Allgemeines Verwaltungsrecht

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4. Teil Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts › B. Formelle Rechtmäßigkeit

B. Formelle Rechtmäßigkeit

139

Neben dem etwaig erforderlichen Vorhandensein einer wirksamen und anwendbaren Ermächtigungsgrundlage (Rn. 129 ff.) sowie der Wahrung der jeweils einschlägigen materiell-rechtlichen Vorgaben (Rn. 215 ff.) muss ein Verwaltungsakt auch in formell ordnungsgemäßer Weise ergehen, damit er rechtmäßig ist.


Ein Verwaltungsakt ist dann formell rechtmäßig, wenn er von der zuständigen Behörde (Rn. 140 ff.) unter Beachtung der einschlägigen verfahrensrechtlichen Vorschriften (Rn. 149 ff.) sowie der zu wahrenden Formerfordernisse (Rn. 203 ff.) erlassen wurde.

4. Teil Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts › B. Formelle Rechtmäßigkeit › I. Zuständigkeit

I. Zuständigkeit

140

Gem. § 35 S. 1 VwVfG handelt es sich bei einem Verwaltungsakt um eine Maßnahme, die von einer Behörde getroffen wird (Rn. 47 ff.). Welche Behörde im konkreten Fall zum Erlass des betreffenden Verwaltungsakts zuständig ist, ist anhand der einschlägigen Zuständigkeitsvorschriften zu ermitteln.[1] Sofern das jeweilige materielle Recht keine diesbezüglichen Regelungen trifft, ist auf das allgemeine Verwaltungsorganisationsrecht (z.B. LOG NRW) bzw. das jeweilige Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVfG) zurückzugreifen. Ihrem Inhalt nach regeln diese Normenkomplexe, welcher Verwaltungsträger und welches Verwaltungsorgan zur Wahrnehmung der betreffenden Aufgabe berufen ist. Die danach zuständige Behörde ist rechtlich zugleich verpflichtet, die ihr zugewiesene Aufgabe wahrzunehmen. Entsprechend dieser Vorschriften ist die Zuständigkeit einer Behörde zum Erlass eines Verwaltungsakts im Wesentlichen[2] unter den drei nachfolgend genannten Gesichtspunkten der sachlichen (Rn. 142 f.), instanziellen (Rn. 144) und örtlichen (Rn. 145) Zuständigkeit zu überprüfen.

Hinweis

Welcher konkrete Amtswalter (Rn. 49) innerhalb der zuständigen Behörde zur Erfüllung der jeweiligen Aufgabe berufen ist, ist eine Frage der funktionellen Zuständigkeit. Sofern diese – wie regelmäßig der Fall – nur durch Verwaltungsvorschrift (Rn. 238) und nicht gesetzlich (so aber z.B. § 27 Abs. 2 VwVfG) geregelt ist, führt ein Verstoß gegen die lediglich behördeninternen Zuständigkeitsvorschriften (z.B.: „Geschäftsverteilungsplan“) nicht zur Rechtswidrigkeit des betreffenden Verwaltungsakts.[3] „In Prüfungsarbeiten muss deshalb auf die funktionelle Zuständigkeit grundsätzlich nicht eingegangen werden“.[4]

141

Mitunter beschränkt sich der Gesetzgeber allerdings auf die bloße Bezeichnung des für die Aufgabenwahrnehmung kompetenten Verwaltungsträgers (so z.B. in § 2 Abs. 1 S. 1 BauGB: „Gemeinde“), so dass zur Ermittlung der zuständigen Behörde auf dessen jeweilige interne Zuständigkeitsverteilung (im Beispiel etwa § 41 Abs. 1 S. 2 lit. f) GO NW i.V.m. § 10 Abs. 1 BauGB: „Der Rat der Gemeinde“) zurückgegriffen werden muss. Ferner werden im Gesetz zum Teil auch bloße Funktionsbezeichnungen wie etwa „untere Bauaufsichtsbehörde“ verwendet (z.B. § 48 Abs. 1 LBO BW, Art. 53 Abs. 1 S. 2 bay. BauO, § 57 Abs. 1 S. 2 BauO NRW). Die Zuständigkeit einer tatsächlich existierenden Behörde wird in diesen Fällen erst durch eine weitere Vorschrift begründet, welche dieser die betreffende Funktion zuweist (z.B. § 57 Abs. 1 Nr. 3 lit. a) BauO NRW 2018: „Untere Bauaufsichtsbehörden: die kreisfreien Städte […]“; vgl. ferner § 46 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 LBO BW, Art. 53 Abs. 1 S. 1 bay. BauO).

