Allgemeines Verwaltungsrecht

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6. Fehlerfolgen

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Wird ein Verwaltungsvertrag trotz Verstoßes gegen eine Rechtsvorschrift abgeschlossen, so ist bzgl. der Fehlerfolgen – ebenso wie beim Verwaltungsakt (Rn. 251) – zwischen bloßer Rechtswidrigkeit und Nichtigkeit zu unterscheiden.[221] Liegt einer der in § 59 VwVfG abschließend genannten Nichtigkeitsgründe vor, so ist der Verwaltungsvertrag unwirksam und keine der Parteien ist zur Leistung nach diesem verpflichtet. Ist diese bereits erbracht, so erfolgt die Rückabwicklung über den öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch[222], auf den die §§ 812 ff. BGB nur z.T. analog anzuwenden sind. Insbesondere § 817 S. 2 BGB kann insoweit weder unmittelbar noch entsprechend – auch nicht über § 62 S. 2 VwVfG – herangezogen werden. Denn diese Bestimmung widerspricht dem das öffentliche Recht prägenden Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung (Rn. 8 ff.), da sie den durch gesetzeswidrige Vermögensverschiebung erreichten Zustand festschreibt. Aus diesem Grund hat die verwaltungsgerichtliche Rechtsprechung zudem auch § 818 Abs. 3, 4 und § 819 Abs. 1 BGB für nicht anwendbar auf den öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch erklärt; Entsprechendes gilt ferner im Hinblick auf § 814 BGB, auch in Bezug auf die Leistung des Bürgers an die Verwaltung.[223] Ein aufgrund eines nichtigen Verwaltungsvertrags erlassener Verwaltungsakt ist rechtswidrig.

Beispiel

Sofern sich die Nebenabrede in dem in Rn. 98 gebildeten Beispielsfall gem. § 59 Abs. 2 Nr. 4 i.V.m. § 56 Abs. 1 S. 2 VwVfG als nichtig erweisen sollte, stünde A gegen L ein Erstattungsanspruch i.H.v. 7200 € zu, weil A diesen Betrag dann ohne Rechtsgrund (causa) an L geleistet hat. Dieser Erstattungsanspruch teilt als gleichsam umgekehrter Leistungsanspruch (Kehrseite) dessen Rechtsnatur. Da der in der Nebenabrede geregelte Leistungsanspruch von L gegenüber A auf Zahlung von monatlich 150 € als öffentlich-rechtlicher Vertrag i.S.v. § 54 VwVfG dem öffentlichen Recht angehört, ist demnach also auch der auf Erstattung eben dieser Zahlungen gerichtete Anspruch des A gegen L öffentlich-rechtlicher Natur und daher vorbehaltlich des Eingreifens einer aufdrängenden Sonderzuweisung wie derjenigen des § 126 Abs. 1 BBG bzw. § 54 Abs. 1 BeamtStG gemäß der Generalklausel des § 40 Abs. 1 S. 1 VwGO vor dem Verwaltungsgericht geltend zu machen.

Hinweis

Sollte eine Rückabwicklung der von der Behörde erbrachten Leistung aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen unmöglich geworden sein, so steht der Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB analog) dem auf die Nichtigkeit des öffentlich-rechtlichen Vertrags gestützten Erstattungsanspruch des Bürgers grundsätzlich nicht entgegen. „Müsste der […] auf eine Geldleistung gerichtete Erstattungsanspruch des Bürgers [nämlich] bereits daran scheitern, dass die Behörde […] die ihr obliegende Leistung unwiederbringlich und unwiderrufbar erbracht hat, würde die gesetzlich angeordnete Sanktion der Nichtigkeit des Vertrages in einer Vielzahl von Fällen rechtlich wirkungslos bleiben. Der Grundsatz von Treu und Glauben erhielte damit eine rechtliche Tragweite, die mit dem Regelungsanspruch des § 59 […] VwVfG nicht vereinbar wäre […]. Es müssen vielmehr besondere, in der Person oder im Verhalten des Erstattung begehrenden Bürgers liegende Umstände hinzutreten, die das Rückforderungsbegehren als treuwidrig erscheinen lassen.“[224]

