Allgemeines Verwaltungsrecht

Tekst
0
Recenzje
Przeczytaj fragment
Oznacz jako przeczytane
Czcionka:Mniejsze АаWiększe Aa

[Bild vergrößern]

3. Teil Handlungsformen der Verwaltung › B. Handlungsformen der Verwaltung auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts › II. Öffentlich-rechtlicher Vertrag

II. Öffentlich-rechtlicher Vertrag

94

Neben dem Verwaltungsakt (Rn. 39 ff.) als der für die Verwaltung typischen und häufigsten Handlungsform hält das VwVfG in seinen §§ 54 bis 62 mit dem öffentlich-rechtlichen Vertrag eine weitere und immer bedeutsamer werdende Möglichkeit für die Behörde bereit, wie diese ein Rechtsverhältnis auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts begründen, ändern oder aufheben kann, vgl. auch §§ 53 bis 61 SGB X.[187] Während sich das Instrument des Verwaltungsakts dadurch auszeichnet, dass die Behörde mit seiner Hilfe einseitig eine Regelung gegenüber dem Bürger trifft („hoheitliche Maßnahme“; Rn. 46), besteht das Wesensmerkmal des öffentlich-rechtlichen Vertrags gerade darin, dass Bürger und Behörde einvernehmlich (konsensual) handeln (Befriedungsfunktion). Zur Anwendung gelangt der öffentlich-rechtliche Vertrag denn auch vornehmlich dort, wo die Verwaltung in besonderem Maße auf Kooperation mit dem Einzelnen angewiesen ist, wie etwa im Bereich des Städtebaurechts zur Herstellung eines tatsächlichen Interessenausgleichs oder als rudimentärer Rahmen der Public Private Partnerships (PPP), mittels derer Private in die Erledigung öffentlicher Aufgaben mit einbezogen werden. Neben diesen Vorteilen birgt der öffentlich-rechtliche Vertrag freilich auch Gefahren. Stichworte sind insoweit der „Ausverkauf von Hoheitsrechten“ bzw. umgekehrt die „Monetarisierung von Verwaltungsleistungen“ (Rn. 111).

JURIQ-Klausurtipp

Wie bereits in der Verortung der für den öffentlich-rechtlichen Vertrag geltenden Vorschriften zum Teil im VwVfG (§§ 54 bis 62 S. 1) und zum Teil im BGB (siehe § 62 S. 2 VwVfG) zum Ausdruck kommt, bewegen sich auch Fallbearbeitungen in diesem Bereich auf der Grenze zwischen öffentlichem Recht und Privatrecht. Seiner Grundstruktur nach unterscheidet sich der öffentlich-rechtliche Vertrag denn auch nicht vom privatrechtlichen Vertrag. In beiden Fällen kann ein vertraglicher Anspruch, d.h. das Recht der einen Vertragspartei, von der anderen ein Tun oder Unterlassen verlangen zu können (vgl. § 194 Abs. 1 BGB), nur dann erfolgreich geltend gemacht werden, wenn der Anspruch entstanden, nicht erloschen und durchsetzbar ist. Insoweit ist daher auch in der öffentlich-rechtlichen Klausur zivilrechtlich zu „denken“, d.h. der aus dem Zivilrecht bekannte Aufbau zu wählen:


1. Anspruch entstanden? → Ist der öffentlich-rechtlich (Rn. 97) zu qualifizierende Vertrag (Rn. 95) wirksam zustande gekommen, d.h. ist die Schriftform des § 57 VwVfG (Rn. 106 und Rn. 117) gewahrt, die etwaig erforderliche Zustimmung Dritter bzw. die Mitwirkung anderer Behörden nach § 58 VwVfG erfolgt (Rn. 104 f.) und liegt auch i.Ü. keine Nichtigkeit i.S.v. § 59 VwVfG (Rn. 115 ff.) vor?
2. Anspruch erloschen? → Erlöschenstatbestände enthalten u.a. § 60 VwVfG (Rn. 114) und § 62 S. 2 VwVfG i.V.m. §§ 275, 323 ff., 362 BGB.
3. Anspruch durchsetzbar? → Einredetatbestände sind v.a. in § 62 S. 2 VwVfG i.V.m. §§ 214, 242, 273 und 320 BGB enthalten.

