Die Partie. Thriller

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Erst jetzt sieht er die tote Krähe hinter dem Tisch. Er beugt sich herunter, nimmt die linke Hand von der Waffe und zieht eine Plastiktüte hervor. Er stülpt die Tüte um, benutzt sie als Handschuh und greift damit den Vogel vorsichtig am Hals.

»Meier, komm mal her.«

»Ich komme gleich. Ich guck noch kurz dieses Buch an, da steckt scheint’s ein Zettel drin.«

Kimski nimmt den Vogel hoch und betrachtet ihn. Dann sieht er zu dem Fenster vor sich. Der Flügelrahmen ragt einige Millimeter über den Rahmen hinaus. Behutsam legt er die Krähe zurück, macht einen Schritt nach vorn und zieht am Fenstergriff. Ohne den Griff nach unten zu drücken, kann er das Fenster öffnen. Es wurde nicht ordnungsgemäß geschlossen. Vielleicht stand es offen und ist irgendwann von selbst zugefallen? Dann könnte der Vogel von selbst hereingeflogen sein – oder ist er die Beute einer Katze, die sich auf den Dachvorsprüngen herumtreibt?

Er dreht sich, um den ganzen Raum zu überblicken. Wo ist die Leiche? Ob sich jemand einen Scherz mit ihnen erlaubt hat? Unwahrscheinlich. Aber was soll das sonst bedeuten? Sie haben einen Anruf von einem Notarzt bekommen, und als sie in die Wohnung kommen, ist niemand da. Dafür eine Tonne Bücher, ein toter Vogel und ein Schachbrett.

Wieder beugt sich Kimski herunter, um die Krähe anzusehen. Er kann keine Verletzungen erkennen. Die leblosen Augen starren ihn an. Er wischt sich die Schweißbäche von der Stirn.

»Meier?«

Was macht er so lange im Bad?

Hinter Kimski knarrt es. Ein stechender Schmerz durchzieht seine rechte Schulter wie ein Blitzschlag. Er dreht sich um und reißt die Pistole mit beiden Händen hoch, doch sein Blick verschwimmt. Die Welt um ihn herum verwandelt sich in peitschende Wellen. Ein Gewitter zieht in seinem Kopf auf, und die dunklen Wolken nehmen die Sicht. Als er mit seinen Knien auf dem Boden aufschlägt, spürt er nichts. Aber da ist doch etwas, irgendwo vor ihm bewegt sich ein schwarzer Riese.

»Kimski? Alles in Ordnung da drüben?«

Eine Stimme in der hintersten Ecke seines Bewusstseins. Irgendeine Kraft zerrt an ihm. Ein lauter Knall zerreißt seine Gehörgänge, und die Welt wird schwarz. Schwarz – alles, was er sehen kann, ist schwarz.

3

Montag, 17.43 Uhr

Er erwacht in einem braunen, fauligen Meer. Der Nebel in seinem Kopf klärt sich, doch der modrige Geruch bleibt. Blitze erhellen das Braun um ihn herum. Lautes Gepolter umgibt ihn und seine Knochen schmerzen. Was ist passiert? Wo ist er?

Kimski hält sich mit der Hand an irgendetwas fest, das er zu greifen bekommt, und zieht seinen Oberkörper mühsam hoch.

»Mensch, Kimski! Sie kommen wieder zu sich!«

Das ist nicht die Stimme eines Engels an der Himmelspforte, so viel steht fest. Er kennt die Person, die gesprochen hat, erkennt sie aber nicht. Eine kalte Hand, die ihn an der Schulter packt und nach oben reißt, hat ihn wieder in die Wirklichkeit zurückgeholt.

»Was ist hier vorgefallen?«

Jetzt kann er den Sprecher identifizieren. Kriminalrat Pflüger ist nicht besonders groß, meistens aber ziemlich laut. Momentan ist er darüber hinaus auch noch aufgebracht, und er hat angefangen, Kimski zu siezen.

»Was ist passiert?«, fragt Kimski, immer noch irritiert. Er hält sich den Kopf. Er erinnert sich jetzt, wie er sein Bewusstsein verlor.

