The New Jim Crow

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Wenn in der Industrie in dieser Zeit Arbeitsplätze entstanden, dann zumeist in den Außenbezirken der Städte. Die wachsende räumliche Entfernung traf wiederum vor allem die Afroamerikaner: Nur 28 Prozent der schwarzen Väter in den Städten verfügten über ein Auto, von jenen, die in den Gettos lebten, nur 18 Prozent.80

Den Frauen erging es in dieser Zeit etwas besser, weil die Sozialdienste in den städtischen Gebieten – die hauptsächlich Frauen beschäftigen – zur selben Zeit, in der Industriearbeitsplätze verschwanden, einen Aufschwung erlebten. Der Anteil schwarzer Männer, die eine Stelle im Dienstleistungssektor ergatterten, etwa in Pflegeeinrichtungen oder in Büros, war hingegen vernachlässigbar.81

Der Rückgang an legalen Verdienstmöglichkeiten verstärkte bei den Bewohnern der Innenstädte den Anreiz, Drogen zu verkaufen. Das war meist Crack, pharmakologisch gesehen dasselbe wie Kokain, aber so aufbereitet, dass es verdampft und inhaliert werden kann, was zu einem intensiveren (und kürzeren) Rausch bei geringerem Verbrauch führt. So können kleinere Dosen zu einem attraktiveren Preis verkauft werden. Crack eroberte 1985 die Straßen, wenige Jahre, nachdem Reagan seinen Krieg gegen die Drogen verkündet hatte. Die neue Droge mischte den Markt völlig auf, was zu einer Welle von Gewalt führte. Hinzu kam die Frustration über die mangelnden Arbeitsplätze. Arbeitslosigkeit und Crack suchten die Innenstädte genau in dem Augenblick heim, als sich die erbitterte Gegenreaktion auf die Bürgerrechtsbewegung im Krieg gegen die Drogen formiert hatte.

Man sollte den Schaden, den Crack und die mit der Droge verbundene Gewalt anrichteten, gewiss nicht verharmlosen. David Kennedy bemerkte dazu ganz richtig: »Crack fegte durch die Viertel der armen Schwarzen wie die vier apokalyptischen Reiter«, die Droge hinterließ unaussprechliche Verheerung und Leid.82 Doch ein Land hat auch eine Wahl, wie es auf ein solches Problem reagiert. Anderswo setzte man eher auf Behandlung der Süchtigen, Prävention und Beratung oder half den vom Verbrechen geplagten Gemeinden durch Investitionen auf die Beine. In Portugal beispielsweise entschied man sich dafür, der Drogenproblematik durch Entkriminalisierung sämtlicher Drogen die Grundlage zu entziehen, und steckte das Geld, das man für die Inhaftierung der Drogenkonsumenten ausgegeben hätte, in Drogenbehandlung und Prävention. Zehn Jahre später konnte Portugal vermelden, dass sowohl der Drogenmissbrauch und die Zahl der Drogenkonsumenten als auch die Drogenkriminalität rückläufig waren.83

Viele Wege standen uns als Nation offen, der Crack-Krise zu begegnen. Doch aus Gründen der Rassenpolitik und weil sich damit besser Ängste schüren lassen, wählten wir Krieg. Die Konservativen hatten endlich einen Grund gefunden, hemmungslos gegen einen »Feind« zu Felde zu ziehen, den sie schon Jahre zuvor rassisch definiert hatten.

Und so ergriff die Regierung Reagan die Gelegenheit beim Schopf. Im Oktober 1985 ernannte die DEA Robert Stutman zum Direktor ihres New Yorker Büros und beauftragte ihn damit, die Unterstützung der Öffentlichkeit für den neuen Krieg der Regierung zu gewinnen. Stutman entwickelte eine Medienkampagne, um Journalisten für das Thema Crack in den Innenstädten zu interessieren. Jahre später berichtete Stutman so darüber:

