen insbesondere von weniger erfahrenen Kanuten gekommen. Daher erließ die zuständige nordrhein-westfälische Behörde am 19.5.2017 eine „Anordnung“, die das Befahren dieses Flusses im Bereich des „Teufelsrohrs“ mit Wasserfahrzeugen jeglicher Art („Gemeingebrauch“) vorbehaltlich der Erteilung einer Ausnahmegenehmigung im Einzelfall untersagt. Auf eine Rechtsbehelfsmöglichkeit wurde in der ordnungsgemäßen Veröffentlichung hingewiesen.

Kanut K, der als solcher bereits in mehr als 3000 Stunden Wildwasserfahrten u.a. in Neuseeland, den USA und Großbritannien unternommen hat, betätigt sich nach Feierabend und an den Wochenenden auf dem o.g. Wildfluss. Ohne den Wellenritt im „Teufelsrohr“ hält K eine Kanufahrt dort jedoch für uninteressant. Deshalb beantragte er am 19.8.2017 eine Ausnahmegenehmigung, welche ihm aufgrund seiner Erfahrung auch erteilt wurde.

Trotz der Anordnung vom 19.5.2017 ist die Zahl der Todesfälle im Bereich des „Teufelsrohrs“ allerdings nicht zurückgegangen, weshalb die zuständige Behörde durch „Änderung und Neufassung der Anordnung vom 19.5.2017“ den Bereich des Verbots auf 10 Meter vor dem „Teufelsrohr“ erweiterte. Mit der Einrichtung dieser „Sicherheitszone“ soll den ungeübten und damit besonders gefährdeten Kanuten mehr Zeit zum sicheren Anlegen am Ufer verschafft werden.

Gegen diese ebenfalls ordnungsgemäß und mit einer Rechtsbehelfsbelehrung veröffentlichte „Anordnung“ vom 21.3.2019 erhebt K nunmehr fristgerecht Klage vor dem zuständigen Verwaltungsgericht. Ist die Klage zulässig?

Bearbeitervermerk: Es ist davon auszugehen, dass in Bezug auf den vorliegenden Fall weder das Landes- noch das Bundes- oder das EU-Recht die Durchführung eines Vorverfahrens vorschreibt. § 19 Abs. 1 S. 1 LWG NRW lautet: „Jede Person darf natürliche oberirdische Gewässer zum […] Befahren mit kleinen Fahrzeugen ohne eigene Triebkraft benutzen […]“.


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Lösung

Die Klage ist zulässig, wenn die Sachentscheidungsvorrausetzungen der §§ 40 ff. VwGO vorliegen.[147]

I. Eröffnung des Verwaltungsrechtswegs

In Ermangelung einer aufdrängenden Sonderzuweisung könnte der Verwaltungsrechtsweg hier gem. § 40 Abs. 1 S. 1 VwGO eröffnet sein. Die danach erforderliche öffentlich-rechtliche Streitigkeit liegt dann vor, wenn die streitentscheidende Norm dem öffentlichen Recht angehört. Das ist der Fall, wenn durch diese ausschließlich ein Träger hoheitlicher Gewalt berechtigt oder verpflichtet wird (modifizierte Subjekts- bzw. Sonderrechtstheorie), was wiederum dann zu bejahen ist, wenn sich die Parteien in einem hoheitlichen Über- und Unterordnungsverhältnis namentlich im Bereich der klassischen Eingriffsverwaltung gegenüberstehen.[148] Hier hat die Behörde durch Anordnung vom 21.3.2019 ein Verbot erlassen, welches das Befahren des Flusses 10 Meter vor dem „Teufelsrohr“ untersagt. Somit handelt es sich bei der Anordnung um einen typischen Fall obrigkeitlichen Handelns auf dem Gebiet der Gefahrenabwehr, dessen Normen ausschließlich Träger hoheitlicher Gewalt berechtigen, vgl. § 1 Abs. 2 OBG NW. Folglich liegt eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit vor. Diese ist ebenfalls nichtverfassungsrechtlicher Art, so dass mangels abdrängender Sonderzuweisung der Verwaltungsrechtsweg hier gem. § 40 Abs. 1 S. 1 VwGO eröffnet ist.

II. Statthafte Klageart

Die statthafte Klageart richtet sich nach dem Begehren des Klägers, vgl. § 88 VwGO. Vorliegend wendet sich K gegen die Anordnung vom 21.3.2019 und verfolgt vor dem Verwaltungsgericht das Ziel, das Verbot, in der „Sicherheitszone“ 10 Meter vor dem „Teufelsrohr“ nicht mit seinem Kanu fahren zu dürfen, aufheben zu lassen.

Demnach kommt hier als statthafte Klageart die Anfechtungsklage gem. § 42 Abs. 1 Alt. 1 VwGO in Betracht. Dann müsste es sich bei der Anordnung vom 21.3.2019 um einen Verwaltungsakt i.S.v. § 35 VwVfG(NRW)[149], d.h. eine hoheitliche Maßnahme einer Behörde zur Regelung eines Einzelfalls auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts mit unmittelbarer Rechtswirkung nach außen, handeln.

