Theologie des Alten Testaments

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Außerhalb der Tora ist die Moseerzählung selten thematisiert. Die Figur gilt als Übermittler des göttlichen Willens, der in der Tora bzw. im Buch der Tora des Mose niedergeschrieben ist (vgl. 2 Kön 14,6; 23,25; Jos 8,31; 23,6). Die Weisung des Mose liefert zudem den theologischen Bezugsrahmen für die prophetischen Bücher (Nebi’îm), auf den zu Beginn (Jos 1,7) und am Ende der literarischen Sammlung (Mal 3,22) ausdrücklich verwiesen ist. Auch das Chronistische Geschichtswerk nennt eine Reihe von Referenzen an die Tora bzw. das Buch der Tora des Mose (vgl. 2Chr 23,18; Esr 3,2; 6,18; 7,6; Neh 8,1 u. ö.). Jer 15,1 erwähnt Mose neben Samuel als Fürbitter Israels (vgl. Ps 106, 23 Mose), Jes 63,11–13 und Mi 6,4 erinnern an Exodus und Wüstenzeit unter seiner Führung (vgl. Ps 105,24–45 zuzüglich eines ausführlichen Abschnitts zu den Plagen).

Die Verschmelzung der göttlichen Weisung/Tora mit der Figur des Mose prägt auch die Evangelien, in denen seine Funktion als Gesetzgeber (Mk 10,3par.), Prophet (Mk 9,4par.) und erster Schriftgelehrter (Mt 23,2) hervorgehoben ist. Paulus und Hebräerbrief deuten eine zeitlich begrenzte Relevanz der Mosetora an und gehen von der Überbietung durch Christus aus (Röm 10,5–19; Hebr 8,13). Gleichzeitig bleibt Mose aber auch hier als Vorbild des Glaubens anerkannt (Hebr 11,23–29 mit einem Resümee der wichtigsten Moseerzählungen).

Die Exodusgeschichte bildet den markantesten Gründungsmythos Israels, indem sie erzählt, wie Gott sich der Not seines Volks annimmt, um es in einer spektakulären Rettungsaktion aus der Knechtschaft eines fremden Volks zu befreien. Untrennbar damit ist die Mosefigur verbunden. Sie wird literarisch wie theologisch zum Schlussstein einer Konstruktion von kollektivem Gedächtnis. In Mose erhält die (Früh-) Geschichte Israels eine exemplarische Führergestalt, deren Narrationen dazu verhelfen, die durch die Königszeit geprägte Religion des 10.–6. Jh. v. Chr. den neuen historischen Umständen des Verlusts von nationaler Unabhängigkeit anzupassen. Indem der Gründungsmythos des Exodus und sein Gründungsvater Mose in einer geradezu mythischen Urzeit angesiedelt werden, erfährt die königslose Frühgeschichte Israels eine zukunftsweisende theologische Überhöhung, die das Fehlen des Königtums in nachexilischer Zeit zu verschmerzen hilft. Der Höhepunkt der Theologisierung findet sich in der Gabe der Tora als Buch des Mose.80 Die Offenbarung Gottes wird in der Exoduserzählung medial durch eine Einzelgestalt, Mose, vermittelt.

Literatur

Albertz, Rainer: Exodus 1–18, Zürich 2012 (ZBK 2).

Assmann, Jan: Exodus. Die Revolution der alten Welt, München 2015.

Gerhards, Meik: Die Aussetzungsgeschichte des Mose. Literar- und traditionsgeschichtliche Untersuchungen zu einem Schlüsseltext des nichtpriesterschriftlichen Tetrateuch, Neukirchen Vluyn 2006 (WMANT 109).

Morenz, Ludwig D.: Wortwitz-Ideologie-Geschichte: „Israel“ im Horizont Meren-ptahs, in: ZAW 120 (2008), 1–13.

Otto, Eckart: Mose und das Gesetz. Die Mose-Figur als Gegenentwurf politischer Theologie zur neuassyrischen Königsideologie im 7. Jh. v. Chr., in: Ders. (Hg.), Mose. Ägypten und das Alte Testament, Stuttgart 2000 (SBS 189), 43–83.

Schipper, Bernd: Ramses, Pithom, and the Exodus: A Critical Evaluation of Ex 1:11, in: VT 65 (2015), 265–288.

Stackert, Jeffrey: A Prophet Like Moses. Prophecy, Law, and Israelite Religion, Oxford 2014.

Standhartinger, Angela: Jesus, Elija und Mose auf dem Berg. Traditionsgeschichtliche Überlegungen zur Verklärungsgeschichte (Mk 9, 2–8), in: BZ 47 (2003), 66–85.