Die Agenten sahen mich unzählige Male mit Medienvertretern sprechen, um ihre Aufmerksamkeit auf die Drogenplage zu lenken. Ich ließ keine Gelegenheit aus, die von ihr [der DEA] erzielten Fortschritte im Kampf gegen den Drogenhandel hervorzuheben. … Wenn ich Washington überzeugen wollte, dann musste ich sie [die Drogen] zu einem Problem nationaler Tragweite machen, und zwar schnell. Ich stürzte mich in Lobbyarbeit und nutzte die Medien. Die waren nur allzu bereit, mit mir zusammenzuarbeiten, denn zumindest in New York lieferte Crack die heißesten Frontberichte seit dem Ende des Vietnamkriegs.84

Diese Strategie trug Früchte. Im Juni 1986 erklärte Newsweek Crack zur größten Sache seit dem Vietnamkrieg und Watergate, und im August desselben Jahres nannte die Zeitschrift Time Crack »das Problem des Jahres«. Tausende Berichte über die Crack-Krise füllten den Äther und die Zeitungskioske, alle mit einem deutlich rassistischen Unterton. Die Artikel handelten üblicherweise von »Crack-Huren«, »Crack-Babys« und Bandenkriminalität und verstärkten das schon bestehende Klischee einer kriminellen schwarzen Subkultur, in der die Frauen als verantwortungslose, egoistische »Welfare Queens« und die Männer schlicht als »Raubtiere« dargestellt wurden.85 Als im Juni 1986 Len Bias und Don Rogers, zwei populäre Sportler, an einer Überdosis Kokain starben, brachten Journalisten ihren Tod zunächst irrtümlich mit Crack in Zusammenhang, was den Sturm in den Medien weiter anfachte, eine Welle politischer Aktionen auslöste und die Angst der Öffentlichkeit vor der neuen »Teufelsdroge« verstärkte. Bis 1989 schlachteten die Medien das Thema Crack aus, sprachen von einer »Epidemie« und »Seuche«, von einer Droge, die »unmittelbar süchtig« mache und außerordentlich gefährlich sei – irreführende, inzwischen längst widerlegte Behauptungen. Zwischen Oktober 1988 und Oktober 1989 brachte allein die Washington Post 1565 Artikel über die »Teufelsdroge«. Richard Harwood, der Ombudsmann der Washington Post, räumte schließlich ein, die »aufgeheizte Stimmung« hätte dazu geführt, dass sein Blatt »die Verhältnismäßigkeit« aus den Augen verloren hätte. »Politiker bescheißen die Menschen«, so sein Fazit.86 Ähnlich äußerten sich später die Soziologen Craig Reinarman und Harry Levine: »Crack war ein Geschenk des Himmels für die Rechte. … Politisch gesehen hätte es zu keinem günstigeren Zeitpunkt auftauchen können.«87

Im September 1986, als der Medienrummel in vollem Gange war, billigte das Repräsentantenhaus einen Gesetzentwurf, der zwei Milliarden Dollar für den Kreuzzug gegen die Drogen bereitstellte, die Teilnahme des Militärs an Drogenbekämpfungsmaßnahmen vorsah, die Todesstrafe für gewisse Drogenverbrechen genehmigte und in Drogenprozessen auch mit illegalen Mitteln beschaffte Informationen als Beweise zuließ. Noch im selben Monat schlug der Senat noch schärfere Gesetze vor. Kurz darauf unterzeichnete der Präsident den Anti-Drug Abuse Act von 1986. Neben anderen harten Maßnahmen sah das Gesetz Mindesthaftstrafen für den Handel mit Kokain vor, und zwar deutlich schärfere für das vor allem mit Schwarzen assoziierte Crack als für das klassische Kokain, das hauptsächlich von Weißen konsumiert wurde.

Während des Gesetzgebungsprozesses waren nur vereinzelt kritische Stimmen zu hören. Ein Senator äußerte die Ansicht, Crack sei ein Sündenbock, der die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit von den wahren Ursachen der sozialen Missstände ablenken solle: »Wenn wir Crack die Schuld an den Verbrechen geben, sind die Politiker aus dem Schneider. Vergessen sind dann die nicht funktionierenden Schulen, die miserablen Sozialprogramme, die heruntergekommenen Stadtviertel, die vergeudeten Jahre. An all dem soll nun Crack schuld sein. Fast schleicht sich der Gedanke ein, wenn es kein Crack gegeben hätte, dann hätte die Bundesregierung sicher ein Forschungsstipendium gestiftet, um es zu entwickeln.«88