Hinweis

In Folge der Komplexität der Verwaltungsaufgaben und des föderalen Systems ist die deutsche Verwaltungsorganisation außerordentlich unübersichtlich auch terminologisch vielfältig.[5]

1. Sachliche Zuständigkeit

142

Behörden sind Organe juristischer Personen des öffentlichen Rechts, d.h. des Staates oder sonstiger Verwaltungsträger (Rn. 49). Als Organ eines Verwaltungsträgers kann die sachliche Zuständigkeit einer Behörde zum Erlass eines Verwaltungsakts jedoch nicht weiter reichen als die Zuständigkeit des Verwaltungsträgers, dem die Behörde angehört (Ausnahme: Organleihe). Folglich ist zunächst zu untersuchen, ob der Verwaltungsträger (synonym: der Verband), dem die handelnde Behörde angehört und dem ihr Handeln letztlich zugerechnet wird, für die Wahrnehmung der Aufgabe, die mittels des Verwaltungsakts erfüllt werden soll, sachlich zuständig ist (Verbandskompetenz). Im Verhältnis Bund–Länder ist die Kompetenzverteilung in den Art. 30, 83 ff. GG geregelt (Rn. 153 ff.), bzgl. der Gemeinden siehe Art. 28 Abs. 2 GG.

143

Ist der sachlich zuständige Verband ermittelt und sind innerhalb des Verbands mehrere Behörden vorhanden (auf Gemeindeebene z.B. Bürgermeister, Gemeinderat), so ist in einem weiteren Schritt zu untersuchen, welche von diesen verschiedenen Behörden (Organen) im konkreten Fall sachlich zur Wahrnehmung der jeweiligen Aufgabe zuständig ist (Organkompetenz, z.B. ist gem. § 63 Abs. 1 S. 1 GO NRW grundsätzlich der Bürgermeister für den Erlass von Verwaltungsakten der Gemeinde zuständig[6]).


Die nicht im VwVfG, sondern vielmehr spezialgesetzlich geregelte sachliche Zuständigkeit bestimmt, welche (Sach-)Aufgabe (Rn. 123) von welcher Behörde wahrgenommen wird, siehe z.B. § 1 Abs. 1 S. 1 PolG NW: „Die Polizei hat die Aufgabe, Gefahren für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung abzuwehren (Gefahrenabwehr).“ Vgl. ferner § 1 Abs. 1 S. 1 PolG BW, Art. 2 Abs. 1 bay. PAG.[7]

Beispiel[8]

Die baden-württembergische Stadt S veranstaltete ein nach § 69 GewO festgesetztes Volksfest. Die Zulassung hierfür ist in Vergaberichtlinien (VR) geregelt, die der Ausschuss für Wirtschaft und Wohnen des Gemeinderats von S im Jahr zuvor beschlossen hatte. Die VR bestimmen u.a., anhand welcher Maßstäbe die Platzvergabe bei Überangebot erfolgt. Unter Hinweis darauf, dass die Anwendung der VR zu einer höheren Attraktivitätsbewertung seiner Mitbewerber geführt habe, lehnte S die Bewerbung von Gastronom G für das Volksfest gem. § 70 Abs. 3 GewO ab. Durfte S sich bei Ausübung ihres Ermessens nach § 70 Abs. 3 GewO auf die vom Ausschuss für Wirtschaft und Wohnen des Gemeinderats beschlossenen VR stützen?

