Tattoos & Tequila

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Bei Mötley Crüe ist es immer wie mit diesem Greatest-Hits-Album – ich bin der letzte, der etwas erfährt. Ich hatte von Anfang an das vage Gefühl, dass es in dieser Band niemanden interessiert, was ich denke. Das ist irgendwie schon komisch. Die Band bringt mir überhaupt keinen Respekt entgegen, und alles läuft total Scheiße. Eine ganz alte Geschichte.

Ich weiß, ich weiß. Ich war der letzte, der in die Band einstieg. Und ich bin nur der Sänger. Ich bin der Entertainer. Ich bin der Typ, der vorn steht, aber nicht der, der die Songs mitbringt. Aber das ist mir egal. Mir ist es wurscht, dass jemand anders die Songs schreibt. Mein Job ist es, sie zu interpretieren, sie zu verkaufen, alles aus ihnen rauszuholen. Diese Songs eben so unvergesslich zu machen, dass sie 80 Millionen Mal über die Ladentische gehen. Wer kann schon sagen, wie oft Mötley-Songs illegal heruntergeladen, irgendwo im Internet angeboten oder sonst wie verbreitet wurden? Glaubst du, dass Mötley irgendein Nachteil entstanden ist, weil ich keine Songs beigesteuert habe? Anders herum gefragt: Hatten wir vielleicht auch Vorteile, weil meine Stimme die Songs gut verkaufen kann? Wir haben doch alle gesehen, was passiert ist, als sie mich durch John Corabi ersetzt haben. Danach haben sie dieses getürkte Meeting ins Leben gerufen, um mich wieder zurückzulocken. Ich wusste doch, dass dieses Scheiß-Meeting ein abgekartetes Spiel war. Wofür halten die mich, denken die, ich sei blöd?

Andererseits, ich kenne meine Rolle in der Band. Ich musste nie Songs für Mötley Crüe schreiben, weil die Songs, die von den andern kommen, ziemlich klasse sind. Damit will ich nicht sagen, dass ich nicht auch einige ziemlich gute Vorschläge eingebracht hätte. Es war zum Beispiel meine Idee, „Smokin’ In The Boys Room“ zu covern. Jeder weiß, dass dieser Song uns zur damaligen Zeit echt den Arsch gerettet hat. Aber ich bin jetzt nicht der Typ, der sagt: „Mein Name steht nicht hinter dem Song, den singe ich nicht.“ Echt nicht. So bin ich nicht drauf. Im Gegenteil. Mein Name steht hinter vielen der Hits, die wir hatten. Das ist auch schön. Aber das ist nicht das Wichtigste. Das Wichtigste ist, dass sich diese Songs verkaufen. Und für mich ist es jetzt gerade das Wichtigste, aus meinem Leben den ganzen Scheiß zu eliminieren, der mich nervt, und dann ein Geschäftsmodell für meine verschiedenen Business-Bereiche zu finden, damit alles reibungslos läuft. Denn das will ich. Genau wie immer: Ich will, dass es einfach ist. Wie bei Saints Of Los Angeles. Der Produzent kannte meine Stimme so gut, dass er die erste Gesangsspur zur Orientierung selbst eingesungen hat, und als ich dann dazu kam, wusste ich genau, was von mir erwartet wurde und wie es sich anhören sollte, verstehst du. Als ich dann schließlich ans Mikrofon gegangen bin, lief alles total locker. Ich habe einen Song pro Tag fertiggestellt und hätte auch noch mehr geschafft, weil wir für jeden Titel gerade mal zwei Stunden gebraucht haben. Ganz ehrlich, es hat länger gedauert, vom Hotel zum Studio zu fahren und wieder zurück, als an der Platte zu arbeiten. So war das bei Saints. Das Album wurde übrigens letztes Jahr für einen Grammy nominiert. Wo ist also das Problem?

Früher war es immer soooo … verdammt … schwer, eine Platte rauszubringen. Es war ein Kampf, als würde man dauernd mit dem Kopf gegen die Wand laufen. Ich fand es grässlich. Wir hockten acht Monate in einem Studio, haben mit aller Gewalt eine Platte fertig gemacht und uns dauernd gestritten. Manchmal wurde es richtig übel. Wie ein Hahnenkampf auf Rockstar-Niveau, rund um die Uhr. Nikki schrieb mir vor, wie ich einen bestimmten Song singen sollte, und kam dauernd auf neue Ideen: „Versuch es mal so. Nein, doch lieber so.“ Er wollte unbedingt zeigen, dass er Macht über mich hatte. Bis heute habe ich das Gefühl, dass er bei der Agentur immer noch die Strippen zieht. Und dann kommt der Produzent zu mir und sagt wieder was ganz anderes, wie ich denn nun singen soll. Und irgendwann raste ich dann aus: „Verdammte Scheiße, was soll das? Fickt euch doch alle, ich singe das hier so, wie ich will! Wir sind nämlich nicht dorthin gekommen, wo wir heute stehen, weil jeder an meiner Stimme rumgekrittelt hat. Vergesst nicht, ihr seid zu mir gekommen und habt gesagt, dass ich für euch singen soll.“

