Debütantenball

Tekst
0
Recenzje
Przeczytaj fragment
Oznacz jako przeczytane
Czcionka:Mniejsze АаWiększe Aa

Alles in allem versprach es nun doch ein herrlicher Tag zu werden. Kein Wölkchen trübte den Himmel, eine leichte Brise ließ die würzige Herbstluft noch intensiver duften. Sie hatten die Stadt inzwischen hinter sich gelassen und rollten an Bürger- und Winzerhäusern vorbei ins Grüne. Die Blätter der Kastanien waren bereits rotgolden verfärbt, in den Gärten blühten Astern, Dahlien und Chrysanthemen in den üppigsten Farben, weiter draußen säumten Weingärten und die bleichen Stoppeln der abgeernteten Felder ihren Weg. Fuhrwerke kamen ihnen entgegen, grüßend lüfteten die Bauern ihre Mützen. Elisabeth beantwortete ihre freundlichen Gesten mit einem hoheitsvollen Nicken. Nur selten kreuzte eine Kutsche ihren Weg. Endlich tauchte die Silhouette des Stiftes Klosterneuburg vor ihnen auf. Da erst bemerkte Fanny, dass sie während der ganzen Fahrt kaum ein Wort gewechselt hatten.

»Bist du mir noch böse?«, fragte sie kleinlaut.

Elisabeth musterte sie und verzog keine Miene. Jetzt machte Fanny sich wirklich Sorgen. Elisabeth als Freundin zu gewinnen, war ihr vordringlichstes Ziel auf dem Weg zum Erwachsenwerden. Sie erschien ihr als der Schlüssel zum Tor dieser verlockenden großen Welt. Das wollte sie auf keinen Fall aufs Spiel setzen.

So schenkte sie Elisabeth ihr strahlendstes Lächeln. »Ich weiß, ich hab mich schlecht benommen. Bitte verzeih mir. Sei mir nicht böse. Bitte, bitte.« Fanny setzte ihren einschmeichelndsten Dackelblick auf, dem bisher keiner hatte widerstehen können. Nicht einmal die strenge Sophie.

Und Gott sei Dank – er zeigte auch bei Elisabeth Wirkung. Sie lachte hell auf. »Du bist ein echtes Biest, Kleines.« Elisabeth fasste sie kurz unterm Kinn. »Und hübsch bist du, das muss man dir lassen. Karl wird seine reine Freude an dir haben.«

Sie lenkte die Kutsche durch den kleinen Ort, vorbei am Stift in Richtung Donau. Endlich machte Elisabeth vor einer kleinen Gastwirtschaft Halt. Ein Knecht sprang heraus und übernahm die Zügel.

»Er gebe den Pferden Wasser. Nach dem Essen sind wir zurück.« Elisabeth drückte dem Mann eine Münze in die Hand und winkte Fanny zu sich. »Komm, wir gehen ein paar Schritte.«

Sie schlenderten, scheinbar ohne ein besonderes Ziel, die Donau entlang. Nach einer Weile blieb Elisabeth stehen und musterte Fanny kritisch. Fanny hatte sich nach allen ihr zur Verfügung stehenden Mitteln herausgeputzt und fühlte sich in ihrem fast bis zu den Knöcheln reichenden weißen Musselinkleid, dem blassblau gestreiften Wollschal und dem hellen Spitzenhäubchen, das ihre glänzenden schwarzen Haare vorteilhaft betonte, sehr erwachsen.

»Ganz allerliebst«, kommentierte Elisabeth ihre Bemühungen trocken. »Aber viel zu brav.« Sie nahm Fannys Haube ab und fuhr mit spitzen Fingern durch ihre sorgfältig zurechtgelegten Locken.

Fanny protestierte zaghaft. »Was machst du? Mama wird böse sein. Sie mag es nicht, wenn ich so unordentlich aussehe.«

Elisabeth lachte spöttisch auf. »Also, kleine Dame, so geht das nicht.« Sie sah Fanny tief in die Augen. »Erstens muss es dir in Zukunft gleichgültig sein, was andere Menschen – vor allem deine Mutter und deine Schwester – über dich sagen. Du möchtest doch erwachsen sein. Oder?«

Fanny nickte heftig.

»Zweitens«, fuhr Elisabeth fort, »mögen Männer im Allgemeinen – und Baron von Trattenbach im Besonderen – kleine Mädchen. Aber keine langweiligen kleinen Mädchen. Du bist anders, deshalb hat Karl ein Auge auf dich geworfen. Brave Kinder interessieren ihn nicht.« Sie machte eine wirkungsvolle Pause. »Also, du möchtest dem Baron doch gefallen, oder?«

Wieder nickte Fanny, diesmal etwas betreten.

»Dann vertrau mir und hör mir genau zu.«

Fanny sah sie erwartungsvoll an.