Bedenken am Vorliegen dieser Merkmale bestehen hier allein im Hinblick auf das Kriterium „Einzelfall“. Denn die Behörde ist vorliegend gerade nicht „zur Regelung eines Einzelfalls“ im Sinne des Erlasses einer individuellen Maßnahme tätig geworden, sondern wollte vielmehr allen Wasserfahrzeugführern das Befahren des Flusses in der „Sicherheitszone“ verbieten (generelle Regelung). Daher kann hier ein Verwaltungsakt allenfalls in Form einer den Gemeingebrauch des § 19 Abs. 1 S. 1 LWG einschränkenden benutzungsregelnden Allgemeinverfügung nach § 35 S. 2 Var. 3 VwVfG(NRW) vorliegen. Andererseits könnte es sich in Anbetracht der generellen Regelung der Anordnung allerdings auch um eine ordnungsbehördliche (Rechts-)Verordnung handeln. Gegen diese besteht in Nordrhein-Westfalen gem. § 109a JustG NRW i.V.m. § 47 Abs. 1 Nr. 2 VwGO Rechtsschutz, sofern sie – wie hier – ab dem 1.1.2019 bekannt gemacht worden ist, siehe § 133 Abs. 3 S. 2 JustG NRW.

 

Für das sich hieraus ergebende Problem der Abgrenzung der Allgemeinverfügung von der Rechtsverordnung ist vorrangig darauf abzustellen, in welcher Form die Behörde tatsächlich gehandelt hat, nicht dagegen, wie sie nach dem Gesetz hätte handeln müssen. Allerdings kommt der gesetzlich vorgesehenen Handlungsform insoweit Indizwirkung zu, als im Zweifel davon auszugehen ist, dass der betreffende Hoheitsträger rechtmäßig handeln wollte. Ausdrücklich wurden die Begriffe „Verwaltungsakt“/„Allgemeinverfügung“ bzw. „ordnungsbehördliche Verordnung“ hier von der Behörde nicht verwendet. Vielmehr benutzte diese den unspezifischen Ausdruck „Anordnung“. Der Hinweis auf die ordnungsgemäße „Veröffentlichung“ lässt ebenfalls keine Rückschlüsse auf die Rechtsform der „Anordnung“ zu, da Verwaltungsakte „bekannt gegeben“ (§ 41 VwVfG NRW) und ordnungsbehördliche Verordnungen „verkündet“ (§ 33 Abs. 1 OBG NRW) werden. Ein Indiz für einen Verwaltungsakt könnte jedoch darin zu sehen sein, dass die „Anordnung“ mit einer Rechtsbehelfsbelehrung versehen worden ist. Gem. § 37 Abs. 6 VwVfG NRW ist dies nur bei einem Verwaltungsakt rechtserheblich, vgl. auch § 58 VwGO. Zudem wäre angesichts der Bezeichnung als „Anordnung“ eine ordnungsbehördliche Verordnung wegen Verstoßes gegen die Formvorschrift des § 30 Nr. 2 OBG NRW auch formell rechtswidrig. Dies würde in Anbetracht der Vermutung für einen Willen der Behörde zum rechtmäßigen Handeln gegen die Wahl dieser Rechtsform sprechen. Insgesamt betrachtet bleiben allein die formellen Kriterien hier allerdings eher schwach und lassen somit keinen zwingenden Schluss auf eine bestimmte Handlungsform der Behörde zu. Daher ist auf den materiellen Gehalt der Maßnahme abzustellen.

Da sowohl die Allgemeinverfügung als auch die Rechtsverordnung jeweils einen von vornherein nicht feststehenden Personenkreis erfasst (vgl. § 35 S. 2 Var. 3 VwVfG[NRW]: „Allgemeinheit“; § 25 S. 1 OBG NRW: „an eine unbestimmte Anzahl von Personen“), kommt der „Konkretheit“ der Maßnahme die Funktion der Abgrenzung zwischen beiden Handlungsformen zu. Wird lediglich ein bestimmter Sachverhalt geregelt, so handelt es sich um eine Allgemeinverfügung. Ist dagegen „eine unbestimmte Anzahl von Fällen“ Gegenstand der behördlichen Maßnahme, so handelt es sich gem. § 25 S. 1 OBG NRW um eine Rechtsverordnung. Ob ein bestimmter Sachverhalt geregelt wird, richtet sich neben der zeitlichen insbesondere nach der örtlichen Begrenzung der Regelung. Die bei einer benutzungsregelnden Allgemeinverfügung durch den Bezug zu einer Sache hergestellte Konkretheit ist zu bejahen, wenn – wie etwa bei Verkehrszeichen – nur eine räumlich begrenzte Situation geregelt werden soll. Hingegen fehlt die Konkretheit, wenn es sich um eine abstrakte Anordnung für einen größeren räumlichen Bereich handelt. Die Übergänge hierbei sind allerdings fließend. Für den auch hier relevanten Fall der Beschränkung des Gemeingebrauchs an einem öffentlichen Gewässer hat die Rechtsprechung[150] eine Allgemeinverfügung unter der Voraussetzung bejaht, dass es sich um ein „kleines, überschaubares Gewässer handelt[e], so dass für die gesamte Wasserfläche im Wesentlichen die gleichen Erwägungen“ das betreffende Verbot tragen. Dies wurde beispielsweise bei der Erweiterung eines Tauchverbots von ursprünglich 300 auf 500 Meter an einer bestimmten Stelle im Bodensee angenommen.[151]