1988 nahm sich der Kongress die Drogenpolitik erneut vor. Heraus kam eine noch einmal erheblich verschärfte Gesetzgebung, die nun weit über das traditionelle Strafrecht hinausgriff und ganz neue Strafen für Drogenvergehen einführte. Der erweiterte Anti-Drug Abuse Act sah vor, dass Mietern ihre Sozialwohnungen gekündigt werden konnten, wenn sie dort oder in der Nähe Drogenaktivitäten auch nur wissentlich geduldet hatten, und strich verurteilten Drogentätern zahlreiche Sozialleistungen des Bundes, darunter Studentendarlehen. Das Gesetz erweiter te auch die Möglichkeiten, für besonders schwerwiegende Drogendelikte die Todesstrafe zu verhängen, und bestimmte neue Mindeststrafen für Drogenvergehen, darunter eine Mindesthaftstrafe von fünf Jahren für den einfachen Besitz von Crack – auch wenn keine Verkaufsabsicht nachgewiesen werden konnte. Besonders bemerkenswert ist, dass diese Strafe auch für Ersttäter vorgesehen war. Derart drakonische Strafen waren im Strafrecht des Bundes ohne Beispiel. Bis 1988 hatte die Höchststrafe für Drogenbesitz, unabhängig von der Menge und der Droge, ein Jahr betragen. Die Mitglieder des Congressional Black Caucus (CBC), der Gruppierung der afroamerikanischen Kongressabgeordneten, waren geteilter Meinung – einige hielten die harten Gesetze für unumgänglich, andere meinten, sie seien so zugeschnitten, dass sie hauptsächlich Schwarze träfen. Am Ende wurde der Gesetzentwurf mit der überwältigenden Mehrheit von 346 zu 11 Stimmen gebilligt. Sechs der ablehnenden Stimmen kamen von Mitgliedern des CBC.89

Der Krieg gegen die Drogen erwies sich als zugkräftiges Thema bei entscheidenden weißen Wählergruppen, insbesondere bei solchen, denen die Emanzipation der Schwarzen ein Dorn im Auge war. Seit den 1970er Jahren zeigen Studien immer wieder, dass hauptsächlich rassistisches Denken – und nicht die Kriminalitätsrate oder die tatsächliche persönliche Bedrohung – Weiße dazu bringt, eine harte Linie gegen Kriminalität und Maßnahmen zum Abbau von Sozialleistungen zu unterstützen.90 Die Weißen, die sich am meisten Sorgen über Verbrechen machten, waren zugleich jene, die sich gegen Reformen in den Rassebeziehungen sperrten, und ihre Befürwortung harter Strafen steht in keinerlei Verhältnis zu der Wahrscheinlichkeit, dass gerade sie Opfer von Verbrechen werden könnten.91 Im Schnitt tendieren Weiße zu härteren Strafen als Schwarze, trotz der Tatsache, dass Schwarze viel öfter Opfer von Verbrechen werden. Und auf dem Land, wo die Kriminalitätsrate am niedrigsten ist, fordern die Weißen die höchsten Strafen.92 Der in einer rassenneutralen Sprache gekleidete Krieg gegen Drogen bot Weißen eine einmalige Gelegenheit, ihre feindselige Haltung gegenüber Schwarzen und deren gesellschaftlichen Erfolgen zum Ausdruck zu bringen, ohne sich dem Vorwurf des Rassismus auszusetzen.

 

Reagans Nachfolger, Präsident George H.W. Bush, wusste bereits aufgrund des Erfolgs anderer konservativer Politiker, dass sich mit negativen Rassenanspielungen Wähler von der Demokratischen Partei zu den Republikanern locken ließen, und zögerte nicht, diese subtilen implizit rassistischen Anspielungen einzusetzen. Bushs bekanntester Einsatz des Rassenthemas war der Wahlspot für William Horton. Darin war ein dunkelhäutiger verurteilter Mörder zu sehen, der während eines Hafturlaubs eine weiße Frau in ihrer Wohnung vergewaltigt hatte. Der Wahlspot machte Bushs demokratischen Konkurrenten, den Gouverneur von Massachusetts Michael Dukakis, dafür verantwortlich, weil er das Hafturlaubsprogramm, das die Tat ermöglichte, gebilligt hatte. Der Spot lief über Monate auf allen Sendern und wurde Gegenstand zahlloser politischer Kommentare. So kontrovers der Spot war, so wirkungsvoll war er auch: Er machte Dukakis’ Hoffnungen auf die Präsidentschaft zunichte.