»Erste Regel: Zu Hause bist du artig. Damit niemand Verdacht schöpft. Oder möchtest du, dass deine Mutter dir den Umgang mit mir verbietet?«

Fanny schüttelte den Kopf.

»Zweite Regel: Wenn du mit Karl und mir zusammen bist, darfst du, ja musst du dich wild und ungehörig benehmen.«

»Aber«, entgegnete Fanny verwirrt, »du bist doch böse auf mich, wenn ich nicht tue, was du willst.«

Elisabeth nickte bedächtig. »Da hast du recht.« Sie dachte nach. »Wie soll ich dir das erklären?« Nach einer kurzen Pause fuhr sie fort. »Weißt du was, wir versuchen es einfach. Vertrau mir. Fürs Erste genügt es, wenn du deine Locken so trägst, wie sie von Natur aus sind.«

Fanny schaute noch immer ein wenig zweifelnd, fuhr sich dann aber entschlossen durch die Haare. Elisabeths aufmunternder Blick bestärkte sie. Sie beugte sich vor, schüttelte den Kopf heftig hin und her und richtete sich schließlich mit Schwung auf. Ihre Wangen waren von der Anstrengung gerötet, ihre Augen blitzten, als sie Elisabeth erwartungsvoll ansah.

»Du lernst schnell«, nickte die Baronin und wandte sich zum Gehen. Plötzlich strafften sich Elisabeths Schultern.

Fanny folgte ihrem Blick und traute ihren Augen nicht. Da, nur wenige Meter vor ihnen, zwischen den Bäumen, stand Baron von Trattenbach, größer und strahlender, als sie ihn in Erinnerung hatte. Und die Bewunderung, die sie in seinen Augen las, galt nicht Elisabeth.

»Seit wann steht Ihr schon da?« Elisabeths gereizte Frage störte den Zauber des Augenblicks empfindlich.

»Gerade lange genug.« Karl grinste. Er wandte Elisabeth sofort seine volle Aufmerksamkeit zu und küsste ihr die Hand. »Ihr seht wieder einmal unwiderstehlich aus.«

Elisabeth, etwas versöhnt, lächelte ihn an. »Schön, dass Ihr uns auf unserem kleinen Ausflug Gesellschaft leistet«, antwortete sie.

Sie gingen eine Weile nebeneinanderher, Trattenbach hatte Elisabeth den Arm angeboten. Fannys Herz klopfte bis zum Hals, sie brachte keinen Ton heraus.

»So schweigsam?«, neckte Karl sie. »Das ist man von jungen Damen gar nicht gewöhnt.«

»Was wohl an Eurer Gegenwart liegen dürfte, Baron«, antwortete Elisabeth. »Gerade die kleine Fanny ist sonst selten um eine Antwort verlegen.«

»Nun, wie auch immer, Eure Schönheit ist ohnehin beredt genug«, erwiderte Karl galant.

Elisabeth lachte auf. »Ihr schmeichelt meiner Eitelkeit. Ihr wisst es und ich weiß es auch. Dennoch«, sie warf ihm aus ihren grünen Augen einen verführerischen Blick zu, »scheint es zu funktionieren, das gebe ich zu. Unser Küken hier dagegen«, belustigt sah sie zu Fanny, »hat noch vieles zu lernen.«

Verlegen schaute Fanny zu Boden. Karls Anwesenheit verunsicherte sie zutiefst. In ihren Träumen hatte es sich ganz anders angefühlt. Sie selbst war sprühend und geistreich gewesen, er völlig verrückt nach ihr. Statt ihr jedoch Avancen zu machen, flirtete er ausschließlich mit Elisabeth. Mehr noch, die beiden schienen sich gemeinsam auf ihre Kosten zu amüsieren. Bittere Enttäuschung stieg in ihr hoch. Und plötzlich wünschte sich Fanny nichts mehr, als nach Hause zu fahren und wieder das Nesthäkchen zu spielen.

»Nun«, wandte Karl ein, »gerade das hat seinen Reiz.« Er blieb stehen, trat nah, ganz nah an Fanny heran, hob ihr Kinn und zwang sie, ihm in die Augen zu schauen. »Vorhin, da sah ich etwas in diesem unschuldigen Gesicht, das man äußerst selten findet.« Sein Mund näherte sich dem ihren. Unwillkürlich schürzte Fanny die Lippen. Ihr Herz hämmerte in ihrer Brust. Da ließ Karl sie unvermittelt los.