2.3 JHWH offenbart sich in den Verheißungen an die Erzeltern

Gründungsmythos 2

Josepherzählung s. u. 2.8.4.1

Die hebräische Bibel kennt noch einen zweiten Gründungsmythos Israels: Während der erste von der Errettung Israels aus dem Sklavenhaus Ägyptens durch Mose handelt, erzählt der zweite von der Urzeit der „Väter“, die zusammen mit ihren Frauen (die sogenannten Erzeltern)50 die Verheißung erhalten, Ahnen des Gottesvolks zu werden. Beide – ursprünglich wohl voneinander unabhängigen51 – Traditionen begründen die Identität Israels als Gottesvolk, dessen Erwählung sich durch das göttliche Eingreifen in einer Geschichte voller Zäsuren offenbart (vgl. von Rad, Theologie II, 340). Eingebettet sind die Erzelternerzählungen in das Buch Genesis (Gen 12–36) im Anschluss an die universal ausgerichtete Urgeschichte. Die sich anschließende Josephserzählung (Gen 37–50*) dürfte aus formgeschichtlichen Gründen in weiten Teilen einem ursprünglich weisheitlichen Kontext entstammen. Sie bildet einen späteren Einschub in den Buchkontext als „Brückentext“, dessen Funktion darin liegt, die beiden Gründungsmythen narrativ miteinander zu verbinden.

Der Name Israel

„Isra-El“/ ist einer der vielen Satznamen in der hebräischen Bibel und bedeutet übersetzt „Gott bzw. El kämpft“.52 Allerdings bezeichnet der Name in der Hebräischen Bibel recht unterschiedlicher Dinge:

–Israel bezeichnet den Stämmeverband (1Sam 10,20) oder das davidische Reich (1Sam 3,20).

–Israel ist in den Königsbüchern die Bezeichnung des Nordreichs (1Kön 11,31–2Kön 18,5). Der biblischen Überlieferung nach erfolgt mit dem Tode Salomos ein Schisma, infolgedessen sich das Reich Davids in ein Nordreich unter Jerobeam und ein Südreich unter dem Davididen Rehabeam aufspaltet. Das Nordreich wird Israel, das Südreich Juda genannt (s. auch 1Sam 17,52; 18,16).

–Israel ist laut Gen 32 auch Name eines Individuums, nämlich der Name, den Jakob am Jabbok im Anschluss an eine Gottesbegegnung erhält. Dieser Name wird von der Person des Erzvaters schließlich auf die ganze Sippe und daraus folgernd auf das Gottesvolk übertragen (vgl. Ex 1,1).

–Die im AT sehr geläufige Wendung /benej Israel, die „Kinder Israels“, bezieht sich nicht nur auf das ungeteilte Königreich der davidischen Zeit oder auf die Nordreichbewohner, sondern wird zur Bezeichnung des Gottesvolkes (s. insbes. Ez; Esr; Neh).

Die Erzelternerzählungen in Gen 12–50 berichten in Perspektivierung auf das Volk Israel, dass und in welcher Weise Gott an einzelnen Personen, nämlich den Erzeltern, wirkt und eine gemeinsame Zukunft verheißt. W. Zimmerli53 betont, dass

„‚Verheißung‘ […] dabei dem weltlichen Charakter der at. Gottesrede entsprechend nichts Inwendig-Geistliches [ist]. Vielmehr geht es in ihr zunächst um die ganz gegenständlichen Güter, die das Volk erst zum Volk machen. Es ist das Versprechen an den Ahnvater, Nachkommenschaft zu bekommen und in dieser Nachkommenschaft sich zu einem Volke zu mehren. 12,2 sagt weiter, daß der Ahnvater darin einen großen Namen, d. h. Ehre in der Völkerwelt, bekommen solle. Gen 17,6 enthält einen ähnlichen Gedanken in der Zusage, daß in diesem Volke Könige von der Ahnfrau abstammen werden. Zu der Verheißung der Mehrung zum Volk tritt als zweite, in der alten Überlieferung von den Vätern genannte Verheißung diejenige des Landes, das Gott dem Volke gegeben werde. […] Diese beiden großen Verheißungsgüter […] werden dann bei J und P je in verschiedener Weise noch durch einen weiteren Akzent näher bestimmt. In 12,2 f. (J) ist es das große Stichwort vom ‚Segen‘, den Abraham empfangen soll […] In P tritt dazu als Drittes die Zusage, daß der dem Abraham erscheinende Gott sein und seiner Nachkommen Gott sein wolle (Gen 17,7 f.).“