Hinweis: Nach der Hauptsatzung des Gemeinderats von S handelt es sich bei dem Ausschuss für Wirtschaft und Wohnen um einen beschließenden Ausschuss. Dieser entscheidet über die Angelegenheiten der städtischen Beteiligungen an Unternehmen des Messe-, Kongress- und Veranstaltungswesens und Unternehmen des Marktwesens, wenn nicht der Gemeinderat oder der Oberbürgermeister zuständig ist. Ein Fall des § 39 Abs. 2 GemO BW („Auf beschließende Ausschüsse kann nicht übertragen werden die Beschlussfassung über […]“) liegt hier nicht vor.

Ja. S durfte die Bewerbung des G in Anwendung der vom Ausschuss für Wirtschaft und Wohnen des Gemeinderats beschlossenen VR ablehnen. Denn diese ermessenslenkenden Richtlinien sind rechtmäßig. Insbesondere war der Ausschuss für Wirtschaft und Wohnen des Gemeinderats für den Erlass der Richtlinien zuständig. Allgemeine VR festzulegen, die im Sinne verwaltungsintern bindender Verwaltungsvorschriften das Verwaltungsermessen im Interesse einheitlicher und gleichmäßiger Handhabung steuern sollen, ist nach dem baden-württembergischen Gemeinderecht grundsätzlich nicht ein vom Bürgermeister oder der in seinem Auftrag handelnden Verwaltung in eigener Zuständigkeit zu erledigendes Geschäft der laufenden Verwaltung (§ 44 Abs. 2 S. 1 GemO BW). Vielmehr fällt es nach § 24 Abs. 1 S. 2 GemO BW in die Kompetenz des Gemeinderats, die Grundsätze für die Verwaltung der Gemeinde festzulegen. Angesichts der rechtlichen und wirtschaftlichen Bedeutung der Angelegenheit selbst in Großstädten ist es daher Aufgabe des Gemeinderats, durch den Erlass von allgemeinen Richtlinien die Grundsätze festzulegen, nach denen Bewerber zu Jahrmärkten und Volksfesten zugelassen oder von einer Zulassung ausgeschlossen werden. Der Gemeinderat von S hat diese Aufgabe, wie es § 39 Abs. 1 S. 1 GemO BW zulässt, auf den Ausschuss für Wirtschaft und Wohnen als beschließenden Ausschuss übertragen. Nach der Hauptsatzung des Gemeinderats von S ist der Ausschuss für Wirtschaft und Wohnen ein beschließender Ausschuss. Er entscheidet nach der Hauptsatzung über die Angelegenheiten der städtischen Beteiligungen an Unternehmen des Messe-, Kongress- und Veranstaltungswesens und Unternehmen des Marktwesens, wenn nicht der Gemeinderat oder der Oberbürgermeister zuständig ist. § 39 Abs. 2 GemO BW, nach dem bestimmte Gegenstände nicht auf einen beschließenden Ausschuss übertragen werden können, steht dem nicht entgegen. Er findet vorliegend keine Anwendung, denn VR sind kein dort genannter Gegenstand.

 