»Seht Ihr«, fuhr er zu Elisabeth gewandt fort, »das meine ich. Was kann ein Mann sich mehr wünschen als diese unerfahrene Hingabe, gepaart mit einem wilden, ungezähmten Geist.«

»Wie Ihr wisst, weiß ich nur zu gut, was Ihr meint«, antwortete Elisabeth trocken. »Leider verliert der Bereiter allzu oft das Interesse, wenn das Pferd endlich zugeritten ist. Ich denke, deshalb sind wir hier.«

Karl warf ihr einen scharfen Blick zu. »Erfahrung ist wie guter Wein, ein absolutes, zuverlässiges Vergnügen. Der Zauber der Jugend dagegen ein Feuer, das Herzen in Brand setzt. Unberechenbar, aufregend. Gefährlich. Beides zusammen bringt einen Mann um den Verstand.«

»Wie ich schon sagte«, gab Elisabeth ungerührt, aber sichtlich versöhnt zurück. »Deshalb sind wir hier.«

Fanny verstand kein Wort von dem, was sie sagten. Doch sie fühlte, dass sie in dem Spiel der beiden eine wesentlich wichtigere Rolle einnahm, als sie noch vor Kurzem angenommen hatte, und war auf einmal sehr zufrieden.

»Wie auch immer«, tönte sie laut, »ich habe Durst.«

Karl lachte laut auf. »Nun denn, lasst uns zu der Gastwirtschaft zurückgehen, die Euch Eure Wünsche umgehend erfüllen wird.«

Der Bann war gebrochen. Er bot Fanny seinen zweiten Arm an und sie gingen plaudernd und scherzend weiter. Er hatte nicht zu viel versprochen. In dem urigen Gasthaus, dessen blank polierte Holztische nur von ein paar Fischern und Jägern besetzt waren, genossen sie den herrlichen Blick auf das Wasser und den sie umgebenden Auwald. Sie beobachteten die vorbeiziehenden Handelskähne und die Kaufleute, die mit ihren voll beladenen Karren zum nächsten Marktplatz unterwegs waren, unterhielten sich angeregt und griffen herzhaft zu, als ihnen die Wirtin ein riesige Schlachtplatte mit Sauerkraut, Brot und Kartoffeln kredenzte. Fanny hatte Limonade bestellt, doch dann schenkte der Baron ihr, wie Elisabeth auch, ein Glas Wein ein. Neugierig kostete Fanny. Mutter hatte ihr den Genuss alkoholischer Getränke strikt verboten. Nicht, dass ihr der herbe Geschmack des Weins zugesagt hätte, aber schon nach ein paar Schlucken fühlte sich Fanny ganz großartig, schwerelos beinahe. Und sehr erwachsen. Ihre Bemerkungen, die Mama immer als frech und unerzogen rügte, brachten, wie sie mit großem Stolz feststellte, den Baron und auch Elisabeth zum Lachen. Fanny war glücklich.

Sie schwankte ein wenig, als sie aufstand. An Bord des Bootes, das der Wirt seinen Gästen großzügig zur Verfügung stellte, verwandelte sich dieses anfangs durchaus prickelnde Gefühl in einen fürchterlichen Schwindel. Obwohl Karl, der strengen Anweisung des vierschrötigen, untersetzten Mannes gehorchend, den Fluss mit seinen Wirbeln und Stromschnellen mied und stattdessen einen relativ ruhigen Seitenarm der Donau entlangruderte, kämpfte Fanny mit heftiger Übelkeit. Diese verschwand jedoch sofort, als Karl ihr den Arm um die Hüfte legte. »Ist dir nicht gut?«, fragte er besorgt.

 

»Doch, doch«, beeilte sie sich zu erwidern und schmiegte sich näher an ihn heran.

Er sieht mich ganz seltsam an, stellte Fanny noch fest, dann fühlte sie seine Lippen auf den ihren. Sie hörte auf zu denken, spürte nur das leichte Schaukeln des Bootes, den immer fordernder werdenden Kuss des Geliebten und Elisabeths Blicke, die sich wie Pfeile in Fannys umnebeltes Bewusstsein bohrten. Als Karl sie losließ, sah sie direkt in Elisabeths grüne Augen, deren Ausdruck sie nicht zu deuten wusste.

Der Baron jedenfalls war ein wenig außer Atem, wie Fanny mit kindlichem Stolz feststellte. Er rückte von ihr ab und schwang sich wortlos in die Ruder. Fanny lehnte sich zurück, genoss die Sonne auf ihrem Gesicht und ließ ihre Hand sanft durchs Wasser gleiten. Sie war noch nie glücklicher gewesen als in diesem Augenblick.

Eine schiere Ewigkeit später legten sie an. Elisabeth war schweigsam, doch sie schien ihr nicht länger zu zürnen.

Als sie wieder festen Boden unter den Füßen hatte, stellte Fanny erleichtert fest, dass die Wirkung des Weins nachgelassen hatte. Sie breitete die Arme aus und drehte sich übermütig im Kreis.