Nach seinem Einzug ins Oval Office blieb Bush seiner Linie treu und bremste die Affirmative Action und die strikte Umsetzung der Bürgerrechtsgesetze. Mit umso größerem Enthusiasmus führte er den Krieg gegen die Drogen. Im August 1989 bezeichnete Präsident Bush den Drogenkonsum als »das drängendste Problem des Landes«.93 Kurz danach ergab eine von der New York Times und CBS News in Auftrag gegebene Meinungsumfrage, dass 64 Prozent der Befragten – der höchste jemals ermittelte Prozentsatz –nun tatsächlich glaubten, Drogen seien das größte Problem der Vereinigten Staaten.94 Diese Ängste in der Bevölkerung waren nicht einem tatsächlichen Anstieg der Drogenkriminalität geschuldet, sondern vielmehr das Ergebnis einer sorgfältig orchestrierten politischen Kampagne.95

Die Haltung, dass man den Problemen in den Wohnquartieren der Schwarzen mit »Härte« begegnen müsse, geht auf die 1960er Jahre zurück. Damals forderten die Erfolge der Bürgerrechtsbewegung echte Opfer auf Seiten der weißen Amerikaner, und konservative Politiker erkannten, dass sie die Ressentiments der Weißen gegen die Schwarzen für sich nutzen konnten, indem sie gelobten, rigide gegen Kriminalität durchzugreifen. Ende der 1980er Jahre waren es jedoch nicht mehr nur die Konservativen, die Härte gegen das Verbrechen zeigen wollten und sich dabei einer Sprache bedienten, die den Befürwortern der Rassentrennung kaum nachstand. Politiker und Parteistrategen auf demokratischer Seite bemühten sich nun, ihren politischen Gegnern die Vorherrschaft auf dem Feld der Kriminalitäts- und Drogenbekämpfung durch die Befürwortung strengerer Gesetze streitig zu machen, um die Wechselwähler zurückzugewinnen, die zur Republikanischen Partei abgewandert waren. Pikanterweise wurden diese sogenannten »neuen Demokraten« von notorischen Rassisten unterstützt, allen voran vom Ku-Klux-Klan, der 1990 erklärte, sich »dem Kampf gegen Drogen« anschließen zu wollen, und sich als »die Augen und Ohren der Polizei« andiente.96 Progressive Kräfte, die sich im Kampf gegen Diskriminierung engagierten, schwiegen großenteils, wenn es um den Krieg gegen die Drogen ging, und verwendeten ihre Energie lieber auf die Verteidigung der Affirmative Action und anderer Errungenschaften der Bürgerrechtsbewegung.

Anfang der 1990er Jahre brach der Widerstand gegen ein neues System rassistisch ausgerichteter Sozialkontrolle quer durch das gesamte politische Spektrum zusammen. Eine ähnliche politische Dynamik hatte ein Jahrhundert zuvor Jim Crow entstehen lassen. In den 1890er Jahren gaben die Populisten dem politischen Druck der sogenannten Redeemer nach, der konservativen Gegenreaktion, die mit ihren offen rassistischen und teilweise geradezu grotesken Jim-Crow-Gesetzen bei der weißen Unterschicht und Arbeiterklasse Anklang fand. Jetzt entstand ein neues rassistisch ausgerichtetes Kastensystem – die massenhafte Inhaftierung. Politiker jedweder Couleur wetteiferten miteinander um die Stimmen der weißen Unterschicht und der Arbeiterklasse, deren wirtschaftliche Lage prekär, wenn nicht desolat war und die sich von den Antidiskriminierungsmaßnahmen bedroht fühlten. Nicht zum ersten Mal wählten frühere Verbündete der Afroamerikaner – neben vielen Konservativen – eine politische Strategie, die zeigte, wie »hart« sie gegen »die Anderen«, die dunkelhäutigen Parias, vorgehen konnten.

