Allgemeines Verwaltungsrecht

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3. Ermächtigungsgrundlage

101

Ob die Behörde in der Form des Verwaltungsvertrags handeln will, steht in ihrem Ermessen, siehe § 54 S. 1 VwVfG („kann“).[198] Eine besondere gesetzliche Ermächtigungsgrundlage ist für die Handlungsform „Verwaltungsvertrag“ – im Gegensatz zu der des Verwaltungsakts mit seinen rechtsformspezifischen Belastungswirkungen für den Bürger (Rn. 123 ff.) – nicht erforderlich. Der Grundsatz des Vorbehalts des Gesetzes, wonach v.a. die den Bürger belastenden Maßnahmen der Verwaltung einer gesetzlichen Grundlage bedürfen (Rn. 9 ff.), greift im Hinblick auf die Handlungsform „Verwaltungsvertrag“ nicht. Denn der Bürger hat es selbst in der Hand, seine zum Vertragsschluss zwingend notwendige Willenserklärung (Rn. 95) nicht abzugeben und damit das Entstehen einer ihn ggf. belastenden verwaltungsvertraglichen Regelung zu verhindern.[199]

102

Demgegenüber ist der handlungsformunabhängig geltende Grundsatz vom Vorrang des Gesetzes (Rn. 18 ff.) seitens der Behörde ebenfalls im Fall der Regelung eines Rechtsverhältnisses durch Verwaltungsvertrag zu beachten. Auch insoweit darf die Behörde nicht gegen die Rechtsordnung verstoßen. Dies kommt nicht nur in den §§ 54 ff. VwVfG zum Ausdruck, die bestimmte formelle (Rn. 103 ff.) und materielle (Rn. 107 ff.) Anforderungen an den Verwaltungsvertrag stellen, sondern ebenfalls bereits im Hinblick auf die Handlungsform „Verwaltungsvertrag“ als solche, siehe § 54 S. 1 VwVfG a.E.: Die Behörde kann ein Rechtsverhältnis nur insoweit durch Verwaltungsvertrag regeln, als „Rechtsvorschriften nicht entgegenstehen“. Ein derartiges Vertragsformverbot, das der Behörde ohne Rücksicht auf den Inhalt allein schon aufgrund der vertraglichen Handlungsform die Vornahme einer Regelung verbietet, kann sich nicht nur ausdrücklich (z.B. § 1 Abs. 3 S. 2 Hs. 2 BauGB, § 2 Abs. 3 Nr. 2 VwVfG; vgl. auch § 8 Abs. 2 BeamtStG), sondern auch aus dem Sinn und Zweck einer Vorschrift ergeben.

Beispiel

Ein Rechtsgebiet, auf dem weitgehend ein Vertragsformverbot besteht, ist das Steuerrecht.[200] In Anbetracht der dort herrschenden Grundsätze der Gleichmäßigkeit und der Gesetzmäßigkeit der Besteuerung (§ 85 S. 1 AO) ist eine vertragliche Vereinbarung über die Steuerschuld unzulässig („Klassiker“: vertragliche Verpflichtung einer Gemeinde gegenüber einem Unternehmen, diesem als Gegenleistung für dessen Ansiedlung im Gemeindegebiet die Gewerbesteuer für einen bestimmten Zeitraum zu erlassen).[201] Vielmehr werden Steuern grundsätzlich durch Steuerbescheid, d.h. Verwaltungsakt, festgesetzt, siehe § 155 Abs. 1 S. 1 AO. Verständigungen über die tatsächlichen Grundlagen der Besteuerung, die sich unmittelbar nur auf die Ebene des Sachverhalts und nicht auch auf Rechtsfragen beziehen, sind hingegen zulässig.[202]