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Unterfällt der Rechtsverstoß dagegen keiner der in § 59 VwVfG erwähnten Fälle, so ist der Verwaltungsvertrag zwar weiterhin rechtswidrig, aber gleichwohl wirksam – und bleibt dies auch. Insoweit unterscheiden sich die Fehlerfolgen des schlicht rechtswidrigen Verwaltungsakts einerseits und des schlicht rechtswidrigen Verwaltungsvertrags andererseits dramatisch. Während Ersterer aufgrund seiner (schlichten) Rechtswidrigkeit aufhebbar ist (Rn. 251), ist Letzterer trotz seiner (schlichten) Rechtswidrigkeit grundsätzlich dauerhaft wirksam. Er bildet den Rechtsgrund (causa) für die Verpflichtung zur Erbringung der jeweiligen Leistung, welche trotz ihrer Gesetzesinkongruenz rechtmäßig ist (vgl. Rn. 104). Verpflichtet sich die Behörde vertraglich etwa zum Erlass eines rechtswidrigen Verwaltungsakts und ist der zugrundeliegende Verwaltungsvertrag mangels Einschlägigkeit eines Nichtigkeitsgrundes (Rn. 112) nicht nichtig, d.h. wirksam, so muss die Behörde den rechtswidrigen Verwaltungsakt in Erfüllung des (schlicht) rechtswidrigen, aber dennoch gültigen Verwaltungsvertrags erlassen. In Anbetracht der in § 59 VwVfG getroffenen Regelung sowie des dem Gesetzgeber im Rahmen von Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG zustehenden Spielraums, wie er den gebotenen effektiven Rechtsschutz gewährleistet, wird dieses strikte Wirksamkeitsmodell überwiegend[225] für verfassungskonform gehalten. Bedeutung hat die schlichte Rechtswidrigkeit eines Verwaltungsvertrags daher nur für die Geltendmachung von Sekundäransprüchen (auf Schadensersatz), nicht aber im Hinblick auf die hiervon unberührt bleibende Primärleistungspflicht (Vertragserfüllung).

JURIQ-Klausurtipp

In nahezu jeder Klausur, die einen öffentlichen-rechtlichen Vertrag zum Gegenstand hat, spielt § 59 VwVfG eine Rolle – und zwar typischerweise im Hinblick auf einen gegen Art. 108 Abs. 3 S. 3 AEUV verstoßenden öffentlich-rechtlichen Subventionsvertrag (Rn. 118 und Rn. 321).[226]

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Eine Ausnahme vom vorstehenden Grundsatz des pacta sunt servanda ist in § 60 VwVfG für den Wegfall der Geschäftsgrundlage[227] vorgesehen (vgl. auch § 313 BGB). Haben sich die – tatsächlichen oder rechtlichen – Verhältnisse, die für die Festsetzung des Vertragsinhalts maßgebend waren, seit Abschluss des Vertrags so wesentlich geändert, dass einer Vertragspartei das Festhalten an der ursprünglichen Regelung nicht zuzumuten ist, so kann diese Vertragspartei gem. § 60 Abs. 1 S. 1 VwVfG primär eine Anpassung des Vertragsinhalts an die geänderten Verhältnisse verlangen (Anpassungsanspruch[228]). Nur sofern dies nicht möglich oder einer Vertragspartei nicht zuzumuten ist, besteht ein Kündigungsrecht. Unabhängig hiervon kann die Behörde den Vertrag gem. § 60 Abs. 1 S. 2 VwVfG auch deshalb kündigen, um schwere Nachteile für das Gemeinwohl zu verhüten oder zu beseitigen.