Das hatte direkte Auswirkungen. Mit dem rasanten Anstieg der Budgets der Strafverfolgungsbehörden schoss die Zahl der Gefängnisinsassen in die Höhe. Schon im Jahr 1991 stellte die Gefangenenhilfsorganisation Sentencing Project fest, dass in der gesamten Weltgeschichte noch nie in einem Land so viele Menschen hinter Gittern gesessen hätten wie in den USA und sich mittlerweile einer von vier jungen männlichen Afroamerikanern in den Fängen des Justizapparats befinde. Doch weder Demokraten noch Republikaner zeigten trotz der erschreckenden Auswirkungen ihrer drakonischen Politik auf die afroamerikanische Bevölkerung die geringste Neigung, die Inhaftierungswelle zu stoppen.

Im Gegenteil. Im Jahr 1992 schwor der Präsidentschaftskandidat Bill Clinton, kein Republikaner werde sich im Vergleich mit ihm als der härtere Kämpfer gegen das Verbrechen profilieren können. Getreu dieser Devise flog Clinton nur wenige Woche vor der wichtigen Vorwahl in New Hampshire zurück nach Arkansas, um die Hinrichtung von Ricky Ray Rector zu überwachen, einem Schwarzen mit einem Gehirnschaden, der so wenig von dem begriff, was mit ihm geschah, dass er sich den Nachtisch seiner Henkersmahlzeit für den nächsten Tag aufheben wollte. Nach der Hinrichtung meinte Clinton: »Was immer man über mich sagt, niemand kann behaupten, dass ich nachsichtig gegenüber Verbrechern bin.«97

Nach seinem Wahlsieg unterstützte Clinton die »Three Strikes«-Regel, die bei der dritten Verurteilung eine drakonische Haftstrafe vorsieht. Als er sich 1994 in der Ansprache zur Lage der Nation dafür starkmachte, applaudierten ihm demokratische wie republikanische Abgeordnete. Ein 30 Milliarden Dollar schwerer Gesetzesvorschlag zur Kriminalitätsbekämpfung, der im August 1994 Clinton zur Unterzeichnung vorlag, wurde als Sieg der Demokraten gefeiert, weil es ihnen gelungen war, »den Republikanern das Thema Verbrechensbekämpfung zu entreißen und zu ihrem eigenen zu machen«.98 Der Gesetzesvorschlag definierte eine Vielzahl neuer Kapitalverbrechen, sah für gewisse Taten bei der dritten Wiederholung automatisch die lebenslange Freiheitsstrafe sowie ein Budget von 16 Milliarden Dollar für den Bau von Gefängnissen und die Aufstockung der Polizei vor. Weit davon entfernt, der Entstehung eines neuen Kastensystems entgegenzuarbeiten, weitete Clinton den Krieg gegen die Drogen stärker aus, als es ein Jahrzehnt zuvor selbst die Konservativen für möglich gehalten hatten. Das Justice Policy Institute erklärte hierzu: »Die harte Linie der Regierung Clinton in der Kriminalpolitik hatte den stärksten Anstieg der Zahl der Inhaftierten in den Gefängnissen des Bundes und der Bundesstaaten zur Folge, die je ein Präsident in der amerikanischen Geschichte zu verantworten hatte.«99

Schließlich übernahm Clinton auch die diskriminierenden Pläne der Konservativen zur Sozialpolitik. Zusammen mit der Politik der »Härte« war dies Teil einer groß angelegten, von den »neuen Demokraten« entwickelten Strategie, die heftig umkämpften weißen Wechselwähler zu gewinnen. Mehr als jeder andere Präsident trug Clinton damit zur Entstehung der gegenwärtigen Unterschicht-Kaste bei. Er unterzeichnete den Personal Responsibility and Work Opportunity Reconciliation Act, der »das Ende der Sozialleistungen, wie wir sie kennen« bedeutete. Das Programm »Familien in Not« (Aid to Families with Dependent Children, AFDC) ersetzte er durch einen pauschalen Zuschuss an Bundesstaaten für eine Beihilfe mit zeitlicher Begrenzung (Temporary Assistance for Needy Families, TANF). Diese staatliche Beihilfe war auf fünf Jahre begrenzt und schloss lebenslang alle von Sozialleistungen und Lebensmittelmarken aus, die sich eines Drogenvergehens schuldig gemacht hatten – darunter fiel auch der schlichte Besitz von Marihuana.