So sind die Erzelternerzählungen (inkl. Josephsgeschichte) theologisch bestimmt von der Verheißung und deren Verzögerung bzw. Gefährdung, einigen Irrwegen und dem Gehorsam gegenüber Gott. Doch sind in den einzelnen Überlieferungen die Akzente unterschiedlich gesetzt: Wie sich der Abraham- und Jakobzyklus kompositionell unterscheiden, und die Josephserzählung schon gattungsmäßig herausfällt, so variieren auch die theologischen Perspektivierungen. Weiterhin lassen sich innerhalb des jeweiligen Zyklus’ literargeschichtlich zu erklärende Differenzen und Doppelungen erkennen, die auf längere Überarbeitungsprozesse hinweisen. Auch die Einschätzung von Gen 12 als P gegenüber älteren „jahwistischen“ (J) Verheißungstext ist zuletzt einer kritischen Revision unterzogen worden, die das theologische Profil der Erzählung verändert (s. u.).

Der Abraham- und Jakobzyklus geben zudem Auskunft über sozialgeschichtliche54 und religionsgeschichtliche Aspekte. Typische Gattungselemente in den Erzählungen sind z. B. die Ätiologien (d. h. Ursprungserklärungen zu Kult, Ritus, Namen oder Orten) wie die Genealogien (/tôledot) und Itinerarien (Reiserouten), die einerseits Aufschluss über Lebensweise und soziale wie politische Organisationsformen in historischer Perspektive geben, andererseits aber auch Einblick in die literarische Genese der unterschiedlichen theologischen Traditionen. Auffällig an Themenwahl und Kompositionsgefüge ist, dass der – ursprünglich ältere – Jakobszyklus (Gen 25; 27–33*) eine umfassende und in sich geschlossene Biographie präsentiert, während die Erzählungen zu Abraham weniger an einem biographischen Zeitstrahl als um mehrere Themenfelder gruppiert sind, wie um den Abraham-Lot-Zyklus (Gen 13; 18–19), Abraham als Patriarch oder theologische Themen wie Verheißung (Gen 12,1–3.7 + Segen; 13,14–17) in Verbindung mit Bund (Gen 17) bzw. Bund und Glaube (Gen 15) oder Gehorsam (Gen 22). Beide Zyklen sind durch das genealogische Material deutlich strukturiert und aufeinander bezogen.

 

Die Frage nach dem Ursprung des Gottesvolks wird in diesen Geschichten nicht durch die mythische Verankerung in der Urzeit beantwortet (so z. B. Enuma eliš; Urgeschichte), sondern durch die Berufung einer Einzelfigur (Gen 12,1–3). Der Ruf erfolgt zunächst ins Ungewisse: „Ich bin JHWH, der dich herausgeführt hat aus dem Ur der Chaldäer“ (Gen 15,7; ein vermutlich später Text, der die im Exoduskontext gängige Auszugsnotiz auf eine neue Situation, das Exil, anwendet). Das im hebräischen Begriff der Gabe (vgl. /ntn) dokumentierte Konzept der Verheißung betont, dass der Geschichte Israels eine Zusage vorausgeht: Diese wird aber nicht im Zuge eines Einzelereignisses oder an einem bestimmten Protagonisten erfüllt, sondern vollzieht sich im Laufe der Volksgeschichte über Generationen und Epochen hinweg, wirkt also als ein sich immer wieder ereignender Prozess (vgl. Ex 33,1; Dtn 34,4). Die Verheißungen bilden die sekundären Verklammerungen, durch die in exilisch-nachexilischer Zeit die verschiedenen Erzelterntraditionen untereinander verbunden sowie die Einbettung in das Erzählganze der Tora erreicht wurden.55

2.3.1 Der Abrahamzyklus

Den Auftakt der Erzählung (Gen 12–25) bildet die erst später hinzugefügte, für das theologische Verständnis jedoch maßgebliche Erzählung von der Berufung Abra(ha)ms in Gen 12. Eingeführt ist die Figur lediglich durch genealogische Notizen in Gen 11,27–32 (P*), die eine Herkunft aus Ur (Mesopotamien) bzw. Haran (Nordsyrien) bezeugen. Diese Verortung entspricht dem historischen Ort der Exilssituation im 6./5. Jh. als der Zeit, aus der die Erzählung stammt und in der das Erzählte auf die Exilserfahrung übertragen ist und zur Identifizierung beiträgt.

Gen 12,1–7

1 Und der HERR sprach zu Abram: Geh aus deinem Land und aus deiner Verwandtschaft und aus dem Haus deines Vaters in das Land, das ich dir zeigen werde.

2 Ich will dich zu einem grossen Volk machen und will dich segnen und deinen Namen gross machen, und du wirst ein Segen sein.

