Indonesien - Abenteuer Kinderhilfe

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Nach fünf Stunden Schlaf stehe ich um 6:30 Uhr auf. Zum Frühstück gibt es Tee und einen kleinen Imbiss. Ich gehe mit Sari durch die Dorfstraßen. Neugierige große braune Augen lächeln mich an. Ich fühle mich wohl. Wir gehen vorbei an einer Schule, zu einer Quelle, von der die Menschen glauben, dass sie Kraft und Gesundheit gibt. Viele Indonesier praktizieren zwar die Lehren ihrer Religion, nehmen jedoch auch den Aberglauben ernst. Sie glauben an Geister und Dämonen, bringen Opfergaben zu heiligen Orten, wie zu einem Fluß oder Berg.

Auf dem Rückweg kaufen wir an den Straßenständen Lebensmittel, Vogeleier und Früchte. Nachdem wir uns im Haus kurz frischgemacht haben, gehen wir `Soto` essen, eine traditionelle javanesische Suppe. Mit Saris jüngster Schwester fahren wir danach mit dem überfüllten Landbus nach Purwokerto. Sari kauft für die Hochzeitsfeier Lebensmittel und Früchte und bestellt Blumen. Die Auswahl ist riesig. Es duftet in allen erdenklichen Tönen und die Farbenvielfalt der exotischen Pflanzen ist unbeschreiblich. Orchideen in allen Farben, reinweiße Jasminblütenzweige, Kakteen mit Blüten und vieles mehr. Auf dem Markt gehen wir von Stand zu Stand und der Duft der exotischen Gewürze wird von meiner Nase aufgesaugt. Sari nennt mir einige der typisch indonesischen Gewürze: Chili, Ingwer, weißer Pfeffer, Zimt, Muskat, Gewürznelke, Zitronengras.

Es ist Regenzeit und es schüttet vom Himmel. Im Einkaufsmarkt sind wieder alle Augen auf mich gerichtet. Ich lächle und die Leute lächeln zurück. Mit einem Kleinbus fahren wir, mit mindestens 15 Personen total überfüllt, zum Busplatz. Ein Mann ist für den Ein- und Ausstieg verantwortlich. Er hat im Fahrzeug aber keinen Platz mehr und hängt deshalb halb draußen. Das gleiche im Bus. Theoretisch passen gar nicht so viele Menschen in den Bus und bei jedem, der an der Straße steht wird noch gehupt und lautstark gerufen, ob er mit möchte. Wir kommen jedenfalls wieder gut in Banyumas an. Eine Fahrradrikscha bringt uns mitsamt Einkauf durch den Regen zum Haus. Dort sind die Vorbereitungen für das Hochzeitsfest bereits weit vorangeschritten. Auf dem Schotterplatz vor dem Haus haben Nachbarn ein großes Vordach aus Metallträgern und Wellblech errichtet. Die Frauen haben den ganzen Tag Speisen zubereitet und Dekorationen gebastelt.

Dann kommen Männer und ich werde gebeten, in das Haus zu gehen. Sie vollziehen mit Sprechgesängen traditionelle javanesische Beschwörungen. Ich nutze die Zeit zum Aufschreiben meiner Erlebnisse in meinem Zimmer. Der Raum ist nicht groß, einfach, keine Klimaanlage, keine Fensterscheiben, nur Holzlamellen, ein Bett, ein kleiner Schrank, kein Tisch, aber ein Stuhl. Unterhalb der schwachen Glühlampe, die nur an einem Draht baumelt, sitzt eine Eidechse.

Der `Gecko` – er kann an der Decke laufen und frisst Plagegeister. Der Gecko ist ein Superheld der Tierwelt. Und täglich grüßt der Gecko. Lang wie ein Finger, graubrauner Körper mit Punkten, schwarze Augen. Oder auch groß wie der Unterarm eines erwachsenen Mannes, blasse Farbe mit kleinen Punkten. In Indonesien ist es unmöglich, den Echsen aus dem Weg zu gehen. Gerade eben zum Beispiel: Ich laufe von der Küche ins Nachbarzimmer und zähle unterwegs drei Geckos. Einer huscht unters Bett, einer flitzt hinter den Schrank und einer sitzt direkt vor mir, außen am Holzfenster. Kein Grund, den Kammerjäger zu rufen. Der Gecko ist der Kammerjäger. Der Hund mag zu Recht als des Menschen bester Freund gelten, aber die kleinen Helferlein leisten auch gute Dienste. Sie machen Jagd auf Moskitos, Spinnen, Ameisen, Fliegen und Schaben. Sie sind wie Insektenspray – nur ungiftig. Sie sind völlig harmlos und sehr nützlich.

