Allgemeines Verwaltungsrecht

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d) Rechtsnachfolge

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Tritt während eines anhängigen Verwaltungsverfahrens eine Gesamt- (Universalsukzession, z.B. Erbfall, § 1922 Abs. 1 BGB; Firmenübernahmen, § 25 HGB; Verschmelzung, § 2 UmwG) oder Einzelrechtsnachfolge (Singularsukzession, z.B. §§ 398, 873 Abs. 1, 929 BGB)[45] auf Seiten des Beteiligten ein, so richten sich die diesbezüglichen Rechtsfolgen mangels Regelung im VwVfG nach dem jeweiligen Fachrecht (z.B. § 4 Abs. 3 BBodSchG, § 3 LVwVG BW, § 58 Abs. 3 BauO NRW 2018) bzw. subsidiär nach allgemeinen Rechtsgrundsätzen. Danach ist Voraussetzung für die Annahme einer Rechtsnachfolge in eine öffentlich-rechtliche Rechts- und Pflichtenposition




Rechtsnachfolge meint den abgeleiteten (derivativen) Rechts- und Pflichtenübergang von einer natürlichen oder juristischen Person auf eine von ihr verschiedene andere Rechtsperson.[52] M.a.W.: Substitution des Rechtssubjekts bei Kontinuität des Rechtsobjekts.[53]

Sind diese Voraussetzungen erfüllt, so hat dies – vorbehaltlich abweichender gesetzlicher Regelungen – im Fall der Gesamtrechtsnachfolge analog § 239 Abs. 2 ZPO zur Konsequenz, dass der Rechtsnachfolger automatisch in das Verwaltungsverfahren in demjenigen Stadium eintritt, in dem es sich bei Eintritt der Gesamtrechtsnachfolge befindet. Im Fall der Einzelrechtsnachfolge sind die Rechtsfolgen dagegen umstritten (automatische Rechtsnachfolge oder Ermessensentscheidung der Behörde, das Verfahren mit dem Rechtsnachfolger fortzuführen/einzustellen).[54] Findet eine Rechtsnachfolge im vorgenannten Sinn dagegen nicht statt, so ist das bisherige Verwaltungsverfahren erledigt und muss ggf. in Bezug auf einen neuen Beteiligten von vorne beginnen.

Beispiel[55]

E betreibt eine Nährmittelfabrik, in der er sich hauptsächlich mit der Abfüllung importierten Honigs befasst. Auf einer Parzelle des Betriebsgrundstücks errichtete E ein Betriebsgebäude, das von der zuständigen nordrhein-westfälischen Behörde B widerruflich genehmigt wurde. Später erklärte B gegenüber E den Widerruf der Baugenehmigung und erließ eine Beseitigungsanordnung. Der hiergegen erhobene Widerspruch des E blieb ebenso erfolglos wie die nachfolgende Anfechtungsklage vor dem VG. Auch im Berufungsverfahren vor dem OVG hatte E nur teilweisen Erfolg. Während des Revisionsverfahrens vor dem BVerwG verstarb E und wurde von seiner Ehefrau F beerbt. Daraufhin vertritt B nunmehr die Rechtsansicht, mit dem Tod des E habe sich die Hauptsache erledigt und die Klage sei mangels Rechtsschutzbedürfnisses der F unzulässig. Zu Recht?