Entgegen Versicherungen, dieser radikale Politikwechsel sei lediglich Ausdruck einer konservativen Finanzpolitik, diene also dem Bestreben, den ausufernden Staatsapparat einzudämmen und das Haushaltsdefizit zu reduzieren, gab der Staat damit keineswegs weniger Geld für das Armutsmanagement in den Städten aus. Es handelte sich lediglich um eine radikale Umschichtung der Ausgaben. Im Jahr 1996 war das Budget des Strafsystems doppelt so hoch wie die Gelder, die für Familienbeihilfen oder Lebensmittelmarken vorgesehen waren,100 und Geld, das früher in den sozialen Wohnungsbau investiert worden war, floss nun in den Bau von Gefängnissen. In der Amtszeit von Präsident Clinton kürzte Washington die Programme für sozialen Wohnungsbau um 17 Milliarden Dollar(61 Prozent), steckte dafür aber 19 Milliarden Dollar mehr in den Strafvollzug, eine Steigerung um 171 Prozent. Damit wurde der »Bau von Gefängnissen praktisch zum größten Wohnungsbauprogramm für die armen Stadtbewohner«.101

Und Clinton ließ es dabei nicht bewenden. Fest entschlossen, Härte zu zeigen, machte er es möglich, jedem, der irgendwie mit dem Gesetz in Konflikt geraten war, eine mit Mitteln des Bundes geförderte Sozialwohnung zu verweigern – eine ungewöhnlich drastische Maßnahme mitten in einem Drogenkrieg, der sich gegen Minderheiten anderer Hautfarbe und Herkunft richtete. Clinton kündigte eine neue Strategie an: »Von nun soll es für Bewohner [von Sozialwohnungen], die Straftaten begehen oder mit Drogen handeln, heißen: Ein Fehltritt, und du fliegst raus.«102 Die neue Politik versprach »die strengsten Vergabe- und Kündigungsregeln, die es je im sozialen Wohnungsbau gegeben hat.«103 Dies traf vor allem die ärmere Bevölkerung und die ethnischen Minderheiten, gegen die der Krieg gegen die Drogen gerichtet war. Viele wurden obdachlos – sie wurden nicht nur aus der normalen Gesellschaft ausgeschlossen, sondern auch aus ihren Wohnungen.

Die Idee von Recht und Ordnung, zuerst propagiert von fanatischen Anhängern der Rassentrennung auf dem Höhepunkt der Bürgerrechtsbewegung, war zwei Jahrzehnte später zur fast alles beherrschenden Gesellschaftsperspektive geworden. Mitte der 1990er Jahre galten der Krieg gegen Drogen und der Kurs der »Härte« im politischen Diskurs des Mainstreams als alternativlos. Wieder einmal hatte die Störung der herrschenden Rassenordnung – die Erfolge der Bürgerrechtsbewegung der 1960er Jahre – dazu geführt, dass unter Ausnutzung der prekären Lage und der Ressentiments der weißen Unterschicht ein neues, an der Rassenzugehörigkeit orientiertes soziales Kontrollsystem entwickelt wurde. Mehr als zwei Millionen Menschen saßen zu Beginn des 21. Jahrhunderts in den USA hinter Gittern, Millionen weitere waren an den Rand der Gesellschaft gedrängt, verbannt in einen politischen und sozialen Raum, der Jim Crow nicht unähnlich war. Diskriminierung bei der Beschäftigung und Wohnungssuche sowie beim Zugang zu Bildung waren wieder völlig legal, und auch das Wahlrecht konnte ihnen verwehrt werden. Das System funktionierte reibungslos, und die ihm zugrunde liegende Ideologie schien quasi naturgegeben. In vielen Bundesstaaten waren 90 Prozent derer, die aufgrund von Drogenvergehen Gefängnisstrafen verbüßten, Schwarze oder Latinos. Doch die Masseninhaftierung so vieler People of Color wurde in rassenneutralen Termini erklärt, eine Anpassung an die Bedürfnisse und Anforderungen des gegenwärtigen politischen Klimas. Das neue Jim Crow war entstanden.

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