Geckos haben weder Pelz noch Frisur, aber an ihren Füßen und Zehen wachsen winzige Haare. Die feinen Lamellen sind vorne aufgespalten, und so entwickeln sie zwischen Geckofuß und Untergrund Anziehungskräfte. In der Physik nennt man diesen Effekt `Van-der-Waals`-Kräfte. Für uns schwer nachzuvollziehen, weil wir ohne Tricks und Hilfsmittel keine glatten Wände hoch laufen können. Geckos haben an ihren Sohlen aber enorme Haft-kraft, dass sie damit 140 Kilogramm heben könnten. Soviel wiegt ein neugeborener Elefant. Obwohl sie wie Magneten an Wänden hängen, sind Geckos sagenhaft flink. Wer diese Echsen fangen will, muss reaktionsschnell sein – und auch rasch die Hand wieder wegziehen können. Denn zumindest die größeren Exemplare, die nach dem Klang ihrer Rufe genannten Tokkees, wissen sich bei Angriffen zu wehren. Sie beißen dann auch mal einen Finger blutig und lassen nicht so einfach wieder los. Auf der Flucht kann der Gecko außerdem seinen Schwanz abknipsen und ihm dem Feind sprichwörtlich zum Fraß vorwerfen. Diese Körperendung wächst dann wieder nach, wenn auch nicht so stattlich wie zuvor. Wenn er Luft holt (auch das kann man hören, es ist ein regelrechtes Anlaufnehmen mit dem Atem) und losbrüllt, lohnt es sich, mit zu zählen. Gibt er mehr als sieben Laute von sich, verheißt das Glück...so sagt man jedenfalls.

Obwohl sich dem Gecko wohl kaum eine schlechte Eigenschaft nachsagen lässt, fühlen sich manche Leute in geschlossenen Räumen trotzdem unwohl in der Gesellschaft der kleinen Krokodile. Wie wird man ihn also los? Das ist ein Ding der Unmöglichkeit. Wenn Sie einen Gecko aus ihrem Haus scheuchen, kommen am nächsten Morgen zwei zurück. Superhelden lassen sich eben nicht einfach rausschmeißen.

Ich passe mich den Lebensgewohnheiten an. Ich bin Gast in einer fernen Fremde, bei einer anderen Kultur, im Haus einer vorher mir unbekannten Familie, mitten im javanesischen Dschungel. Aber ich fühle mich weder fremd, noch unwohl...ich bin glücklich.

Am nächsten Tag, es ist ein Tag vor der Hochzeit, findet eine Reinigungszeremonie statt. Gegen 9:00 Uhr kommen die ersten Gäste zum Teil in traditionellen Kostümen. Die Terrasse wird zum Thronsaal gestaltet, reichlich verziert und dekoriert.

Sapto, der Bräutigam, kniet vor seinen Eltern nieder und wird instruiert und beschworen. Später kniet dann auch Sari zu Füßen ihrer Eltern und wird mit Worten bedacht. Als nächstes wird Sapto von seiner Familie nach einem alten Ritual mit sieben Kellen Wasser mit Blütenblättern übergossen und somit gereinigt. Anschließend muss sich auch Sari dieser Prozedur unterziehen. Sari wirkt dabei noch sehr gelöst. Innerlich, so sagt sie mir, ist sie sehr angespannt. Die angehenden Eheleute dürfen sich an diesem Vormittag jedoch nicht sehen. Sari und Sapto kennen sich bereits seit ihrer Ausbildungszeit. Beide waren auch aktiv bei den Pfadfindern und aus anfänglicher Freundschaft wurde Zuneigung und Liebe. Es ist keine arrangierte Ehe. Sari studierte Rechtswissenschaften, fand jedoch anschließend keinen Job. Auch Sapto absolvierte ein Studium und ist nun Vertreter für Keramikfliesen. Hauptsächlich ihm obliegt es nach der Hochzeit, die Familie zu ernähren. Viele Frauen in Indonesien, insbesondere in den ländlichen Regionen, teilen dieses Schicksal. Fehlende Arbeitsplätze sowie Kindererziehungszeiten lassen die Frauen zu Hausfrauen werden.