Inhaltlich – und insoweit ist die Klausur wieder originär öffentlich-rechtlich – sind die öffentlich-rechtlichen Normen (des VwVfG, vgl. dessen § 62 S. 1, sowie v.a. die Grundrechte) und die allgemeinen Rechtsgrundsätze zu beachten, an welche die Behörde auch bei Wahl der vertraglichen Handlungsform gebunden ist (Rn. 107 f.).

Im Fall der Nichterfüllung der vertraglichen Verpflichtung muss die jeweils andere Vertragspartei Klage vor dem Verwaltungsgericht erheben, um ihren Anspruch zwangsweise durchzusetzen. Dies gilt auch für die Behörde, die sich durch den Vertragsschluss mit dem Bürger auf die Ebene der Gleichordnung begibt und ihre Ansprüche aus öffentlich-rechtlichem Vertrag daher nicht einseitig mittels Verwaltungsakt fest- und durchsetzen darf (Argument der „Waffengleichheit“; Rn. 127). Zur Möglichkeit der Unterwerfung unter die sofortige Vollstreckung siehe § 61 VwVfG.

1. Vertrag

95


Ebenso wie im Zivilrecht ist auch im öffentlichen Recht unter dem Begriff „Vertrag“ die Einigung von zwei oder mehr Rechtssubjekten über die Herbeiführung eines bestimmten Rechtserfolgs zu verstehen.[188]

Erforderlich hierfür sind mindestens zwei mit Bezug aufeinander abgegebene, sich inhaltlich entsprechende und mit Rechtsbindungswillen (andernfalls: unverbindliche informelle Absprache wie z.B. gentlemen's agreement), Handlungswillen sowie (potentiellem) Erklärungsbewusstsein abgegebene Willenserklärungen in Form von Angebot und Annahme, die zu ihrem Wirksamwerden dem jeweils anderen zugehen müssen, siehe § 62 S. 2 VwVfG i.V.m. §§ 130, 145 ff. BGB. Da die Behörde nicht rechtsfähig, d.h. kein eigenständiges Rechtssubjekt ist, ist nicht sie selbst Vertragspartner des Privaten (natürliche oder juristische Person oder teilrechtsfähige Vereinigung), sondern vielmehr derjenige Rechtsträger, dem ihre Erklärungen zugerechnet werden (vgl. Rn. 49).

Hinweis

In diesem Zusammenhang können sich namentlich kommunalrechtliche Probleme stellen. So ist etwa gem. § 63 Abs. 1 S. 1 GO NRW unbeschadet der dem Rat und seinen Ausschüssen zustehenden Entscheidungsbefugnisse der Bürgermeister der gesetzliche Vertreter der Gemeinde in Rechts- und Verwaltungsgeschäften. Das bedeutet: Ein vom Bürgermeister im Namen der Gemeinde geschlossener öffentlich-rechtlicher Vertrag i.S.v. § 54 VwVfG NRW ist im Außenverhältnis zum Bürger grundsätzlich selbst dann wirksam, wenn der hierfür im gemeindlichen Innenverhältnis nach § 41 GO NRW erforderliche Ratsbeschluss fehlt (Abstraktionsprinzip).[189] Abweichendes gilt ausnahmsweise insbesondere dann, wenn der Bürgermeister mit dem Vertragspartner in rechtlich zu missbilligender Weise zusammenwirkt (Kollusion) oder Letzterer den Mitwirkungsmangel kannte bzw. kennen musste, d.h. nicht schutzwürdig ist. In diesen Fällen ist der Vertrag gem. § 59 Abs. 1 VwVfG NRW i.V.m. § 138 nichtig (Rn. 117).[190]