4. Formelle Rechtmäßigkeit
a) Zuständigkeit

103

Soweit der Behörde das Handeln in Form des Verwaltungsvertrags mangels entgegenstehender Rechtsvorschriften nicht verboten ist (Rn. 102), muss sie bei dessen Abschluss nicht nur die in den §§ 57, 58 VwVfG ausdrücklich geregelten formellen Anforderungen einhalten, sondern zudem auch noch sachlich, instanziell und örtlich zuständig sein für die Abgabe der zum Vertragsschluss führenden Willenserklärung (hierzu siehe Rn. 140 ff.). Dieses Erfordernis folgt mittelbar aus § 54 S. 2 VwVfG, welcher der Behörde mit dem Verwaltungsvertrag lediglich eine alternative Handlungsform zum Verwaltungsakt zur Verfügung stellt, nicht aber ihren Kompetenzbereich modifiziert.[203]

b) Zustimmung Dritter/Mitwirkung anderer Behörden

104

Da Verträge zu Lasten Dritter im Bereich des öffentlichen Rechts ebenso unzulässig sind wie im Privatrecht, bestimmt § 58 Abs. 1 VwVfG, dass ein öffentlich-rechtlicher Vertrag, der in ein subjektiv-öffentliches Recht eines Dritten eingreift, erst dann rückwirkend (ex tunc) wirksam wird, wenn der Dritte schriftlich zustimmt. Bis zu diesem Zeitpunkt ist der Vertrag gem. § 62 S. 2 VwVfG i.V.m. § 184 BGB schwebend unwirksam.[204] Hiermit zieht der Gesetzgeber die Konsequenz aus dem Umstand, dass ein drittbelastender Verwaltungsvertrag – im Gegensatz zu einem Verwaltungsakt mit Drittwirkung – vom Dritten nicht angefochten werden kann. Seinem Wortlaut nach erfasst § 58 Abs. 1 VwVfG nur Verfügungsverträge (Rn. 100), da nur durch diese der rechtliche Status des Dritten im Vergleich zum status quo ante negativ verändert wird. Gleichwohl wendet die h.M.[205] § 58 Abs. 1 VwVfG richtigerweise auch auf Verpflichtungsverträge an (Rn. 100; z.B. die Behörde verpflichtet sich vertraglich zur Erteilung einer Baugenehmigung unter Erteilung eines Dispenses von nachbarschützenden Vorschriften). Die dies verneinende Mindermeinung berücksichtigt nicht, dass – vorbehaltlich einer anderweitigen Nichtigkeit gem. § 59 VwVfG – auch ein rechtswidriger Verwaltungsvertrag rechtswirksam ist und einen Anspruch des behördlichen Vertragspartners auf Erfüllung begründet (Rn. 113). Die Rechtmäßigkeit eines entsprechenden Erfüllungsakts wird nicht mehr durch das Gesetz, sondern durch den dieses überlagernden Verwaltungsvertrag bestimmt. Bildet damit aber der Verpflichtungsvertrag die Rechtsgrundlage für die Beeinträchtigung des Dritten, ist dessen Zustimmung auch schon für den Verpflichtungsvertrag erforderlich.

105

Wird anstatt eines Verwaltungsakts, bei dessen Erlass nach einer Rechtsvorschrift die Genehmigung (z.B. § 22 Abs. 1 S. 1 BauGB), die Zustimmung (z.B. § 9 Abs. 2 FStrG) oder das Einvernehmen (z.B. § 36 Abs. 1 S. 1 BauGB; nicht dagegen: Anhörung, Beratung, Information, Stellungnahme etc.) einer anderen Behörde erforderlich ist, ein (Verpflichtungs- oder Verfügungs-)Vertrag geschlossen,[206] so wird dieser bis dahin schwebend unwirksame Vertrag erst dann mit Wirkung ex tunc wirksam, nachdem die andere Behörde in der vorgeschriebenen Form mitgewirkt hat. Hintergrund dieser in § 58 Abs. 2 VwVfG enthaltenen Regelung ist abermals, dass die Behörde durch den bloßen Wechsel der Handlungsform ansonsten zu beachtende (Kompetenz-)Vorschriften nicht soll umgehen können.

c) Form

106

Gem. § 57 VwVfG ist ein öffentlich-rechtlicher Vertrag schriftlich zu schließen, soweit nicht durch Rechtsvorschrift eine andere Form vorgeschrieben ist (z.B. notarielle Beurkundung bei Grundstücksgeschäften, § 62 S. 2 VwVfG i.V.m. § 311b Abs. 1 S. 1 BGB). Diese im Vergleich zum gem. § 37 Abs. 2 S. 1 VwVfG grundsätzlich formlos möglichen Verwaltungsakt strengere Anforderung dient zum einen dazu, die Beteiligten vor einem übereilten Vertragsabschluss zu schützen (Warnfunktion) und soll zum anderen Abschluss und Inhalt des Vertrags zweifelsfrei dokumentieren (Beweisfunktion). Unklar ist, ob die Vertragserklärungen in einer Urkunde enthalten sein müssen (vgl. § 62 S. 2 VwVfG i.V.m. § 126 Abs. 2 S. 1 BGB; Urkundeneinheit) oder ob nicht auch getrennte, sich ergänzende Schreiben (z.B. Briefwechsel) ausreichend sind.[207] Ferner ist streitig, ob speziellere Regelungen (z.B. Satzung) von den Vorgaben des § 57 VwVfG abweichende, weniger strenge Anforderungen treffen dürfen (z.B. Aushändigung einer Eintrittskarte).[208]