Nach dieser traditionellen Prozedur wird es im Haus wieder ruhiger. Erst am Nachmittag ist dann wieder reger Betrieb. Der ganze Hof ist voller Gäste. Es wird gegessen, getrunken und sich unterhalten. Ich mache mich auch schick und geselle mich zu den Bekannten und Verwandten der Familie. Sari winkt mich in ihr Zimmer. Sie sieht wunderschön aus. Das lange schwarze Haar ist hochgesteckt, ihre dunklen Rehaugen strahlen Wärme aus. Wir unterhalten uns über unsere Freundschaft. Sari sagt mir, sie empfindet mir gegenüber Schuldgefühle und sie werde mich nach der Hochzeit weiter in ihrem Herzen tragen. Ich bin gerührt, fühle ich doch das gleiche. Diese Gefühle kommen daher: Sari schrieb mir, etwa ein halbes Jahr zuvor, dass sie sehr viel für mich empfindet. Über die Jahre hat sich zwischen uns eine besondere Vertrautheit aufgebaut. Da sie jedoch einer angesehenen Familie des Dorfes entstammt und den Traditionen verpflichtet ist, konnte sie mir nicht konkret sagen, was sie fühlt. In ihrer Kultur ist es vorgesehen, dass der Mann den ersten Schritt macht. Jedenfalls hatte ich zu jener Zeit, als sie mir diesen Brief schrieb, die Lage nicht richtig eingeschätzt. Erst im Nachhinein, genauer gesagt seit gestern weiß ich von ihr, was sie mit ihrem Brief bezwecken wollte. Nämlich, dass ich ihre tiefen Gefühle verstehe und wir mehr als eine Brieffreundschaft entstehen lassen. Das rührt mich noch immer, wenn ich daran denke.

Die nächste Prozedur startet dann um 19:00 Uhr. Diverse Ansprachen von Familienmitgliedern und Gästen werden gehalten, Geschenke werden an beide Familien übergeben. Den ganzen Tag über kommen Gäste, Nachbarn, Familienmitglieder, über 200 Leute, so schätze ich. Während im Hof die Feierlichkeiten laufen, sitzen fleißige Frauen im Haus und bereiten die Speisen für den morgigen Festtag zu. Ich geselle mich dazu und packe auch mit an. Wir alle sitzen im Schneidersitz auf Decken auf dem Boden. Es ist eine lustige und nette Gesellschaft. Es wird gealbert und gelacht.

Zwischendurch muss ich mein Gewand für morgen anprobieren. Man fragte mich einen Tag zuvor, ob ich gern auch in der javanesischen Tracht an der Hochzeitsfeier teilnehmen möchte. Da gab es nicht viel zu überlegen. Ich freute mich riesig. Dann höre ich Saris Stimme. Sie möchte mich neuen Gästen vorstellen. Für Sari ist heute ein langer und anstrengender Tag. Sie muss bis Mitternacht in ihren äußerst engen Sachen aufbleiben. Ich habe ihr versprochen, ihr an ihrem letzten Singleabend bis zuletzt Gesellschaft zu leisten. Saris Vater bittet Sari und mich auf das Hochzeitssofa für ein Foto. Ich fühle mich wie ein König oder wie der Ehemann... Wir müssen beide schmunzeln.

Der nächste Tag beginnt für mich um 6:00 Uhr. Heute ist der Tag der Hochzeit! Es herrscht schon reges Treiben im Haus und auf dem Hof. Nach dem Frühstück habe ich noch Gelegenheit mit Sapto zu sprechen. Er ist ein feiner Mann und kommt aus einer guten Familie. Seine Eltern hatten mich gestern schon eingeladen, sie auch mal in Yogjakarta zu besuchen. Dann ist es an der Zeit, dass ich mich mit dem traditionellen javanesischen Gewand ankleide. Dabei wird mir natürlich geholfen. Der Gehrock ist extrem eng gewickelt und erlaubt nur kurze Schritte. In die Gürtelschärpe bekomme ich rückseitig einen Dolch, den `Keris`, gesteckt. Diesen tragen nur die engsten Familienangehörigen. Der Keris (oder auch Kris) ist ein kurzer Dolch, dem eine Magie zugesprochen wird. Die Klinge ist meist wellenförmig, wie eine Schlage, geformt.