»Ist es nicht schön hier? Was machen wir jetzt?«, fragte sie und warf sich dem überraschten Karl in die Arme. Er umfing sie und begann mit ihr zu tanzen. Sie legte den Kopf zurück und gab sich ganz dem Augenblick hin.

»Du bist bezaubernd«, flüsterte Karl ihr ins Ohr.

Fanny lächelte und bot ihm ihre Lippen zum Kuss.

Doch zu ihrer Enttäuschung blieb Karl stehen, verbeugte sich und küsste ihr nur die Hand. »Für heute ist es genug, meine Liebe«, entgegnete er, sodass nur sie es hören konnte. »Du musst dich ein wenig gedulden.« Und lauter fuhr er fort: »Meine Damen, es wird Zeit. Weniger amüsante Verpflichtungen rufen.« Er verabschiedete sich mit einer formvollendeten Verbeugung.

Die beiden sahen ihm nach, bis er hinter einer Wegbiegung verschwand.

»Wir sollten nach Hause fahren, Fanny, es wird spät«, sagte Elisabeth.

Schweigend gingen sie zurück zum Wagen.

Fanny schlief sofort ein.

Als sie sich der Stadt näherten, weckte sie ein sanfter Kuss auf die Wange. Erstaunt sah sie auf.

Elisabeth lächelte sie an: »Du siehst wirklich herzig aus, wenn du schläfst.«

»Dann bist du nicht böse auf mich?«, fragte Fanny erleichtert.

»Warum sollte ich böse sein? Du warst sehr brav. Hast den Baron regelrecht verzaubert. Ich sagte dir schon, ich bin glücklich, wenn er glücklich ist.«

Wieder war Fanny verwirrt. »Aber willst du denn nicht auch von ihm geküsst werden?«, fragte sie vorsichtig.

Elisabeth gab ihr einen kleinen Klaps auf die Wange. »Das werde ich doch, Dummerchen.«

Fanny verstand nun gar nichts mehr. Eigentlich wollte sie so schnell wie möglich nach Hause, um all diese verwirrenden Gedanken in der Abgeschiedenheit ihres Zimmers in Ruhe zu ordnen und die magischen Augenblicke dieses Tages wieder und wieder zu erleben.

Bei der Ankunft warf sie sich ihrer Mutter stürmisch in die Arme. »Mama, es war wunderschön, und ich bin so froh, wieder bei Euch zu sein.«

Gerührt drückte Gräfin Wohlleben ihrer Jüngsten einen Kuss auf die Stirn, um sie jedoch umgehend prüfend zu mustern. »Aber Fanny, wie derangiert du aussiehst. Wo ist denn deine Haube geblieben? Und dein Haar …«

»Ach, Gräfin, verzeiht«, ergriff Elisabeth das Wort, bevor Fanny antworten konnte. »Die Rückfahrt war ein wenig stürmisch. Fannys Haube ist dem starken Wind zum Opfer gefallen, ebenso ihre entzückende Frisur. Ich verspreche Ihnen, das nächste Mal besser auf sie aufzupassen.« Befriedigt beobachtete sie den Seufzer der Erleichterung, den ihre Worte bei Gräfin Wohlleben hervorriefen. »Fanny war eine angenehme Gesellschafterin«, fuhr sie fort. »Ich würde sie wirklich gern regelmäßig zu mir nach Hause einladen.«

»Bitte, Mama, sagt ja«, bettelte Fanny eifrig.

»Das habe ich doch schon gesagt. Ich bin froh, wenn Ihr uns dabei unterstützt, unser Nesthäkchen salonfähig zu machen. Dass sie Euch nur nicht zur Last fällt«, antwortete die Gräfin.

»Da besteht keinerlei Gefahr«, erwiderte Elisabeth mit einem schmalen Lächeln. »Nicht wahr, Fanny? Wir wissen uns stets gut zu unterhalten.«

Fanny errötete leicht und machte einen kleinen Knicks. »Ja, und danke für diesen herrlichen Tag.«

Elisabeths Lachen war bis zum Tor hinaus zu hören.

Langsam ging Fanny mit ihrer Mutter die Treppen hinauf.

»Eine reizende Dame, die Baronin, nicht wahr«, bemerkte Mathilde leichthin. »Ich bin froh, dass sie dich unter ihre Fittiche nimmt.«

»Ja, Mama«, antwortete Fanny und nickte zufrieden. »Ich auch. Sogar sehr.« Dass sie ihre Mutter sträflich hinterging, bereute sie keine Sekunde. Nichts auf der Welt würde ihr diesen Tag verderben. Schon gar nicht ein schlechtes Gewissen.

