Die Partie. Thriller

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6

Grün ist die Farbe der Hoffnung, aber auch die Farbtemperatur von Neonlicht. Der Schein der flackernden Röhre taucht das Treppenhaus in ein steriles Licht, ähnlich dem, wie es in Leichenhallen und Schlachthauskellern herrscht.

Ein Mann tritt in gebückter Haltung durch die Durchgangstür ein. Auf dem Kopf trägt er eine Schildmütze, die er bis tief in die Stirn gezogen hat. Sein rechtes Bein zieht er bei jedem Schritt fast unmerklich hinter sich her.

Erstes Untergeschoss. Er steigt weiter in die Tiefe, die Treppenstufen hinunter.

Zweites Untergeschoss. Er öffnet die Tür und tritt in die Tiefgarage. Den schweren schwarzen Aktenkoffer in seiner Hand stellt er neben sich ab. Er starrt auf die Überwachungskamera am anderen Ende der kühlen Halle. Dann holt er das Monitor-Babyfon aus seiner Umhängetasche und schaltet es ein. Tatsächlich empfängt er gut sichtbar das Signal der Kamera. Er prägt sich die Fahrbahnmarkierung ein, die genau in der Mitte des Bildausschnitts zu sehen ist. Er will hundertprozentige Arbeit leisten. Er schaltet den Monitor ab. Das Bild verschwindet in wilden grauen Streifen. Danach wird der Bildschirm schwarz.

Er platziert den Koffer an dem Ort, den er sich gemerkt hat. Exakt. Auf dem Rückweg zum Ausgang kommt ihm ein Mann mit einem kleinen Mädchen entgegen, bestimmt nicht älter als sechs Jahre.

»Schöner Tag heute, nicht?«, sagt er freundlich, als er an ihnen vorbeischreitet. Das Mädchen erwidert sein Lächeln.

Lach du nur, denkt er, als er im Treppenhaus verschwindet. Du weißt es noch nicht besser.

Er hasst die Menschen. Sie widern ihn an. Er weiß, wozu sie in der Lage sind. Er hat kein Mitleid mit ihnen. Bei seiner Mission geht es ihm nicht um finanzielle Absicherung oder die Möglichkeit, ein besseres Leben zu führen. Dieser Auftrag ist eine Genugtuung für seine geschundene Seele.

Im Treppenaufgang hält er an und zieht ein Schachbrett aus der Umhängetasche. Er klappt es auf und stellt auf den kahlen Boden. Die Figuren hat er bereits zuvor auf die Felder geklebt. Neben das Brett legt er einen schmalen braunen Briefumschlag.

Als er die Treppe hinaufsteigt, sieht er sich nicht mehr um. Er verlässt das Gebäude und tritt ans Licht. Er mischt sich unter die Menschen und verliert sich im Gewühl.

7

18.42 Uhr

Kimski bemerkt sie schon von Weitem. Mit ihrem bunten Kleid fällt sie selbst in einer Menschenmasse auf den Planken auf.

Er rückt sein Jackett zurecht. Glücklicherweise hat er noch ein frisches Hemd gefunden, das er angezogen hat. Sie sitzt auf einer Bank, zwischen einer Rasenfläche des Platzes und der großen Uhr, die ein beliebter Treffpunkt ist. Als sie ihn sieht, erhebt sie sich und lächelt ihn an.

»So schnell sehen wir uns wieder.«

»Ja.«

»Sie wollen mir wahrscheinlich nicht sagen, wieso Sie Ihre Meinung so plötzlich geändert haben?«

»Nein.«

»Keine Sorge, ich werde schon dahinterkommen. Folgen Sie mir.« Sie winkt und läuft los.

»Wohin wollen Sie denn?«

»Wir müssen doch meinen Verdacht überprüfen.«

»Nur dass Sie mir noch gar nicht gesagt haben, was für einen Verdacht Sie haben!«

Sie überqueren den Paradeplatz und steuern auf das Stadthaus zu. Ein moderner Bau in Weiß und Glas, der in den Neunzigerjahren des Zwanzigsten Jahrhunderts errichtet wurde.