 

Die ersten Gäste erscheinen. Ich werde vorgestellt. Fast immer die gleichen Fragen nach Alter, Beruf, verheiratet und wie ich Indonesien finde. Die meisten Gäste sind in traditionelle Gewänder gehüllt, ein höchst feierlicher Moment. Ich erblicke Sari, die vier Stunden lang gestylt wurde. Sie trägt ein dunkles samtweiches Kostüm, eine Art langen Blazer sowie einen Sarong. Der Blazer ist reich verziert mit goldfarbenen Stickereien. Der Wickelrock ist ebenfalls mit Goldtönen versetzt und mit einem typischen Motiv der Region Banyumas versehen. Ihre schwarzen Haare sind hochgesteckt. Die Konturen ihrer Haaransätze wurden mit schwarzer Farbe nachgezogen. Neben einem goldfarbenen Diadem bestimmen frische Jasminblüten den Kopfschmuck. Die schneeweißen Blüten, die wie kleine Perlen aussehen, sind zu einem Gebinde zusammengesteckt und verlaufen vom Kopf bis hinunter zur Taille. Jasmin (übersetzt `Melati`) ist eine der vier Nationalblumen Indonesiens. Aus der indonesischen Geschichte geht hervor, dass diese Blume seit jeher als heilig gilt. Die kleinen Blüten duften sehr süß. Sie symbolisieren Reinheit, Anmut und Aufrichtigkeit. Vor allem hier auf der Insel Java wird diese Blume bei Hochzeitszeremonien verwendet. Sari sieht bezaubernd aus, so wunderschön, wie eine Prinzessin. Ich kann meine Komplimente nicht zügeln. In wenigen Stunden wird sie verheiratet sein und einen neuen Lebensabschnitt beschreiten. Alles ist bunt und farbenfroh, doch dieser Schein trügt. Farben können Armut zwar überdecken, aber nicht wegzaubern.

Die Zeremonie beginnt um 10:00 Uhr. Ich nehme zunächst in den Sitzreihen im Hof bei der Hochzeitsgesellschaft Platz. Doch Sari winkt mich heran, ich soll bitte nicht allzu weit von ihr weichen. Sie möchte mich an ihrer Seite wissen. Ihre Familie ist auch immer bestrebt, dass ich den besten Platz bekomme. Ich darf mich auf die Terrasse zu den engsten Familienmitgliedern setzen. Die Eltern von Sapto und Sari sitzen an einem Tisch auf der Terrasse, dazu Mitglieder vom Stadtrat sowie der Imam der örtlichen Moschee. Es ist eine muslimische Hochzeit – häufig eine Kombination aus Religion und regionaler Tradition. Sapto betritt ehrwürdig die Terrasse. Anschließend wird auch Sari zu ihrem Platz geführt. Ein bewegender Moment. Ich sitze direkt dabei, in der ersten Reihe. Ein großer Papierbogen wird ausgefüllt. Unterschriften und Siegel werden darauf gesetzt. Sari schaut die ganze Zeit ernst zu Boden. Als sich unsere Blicke kreuzen, ein ganz kurzes, verlegenes Lächeln. Wir sind uns sehr vertraut. Die gesamte Zeremonie verläuft unter den Augen einer Frau, die penibel darauf achtet, dass die Tradition eingehalten wird und dass die Kleidung immer richtig sitzt. Nachdem die Trauung vollzogen ist, nimmt das Brautpaar auf dem Thronsofa Platz. Das erste Foto mit den Frischvermählten gehört den beiden Elternpaaren. Der Hof ist voller Menschen, auch im Haus ist reger Betrieb. Überall werden Snacks und Mahlzeiten zubereitet und Drinks (ohne Alkohol, da Islam) gereicht. Ich lasse mir die scharfen Speisen schmecken, auch wenn ich nicht immer genau weiß, was ich da gerade esse. Dann bildet sich eine Marschaufstellung. Das Brautpaar geht stolz mit den Eltern und Geschwistern über den Hof, entlang sämtlicher Gäste. Ich habe die Ehre, mich mit Saris Schwester Sampurni, als meiner heutigen Partnerin, dem kleinen Zug anzuschließen. Zunächst, jedenfalls als ich die ersten Tage hier war, wurde ich von vielen Leuten im Dorf für Saris Ehemann gehalten. Nun glauben viele, Sampurni und ich sind ein Paar...

Ich bin von der Zeremonie und dem Ablauf total überwältigt. Es ist auch für mich ein bedeutender Moment in meinem Leben. Wenn ich einmal heirate, dann wünsche ich mir auch solch eine Zeremonie...aber vielleicht dann doch weniger als 500 Gäste.

Die einzelnen Familienmitglieder, Onkel, Tanten, Nachbarn und Freunde lassen sich mit dem Paar fotografieren. Immer wieder kommt dabei an mich die Anfrage, ob ich bitte mit auf das Foto komme. Ich fühle mich geehrt. Menschen, die ich bisher nicht kannte, sind so herzlich und nett.