»Was passiert ist? Das habe ich Sie gerade gefragt!«

In Kimskis Schädel schwirrt es. Er sieht sich verstört um. Um ihn herum wimmelt es von Polizisten. Mehrere Beamte von der Spurensicherung in ihren weißen Ganzkörperanzügen. Einer schießt Fotos. Das waren die Blitze, die er beim Aufwachen gesehen hat. Kimski macht einen Schritt vorwärts. Das Büchermeer droht ihn zu verschlucken, doch er bleibt standhaft. Als er die Durchgangstür zum Badezimmer erreicht, wird seine Kehle heiß. Meier liegt mit ausgestreckten Armen zwischen dem Türrahmen. Sein Körper ist verdreht wie ein Fragezeichen. Die Augen sind aufgerissen. Von der Mitte seiner Stirn aus läuft ein breiter rötlichbrauner Fluss.

»Guter Schuss, was?« Pflüger ist direkt hinter Kimski getreten und vergräbt die Hände in den Hosentaschen.

Kimski schluckt, um seinen ausgetrockneten Rachen zu befeuchten. Als er sich umdreht, sieht er, dass ein Mann von der Spurensicherung seine Dienstwaffe in der Hand hält.

»Moment mal!«

»Ihre Waffe, oder?«, fragt Pflüger. Er wartet keine Antwort ab. »War noch warm, als ich kam. Haben Sie auf jemanden geschossen?«

»Nein!«

»Hm, ja. Die Zeugin hat auch nur einen Schuss gehört. Und eine Kugel steckt in Meiers Kopf.«

»Zeugin?«

»Diese Reporterin, Sie haben sie doch selbst mitgeschleppt. Hat sich im Treppenhaus versteckt, als sie den Krach gehört hat. Sie hat ausgesagt, dass jemand aus der Wohnung gestürzt kam und aus dem Haus rannte. Leider konnte sie die Person von ihrer Position aus nicht sehen. Dann ist sie ins Zimmer gelaufen und hat vergeblich versucht, Sie zu wecken, hat Meier entdeckt und schließlich die Polizei angerufen.«

Kimski sieht seiner Pistole hinterher, die in einem Plastikbeutel verschwindet. Pflüger beobachtet seinen irritierten Blick.

»Es hilft nichts, Kimski. Wir müssen Ihre Waffe überprüfen. Könnte ja sein, dass der tödliche Schuss damit abgegeben wurde.«

Kimski sieht ihn mit großen Augen an. »Sie können gerne einen Schmauchspurentest an meinen Händen durchführen lassen. Dann werden Sie sehen, dass ich nicht geschossen habe!«

»Mein lieber Herr Kimski.« Pflüger verschränkt die Arme hinter dem Rücken und drückt seinen Brustkorb vor. »Was den Schmauchspurentest betrifft – da merkt man, dass Sie lange keine Tatortarbeit mehr gemacht haben. Neuste wissenschaftliche Experimente haben gezeigt, dass bei einem Pistolenschuss in einem Raum von dieser Größe noch acht Minuten später so viele Metallpartikel herumschwirren, dass selbst jemand, der nach der Tat eintritt, mehr Blei an sich kleben haben kann als der Schütze, der sofort weggelaufen ist. Außerdem – es hat doch niemand behauptet, dass Sie auf Ihren Kollegen geschossen haben. Wir befürchten nur, die Kugel könnte aus Ihrer Waffe abgefeuert worden sein.« Pflüger schweigt einen Moment, dann setzt er nach: »Oder sollte ich mir etwa Sorgen um Sie machen?«

»Nein, ich ...« Er hält sich den Kopf.

»Es ist ja auch schon so schlimm genug, wenn Ihnen jemand Ihre Dienstwaffe abgenommen hat und damit einen anderen Polizisten erschossen hat. Was haben Sie beim SEK eigentlich gelernt, Kimski?«

Einen kurzen Augenblick verspürt Kimski den Impuls, seinem Vorgesetzten eine Kopfnuss zu geben. Er zählt bis zehn und versucht, an etwas Schönes zu denken.

»Wobei«, fährt Pflüger fort, »es gibt da natürlich auch noch eine andere Variante, was hier passiert sein könnte. Passen Sie auf.«

Pflüger tritt in die Mitte des Raums.

»Sie betreten mit Ihrem Kollegen diese Wohnung. Sie erwarten, einen Notarzt vorzufinden, aber da ist niemand. Das kommt Ihnen komisch vor. Wie Sie es von Ihren Einsätzen beim SEK gewohnt sind, ziehen Sie sofort Ihre Waffe. Meier geht ins Badezimmer, um sich umzusehen. Sie bleiben in diesem Zimmer. Plötzlich öffnet sich hinter Ihnen die Schranktür.«

Pflüger deutet auf den offen stehenden Dielenschrank.