3 Segnen will ich, die dich segnen, wer dich aber schmäht, den will ich verfluchen, und Segen sollen durch dich erlangen alle Sippen der Erde.

4 Da ging Abram, wie der HERR es ihm gesagt hatte, und Lot ging mit ihm. Abram aber war fünfundsiebzig Jahre alt, als er von Charan auszog.

5 Und Abram nahm Sarai, seine Frau, und Lot, den Sohn seines Bruders, und all ihre Habe, die sie besassen, und die Leute, die sie in Charan erworben hatten, und sie zogen aus, um ins Land Kanaan zu gelangen, und sie kamen ins Land Kanaan.

6 Und Abram zog durch das Land bis zur Stätte von Schechem, bis zur Orakel-Terebinthe. Damals waren die Kanaaniter im Land.

7 Da erschien der HERR dem Abram und sprach: Deinen Nachkommen will ich dieses Land geben. Und dort baute er dem HERRN, der ihm erschienen war, einen Altar.

Zentrales Thema dieses theologisch sehr pointierten Erzählbeginns (Gen 12,1–4a) neben ein paar weiteren Erzelternerzählungen ist die Verheißung:

Motiv der Verheißung

–Landverheißung: Gleich zu Beginn des Zyklus ist Abraham von Gott aufgefordert, sein Vaterhaus jeder nomadischen Grundregel zum Trotz zu verlassen und in das entfernte Land Kanaan zu ziehen (12,1 [vgl. V. 5.7]; vgl. 13,15; 17,8; 26,3; 28,4.13; 35,12; 48,4).

–Verheißung sich zu vermehren und ein großes Volk zu begründen (12,2; vgl. 13,16; 15,5; 17,6 [Völker]; 26,4.24; 28,4.14; 32,13; 35,11 [Völker]; 46,3; 48,4 [Völker]): Auch diese Verheißung erfordert großes Gottvertrauen, zumal Abrahams Frau Sara als steril und bereits fortgeschrittenen Alters geschildert ist (Gen 11,30). Somit ist das Versprechen, das Land an Abrahams Nachkommenschaft zu geben, ein fast unerreichbares Ziel, dessen Erfüllung narrativ auf verschiedene Wege angestrebt wird (12,7; 16,2 ff.), bevor es schließlich zur Geburt Isaaks kommt (Gen 21,2 f.).

–Eine dritte Verheißung betrifft die Aussage des Gesegnet-Seins durch Gott (Gen 12,3; vgl. 26,3.24; 28,14; 32,27) sowie den Segenszusatz, dass Gott für Abraham und seine Nachkommenschaft „Gott sei“ (17,8) bzw. mit dem jeweiligen Patriarchen sei (26,3; 28,15; 48,21).

Der ersten und zweiten Verheißung entspricht das Netz von tradierten Itinerarien und Genealogien in der Großerzählung, die den Weg vom Ausgangsort bzw. dem einzelnen Patriarchen bis zur Erfüllung der Verheißung nachzeichnen und strukturieren.56 Allerdings wird die Erfüllung der Landverheißung, die laut Gen 12,6 in Sichem erfolgt, erst in Jos 24,2–4.13 (zu V. 29–32 Sichem; vgl. Gen 50,25 f.; Ex 13,19), realisiert, um in Richter – 2Könige als eine Geschichte des Unheils und Landverlusts fortgeführt zu werden. Es handelt sich also um ein schwebendes bzw. offenes Motiv, welches verschiedene Erzählkomplexe des Hexateuch miteinander verbindet. Itinerarieren und Genealogien dienen der Vernetzung der verschiedenen Einzeltraditionen zu einer Gesamterzählung. Sie sind außerdem hilfreich, die Ursprünge der Einzeltraditionen und ihre literarische Verwendung im Verlauf der Literaturgeschichte des Alten Testaments zu rekonstruieren, da sich in ihnen deutliche Hinweise auf Nord- bzw. Südreichtraditionen finden lassen.