»Was wollen wir denn hier?«, fragt Kimski, als sie durch einen Seiteneingang das Gebäude betreten.

»Wir gehen in die Bibliothek«, sagt Eva und beschleunigt ihren Schritt.

Kimski runzelt die Stirn.

Die Stadtbibliothek liegt im dritten Stockwerk, unter der gläsernen Kuppel des Gebäudes. Als sie das zweite Stockwerk erreichen, bleibt Kimski stehen. Ein breiter schwarzer Riemen versperrt den Weg in den nächsten Stock.

»Kann es sein, dass die Bibliothek schon geschlossen hat?«

»Nein. Es ist nur so, dass montags Ruhetag ist«, sagt Eva und springt über das Absperrband.

»Moment mal«, sagt Kimski, dann folgt er ihr. Als er ein Stockwerk höher ankommt, hört er Eva fluchen.

»Mist!«

Eine massive Schiebewand versperrt den Zugang zur Bibliotheksebene.

»Sind Sie sicher, dass wir darin etwas finden, was uns weiterbringt?«

Eva nickt.

»Also gut.« Kimski sieht das Hindernis näher an. »Ist doch nur zwei Meter hoch. Kommen Sie, ich helfe Ihnen hinüber.«

Er verschränkt seine Hände ineinander und hält sie ihr hin. Sie setzt einen Fuß darauf und zieht sich hoch. Sie braucht mehrere Anläufe, dann kann sie ihren Körper über die Schiebewand hieven. Kimski wendet seinen Blick ab, um ihr nicht unter das Kleid zu sehen.

»Und wie kommen Sie jetzt rüber?«

»Kein Problem.«

Kimski greift mit seinen Händen nach oben, klammert sich an den Rand der Wand.

Ob es hier wohl Überwachungskameras gibt?, fragt er sich. Schließlich zieht er sich empor. Zehn Sekunden später steht er auf der anderen Seite.

Beethovens neunte Sinfonie reißt Pflüger aus seinem Gespräch. Er wühlt sein Mobiltelefon aus der Hosentasche und nimmt ab.

»Ja?«

Keine Antwort. Der Kriminalrat blickt auf den Boden. Sie sind noch nicht weiter gekommen in der Bücherwohnung. Vom Bürgermeister ebenfalls keine Spur. Für Klingelstreiche hat er jetzt keine Zeit.

»Hallo?« Er brüllt in den Hörer, bereit, sofort aufzulegen, wenn sich am anderen Ende der Leitung nicht jemand meldet.

Die kratzige Stimme, die aus dem Lautsprecher ertönt, lässt ihn zusammenfahren.

»In der Tiefgarage des Stadthauses steht ein Koffer mit einer Bombe. Es ist besser, Sie handeln, bevor ein Unglück passiert.«

»Wer spricht da!«

»Sie haben weniger als eine Stunde Zeit. Also beeilen Sie sich.«

»Woher haben Sie diese Nummer?«

Zu spät. Der Anrufer hat aufgelegt. Pflüger wählt sich durch das Handymenü, um die Nummer des zuletzt angenommenen Gespräches anzuzeigen.

Anonymer Anrufer.

»Was haben Sie?«, fragt Vollmer, der bemerkt hat, dass der Anruf seinen Vorgesetzten nervös gemacht hat.

Pflüger hält sein Telefon hoch.

»Ich brauche eine Fangschaltung für mein Handy, falls ich noch mal angerufen werde.«

»Alles klar. Ich regle das.«

»Ja, aber vorher rufen Sie den Sicherheitsdienst an, der für das Stadthaus in N 1 zuständig ist. Ich will wissen, ob denen etwas Sonderbares aufgefallen ist.«

»Irgendwas Bestimmtes?«

»Ein herrenloser Koffer mit einem Sprengsatz zum Beispiel.«

»Oh.«

»Und dann rufen Sie das Landeskriminalamt in Stuttgart an, die sollen uns ein Bombenkommando per Helikopter einfliegen, und zwar schnell!«

8

Er ist tatsächlich in die Stadtbibliothek eingedrungen, während er auf eigene Faust in einem Kriminalfall ermittelt. Und das Stadthaus ist um diese Uhrzeit noch immer bevölkert. Das ist nicht gut. Dass die Bücherei in einem öffentlichen Gebäude liegt und es keine nennenswerten Sicherheitsvorkehrungen gibt, mildert das Vergehen nur unwesentlich.