Am Nachmittag richtet sich ein Vertreter des Stadtrats mit einer Ansprache an die Familien. Gleich darauf werde ich als `special-guest` willkommen geheißen. Viele der Familienmitglieder und Freunde kenne ich bereits seit den letzten Tagen bzw. durfte ich auch schon zu Hause besuchen. Sie nicken mir freundlich zu, begrüßen mich oder winken und lächeln. Solch eine ehrliche Freundlichkeit habe ich bei meinen Reisen in andere Länder selten empfunden. Kurz darauf fahre ich mit Sampurni, ihrer Freundin und einer Tante im überfüllten Bus zum Hospital, um einer Verwandten einen Krankenbesuch abzustatten. Als wir wieder zurückkommen, ist der Hof fast leer. Wir essen etwas. Nach Einbruch der Dunkelheit treffen wieder die Gäste ein und auch neue Gäste kommen hinzu. Am späteren Abend spielt eine Musikgruppe traditionelle indonesische Musik, unterstützt auch von Gamelan-Instrumenten. Es ist eine tolle Stimmung und die alten Lieder fliegen durch die Nacht. Dann wird es ruhig. Saris Vater geht auf die Bühne und richtet eine Ansprache an mich. Er spricht auf Indonesisch, doch Kus (Hardy), der an diesem Tag, zusammen mit seinem Bruder Bowo, für die Fotos verantwortlich ist und den ich auch bereits die vergangenen Tage als neuen Freund kennengelernt habe, übersetzt für mich. Saris Vater sagt, dass er und seine Familie sehr erfreut, stolz und glücklich sind, dass ich zu Saris Hochzeit gekommen bin. Er singt ein altes javanesisches Volkslied extra für mich. Ich bedanke mich ergriffen und überwältigt mit „Terima kasih – Vielen Dank“. Wow...was für ein Augenblick... seine ruhige Stimme zu hören und mit welcher Überzeugung und Hingabe er dieses Lied singt. Ich bekomme Gänsehaut in dieser schwülwarmen Nacht. Später setze ich mich noch mit Sari zusammen. Sie wirkt ein wenig geschafft vom langen Tag. Doch sie lächelt. Unsere Blicke sprechen Worte. Wir wissen beide, was wir füreinander empfinden. Sari sagt mir, dass ich ganz fest in ihrem Herzen verankert bin und dass sie glücklich sei. Es ist ein seltsames Gefühl. Über den ganzen Tag haben wir uns nicht aus den Augen verloren. Wir schwören uns ewige Freundschaft und dass wir uns niemals vergessen werden.

Am nächsten Morgen, wir sitzen mit der gesamten Familie auf der Terrasse beisammen, überreicht Sapto seiner Ehefrau Sari ein Geschenk. Es ist die Tradition einer muslimischen Hochzeit, nach der Hochzeitsnacht eine `Mitgift` (Morgengabe) an die Braut zu überreichen. Die Mahr, auch so kann es genannt werden, ist ein großer Bilderrahmen, in dem sich hinter Glas einige Geldscheine, einem Fächer gleich, sowie einzelne Münzen befinden. Die Mitgift hat auch symbolischen Charakter. Damit zeigt der Ehemann seiner Frau, dass er für sie sorgen wird und sie abgesichert ist.

Später fahre ich mit Sampurni und ihrer jüngeren Schwester mit dem Bus nach Purwokerto. Es geht vorbei an endlosen Reisterrassen auf denen Reisbauern ihrer täglichen Arbeit nachgehen. Angekommen, besuchen wir den Markt und kaufen Obst und Gewürze. Wieder zurück in Banyumas, begleite ich Sampurni zu ihrer Tante Mrs. Rasam. Mit einer Pferdekutsche fahren wir auf den auf einem kleinen Berg gelegenen Friedhof, wo Mr. Rasam ruht. Als wir wieder zurück sind, werden wir bereits von Sapto, Sari, Hardy und Yogi erwartet. Yogi möchte sich von mir verabschieden und lädt uns dazu alle zu ihrer Familie ein. Dort treffe ich auch Ari aus Jakarta wieder. Ich lade alle zu einem Abendessen in ein typisches Warung (Straßenrestaurant) ein, wo das Essen vorzüglich ist. Am Abend hat Saris Familie Nachbarn und Freunde eingeladen. Der Vater spricht und bedankt sich für die Nachbarschaftshilfe bei der Vorbereitung der Hochzeit. Zwischendurch fährt das Brautpaar mit mir zum Dorfvorsteher. Er möchte dem Paar gratulieren und sich mit mir unterhalten.