Ich bin froh, dass diese Zeiten vorbei sind. Heute geht es allein ums Business. Ich habe einen Vertrag, und wir gehen ganz und gar geschäftlich miteinander um. Wir müssen miteinander nur Musik machen, sonst nichts. Das ist wie eine Scheidung in gegenseitigem Einvernehmen mit anschließend geteiltem Sorgerecht. Wir tun es der Musik zuliebe. Weil das, was wir zusammen aus dem Nichts erschaffen haben, sehr wertvoll und bahnbrechend war. Heute ist diese Musik immer noch sehr lebendig, wie ein erwachsen gewordenes Kind.

Eins der Probleme liegt wahrscheinlich darin, dass Nikki mich nicht mag. Er hat die Band immer als sein Baby betrachtet. Und ich glaube, er kann nicht damit umgehen, dass die Songs mehr mit mir in Verbindung gebracht werden als mit ihm, weil ich der Sänger bin. Ich kann solo auf Tournee gehen und Songs aus dem Mötley-Katalog singen. Tue ich auch, und das Publikum ist begeistert. Es ist doch allgemein bekannt: Man kann alle Leute in der Band auswechseln und trotzdem den typischen Sound beibehalten; wenn man gute Musiker findet, dann können sie alles Mögliche spielen und jeden imitieren. Nur den Sänger nicht – der Frontmann ist nicht austauschbar. Er ist das Gesicht und die Stimme der Band. Das haben sie lernen müssen, nachdem wir uns getrennt hatten. Ich glaube, dass Nikki und Tommy dieser Umstand ziemlich zu schaffen macht. Nikki möchte halt als das musikalische Genie bekannt sein, das er nun mal ist. Und keine Frage, er ist wirklich phantastisch. Und Tommy wollte schon immer einfach berühmt sein. So sieht’s aus – keiner mag mich, außer Mick, dieses gnomenhafte Musikgenie, aber der hatte andererseits immer genug mit seinem eigenen Scheiß zu tun. Er war immer so ein bisschen wie der älteste Bruder, der im Haus wohnte, während wir, die drei jüngeren, im Baumhaus im Garten kampierten und uns dauernd gegenseitig an die Kehle gingen.

Und diese Dynamik gibt es immer noch, wenn wir jetzt für irgendwelche Aktionen zusammenkommen. Mal ehrlich, wer braucht diesen Scheiß? Heute suche ich mir meine eigenen Bandmitglieder aus, und auch meine eigenen Partner, was das Geschäftliche angeht, in allen möglichen Bereichen. Normalerweise ist es dann so, dass ich die Entscheidungen fälle, nach Rücksprache mit ein oder höchstens zwei anderen Beteiligten. Beim Feelgoods habe ich einen Partner. Bei meiner Bar in West Palm Beach habe ich einen Partner. Und mit zwei weiteren Leuten will ich in den nächsten zwei Jahren diese Unternehmen weiter ausbauen, bis wir im ganzen Land vertreten sind, mit 25 bis 40 Läden. Die genaue Zahl steht noch nicht fest. Was ich damit sagen will: Bei geschäftlichen Angelegenheiten gibt es keine verborgenen Motive. Bei Mötley Crüe hingegen hat jeder welche. Und das nervt. Man muss einfach irgendwie damit leben lernen. Denn im Rockbusiness gibt es sehr viel Unehrlichkeit. Das ist wie in dem Film Der Sturm. Wenn man nicht aufpasst, landet man schnell auf dem Meeresgrund.