Er sieht sich um. Zwischen den zahlreichen Bücherregalen kann er Eva nicht entdecken. Bedächtig schleicht er durch die schmalen Gänge und sucht sie. Wie konnte sie nur so schnell verschwinden?

»Ich hab etwas gefunden!«

Kimski fährt zusammen. Eva brüllt von der anderen Seite des Kuppelbaus zu ihm herüber. Er presst die Beine aneinander, als er zu ihr herüber spurtet, um so wenig Lärm wie möglich zu machen.

»Nicht so laut!«, fährt er sie an, als er sie endlich in der Abteilung für Mannheimer Geschichte entdeckt. »Das ist ein offener Kuppelbau. Man kann Sie im ganzen Gebäude hören, wenn Sie so schreien!«

Eva steht mit einem dicken Buch, das sie aufgeschlagen in den Händen hält, vor ihm und blickt ihn mit ihren Rehaugen an.

»Immer mit der Ruhe. Sehen Sie mal hier«, sie zeigt mit dem Finger auf die offene Buchseite. »In D 2 Nummer 14 war bis 1801 die Buchhandlung Schwan. Während der Regentschaft von Kurfürst Carl Theodor war das eine wichtige Stätte geistigen Fortschritts. Dort wurde auch die deutsche Sprache gefördert, die damals im Kulturbetrieb nicht anerkannt war. Und die ersten Stücke von Friedrich Schiller veröffentlicht.«

»Woher wussten Sie das?«

»Ich wusste es ja gar nicht mehr mit hundertprozentiger Sicherheit. Aber während meines Studiums habe ich mal eine Seminararbeit zum Thema Bildungsbürger in Mannheim geschrieben. Da durfte die Buchhandlung Schwan natürlich nicht fehlen. Ich habe mir damals das Haus angesehen, in dem das Ladengeschäft gewesen war. Ich bin nie drin gewesen und hatte die genaue Adresse nicht mehr im Kopf. Als ich heute aus dem Gebäude kam und mich umgesehen habe, ist es mir wieder eingefallen. Und dann habe ich an die Bücher gedacht, die am Tatort lagen.«

»Sie meinen, dass die Wohnung in ein Büchermeer verwandelt worden ist, soll uns darauf aufmerksam machen, dass in dem Haus früher eine bekannte Buchhandlung war?«

»Genau.«

»Wieso?«

Kimski nimmt ihr das Buch aus der Hand und wirft einen Blick darauf. Er dreht es um und liest den Titel des Werks. MANNHEIM IN VERGANGENHEIT UND GEGENWART. BAND 1.

»Vielleicht will jemand ein Rätsel hinterlassen.«

»Darüber habe ich auch schon nachgedacht.«

»Ist es nicht so, dass geisteskranke Mörder sich oft danach sehnen, geschnappt zu werden?«

»Kann schon mal vorkommen.«

 

»Vielleicht handelt der Täter mit gestohlenen antiquarischen Büchern?«

Kimski klappt das Buch zu. »Ich weiß nicht, ob Sie alle Details in Ihre Überlegung mit einbezogen haben.«

»Tja. Was ist zum Beispiel mit den seltsamen Ziffern, die mit Bleistift auf dem Plan notiert waren?«

Eva beugt sich vor, greift in ihre Handtasche und zieht ihr Handy hervor. Kimski beobachtet sie. Als er bemerkt, dass er in den Ausschnitt ihres Sommerkleides blickt, reißt er seinen Kopf hoch. Eva ruft ein Foto auf und hält es ihm unter die Nase.