Exkurs: Historische Implikationen der Erzelternerzählungen

In der Regel lassen die alttestamentlichen Erzählungen eine starke Südreichperspektive erkennen, wenn z. B. in den historischen Büchern die Nordreichkönige grundsätzlich negative Einschätzungen bekommen oder in den Chronikbüchern das Nordreich gar keine Berücksichtigung (mehr) findet. Das erklärt sich daher, dass trotz der zugrunde gelegten Traditionen aus Nord und Süd die Zusammenstellung des Materials erst nach dem politischen Untergang des Nordreichs am Ende des 8. Jhs. v. Chr. erfolgt ist. Trotz dieser Gesamttendenz bilden die Erzelterntraditionen eine kleine Ausnahme, wie Hinweise im Abraham-, insbesondere aber im Jakobzyklus erkennen lassen. Zwar eröffnet die – wohl aus der Josia-Zeit stammende – Großerzählung mit Abraham, dem Südreich-Patriarchen, der dem Patriarchen Jakob vorangestellt wird, doch lässt sich unter Berücksichtigung archäologischer wie vor allem literarischer Hinweise darlegen, dass die Südreichtraditionen durch die Jakobstraditionen beeinflusst bzw. ausgestaltet worden sind.57 Dem entspricht der Befund, dass Juda erst im 8./7. Jahrhundert – also nach der assyrischen Eroberung des Nordreichs – demographisch, ökonomisch, militärisch und geo-politisch die sichtbare Bedeutung gewann, die bis dahin dem Nordreich Israel gegolten hatte. Daraus zu schließen, dass der Abrahamzyklus keine alten Traditionen biete oder erst eine Fiktion der nachexilischen Zeit sei, dürfte aus ideologischen Gründen unwahrscheinlich sein, da mit der Zusammenführung von Nord- und Südreichtraditionen nach der assyrischen Eroberung auch das südlich gelegene Juda einen eigenen, zur Jakobgestalt komplementären Gründungsvater beanspruchte. In der späteren Königszeit entstand somit ein „Südreich-Zyklus“ unter Aufnahme älterer Traditionen wie Notizen über die Nachfahren Lots, Ammons und Moabs in Gen 19,30–37, die Stadt Gerar in Gen 20 oder die Erwähnung Ismaels, dessen Name auf die Könige von Shumu’il anspielt, die in assyrischen Texten zwischen dem 8.–6. Jh. begegnen. Alle diese Namen haben in nachexilischer Zeit keine historische Bedeutung mehr, was ihr höheres Alter nahelegt.58

Mit Abraham werden einige Kultorttraditionen verbunden wie die Orakel-Terebinthe in Sichem (Gen 12,6) oder die Eiche in Mamre bei Hebron (Gen 13,18; 14,13; 18,1), die in der wahrscheinlich priesterlich ergänzten Vorstellung von der Grabstätte Machpela „gegenüber von Mamre“ (Gen 23,17.19; 25,9; 35,27–29; 49,30; 50,13) bis in nachexilische Zeit erinnert wird.59 Sie werden neben die als Reichsheiligtum des Nordreichs dominante Bethel-Tradition gestellt, welche in Passagen wie Gen 12,8; 13,3 – von Gen 28,19; 31,13 her inspiriert – erst nachträglich auch an Abraham rückgebunden wurde.60 Das prophetische Disputationswort an die Exulanten nach der babylonischen Zerstörung in Ez 33,23–29 verweist die im Land Gebliebenen zitathaft auf Abraham als den einen, dem das Land zusteht, wie es die Exulanten als die „Vielen“ Israels nach ihrer Rückkehr beanspruchen. Darin ist einerseits die Selbstvergewisserung Judas thematisiert, andererseits der Anspruch der im Land Gebliebenen konterkariert. Die Abrahamtradition wird hier zur Begründung für die Anrechte der Rückkehrer (vgl. auch Jes 51,1–3; 41,8–13).61

Die Sohnesverheißung dürfte das zentrale und wohl auch ältere Motiv der Erzelternerzählungen sein, an das sich das Thema der Verheißung des fruchtbaren Bodens erst anschließt. Die Zentralität der Sohnesverheißung (+ Geburtsankündigung) ergibt sich aus der Fülle von Motiven, die um dieses Thema kreisen (I. Fischer). Das in den Erzelternerzählungen mehrfach belegte Motiv der Sterilität der Ahnfrau (Sara: Gen 11,39; 16,2; Rebekka: Gen 25,21; Rahel: Gen 30,1; s. auch Hanna: 1Sam 1,2; Mutter Simsons: Ri 13,2) hat hinsichtlich der Verheißung retardierende Funktion. Damit korrespondieren die Erzählungen um die Personen Abraham-Lot in Gen 13.18.19, die vermutlich zum ältesten Bestand der Abrahamüberlieferungen zählen.62 Lot wird als Neffe von Abraham an Kindesstatt angenommen und zum Erben der Verheißungen erklärt (Gen 12,4 f.; alternativ ist Elieser der für das Erbe bestimmte Knecht in Gen 15,2). Die beiden machen sich mit Sara auf den Weg (vgl. Gen 12,5; 13,1) und begegnen zahlreichen Konflikten, die das Leben von Halbnomaden bestimmen. Der Erzählstrang mündet in die Geschichte von Sodom und Gomorrha in Gen 18–19; danach begegnet Lot nicht mehr. Eine alternative – aus der Königszeit stammende – Variante, um der Sterilität der Ahnfrau entgegenzutreten, ist die durch Sara vermittelte Heirat mit der ägyptischen Magd Hagar (Gen 16,1–12.[15?*]; jünger 21), die der sterilen Sara als Leihmutter dient. Die Beziehung der beiden Frauen ist konfliktreich dargestellt und führt zur Vertreibung Hagars und ihres Sohnes Ismael (Gen 16,6; 21,14). Außerdem ist berichtet, dass Gott die Klagen Abrahams über die Kinderlosigkeit Saras erhört (Gen 15,2f; 18,10) und die Geburt Isaaks bewirkt (Gen 21,1 ff.). Eine weitere retardierende Variante der Nachkommenverheißung findet sich in den zwei Abraham-kritischen Erzählungen von der Gefährdung der Ahnfrau (Gen 12; 20 Sara; vgl. 26 Rebekka), deren Grundmotiv ebenfalls auf ältere Traditionen zurückgreift.63