 

Beispiel[209]

Die Projektentwicklungsgesellschaft P erwarb ein in einem bisher unbeplanten Bereich der nordrhein-westfälischen Gemeinde G belegenes ehemaliges Kasernengelände, auf dem P den Neubau eines Supermarkts, die Einrichtung von Dienstleistungsbetrieben und von Wohnungen plante. Auf Antrag von P stellte G nach § 12 Abs. 2 S. 1 BauGB einen vorhabenbezogenen Bebauungsplan auf. Noch vor dem Satzungsbeschluss schlossen G und P einen Durchführungsvertrag, in dessen § 3 Abs. 1 lit. c) sich P u.a. dazu verpflichtete, G „die vorhabenbedingt erforderlichen Kosten für die Neueinrichtung einer Rechtsabbiegerspur für das Neubaugebiet auf der angrenzenden Landstraße zu erstatten. Die Baukosten hierfür werden vorbehaltlich der endgültigen Abrechnung mit rd. 400 000 € angegeben.“ In § 12 des Vertrages heißt es: „Zur Sicherung aller sich aus diesem Vertrag für P ergebenden Verpflichtungen leistet diese Sicherheit i.H.v. 700 000 € durch Übergabe einer unbefristeten selbstschuldnerischen Bankbürgschaft.“ Die tatsächlichen Baukosten für den Bau der Rechtsabbiegerspur beliefen sich auf 600 000 €. Hierauf zahlte P 500 000 € und macht nunmehr gegenüber G einen Anspruch auf Herausgabe der Bankbürgschaft gelten. Zur Begründung beruft sich P auf den Aktenvermerk eines Bediensteten von G, in dem dieser folgendes „Finanzierungsproblem“ beschrieb: „Das mit der Neueinrichtung der Rechtsabbiegerspur beauftragte Straßenbauunternehmen beziffert die diesbezüglichen Kosten auf 600 000 €. In dem später mit P geschlossenen Durchführungsvertrag wurde die Gesamtausbausumme dagegen nur mit 400 000 € angegeben.“ Steht P der geltend gemachte Anspruch zu, wenn die Parteien im Übrigen ihre jeweiligen Vertragspflichten vollständig erfüllt haben?