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»Sie haben alles fotografiert! Gründlich.«

»Sehen Sie, ein Zahlen- und Buchstabencode. Keine Ahnung, was das zu bedeuten hat. Aber Sie müssen zugeben, sehr geheimnisvoll.«

»Zeigen Sie mal her.« Er nimmt ihr das Telefon aus der Hand.

»Haben Sie das Schachbrett auch aufgenommen?«

»Klicken Sie einfach vor und zurück.«

Kimski betrachtet sich die Schachfiguren. »Wie ich dachte.«

»Wie?«

»Das ist einfach. Das sind zwei Züge einer Schachpartie. Sie

wissen, wie man eine Schachpartie auf Papier festhält?«

»Nein.«

Kimski ruft wieder das Bild mit der Ziffernfolge auf.

»Zuerst notiert man bei jedem Zug das Feld, von dem die Figur loszieht, hier zum Beispiel c7. Dahinter schreibt man das Feld, auf dem die Figur landet«, er deutet auf das c5. »Wenn die Figur dabei eine andere Figur schlägt, schreibt man ein x in die Mitte. Das bedeutet also, dass wir hier zwei Züge sehen, zuerst schlug Weiß eine Figur von dem Feld c5, dann zog Schwarz nach und schlug seinerseits die Figur von c5 herunter. Mit der Stellung der Figuren auf dem Brett passt es zusammen.«

»Bravo«, bemerkt Eva.

»Stellt sich immer noch die Frage, was das zu bedeuten hat – und ob es überhaupt etwas bedeutet.«

Manfred Knabb schwitzt. Wie hat er das nur übersehen können?

Er sitzt in seinem stickigen Büro beim Cymertec Sicherheitsdienst und schaltet die Bilder auf den vielen kleinen Monitoren immer wieder hin und her. Er ist für die Videoüberwachung von zwölf Objekten zuständig. Da kann einem schon mal etwas entgehen. Doch jetzt sieht er ihn ganz klar: einen herrenlosen Koffer, exakt in der Mitte des Bildausschnitts abgestellt.

»Positiv. Hier ist tatsächlich eine verdächtige Aktentasche. Woher wussten Sie das?«

»Das tut nichts zur Sache.« Die aufgebrachte Stimme des Kommissars klingt durch den Hörer an sein Ohr. »Dann müssen wir das Gebäude evakuieren«, sagt er. »Wenn Sie noch irgendetwas Auffälliges entdecken, rufen Sie uns diesmal bitte sofort an.«

Aufgelegt. Manfred atmet tief durch und greift zur Kaffeetasse. Er nimmt einen großen Schluck.

Ganz schön sauer, der Kommissar. Aber immerhin passiert mal etwas. Auf einmal verschluckt er sich und prustet die heiße Brühe über den halben Schreibtisch. Hat sich eben etwas in der Bibliothek bewegt?

9

Montag, 19.13 Uhr

Der Mann mit dem hinkenden Bein hat sich in ein Café auf dem Dalberg-Platz gesetzt. In Sichtweite des Stadthauses. Das Mobiltelefon, mit dem er den Sprengsatz zünden wird, liegt vor ihm auf dem Tisch, vor einer Tasse Kaffee. Aber jetzt noch nicht. Noch wird er nichts unternehmen. Zuerst muss er warten, bis sich genügend Polizisten um den Koffer versammelt haben. Dann, wenn die Beamten planen, wie man die Bombe am besten entschärfen kann, wird er sie hochgehen lassen. Hinterhältig. Das stimmt. Aber eben auch außerordentlich unterhaltsam.

Er lehnt sich zurück und greift zu der Tasse. Sein Blick fällt auf die Passanten, die mit ihren vollen Einkaufstüten vorbeiziehen, das Abendlicht taucht ihre Körper in rötliches Gold.