Man sollte doch glauben, dass es bei Mötley nach all den Jahren weniger Probleme gäbe. Dass sich die Dinge nun, da wir alle erwachsen und älter geworden sind, geändert hätten. Dass damals vielleicht nur deswegen alles mit einem lauten Krach aus dem Ruder lief, weil wir alle noch so jung waren. Leider ist es heute schlimmer als früher. Wir werden nämlich alle älter und halten noch sturer an unseren Meinungen fest. Meine Frau meint ja, wir müssten eigentlich allmählich weiser und reifer werden. Aber es ist einfach immer wieder dieselbe Scheiße, die da läuft. Wie zum Beispiel neulich wegen der Kanada-Tour, von der mir niemand was erzählt hat, bis die Tickets im Vorverkauf zu haben waren. Ich erhielt plötzlich SMS-Nachrichten und Mails, in denen sich die Leute freuten: „Oh toll, ihr kommt nach Kanada!“, und ich fragte mich: Wovon redet ihr eigentlich, verdammt noch mal?

So was macht mich natürlich total sauer. Natürlich gehe ich auf diese Kanada-Tour, aber ich bin genervt ohne Ende. Ich habe mir die Termine gerade erst in meinen Kalender eingetragen. Willst du mal einen Blick in mein Leben werfen? Guck mal hier, wie das auf meinem iPhone aussieht. Von heute bis zum 19. nehme ich die neue Platte auf und arbeite mit dir an diesem Buch. Dann ist Weihnachten. Die erste Januar-Woche habe ich frei. Dann bin ich bis mindestens März jeden Tag ausgebucht. Erst stehen Proben mit Mötley an, dann muss ich wegen einer Tequila-Werbeaktion auf die Kayman-Inseln und dann nach Palm Beach, weil das Dr. Feelgoods dort sein zweijähriges Bestehen feiert. Anschließend fängt diese Mötley-Kiste an und läuft bis zum 5. Februar. Danach gehe ich zum Super Bowl. Am nächsten Tag habe ich Geburtstag, dann spiele ich mit der Vince Neil Band in St. Louis und Kansas City, bevor wir nach Mexiko und Südamerika weiterreisen, wo wir eine riesige Fan-Gemeinde haben. Für die Leute dort spielt es überhaupt keine Rolle, ob sie die Sprache können; sie alle kennen die Songs auswendig. Ich habe schon lange vor Mötley in Südamerika gespielt; Mötley waren letztes Jahr zum ersten Mal dort. Ich war schon zweimal in Argentinien, Brasilien, Chile, diesen ganzen Ländern. Es ist dort echt alles sehr cool. Und wenn wir damit durch sind, weißt du, dann geht es für mich wahrscheinlich mit der Promotion für das Buch los.

Deswegen hatte ich echt keinen Bock, mit Mötley in Kanada zu spielen. Ich hab ihnen auch gesagt: „Fickt euch, ich mach das nicht.“ Aber dann musste ich leider zusagen, wegen der Merchandise-Verträge. Ohne Shows kein Merchandise-Vertrag.

Tja, so isses nun mal. Fuck it.

Also spiele ich mit Mötley in Kanada. Inzwischen habe ich erfahren, dass die Band verklagt worden wäre, wenn ich nein gesagt hätte. Ich auch. Dann hätte ich irgendeinem Anwalt eine Menge Geld dafür geben müssen, dass er mich vor Gericht vertritt. Da könnte ich die Kohle auch gleich im Klo hinunterspülen; wenn man einen Anwalt engagiert, kann man sich genauso gut den Hintern mit 100-Dollar-Scheinen abwischen. Außerdem – wenn ich nicht auftrete, verliere ich eine Menge Kleingeld. Also habe ich mir überlegt – wisst ihr was? Ich spiele einfach mit und bin auf der Kanada-Tour dabei. Aber ich muss mich ständig selbst daran erinnern: Ich bin kein Teil von Mötley Crüe mehr. Ich muss nur noch mit ihnen spielen. Das ist eine bessere Situation als früher. Vor allem, wenn man ganz an den Anfang zurückdenkt. Damals hatte ich einfach nur das Gefühl, dass mich alle herumschubsen. Irgendwie war ich nicht in der Lage, für mich einzustehen. Ich wollte nicht auffallen. Aber heute denke ich mir, scheiß drauf, weißt du? Irgendjemand muss für mich sprechen. Ich war immer der Außenseiter. (Auch ein guter Untertitel für das Buch: Der Außenseiter. Das bin ich, was Mötley Crüe angeht. Das würde keiner anzweifeln wollen, glaube ich.)