Eine wesentliche Änderung der Verhältnisse i.S.v. § 60 Abs. 1 S. 1 VwVfG liegt vor, „wenn Änderungen eingetreten sind, mit denen die Vertragsparteien bei Abschluss des Vertrags nicht gerechnet haben, und die bei objektiver Betrachtung so erheblich sind, dass nicht angenommen werden kann, der Vertrag wäre auch bei ihrer Kenntnis mit dem gleichen Inhalt geschlossen worden.“[229]

Beispiel[230]

E ist Eigentümerin eines in der Innenstadt von S belegenen Grundstücks, für das sie die Erteilung einer Baugenehmigung beantragt hat. Auf Wunsch von E schloss S mit dieser einen Vertrag über die Ablösung der Stellplatzverpflichtung nach dem insoweit anwendbaren § 37 LBO BW gegen Zahlung von 25 000 €. In diesem Vertrag wird auf die „Richtlinien für die Ablösung der Stellplatzverpflichtung in der Stadt S“ Bezug genommen, nach deren § 2 in einem Vertrag über die Ablösung der Stellplatzpflicht „vereinbart werden kann, dass der Ablösungsbetrag von der Stadt S erstattet wird, wenn der Bauherr innerhalb von 2 Jahren nach Vertragsschluss einen geeigneten Stellplatz auf dem Baugrundstück oder in zumutbarer Entfernung auf einem anderen Grundstück nachweist.“ Eine solche Bestimmung haben E und S allerdings nicht in den Ablösevertrag mit aufgenommen. Nachdem E später 3 Stellplätze in einem nahe gelegenen Parkhaus erworben hatte, beantragte sie, diese auf ihre Stellplatzverpflichtung anzurechnen und die von ihr zu zahlende Ablösungssumme entsprechend herabzusetzen. S lehnt dies ab. Vor dem Verwaltungsgericht macht E nunmehr eine Anpassung des Vertragsinhalts an die geänderten Verhältnisse nach § 60 Abs. 1 S. 1 VwVfG geltend. Zu Recht?

 

Nein. Nach § 60 Abs. 1 S. 1 VwVfG berechtigt nicht jede Änderung der Verhältnisse, die für die Festsetzung des Vertragsinhalts maßgebend gewesen sind, dazu, eine Anpassung des Vertrags zu verlangen. Dies ist vielmehr nur dann der Fall, wenn es sich um eine so wesentliche Änderung handelt, dass dem von ihr betroffenen Vertragspartner ein Festhalten an den geschlossenen Vereinbarungen nicht zuzumuten ist. Daran fehlt es jedoch u.a. dann, wenn nach den von den Parteien getroffenen Vereinbarungen angenommen werden muss, dass eine solche Änderung in den Risikobereich desjenigen fallen soll, der sich nunmehr auf sie beruft (Vorrang der vertraglichen Risikozuweisung). Danach ist eine wesentliche Änderung der Verhältnisse i.S.v. § 60 Abs. 1 S. 1 VwVfG vorliegend zu verneinen. Maßgebend hierfür ist der Umstand, dass die Richtlinien von S für die Ablösung der Stellplatzverpflichtung eine ausdrückliche Regelung für den hier gegebenen Fall enthalten. Diese Richtlinien werden in dem mit E geschlossenen Vertrag explizit zu dessen Grundlage erklärt. Eine Vereinbarung, wie sie § 2 der Richtlinien erlaubt, haben die Parteien hier jedoch gerade nicht getroffen. Daraus muss geschlossen werden, dass nach deren Willen das Risiko einer Entwicklung, wie sie dort genannt ist, von E getragen werden sollte. Die nachträglich eingetretene Möglichkeit, auf einem in zumutbarer Entfernung gelegenen Grundstück Stellplätze nachweisen zu können, gibt E daher nicht das Recht, eine Änderung des Vertrags zu verlangen, die S zur Rückzahlung der für die Ablösung dieser Stellplätze gezahlten Beträge verpflichtet.