Er sieht auf die andere Straßenseite und beobachtet die Menschentraube, die sich am Seiteneingang des Stadthauses bildet. Wütende Großstädter fordern von den zwei Polizeibeamten, die dort stehen, durchgelassen zu werden. Was natürlich nicht geht. Das Gebäude ist abgeriegelt worden. Männer in Anzügen fuchteln wild mit den Armen, Frauen mit Kindern reißen ihre Münder auf, und Studenten vergraben lethargisch die Hände in den Taschen. Sie alle wollen in das Parkhaus zu ihren Autos. Aber sie können nicht.

Der Beobachter wendet seinen Blick für einen Moment ab und lehnt sich auf seinem Stuhl zurück. Er schließt die Augen und lauscht dem Abend. Aus dem Klangmatsch der vollbepackten

Großstädter, die beim Laufen in ihre Mobiltelefone brüllen, und dem Knattern der Autos, die im Schleichtempo durch die Einbahnstraße rollen, hebt sich urplötzlich ein neues Geräusch ab. Sirenengeheul.

Der Hinkende nippt an seinem Entspannungsgetränk, als der erste Polizeiwagen an ihm vorbeifährt und auf dem Bürgersteig direkt vor dem Stadthaus parkt.

Einen wirklich guten Sitzplatz hat er sich ausgesucht. Herrliche Aussicht. Das nächste Fahrzeug hält an. Dahinter noch eines, ein Zivilfahrzeug. Auf der Beifahrerseite steigt ein Mann aus, dessen Foto sich der Hinkende bereits gründlich eingeprägt hat. Die tief liegenden Sonnenstrahlen tauchen die Schultern und den Hinterkopf des Mannes in gleißendes Licht. Beinahe wie ein Heiligenschein, denkt der Wartende und stellt die Kaffeetasse ab.

Kriminalrat Pflüger ist also angekommen.

»Haben Sie das gehört?«

Kimski antwortet Eva nicht. Natürlich hört er die Sirenen auch. Eva sieht sich um und bemerkt eine Überwachungskamera an der Wand.

»Ob die wegen uns kommen?«, fragt sie.

»Nein. Die schicken nicht so viele Wagen, nur weil wir uns hier verirrt haben.«

Kimski blickt durch die großen Glasfenster auf den Platz hinter dem Stadthaus. Er zählt zwei Streifenwagen und einen Einsatzbus. Diese Fahrzeuge haben ihre Sirenen aber abgestellt. Der Lärm muss von einer anderen Seite kommen. Es sind also noch mehr Fahrzeuge ausgerückt. Eva steht starr an der Fensterfront und sieht nach unten.

»Kommen Sie.« Kimski fasst sie bei der Schulter und zieht sie mit. »Wir werden uns ansehen, was da unten los ist.«

Sie klettern wie zuvor über die Schiebewand, dann springen sie über das Absperrband. Im ersten Stock wirkt auf den ersten Blick alles ruhig. Fast schon zu ruhig. Plötzlich tritt ein Polizeibeamter von der Seite an die beiden heran.

»Entschuldigen Sie bitte. Das Gebäude wird geräumt ... ein Notfall ...«, der Polizist wedelt mit den Armen. »Gehen Sie ganz ruhig vor die Tür.«

Der Beamte kommt näher, um die beiden wegzutreiben.

»Ist schon gut«, sagt Kimski, hebt beschwichtigend den Arm und zieht seinen Dienstausweis aus der Tasche.

»Kommissar Kimski, Mordkommission. Ich bin im Dienst.«

Der Uniformierte hält inne. »Ach so. Sorry.«

»Macht doch nichts«, entgegnet Eva und lächelt ihn an. Sie hakt sich unter Kimskis Arm und schiebt Kimski in Richtung Treppenhaus.

»Warum wird das Stadthaus von der Polizei geräumt?«

»Vielleicht Bombenalarm.«

Als sie die Tür zum Treppenhaus öffnen, hören sie das rege Treiben unter sich. Sie steigen hinab.

Im Erdgeschoss führt eine zweite Treppe, hinter einer Ecke, hinab in die Tiefgarage. Sie sehen, wie zwei Uniformierte dorthin verschwinden.