»Irgendjemand springt aus dem Schrank hervor, Sie reißen Ihre Waffe hoch. Auf einmal hören Sie ein Geräusch aus der anderen Richtung. Erschrocken drehen Sie sich um, sehen eine Gestalt und schießen, bevor Sie überhaupt bemerkt haben, dass es sich um Ihren Kollegen handelt. Trotzdem ein sauberer Schuss. Geübt ist geübt. Wir normalen Polizisten können ja fast nie auf dem Schießstand trainieren. Wie dem auch sei. Der Kerl aus dem Schrank nutzt die Verwirrung, schlägt Sie hinterrücks nieder und verschwindet.«

Kimski läuft Pflüger hinterher. Er tastet seinen Hinterkopf ab und spürt eine massive Beule. »Nein! So war das nicht!«

»Sie wissen aber auch nicht, wie es sonst gewesen sein könnte?«

»Ich kann mich doch an nichts erinnern!«

»Ach stimmt. Sie haben ja Amnesie. Das hat uns gerade noch gefehlt. Aber ist ja egal. Wir werden die Indizien schon irgendwie zusammenbasteln. Die interessanteste Frage bleibt erst mal, warum ein Unbekannter zwei Polizisten in ein Apartment lockt. Und was eigentlich diese ganzen Bücher sollen.«

Kimski hört ihm nicht mehr zu. Er muss seinen Blick von Meier abwenden, kann nicht länger hinsehen. Warum kann er sich an nichts erinnern? Zumindest nicht an die wichtigsten Details. Aber dass er es nicht war, der den Schuss abgegeben hat, das weiß er tief in seinem Innersten. Er sieht sich um, beugt sich über den Tisch mit dem Schachspiel. Auf dem historischen Stadtplan fällt ihm erst jetzt die handschriftliche Notiz auf. Mit Bleistift eingetragen und so klein, dass man sie nur schwer lesen kann. Er muss sich noch mehr vorbeugen. Dann erkennt er die sonderbare Ziffernfolge:

c7xc5

d3xc5

Als Kimski sich umdreht, steht der Kriminalrat bereits bei einem anderen Beamten. Vollmer.

»Ich habe gerade mit dem Vermieter gesprochen,« erklärt Vollmer seinem Chef. »Die Wohnung stand seit ein paar Wochen leer. Der Täter scheint eingebrochen zu sein. Die Wohnungstür ist ziemlich amateurhaft aufgebrochen worden. Ist euch das nicht aufgefallen, als ihr reingekommen seid?«

Die Frage ist an Kimski gerichtet.

»Nein.«

»Na, jedenfalls ... wegen der ganzen Bücher hier ... ich hab mich mal bei den Leuten im Haus umgehört. Eine ältere Frau hat gesehen, wie heute Mittag ein Mann in einem blauen Arbeiteroverall einige Säcke ins Haus getragen hat. Ob er einen Transporter vor der Tür stehen hatte, hat sie nicht gesehen, aber dafür hat sie ihn angesprochen, was er hier macht.«

 

»Und?«

»Er liefert Wissen, hat er gesagt.«

»Wie sah er aus?«

»Daran kann die Frau sich nicht erinnern. Er hat eine Schildmütze getragen – und überhaupt hätte sie ein schlechtes Gedächtnis, was Gesichter angeht.«

»Na ja. Aber gut, dass Sie so schnell kommen konnten, Vollmer. Ihre Hilfe ist unverzichtbar.«

»Ich kann auch ein paar Befragungen übernehmen«, sagt Kimski und stellt sich neben seinen Vorgesetzten.

»Machen Sie Witze, Kimski? Sie gehen jetzt erst mal nach unten und warten auf den Notarzt, den wir Ihretwegen gerufen haben. Und falls der Sie wieder gehen lässt, melden Sie sich im Präsidium, die sollen Ihnen einen psychologischen Betreuer vermitteln.«

»Und machen Sie sich darauf gefasst, dass wir Ihnen noch ein paar Fragen stellen werden in den nächsten Tagen«, sagt Vollmer.

»Hoffen wir, dass er diesmal ohne Disziplinarverfahren davonkommt«, sagt Pflüger.

Kimski wendet sich zu seinem Vorgesetzten und starrt ihn an. Seine Stirn legt sich in Falten.