Nein. Das Rechtsschutzbedürfnis ist nicht deswegen weggefallen, weil die gegen E erlassene, mit dem Widerruf der Baugenehmigung verbundene Beseitigungsanordnung nicht gegen F als die (Gesamt-)Rechtsnachfolgerin des E wirken würde. Vielmehr entfaltet die Beseitigungsanordnung auch F gegenüber Wirkung mit der Folge, dass diese Anordnung die Grundlage für eine Verwaltungsvollstreckung gegen F darstellen kann. Die gegen den Eigentümer erlassene Anordnung der Beseitigung eines Bauwerks wirkt – jedenfalls grundsätzlich und insbesondere im Fall der Gesamtrechtsnachfolge – gegen den Rechtsnachfolger. Die Gegenmeinung, die entscheidend auf den höchstpersönlichen Charakter der aus dem öffentlichen Recht fließenden Rechte und Pflichten abstellt und daraus herleitet, dass die Haftung dessen, der für den baurechtmäßigen Zustand seines Grundstücks einzustehen hat, als höchstpersönlich angesehen werden müsse, vermag nicht zu überzeugen. Zwar ist es richtig, dass nicht die Sache (das Grundstück) selbst, sondern der Eigentümer oder Gewaltinhaber polizeipflichtig ist. Doch der Schluss aus dieser Feststellung auf den höchstpersönlichen Charakter der Zustandshaftung des Grundstückseigentümers stellt nicht genügend in Rechnung, dass die eine Polizeipflicht konkretisierende baupolizeiliche Verfügung grundstücksbezogen ist und gerade aus dieser Tatsache ihrer „Dinglichkeit“ ihr besonderes Gepräge erhält. Diese Sichtweise wird bestätigt durch die Vorschrift des § 75 Abs. 3 BauO NRW a.F. (nunmehr vgl. § 58 Abs. 3 BauO NRW 2018), die ausspricht, dass die Baugenehmigung auch gegen den Rechtsnachfolger wirkt. Dies hängt damit zusammen, dass Baugenehmigungsverfahren und Baugenehmigung regelmäßig auf das Vorhaben und nicht auf die Person des Eigentümers abstellen. Gleiches gilt für die eine Zustandshaftung konkretisierende Beseitigungsanordnung. Dabei wird nicht übersehen, dass Widerruf und Beseitigungsanordnung regelmäßig im Ermessen der Behörde stehen. Es mag daher – jedenfalls im Fall der Einzelrechtsnachfolge – durchaus denkbar sein, dass die Behörde dem Rechtsnachfolger gegenüber aus in dessen Person liegenden Gründen von einer Beseitigungsanordnung absehen würde. Härten, die sich dabei etwa ergeben sollten, lassen sich jedoch noch im Vollstreckungsverfahren ausgleichen. Für diese Auffassung sprechen nicht zuletzt praktische Erwägungen. Überlegungen der Praktikabilität sind durchaus zulässige Auslegungsgesichtspunkte. Es kann keinem Zweifel unterliegen, dass es nicht nur für die Praxis der Verwaltungsbehörden, sondern auch für die Verwirklichung des Rechtsstaats unbefriedigend sein müsste, wenn rechtmäßige und sogar durch evtl. mehrere Gerichtsinstanzen als rechtmäßig bestätigte Beseitigungsanordnungen nur deswegen nicht sollten durchgesetzt werden dürfen, weil ein – möglicherweise nur vorgeschobener – Eigentumswechsel herbeigeführt worden ist. Das kann – in durchaus nicht nur seltenen Fällen – zur Folge haben, dass die Verwirklichung des Rechts praktisch auf Dauer verhindert wird. Dieses unbefriedigende Ergebnis verkennen letztlich auch die Vertreter der Gegenmeinung nicht. Ihr Ruf nach dem Gesetzgeber, den sie zur Beseitigung dieser Missstände erheben, übersieht jedoch, dass nach dem Vorstehenden bereits das geltende Recht die Möglichkeit gibt, zu angemessenen Ergebnissen zu gelangen. Aus alledem folgt, dass das Rechtsschutzbedürfnis der F wegen des Eintritts der Rechtsnachfolge nicht entfallen ist.

5. Einzelne Verfahrensgrundsätze

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Der Ablauf des Verwaltungsverfahrens (Rn. 150 ff.) ist im Regelfall des § 10 S. 1 Hs. 1 VwVfG an keine bestimmte Form gebunden. Vielmehr ist es im öffentlichen Interesse an Beschleunigung und Kostenersparnis „einfach, zweckmäßig und zügig“ durchzuführen, siehe § 10 S. 2 VwVfG.[56] Trotz dieser relativ großen Flexibilität, welche der Behörde damit eingeräumt wird, darf sie ihr Verfahrensermessen nicht beliebig (willkürlich) ausüben. Vielmehr hat sie qua Verfassungsrecht (v.a. Rechtsstaatsprinzip und Grundrechte) gewisse Mindestanforderungen zu beachten, welche sich in den nachfolgend näher dargestellten Vorschriften widerspiegeln (Rn. 150).