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Die allgemeine Vorschrift des § 59 Abs. 1 VwVfG gilt für alle Arten von Verwaltungsverträgen, wohingegen § 59 Abs. 2 VwVfG speziell nur die Nichtigkeit von subordinationsrechtlichen Verträgen (Rn. 109) regelt. Betrifft die Nichtigkeit nach § 59 Abs. 1 oder 2 VwVfG nur einen Teil des Verwaltungsvertrags, so ist dieser im Ganzen nichtig, wenn nicht anzunehmen ist, dass er auch ohne den nichtigen Teil geschlossen worden wäre, siehe § 59 Abs. 3 VwVfG (vgl. auch § 139 BGB).

JURIQ-Klausurtipp

In der Fallbearbeitung ist die Nichtigkeit eines subordinationsrechtlichen Vertrags (§ 54 S. 2 VwVfG) zunächst anhand der Spezialregelung des § 59 Abs. 2 VwVfG zu prüfen, der benannte Nichtigkeitsgründe enthält. Sofern danach keine Nichtigkeit vorliegt, gelangt die für alle Arten von Verwaltungsverträgen gültige Norm des § 59 Abs. 1 VwVfG mit ihren unbenannten Nichtigkeitsgründen zur Anwendung („ferner“).

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Ein subordinationsrechtlicher Verwaltungsvertrag ist gem. § 59 Abs. 2 VwVfG nichtig, wenn


1. ein Verwaltungsakt mit entsprechendem Inhalt nichtig wäre (z.B. Vertrag über die Erteilung einer Baugenehmigung für ein Grundstück, das im örtlichen Zuständigkeitsbereich einer anderen Behörde liegt, siehe § 44 Abs. 2 Nr. 3 i.V.m. § 3 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG; Rn. 148 und Rn. 271);
2. ein Verwaltungsakt mit entsprechendem Inhalt nicht nur wegen eines Verfahrens- oder Formfehlers i.S.d. § 46 VwVfG (Rn. 282 ff.) rechtswidrig wäre und dies den Vertragschließenden bekannt war (Letzteres ist v.a. bei bewusstem und gewolltem Zusammenwirken der Vertragsschließenden der Fall, sog. Kollusion);
3.
4. sich die Behörde im Rahmen eines Austauschvertrags eine nach § 56 VwVfG unzulässige Gegenleistung versprechen lässt (Rn. 111; z.B. Verpflichtung des Bürgers zur Zahlung eines Geldbetrags an die Gemeinde für die zeitnahe Weiterleitung von dessen Baugesuch an die Baurechtsbehörde, obwohl dieser hierauf bereits nach § 53 Abs. 5 LBO BW einen Anspruch hat).

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Darüber hinaus ist ein subordinationsrechtlicher Verwaltungsvertrag (Rn. 109) – ebenso wie ein koordinationsrechtlicher (Rn. 109) – gem. § 59 Abs. 1 VwVfG dann nichtig, wenn sich die Nichtigkeit aus der entsprechenden Anwendung von Vorschriften des BGB ergibt. Neben den §§ 105, 116 S. 2, 117 Abs. 1, 118, 138 und 142 Abs. 1 BGB ist insoweit v.a. die Vorschrift des § 125 S. 1 BGB (Nichtigkeit bei Verstoß gegen das Schriftformerfordernis des § 57 VwVfG; Rn. 106) sowie des § 134 BGB von Bedeutung. Nach Letzterer ist ein Rechtsgeschäft, das gegen ein gesetzliches Verbot – inkl. der zwingenden Vorschriften des Europarechts – verstößt, nichtig, wenn sich nicht aus dem Gesetz ein anderes ergibt.