2. Instanzielle Zuständigkeit

144

Sind innerhalb des sachlich zuständigen Verwaltungsträgers (Verbandskompetenz; Rn. 142) mehrere sachlich zuständige Behörden (Organkompetenz; Rn. 143) auf verschiedenen Hierarchieebenen vorhanden (mehrstufiger Behördenaufbau; z.B. § 3 Abs. 1 DSchG BW, Art. 11 Abs. 1 bis 3 bay. DSchG, § 20 Abs. 1 DSchG NRW), so ist grundsätzlich die untere Behörde die für den Erlass des Verwaltungsakts gegenüber dem Bürger zuständige Instanz (siehe z.B. § 7 Abs. 4 S. 1 DSchG BW, Art. 11 Abs. 4 S. 1 bay. DSchG, § 21 Abs. 1 DSchG NRW). Die Funktion der jeweils übergeordneten Behörden ist demgegenüber regelmäßig auf die Dienst- und Fachaufsicht der nachgeordneten Behörden beschränkt, vgl. § 11 LOG NRW; während sich die Dienstaufsicht auf den Aufbau, die innere Ordnung, die allgemeine Geschäftsführung und die Personalangelegenheiten der Behörde erstreckt (§ 12 Abs. 1 LOG NRW), erstreckt sich die Fachaufsicht auf die rechtmäßige und zweckmäßige Wahrnehmung der Aufgaben, § 13 Abs. 1 LOG NRW (Rn. 50). In Ausübung der Fachaufsicht können sich die Fachaufsichtsbehörden gem. § 13 Abs. 3 LOG NRW unterrichten, Weisungen erteilen und – ganz ausnahmsweise – bei Gefahr im Verzug oder auf Grund besonderer gesetzlicher Ermächtigung die Befugnisse der nachgeordneten Behörden selbst ausüben, sog. Selbsteintrittsrecht (vgl. ferner etwa § 3b Abs. 1 BayVwVfG; § 123 Abs. 2 Alt. 1 GO NRW).[9]

3. Örtliche Zuständigkeit

145

Die örtliche Zuständigkeit schließlich grenzt den räumlichen Tätigkeitsbereich sachlich zuständiger Behörden (Rn. 142 f.) voneinander ab. Sofern insoweit keine spezialgesetzliche Regelung einschlägig ist (z.B. § 206 Abs. 1 BauGB, § 61 GewO, § 4 OBG NRW), kommt § 3 VwVfG zur Anwendung (vgl. auch §§ 48 Abs. 5, 49 Abs. 5 VwVfG).

4. Fehlerfolgen

146

Ergeht ein Verwaltungsakt trotz offenkundig fehlender Verbandskompetenz (Rn. 142) oder wird er durch das sachlich offenkundig unzuständige Organ erlassen (Rn. 143), so resultiert hieraus in Abhängigkeit von der Schwere des jeweiligen Rechtsverstoßes u.U. die Nichtigkeit (§ 44 Abs. 1 VwVfG), im Übrigen dagegen nur – zugleich aber immerhin – die schlichte Rechtswidrigkeit eines solchen Verwaltungsakts.[10] Dahinter steht der Grundgedanke, dass wer für eine Entscheidung nicht zuständig ist, regelmäßig auch nicht über die für diese notwendige Sachkompetenz verfügt.[11] Derart schwerwiegende Umstände, die ausnahmsweise zur Nichtigkeit des unter Verstoß gegen die Vorschriften über die sachliche Zuständigkeit erlassenen Verwaltungsakts nach § 44 Abs. 1 VwVfG führen, liegen dann vor, wenn die Erlassbehörde sachlich absolut unzuständig war, d.h. wenn sie unter überhaupt keinen Umständen mit der Sache befasst war (Rn. 273; nicht dagegen: nur teilweise Überschreitung der i.Ü. zu bejahenden Behördenbefugnis).

Beispiel[12]

Autofahrer A wurde vom Amtsgericht wegen vorsätzlicher Nichtbeachtung eines Verbotszeichens verurteilt, weil er mit seinem Pkw auf einem privaten Wirtschaftsweg der bayerischen Staatsforstverwaltung, der durch Zeichen 250 („Verbot für Fahrzeuge aller Art“) mit dem Zusatz „Frei für Forstbetrieb“ gesperrt war, gefahren war. Das Verbotszeichen hatte die Staatsforstverwaltung zuvor nach Zeugenaussage auf deren eigenen Entschluss hin aufgestellt. Ist das Urteil rechtmäßig?