96

Kein Fall des § 54 VwVfG, sondern vielmehr des § 35 S. 1 VwVfG, liegt hingegen vor, wenn der Bürger aufgrund eines gesetzlich vorgesehenen Antrags- oder Zustimmungserfordernisses lediglich Einfluss darauf hat, ob eine einseitige behördliche Regelung überhaupt ergeht oder nicht (mitwirkungsbedürftiger Verwaltungsakt, z.B. Beamtenernennung; Rn. 46). Voraussetzung für eine vertraglich herbeigeführte Regelung ist vielmehr, dass der Private Gelegenheit hat, auch auf den Inhalt des Rechtsverhältnisses Einfluss zu nehmen. Bedeutsam wird diese Unterscheidung insbesondere dann, wenn die Behörde über die Wahlmöglichkeit verfügt, anstatt einen Verwaltungsakt zu erlassen, einen öffentlich-rechtlichen (Subordinations-)Vertrag mit demjenigen zu schließen, an den sie sonst den Verwaltungsakt richten würde, vgl. § 54 S. 2 VwVfG (Rn. 109). Indiz ist insoweit neben der Bezeichnung („Vertrag“ oder „Bescheid“ etc.), dem Verfahren sowie den übrigen Umständen des Zustandekommens der Regelung auch, wie typisch der geregelte Lebenssachverhalt ist. In häufig auftretenden Konstellationen wird die Behörde eher in Form des Verwaltungsakts handeln, wohingegen sie bei einer atypischen Lage zur Erzielung von interessenausgleichenden Resultaten eher von einer vertraglichen Regelung Gebrauch machen wird.

 

Beispiel[191]

Unternehmer U produziert in der Stadt S Fertighäuser. Zur Erweiterung seiner Fabrikanlage benötigt U Baugrund, der in S allerdings nur zu sehr hohen Preisen angeboten wird. Deshalb kündigt U in einer Pressekonferenz an, den gesamten Betrieb in eine andere Gemeinde zu verlegen. Um den hierdurch eintretenden Verlust von Arbeitsplätzen sowie von Gewerbesteuereinnahmen zu verhindern, beschließt der Rat von S, dem U eine Gewerbeförderung zum Erwerb eines bestimmten Grundstücks in S zu gewähren. Hierzu legen S und U nach längeren Verhandlungen Folgendes schriftlich nieder: „(1) S verpflichtet sich zur Zahlung von 250 000 € an U. (2) U verpflichtet sich, den vorgenannten Betrag zum Erwerb eines (näher bezeichneten) Grundstücks in S zu verwenden und mit dem erweiterten Teil seines Betriebs mindestens noch 15 Jahre in S ansässig zu bleiben.“ Nach Erhalt der 250 000 € wandert U unter Hinweis auf „zwingende betriebliche Gründe“ gleichwohl mit seinem Betrieb in eine andere Gemeinde ab. S möchte U auf Rückzahlung der Fördersumme in Anspruch nehmen, ist sich aber nicht sicher, ob sie hierfür zuvor noch einen Verwaltungsakt erlassen muss. Europarecht ist nicht zu prüfen.

Als Grundlage für den Rückforderungsanspruch könnte § 346 Abs. 1 i.V.m. § 323 Abs. 1 BGB (ggf. i.V.m. § 62 S. 2 VwVfG) in Betracht kommen, dessen Geltendmachung nicht vom vorherigen Erlass eines Verwaltungsakts durch S abhängig ist. Dann müsste das von U und S schriftlich Niedergelegte als (privat- oder öffentlich-rechtlicher) Vertrag zu qualifizieren sein. Sollte es sich hierbei dagegen um einen Verwaltungsakt mit Nebenbestimmung – als solche kommt hier i.E. wohl nur eine Auflage i.S.v. § 36 Abs. 2 Nr. 4 VwVfG in Betracht – handeln, so stünde S der gegenüber U geltend gemachte Anspruch nur dann zu, wenn S diesen zunächst gem. § 49 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 des einschlägigen VwVfG für die Vergangenheit widerruft und den Zuschuss sodann nach dessen § 49a Abs. 1 zurückfordert. Mithin kommt es entscheidend darauf auf, welche dieser beiden Handlungsformen hier vorliegt. Der Annahme eines Verwaltungsakts steht entgegen, dass es sich hier nicht um eine einseitige Maßnahme einer Behörde handelt. Denn neben der beiderseitigen Mitwirkung von S und U sowohl am Abschluss als auch am Inhalt der schriftlichen Niederlegung enthält diese zudem beiderseitig gleichrangige und gegenseitige Pflichten. Also kann S gegenüber U aufgrund des Vertragscharakters der schriftlichen Niederlegung die Rückzahlung der 250 000 € geltend machen, ohne zuvor noch einen Verwaltungsakt erlassen zu müssen.

2. Auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts

97

Sofern ein Vertrag vorliegt (Rn. 95 f.), muss das durch diesen begründete, geänderte oder aufgehobene Rechtsverhältnis gem. § 54 S. 1 VwVfG zudem noch ein solches „auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts“ sein (dazu siehe Rn. 23 ff.). Hierdurch wird der öffentlich-rechtliche Vertrag i.S.d. §§ 54 ff. VwVfG vom privatrechtlichen Vertrag abgegrenzt, der v.a. im Bereich des Haftungsrechts, des Rechtswegs sowie der Vollstreckungsmöglichkeiten anderen Regeln folgt als der öffentlich-rechtliche.

98

Praktisch relevant wird diese Differenzierung insbesondere auf dem Gebiet der Leistungsverwaltung (z.B. Betrieb eines städtischen Schwimmbads), wo die Behörde über ein Wahlrecht zwischen öffentlich-rechtlicher und privatrechtlicher Ausgestaltung des Rechtsverhältnisses zum Bürger verfügt und somit letztlich auch zwischen öffentlich-rechtlichem und privatrechtlichem Vertrag wählen kann (Rn. 22; siehe ferner Rn. 20 zum Verwaltungsprivatrecht). Maßgebliches Kriterium für die diesbezügliche Abgrenzung ist allein der Gegenstand des Vertrags, nicht hingegen etwa die Rechtsstellung der an diesem Beteiligten. Um den §§ 54 ff. VwVfG zu unterfallen, muss der wesentliche Inhalt des Vertrags nach objektiven Kriterien darauf gerichtet sein, Rechtsfolgen auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts herbeizuführen (z.B. Vollzug öffentlich-rechtlicher Normen, Begründung einer Pflicht der Verwaltung zum Erlass eines Verwaltungsakts).

Hinweis

„Gleichordnungsverhältnisse sind öffentlich-rechtlich, wenn die das Rechtsverhältnis beherrschenden Rechtsnormen nicht für jedermann gelten, sondern Sonderrecht des Staates oder sonstiger Träger öffentlicher Aufgaben sind, das sich zumindest auf einer Seite nur an Hoheitsträger wendet. Für die Abgrenzung eines öffentlich-rechtlichen von einem privatrechtlichen Vertrag kommt es daher auf dessen Gegenstand und Zweck an. Die Rechtsnatur des Vertrages bestimmt sich danach, ob der Vertragsgegenstand dem öffentlichen oder dem bürgerlichen Recht zuzurechnen ist.“[192]