 

Denk mal drüber nach. Mick ist Mick, weißt du. Mick war immer einfach Mick. Und Nikki und Tommy waren immer so … die versuchten, wie Tyler und Perry zu sein, als man die beiden noch The Toxic Twins nannte. Sie hatten sogar ihre eigenen Spitznamen nach diesem Muster. Nikki und Tommy – die haben es einfach mit zu viel Gewalt versucht, so richtig Rock’n’Roll zu sein. Ich zum Beispiel habe mich nie wie ein Rockstar angezogen, wenn ich nicht auf der Bühne stand, wenn ich ganz normal auf die Straße rausgegangen bin. Höchstens mal ganz am Anfang. Weißt du, ich bin einfach ein Surfer aus Los Angeles. Ich muss keine Ketten um die Taille tragen, keine Stiefel oder Lederjacken, damit die Leute zu mir rübergucken und sagen: „Oh, der Typ ist doch bestimmt ein Rockstar.“ So waren Nikki und Tommy aber immer. Die sind heute noch so. Wenn wir ins Flugzeug steigen oder in Japan in den Bullet Train, dann sind die so aufgetakelt, als ginge es auf die Bühne. Das komplette Rocker-Outfit. Ich denke dann immer: Scheiße, was soll der Blödsinn? Was haben wir denn vor? Wir werden drei Stunden lang in einem Zug hocken, zieht euch doch ein paar Trainingshosen an und verzichtet aufs Make-up. Ich meine, nichts gegen Eyeliner, ich steh drauf, aber eben nur, wenn ich wirklich arbeite. Früher, auf Tour, habe ich teilweise so getan, als würde ich Nikki und Tommy gar nicht kennen. Ich bin ein paar Meter hinter ihnen gegangen, wenn das möglich war. Damit mich niemand mit ihnen in Verbindung brachte. Das war schon blöd, aber so hatte es sich irgendwann entwickelt.

Heutzutage bin ich weitgehend mein eigener Herr. Ich habe meine eigenen Verträge. Aus den gemeinsamen bin ich ausgestiegen, weil ich keinen Bock mehr auf den ganzen Scheiß hatte, der mit der Band zusammenhängt. Wenn wir auf Tour gehen müssen, dann werde ich vom Unternehmen Mötley Crüe engagiert. Ich meine, ich bekomme immer noch 25 Prozent von allen gemeinsamen Aktionen; ich bekomme nicht etwa eine Gage oder so. Aber ich habe die Option, bestimmte Dinge nicht zu machen. Mit diesen letzten Gigs in Kanada geht dieser Tour-Abschnitt zu Ende. Irgendwie läuft es immer so, dass sie mir wegen irgendwas unheimlich auf den Sack gehen, und dann muss ich wegen der nächsten Tour und dem nächsten Album noch einmal neu mit ihnen verhandeln. Das ist schon ziemlich traurig. Nikki versucht, über das Management weiter alles im Griff zu behalten, aber sie haben eine Menge falsche Entscheidungen gefällt, und weißt du … ach, Scheiße. Ich halte eben die Klappe und, na ja, nehme das alles irgendwie hin. Nur jetzt nicht.

Für mich ist es am besten, meinen Kontakt zu Mötley Crüe möglichst gering zu halten. Mit meiner Begleitband ist das ganz anders. Das sind echt tolle Leute, vor allem Blando und Strum. Wir sind schon seit Jahren zusammen. Das sind echte Freunde. Die Jungs von Mötley Crüe sind es nicht. Und zwar schon lange nicht mehr.

Aber die Sache ist nun mal die, sie brauchen mich für Mötley Crüe. Und wenn sie nicht allein losziehen und ihre Solo-Sachen machen wollen, dann müssen sie sich mit mir abfinden.


Aber vergessen wir diesen ganzen negativen Scheiß. Darum geht’s im Augenblick ja gar nicht. In diesem Buch geht es um Vince Neil. Hier will ich ausführlich von meinem Leben erzählen, mich an die guten alten Zeiten erinnern, über die Vergangenheit lachen und vielleicht manchmal auch weinen. Das hilft mir sicher auch, mich den nächsten Kapiteln meines Lebens zuzuwenden und mich weiterzuentwickeln. Du weißt schon, mit der Vergangenheit abschließen. Eine neue Tür öffnen. Niemand bleibt immer derselbe. Wir wachsen, wir verändern uns. Man muss seinen Frieden mit dem machen, was man tut, wer man ist und was man erreicht hat.

Eins muss ich noch sagen: Ich glaube, ich singe heute besser denn je. Das hat sich vor allem in den letzten beiden Jahren entwickelt. Beim Crüe Fest – 1 und auch 2 – habe ich besser gesungen als je zuvor in meinem Leben. Und ich glaube, ich habe mich auch besser bewegt. Ich sage mir immer wieder, dass ich meine Bestform erreichen will. Was das angeht, habe ich höchstwahrscheinlich ein paar Lebensjahre wirklich verschwendet. Aber inzwischen weiß ich, dass ich nie wieder so viel Zeit verlieren möchte. Heute höre ich die Uhr ticken. Älterwerden ist leicht. Das geschieht einfach, ob es einem nun gefällt oder nicht. Das Geheimnis liegt darin, im Laufe dieses Prozesses ein wenig Weisheit zu erlangen.