Hinweis: Zum maßgeblichen Zeitpunkt waren in Bayern nach dem Gesetz zum Vollzug der StVO vom 28.4.1978 (GVBl S. 172) örtliche Straßenverkehrsbehörden die Gemeinden, untere Straßenverkehrsbehörden die Landratsämter, kreisfreien Gemeinden und Großen Kreisstädte (Art. 1). Die örtlichen Straßenverkehrsbehörden erfüllen im Gemeindegebiet u.a. alle Aufgaben, welche § 45 StVO den Straßenverkehrsbehörden zuweist, soweit sich solche Maßnahmen ausschließlich auf tatsächlich öffentliche Verkehrsflächen beziehen (Art. 2 I). Bis zum Inkrafttreten des Gesetzes vom 28.4.1978 hatten die unteren Verwaltungsbehörden als Straßenverkehrsbehörden nach § 44 Abs. 1 S. 1 StVO auch die Aufgaben zu erfüllen, die durch das genannte Gesetz den Gemeinden übertragen worden sind.

Nein. Die in amtlichen Verkehrszeichen nach §§ 41, 42 StVO verkörperten Ge- und Verbote sind Verwaltungsakte in Gestalt von Allgemeinverfügungen i.S.v. § 35 S. 2 Var. 3 VwVfG. Zwar ist auch ein fehlerhafter Verwaltungsakt grundsätzlich wirksam. Leidet er jedoch an einem der in § 44 Abs. 1, 2 VwVfG aufgeführten Fehler, so ist er nichtig und damit unwirksam, § 43 Abs. 3 VwVfG. Zu den Nichtigkeitsgründen i.S.v. § 44 Abs. 1 VwVfG gehört u.a. der Erlass durch eine sachlich absolut unzuständige Behörde. Zuständig für die Bestimmung, wo und welche Verkehrszeichen anzubringen sind, sind nach § 45 Abs. 3 S. 1 StVO die Straßenverkehrsbehörden. Aufgrund der Zeugenaussage steht hier fest, dass das Verkehrszeichen, dessen Nichtbeachtung dem A vorgeworfen wird, von der Forstverwaltung aus eigenem Entschluss aufgestellt worden ist. Die Forstverwaltung hatte jedoch keinerlei Befugnis, den Verkehr auf dem von A befahrenen Weg durch hoheitliche Ge- oder Verbote zu regeln. Zum Erlass von verkehrsregelnden Verwaltungsakten für die im Staatsforst verlaufenden tatsächlich öffentlichen Wege ist die Forstverwaltung nicht befugt – ebenso wenig wie sonstige Eigentümer tatsächlich öffentlicher Wege den Verkehr auf diesen durch Verwaltungsakte zu regeln vermögen. Da das Verkehrszeichen, das A unbeachtet gelassen hat, auf Grund eigenen Entschlusses der Forstverwaltung aufgestellt worden war, verkörperte es folglich kein wirksames Verbot i.S.d. StVO.

147

Demgegenüber sind Verstöße gegen die instanzielle Zuständigkeit (Rn. 144) nach h.M. nicht als schwer bzw. offensichtlich i.S.v. § 44 Abs. 1 VwVfG zu werten, so dass ein unter Verletzung der Zuständigkeit im Instanzenzug ergangener Verwaltungsakt lediglich rechtswidrig, nicht aber zugleich auch nichtig ist.[13]