*

Georg verschränkte die Arme unter seinem Kopf. Noch war er völlig außer Atem. Stanzi verstand ihr Geschäft. Und wie. Heute hatte sie sich ganz besonders bemüht. Dabei hatte ihn direkt das schlechte Gewissen gepackt, als er unangemeldet vor ihrer Tür gestanden war. Dass er ihr damals den Franz geschickt hatte, statt wie versprochen selbst zu kommen, war nicht anständig von ihm gewesen. Anfangs sei sie rasend vor Wut gewesen, doch nach ein paar Gläsern Wein habe sie sich hingebungsvoll dafür gerächt. Der Franzl erzählte ihm Tage später mit einem schmutzigen Grinsen jedes Detail von Stanzis erotischem Rachefeldzug. Allerdings hatte er verschwiegen, dass sie ihm die Tür vor der Nase zugeknallt hatte, als er es am nächsten Tag wieder bei ihr versuchte. Das hatte die Mitzi dem Stanislaus verraten.

Eigentlich hatte Georg damit die kleine Affäre als beendet betrachtet. Er hatte ohnehin schon angefangen, sich mit Stanzi zu langweilen. Wie immer, wenn Frauen sich in ihn verliebten. Auch mit Stanzi war es so weit: Sie machte ihm Vorwürfe, wenn er sich einige Tage nicht meldete. Ihre freche Frivolität war kuh­äugiger Zärtlichkeit gewichen. Zeit zu gehen, hatte er für sich beschlossen. Also war ihm das Fest bei Metternich gerade recht gekommen. Doch nach dem Fest hatte die Fürstin sich in Schweigen gehüllt. Nachdem er sich einige Nächte mit verheirateten Frauen seines Standes vergnügt hatte, verlangte es ihn nach etwas Unkomplizierterem. Also hatte er sein Glück bei Stanzi versucht. Zuerst hatte sie ihm eine Szene gemacht, doch dann … Versteh einer die Frauen.

»Du?«

»Hm?« Georg regte sich nicht. Er wollte schlafen, um Kraft für einen neuerlichen Angriff zu starten. Immerhin war er nicht zum Plaudern gekommen.

»Die Mitzi hat sich verliebt.«

Unwillig schlug Georg die Augen auf und starrte zur Decke. »Das bringt nichts, sag ihr das«, antwortete er gleichmütig.

Stanzi lachte übermütig und küsste ihn auf den Mund. »Sag so was nicht. Vor ein paar Tagen schickst mir noch deinen Freund. Und jetzt schau dich an. Kannst nicht genug kriegen von mir.«

Georg war plötzlich hellwach – da lief eindeutig etwas schief. »Hör mir mal gut zu, Stanzi.« Er setzte sich auf und maß das Mädchen mit kaltem Blick. »Dass ich hier bei dir lieg, heißt nur eines: dass du gut bist im Bett und es mir Spaß macht mit dir. Und genau so ist es beim Stani.«

Doch Stanzi ließ sich nicht beirren. »Dass dich nicht täuschst«, entgegnete sie triumphierend. »Er hat ihr gesagt, dass er sie liebt.«

»Geh, erzähl keine G’schichten. Das hat sie erfunden.«

»Hat sie nicht«, entgegnete sie trotzig. »Ich hab’s gehört. Ich bin daneben g’legen.«

»Der Depp!« Georg schüttelte den Kopf.

»Nur weil er die Mitzi liebt, ist er noch lange kein Depp«, fuhr sie ihn an.

»Doch, ist er«, entgegnete Georg ungerührt. »Was glaubt denn das Mädel, was er tun wird? Sie heiraten? Sicher nicht. Er wird sie verlassen, früher oder später. Egal, was er jetzt zu ihr sagt. Und ein Depp ist er, weil er ihr Hoffnungen macht.«

»Das wird er nicht!«, fauchte sie ihn an. »Er wird sie nicht sitzen lassen. Im Gegensatz zu dir ist er nämlich ein anständiger Mann.«

»Ach was!« Stanzis Temperament brachte ihn auf angenehme Art in Rage. Er zog sie an sich. »Außerdem, was willst mit einem anständigen Mann? Glaub mir, mit dem hast nicht so viel Spaß wie mit mir.« Nach ein paar atemlosen Küssen schmolz Stanzis Widerstand dahin.

Wenig später stand Georg auf. »Ich muss gehen.« Er stieg in seine Uniformhose.

»Kommst wieder?«, flüsterte sie kleinlaut.