»Was ist?«, fragt der Kriminalrat. »So ein Verfahren wirft ein schlechtes Licht auf die ganze Abteilung.«

»Klar«, sagt Kimski trocken. Er zieht den Klopapierstreifen hervor und stopft ihn Pflüger in die Jacketttasche. Dann läuft er davon. Zum Ausgang. Ein uniformierter Beamter stürmt die Treppe hinauf und rempelt ihn im Vorbeigehen an.

»Was ist das denn schon wieder?«, schreit Pflüger Kimski hinterher und holt den Zettel aus der Tasche. Zum Lesen kommt er nicht. Der Beamte tritt an Pflüger heran und flüstert ihm ins Ohr.

»Was? Der Oberbürgermeister? Sind Sie sicher?«

»Ja. Seine Frau und seine Tochter sind gestern Abend von einer Reise zurückgekehrt, da war er schon verschwunden. Bis jetzt ist er nicht wieder aufgetaucht.«

»Kein Wort darüber nach außen, bis wir mehr wissen.«

Kimski bleibt im Türrahmen stehen und versucht, die Fetzen der Unterhaltung aufzuschnappen. Vollmer ist ihm gefolgt. Er lächelt Kimski an. Dann schlägt er ihm die Wohnungstür vor der Nase zu und Pflügers Stimme verstummt.

4

Kimski verlässt das Gebäude, ohne sich noch einmal umzudrehen. Er will keinen Arzt sehen – er will nach Hause und eine kalte Dusche nehmen.

Dass er verfolgt wird, merkt er erst, als er bereits drei Quadrate weitergelaufen ist. Er bleibt stehen.

»Was wollen Sie denn noch?«, fragt er, ohne sich umzudrehen.

»Warum hat man Sie vom Tatort weggeschickt?«, fragt Eva.

»Man hat mich nicht weggeschickt.«

»Wohin wollen Sie dann?«

»Nach Hause, duschen.«

»Sie müssen doch zu einem Arzt gehen.«

Er läuft weiter. Eva folgt ihm.

»Ich habe mir vorhin Sorgen gemacht. Sie waren brutal ausgeknockt.«

»Ist klar.«

»Gibt es schon irgendwelche Hinweise, wer Ihnen aufgelauert hat?«

»Richten Sie Ihre Anfrage an die Pressestelle der Polizei.«

»Hören Sie, mir ist da was aufgefallen.«

Sie muss sich Mühe geben, seinen Schritten zu folgen.

»Ich habe mich gründlich am Tatort umgesehen, bevor Ihre Kollegen gekommen sind. Da war dieser Zettel in der Hand von Ihrem Partner.«

»Was für ein Zettel?«

Kimski geht weiter, ohne sein Tempo zu drosseln.

»Da stand in Druckbuchstaben C’EST LA VIE drauf. Sonst nichts. Sonderbar, oder?«

Ein Erinnerungsfetzen huscht durch Kimskis Kopf. Meier hat von einem Zettel in einem Buch gesprochen.

»Mochten Sie Ihren Kollegen?«

»Wird das ein Verhör?«

»Haben Sie die handschriftliche Notiz auf dem Stadtplan gesehen?«

»Hm.«

»Und die ganzen Bücher! Wissen Sie, mir ist da etwas Sonderbares aufgefallen. Ich habe das diesem Pflüger erzählt, aber ich denke, er hat mir nicht richtig zugehört.«

»Was wollen Sie noch von mir, wenn Sie eh schon alles wissen? Sie haben doch genug Stoff für eine Titelgeschichte.«

Kimski hält an, dreht sich zu Eva und sieht ihr direkt ins Gesicht.

»Ich will mich nur mit Ihnen unterhalten.«

»Hören Sie. Ich hatte einen schweren Tag. Von mir aus können Sie auf eigene Faust Detektiv spielen. Aber ich gehe jetzt nach Hause.«

Eva zieht eine Visitenkarte aus ihrer Handtasche und hält sie Kimski hin.

»Falls Sie es sich noch mal überlegen.«

Kimski greift wortlos nach der Karte und dreht sich um.

»Sie können mich jederzeit anrufen!«, ruft Eva ihm hinterher.

Kimski biegt um die nächste Straßenecke und lässt Eva zurück.