148

Ein unter Verstoß gegen Vorschriften über die örtliche Zuständigkeit (Rn. 145) ergangener Verwaltungsakt ist ausnahmsweise dann gem. § 44 Abs. 2 Nr. 3 VwVfG ohne Rücksicht auf das Vorliegen der Voraussetzungen des § 44 Abs. 1 VwVfG nichtig, wenn die Behörde ihn außerhalb ihrer durch § 3 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG begründeten Zuständigkeit erlassen hat („Angelegenheiten, die sich auf unbewegliches Vermögen oder ein ortsgebundenes Recht oder Rechtsverhältnis beziehen“), ohne dazu ermächtigt gewesen zu sein (Rn. 271). In allen übrigen Fällen der Nichteinhaltung der Vorschriften über die örtliche Zuständigkeit ist der betreffende Verwaltungsakt hingegen nicht schon allein aufgrund dieses Umstands nichtig, siehe § 44 Abs. 3 Nr. 1 VwVfG (Rn. 272). Vielmehr kann ein derartiger Rechtsverstoß nach § 46 VwVfG im Gegenteil sogar gänzlich unbeachtlich sein, nämlich dann, wenn offensichtlich ist, dass die Verletzung der Vorschriften über die örtliche Zuständigkeit die Entscheidung in der Sache nicht beeinflusst hat (Rn. 282 ff.). Liegt weder ein Fall des § 44 Abs. 1, 2 VwVfG noch des § 46 VwVfG vor, ist der von der örtlich unzuständigen Behörde erlassene Verwaltungsakt schlicht rechtswidrig und damit nach den allgemeinen Regeln aufhebbar. Die für den Erfolg einer Anfechtungsklage erforderliche Verletzung des Klägers in seinen eigenen – subjektiv öffentlich-rechtlichen – Rechten (vgl. §§ 42 Abs. 2, 113 Abs. 1 S. 1 VwGO) kann sich aufgrund von Art. 2 Abs. 1 GG durchaus allein schon aus der Verletzung der einschlägigen Zuständigkeitsvorschrift ergeben.[14]

4. Teil Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts › B. Formelle Rechtmäßigkeit › II. Verfahren

II. Verfahren

149

Um formell rechtmäßig zu sein, muss der Verwaltungsakt nicht nur von der zuständigen Behörde (Rn. 149 ff.) in ordnungsgemäßer Form (Rn. 203 ff.), sondern auch unter Einhaltung der maßgeblichen verfahrensrechtlichen Vorschriften erlassen worden sein (Rn. 150 ff.).[15]

1. Begriff „Verwaltungsverfahren“

150

Nach der in § 9 VwVfG (vgl. auch § 8 SGB X) enthaltenen Legaldefinition ist i.S.d. VwVfG unter dem Begriff „Verwaltungsverfahren“ „die nach außen wirkende Tätigkeit der Behörden, die auf die Prüfung der Voraussetzungen, die Vorbereitung und den Erlass eines Verwaltungsaktes oder auf den Abschluss eines öffentlich-rechtlichen Vertrags gerichtet ist“ zu verstehen;[16] „es schließt den Erlass des Verwaltungsaktes oder den Abschluss des öffentlich-rechtlichen Vertrags ein.“ Nicht (unmittelbar) von den §§ 10 ff. VwVfG erfasst werden demgegenüber sonstige Verwaltungstätigkeiten wie z.B. der Erlass von Rechtsverordnungen (Rn. 12) und Satzungen (Rn. 13), die Vornahme von Realakten (Rn. 59), privatrechtliches Handeln (Rn. 23 ff.) sowie rein interne Maßnahmen der Verwaltung (vgl. Rn. 70 ff.). Auf diese Verwaltungstätigkeiten können die §§ 10 ff. VwVfG allerdings ggf. analog anzuwenden sein, handelt es sich namentlich bei den dort normierten Verfahrensrechten zum ganz überwiegenden Teil doch um die gesetzliche Positivierung allgemeiner Rechtsgedanken, insbesondere um die Konkretisierung der einschlägigen verfassungsrechtlichen Vorgaben (v.a. des Rechtsstaatsprinzips und der Grundrechte; es wird auch von der „Grundrechtsverwirklichung durch Organisation und Verfahren“ gesprochen).[17]

 

Hinweis

Der viel zitierte Satz Otto Mayers[18] „Verfassungsrecht vergeht, Verwaltungsrecht besteht“ ist mit Inkrafttreten des Grundgesetzes in sein Gegenteil verkehrt („Verwaltungsrecht als konkretisiertes Verfassungsrecht“[19]).