a) Verfahrensbeginn

168

 

Sofern die Behörde nicht auf Grund von speziellen Rechtsvorschriften (z.B. § 15 Abs. 1, 2 GastG, § 35 Abs. 1 S. 1 GewO) von Amts wegen (Offizialprinzip[57]) oder auf Antrag (z.B. §§ 8 ff. BImSchG; § 70 BauO NRW 2018) hin tätig werden „muss“ (Legalitätsprinzip) oder nur auf Antrag tätig werden „darf“ und ein Antrag nicht vorliegt (Dispositionsgrundsatz), entscheidet sie gem. § 22 S. 1 VwVfG (vgl. auch § 86 S. 1 AO, § 18 S. 1 SGB X) nach „pflichtgemäßem Ermessen“, ob und wann sie – in deutscher Sprache (§ 23 Abs. 1 VwVfG, vgl. auch § 87 Abs. 1 AO, § 19 Abs. 1 S. 1 SGB X)[58] – ein Verwaltungsverfahren durchführt (Opportunitätsprinzip). Das Offizialprinzip gilt typischerweise in solchen Rechtsbereichen, die primär der Verwirklichung des öffentlichen Interesses dienen. Hingegen greift das Dispositionsprinzip, wenn der Anlass für die Eröffnung des Verwaltungsverfahrens vornehmlich im Schutz der Interessen des Einzelnen besteht. Zudem gibt es Rechtsbereiche, in denen beide Prinzipien parallel nebeneinander existieren, d.h. die Behörde muss auf Antrag, kann aber auch von selbst tätig werden. Neben den im Gesetz ausdrücklich geregelten Fällen (z.B. § 10 Abs. 1 S. 1 HwO) gehören hierzu etwa das Baurecht (Recht des Nachbarn auf Einschreiten der Behörde gegen einen ihn gefährdenden bauordnungswidrigen Zustand auf einem fremden Grundstück) sowie das Polizei- und Ordnungsrecht (Recht des Bürgers auf ermessensfehlerfreie Entscheidung über das Einschreiten gegen das polizei-/ordnungswidrige Verhalten einer dritten Person, das seine Rechte beeinträchtigt).

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Der Begriff Antrag meint ein Verhalten, in dem der Antragsteller in einer für die Behörde erkennbaren Weise seinen Willen zum Ausdruck bringt, definitiv eine Bescheidung eines bestimmten Begehrens zu erstreben.[59]

Ein solcher Antrag, der vorbehaltlich anderweitiger gesetzlicher Anordnung formlos und ohne Begründung erfolgen kann, jedoch bei der zuständigen Behörde (Rn. 140 ff.) gestellt werden muss,[60] ist abzugrenzen von der bloßen Anregung, die darauf abzielt, die Behörde zum Einschreiten von Amts wegen zu veranlassen. Inhaltlich kommt der Willenserklärung „Antrag“ (die §§ 133, 157 BGB gelten analog) regelmäßig eine Doppelnatur zu – zum einen als Verfahrenshandlung, zum anderen als materiell-rechtliche Voraussetzung nach dem jeweils einschlägigen Fachrecht. Durch ihn wird der Gegenstand des Verwaltungsverfahrens festgelegt. Im Grundsatz sind Anträge in der Reihenfolge ihres Eingangs bei der Behörde zu bearbeiten (Prioritätsprinzip; Ausnahmen: Eilbedürftigkeit, Auswahlentscheidungen, vgl. Übungsfall Nr. 3). Entsprechend der im Verwaltungsprozess geltenden Grundsätze[61] können auch im Verwaltungsverfahren Anträge zwar hilfsweise (u.U. auch alternativ), nicht jedoch bedingt gestellt werden, und muss der Antragsteller antragsbefugt (§ 42 Abs. 2 VwGO analog) sowie rechtsschutzbedürftig sein. Das Antragsrecht kann ausgeschlossen sein, wenn etwaig bestehende Fristen abgelaufen sind (evtl. aber Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand gem. § 32 VwVfG) oder der Antragsteller auf sein Antragsrecht wirksam verzichtet bzw. dieses verwirkt hat (§ 242 BGB analog). Bis zum Ergehen der behördlichen Entscheidung können Anträge regelmäßig geändert und zurückgenommen werden, sofern sich Abweichendes nicht aus dem Gesetz oder der Natur der Sache ergibt.[62]