5

Kimskis Wohnung liegt im Jungbusch, dem alten Hafenviertel. Dort, wo sich das Leben abspielt, wie die Leute zu sagen pflegen. Nur, dass manche dies als positiven Aspekt des Stadtteils ansehen und manche als negativen. Sein Domizil liegt im obersten Stock eines Hauses, das Anfang des 20. Jahrhunderts gebaut wurde und seither nur einmal saniert wurde. Kimski ist der Erste im Haus, der merkt, wenn es regnet, weil das Dach undicht ist und der Hausmeister nicht auf die Nachrichten reagiert, die man ihm auf den Anrufbeantworter spricht.

Kimski öffnet die Tür zu seiner Behausung und atmet auf. Die

Luft ist stickig und schwül, aber das ist ihm jetzt egal. Endlich allein. Er schleudert sein Jackett in die Ecke. Von der Wand blickt ihn das auf DIN-A3 vergrößerte Foto an, das ihn in SEK-Kampfmontur zeigt. Es ist dasselbe Bild, das er vor drei Jahren als Motiv für die Weihnachtskarte an seinen Vater verwendet hat.

Er lässt sich in seinen Sessel fallen. Die Eindrücke des Tages laufen immer noch wie ein Film vor seinem inneren Auge ab. Er will nicht weiter nachdenken, also steht er auf und läuft zu seiner Drückbank. Das Stemmen der Gewichte wird ihm helfen, seine Gedanken zu sortieren. Er legt sich auf die Bahre und drückt die vierzig Kilo in die Luft.

Er will seinen Kopf frei bekommen. An nichts denken.

Als Kimski seine Arme zum siebten Mal durchstreckt, klingelt das Telefon. Er steht auf, greift zu einem benutzten Handtuch und wischt sich den Schweiß aus dem Gesicht. Das Telefon läutet noch immer.

»Ist ja schon gut.«

Er nimmt das Mobilteil des Telefons in die Hand und drückt die grüne Taste.

»Ja?«

»Hallo, Herr Kimski. Wie fühlen Sie sich?« Die Stimme klingt kratzig. In jedem der Worte schwingt ein fordernder Unterton mit.

»Wer spricht da?«

»Das ist nicht wichtig.«

»Dann lege ich jetzt auf.«

»Tun Sie das nicht!«

Klack. Kimski hat die rote Taste gedrückt und legt den Hörer weg. Die Stille währt nur wenige Sekunden, dann klingelt es wieder. Er nimmt den Hörer in die Hand und sieht auf das Display. Die Nummer des Anrufers ist unterdrückt. Nach dem zehnten Läuten hebt er ab.

»Ja?«

»Hören Sie mir zu, Kimski, ich habe ein sehr großzügiges Angebot für Sie.«

»Kein Interesse.«

»Seien Sie nicht dumm. Wollen Sie denn nicht erfahren, wer Kommissar Meier umgebracht hat?«

»Was wissen Sie von –«

»Ich weiß nichts. Aber es wäre mir einiges an Geld wert, wenn Sie die Ermittlungen fortsetzen und es herausfinden würden.«

»Wovon reden Sie?«

»Hören Sie mir gut zu, Kimski. Ein Informant von mir hat beobachtet, wie Sie den Tatort verlassen haben und in Ihre Wohnung gegangen sind.«

Unbewusst läuft Kimski zum Fenster, zieht die Gardine ein paar Zentimeter zur Seite und blickt auf die Straße. Außer zwei Nachbarsjungen kann er niemanden sehen.

»Ich finde es schade, dass Sie sich nicht weiter an den Ermittlungen beteiligen. Sie sind ein sehr fähiger Mann.«

»Woher kennen Sie mich?«

»Hören Sie zu! Ich möchte Ihnen helfen. Passen Sie auf, Kimski, haben Sie eigentlich noch nie darüber nachgedacht, sich selbstständig zu machen? Als Privatdetektiv und Personenschützer zum Beispiel? In der freien Wirtschaft könnten Sie viel mehr bewirken als im Polizeiapparat.«

»Ich verstehe nicht, was Sie von mir wollen?«

»Ich? Ich bin ein Mensch, der will, dass die Wahrheit ans Licht kommt, und dem man Ihre Kenntnisse empfohlen hat. Ich zahle Ihnen 100.000 Euro, wenn Sie den Fall auf eigene Faust lösen. Sie brauchen Ihren Kollegen nichts davon erzählen. Betrachten Sie es einfach als Ihren ersten Auftrag in der freien Welt.«

»Sie sind verrückt.«

Wer ist der Kerl?