Motiv des Segens

S. S. 73

Gen 12,2 fügt als zweites theologisches Thema den „Segen“ ein, dem im Jakobszyklus strukturgebende Funktion zukommt (82 Belege; s. bes. Gen 27; 48 f.). Vermutlich handelte es sich mit dem Segen um ein spätkönigszeitliches Motiv, das – wie auch Gen 12,1–3 zeigen – auf die zukünftige Bedeutung („Futurisierung“) der JHWH-Bindung in einer programmatischen Segenskonstellation verweist, die am Ende zum Motto für die gesamte Erzelternerzählung wird.64 Anders als es Zimmerli in dem obigen Zitat nahelegt, der in Gen 12 die aus älterer Zeit stammende Eröffnung des Abrahamzyklus sah, deutet man den Abschnitt inzwischen als eine den gesamten Zyklus theologisch reflektierende jüngere Ergänzung.

Die zentralen Elemente von Verheißung und Segen begegnen im Zuge eines Bundesschlusses auch in dem der Priesterschrift zugerechneten Kapitel Gen 17 (V. 4–6 [Volk]; 8 [Land + Gott sein]; 16.20 [Segen]).

Gen 17,1–27

1 Als Abram neunundneunzig Jahre alt war, erschien der HERR dem Abram und sprach zu ihm: Ich bin El-Schaddai. Wandle vor mir und sei vollkommen.

2 Ich will meinen Bund stiften zwischen mir und dir und dich über alle Massen mehren.

 

3 Da fiel Abram nieder auf sein Angesicht. Und Gott redete mit ihm und sprach:

4 Sieh, das ist mein Bund mit dir: Du wirst zum Vater einer Vielzahl von Völkern werden.

5 Man wird dich nicht mehr Abram nennen, sondern Abraham wird dein Name sein, denn zum Vater einer Vielzahl von Völkern habe ich dich bestimmt.

6 Ich mache dich über alle Massen fruchtbar und lasse dich zu Völkern werden, und Könige werden von dir abstammen.

7 Ich richte meinen Bund auf zwischen mir und dir und deinen Nachkommen, von Generation zu Generation, als einen ewigen Bund, dass ich dir und deinen Nachkommen Gott sei.

8 Und ich gebe dir und deinen Nachkommen das Land, in dem du als Fremder weilst, das ganze Land Kanaan, zu ewigem Besitz, und ich will ihnen Gott sein.

9 Und Gott sprach zu Abraham: Du aber, halte meinen Bund, du und deine Nachkommen, von Generation zu Generation.

10 Dies ist mein Bund zwischen mir und euch und deinen Nachkommen, den ihr halten sollt: Es soll sich bei euch beschneiden lassen alles, was männlich ist. […]

15 Und Gott sprach zu Abraham: Sarai, deine Frau, sollst du nicht mehr Sarai nennen, sondern Sara soll ihr Name sein.

16 Ich will sie segnen, und auch von ihr will ich dir einen Sohn geben. Ich will sie segnen, und sie soll zu Völkern werden. Könige von Völkern werden von ihr abstammen.

17 Da fiel Abraham nieder auf sein Angesicht und lachte. Er sagte sich: Können einem Hundertjährigen noch Kinder geboren werden, und kann Sara, eine Neunzigjährige, noch gebären?