»Warten Sie hier«, sagt Kimski und läuft die Stufen hinab.

10

Der Koffer steht noch immer unberührt an derselben Stelle. Kimski entdeckt ihn sofort. Die anderen Beamten nehmen ihren Kollegen nicht wahr, als er auf das Objekt zuläuft. Zwei Meter davor bleibt er stehen und starrt es an. Dann sieht er sich um.

»Ich glaube, ich sehe nicht recht!« Pflügers füllige Stimme lässt ihn zusammenfahren.

Der Kriminalrat bewegt sich auf ihn zu.

»Was machen Sie denn hier? Ich habe bereits nach Ihnen suchen lassen!«

Kimski starrt seinen Vorgesetzten schweigend an.

»Irgendwie sonderbar, dass Sie immer als Erster dort sind, wo etwas Spannendes passiert. Was machen wir denn jetzt mit Ihnen, Kimski?«

»Sehen Sie mal, wen ich im Treppenhaus gefunden habe!«, ruft Vollmer. Der Kriminalrat dreht sich um. Kommissar Vollmer führt Eva neben sich her.

»Ach, sieh mal an. Jetzt sind alle wieder beisammen.«

Vor dem Stadthaus beobachtet der Mann mit dem hinkenden Fuß, wie ein weiterer Einsatzwagen eintrifft. Aus dem hinteren Teil des Fahrzeugs springt ein schlanker, sportlicher Mann in schwarzem Overall und schwerer Schutzweste. Aus dem Kofferraum des Wagens hebt er eine Metallkiste. Der Fahrer des Wagens kommt dazu und lädt einen zweiten Koffer aus. Dann steuern die beiden Männer mit der Ausrüstung auf den Eingang des Gebäudes zu.

Ein zaghaftes Lächeln zieht sich über die Lippen des Beobachters. Seine verschwitzten Finger pressen sich an das Plastikgehäuse seines Mobiltelefons. Vor lauter Aufregung ist ihm ein wenig schwindlig. Er kann es kaum noch abwarten. Jetzt, da endlich der Sprengstoffentschärfer eingetroffen ist, kann es in wenigen Augenblicken losgehen. In den nächsten ein oder zwei Minuten wird sich zeigen, wer von ihnen der Schlauere ist, der LKA-Mann mit seinem technischen Brimborium oder er, der Mann, den die wenigen Menschen, die ihn kennen, schon seit Jahren Krähe nennen.

»Endlich!« Erleichterung ist in Pflügers Stimme zu hören, als der Sprengstoffexperte im zweiten Untergeschoss der Tiefgarage auftaucht.

»Wenigstens eine gute Nachricht. Vollmer, zeigen Sie dem Kollegen den Koffer.«

»Ich sehe schon«, sagt der LKA-Mann mit einem leichten schwäbischen Akzent und steuert auf den Koffer zu, in dem eine Bombe vermutet wird. Vollmer folgt ihm, wird von dem Mann aber angewiesen, zurückzubleiben. Pflüger wendet sich wieder Eva und Kimski zu.

»O.k., dann werden wir drei jetzt mal den Kollegen seine Arbeit machen lassen.« Er wirft den beiden einen mürrischen Blick zu. »Ich glaube, Sie haben mir einiges zu erklären, wenn wir oben sind.« Er setzt sich in Bewegung in Richtung Treppenhaus.

Sie folgen ihm. Als Pflüger die erste Treppenstufe erreicht, packt Kimski ihn am Arm. »Warten Sie. Was, wenn das wieder eine Falle ist.«

»Dann ist es umso wichtiger, dass die Bombe entschärft wird.«

Der Kriminalrat reißt sich los und läuft weiter. Kimski wühlt in seiner Hosentasche nach seinem Taschentuch. Als er es an seine Stirn führt, merkt er, dass es mittlerweile komplett durchnässt ist, da die ganze Hose schweißgetränkt an seinem Körper klebt. Noch einmal blickt er durch den Rahmen der Durchgangstür und sieht, dass der Sprengstoffexperte eine Apparatur aufgebaut hat. Er dreht sich um.