»Gehen Sie an Ihren Briefkasten und sehen Sie hinein, damit Sie wissen, dass ich es ernst meine. Ich rufe Sie in fünf Minuten wieder an.«

»Moment –«

Diesmal hat der Anrufer aufgelegt.

Kimski legt das Handtuch zur Seite, tritt aus der Wohnung und läuft die Treppe hinab bis ins Erdgeschoss. Er hat gerade erst vor ein paar Minuten in seinen Briefkasten gesehen, als er nach Hause kam, und nichts entdeckt.

Kimski kramt den Schlüssel aus seiner Hosentasche und öffnet. Ein schmaler Umschlag fliegt ihm entgegen und landet vor seinen Füßen. Er hebt ihn auf und öffnet ihn. In dem Kuvert befindet sich ein Bündel 100 Hundert-Euro-Scheine. Als er wieder in seiner Wohnung ankommt, klingelt das Telefon erneut.

»Haben Sie es gezählt?«

»10.000 Euro.«

»Genau. Das ist die Anzahlung. Was sagen Sie dazu?«

»Ich glaube, dass Sie meinen Kollegen umgebracht haben.«

»Ich? Wie kommen Sie darauf?«

»Woher hätten Sie sonst so viele Informationen, unmittelbar nach der Tat?«

»Sie sind clever, Kimski. Genau das mag ich an Ihnen.«

»War das ein Geständnis?«

»Man kann nur gestehen, was man auch getan hat.«

»Sagen Sie mir Ihren Namen.«

»Meinen Namen kann ich Ihnen nicht sagen, zu Ihrer eigenen Sicherheit. Sie können sich mein Angebot noch überlegen. Aber ich sage Ihnen gleich: Wenn Sie wissen wollen, wer Ihren Kollegen getötet hat, dann bleibt Ihnen nichts anderes übrig, als darauf einzugehen. Was das Geld betrifft: Sie machen sich mit Sicherheit Sorgen, man könnte Sie zur Rechenschaft ziehen, wenn Sie es annehmen. Keine Angst. Solange Sie niemandem davon erzählen, werde ich auch niemals erzählen, dass ich Sie bezahlt habe.«

»Sie sind krank.«

Und Sie haben etwas mit dem Mord zu tun, denkt Kimski. Natürlich will er wissen, wer seinen Freund getötet hat. Und jetzt will er auch noch wissen, wer der mysteriöse Anrufer ist.

»Sagen Sie, wie ich Sie erreichen kann.«

»Ich werde Sie erreichen.«

Die Leitung wird unterbrochen. Kimski setzt sich auf einen Stuhl und starrt das Geldbündel in seiner Hand an.

Er lehnt sich zurück und spürt, wie ein Gefühl von Neugierde

in ihm aufsteigt. Wie damals, in seiner Kindheit, als er mit ein paar Klassenkameraden bei Fahrraddiebstählen im Freundeskreis ermittelt hatte. Sie hatten sogar ihre eigene Detektei gegründet. War er ursprünglich deshalb zur Polizei gegangen? Wegen dieser Neugier, die tief in ihm steckte?

So ein Mist, denkt er und erhebt sich. Er geht zu seinem Jackett. Er stopft das Geld in die Innentasche. Aus der Seitentasche kramt er die Visitenkarte der Reporterin hervor.

Er betrachtet sie. Nur der Name und die Handynummer stehen darauf. Er nimmt den Telefonhörer und wählt die Nummer.

»Ich bin es, Kimski.«

»Haben Sie es sich doch noch anders überlegt?«

»Hören Sie, Eva. Sie haben vorhin gesagt, Ihnen wäre etwas aufgefallen, was von Bedeutung wäre.«

»Ich glaube schon.«

»Sind Sie noch in der Stadt? Vielleicht können wir uns treffen. Wir sollten das nicht am Telefon besprechen.«

»Treffen wir uns am Paradeplatz, an der großen Uhr. Wie schnell können Sie dort sein?«

»In fünf bis zehn Minuten.«

Er legt auf und geht zu seiner Couch. Darunter zieht er eine Kiste hervor. Er öffnet den Deckel und nimmt die Waffe in die Hand. Es ist eine Glock, Modell 17, bei der unter dem Lauf eine Lampe und ein Aktiv-Laser angebracht sind. Er steckt die Pistole in sein Halfter, packt ein Ersatzmagazin in die Tasche darunter und steht auf. Falls er im Laufe der nächsten Stunden noch einmal in einen Hinterhalt gerät, will er besser vorbereitet sein.