170

Erlässt die Behörde einen Verwaltungsakt, der von der Stellung eines Antrags durch den Beteiligten abhängig ist, und weicht der Inhalt dieses Verwaltungsakts von dem gestellten Antrag ab, so stellt dies eine (Teil-)Ablehnung des begehrten Verwaltungsakts, verbunden mit dem Erlass eines (teilweise) anderen Verwaltungsakts, dar. Dieser ist bei (konkludenter) Zustimmung des Antragstellers rechtmäßig, siehe § 45 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG (Rn. 197).

b) Ausgeschlossene Personen

171

Damit das Verwaltungsverfahren (Rn. 150 ff.) zugunsten der optimalen Aufgabenerfüllung durch die Behörde und des Rechtsschutzes des Bürgers von etwaigen sachfremden Einflüssen seitens der mit der Verfahrensdurchführung befassten Amtswalter freigehalten und damit auch insoweit ein rechtsstaatlich einwandfreies Verfahren bar von jeder Parteilichkeit gewährleistet wird, sind die in § 20 Abs. 1 VwVfG genannten Personen unmittelbar kraft Gesetzes von der Tätigkeit im konkreten Verwaltungsverfahren auf Seiten der Behörde ausgeschlossen (Rn. 172).[63] Um über die in § 20 Abs. 1 VwVfG abschließend typisierten Fälle von gesetzlich unwiderlegbar vermuteten Interessenskonflikten hinaus auch ansonsten bereits den „bösen Schein“ der Befangenheit zu verhindern, sieht der gegenüber § 20 Abs. 1 VwVfG als allgemeiner Auffangtatbestand fungierende § 21 VwVfG (Rn. 173) den Ausschluss einer Person vom Verfahren auf Seiten der Behörde durch konstitutiv wirkenden Behördenleiterbeschluss vor; vgl. auch § 18 GemO BW, Art. 49 bay. GO, § 31 GO NRW.

172

Das Vorliegen eines Ausschlussgrunds nach § 20 Abs. 1 VwVfG (vgl. auch § 82 AO, § 16 SGB X) ist von Amts wegen zu berücksichtigen. Ein förmliches Recht der Verfahrensbeteiligten auf Ablehnung eines Amtsträgers wegen Befangenheit sehen die §§ 20 Abs. 1, 21 VwVfG dagegen nicht vor; ein Anspruch auf Einsatz eines unbefangenen Amtsträgers besteht nicht. Vielmehr müssen die Verfahrensbeteiligten umgekehrt solche Befangenheits-/Ablehnungsgründe, die nur ihnen – nicht aber auch der Behörde – bekannt sind, aufgrund von § 26 Abs. 2 VwVfG unverzüglich geltend machen, um das Recht zur späteren Rüge einer Verletzung des § 20 Abs. 1 bzw. § 21 VwVfG nicht zu verlieren. Andernfalls nämlich hätten es die Beteiligten in der Hand, den Vortrag von Ausschlussgründen vom Ergebnis der behördlichen Endentscheidung abhängig zu machen. Ein Recht des Amtsträgers auf Selbstablehnung wird zum Teil unter Hinweis auf dessen Persönlichkeitsrecht sowie den in Rn. 171 genannten Sinn und Zweck von § 20 Abs. 1 VwVfG bejaht. Aus diesem folgt zugleich, dass § 20 Abs. 1 VwVfG nur solche Mitwirkungshandlungen erfasst, die Einfluss auf den Verfahrensverlauf und/oder dessen Ergebnis haben können, nicht jedoch rein passives Verhalten sowie neutrale (Boten-/Fahrer-/Schreib-/Zustellungs-)Tätigkeiten. Ein i.S.v. § 20 Abs. 1 S. 2 VwVfG „durch“ die Tätigkeit bzw. Entscheidung erlangter „Vorteil oder Nachteil“ kann sowohl rechtlicher als auch wirtschaftlicher, immaterieller oder sonstiger Natur sein. Aufgrund dieses recht weiten Begriffsverständnisses verlangt das Gesetz insoweit zudem noch korrigierend nach einem „Unmittelbarkeits“-Zusammenhang zwischen der Tätigkeit/Entscheidung und dem Vor-/Nachteil. Dieser liegt vor, wenn aufgrund der Umstände des Einzelfalls bei wertender Betrachtung aus der Sicht eines gerecht und billig Denkenden in Anbetracht des Vor-/Nachteils die Unparteilichkeit des Handelns nicht mehr als ausreichend gewährleistet erscheint. Ein bloßer Gruppenvorteil bzw. -nachteil ist dagegen nach § 20 Abs. 1 S. 3 VwVfG unschädlich.