Tags darauf kann ich etwas ausschlafen. Erst um 8:00 Uhr werden Sampurni und ich von Titi, einer indonesischen Lehrerin, die in der Nachbarschaft wohnt, abgeholt. Sie ist stolz und glücklich, mir ihre Schule zeigen zu können. Die Fahrt im vollbesetzten Bus, es gibt nur noch Stehplätze, dauert etwa eine Stunde. In der Schule scheint noch nie ein `Bleichgesicht` gewesen zu sein. Ich werde wie eine große Persönlichkeit behandelt. Alle Augen sind auf mich gerichtet. Der Schulleiter spricht mit mir. Er ist glücklich und stolz, dass ich diese, seine Schule besuche. Die Schüler bekommen augenblicklich schulfrei. Ich werde in einen großen Raum geführt und nehme auf einem Teppich auf dem Erdboden Platz, um mich herum eine ganze Menge acht- bis vierzehnjährige Jungen und Mädchen, Schüler dieser Schule. Sie stellen mir nach anfänglichem Zögern auf Englisch einige Fragen über mich, mein Land, meine Hobbys. Unterdessen hat der Schulleiter eigens für mich ein `Gamelan-Konzert` organisiert. Die Schüler spielen drei Lieder für mich. Es ist unbeschreiblich und es klingt wunderbar. Ich bin gerührt. Einige Schüler wollen meine Adresse, ja sogar meine Unterschrift auf ihrem Unterarm. Nach dem sehr interessanten Schulbesuch verweilen wir noch etwas am Fluss, mit einer traumhaften Sicht über das Wasser, welches eingebettet in sattgrüner Vegetation liegt. Der Blick schweift über ein Reisfeld und wolkenverhangene Berge. Den Kopf voller wunderschöner Impressionen treffen wir am späten Nachmittag wieder zu Hause ein. Hier heißt es dann schon Abschied nehmen von Banyumas und meiner indonesischen Familie. Die Verabschiedung von `Papa & Mama` ist herzlich. Ich möge bald wiederkommen, geben sie mir mit auf den Weg. Endlich war ich nun hier und bin sogar wirklich angekommen. Angekommen in einer für mich bis dahin anderen Welt. Soviel Neues und Unbekanntes, so viele Eindrücke und Erlebnisse.

Es gibt drei Dinge, die man überall auf unserer Welt findet: Coca-Cola, McDonald`s und Plastikstühle. Erst wenn eines dieser drei Dinge fehlt, in diesem Fall McDonald`s, muss man wirklich am anderen Ende der Welt angekommen sein. Und ich war definitiv dort.

Mein nächstes Reiseziel ist Yogjakarta. Saptos Familie hat mich eingeladen, dort zwei Nächte zu verbringen. Sapto, Sari, Sampurni und Kus begleiten mich. Mit Bus und Bahn treffen wir nach über drei Stunden in Yogjakarta ein. Yogjakarta, kurz Yogja, ist die kulturelle Hauptstadt Indonesiens. Die Sultanstadt ist geprägt von der buddhistischen und hinduistischen Epoche, die bis ins 14. Jahrhundert reicht.

Saptos Familie empfängt mich freundlich. Übernachtet wird in einem einfachen, kargen Gebäude, einer Art Getreidespeicher. Wir schlafen alle in einem kleinen Raum auf dem Boden. Als wir unsere Matratzen ausrichten, huschen einige Mäuse aufgeregt umher. Anscheinend war das bisher ihr Territorium. Der lange Tag hat mich geschafft. Wir unterhalten uns noch eine Weile, dann fallen uns die Augen zu.

Um fünf Uhr werde ich aus meinen Träumen gerissen. Über Lautsprecher wird in der Stadt die islamische Morgenandacht gehalten. Nach dem Frühstück und einem Gespräch mit Saptos Eltern lasse ich mich mit meinen Freunden mit einer Pferdekutsche in die Altstadt von Yogja bringen. Dort steigen wir in den Bus. Während der 1,5 Stunden Fahrt geht es vorbei an Reisfeldern, Bauern mit Büffeln bei der Feldarbeit, Bergen und alles unter einem traumhaften Himmel. Ein von mir bereits seit langem gehegter Traum geht heute in Erfüllung, wir besichtigen die Tempelanlage Borobudur. Dieses Nationalmonument ist einer der größten Bauten der Menschheitsgeschichte, errichtet in der Blütezeit buddhistischer Kunst und Architektur, etwa im 8. Jahrhundert. Das größte buddhistische Bauwerk der Welt wird aus mehr als zwei Millionen Steinquadern gebildet. Wir erklimmen die höchste Stufe der Tempelanlage mit der letzten Stupa und genießen einen unglaublichen Blick über den dichten Dschungel. Grandios!