Umstritten ist, was gilt, wenn der Vertrag nur zum Teil dem öffentlichen Recht zuzuordnen ist (z.B. die Behörde verpflichtet sich zur Erteilung eines Dispenses), ansonsten aber Sachbereiche betrifft, die nach Privatrecht zu beurteilen bzw. rechtsgebietsneutral sind (z.B. der Bürger verpflichtet sich zu einer Geldzahlung). Entgegen einer früher vertretenen Auffassung[193], die in derartigen Fällen von einem gemischten bzw. gespaltenen Vertrag mit sowohl öffentlich-rechtlichen als auch privatrechtlichen Elementen ausging, weist die in Rechtsprechung[194] und Literatur[195] h.M. darauf hin, dass ein Rechtsverhältnis, d.h. die sich aus einem konkreten Sachverhalt ergebende rechtliche Beziehung zwischen (mindestens) zwei Rechtssubjekten oder einem Rechtssubjekt zu einer Sache[196], nur einheitlich entweder als öffentlich-rechtlich oder als privatrechtlich beurteilt werden kann (Rn. 37). Der gesamte Vertrag – inkl. seines privatrechtlichen Teils – ist daher dann ein solcher i.S.v. § 54 VwVfG, wenn der öffentlich-rechtliche Teil ihm insgesamt das Gepräge gibt (wie im Beispiel des Baudispensvertrags der Fall; Schwerpunkttheorie). Dies gilt auch dann, wenn im Vertrag ausdrücklich nur die Geldzahlungspflicht des Bürgers geregelt wird, nicht dagegen auch die dem Vertrag ggf. seinen öffentlich-rechtlichen Schwerpunkt (Sachzusammenhang) gebende Leistung der Behörde, im Hinblick auf welche die Gegenleistung des Bürgers erfolgt (hinkender Austauschvertrag, siehe Übungsfall Nr. 2). Sind allerdings mehrere, inhaltlich voneinander unabhängige (teilbare) öffentlich-rechtliche und privatrechtliche Vereinbarungen lediglich rein äußerlich in einer Vertragsurkunde zusammengefasst (z.B. Grundstückskaufvertrag und erschließungsrechtlicher Ablösungsvertrag), so liegt bei der maßgeblichen materiell-rechtlichen Betrachtungsweise in Wahrheit nicht ein einheitliches (entweder öffentlich-rechtlich oder privatrechtlich zu qualifizierendes) Rechtsverhältnis, sondern vielmehr eine entsprechende Vielzahl von öffentlich-rechtlichen und privatrechtlichen Rechtsverhältnissen vor (zusammengesetzter Vertrag).

Beispiel[197]

In einer nicht gesondert kündbaren „Nebenabrede“ zum zwischen dem Angestellten A und dem Bundesland L geschlossenen Arbeitsvertrag heißt es: „L sichert zu, den A spätestens in 4 Jahren bei Vorliegen der beamtenrechtlichen Einstellungsvoraussetzungen in das Beamtenverhältnis zu berufen. L gewährleistet A mit dem Tage der Begründung des Arbeitsverhältnisses eine Anwartschaft auf Versorgung bei verminderter Erwerbsfähigkeit und im Alter sowie auf Hinterbliebenenversorgung nach beamtenrechtlichen Vorschriften. Für diese Zusicherungen (Vollzeitbeschäftigung als Beamter und entsprechende Altersversorgung unter Anrechnung der Beschäftigung im Angestelltenverhältnis) verpflichtet sich A zu einer Gegenleistung i.H.v. 150 € monatlich. Dieser Betrag wird mit den laufenden Vergütungsansprüchen verrechnet.“ Nach erfolgter Übernahme in das Beamtenverhältnis meint A, die Nebenabrede sei gem. § 59 Abs. 2 Nr. 4 i.V.m. § 56 Abs. 1 S. 2 LVwVfG nichtig und verlangt daher von L die Erstattung der insgesamt einbehaltenen 7200 €. Demgegenüber ist L der Ansicht, dass § 59 L-VwVfG hier schon gar nicht anwendbar sei, da es sich um einen (wirksamen) privatrechtlichen Vertrag handele. Ist diese Auffassung zutreffend?