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Einigkeit besteht darüber, dass nicht in jedem Fall, in dem ein Verwaltungsvertrag gegen eine Rechtsvorschrift verstößt, zugleich ein Verstoß gegen ein gesetzliches Verbot i.S.v. § 134 BGB vorliegt und damit dessen Nichtigkeit gem. § 59 Abs. 1 VwVfG eintritt. Denn andernfalls wäre die in § 59 Abs. 2 VwVfG enthaltene, abschließende (enumerative) Aufzählung von Nichtigkeitsgründen überflüssig und könnte das gesetzgeberische Ziel der Wirksamkeit schlicht rechtswidriger Verwaltungsverträge (Rn. 113) nicht erreicht werden. Erforderlich ist im Rahmen von § 59 Abs. 1 VwVfG i.V.m. § 134 BGB vielmehr ein qualifizierter Fall der Rechtswidrigkeit. Dieser liegt vor, wenn der Verwaltungsvertrag gegen ein Gesetz verstößt, das entweder ein Handeln der Verwaltung in Vertragsform überhaupt (Vertragsformverbot; Rn. 102) oder den Inhalt des Verwaltungsvertrags (den mit ihm bezweckten Erfolg oder das zu dessen Herbeiführung erforderliche Verhalten der Parteien) schlechthin verbietet (z.B. § 2 Abs. 2 BBesG bzgl. einer vom zwingenden Beamtenrecht abweichenden Besoldung), was im Wege der Auslegung der jeweiligen Rechtsvorschrift zu ermitteln ist. Kriterien sind insoweit namentlich der Wortlaut sowie der Sinn und Zweck der die Rechtswidrigkeit begründenden Norm, die Erheblichkeit des Verstoßes, das öffentliche Interesse im Einzelfall an der (Nicht-)Einhaltung der Rechtsordnung etc. Nicht ausreichend für die Annahme eines qualifizierten Rechtsverstoßes i.S.v. § 59 Abs. 1 VwVfG i.V.m. § 134 BGB ist es hingegen, wenn die betreffende Vorschrift lediglich die Art und Weise des Zustandekommens des Verwaltungsvertrags betrifft.

Beispiel[232]

Abweichend von der früheren BGH-Rechtsprechung[233] sind privatrechtliche Verträge, mit denen entgegen dem in Art. 108 Abs. 3 S. 3 AEUV normierten Durchführungsverbot (Verbotsgesetz) eine Beihilfe i.S.v. Art. 107 Abs. 1 AEUV gewährt wird, bevor die Kommission einen abschließenden (Positiv-)Beschluss erlassen hat, nicht gem. § 134 BGB nichtig. Für öffentlich-rechtliche Verträge i.S.v. § 54 VwVfG kann dann auch über § 59 Abs. 1 VwVfG nichts anderes gelten.


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3. Teil Handlungsformen der Verwaltung › B. Handlungsformen der Verwaltung auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts › III. Übungsfall Nr. 2

III. Übungsfall Nr. 2[234]

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„Money for nothing“


[Bild vergrößern]

 

E ist Eigentümer eines in der kreisfreien nordrhein-westfälischen Stadt S gelegenen Grundstücks, welches er mit einer dreigeschossigen Wohnanlage bebauen möchte. Diesem Vorhaben standen bislang allerdings die Festsetzungen des insoweit geltenden Bebauungsplans entgegen, der nur eine eingeschossige Bebauung vorsah. Nach längeren Vorbesprechungen einigen sich E und S in dem zwischen ihnen geschlossenen Vertrag schließlich darauf, dass der Bebauungsplan entsprechend abgeändert wird, „wenn E einen Betrag i.H.v. 50 000 € an S zahlt“. S beabsichtigt, diese Summe zur Begleichung der durch das Bauvorhaben des E ausgelösten Folgekosten zu verwenden. Angesichts der angespannten Haushaltslage kann S es andererseits aber auch nicht ausschließen, das Geld zum Erwerb dringend benötigter PCs für die Mitarbeiter im Rathaus zu verwenden. Um insoweit über eine größtmögliche Flexibilität zu verfügen, heißt es in dem zwischen E und S geschlossenen Vertrag daher, dass die 50 000 € „zur freien Verfügung“ von S stehen sollen.