Die Sache ist doch die: man muss sich von der Strömung tragen lassen. Ich liebe mein Leben. Ich liebe den Ort, an dem ich lebe. Viva Las Vegas, Stadt der Sünde. Stadt der unbegrenzten Möglichkeiten. Für mich ist Vegas so etwas wie der Wilde Westen. Deswegen wollte ich den Lambo hier haben, verstehst du? Der Ferrari passt ins Weinanbaugebiet. Ein Lambo ist richtig Las Vegas. Hier kann man Dinge tun, rein geschäftlich, meine ich jetzt, die sonst nirgendwo anders möglich sind. Zum Beispiel nicht nur ein, sondern gleich zwei Tattoo-Studios auf dem Strip aufzumachen – so was geht auf dem Rodeo Drive einfach nicht. Verstehst du? Auf dem Strip stehen die teuersten Immobilien der Welt. Hier einen Fuß in die Tür zu bekommen, das ist echt aufregend. Es ist schon komisch: Als ich meine Frau kennen lernte, wohnte ich in Beverly Hills und sie in Nord-Kalifornien. Sie hat sich sehr rar gemacht und ist nur an den Wochenenden zu mir geflogen. Als ich sie endlich überreden konnte, mit mir in L.A. zusammenzuziehen, hing mir die Stadt schon zum Hals raus, und ich wollte nach Vegas. Hollywood ist eine kleine Stadt. Ich hatte die Nase voll. Aber sie war enttäuscht und meinte: „Jetzt bin ich zu dir gezogen, um in L.A. zu sein, und nun schleppst du mich nach Vegas?“ Tja, die Antwort darauf lautete wohl: „Stimmt.“

Das ist auch die Antwort auf die Frage, wieso wir ein zweites großes Haus in der Gegend haben, wo sie aufgewachsen ist.

Was mache ich also den ganzen Tag, wenn ich nicht on the road bin? Guck einfach mal auf meine Webseite. Ich bin dauernd auf Achse, die Vince Neil Band ist viel auf Tour. Aber wenn ich nicht durch die Gegend ziehe, bin ich gern zu Hause. Ich kümmere mich sehr um unsere Stiftung, die Skylar Neil Foundation. Wir veranstalten jedes Jahr ein großes Golfturnier. Ich spiele viel Golf. Ich bin total normal. Ich mag gutes Essen und gammle manchmal einfach gern herum. Ich fahre gern Auto. Ich mag Kochsendungen. Top Chef [eine ähnliche Show wie Deutschlands Meisterkoch] ist eine meiner Lieblingssendungen. Oder Project Runway, diese Castingshow, bei der Modemacher zeigen können, was sie drauf haben. Es gefallen mir nicht alle Reality Shows, nur die, in denen wirklich Leute mit Talent zu sehen sind und auch wirklich etwas tun müssen. Jersey Shore habe ich noch nicht gesehen, aber eine Menge darüber gelesen; die Sendung interessiert mich. Das ist sicher gute Unterhaltung, weil die Leute ziemlich verrückt sind. Solche Programme sind mein kleines Laster. Ich mag auch Haunted, Ghost Hunters und Ghost Adventures, diese ganzen Sendungen übers Übernatürliche. Und ich liebe Expedition Robinson, schon seit langem. Bei einer der ersten Reality Shows, Surreal Life, war ich mit dabei, gleich im ersten Jahr. Davon gab es später neun Staffeln. Leider habe ich keine Kopie davon.

Aber meine größte Leidenschaft sind heutzutage Sportwetten. Ich bin Stammgast im Red Rock Casino am Strip von Las Vegas. Das ist einfach eine tolle Umgebung. Dort habe ich ein eigenes, großes Separee mitten im abgeteilten Promi-Bereich; wir haben unsere eigenen Fernsehschirme, aber die Großleinwände sind auch direkt vor meiner Nase. Dort gehe ich jeden Sonntag hin und bleibe meist von morgens um acht bis abends um acht. Um sich dort ein Separee reservieren zu lassen, muss man mindestens 3.000 Dollar auf ein Spiel oder 10.000 Dollar am Tag verwetten, jedenfalls so ungefähr. Das ist derzeit mein größtes Laster. Ich liebe die Action dort. Das bringt das Blut in Wallung. Mehr als eine Spritze voller Kokain, wie ich sie mir anno 1981 mit meiner damaligen Freundin Lovey gesetzt habe, das steht mal fest.