Beispiel[20]

Betriebswirt B nahm zum 3. Mal an der Prüfung zum Steuerberater teil. Aus seinen schriftlichen Aufsichtsarbeiten und der mündlichen Prüfung wurde die Prüfungsgesamtnote von 4,25 („mangelhaft“) gebildet. Mit Bescheid teilte der Prüfungsausschuss beim zuständigen baden-württembergischen Landesministerium dem B mit, dass er die Prüfung nicht bestanden habe. Weil die Bewertung der Aufsichtsarbeiten von den Prüfern nicht begründet worden war, ficht B nunmehr den Prüfungsbescheid an. Ist dieses Argument des B zutreffend, wenn eine Begründungspflicht spezialgesetzlich nicht vorgesehen ist?

Ja. Zwar folgt eine Begründungspflicht nicht aus § 39 Abs. 1 LVwVfG BW. Denn nach § 2 Abs. 3 Nr. 2 LVwVfG BW gilt § 39 Abs. 1 LVwVfG BW nicht für die Tätigkeit der Behörden bei Leistungs-, Eignungs- und ähnlichen Prüfungen von Personen. Damit hat der Gesetzgeber allerdings eine sich anderweitig ergebende Begründungspflicht nicht ausschließen wollen. Vielmehr sehen zahlreiche prüfungsrechtliche Vorschriften eine Begutachtung der schriftlichen Arbeiten durch die Prüfer vor. Offensichtlich stehen diese prüfungsrechtlichen Spezialregelungen nicht in inhaltlichem Widerspruch zu den generellen Normen des LVwVfG BW. Auch wenn eine solche vorliegend nicht einschlägig ist, ergibt sich hier die Verpflichtung der Prüfer, ihre Bewertung der Aufsichtsarbeiten zu begründen, aus dem in Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG verankerten Recht auf effektiven Rechtsschutz. Gegenstand dieses Rechtsschutzes ist das Recht auf freie Berufswahl (Art. 12 Abs. 1 GG). Die effektive Wahrnehmung des zum Schutz der Grundrechte gewährleisteten Rechtsschutzes gegen Prüfungsentscheidungen setzt voraus, dass der Prüfer die tragenden Erwägungen darlegt, die zur Bewertung der Prüfungsleistung geführt haben. Nur so wird der Prüfling in die Lage versetzt, seine Rechte sachgemäß zu verfolgen. Die Bewertung der Prüfungsarbeiten können die Gerichte nur dann kontrollieren, wenn die tragenden Gründe der Prüfer hinreichend zu erkennen sind. Allein auf der Grundlage der Note, mit der der Prüfer das Ergebnis seiner Bewertung kundtut, ist das nicht möglich. Das Gericht darf zwar die Prüfungsarbeit nicht selbst bewerten. Das ist insbesondere wegen des den Prüfern teilweise verbleibenden Beurteilungsspielraums nicht zulässig. Dieser Spielraum ist jedoch dann überschritten, d.h. eine gerichtliche Korrektur ist dann geboten, wenn die Prüfungsbehörden Verfahrensfehler begehen, anzuwendendes Recht verkennen, von einem unrichtigen Sachverhalt ausgehen, allgemeingültige Bewertungsmaßstäbe verletzen oder sich von sachfremden Erwägungen leiten lassen. Die Prüfungsentscheidung ist ferner aufzuheben, wenn in Fachfragen eine vertretbare und mit gewichtigen Argumenten folgerichtig begründete Lösung als falsch gewertet worden ist. Ob die Bewertung der Prüfungsarbeit diesen Spielraum einhält und auch im Übrigen frei von Rechtsfehlern ist, kann nur anhand der Begründung der Notengebung ermittelt werden. Ob etwaige Mängel der genannten Art sich auch auf die Notengebung und das Ergebnis der Prüfung ausgewirkt haben können, was Voraussetzung der Zulässigkeit einer gerichtlichen Korrektur der Prüfungsentscheidung ist, kann in der Regel gleichfalls erst dann festgestellt werden, wenn begründet wird, weshalb die Arbeit diese Bewertung erhält. In gleicher Weise kann der Betroffene, der das Prüfungsergebnis als nicht zutreffend erachtet und dem ein verfassungsrechtlich hergeleiteter Anspruch auf Überdenken der Prüfungsentscheidung zusteht, nur bei Vorliegen einer Begründung mögliche Einwendungen geltend machen und insbesondere in der notwendigen Weise spezifizieren. Er kann auf vermeintliche Irrtümer oder Rechtsfehler nur dann wirkungsvoll hinweisen und damit ein Überdenken anstehender oder bereits getroffener Entscheidungen erreichen, wenn er die die Bewertung tragenden Gründe der Prüfer in den Grundzügen nachvollziehen kann. Das ist allein aufgrund der Note nicht möglich, sondern erst dann, wenn er z.B. die Kriterien kennt, die für die Benotung seiner Prüfungsleistung maßgeblich waren, und er ferner weiß, wie die Anwendung dieser Kriterien in wesentlichen Punkten zu dem Bewertungsergebnis geführt hat. Dies ist grundsätzlich erst aufgrund der Bewertungsbegründung oder etwaiger Korrekturanmerkungen, die Bestandteile der Begründung sind, zu realisieren. Andere Erkenntnisquellen, die Rückschlüsse auf die Überlegungen der Prüfer zulassen, stehen dem Prüfling normalerweise nicht zur Verfügung.