Irgendwie süß ist sie schon, dachte er und beugte sich zu ihr hinunter. »Wenns d’ mir versprichst, keine solchen Dummheiten zu machen wie die Mitzi …«

Stanzi nickte eifrig. »Versprochen. Weißt, ich bin nicht so eine wie sie. Die Mitzi, die ist in sich gekehrt, die denkt viel zu viel nach und oft ist sie traurig. Ich glaub, sie hat Heimweh. Aber sie red’t nicht drüber. Meistens red’t sie überhaupt nicht. Ich weiß gar nix von ihre Familie oder warum sie weggegangen ist. Und fragen mag ich sie auch nicht, weil wozu? Wir arbeiten eh immer, also heimfahren können wir sowieso nicht. Außerdem kost das viel zu viel Geld. Aber was red ich denn? Ich, ich bin jedenfalls ganz anders als die Mitzi, du kennst mich doch. Ich …«

Georg lachte laut auf. »Ja du, du kleines Luder, du bist ganz anders.« Er verschloss ihr den Mund mit einem Kuss. »Wär besser, du würdest nicht so viel reden.«

Kichernd schlang sie die Arme um ihn und zog ihn wieder ins Bett.

»Was soll’s?«, dachte er. Seine Freunde konnten warten.

*

Der Ansturm der Gäste schien nicht enden zu wollen. Wieder einmal waren die Apollosäle hoffnungslos überfüllt. Obwohl der Dienstagabend offiziell dem hohen Adel vorbehalten war, mischten sich wohlhabende Bürger, Handwerker und Grisetten unter Fürsten und Generäle, um einen unvergesslichen Abend im größten Vergnügungsetablissement der Stadt mit seinen riesigen Tanzsälen und den schier endlosen Fluchten von Kammern und Gemächern zu verbringen. Wasserfälle, Springbrunnen, romantische Grotten, Alleen von Tannen, Kastanien und blühenden Obstbäumen, duftende Blumen, fliegende Adler und hell erleuchtete Engel, getaucht in das flackernde Licht riesiger Kristallluster, verfehlten ihre Wirkung nicht. Hier wurde fast ausschließlich Wein getrunken und Walzer getanzt, schneller und enger als anderswo, um sich danach erhitzt hinter die schützenden Baumreihen zurückzuziehen, aus denen da und dort wohlige Seufzer ertönten. Gleich mehrere Küchen sorgten für das leibliche Wohl der Gäste, die sich gerne auch zu einem zärtlichen Tête-à-Tête in die romantisch dekorierten Gemächer zurückzuziehen pflegten.

Doch Georg, der sich als Stammgast – vorbei an Kutschen und Kaleschen, respektvoll begrüßt von den Kameraden der abgestellten Kavallerie- und Infanterieposten – virtuos den Weg durch die Menge bahnte, würdigte seine Umgebung keines Blickes.

»Sag, Stani, bist jetzt völlig überg’schnappt?«, herrschte er seinen Freund an, der, eine rassige Brünette mittleren Alters im Arm, am Rand des großen Tanzsaales stand und genüsslich ein Glas Rotwein leerte. Stanislaus starrte ihn verständnislos an. Sein stierer Blick zeigte Georg, dass er wohl nicht seinem ersten Glas zusprach. Statt zu antworten, vergrub Stanislaus sein Gesicht im Dekolleté der Schönen der Nacht, die wiederum Georg taxierte und ganz offensichtlich für besser befand. Sie befreite sich aus der Umarmung ihres Begleiters, stolperte – ebenfalls nicht mehr ganz nüchtern – auf Georg zu und warf sich ihm an den Hals.

»Na, du Hübscher, wie wär’s mit uns zwei?«, knurrte sie mit etwas schwerer Zunge und überraschend tiefer Stimme. Ihren kleinen Damenbart direkt vor Augen, drehte Georg angewidert von ihrem sauer riechenden Atem den Kopf zur Seite und schubste sie zurück in die Arme seines verdutzt dreinblickenden Freundes.

»Schau, dass du deine holde Maid anbringst, Stani, ich geh derweil zur Schank.« Er wandte sich zum Gehen. »Nüchtern ist das hier ja nicht zum Aushalten«, schimpfte er.

»Was ist nicht zum Aushalten?«

Ein apartes Geschöpf, deren kupferrote Locken weit über ihre Schultern fielen, verstellte ihm den Weg. Ihre zarte biegsame Gestalt zeigte Georgs routiniertem Blick, dass sie Tänzerin war. Und eine besonders hübsche obendrein, bemerkte er im Stillen.

 

»So ein schöner Mann und so schlechte Laune?« Kokett tippte sie ihn auf die Schulter. »Magst mir nicht sagen, was dir den Abend verdirbt?«

Georg lachte auf. Herzig, die Kleine. »Wer will das wissen?«

»Ich bin die Susette. Normalerweise tanz ich im Sperl, manchmal auch im Theater, wenn ich a Glück hab, aber heut bin ich da.« Sie lächelte und entblößte dabei eine winzige Zahnlücke zwischen ihren Schneidezähnen. »Und wer bist du?«

»Ich bin der Georg«, antwortete er, durchaus geneigt, seinen Unmut für eine Weile zu vergessen.