Aber es stimmt natürlich – es macht schon mehr Spaß, von diesen alten Zeiten zu erzählen.


Ich wurde als Vince Neil Wharton am 8. Februar 1961 im Queens Of Angels Hospital im Los Angeles County geboren.

Meine Mutter, deren Mädchenname Shirley Ortiz lautete, ist zur Hälfte Mexikanerin, zur Hälfte weiß. Mein Vater, Clois Odell Wharton, meist Odie genannt, ist halber Indianer. Manche Leute sagen, ich wäre demzufolge ein Mischling aus zwei oder drei Rassen oder so was. Aber ich sehe mich als Kalifornier. Obwohl ich inzwischen nicht mehr dort lebe, ist das mein Zuhause. Ich war immer der Meinung, dass die Leute aus Cali einen eigenen Pass haben sollten. Wir sind eine ganz besondere Gattung, im Guten wie im Schlechten. Früher hat man Kalifornien das Land der Früchte und Nüsse genannt. Ich nenne es einfach nur Zuhause.

Das Krankenhaus gibt es heute noch, nur einen Katzensprung über den Freeway 101 von Hollywood entfernt, wo die richtig wichtigen Leute wohnen, wie man sagen könnte. Nachdem ich jetzt so weit gekommen bin, muss ich kurz einmal innehalten und mir diesen Augenblick richtig auf der Zunge zergehen lassen. Weißt du, wie oft ich mir vorgestellt habe, meine Autobiografie zu schreiben? Vielleicht macht jeder das an einem bestimmten Punkt in seinem Leben. Aber ist das nicht cool? Es geschieht tatsächlich. Ich schreibe meine Autobiografie. Auch wenn ich von Natur aus nicht unbedingt ein besonders reflektierter oder nachdenklicher Typ bin, ist mir doch klar, wie viel Glück ich habe, in dieser Lage zu sein, ein Buch über mich selbst zu schreiben und davon ausgehen zu können, dass es wirklich Leute gibt, die ihre schwer verdienten Dollars dafür ausgeben wollen, um es zu kaufen und zu lesen. Letztlich ist es doch so, ich bin einfach ein ganz normaler Typ von der anderen Seite des Freeway. Wer hätte gedacht, dass so etwas einmal möglich sein würde?

Meine Mutter ist, glaube ich, in New Mexico aufgewachsen. Während meiner Kindheit blieb sie zu Hause, um sich um mich und meine Schwester Valerie zu kümmern, die 16 Monate jünger ist als ich. Als wir größer wurden, hat meine Mutter gejobbt, um etwas zu unserem Lebensunterhalt beizutragen. Ich glaube, sie hat in einer Fabrik gearbeitet, in der Kosmetikprodukte für Max Factor hergestellt wurden. Was sie genau gemacht hat, weiß ich nicht. Ich habe nie viel darüber nachgedacht. Damals war ich noch ein Kind, da habe ich kaum über meinen Tellerrand hinausgeguckt.

Den Vater meiner Mutter, meinen Großvater, habe ich nie kennen gelernt; er starb, als meine Mutter noch klein war. Meine Oma war Mexikanerin. Meine Tanten sprachen nur Spanisch. Selbstgemachte Tortillas waren das Größte auf der Welt, vor allem, wenn sie auf der Gasflamme aufgewärmt und mit Butter bestrichen wurden. Mit solchen Gerichten bin ich groß geworden. Zu Thanksgiving hatte man bei uns zu Hause die Wahl: Truthahn oder Enchiladas. So eine Familie waren wir. Ein richtiger Schmelztiegel. Bei uns gab es verschiedene Gerichte aus verschiedenen Kulturen, alles schön gemischt und zusammen auf einem Teller.