Beispiel[64]

Die nordrhein-westfälische Behörde B widerrief die dem Landwirt L unter Widerrufsvorbehalt erteilte Nachtbetriebsgenehmigung für eine Windkraftanlage, nachdem Immissionsmessungen auf einem benachbarten Grundstück eine Überschreitung der nach der Genehmigung dort maximal zulässigen Lärmwerte ergeben hatten. L meint, das dem Widerruf vorangegangene Verwaltungsverfahren sei rechtswidrig verlaufen, da – was sachlich zutreffend ist – die Mitarbeiter des insoweit zuständigen Landesumweltamts zur Durchführung der der Aufhebungsentscheidung zu Grunde liegenden 8 jeweils 15-minütigen Geräuschmessungen auf dem Grundstück der Nachbarn von L eine Geräuschmessstation aufgebaut und die Nachbarn des L durch Aushändigung eines Schlüssels in die Lage versetzt hatten, durch Inbetriebnahme des Aufzeichnungsgeräts jeweils die Registrierung der von der Windkraftanlage ausgehenden Geräusche zu starten. Trifft diese Rechtsansicht des L zu, wenn dessen Nachbarn seit Jahren eine Klage vor dem Verwaltungsgericht führen, um die Aufhebung der für die Windkraftanlage des L erteilten Baugenehmigung zu erreichen?

Ja. Das dem Widerruf vorangegangene Verwaltungsverfahren zur Ermittlung der Entscheidungsgrundlagen ist, soweit bei der Messung der von der umstrittenen Windkraftanlage verursachten Immissionswerte die Nachbarn beteiligt waren, wegen eines Verstoßes gegen § 20 Abs. 1 S. 2 VwVfG NRW rechtsfehlerhaft. Nach dieser Vorschrift darf in einem Verwaltungsverfahren für eine Behörde nicht tätig werden, wer durch die Tätigkeit einen unmittelbaren Vorteil oder Nachteil erlangen kann. Als Ausprägung des Grundsatzes eines fairen Verfahrens fordert § 20 Abs. 1 VwVfG NRW den Ausschluss jeglicher Mitwirkung durch Beteiligte und andere Personen, bei denen nach den maßgeblichen Umständen des konkreten Falls eine Unparteilichkeit des Handelns nicht gewährleistet ist. Untersagt sind nach § 20 Abs. 1 VwVfG NRW alle Handlungen, durch die die in der Vorschrift bezeichneten Personen Einfluss auf die Behördenentscheidung nehmen können. Diese Grundsätze hat B nicht beachtet. Die Erhebung der Messdaten durch das Landesumweltamt war Teil des Verwaltungsverfahrens, das mit dem Erlass des Widerrufsbescheids seinen Abschluss gefunden hat. Die Datenerhebung erfolgte auf Veranlassung der für die Anlagenüberwachung zuständigen Behörde B und stellte sich definitionsgemäß als eine i.S.v. § 9 VwVfG NRW nach außen wirkende Tätigkeit einer Behörde dar, die auf die Prüfung der Voraussetzungen, die Vorbereitung und den Erlass eines Verwaltungsakts gerichtet war. In diesem Verfahren sind die Nachbarn des L für das Landesumweltamt und damit letztlich auch für B tätig geworden, obwohl ihre Unparteilichkeit, die § 20 Abs. 1 VwVfG NRW für alle am Verwaltungsverfahren Beteiligten sicherstellen soll, nicht gewährleistet war. Sie führen seit Jahren eine Anfechtungsklage gegen die dem L für die fragliche Windkraftanlage erteilte Baugenehmigung. Mit dem hier in Rede stehenden Widerruf der Nachtbetriebsgenehmigung wäre dieses Ziel bereits teilweise verwirklicht. Es stand mithin von vornherein fest, dass mit der das Verwaltungsverfahren abschließenden Entscheidung für die Nachbarn des L ein unmittelbarer Vorteil verbunden sein konnte, der sich schließlich auch realisiert hat.