18 Und Abraham sprach zu Gott: Wenn nur Ismael vor dir am Leben bleibt.

19 Gott aber sprach: Nein, Sara, deine Frau, wird dir einen Sohn gebären, und du sollst ihn Isaak nennen. Und ich werde meinen Bund mit ihm aufrichten als einen ewigen Bund für seine Nachkommen.

20 Aber auch wegen Ismael erhöre ich dich: Sieh, ich segne ihn und mache ihn fruchtbar und mehre ihn über alle Massen. Zwölf Fürsten wird er zeugen, und ich werde ihn zu einem grossen Volk machen.

21 Meinen Bund aber richte ich auf mit Isaak, den Sara dir gebären wird um diese Zeit im nächsten Jahr.

Bundesformel s. u. 2.5.1.2

Die Verheißung in Gen 17,7 f. erhält gegenüber Gen 12 in Form der Bundesformel „ich werde ihr Gott sein“ bzw. „ich will ihnen Gott sein“ einen Zusatz, der im Zuge des Bundesschlusses weiter konkretisiert wird. Abraham wird von Gott nicht nur in materieller Hinsicht (Nachkommenschaft, Land, Segen) ausgestattet, sondern Gott geht mit ihm eine Beziehung ein, die auf einem religiösen Pakt gründet: Wenn Abraham diesen Bund akzeptiert, die Verheißungen für sich in Anspruch nimmt, bekennt er sich zu Gott und gibt durch das Zeichen der Beschneidung zu erkennen, dass er ihm und seinem Bund angehört. Gewissermaßen wird der Bundesschluss durch die Umbenennung der beiden Erzeltern in Abraham und Sara ratifiziert. Das Bundesmotiv schließt an einen ersten, in der Fluterzählung verorteten Bund an (Gen 6,18 und 9,10 ff.; P), den Gott mit dem Bogen in den Wolken als Zeichen besiegelt, das der gesamten Menschheit gilt. Der Bund mit Abraham und seiner Nachkommenschaft zielt indes allein auf das künftige Israel. Ismael als der Erzvater der arabischen Völker partizipiert zwar am Bundeszeichen der Beschneidung (V. 23) und am göttlichen Segen (V. 20: Nachkommenverheißung), nicht aber am Bund selbst, der Isaak und seinen Nachkommen vorbehalten bleibt (V. 20 f.).65 Dadurch, dass die Bundeszusagen hier als eine unkonditionierte Gabe Gottes zu verstehen sind, erhalten die Verheißungen an Abraham großes Gewicht. Außerdem wird mit seiner Person eines der maßgeblichen Zeichen jüdischer Identität verbunden, die Beschneidung, die – ähnlich dem Sabbat – dem drohenden Identitätsverlust in der Exils- bzw. Diasporasituation vorgreifen will.

Exkurs: Isaak

Der Bedeutung Isaaks für die Weitergabe des Bundes (vgl. Ps 105,9) und der mit ihm verbundenen Verheißungen widerspricht die geringe Anzahl an Geschichten über ihn, die sich auf seine Opferung bzw. Bindung (Aqeda; Gen 22), die Brautwerbung Rebekkas (Gen 24; hier wird sein Name erwähnt in V. 4.14.62–66) sowie die Gefährdung der Ahnfrau III (Gen 26,1–10) beschränken. Ansonsten findet er noch Erwähnung im Kontext der Ankündigung seiner Geburt mit Namensätiologie (Gen 18,1–15), Geburt (Gen 21), Begräbnis Abrahams und seiner Genealogie (Gen 25) sowie seines Todes (Gen 27). Wenigstens ein Drittel der Namensbelege begegnen in der Standardformel „Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs“, die außerhalb der Tora noch in Jos 24,3 f., 1Kön 18,36, 2Kön 13,23, 1Chr 29,18 und 2Chr 30,6; Jer 33,26 zitiert ist. Darüber hinaus findet die Abrahamsohnschaft Isaaks außerhalb der Genesiserzählungen nur in 1Chr 1,28.34 und in der Wendung der „Höhen Isaaks“ in Amos 7,9.16 („Haus Isaaks“) Erwähnung. Gegenüber den beiden anderen Patriarchen steht er somit deutlich im Hintergrund. Ob er eine Paralleltradition zur Abrahamtradition darstellt, die erst langsam abgelöst wurde (Blum), oder aber lediglich ein später geschaffenes literarisches Bindungsglied zwischen der Abraham- und Jakobstradition bildet (Köckert), ist umstritten.66

Gottesnamen s. o. 2.1

Auffällig ist, dass Gott sich in Gen 17,1 mit dem Namen El-Schaddai offenbart (vgl. Gen 35,11; Ex 6,2 f.) und Abraham auffordert: „Wandle vor mir (/hlk hit.) und sei vollkommen (/tamîm)!“ So lautet die Charakterisierung eines gottesfürchtigen Menschen, die bereits auf Noah Anwendung fand (Gen 6,9). Abraham wird aus der Menschheit erwählt und erhält zusammen mit seiner Frau (17,5.15) einen neuen Namen vor dem Hintergrund des zu schließenden Bundes.