Ich war oft bei meiner Oma. Ob sie gearbeitet hat, weiß ich nicht mehr. Ich glaube nicht, dass sie irgendwas gemacht hat. Sie war meine Oma, und das war’s. Sie hat viel genäht, vielleicht auch für andere. Wahrscheinlich hat sie sich damit ihr Geld verdient. Sie wohnte in Watts, einem Stadtteil im Süden von Los Angeles, und ich kann mich noch an die Unruhen dort erinnern. Ich war erst vier Jahre alt, und es war ziemlich beängstigend. Das war im August 1965, und sechs Tage lang ging es richtig drunter und drüber, es brannte überall. 43 Menschen wurden getötet und über 1.000 verletzt. Fast 4.000 Personen wurden verhaftet. Tausende von Häusern und Geschäften wurden angezündet und geplündert, der Schaden belief sich auf über 200 Millionen Dollar. Man sprach von den schlimmsten Unruhen in Los Angeles, bis die Aufstände 1992 alles in den Schatten stellten. Auch hier ging es um die Rassenproblematik, nachdem es bei der Verkehrskontrolle eines schwarzen Fahrers durch weiße Polizisten angeblich zu brutalen Übergriffen gekommen war. Die Unruhen in Watts hatten ganz ähnlich begonnen. Ich erinnere mich an die Panzer, wie sie unsere Straße entlangfuhren, und an die vorbeimarschierenden Soldaten. Ich war noch klein, und damals dachte ich: „Wow! Jetzt sind wir gerettet! Jetzt kommen die Guten!“

 

Ich lernte auch meine Großeltern väterlicherseits noch kennen. Sie starben, als ich sieben oder acht war. Sie stammten aus dem Grenzgebiet zwischen Texas und Oklahoma. Mein Vater ist in Paris, Texas, zur Welt gekommen. Wir haben eine Weile … hm, ich würde sagen, in New Mexico oder Utah gewohnt. Irgendwo da. Und dann bekam mein Dad eine Stelle als KFZ-Mechaniker bei der Kreisverwaltung von Los Angeles. Damit war er im Öffentlichen Dienst und erhielt eine Reihe von Zuschlägen; es war ein netter Mittelklasse-Job bei der L.A. County Mechanical Division. Er reparierte Polizeiwagen. Dieselben Dinger, mit denen ich später auch des Öfteren unterwegs war – dann allerdings auf dem Rücksitz und in Handschellen.

Mein Dad war in seinen jungen Jahren ein ziemlich gut aussehender Typ. Er und meine Mutter sind heute noch zusammen. Sie leben inzwischen in Utah, wie auch meine Schwester, aber ich denke, sie werden bald nach Las Vegas umziehen. Wir haben nicht so viel Kontakt – seit meiner Hochzeit vor etwa fünf Jahren haben wir nicht mehr viel miteinander zu tun gehabt. Damals sind ein paar blöde Sachen gelaufen, es wurde zuviel getrunken und dann fielen ein paar hässliche Worte – vielleicht kommen wir später noch einmal darauf zurück. Es ist wohl so, bei Familien gibt es immer irgendwelche Dramen. Mein Dad ist inzwischen schon ein paar Tage älter, sieht aber immer noch gut aus. Er ist über eins achtzig, weißt du, mit graumeliertem Haar. Er wurde schon als junger Mann grau. Dazu trägt er jetzt einen coolen Elvis-Haarschnitt, so zurückgekämmt. In The Dirt wurde ich mit der Bemerkung zitiert, er sei ein „Frauentyp“. Das steht so da, als hätte ich das gesagt, aber ich habe keine Ahnung, wo die das herhaben. Vielleicht einfach bloß, weil er gut aussah. Aber ich meine, meine Eltern sind jetzt seit … mal überlegen … fast 50 Jahren verheiratet. Wenn er also wirklich ein Frauentyp gewesen ist, dann ziemlich im Geheimen – denn bei meiner Mutter wäre er mit irgendwelchen Geschichten nie durchgekommen. Sie ist ziemlich kompromisslos. Eine blonde, harte Mexikanerin. Vielleicht habe ich meine Power von ihr. Sie versteht es zu kämpfen, genau wie ich.

Ich kann mich nicht daran erinnern, in meiner Kindheit viel mit meinem Dad gemacht zu haben. Ein paar Sachen vielleicht. Wir hatten einmal ein Boot, eine kleine Badewanne von vier Metern Länge mit Außenbordmotor, und mit der sind wir an den Wochenenden auf dem Castaic Lake herumgetuckert. Wir haben da oben gern geangelt und so – ich, meine Schwester, Mom und Dad. So was machten wir gelegentlich mal. Und ich glaube, als ich noch klein war, haben wir beide mal zusammen den Motor vom Auto meines Onkels neu zusammengebaut. Damit waren wir eine ganze Weile beschäftigt. Es war ein Chevrolet Nova, ein Sechziger-Baujahr, der dem Bruder meiner Mutter gehörte. Wenn ich mich recht erinnere, dann haben wir mehrere Sommer an diesem Auto herumgeschraubt, mein Dad hat es wieder aufgemöbelt, und ich habe dabei geholfen. Und ich weiß auch noch, wie ich mit meinem Dad in ein Musikgeschäft gegangen bin. Er hat mir meine erste Gitarre gekauft. Danach habe ich Unterricht bekommen. Später hatte ich eine elektrische Gitarre und einen kleinen Verstärker. Nach einiger Zeit verlor ich aber das Interesse, wie das bei Kindern so ist, und die Gitarre verschwand eine Weile in der Abstellkammer … um dann nach langer Zeit wieder hervorgeholt zu werden. Ein paar Akkorde zu können, hat mir jedenfalls nicht geschadet.