Daraufhin zahlt E an S vereinbarungsgemäß die 50 000 €. Aufgrund kommunalpolitischer Querelen kommt es nachfolgend allerdings nicht zur Änderung des Bebauungsplans. E ist frustriert und klagt nach erfolglosem außergerichtlichem Vorgehen gegen S vor dem LG auf Rückzahlung der 50 000 €. Nach Anhörung der Parteien erklärt das LG den Zivilrechtsweg durch Beschluss für unzulässig und verweist den Rechtsstreit an das zuständige VG. Wie wird dieses in dieser Sache entscheiden?

Bearbeitervermerk: Vom ordnungsgemäßen Zustandekommen des Vertrags ist auszugehen. Die §§ 1 Abs. 3 S. 2, 11 Abs. 1 Nr. 3, 124, 133 Abs. 3 S. 5 BauGB und § 59 Abs. 1 VwVfG NRW sind ebenso wenig zu prüfen wie die Frage des Ausschlusses eines etwaig bestehenden Rückzahlungsanspruchs.

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Lösung

Das Verwaltungsgericht wird der Klage des E in der Sache stattgeben, wenn die Klage begründet[235] ist.

Die Klage ist begründet, wenn E gegen S einen Anspruch auf Rückzahlung der 50 000 € hat.

I. Anspruchsgrundlage

Mangels Eingreifens einer Spezialregelung wie z.B. § 49a VwVfG NRW kommt insoweit nur der mittlerweile gewohnheitsrechtlich anerkannte allgemeine öffentlich-rechtliche Erstattungsanspruch als Anspruchsgrundlage in Betracht. Dieser setzt voraus, dass der Anspruchsgegner vom Anspruchsteller aufgrund einer öffentlich-rechtlichen Rechtsbeziehung etwas ohne Rechtsgrund erlangt hat, vgl. auch §§ 812 ff. BGB.

1. Öffentlich-rechtliche Rechtsbeziehung

Vorliegend hat S von E Eigentum und Besitz an den 50 000 € erlangt. Fraglich ist, ob diese Vermögensverschiebung auf Grundlage einer öffentlichen-rechtlichen Rechtsbeziehung erfolgt ist. Rechtsgrundlage für die Zahlung der 50 000 € von E an S war der zwischen den Parteien geschlossene Vertrag. Ob dieser öffentlich-rechtlichen Natur ist, richtet sich nach dessen Gegenstand. Dabei ist insbesondere darauf abzustellen, ob sich der Vertrag auf Sachverhalte bezieht, die das Gesetz öffentlich-rechtlich regelt (Kriterium des Sachzusammenhangs).

Gegen einen derart zu qualifizierenden Zusammenhang könnte hier sprechen, dass die Zahlung der 50 000 € von E an S nicht in einem Gegenseitigkeitsverhältnis zu der als öffentlich-rechtlich einzustufenden Änderung des Bebauungsplans durch S stand. Vielmehr war Letztere durch die Geldzahlung lediglich bedingt („wenn E einen Betrag in Höhe von 50 000 € an S zahlt“). Einen Rechtsanspruch des E gegen S auf die Planänderung hatten die Parteien im Vertrag demgegenüber gerade nicht ausdrücklich vereinbart.

An dem tatsächlichen Vorhandensein eines engen Sachzusammenhangs zwischen der Zahlung des E und der von S vorzunehmenden Planänderung vermag dieser Umstand jedoch nichts zu ändern (hinkender Austauschvertrag). Der einzige Zweck der Geldzahlung bestand darin, die bauplanungsrechtlichen Voraussetzungen für das Vorhaben des E zu schaffen. Hiervon ist auch S ausgegangen. Hinzu kommt, dass das Geld letztlich dazu verwendet werden sollte, Folgekosten zu finanzieren, die S durch das Bauvorhaben des E entstehen würden (wenngleich auch eine andere Verwendung nicht ausgeschlossen ist). Hierbei handelt es sich ebenfalls um eine öffentlich-rechtliche Materie, vgl. § 11 Abs. 1 Nr. 3 BauGB.

Also ist der von E und S geschlossene Vertrag öffentlich-rechtlich.