Die Verheißungen der Erzelternerzählungen tragen utopische wie widersprüchliche Züge: So zeigen z. B. die Gebietsangaben in Gen 15,18 eine Größe an, die Israel historisch nie besessen hat.67 Auch die Nachkommenverheißung ist durch die Unfruchtbarkeit der Ahnfrauen auffällig konterkariert. Die Geburtsreihenfolge Ismael vor Isaak wie auch Esau vor Jakob transferiert die Zusage gegen das in Israel eigentlich geltende Erstgeburtsrecht auf den Zweitgeborenen.

Zur Gabe der Verheißung – und nicht erst zur Erfüllung – gehört eine Gegengabe: der Gehorsam gegenüber Gottes Anweisung.68 Dieser Gehorsam geht einher mit dem erst in sehr jungen Texten belegten Glauben Abrahams (Gen 15,6: /’mn hif.). Dank seines Glaubens und Gehorsams wird Abraham in der weiteren Rezeptionsgeschichte zum vorrangigen Vater Israels ausgestaltet.69 Texte wie Jes 41,8; Ps 105,6 oder Neh 9,7 betonen diesen besonderen Status Abrahams gegenüber dem weitaus ambivalenter gezeichneten Patriarchen Jakob.

Modellhaft ist Abrahams Glaubensgehorsam in Gen 22 erzählt. Die Erzählung handelt wie schon Gen 21,8 ff. von der Gefährdung und Rettung eines Abrahamsohns: In Gen 21 wird Ismael, hier Isaak gerettet.70

Gen 22

1 Nach diesen Begebenheiten stellte Gott Abraham auf die Probe. Er sprach zu ihm: Abraham! Er sprach: Hier bin ich.

2 Und er sprach: Nimm deinen Sohn, deinen Einzigen, den du lieb hast, Isaak, und geh in das Land Morija und bring ihn dort als Brandopfer dar auf einem der Berge, den ich dir nennen werde.

3 Am andern Morgen früh sattelte Abraham seinen Esel und nahm mit sich seine beiden Knechte und seinen Sohn Isaak. Er spaltete Holz für das Brandopfer, machte sich auf und ging an die Stätte, die Gott ihm genannt hatte.

4 Am dritten Tag blickte Abraham auf und sah die Stätte von ferne.

5 Da sprach Abraham zu seinen Knechten: Bleibt ihr hier mit dem Esel, ich aber und der Knabe, wir wollen dorthin gehen, und wenn wir angebetet haben, wollen wir zu euch zurückkommen.

6 Dann nahm Abraham das Holz für das Brandopfer und lud es seinem Sohn Isaak auf. Er selbst nahm das Feuer und das Messer in die Hand. So gingen die beiden miteinander.

7 Da sprach Isaak zu seinem Vater Abraham: Vater! Er sprach: Hier bin ich, mein Sohn. Er sprach: Sieh, hier ist das Feuer und das Holz. Wo aber ist das Lamm für das Brandopfer?

8 Abraham sprach: Gott selbst wird sich das Lamm für das Brandopfer ausersehen, mein Sohn. So gingen die beiden miteinander.

9 Und sie kamen an die Stätte, die Gott ihm genannt hatte, und Abraham baute dort den Altar und schichtete das Holz auf. Dann fesselte er seinen Sohn Isaak und legte ihn auf den Altar, oben auf das Holz.

10 Und Abraham streckte seine Hand aus und ergriff das Messer, um seinen Sohn zu schlachten.

11 Da rief ihm der Bote des HERRN vom Himmel her zu und sprach: Abraham, Abraham! Er sprach: Hier bin ich.

12 Er sprach: Strecke deine Hand nicht aus gegen den Knaben und tu ihm nichts, denn nun weiss ich, dass du gottesfürchtig bist, da du mir deinen Sohn, deinen Einzigen, nicht vorenthalten hast.

13 Und Abraham blickte auf und sah hin, sieh, ein Widder hatte sich hinter ihm mit seinen Hörnern im Gestrüpp verfangen. Da ging Abraham hin, nahm den Widder und brachte ihn als Brandopfer dar an Stelle seines Sohns.

14 Und Abraham nannte jene Stätte: Der-HERR-sieht, wie man noch heute sagt: Auf dem Berg, wo der HERR sich sehen lässt. […]