Später zogen wir nach Compton. Um das aber gleich mal klarzustellen: Als meine Eltern dort ein Haus kauften, taten sie das nicht etwa, weil sie sich nichts anderes hätten leisten können. Vielleicht hatten sie nicht gerade die beste Spürnase, was Immobilien anging, aber Ende der Sechziger galt Compton als nettes Viertel für die untere Mittelklasse. Damals wurden überall im ganzen Land solche Neubaugebiete aus dem Boden gestampft, um den Ansprüchen gerecht zu werden, die der wachsende Wohlstand der Nachkriegsjahre mit sich brachte. Die Häuser waren bezahlbar, und es gab Schulen in der Nähe. Damals war Compton noch nicht der Spielplatz von Gangs und Drogensüchtigen, zu dem es sich später entwickelte. Kennst du das erste Album der Hardcore-Rapper N.W.A. (Niggaz With Attitude)? Das heißt Straight Outta Compton. Wegen dieser Platte und Filmen wie Boyz N The Hood kam die Gegend kulturell auf die Schwarze Liste. Aber diese Platte erschien zwanzig Jahre später! Der Teil von Compton, in dem wir wohnten, wurde später zu Carson gerechnet. Damals war das ein Neubaugebiet wie viele andere. Für Mittelklassefamilien wie uns war es erschwinglich, und auch viele Arbeiter wohnten dort, weil die Ölraffinerien in der Nähe lagen. Früher bin ich oft mit dem Fahrrad zu den Raffinerien gefahren. Als wir dort hinzogen, war dort noch sehr viel offenes Gelände. Es wurde allerdings schon viel gebaut, und es hatte ein bisschen die Atmosphäre einer neuen Siedlung im Grenzland. Für uns Kinder war es großartig, man konnte dort einfach alles spielen – Krieg, Soldat, Spionagegeschichten, Überlebenstraining – oder einfach Geländefahrten mit dem Fahrrad machen. Wir hatten sehr viel Spaß.

Als Kind war ich total baseballverrückt und spielte in einer Kindermannschaft in Carson. Ich war ziemlich gut. Damals stand ich total auf die Dodgers. Als ich mein erstes Trikot bekam, hätte ich es am liebsten den ganzen Tag getragen. Ich wollte es überhaupt nicht mehr ausziehen. Weißt du noch, wie man sich in dem Alter fühlt? Das Hemd fühlte sich so toll an, und es roch auch so gut. Es hatte diesen typischen Geruch von neuem Stoff. Den Geruch der Verheißung, könnte man vielleicht sagen. Den Geruch von Kleinejungenträumen.

Clois Odell „Odie“ Wharton

Vince Neils Vater

Die Familie meines Vaters war teilweise indianischer Abstammung; sie stammte aus Oklahoma. Er selbst wurde schon als Kind Vollwaise. Die Familie, bei der er aufwuchs, lebte in Oklahoma gleich an der Grenze; auf der anderen Seite des Red River lag Texas. Dort pachtete er später ein Stück Land und betrieb eine kleine Farm. Meine Mutter stammte aus Tupelo, Mississippi. Ich selbst kam in Paris, Texas, zur Welt. Auf meiner Geburtsurkunde steht sogar nur Lamar County, weil wir so weit draußen auf dem Land wohnten. Der Arzt musste zur Entbindung zu uns rausfahren. Meine Mutter sagte, er sei ziemlich betrunken gewesen.

Wir lebten in einer kleinen Hütte. Es gab nicht einmal ein Schlafzimmer; alles spielte sich in einem einzigen Raum ab. Wenn es viel regnete, nagelten wir Teerpappe auf; die Bohlen des Hauses waren nicht sehr gut aneinandergefügt, und bei schlechtem Wetter pfiff der Wind durch die Ritzen. Wir mussten Töpfe und Schüsseln unter die Stellen schieben, an denen das Wasser durchs Dach tropfte. Und so etwas wie Wasserleitungen oder Strom hatten wir natürlich auch nicht. Wir hörten Radio über einen kleinen, batteriebetriebenen Empfänger.