Nein. Als Rechtsgrundlage für das Herausgabeverlangen kommt allein der allgemeine öffentlich-rechtliche Erstattungsanspruch in Betracht. Dessen Tatbestandsvoraussetzungen sind vorliegend jedoch nicht erfüllt. Zwar hat eine Vermögensverschiebung durch Leistung von P im Rahmen eines öffentlich-rechtlichen Rechtsverhältnisses stattgefunden. Für diese Vermögensverschiebung besteht aber in Form des – wirksamen – öffentlich-rechtlichen Durchführungsvertrags i.S.v. § 54 S. 1 VwVfG NRW ein Rechtsgrund. Die insoweit streitige Frage lautet dahin, ob tatsächlich noch eine zu besichernde Forderung von G gegenüber P besteht oder ob der Sicherungszweck mittlerweile entfallen und deshalb die Bürgschaft herauszugeben ist. Für die Annahme, die Parteien hätten die Kostenerstattungspflicht von P auf einen Betrag von 400 000 € begrenzen wollen, so dass G von P nicht die Zahlung der vollen tatsächlichen Kosten i.H.v. 600 000 € verlangen kann, finden sich in dem Durchführungsvertrag keine Anhaltspunkte. Insbesondere kommt eine Auslegung (§§ 133, 157 BGB analog) von dessen § 3 Abs. 1 lit. c) S. 2 dahingehend, dass mit ihm eine Beschränkung des Umfangs der nach § 3 Abs. 1 lit. c) S. 1 des Vertrags zu erstattenden Aufwendungen auf rd. 400 000 € erreicht werden sollte, nicht in Betracht. Schon die Einleitung von § 3 Abs. 1 lit. c) S. 2 des Vertrags („vorbehaltlich der endgültigen Abrechnung“) verdeutlicht, dass der von P endgültig zu erstattende Betrag offen bleiben und erst durch eine spätere Abrechnung festgelegt werden sollte. Auch der weitere Inhalt der Regelung von § 3 Abs. 1 lit. c) S. 2 des Vertrags, wonach „die Baukosten mit rd. 400 000 € angegeben“ werden, zwingt nicht etwa zu dem Schluss, dass mit diesem Betrag eine Obergrenze der Kostenerstattungspflicht festgelegt werden sollte. Die genannten Baukosten sind nicht etwa vorläufig „veranschlagt“ oder „vereinbart“, sondern nur „angegeben“ worden. Daraus folgt, dass der genannte Betrag nur Grundlage für sonstige Berechnungen sein soll. So mag die Angabe der Baukosten mit rd. 400 000 € vorliegend den Sinn gehabt haben, den Vertragsparteien zu verdeutlichen, welcher Anteil der Gesamtbürgschaft von 700 000 € (vgl. § 12 des Vertrags) auf die in § 3 Abs. 1 lit. c) S. 1 des Vertrags geregelte Kostenerstattungsverpflichtung von P entfallen sollte. Ein dem widersprechendes Verständnis des Vertragsinhalts durch einen Bediensteten von G – wie es etwa in dem Aktenvermerk zum Ausdruck gekommen sein könnte – ist für die Vertragsauslegung irrelevant. Wenn – wie hier gem. § 57 VwVfG NRW – Schriftform als Wirksamkeitsvoraussetzung eines öffentlich-rechtlichen Vertrages vorgeschrieben ist, muss sich aus dem Inhalt der Vertragsurkunde selbst ein zureichender Anhaltspunkt für die Auslegung ergeben. Der Vertragsinhalt darf nicht ausschließlich anhand von Umständen ermittelt werden, die außerhalb der Vertragsurkunde liegen. Insofern gelten die gleichen Grundsätze wie für die Auslegung von privatrechtlichen Willenserklärungen, die der Schriftform gemäß § 126 BGB bedürfen. Etwaige Nebenabreden, die nicht zum Inhalt des Durchführungsvertrags gemacht worden sind, sind daher irrelevant. Bei formbedürftigen Erklärungen ist nur der Wille beachtlich, der unter Wahrung der vorgeschriebenen Form erklärt worden ist. Formunwirksame Nebenabreden können mithin nicht im Wege der Auslegung zum Inhalt der Erklärung gemacht werde. Hätte P die Regelung einer verbindlichen Obergrenze für ihre Kostenerstattungsverpflichtung gewollt, so wäre es vielmehr an ihr gewesen, eine entsprechend klare und eindeutige Regelung in den Vertrag aufzunehmen.

5. Materielle Rechtmäßigkeit

107

Über die Wahrung der formellen Rechtmäßigkeitsanforderungen (Rn. 103 ff.) hinaus muss der Verwaltungsvertrag ebenfalls seinem Inhalt nach mit der Rechtsordnung in Einklang stehen.[210] Die im Zivilrecht bestehende Vertragsfreiheit gibt es im öffentlichen Recht nicht. Dass der Grundsatz vom Vorrang des Gesetzes (Rn. 18 ff.) auch insoweit gilt, ergibt sich einfachgesetzlich wiederum aus § 54 S. 1 VwVfG a.E., der allgemein von „entgegenstehenden Rechtsvorschriften“ spricht und sich damit nicht nur auf die Handlungsform „Verwaltungsvertrag“ bezieht (vgl. Rn. 102).