Nein. Die Nebenabrede in dem zwischen A und L geschlossenen Arbeitsvertrag ist insgesamt dem öffentlichen Recht zuzuordnen. Zwar enthält sie mehrere Gegenstände. Doch ist deren zentraler Punkt, nämlich die Verpflichtung von L, den A später als Beamten einzustellen, als maßgeblicher Vertragsgegenstand dem Beamtenrecht zuzuordnen. Das durch den Gesamtvertrag begründete Arbeitsverhältnis sollte diesem dem öffentlichen Recht zugeordneten Statusverhältnis nur vorläufig vorausgehen. Zwar hat die Zusicherung einer Anwartschaft auf Versorgung nach beamtenrechtlichen Vorschriften nicht als solche öffentlich-rechtlichen Charakter, sondern gestaltet ausschließlich das Arbeitsverhältnis, auf das sie bezogen ist, und hat Konsequenzen im Hinblick auf die Beitragspflicht zur Rentenversicherung. Die von den Parteien getroffene Abrede hat aber auch insoweit keine selbstständige Bedeutung, sondern ist ebenfalls dem Ziel untergeordnet, später ein Beamtenverhältnis zu begründen. Ohne eine dahingehende verbindliche Zusage wäre die Verpflichtung nicht eingegangen worden, eine Versorgung nach beamtenrechtlichen Grundsätzen zu gewährleisten. Dass die Nebenabrede Teil eines – im Übrigen privatrechtlichen – Arbeitsvertrags ist, hindert nicht ihre Einordnung als öffentlich-rechtlich. Streitigkeiten über den Inhalt und die Wirksamkeit einzelner Klauseln im Hinblick auf die Gegenstände additiver Verträge können verschiedenen Rechtsgebieten – und damit letztlich auch verschiedenen Rechtswegen – zugewiesen sein. Der von den Parteien des vorliegenden Verfahrens geschlossene Vertrag, mit dem ein Arbeitsverhältnis begründet und ausgeformt werden sollte, gebietet nicht eine einheitliche rechtliche Beurteilung entweder durch die Arbeitsgerichte oder durch die Verwaltungsgerichte. Die Nebenabrede enthält nämlich einen selbstständigen Regelungskomplex, der nicht in einem unmittelbaren Gegenseitigkeitsverhältnis mit den übrigen Vertragsteilen steht und der deshalb einer isolierten rechtlichen Betrachtung zugänglich ist. Die Bestimmung ist als „Nebenabrede“ bezeichnet, woraus sich bereits der Wille zu einer gegenüber dem übrigen Vertragsinhalt eigenständigen Bestimmung ergibt. Der Klausel, dass die Nebenabrede „nicht gesondert gekündigt werden“ kann, hätte es nicht bedurft, wenn dieser Vertragsteil ohnehin mit dem weiteren Vertragswerk eng verknüpft wäre. Schließlich löst sich die Nebenabrede ihrem Inhalt nach von dem übrigen Vertragsteil, da die Berufung in das Beamtenverhältnis von dem Vorliegen der beamtenrechtlichen Voraussetzungen abhängig gemacht wird. Die nur unter dieser Bedingung zugesicherte Berufung in das Beamtenverhältnis berührt nicht die Wirksamkeit der weiteren vertraglichen Absprachen und steht hierzu auch nicht in einem unlösbaren Zusammenhang.

 

99

Wie sich aus §§ 1 Abs. 1, 9 VwVfG ergibt, unterfallen abweichend vom zu weitgehenden Wortlaut des § 54 S. 1 VwVfG nicht sämtliche öffentlich-rechtlichen Verträge dem unmittelbaren Anwendungsbereich der §§ 54 bis 62 VwVfG, sondern nur solche, die von einer Behörde im Bereich des Verwaltungsrechts abgeschlossen werden (Verwaltungsverträge; vgl. auch Rn. 45). Sonstige öffentlich-rechtliche Verträge wie beispielsweise solche völkerrechtlicher Natur gem. Art. 32, 59 GG oder Staatsverträge – etwa zwischen Bund und Ländern – gehören ebenso wie kirchenrechtliche Verträge nicht hierzu. Zudem sind die Bereichsausnahmen nach § 2 Abs. 2 und 3 VwVfG zu beachten (Rn. 157).

100

Der Inhalt der von der Behörde und dem Bürger im Verwaltungsvertrag getroffenen Regelung ist im Wege der Auslegung gem. §§ 133, 157 BGB i.V.m. § 62 S. 2 VwVfG zu ermitteln (siehe das Beispiel in Rn. 106). Diese kann insbesondere ergeben, dass sich die Behörde im Vertrag dazu verpflichtet hat, gegenüber dem Bürger zu einem späteren Zeitpunkt eine Leistung (z.B. Vornahme eines Realakts, Erlass eines Verwaltungsakts) erst noch zu erbringen. Derartige Verpflichtungsverträge bewirken selbst noch keine Rechtsänderung, sondern begründen nur einen entsprechenden (relativen) Anspruch des jeweiligen Vertragspartners hierauf. Anders dagegen, wenn die Auslegung ergeben sollte, dass die Behörde bereits unmittelbar im Vertrag selbst eine Rechtshandlung vorgenommen (z.B. Erteilung einer Baugenehmigung) und dadurch die Rechtslage sofort entsprechend (absolut) verändert hat, sog. Verfügungsvertrag.