»Ah, der Oberleutnant Schorsch«, Susette kicherte und salutierte. »Schneidig bist und g’fallen tust ma auch. Ladst mich ein auf ein Glas?«

Entwaffnet von ihrer überraschenden Direktheit bot Georg dem Mädel seinen Arm an.

Da tauchte Stanislaus vor ihnen auf. »Und, was is, gemma was trinken?«, fragte er, sichtlich erleichtert, Georg deutlich besserer Laune zu sehen.

»Ja, aber nicht mit dir, Stani. Ich hab was Angenehmeres vor.« Und bevor sein Kamerad protestieren konnte, wirbelte er Susette auf die Tanzfläche. Sie war fantastisch, stellte er fest. Zart wie eine Feder, gespannt wie ein Bogen. Ganz anders als das Stanzerl, die ihm zwar immer weich und gefügig, jedoch wesentlich schwerer im Arm lag. Und einen langen Atem hatte sie auch. Leichtfüßig tanzte sie einen Walzer nach dem anderen mit ihm, scheinbar ohne zu ermüden. Äußerst vielversprechend, befand er und zog Susette an den Rand der Tanzfläche, um sie zu küssen. Stanislaus konnte er auch später noch die Leviten lesen. Überrascht fuhr er zurück. Der kleine Teufel hatte ihn tatsächlich gebissen.

»So leicht kriegst mich nicht.« Trotzig schob Susette das Kinn vor und verschränkte die Arme. »Hast mir ein Glas Wein versprochen. Und Hunger hab ich auch. Was glaubst außerdem, was ich für eine bin?«

Georg zog Susette an sich. Das Mädchen war steif wie ein Brett. »Eine ganz Süße bist du. Und eine ganz Abgedrehte«, lachte er. »Na komm«, er schlang ihr den Arm um die Schulter, »holen wir dir was zu essen und zu trinken. Sonst fallst ma noch vom Fleisch. Und vielleicht bist ja nachher nicht mehr so widerspenstig.«

»Das wer’ ma erst sehen«, blitzte sie ihn aus grünen Augen an.

Georg lachte schallend. Die Kleine hatte Feuer. Und eine Ausdauer, die der seinen um nichts nachstand, wie er später bemerkte, als sie seine Avancen, satt und ein wenig betrunken, nicht mehr zurückwies.

Erschöpft verließ er eine Stunde später – oder waren es zwei? – das mit dunkelrotem Damast ausgekleidete Boudoire, Georgs Lieblingsgemach an Abenden wie diesen. Susette schlief endlich tief und fest in dem riesigen, aus dunklem Holz geschnitzten Himmelbett. Rasch entfernte er sich, bevor sie aufwachte. Er hatte keine Lust auf endloses Gezänke oder enttäuschte Mädchentränen und schon gar nicht, wie er bei der temperamentvollen Susette befürchtete, auf ein zerkratztes Gesicht.

In einer der dunklen Grotten entdeckte er Stanislaus, ebenfalls schlafend, in den Armen der schwarzhaarigen Schönheit, die deutlich nüchterner wirkte als zu Beginn des Abends.

»Hol ihn dir ruhig«, brummte sie, sichtlich schlecht gelaunt. »Einen schönen Freund hast du. Schläft mir unter den Fingern weg. Und das nennt sich Offizier im Dienst unsres Kaisers. So werden wir keinen Krieg gewinnen.« Kopfschüttelnd stand sie auf und rückte ihren Ausschnitt zurecht. »Den ganzen Abend hab ich mit ihm verschwendet. Und für was? Für nix.«

Georg drückte ihr eine Münze in die Hand. »Nimm dir einen Mietwagen und schlaf dich aus. Vielleicht hast ein andermal mehr Glück.«

Überrascht sah sie auf. »Dankschön. Bist ein netter Kerl.« Sie legte den Kopf schief. »Kommst Donnerstag wieder?«

Georg lachte laut auf. »Vergiss es. Geh nach Haus.« Grinsend sah er ihr nach, wie sie schweren Schrittes in der Menge verschwand.