Mein letzter Tag bei meinen Freunden auf Java beginnt um sechs Uhr. Nach einem Reis-Frühstück fahren wir mit einer Fahrradrikscha zum Sultan-Palast `Kraton`. Bei einer Führung erfahre ich, dass der derzeitige Sultan der zehnte Sultan in Yogja ist und noch heute etwa 2.000 Diener hat. Das Sultanat Yogjakarta ist ein autonomes Sondergebiet und weiterhin politisch aktiv. Dem Sultan wird nach wie vor Götterverehrung entgegengebracht. Der Kraton war einst als Zentrum des Universums geplant. Schließlich besichtigen wir noch das Wasserschloss mit dem Sultanpool. Es ist wieder sehr heiß. Wir schlendern über den Vogelmarkt. Kus will mir noch die alte Stadtmauer zeigen. Beeindruckt schreiten wir auf der breiten Mauer entlang, uns zu Füßen die Altstadt. Nach dem Mittag heißt es schon wieder Verabschieden. Es fällt mir schwer, habe ich doch so viele nette Menschen kennengelernt und auch viele neue Freundschaften geschlossen. Es gibt ein Wirrwarr in meinem Kopf. Werde ich jemals wieder hierher reisen können? Ist es ein endgültiger Abschied? Irgendwie scheint es mir in diesem Moment, als ob mein Herz zerreißt. Die Herzlichkeit der Menschen, alles um mich herum, scheint mich zu halten. Ein merkwürdiges Gefühl, doch auch schön; war ich doch hier, am anderen Ende der Welt, in so kurzer Zeit `angekommen`. Ich bedanke mich bei Saptos Familie für die wunderschöne Zeit, die Gastfreundschaft und den netten Aufenthalt hier in Yogjakarta. Das Brautpaar wird, solange es noch keine eigene Wohnung hat, im Haus der Eltern ein Zimmer beziehen. Das ist in Indonesien nichts Ungewöhnliches. Der Familienzusammenhalt ist sehr wichtig. Da die meisten Menschen keine Rente erhalten, sind sie finanziell von ihren Kindern abhängig. Andererseits unterstützen die Eltern ihre Kinder, solange diese kein Einkommen haben.

 

Sari, Sampurni und Kus begleiten mich mit dem Taxi zum Flughafen. Bis zum Abflug ist noch etwas Zeit. Ich bedanke mich bei allen dreien für ihre Freundschaft, für all ihre Hilfe und die unvergessliche Zeit, die ich bei ihnen genießen durfte.

Wir sind alle sehr eng zusammengewachsen. Wir vier waren an allen Tagen gemeinsam unterwegs und haben viel gelacht und uns richtig kennengelernt. Wir wurden Freunde. Der Abschied fällt verdammt schwer. Wir wollen uns auf jeden Fall wiedersehen. Ihre leuchtenden braunen Augen und ihr Lächeln sind das Letzte, was ich von meinen Freunden sehe, als ich dann einchecke. Es heißt jetzt auch für mich, Abschied zu nehmen von Java. Ich habe endlich Sari sehen können, habe so viel Freude und Herzlichkeit erfahren und viele neue Freunde gefunden. Als ich schließlich im Flugzeug sitze, kann ich meine Tränen kaum unterdrücken. Zu schön waren die letzten Tage. Meine Gedanken und Erinnerungen kreisen. Die Maschine startet pünktlich und mir wird bewusst, dass es kein wirklicher Abschied ist, denn ich nehme alle Freunde und Erlebnisse und alle meine Eindrücke in meinem Herzen mit. Indonesien hat nun einen festen Platz in meinem Herzen.

Der Himmel ist klar und die Sonne scheint. Das Flugzeug ist nicht ausgebucht. Ich sitze allein am Fenster. Wir überfliegen noch einmal Java. Irgendwo da unten sind meine Freunde. Soll der Traum, mein indonesischer Traum, jetzt vorbei sein? Mein Traum, Indonesien und meine Freunde zu sehen, ist tatsächlich wahr geworden, aber: ich träume weiter...

Ich denke wieder an Sari, Sampurni, Hardy und ihre Familien und Freunde. Tränen der Freude und der Traurigkeit des Abschieds von einem mir sehr lieb und verbunden gewordenen Indonesien. Ich war am anderen Ende der Welt, so weit und mir doch so vertraut. Ich hatte allen zugesagt, wieder zu kommen. Dieses Versprechen, oder sagen wir besser, diesen Wunsch, habe ich erst einige Jahre später erfüllen können.