108

I.S.v. § 54 S. 1 VwVfG a.E. dem Vertragsinhalt „entgegenstehende Rechtsvorschriften“ sind zum einen im Hinblick auf bestimmte Arten von Verwaltungsverträgen in den §§ 55 und 56 VwVfG enthalten (Rn. 109 f.). Zum anderen können sich auch aus dem jeweils einschlägigen Fachrecht, aus allgemeinen Rechtsgrundsätzen (v.a. Ermessen, Verhältnismäßigkeitsgrundsatz) sowie den Grundrechten und dem Europarecht Einschränkungen im Hinblick auf den zulässigen Inhalt des Verwaltungsvertrags ergeben. Ob die derart begrenzte Gestaltungsfreiheit der Verwaltung dadurch erweitert werden kann, dass der Bürger im Vertrag behördlichen Eingriffen in seine subjektiv-öffentlichen Rechte zustimmt, die ansonsten nicht zulässig wären, wird unterschiedlich beurteilt. Nach Maurer/Waldhoff[211] sei ein derartiger Verzicht von (Grund-)Rechten des Bürgers (z.B. aus Art. 13 GG) auch in verwaltungsvertraglicher Form jedenfalls insoweit möglich, als der Bürger befugt ist, über die fragliche Rechtsposition zu disponieren (was dann der Fall ist, wenn diese ausschließlich seinen Interessen zu dienen bestimmt ist) und der freiwillig erklärte Rechtsverzicht im konkreten Fall nicht gegen das Koppelungsverbot des § 56 Abs. 1 S. 2 VwVfG verstößt (so aber z.B. die Verknüpfung der Erteilung eines Baudispenses nach § 31 Abs. 2 BauGB mit der Begleichung von noch ausstehenden Steuerschulden).

109

Spezielle Anforderungen an den Inhalt von bestimmten Arten von Verwaltungsverträgen enthalten die §§ 55 und 56 VwVfG. Gemeinsam ist beiden Vorschriften, dass sie tatbestandlich an das Vorliegen eines Vertrags i.S.v. § 54 S. 2 VwVfG anknüpfen. Gemeint sind damit solche Verwaltungsverträge, die die Behörde mit demjenigen schließt, an den sie sonst den Verwaltungsakt richten würde, d.h. zu dem sie in einem Über-/Unterordnungsverhältnis steht (daher auch sog. subordinationsrechtlicher[212] Vertrag; z.B. Vertrag zwischen der Polizei und dem Pflichtigen über die Beseitigung eines ordnungswidrigen Zustands). Erfüllt ist diese Voraussetzung nach h.M.[213] allerdings nicht erst dann, wenn der Behörde bei konkreter Betrachtungsweise eine Verwaltungsaktbefugnis zustünde, d.h. sie die Regelung mit genau demselben Inhalt durch Verwaltungsakt treffen dürfte; vielmehr reicht es aus, wenn bei abstrakter Sichtweise der Gegenstand der vertraglichen Regelung so oder ähnlich auch einer Regelung durch Verwaltungsakt gegenüber dem Vertragspartner zugänglich wäre (siehe Übungsfall Nr. 2). Demnach gilt § 54 S. 2 VwVfG für alle Verträge zwischen einer Privatperson und einem Träger der öffentlichen Verwaltung auf einem Gebiet, auf dem ein hoheitliches Verhältnis der Über-/Unterordnung besteht (vgl. Rn. 25).

110

Soll mit dem subordinationsrechtlichen Vertrag (Rn. 109) eine bei verständiger Würdigung des Sachverhalts[214] oder der Rechtslage bestehende Ungewissheit durch gegenseitiges Nachgeben beseitigt werden, so „kann“ ein solcher Vergleichsvertrag gem. § 55 VwVfG geschlossen werden, wenn die Behörde den Abschluss des Vergleichs zur Beseitigung der Ungewissheit nach pflichtgemäßem Ermessen für zweckmäßig hält.[215]


Eine Ungewissheit über den Sachverhalt i.S.v. § 55 VwVfG liegt vor, wenn ein unverhältnismäßiger Klärungsaufwand zu betreiben wäre und es im Hinblick auf die objektive Bedeutung für die Sache und ihre subjektive Bewertung durch die Beteiligten nach pflichtgemäßem Ermessen vertretbar und zweckmäßig ist, auf eine Klärung zu verzichten.[216] Eine Ungewissheit über die Rechtslage i.S.v. § 55 VwVfG ist gegeben, wenn die Anwendbarkeit oder die Auslegung der entscheidungserheblichen Normen zweifelhaft ist, etwa wenn eine eindeutige höchstrichterliche Rechtsprechung fehlt oder der Aufwand für die Klärung der Rechtsfrage außer Verhältnis zu ihrer Bedeutung stünde.[217]

Aus dieser Zielsetzung folgt, dass sich die Ungewissheit (z.B. bzgl. des Bestehens einer Abgabenpflicht) und das Nachgeben (z.B. Teilzahlung durch den Bürger, Teilerlass durch die Verwaltung) auf ein und denselben Punkt beziehen müssen. Sind diese Voraussetzungen erfüllt, so vermag ein Vergleichsvertrag auch solche Leistungspflichten zu begründen, deren Inhalt der Gesetzeslage (teilweise) widersprechen („Privileg gesteigerter Unempfindlichkeit gegenüber Gesetzesverletzungen“[218]).