Vorliegend hat die Behörde durch die Anordnung vom 21.3.2019 nicht abstrakt-generell das Kanufahren auf dem gesamten Wildfluss verboten, sondern nur im Bereich 10 Meter vor dem „Teufelsrohr“, mithin an einer bestimmten, eng umgrenzten Stelle, um eine dort bestehende besondere Gefahrensituation zu regeln. Nicht der gesamte Fluss mit seinen unterschiedlichen örtlichen Verhältnissen, sondern lediglich die 10 Meter lange „Sicherheitszone“ vor dem „Teufelsrohr“ als einzelne Sache bildet folglich den Regelungsgegenstand der „Anordnung“.

Damit handelt es sich bei dieser um einen Verwaltungsakt in Form einer benutzungsregelnden Allgemeinverfügung i.S.v. § 35 S. 2 Var. 3 VwVfG(NRW). Also ist vorliegend die Anfechtungsklage nach § 42 Abs. 1 Alt. 1 VwGO die statthafte Klageart.

Im Wege dieser Anfechtungsklage kann K eine Aufhebung des Verwaltungsakts vom 21.3.2019 allerdings nur insoweit verlangen, als durch diesen das Fahrverbot auf die „Sicherheitszone“ 10 Meter vor dem „Teufelsrohr“ ausgedehnt wird. Das ebenfalls im Wege der benutzungsregelnden Allgemeinverfügung gem. § 35 S. 2 Var. 3 VwVfG(NRW) bzgl. des „Teufelsrohrs“ angeordnete Verbot vom 19.5.2017 – die vorstehenden Ausführungen zur Rechtsnatur der Anordnung vom 21.3.2019 gelten insoweit entsprechend – ist zum jetzigen Zeitpunkt dagegen nach § 74 Abs. 1 S. 2 VwGO[152] i.V.m. § 41 Abs. 3 S. 2, Abs. 4 VwVfG NRW bereits bestandskräftig und damit unanfechtbar.

Abweichendes würde nur dann gelten, wenn die Behörde durch die „Änderung und Neufassung der Anordnung vom 19.5.2017“ das ursprüngliche Verbot nicht bloß räumlich ausdehnen, sondern vielmehr neu erlassen wollte. Hierfür müsste die Allgemeinverfügung vom 21.3.2019 allerdings auch in Bezug auf das „Teufelsrohr“ eine selbständige Rechtsfolge setzen (vgl. § 35 S. 1 VwVfG[NRW]: „zur Regelung“), es sich dabei also insoweit um einen (anfechtbaren) „Zweitbescheid“ und nicht lediglich um eine (unanfechtbare) „wiederholende Verfügung“ handeln, die bloß auf den Inhalt eines früheren Verwaltungsakts verweist. Anlass für die Anordnung vom 21.3.2019 war, dass sich trotz des Fahrverbots im „Teufelsrohr“ weitere Todesfälle in diesem Flussabschnitt zugetragen hatten, d.h. die anfängliche Verbotszone sich als zu kurz erwiesen hat. Dementsprechend hat die Behörde ebenfalls in der vorgelagerten „Sicherheitszone“ das Befahren des Gewässers untersagt. Das ursprüngliche Verbot selbst wurde inhaltlich dagegen nicht abgeändert. Dass dieses von der Behörde gleichwohl neu gefasst worden ist („Änderung und Neufassung der Anordnung vom 19.5.2017“) findet augenscheinlich allein darin seinen Grund, dass die Bekanntgabe lediglich der Ausdehnung des Verbots aus sich heraus nicht leicht verständlich wäre. Folglich wird durch die Anordnung vom 21.3.2019 hinsichtlich des „Teufelsrohrs“ keine eigenständige Rechtsfolge gesetzt, d.h. stellt diese insoweit mangels Regelungscharakter keinen neuen Verwaltungsakt, sondern lediglich eine rein wiederholende Verfügung dar. Damit bleibt es bei dem Ergebnis, dass das Fahrverbot im „Teufelsrohr“ von K im Wege der Anfechtungsklage nicht mehr angegriffen werden kann.