Auch gilt das (L-)VwVfG für den (indirekten[21]) Vollzug des EU-Rechts (Rn. 153), soweit dieses nicht ausnahmsweise selbst spezielle Verfahrensregeln bereithält.[22] In diesem Zusammenhang kann es u.U. erforderlich werden, die jeweilige (L-)VwVfG-Vorschrift im Wege der europarechtskonformen Auslegung in modifizierter Form anzuwenden, um hierdurch dem Unionsrecht diskriminierungsfrei (vgl. u.a. Art. 18 AEUV) und effektiv (effet utile, vgl. Art. 4 Abs. 3 EUV) zur Anwendung zu verhelfen (vgl. Rn. 130, Rn. 183 und Rn. 321).

151

Innerhalb des VwVfG lässt sich nach verschiedenen Arten von Verwaltungsverfahren unterscheiden. Hierbei stellt das nichtförmliche Verwaltungsverfahren gem. § 10 S. 1 VwVfG den Regelfall dar. Es kommt immer dann zur Anwendung, soweit keine besonderen Rechtsvorschriften für die Form des Verfahrens bestehen. Derartige besondere Rechtsvorschriften sind insbesondere in den §§ 63 ff. VwVfG enthalten. Die für die Anwendung des hierin geregelten förmlichen Verwaltungsverfahrens erforderliche gesetzliche Anordnung (siehe § 63 Abs. 1 VwVfG) findet sich jedoch nur relativ selten (z.B. § 36 BBergG). I.S.v. § 10 S. 1 VwVfG „besondere Regelungen“ sind ferner in den §§ 72 ff. VwVfG betreffend das Planfeststellungsverfahren enthalten. Diese Vorschriften gelangen allerdings nur insoweit zur Anwendung, als in den einzelnen Fachplanungsgesetzen (z.B. FStrG, LuftVG, WaStrG) keine Spezialregelungen getroffen werden. Zwecks Umsetzung von Art. 6 (Dienstleistungs-)Richtlinie 2006/123/EG sind m.W.v. 18.12.2008 die §§ 71a ff. VwVfG betreffend das Verfahren über eine einheitliche Stelle in Kraft getreten, die gem. § 71a Abs. 1 VwVfG allerdings nur dann gelten, wenn dies durch Rechtsvorschrift besonders angeordnet ist (z.B. § 73a BRAO, § 6b GewO, § 5b HwO). Schließlich verweist § 79 Hs. 1 VwVfG hinsichtlich des Rechtsbehelfsverfahrens auf die §§ 68 ff. VwGO.[23]