 

Das Mitwirkungsverbot des § 20 Abs. 1 VwVfG NRW betrifft nicht nur die für die Behörde tätigen Amtswalter, sondern auch solche Privatpersonen, die von der Behörde im Verwaltungsverfahren zur Vorbereitung der Entscheidung unterstützend herangezogen werden. Zu Letzteren gehören hier die Nachbarn des L, denen mit der eigenverantwortlichen Bestimmung der Aufzeichnungszeiträume ein wesentlicher Einfluss auf die Zusammenstellung der maßgeblichen Messdaten und damit auf den Ausgang des Verwaltungsverfahrens eingeräumt worden ist. Die zu beanstandende Mitwirkungshandlung der Nachbarn beinhaltet einen für das Ergebnis der Datenerhebung maßgeblichen Auswahl- und Entscheidungsprozess und ist deshalb im Hinblick auf die vorstehenden Ausführungen keinesfalls als eine von § 20 Abs. 1 VwVfG NRW nicht erfasste nicht entscheidungsbezogene technische Hilfe zu beurteilen. Die Bestimmung der Aufzeichnungszeiträume darf nicht unkontrolliert dem durch die Immissionen Betroffenen, in dessen Interesse die einen Dritten belastende Verwaltungsentscheidung ergehen soll, überlassen werden. Schon der bloße äußere Schein einer sachwidrigen Verflechtung öffentlicher und privater Interessen oder einer Parteinahme für einen anderen soll durch § 20 Abs. 1 VwVfG NRW vermieden werden. Das gilt hier umso mehr, als die Übertragung der eigenverantwortlichen Bestimmung der Aufzeichnungszeiträume auf den Betroffenen bei gleichzeitig fehlender behördlicher Kontrolle des Aufzeichnungsvorgangs die Gefahr der Manipulation in sich trägt. Dass hier keine konkreten Anhaltspunkte für eine solche ersichtlich sind, ist für die zu bejahende Frage, ob die Nachbarn des L zu dem Personenkreis zählen, für den die Befangenheit gem. § 20 Abs. 1 VwVfG NRW gesetzlich unwiderleglich vermutet wird, in Anbetracht der vorgenannten Zielsetzung dieser Vorschrift ohne Belang.

173

Ein Grund i.S.d. § 21 VwVfG (vgl. auch § 83 AO, § 17 SGB X), der geeignet ist, „Misstrauen“ gegen eine unparteiische Amtsausübung zu rechtfertigen („böser Schein“), liegt vor, wenn aufgrund objektiv feststellbarer Tatsachen für die Beteiligten des Verfahrens nach den Gesamtumständen die subjektiv vernünftigerweise mögliche Besorgnis nicht auszuschließen ist, dass ein bestimmter Amtsträger in der Sache nicht unparteiisch, -voreingenommen oder -befangen entscheidet (z.B. die in nachprüfbaren Tatsachen manifestierte Freund-/Feindschaft zu einem Beteiligten sowie unsachliche oder verletzende Äußerungen im Verfahren).

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