Nach einem endlos langen Flug, um den halben Globus, landet die Maschine in Frankfurt am Main. Was mir bei meiner Ankunft sofort negativ auffällt, ist die Hektik. Die Menschen machen große, schnelle Schritte. Alle scheinen keine Zeit zu haben. Man könnte annehmen, das Leben besteht nur aus Planung und Geldverdienen. Aber `leben` sie bzw. `lebt` man selbst? Ich fühle mich mit diesem ersten Eindruck nicht wohl. Steckt man im Alltagstrott drin, merkt man es gar nicht mehr. Erst wenn man mal aussteigt, andere Länder und Kulturen kennen lernt, merkt man, so geht es jedenfalls mir, dass man von einem Lebensjahr nicht viel mehr als drei Wochen Urlaub hat. Doch für diesen Rhythmus ist das Leben eigentlich zu kurz. Der Tagesablauf sollte nicht nur aus der Planung des morgigen Tages bestehen. Sicher, im Gegensatz zu anderen Ländern bedarf es hierzulande einer gewissen Planung und Vorsorge für die Zeit nach dem Ausscheiden aus dem Arbeitsleben. So, wie in einigen anderen Ländern, gibt es bei uns weniger Großfamilien, die eine Altersabsicherung darstellen und außerdem ist unser Preisniveau, ob für Miete, Gesundheitswesen etc. deutlich höher, als in diesen Staaten. Wir müssen vorsorgen, um im Alter gut leben zu können. So verschieden die Situation und die Ausgangspunkte zu anderen Regionen dieser Welt auch sind, man sollte trotzdem nicht nur an Gestern und Morgen denken. Man sollte sich vielmehr auch immer bewusst machen, dass man `Heute` lebt.

Noch etwas anderes hat diese erste Reise nach Indonesien `verursacht`.

So traf ich zu Beginn meiner Reise einen buddhistischen Mönch, mit dem ich mich einige Zeit sehr interessant unterhielt, der in meiner Reise eine sehr spirituelle Tat sah, die mich näher an Gott bringen wird und frei macht. Ich bin mir nicht sicher, ob das stimmt, aber ich denke tatsächlich immer mehr über den Stellenwert von Besitz in meinem Leben nach. Vor allem die Zeit in Indonesien hat mich beeindruckt. So viele Menschen haben mir schon etwas gegeben, ohne eine Gegenleistung zu erwarten. Ich würde mich zwar nicht als geizig bezeichnen, ertappe mich im täglichen Leben aber auch mal dabei, im Kopf eine Einnahmen-Ausgaben-Rechnung zu machen. Die Unterstützung, die ich von fremden Menschen in den letzten Wochen erfahren habe, möchte ich zurück geben, auch wenn das erst nach meiner Reise möglich sein wird. Man hört immer wieder, die Welt sei schlecht und voller Gewalt und Egoismus. Meine Reise wäre aber gar nicht möglich gewesen, wenn das ausschließlich so wäre.

Seit Wochen stoße ich auf Menschen, die mir helfen, die mich unterstützen, die mir zu fantastischen Erlebnissen verhelfen... Einfach so. Ich bin dankbar und nehme mir vor, nach meiner Heimkehr anderen Menschen zu zeigen, dass die Welt besser ist, als viele denken. Was ich nach Deutschland mitnehme, ist die Erfahrung, im Leben muss es nicht immer mehr, mehr und noch mehr sein. Das persönliche Glück ist vom Konsum nur teilweise abhängig. Viele Annehmlichkeiten, die sonst zu meinem Alltag gehören, hat es einfach nicht gegeben und ich habe sie auch nicht vermisst. Gerade die Menschen in Indonesien, mein Leben mit ihnen und ihrem Alltag haben mir aufgezeigt, dass wenig Besitz nicht wenig Glück bedeutet. Wenn man auch mal etwas gibt, ohne einen Vorteil darin zu sehen oder eine Gegenleistung zu erwarten, öffnet man sich, erfährt Neues und wird reicher. Allein wegen dieser Erkenntnis möchte ich meine erste Reise nach Indonesien nicht missen.

Wieder zurück in Deutschland reifte in mir der Gedanke, ja auch der Wunsch, den Kindern von Indonesien zu helfen, ihnen eine Zukunft zu schenken.

Ich hatte mit eigenen Augen die Missstände und Nöte gesehen. Nun fühlte ich mich entschlossen und verpflichtet, meinen, wenn auch nur kleinen Beitrag zu leisten, um das Leben der Menschen dort lebenswerter zu gestalten.