In einer Nische im Treppenhaus entdeckt Kimski etwas, das er vorhin übersehen hat. Ein Schachbrett. Wieder stehen die Figuren über das Feld verteilt, als wäre die Partie in vollem Gange. Daneben liegt ein Briefumschlag.

»Haben Sie das Schachspiel hier unten gesehen?«

»Ja, ja«, ruft Pflüger nach unten. »Jetzt kommen Sie endlich.«

Als das Funkgerät an seinem Gürtel ein knacksendes Geräusch macht, bleibt der Kriminalrat mitten auf der Treppe stehen. Er drückt die Sprechtaste.

»Ja?«

»Er hat den Koffer geröntgt«, Kommissar Vollmers Stimme tönt krächzend durch den Lautsprecher.

»Und?«

»Positiv. Da ist ein Sprengsatz drin. Der Kollege sieht sich die Sache jetzt noch mal genauer an und entscheidet dann, ob man die Bombe hier entschärfen kann oder ob man eine kontrollierte Sprengung durchführen muss.«

»Alles klar. Melden Sie sich wieder, wenn Sie mehr wissen.« Er will weiterlaufen. Eva stellt sich ihm in den Weg.

»Was, wenn Kimski recht hat?«, fragt sie. »Wenn es eine Falle ist?«

»Diesmal hat sich niemand in einem Kleiderschrank versteckt, wenn Sie das meinen. Und jetzt gehen Sie zur Seite.«

Er drückt sich gegen sie, um sie aus dem Weg zu schieben. Sie bleibt stur, streckt ihre Arme aus und drückt die Hände gegen die Wände.

»Lassen Sie ihn«, sagt Kimski. »Er hat recht.«

Kimski kommt die Treppe hochgelaufen.

»Was, wenn der Täter sich diesmal was Neues ausgedacht hat.«

»Gehen Sie aus dem Weg. Oder wollen Sie, dass wir alle in die Luft fliegen?«

»Also haben Sie doch Angst, dass es so sein könnte?«

Pflüger beugt sich zurück, um Schwung zu holen. Dann wirft er sich mit seinem gesamten Körpergewicht gegen sie. Sie bleibt stehen. Kurzerhand greift er ihr rechtes Handgelenk und verdreht es derart, dass sie unter einem Schmerzensschrei in die Knie geht. Mit einem schnellen Reflex packt Kimski seinen Chef von hinten. Unsanft hakt er seine Arme unter Pflügers Ellbogen und reißt ihn zurück.

 

»Verdammt, Kimski! Lassen Sie mich los! Ich bringe Sie hinter Gitter!«

Kimski lockert seinen Griff nicht.

Die Finger der Krähe tanzen über die Tastatur des Mobiltelefons. Genüsslich drückt er eine Ziffer der 11-stelligen Nummer nach der anderen. Er braucht nur noch den grünen Knopf zu drücken, dann wird der Empfänger in dem Bombenkoffer aktiviert, und der Sprengsatz detoniert.

»Pflüger?« Die Stimme Vollmers hallt durch das Treppenhaus.

Kimski kann die Schritte, die er auf der Treppe hört, nicht zuordnen. Sind das Evas Schritte auf dem Weg nach unten oder die von Vollmer auf dem Weg nach oben?

»Der Sprengstoffexperte meint ...« Ein dumpfer Knall. Vollmer verstummt.

Dann ein klirrendes Krachen. Das Geräusch ist schrill und laut. Pflüger reißt sich los. Er und Kimski halten sich die Ohren zu.

Das gesamte Treppenhaus ist für einen kurzen Augenblick hell erleuchtet. So, als starre man direkt in die Sonne. Als Nächstes breitet sich eine widerliche Hitzewelle aus. Kimski fällt halb ohnmächtig zurück und fängt sich an der Wand ab.

Eva?, ist das Erste, was ihm einfällt, als er wieder klar denken kann. Was ist mit Eva?

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