Hinweis

„Der Vergleichsvertrag […] wirft solange keine […] Probleme auf, wie die vertragliche Übereinkunft nur die wahre Rechtslage deklaratorisch wiedergibt. Schwieriger zu beurteilen sind die Fälle, in denen der Vertrag eine gesetzesinkongruente Rechtslage statuiert. Schlösse man solche konstitutiven Regelungsgehalte aus dem Anwendungsbereich des Vergleichsvertrags aus, so würde er viel von seiner Attraktivität als Mittel der gütlichen Streitbeilegung einbüßen. Ließe man Absprachen contra legem hingegen unbeschränkt zu, ergäben sich erheblich rechtsstaatliche Bedenken. Der (rechtmäßige) Vergleichsvertrag bewegt sich daher auf dem Grat zwischen rechtsstaatlicher Gesetzesbindung und einem der zivilrechtlichen Vertragsautonomie vergleichbaren Handlungsspielraum der Exekutive.“[219]

 

111

Verpflichtet sich der Vertragspartner der Behörde im subordinationsrechtlichen Vertrag (Rn. 109) zu einer Gegenleistung, so kann dieser Austauschvertrag gem. § 56 VwVfG dann geschlossen werden, wenn die Gegenleistung für einen bestimmten Zweck im Vertrag vereinbart wird und der Behörde zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben dient. Die Gegenleistung muss den gesamten Umständen nach angemessen sein und im sachlichen Zusammenhang mit der vertraglichen Leistung der Behörde stehen (Koppelungsverbot, z.B. Verpflichtung der Behörde zur Erteilung einer Baugenehmigung unter Befreiung von der Pflicht zur Schaffung der erforderlichen Einstellplätze, wenn der Bürger 50 000 € für den Bau des nahegelegenen Parkhauses – nicht aber etwa: eines städtischen Seniorenzentrums – zahlt; siehe Übungsfall Nr. 2). Besteht auf die Leistung der Behörde ein Anspruch, so kann nur eine solche Gegenleistung vereinbart werden, die bei Erlass eines Verwaltungsakts Inhalt einer Nebenbestimmung nach § 36 VwVfG sein könnte (Rn. 77 ff.; z.B. Verpflichtung der Behörde zur Erteilung einer Betriebsgenehmigung bei gleichzeitiger Verpflichtung des Fabrikanten zur Einhaltung bestimmter Lärmschutzmaßnahmen). Mit diesen in § 56 VwVfG[220] verankerten Einschränkungen verfolgt der Gesetzgeber einerseits das Ziel, einen „Ausverkauf von Hoheitsrechten“ zu verhindern. Andererseits soll der Bürger vor behördlichen Forderungen nach ungerechtfertigten Gegenleistungen geschützt werden. Die synallagmatische Leistungspflicht der Behörde muss nicht ausdrücklich im Vertragstext erwähnt werden, sondern kann auch stillschweigend vereinbart werden (hinkender Austauschvertrag, siehe Übungsfall Nr. 2).

JURIQ-Klausurtipp

Die materielle Rechtmäßigkeit eines Austauschvertrags ist gem. § 56 Abs. 1 VwVfG wie folgt zu prüfen: Die Gegenleistung des Vertragspartners der Behörde muss


1. im Vertrag für einen bestimmten Zweck vereinbart werden;
2. dieser zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben dienen;
3. den gesamten Umständen nach angemessen sein und
4. im sachlichen Zusammenhang mit der vertraglichen Leistung der Behörde stehen (Koppelungsverbot).

Sofern auf die Leistung der Behörde ein Anspruch besteht, kann gem. § 56 Abs. 2 VwVfG zudem


5. nur eine solche Gegenleistung vereinbart werden, die bei Erlass eines Verwaltungsakts Inhalt einer Nebenbestimmung nach § 36 VwVfG sein kann.