Wie auf Befehl rappelte Stanislaus sich auf. Er kratzte sich am Kopf. »Wo ist sie hin?«

»Weg«, antwortete Georg. »Und das ist gut so. Was denkst du dir dabei?«

Stanislaus schluckte schwer. »Wobei genau?« Er runzelte die Stirn. »Ich kann mich an ihren Namen nicht erinnern.«

»Ich red nicht von der da.« Georg fühlte schon wieder Wut in sich aufsteigen. »Wie kannst du der Mitzi sagen, dass du sie liebst?«

Verblüfft starrte Stanislaus ihn an. »Weil es stimmt«, antwortete er schwerfällig. »Ich hab sie wirklich gern, die Mitzi. Sie ist ein liebes Mädel. Und sie greift sich so gut an.« Er kniff die Augen zusammen. »Aber jetzt tut mir der Schädel weh. Können wir über was anderes reden?«

Seinen Freund derart angeschlagen zu sehen, stimmte Georg ein wenig versöhnlich. Er klopfte ihm auf die Schulter. »Komm, lass uns heimgehen. Ich mein’s ja nur gut mit dir. Und mit dem Mädel. Die Mitzi hat sich was Besseres verdient, als deine Mätress zu sein, bis sie so alt ist, dass kein anderer sie mehr anschaut. Und solang sie sich Hoffnungen macht, wird sie sich in keinen sonst verlieben.«

»Wahrscheinlich hast recht, Schorsch«, erwiderte Stanislaus nachdenklich. »Vielleicht sollt ich mit ihr reden.«

»Es ist nur zu ihrem Besten«, bestätigte Georg zufrieden. »Jetzt lass uns einen Wagen nehmen. Es ist schon spät.«

»Bist ein guter Freund, Schorsch«, lallte Stanislaus wenig später schlaftrunken. Grinsend schob Georg seinen Freund in die andere Ecke der Kutsche, bevor Stani den Kopf an seine Schulter fallen lassen konnte.

*

Eine knappe Stunde Fußmarsch vom Vergnügungstempel im Brillantengrund entfernt, wälzte sich Fanny in ihrem Bett unruhig hin und her. Sie konnte nicht schlafen. Ihr erstes Rendezvous im Palais Altenburg lief wieder und immer wieder wie ein Film in ihrem Kopf ab. Ach, wie aufgeregt sie gewesen war, als ihr Elisabeths Einladung auf einem Silbertablett überreicht worden war. Mama hatte sich hocherfreut darüber gezeigt, dass Fanny offensichtlich einen so guten Eindruck hinterlassen hatte. Wenige Tage waren seit ihrer Ausfahrt vergangen und schon bat die Baronin von Altenburg Fanny zum Tee! Nur Sophie hatte, wie immer, etwas daran auszusetzen. Was eine Frau in Elisabeths Alter an der Gesellschaft ihrer erheblich jüngeren kleinen Schwester finde, könne sie nicht verstehen, hatte sie gemeint. Fannys Herz hatte wie wild zu klopfen begonnen. Sophie hatte doch nicht etwa Verdacht geschöpft? Aber Mama hatte den Einwand zu Fannys großer Erleichterung sofort vom Tisch gewischt und Fanny in Schutz genommen. »Das war taktlos von dir, Sophie«, hatte sie ihre Schwester gescholten. »Sieh doch, wie stolz sie ist.« Dabei hatte Mama sie sogar in den Arm genommen. Sophie hatte nur den Kopf geschüttelt und das Zimmer verlassen.

Fanny seufzte glücklich. Denn es war noch besser gekommen. Als Elisabeth sie abgeholt hatte, war ihre Vorfreude grenzenlos gewesen. Fanny hatte ihr schönstes Kleid angezogen, aus elfenbeinfarbener Baumwolle mit einem hohen Kragen aus weißer Spitze, kleinen Puffärmeln – der neueste Schrei, wie die Schneiderin Mama gegenüber betont hatte – und gleich zwei Rüschen am Saum. Sie musste keine Haube tragen und Mama hatte ihr Haar in der Mittel gescheitelt, sodass ihr herzförmiges Gesicht besonders gut zur Geltung kam. Fanny konnte nicht aufhören, sich im Spiegel zu bewundern. Auch Elisabeth schien zufrieden zu sein. »Allerliebst«, stellte sie lächelnd fest, als Fanny in die Kutsche stieg.

Das Altenburgsche Palais war weitläufiger und prächtiger als das ihrer Familie, wenn auch nicht ganz so gut gelegen. Im Dienstbotentrakt, in dem sie Dorothea ablieferten, versorgt mit einer großen Tasse Kaffee und einem noch größeren Stück Kuchen, summte es geschäftig wie in einem Bienenstock. Kästen und Kommoden, Töpfe und Pfannen, alles blitzte und blinkte. Elisabeths Gemächer gehörten zu den schönsten Wohnräumen, die Fanny je gesehen hatte. Die gesamte Einrichtung war in dunkles Blau und Gold getaucht, das Mobiliar – vom Kanapee bis zum Schreibtisch – feminin und glamourös. In ihrem Schlafzimmer hingen große Spiegel an den Wänden, Fanny kam aus dem Staunen nicht heraus. Wie traditionell und nüchtern nahm sich dagegen ihr Elternhaus aus. Von ihrer eigenen Kleinmädchenkammer ganz zu schweigen.

To koniec darmowego fragmentu. Czy chcesz czytać dalej?